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11. Kapitel

Sobald Anastasia die Wohnung Judiths verlassen hatte, begab sie sich schleunigst zu Amadini, der in der Bendlerstraße eine luxuriös eingerichtete Parterrewohnung innehatte, da er es wegen polizeilichen Nachforschungen für klüger hielt, nicht als der offizielle Gatte Anastasias zu gelten, sondern sich lieber als einen Junggesellen auszugeben. Sie fand ihren Ernst im Rauchzimmer, neben ihm in einem tiefen Fauteuil Straußberg.

»Es ist erreicht!« rief Anastasia strahlend, sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte.

»Ach was! Er hat also richtig versetzt?« fragte Graf Straußberg.

»Er hat. Sein Name ist eingetragen in die Register des General-Leihamts, dicht unter der Spezialisierung der versetzten, gestohlenen Diamanten. Wenn er also auf den Gedanken käme, sich unseren Befehlen zu widersetzen, dann haben wir, womit wir ihn zwingen können.«

»Bravo!« rief der Graf. »Apropos, haben Sie etwa den Versatzschein in Judiths Händen gelassen?«

»Für wen halten Sie mich denn?« Anastasia schien tief beleidigt, daß man ihr eine solche Ungeschicklichkeit zutrauen konnte.

»Sehr richtig,« pflichtete ihr Straußberg bei. »Aber was wollen wir mit dem Schein anfangen?«

»Ich werde ihn aufheben – natürlich!«

»Das wäre sehr unvorsichtig. Man weiß nie, was geschehen kann. Warum lösen Sie nicht ganz einfach den Schmuck wieder aus?«

»Also gut! Ich werde ihn morgen auslösen,« rief Anastasia, »und werde Euch um vier Uhr den Schmuck bringen, ehe noch diese Laura zu Euch kommt.«

Gleich am nächsten Tag tat Anastasia Geld in ihren Beutel. Nach ziemlich langem Warten erhielt sie gegen Ausfolgerung der zehntausend Mark den Schmuck ausgeliefert. Sobald sie jedoch die einzelnen Stücke vor sich auf dem Tisch, der sie von dem Beamten trennte, ausgebreitet sah, erkannte sie auf den ersten Blick, daß dies nicht die Etuis Judiths waren.

Sollte sich das Versatzamt etwa getäuscht haben?

Anastasia, die stets auf ihrer Hut war, hütete sich, irgendeine Bemerkung zu machen. Ihr Erstaunen und ihre Einwendungen hätten zu Fragen und gefährlichen Auseinandersetzungen führen können. Sie nahm die Etuis, steckte sie in eine kleine Ledertasche, grüßte höflich, verließ das Versatzamt und stieg wieder in ihre Droschke. Kein Zweifel: Hier lag eine Unterschiebung fremder Diamanten vor! Doch wer hatte dies veranlaßt? Judith? Dazu hatte sie kein Geld.

Also Egon Kleinthal? Wie kam der arme Schlucker in den Besitz eines so kolossal wertvollen Schmuckes? Diese Ungewißheit beunruhigte sie im höchsten Grade.

Die Etuis, die da vor ihr auf der rückwärtigen Bank der Droschke standen, waren funkelnagelneu.

Somit waren sie neu gekauft. Aber wo? Beim Hofjuwelier Friedländer, wie deutlich auf dem Atlas in Golddruck zu lesen war.

Sie rief dem Kutscher zu, direkt nach dem Juwelierladen zu fahren.

In stolzer Haltung trat sie in den Laden, in dem sie vom Geschäftsführer empfangen wurde.

»Ich bin von einer Freundin beauftragt worden, einige schöne Diamantengarnituren anzusehen. Ich will Ihnen lieber gleich ganz offen sagen, daß es sich mehr um eine Erkundigung handelt, als um einen sofort abzuschließenden Kauf.«

»Aber ich bitte, meine gnädigste Frau. Ganz wie Sie befehlen. – Und welche Art von Garnitur wünschen gnädige Frau zu sehen? Eine Diamantengarnitur?«

»Jawohl! Nur Diamanten.«

»Im Geschäft augenblicklich nicht. Wären gnädige Frau nur zwei Tage eher gekommen – da hatte ich gerade etwas so Passendes für Sie; eine komplette Garnitur, außerordentlich reine Diamanten, wundervoll gefaßt.«

»Ist die Garnitur bereits verkauft?«

»Gestern morgen.«

»Ach, wie fatal.«

»Allerdings. Der Herr, der den Schmuck erstanden hat ...«

Anastasia lächelte: »Ein Herr? Oh! Jedenfalls ein Ausländer!«

»Nein. Ein Herr Melmström.«

Anastasia war, als wiche der Boden unter ihren Füßen. Trotzdem aber sagte sie möglichst unbefangen:

»Ah, Herr Melmström, der vielfache Millionär aus der Königgrätzerstraße?«

»Ganz recht, gnädige Frau,« erwiderte der Juwelier. »Er kam gestern in Begleitung eines Freundes.«

»Sie haben also nichts für den Augenblick? Aber da ich nun einmal hier bin, will ich doch wenigstens eine Kleinigkeit kaufen. Zeigen Sie mir doch einen Ring, irgend einen in der Preislage von etwa tausend Mark.«

»Bitte sehr, meine Gnädigste.«

Während sie mit ihrer Lorgnette verschiedene Ringe musterte, die ihr der Juwelier vorgelegt hatte, sagte sie in harmlosem Konversationstone:

»Ich begreife nicht, daß mir mein Neffe kein Wort von jenem Kauf gesagt hat. Denn ich bin fest überzeugt, daß der Begleiter Herrn Melmströms kein anderer als mein Neffe war. Er ist doch so groß wie er, brünett, nicht wahr? Ein hübscher Mensch? Sehr elegante Gestalt?«

»Ganz recht.«

»Dacht ich mir's doch. Es konnte ja kein anderer sein, als Egon Kleinthal.«

»Ob der Herr – Kleinthal hieß, weiß ich nicht,« bemerkte der Juwelier, »aber Egon bestimmt. Herr Melmström hatte ihn in meiner Gegenwart mit Egon angeredet.«

»Natürlich war er's. – Also – ich habe mich für diesen Ring entschieden, wenn Sie ihn mir für tausend Mark lassen.«

Mit vornehmen Grüßen und voll Grandezza verließ sie den Laden, stieg mit zitternden Knien in ihre Droschke und war in zehn Minuten in der Bendlerstraße, wo sie bereits von Amadini und dem Grafen erwartet wurde. –

Amadini öffnete selbst auf das dreimalige Klingeln Anastasias.

»Ist denn dein Diener weggegangen?« fragte sie.

»Jawohl. Ich habe ihn weggeschickt. Es ist überflüssig, daß er Laura Pernel hier bei uns sieht. Doch, was ist dir denn? Du scheinst ja so aufgeregt?«

»Ich habe auch allen Grund dazu,« erwiderte sie, die Tür nach dem Rauchzimmer öffnend, in dem das Haupt dieses Dreiblattes, Straußberg, behaglich saß und rauchte.

Sie warf sich in einen Lehnstuhl.

»Nun sitzen wir erst recht in der Tinte! Der Graf hat sich nicht getäuscht. Rudolf Melmström ist uns auf der Spur!«

»Wie? Was sagst du?« riefen beide gleichzeitig.

Darauf teilte sie ihnen alles mit, was sie eben erlebt und entdeckt hatte.

»Na, da können Sie sich ja rühmen, sehr schlau gearbeitet zu haben,« fuhr Graf Straußberg die würdige Matrone an. »Ich rede von der Einführung Egon Kleinthals in Ihren Salon. Ein Geniestreich das!«

»Konnte ich denn wissen, wer es war?« fauchte Anastasia wütend.

»Sie natürlich – mit Ihrem unfehlbaren Instinkt – haben gleich den ersten besten genommen, ohne sich darum zu kümmern, woher er kommt. Dann sind Sie hinüber gegangen, haben ihn aufgesucht und ihn eingeladen, Ihren Salon zu besuchen.«

Straußberg jedoch sprang fieberhaft aufgeregt in die Höhe und durchmaß mit unruhigen Schritten das Gemach.

»Ich habe euch von Anfang an gesagt, daß dieser Rudolf Melmström unerbittlich sein wird. Er ist imstande, uns niederzuschlagen wie räudige Hunde. Und jetzt, dank Ihrer Genialität, ist er wie ein Schweißhund dicht auf unseren Fersen.«

Anastasia wurde sehr kleinlaut und suchte sich schüchtern zu verteidigen.

»Ich habe doch über Kleinthals Gewohnheiten und über seine Familie die genauesten Erkundigungen eingezogen.«

»Und Sie sehen, was das genützt hat. Gott! Gott! Gott! – – – Wissen Sie, wo er wohnt?«

»Ja, in der Königgrätzerstraße ...«

»Ganz recht, in dem Hause gegenüber dem von Melmström, in dem Hause, in dem die Mutter gestorben ist. Und nicht einmal das ist uns aufgefallen! – – Egon Kleinthal! Mir ist doch auf einmal, als kennte ich den Namen! – Na, natürlich: Die Zeitungen haben seinerzeit von einem gleichnamigen Arzte gesprochen, der das Kind des Opfers nach der Mordtat zu sich genommen hat. Ihr geliebter Egon ist also kein anderer als der Sohn jenes Arztes, – das heißt, der intime Freund von Melmström!«

»Für den ersten in meiner Praxis begangenen Fehler sind Sie etwas hart,« sagte Anastasia mit fast demütigem Vorwurf.

»Dieser Fehler wird uns unfehlbar ins Verderben stürzen. Uns alle drei. Denn Sie sind gerade so schuldig wie wir. Wenn Sie sich auch heute bombastisch Frau von Keßler-Arolstein nennen, so bilden Sie sich ja nicht ein, daß unser Freund Melmström, wie ich ihn kenne, Ihnen diese lange Güter-und Lebensgemeinschaft mit dem Mörder seiner Mutter nicht auf Heller und Pfennig vergelten wird!«

Er unterbrach seine ruhelosen Wanderungen, lehnte sich an den Kamin und fuhr mit ruhigerer Stimme fort:

»Genug der Vorwürfe! Wir tun besser daran, wenn wir ein Mittel suchen, das uns aus der Gefahr zieht. Was meinen Sie, Amadini?«

»Ich?« rief Amadini, der totenblaß aussah. »Ich denke nach, ob es nicht das beste wäre, wir ließen alles im Stich und würden ins Ausland fliehen.«

»Na, von Ihnen war ja nichts anderes zu erwarten,« erwiderte der Graf, ein unsäglich verächtliches, ironisches Lächeln auf den Lippen. »Ein plötzliches Verschwinden unsererseits hieße so viel, als die Aufmerksamkeit Melmströms oder Ihres Egon« – er sah dabei Anastasia mit ironischer Verbeugung an – »auf uns zu lenken.«

»Ja, glauben Sie denn nicht, daß er es schon weiß?« fragte Amadini.

»Aber keine Spur! Zum Glück noch nicht! Wenn er es wüßte, würden wir hier nicht so gemütlich zusammensitzen. Da wären wir längst schon alle drei über die Klinge gesprungen! Wenn er es wüßte, weshalb würde er da mit der Postierung Kleinthals, mit dem Ankauf und der Unterschiebung der Diamanten seine Zeit verlieren? Zweifellos sucht er uns noch und hat uns bloß gewittert. Wir müssen eben jetzt die Spur von uns wieder ablenken und noch schlauer sein als er. Hat Kleinthal uns schon entdeckt? Kaum. Das Haus Anastasias wird ihm bloß verdächtig vorgekommen sein. Am meisten Mißtrauen hat ihm jedenfalls Judith eingeflößt, die man ihm etwas brüsk an den Hals geworfen hat. Trotzdem will er der Geliebte Judiths bleiben, der Freund Anastasias, ein Habitué in ihrem Hause, um immer herumzuschnüffeln, suchen zu können und schließlich sich seiner Aufgabe, die er von Melmström erhalten hat, zu entledigen.«

»Gewiß,« unterbrach ihn schüchtern Anastasia. »Aber ihr vergeßt Laura Pernel. Sie braucht nur ein Wort zu sagen, und Egon Kleinthal kann sein Suchen getrost aufgeben; denn Rudolf Melmström hat dann gefunden, was er finden wollte. Und sie verlangt fünfzigtausend Mark.«

»Es ist gleich fünf Uhr. Sie muß jeden Augenblick kommen. Amadini wird ihr öffnen und sie hier hereinführen. Richten Sie, bitte, das Geld her, lieber Freund.«

Amadini entfernte sich und kehrte nach einigen Minuten mit einem Päckchen Banknoten zurück. »Das ist das Letzte, die Kasse ist leer.«

»Es wäre nicht das erstemal, daß sie leer ist. Wir saßen oft noch viel ärger auf dem Trocknen, zum Beispiel an jenem Abend, als wir mit Wesenthal in der Eremitage soupiert haben und den Plan ausheckten, uns Geld aus der Königgrätzerstraße zu holen.«

»Wesenthal!« seufzte Anastasia. »Der lebt still und zufrieden irgendwo in einem weltverlorenen Winkel. Vielleicht ist er schon tot,« sagte sie trübe, die Hände über ihren Bauch faltend.

In diesem Augenblick klingelte es.


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