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Erster Teil. Der Herbst

InitialGelobt sei Jesus Christus!

»In Ewigkeit Amen! beste Agathe, und wohin wandert ihr denn, was?«

»In die Welt, zu den Menschen, euer Liebden, in die weite Welt! ...«

Sie zog mit dem Stecken einen Bogen von Osten nach Westen.

Der Priester schaute unbewußt in jene Ferne und senkte rasch die Augen, denn über dem Westen hing die blendende Sonne; dann fragte er stiller, wie ängstlich fast ...

»Haben die Klembs euch fortgetrieben, was? Oder habt ihr euch nur gezankt? ... Vielleicht ...«

Sie antwortete nicht gleich, reckte sich etwas und ließ die alten verbleichten Augen schwer über die herbstlichen, leeren Felder und die Dächer des Dorfes schweifen, das in Obstgärten getaucht ruhte.

»I nee, nee ... rausgejagt ... nee, wie sollten sie denn. Sind doch ganz gute Leute, Verwandte. War auch kein Zank nicht da./Man merkt nur selber so, daß es Zeit ist, in die Welt fort./Vom fremden Wagen muß der Mensch 'runter wenn es Zeit ist, selbst ins Wasser.

Man mußte ... sie hatten schon keine Arbeit mehr für mich ... es geht nach dem Winter, wie kann man denn da/umsonst sollen sie das Essen geben und die Ecke fürs Schlafen? ...

Und weil sie doch auch gerade das Kalb, den kleinen Bullen, entwöhnt haben ... und bei den kalten Nächten müssen auch die Gänschen 'rein/da hab' ich Platz gemacht, was soll man denn anders, is doch schade ums schöne Vieh, sind auch Gottesgeschöpfe ... Die Leute sind gut, nehmen mich doch für den Sommer ins Haus und gönnen mir meine Ecke und mein Essen/so daß der Mensch wie eine Hofbäuerin herumparadiert ...

Und für den Winter/viel brauch' ich ja nicht/da muß man schon bitten gehen. Auf dem Bettel geben einem die guten Leute schon was, und bis zum Frühjahr werde ich mich mit unseres Herrn Jesu Hilfe durchwürgen. 'n paar Groschen spart man sich auch noch über/das ist dann für meine Leute, auf die Vorerntezeit ... von wegen der Verwandtschaft.

Und das süße Jesuskind wird die Armut schon nicht verlassen.«

»Nein, das wird er nicht,« rief der Priester mit Wärme und drückte ihr ein blankes Fünfzehnkopekenstück in die Faust.

»Hochwürden, unser lieber Hochwürden!«

Sie beugte sich, daß ihr zittriger Kopf seine Knie berührte, und die Tränen kollerten wie Erbsen über ihr greises, wie Herbstäcker zerfurchtes Gesicht.

»Geht nur mit Gott/geht nur,« murmelte er bekümmert und richtete sie auf.

Sie sammelte mit zitternden Händen die Bettelsäcke, den Stecken mit der Igelspitze, bekreuzigte sich und ging über den breiten ausgefahrenen Weg in der Richtung des Waldes davon; doch immer wieder blickte sie sich um nach dem Dorf, nach den Feldern, auf denen man Kartoffeln grub, nach dem Rauch der Hirtenfeuer, der dicht über den Stoppelfeldern hinkroch, und immer wieder blickte sie traurig zurück bis sie zuletzt hinter den Büschen am Wege verschwand.

Der Priester kehrte auf seinen alten Platz zwischen die Räder der Pflugkarre zurück, langte nach einer Prise und schlug das Brevier auf, doch seine Augen glitten von den roten Lettern ab und liefen über die weiten, von herbstlicher Versonnenheit umfangenen Lande, schweiften über den blassen Himmel und machten dann bei einem Knecht halt, der über einen Pflug gebeugt ging.

»Walek ... die Furche ist schief ... täh ...« schrie er und lupfte leicht vom Sitz. Schritt für Schritt folgte er nun mit den Augen dem runden Schimmelpaar, das den knirschenden Pflug zog.

Dann fing er wieder unbewußt an, die roten Lettern des Breviers zu durchlaufen und die Lippen murmelnd zu bewegen. Doch die Augen waren immer wieder hinter den Schimmeln her und beobachteten die Krähen, die mit behutsam vorgestreckten Schnäbeln in der Ackerfurche hüpften und bei jedem Peitschenhieb und jeder Wendung des Pfluges schwer aufflatterten, um gleich wieder auf den Acker zurückzufallen und die Schnäbel an den harten trockenen Schollen zu wetzen.

»He, Walek! lang' er ihr mal eine über die Pantalons, die Rechte zieht nicht!«

Er schmunzelte heimlich, da die Rechte nach dem Peitschenhieb ihre Pflicht tat. Als die Pferde wieder an den Weg herangekommen waren, erhob er sich eilig und klopfte ihnen wohlwollend den Nacken, so daß sie die Nüstern nach ihm reckten und freundschaftlich sein Gesicht beschnupperten.

»Heeet aa!« rief Walek mit singender Stimme, er zog die silbrig blinkende Pflugschar aus der Erde, hob sie etwas hoch, riß die Pferdeleine an, so daß die Gäule einen kurzen Bogen machten, stieß den blanken Sieck in das Stoppelfeld und schwang die Peitsche; die Pferde ruckten an, daß die Ortscheite quarrten. Und er pflügte weiter, das weite Gelände hinab, das im geraden Winkel vom Weg abfiel und als ein langer Zug leinwandgrauer Schollen sich zum tief gelagerten Dorf hin reckte, welches wie versunken lag in rötlichen und goldenen Obstgärten.

Die Luft war still, warm und etwas schläfernd.

Obgleich es schon gegen Ende September war, wärmte die Sonne nicht schlecht; sie schwebte über den Wäldern auf der Hälfte des Weges zwischen Süden und Westen, doch legten sich schon nächtlich kühle Schatten um die Knicks, um die Steinhaufen, um die harten trockenen Ackerkrumen und unter die Birnbäume auf den Feldern.

Über den verlassenen Fluren lag Stille und eine berauschende Süße war in der von Sonnendunst gedämpften Luft; im hohen, blassen blauen Himmel lagen hier und da gewaltige weiße Wolken verstreut, wie Schneewälle, die von Winden aufgeballt und zerfetzt waren.

Und unter diesen Wolken, soweit das Auge reichen konnte, ruhte graues Ackerland/eine riesige Schale mit eingekerbtem Rand bläulicher Wälder, durch die gleich silbernen, in der Sonne aufflirrenden Gespinsten der Fluß mit seinen Windungen zwischen Erlen und Uferweiden hervorblitzte. Er staute sich mitten im Dorf zu einem großen länglichen Weiher und lief nach Norden durch eine Schlucht zwischen den Hügeln; im Talkessel rund um den Weiher lagerte sich das im Sonnenschein schillernde Dorf in der Pracht seiner herbstlich bunten Baumwipfel, gleich einer rotgelben zusammengerollten Raupe auf einem grauen Lattichblatt. Lange Gewebe etwas wirrer Ackerhufen, Plantücher grauer Felder mit Schnüren von Rainen voll Steinhaufen und Schlehdornbüschen streckten sich vom Dorf bis zu den Wäldern. Hin und wieder nur ergossen sich Rinnsale von Gold in das silbrige Grau/Lupinenfelder breiteten ihre gelben Flächen voll duftender Blumen, ausgedörrte Strombetten entblößten ihre weißlichen Sandgründe und müde lagen die sandigen Wege. Mächtige Pappeln stiegen in Reihen an ihren Rändern langsam die Hügel empor den fernen Wäldern zu.

Der Priester erwachte aus seiner Versunkenheit, denn ein langes, klagendes Brüllen ertönte dicht bei ihm. Schreiend flogen die Krähen auf und flügelten schräg zum Kartoffelland hinüber und ein schwarzer Schatten huschte ihnen tief unten nach, über Äcker und Brachen.

Der Priester schützte seine Augen mit der Hand und schaute sonnenwärts/ein Mädchen, das eine große, rotbraune Kuh am Seil führte, ging auf dem Weg vorüber, der vom Walde kam; sie bot Gott zum Gruß, drehte zum Priester hin und wollte ihm die Hand küssen, aber die Kuh riß sie heftig weg und fing wieder an zu brüllen.

»Geht sie zum Verkauf, was?«

»Nii ... zum Müller seinen Bullen ... halt' still, Pestige ... verrücktes Vieh!« schrie sie nach Atem ringend und versuchte sich entgegenzustemmen, aber die Kuh riß sie mit, bis sie beide dahinstoben, was die Lenden hielten und in einer Staubwolke verschwanden.

Danach schleppte sich schwer über den Sandweg der Lumpenjude; ab und zu kuschelte er sich hin und ächzte schwer, denn die Karre war vollgeladen.

»Was gibt's Neues, Mäusche?«

»Was soll's geben? ... Wem's gut geht, bei dem gibt's gut ... De Kartoffeln sind, Gott Dank, geraten, der Roggen gibt was her, Kohl wird auch da sein. Wer Roggen hat, wer Kohl hat, wer de Kartoffeln hat/bei dem gibt's gut!« Er küßte den Ärmel des Priesterrocks, legte sich in die Gurten der Karre und schob bedächtig weiter, denn der Weg führte schon über ein leichtes Gefäll hinab.

Dann kam mittwegs, im aufgewirbelten Staub, den er mit seinen Füßen aufstieben machte, ein blinder Bettler daher, geführt von einer dicken, an einem Bindfaden vertäuten Töle.

Dann wieder rannte von der Waldseite her ein Junge mit einer Flasche, der beim Anblick des Priesters am Wegrand in einem großen Bogen um diesen herum querfeldein zur Schenke lief.

Ein Bauer aus dem Nachbardorf fuhr zur Mühle und eine Jüdin trieb eine Herde gekaufter Gänse vorüber.

Jeder bot Gott zum Gruß, wechselte ein paar Worte und ging seines Wegs, begleitet vom wohlwollenden Wort und Blick des Priesters, der, da die Sonne schon tief stand, sich erhob und seinem Knecht zurief:

»Bis zu den Birken pflügen, Walek, und dann nach Haus, ... sonst strapazieren wir die Pferde zu viel.«

Gemächlich ging er über die Feldraine, sprach halblaut das Gebet, und umfaßte mit einem klaren Blick voll Liebe das Land ...

... Reihen roter Frauenröcke leuchteten über dem Kartoffelacker auf ... das Kollern der eingeschütteten Kartoffeln gegen die Wagenbretter wurde hörbar ... stellenweise pflügte man noch für die Wintersaat ... Herden buntscheckiger Kühe weideten auf dem Brachland ... und lange aschfarbene Saatenfelder begannen sich rostrot mit dem sprießenden Getreide zu färben ... Auf den dürren verschossenen Wiesen aber schimmerten Gänse, wie weiße Schneeflecken. Irgendwo muhte eine Kuh ... Es brannten Feldfeuer und lange blaue Rauchsträhnen zogen über die Erde hin ... Hin und wieder wurde Wagengeroll hörbar, oder ein Pflug knirschte gegen Steine an. Dann wiederum umfing auf einen Augenblick Stille das Land, daß man das hohle Gurgeln des Stromes und das Rollen der Mühle hörte, die sich hinter dem Dorf im Dickicht der herbstlichen Bäume versteckte ... Ein Liedchen flog auf, wie ein Ruf von irgendwo, flatterte tief über die Rillen und Furchen und sank ohne Widerhall im Herbstdämmer, auf spinnwebgebundene Stoppeln, an öden Wegen, wo die Ebereschen die blutigen schweren Köpfe neigten. Man eggte einen Ackerstreifen und ein Schweif hundertjährigen mürben Staubes hob sich hinter den Eggen auf, zog sich in die Länge hügelan, und senkte sich. Unter ihm kam, wie aus einer Wolke, ein barfüßiger Bauer hervor, mit bloßem Kopf und einem quer über den Leib gebundenen Schurz. Er ging langsam, schöpfte Korn aus dem Leintuch und säete mit eintöniger, andachtsvoller, segenspendender Gebärde. Bis an den Feldrand kam er, füllte nach aus einem Sack, kehrte um und schritt hügelan ... zuerst tauchte sein zerzauster Kopf auf, dann seine Schultern und schließlich ward er ganz sichtbar auf dem Sonnenhintergrund mit seiner segnenden Bewegung des Säemanns; mit dem immer gleichen heiligen Wurf schleuderte er das Korn, das wirbelnd, wie goldener Staubregen, in die Erde fiel.

Der Priester ging immer langsamer, zuweilen blieb er stehen, um Atem zu schöpfen, dann blickte er sich nach seinen Schimmeln um, und sah den Jungen zu, die mit Steinen nach einem gewaltigen Birnbaum warfen, bis sie allesamt zu ihm hingelaufen kamen, die Hände hinter dem Rücken versteckend, um seinen Rockärmel zu küssen.

Er strich ihnen über die Köpfe und ermahnte: »Brecht nur nicht die Äste ab, sonst gibt's nächstes Jahr keine Birnen.«

»Wir werfen nicht wegen den Birnen, aber da is 'n Krähennest,« ließ sich ein Dreisterer vernehmen.

Gütig lächelnd nickte er und blieb gleich wieder bei den Kartoffeln ausnehmenden Leuten stehen.

»Der Herr segne die Arbeit!«

»Vergelt's Gott, wir danken schön!« antworteten sie zugleich, indem sie sich emporreckten und sich alle in Bewegung setzten, um die Hände des lieben Hochwürden zu küssen.

»Der liebe Gott hat dieses Jahr schöne Kartoffeln wachsen lassen, was?« sprach er und streckte den Männern die geöffnete Tabaksdose hin; sie nahmen gewissenhaft und ehrerbietig in kleinen Prisen, ohne zu wagen, in seiner Gegenwart zu schnupfen.

»Stimmt, groß wie Katzenköpfe sind sie und viele unter dem Busch.«

»Na, dann werden die Schweine teuer werden, denn jeder wird mästen wollen.«

»Sind auch so teuer genug; im Sommer sind sie an der Seuche wegkrepiert und auch nach Preußen kauft man viel.«

»Ist schon wahr. Wem gehören die Kartoffeln hier?«

»Boryna seine.«

»Den Bauern seh' ich nicht, da hab' ich ihn halt nicht aus dem Haufen erkannt.«

»Vater und Meiner sind in den Wald gefahren.«

»Ach, das seid ihr, Anna, na, wie macht es sich?« wandte er sich zu der jungen schmucken Frau im Kopftuch, die, da ihre Hand mit Erde beschmutzt war, mit der Schürze nach seiner langte, um sie auch zu küssen.

»Wie geht es denn euerm Jungen, den ich zur Erntezeit getauft habe?«

»Gott Lob und Dank, er wächst auf, Hochwürden, er fängt schon an, herumzukrabbeln.«

»Nu, dann ... Grüß Gott!«

»Schönen Dank.«

Er wandte sich nach rechts dem Friedhof zu, der noch diesseits des Dorfes am Pappelweg lag.

Sie sahen noch lange schweigend seiner leicht gebeugt dahinschreitenden geschmeidigen Gestalt nach, und ihre Jungen lösten sich erst, als er hinter die niedrige steinerne Kirchhofsmauer einbog, zwischen Grabhügeln der Kapelle zuschreitend, die inmitten blaßgelber Birken und roter Ahorne stand.

»Einen Besseren gibt's wohl nicht in der ganzen Welt,« fing eine der Weiber an.

»Is wahr, nach der Stadt wollten sie ihn schon haben. Wenn Vater und der Schulzen nicht um ihn bis zum Bischof gewesen wären, hatten mer'n auch nicht mehr ... Hackt man zu, Leute, bis Feierabend ist nicht mehr lange und Kartoffeln noch genug,« sagte Anna, indem sie ihren Korb auf einen hellen Kartoffelhaufen leerte, der aus der zerwühlten Erde voll trockener Kartoffelstrünke aufragte.

Sie griffen flink und schweigend zu, so daß man nur das Picken der Hacken auf der Erdkruste und zuweilen das Aufschlagen des Eisens gegen einen Kiesel hörte. Ab und zu reckte einer oder der andere den gebückten, schmerzenden Rücken, atmete tief auf und sah stumpf dem Saemann im Nachbarfeld zu, grub dann weiter und las die gelben Kartoffeln vom grauen Boden auf, die er in den nebenan stehenden Korb warf.

Es war vielleicht ein Dutz Leute, meist alte Weiber und/ Kätner. Hinter ihnen, an zwei gekreuzten Holzgestellen hingen in geknoteten weißen Leinentüchern ein paar kleine Kinder, die ab und zu greinten.

»Die Alte is nu doch in die Welt gegangen,« leitete die Gusche ein.

»Wer denn?« fragte Anna, sich erhebend.

»Die alte Agathe doch ...«

»Auf den Bettel ...«

»Jawoll, auf den Bettel! Hale, wohl nicht zum Spaß. Hat den Verwandten die Arbeit gemacht, sich den Sommer über geschunden/nu kann sie die frische Luft besehen.

Zum Frühjahr kommt sie schon heim, dann bringt sie ihnen in den Hungersäckelchen Zucker und chinesischen Tee, auch'n paar Groschen hat sie dann noch über/gleich werden sie sie dann lieben, lassen sie im eignen Bett unter den Daunen schlafen, für die Arbeit ist sie dann zu gut, sie braucht Ruhe ... Base und Tante sagen sie ihr dann, bis sie ihr den letzten Notgroschen abgetrieben haben ... Im Herbst aber da gibt's keinen Platz mehr, nich im Flur und nich im Schweinstall. Verdammtes Aaszeug, Hundeverwandtschaft!« spie sie hervor und eine solche Wut überkam sie, daß ihr Gesicht blau anlief.

»Ich mein' schon, dem Armen weht der Wind immer in die Augen,« pflichtete einer der Kätner bei, ein alter, ausgemergelter Bauer mit einem schiefen Mund.

»Hackt man zu, Leute, hackt man zu,« trieb Anna wieder an, mit der Wendung, die das Gespräch nahm, nicht zufrieden.

Gusche, die nicht lange aushalten konnte ohne herumzuschwatzen, sagte, nach einem unweit stehenden Burschen hinüberblickend:

»Die beiden Patschesjungen, das sind schon reichlich alte Burschen, die Zotteln fangen schon an, ihnen zu sprießen.«

»Und immer noch Junggesellen,« meinte eine andere.

»Und so viele Mädchen werden alt, oder müssen in den Dienst ...«

»Is wahr, und haben doch 'ne ganze halbe Huf' und die kleine Wiese hinter der Mühle dazu.«

»Jawohl, aber wird sie sie heiraten lassen, die Alte ... läßt sie sie mal locker? ...

Wer würde da die Kühe melken oder die Wäsche spülen, wer würde die Wirtschaft besorgen und auf die Schweinchen passen ...

Die Mutter muß um ihre Jagna hantieren/die spielt doch schon das reine gnädige Fräulein, 'ne richtige Gutstochter, immer nur putzen tut sie sich und waschen und sich im Spiegel angaffen, oder die Zöpfe flechten.«

»Und paßt nur auf, wen sie sich unters Federbett holt, ob er auch stark genug ist!« fügte Gusche mit einem bösen Lächeln bei.

»Jusek Bandcha schickte schon mit Schnaps zu ihr/sie wollte ihn nicht.«

»Guck einer/die verdammte Marjell!«

»Und die Alsch sitzt den halben Tag in der Kirche, betet aus dem Gebetbuch und tut von Dorf zu Dorf auf Ablaß gehen, wo es nur Kirchweih gibt.«

»Is schon so, aber 'ne Hexe is sie auch; und Wawschjons Kühen, wer hat ihnen die Milch genommen, was? Und als sie Johannes sein' Jungen beim Pflaumenstehlen erwischt hat, hat sie ihm ein solches Wort gesagt, daß ihm der Weichselzopf gewachsen ist und alle Glieder sind ihm krumm geworden, du lieber Gott!«

»Und da soll Gottes Segen über dem Volk sein, wenn solche im Dorf sitzen ...«

»Und damals, als ich noch Väterchens Kühe hütete, da mein' ich, hat man solche zum Dorf rausgejagt,« gab Gusche bei.

»Den zweien passiert schon kein Unrecht nicht, die haben schon welche, die es mit ihnen halten ...,« und die Stimme zum Flüsterton dämpfend, indem sie nach Anna schielte, die vornbei in der ersten Furche hackte, tuschelte sie ihren Nachbarinnen zu:

»Der erste dazu, wäre wohl der Anna ihrer, sagt man ... der ist hinter der Jagna her, wie 'n Hund in seiner Zeit ...«

»Jeses/Jeses ... was ihr nicht sagt ... wäre doch die reine Sünd' und Schand' ...« tuschelten sie beieinander, ohne die Köpfe dabei zu erheben und emsig weitergrabend.

»Ist er denn der einzige ... wie einer Hündin laufen sie ihr nach.«

»Schön ist sie, das muß ihr der Neid lassen: und fein rund wie eine Färse, und die schöne weiße Fratze ... die Augen sind akk'rat wie Flachsblumen ... und solche Kraft hat sie, daß manch' ein Kerl nicht gegen ankann ...«

Sie schwiegen eine lange Weile, denn sie mußten die Kartoffeln auf einen Haufen schütten.

Darauf redeten sie hin und wieder nur ein paar Worte mehr und schwiegen ganz, als eine von ihnen gewahr wurde, daß vom Dorf her Borynas Fine über das Stoppelfeld gelaufen kam.

Sie war es tatsächlich und kam schon von weitem schreiend atemlos angerannt.

»Anna, kommt schnell nach Haus, der Kuh ist was.«

»Jesus Maria/welche denn? ...«

»Die Bunte! ... die Bunte! ... ich kann kaum atmen ...«

»Mein Gott, ich hab' mich ganz verfahren, ich dachte meine,« rief Anna erleichtert.

»Eben erst hat Witek sie eingetrieben; der Heger hat sie aus dem Wald gejagt. Ganz verbiestert war sie, sie ist ja so dick ... beim Kuhstall ist sie gleich umgefallen, nicht mal trinken will sie, fressen auch nicht, sie wälzt sich hin und her und brüllt immerzu, daß Gott erbarm'!«

»Is' Vater nicht da?«

»Näh, Vaterchen ist noch nicht zurückgekommen. O Jesus, mein Jesus, so eine Kuh, die auf einmal gut ein Liter Milch gegeben hat. Kommt doch man schnell.«

»Ich flieg schon ..., in einem Nu.«

Sie riß das Kind aus dem Leinentuch, stülpte ihm die Quastenmütze über, wickelte es in die Schürze und eilte rasch fort. Sie war so verstört durch diese Nachricht, daß sie nicht einmal den Beiderwandrock herunterzog, daran dachte sie ganz und gar nicht, und ihre bis an die Knie bloßen Beine schimmerten weiß gegen den dunklen Acker. Fine lief voraus.

Indessen schoben sich die kartoffelgrabenden Leute, jeder breitbeinig über seiner Furche langsam vorwärts und hackten bedächtiger, denn niemand trieb sie und niemand drängte sie.

Die Sonne rollte schon dem Erdenrande zu, und wie erhitzt vom raschen Lauf, erglühte sie zu einer purpurnen Radscheibe und sank in die hohen schwarzen Wälder. Die Dämmerung stieg empor und kroch über die Felder; sie schob sich durch die Furchen heran, hockte in den Gräben, staute sich im Dickicht an und ergoß sich leise über die Erde, da dämpften sich die Farben und erloschen, nur die Schöpfe der Bäume, die Türme und Dächer der Kirche flammten noch glühend. Es zogen schon einige von den Feldern heim.

Und Menschenstimmen, Wiehern, Gebrüll, Wagengeratter klangen immer schärfer durch die stille dämmerumfangene Luft.

Mit erzenem Gezwitscher begann die Betglocke der Kirche das Ave einzuläuten; die Menschen blieben stehen und das Murmeln der Gebete sank, wie welke Blätter, in die Dämmerung.

Unter Gesang und frohen Zurufen wurde das Vieh von den Weiden getrieben; es kam dichtgedrängt in Herden, von Staubwolken eingehüllt, so daß nur hin und wieder gewaltige Köpfe und breitgegabelte Hörner sichtbar waren.

Hier und da blökten ein paar Schafe, vom Weideland flatterten Gänsescharen auf ins Abendrot und ihr durchdringender Schrei ertönte aus der Luft.

»Wär' doch man schade um die Kuh; was die kalbte!«

»Na ja ... einen Armen hat es nicht getroffen.«

»Immerhin schade, daß so 'n statiöses Vieh so elendiglich umkommen muß.«

»Keine Hausfrau hat Boryna, da sackt alles weg wie durch ein Sieb.«

»Und Anna, ist denn die keine?«

»Für sich selbst ... wie zur Miete sitzen die bei dem Vater, und daß die nur drauf lauern, was in ihre Tasche fällt, kannst du denken, und das Väterliche, da kann der Hund für aufkommen.«

»Und Fine, so 'n Kiekindiewelt, was kann die dabei?«

»Na aber, könnte denn auch der Boryna nicht seinen Hof dem Antek abgeben, ah?«

»Und selbst soll er zu ihnen auf den Altenteil, wie? ... Alt seid ihr, Laurenz, und noch immer dumm bis in die Klamotten,« begann Gusche lebhaft. »Hoho, der alte Boryna, der stellt noch seinen Mann; der kann sich noch verheiraten. Dumm wäre er, wenn er was seinen Kindern abschriebe.«

»Na ja ...a, kräftig is er schon, aber sechzig Jahre.«

»Brauchst keine Angst zu haben, Laurenz, jede Junge nimmt den, laß ihn nur ein Wort sagen.«

»Zwei Frauen hat er schon begraben.«

»Laß ihn auch die dritte mit Gottes Hilfe begraben, aber den Kindern, solange er lebt ... kein Stückchen, keinen Fetzen, nicht mal so viel, wie einer unter dem Pantoffel hat. Aaspack, dem käm's, wie meine mir. Einen Altenteil würden sie ihm geben, auf Arbeit könnte er dann gehen, verhungern oder den Bettelstock nehmen. Gib's nur her, was du hast, deinen Kindern, die werden's dir schon vergelten, das reicht dann für ein Stricklein, oder für 'n Stein um den Hals ...«

»Nach Hause, Leute, 's wird schon dunkel.«

»Jaja, und die Sonne ist auch weg.«

Sie sammelten rasch die Hacken und Körbe, nahmen ihre Zweiertöpfe auf, die vom Mittagsessen noch da waren, und gingen im Gänsemarsch miteinander redend den Feldrain entlang; nur die alte Gusche schrie immer noch wütend über ihre Kinder und fluchte zu guter Letzt auf die ganze Welt.

Neben ihnen im gleichen Schritt trieb ein Mädchen eine Sau mit ihren Ferkeln und sang mit dünnem Stimmchen:

Aj, geh nicht um den Wagen,
Aj, halt dich nicht ans Rad,
Aj, gib dem Mann kein Küßlein,
Aj, wenn er selbst gebeten hat.

»Tä, Dumme, schreit, als ob man ihr die Haut abschälte.«

 


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