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Sonntag war's/ein stiller, spinnwebumsponnener, sonnendurchtränkter Septembertag. Auf dem Stoppelfeld, sogleich hinter den Scheunen weidete das ganze Vieh des Borynahofes, und unter dem hohen, bauchigen Getreideschober, den eine frischgrüne Bürste jungen Roggens umgab, der beim Verladen des Kornes ausgeschüttet war, lag Jakob, gab auf das Vieh Obacht und unterwies Witek im Gebet. Er fuhr ihn öfters an oder knuffte ihn mit dem Peitschenstiel, denn der Junge irrte sich fortwährend und überflog die Obstgärten mit den Blicken.
»Acht', was ich sage, es ist doch das Gebet,« mahnte er ernst.
»Ich acht' schon, Jakob, ich acht' schon.«
»Na, und was hast du dich denn da in die Obstgärten zu vergucken, hä...ä?«
»Klembs haben noch die Äpfel im Garten, glaub' ich.«
»Die kommen dir grad zu paß, was? Hast du sie denn gepflanzt? Repetier' du das Credo/noch emal.«
»Die Rebhündel habt ihr doch auch nicht aufgezogen und habt 'ne ganze Schar davon weggenommen.«
»Dämlack! Die Äpfel sind Klemb seine und die Vögel sind dem Herr Jesus seine, verstanden?«
»Sie sind doch aber vom Gutsfeld.«
»Auch das Feld gehört dem Herrn Jesus. Seh' mir einer den Klugschnacker an! Repetier' du nur das Credo.«
Witek wiederholte rasch, denn die Knie taten ihm schon weh, aber er hielt es nicht aus.
»Mir scheint, das Füllen geht in Michel seinen Klee,« rief er, bereit, auf und davonzulaufen.
»Hab' man keine Angst nich um das Füllen und paß aufs Gebet ...«
Endlich war er am Ende, konnte jedoch nicht länger stillehalten, kuschelte sich, drehte sich nach allen Seiten und schleuderte einem Haufen Spatzen auf den Pflaumenbäumen einen Erdklumpen nach, dann begann er eilig sich auf die Brust zu schlagen.
»Und den Schluß hast du einfach 'runtergeschluckt, wie 'ne Mulschbirne, was?«
Der Junge wiederholte den Schluß und machte sich mit großer Erleichterung an den Hund heran, mit dem er sich herumzunecken begann.
»Paß auf; mußt du denn immerzu tollen, wie 'n albernes Kalb?«
»Werdet ihr Hochwürden die Vögel hintragen? ...«
»Das werd' ich ...«
»Aufm Feld hier könnten wir sie braten.«
»Brat' dir Kartoffeln. Sieh' mal einer an, was er nicht alles will!«
»In die Kirche gehen sie schon,« rief Witek plötzlich, da er die roten Schürzen auf dem Wege hinter den Hecken und Bäumen schimmern sah.
Die Sonne wärmte gehörig, so daß man alle Fenster und Türen in den Hütten durch und durch geöffnet hatte; hier und da wusch man sich noch an der Hauswand, hier wiederum strählte man das Haar und flocht es in Zöpfe, da klopfte man die Feiertagskleider aus, die durch das lange Liegen in den Truhen zerknüllt waren, und trat schon da und dort auf die Straße, daß bald hier bald dort, gleich roten Mohnblumen, und gelben Georginen, die an den Wänden schon im Verblühen waren, oder wie Kresse und Feuernelken geputzte Menschen herauskamen. Frauen, Kinder, Mädchen, Knechte kamen angegangen, und wie große reife Roggengarben kamen die Bauern in ihren weißen Haartuchröcken anmarschiert und alles strebte bedächtig der Kirche zu, auf Wegen und Stegen kamen sie gegangen zu seiten des Weihers, der wie in einer goldenen Schale die Sonne wiederspiegelte, daß es vor den Augen zu flirren begann.
Die Glocken klangen ununterbrochen mit ihren freudigen Stimmen des Sonntags, der Ruhe und der Andacht.
Jakob wartete, bis man ausgeläutet hatte, da ihm aber die Zeit zu lang wurde, steckte er seinen Bund Rebhühner unter den Kapottrock und sagte:
»Witek, du wirst das Vieh in die Ställe treiben, wenn sie ausgeläutet haben, und kommst dann zum Gottesdienst.«
Er ging so schnell er sich nur vorwärtsbewegen konnte, er hinkte nämlich stark, den Fußweg entlang, der zwischen den Gärten lief und so dicht mit gelbem Pappellaub bedeckt war, daß Jakob wie auf einem safrangelben Perserteppich wandelte.
Das Pfarrhaus stand gegenüber der Kirche, nur durch eine Straße von dieser getrennt, im Hintergrund eines großen Gartens voll grüner Birnen und roter Äpfel. Vor der mit rotem Weinlaub bewachsenen Veranda blieb Jakob ratlos stehen, schüchtern in die sperrangelweit offenen Fenster, dann wieder in die offene Haustür lugend, und da er sich nicht hineinzugehen traute, wich er bis an ein großes Blumenbeet zurück, das voll Rosen, Levkojen und Astern war und aus dem ihm ein süßer betäubender Duft entgegenschlug; eine weiße Taubenschar krabbelte auf dem grünen, moosbewachsenen Dach umher und flatterte bis auf die Veranda herunter.
Der Pfarrer ging im Garten auf und ab mit dem Brevier in der Hand, doch schüttelte er hin und wieder an einem Birn- oder Apfelbaum, daß man das schwere Aufplatzen der Früchte auf den Boden hörte; er sammelte das Obst auf in den Schoß seines Priesterkleides und wollte es ins Haus tragen.
Jakob vertrat ihm den Weg und bückte sich demütig bis an seine Knie.
»Was gibt's denn? Ach so ... Jakob vom Borynahof.«
»Jawohl! 'n paar Rebhühndl hab' ich Hochwürden gebracht.«
»Gott lohn's dir. Komm mit.«
Jakob betrat den Vorplatz und blieb auf der Schwelle stehen, denn er traute sich keinesfalls in die Zimmer hinein. Soweit es durch die offene Tür möglich war, blinzelte er aber zu den Bildern hinüber, die an den Wänden hingen, bekreuzigte sich fromm, holte tief Atem und fühlte sich dermaßen geblendet durch all die Herrlichkeit, daß ihm selbst die Tränen in die Augen traten. Er hatte große Lust zu beten, nur traute er sich nicht, niederzuknien, um das glänzende, glatte Parkett nicht zu beschmutzen. Doch der Pfarrer kam gleich wieder aus den Zimmern heraus, gab ihm fünfzehn Kopeken in Silber und sagte:
»Gott bezahl's, Jakob, du bist ein guter, frommer Mensch, du gehst auch jeden Sonntag zur Kirche.«
Jakob umfaßte seine Knie, doch er war dermaßen betäubt durch das Gefühl der plötzlichen Freude, daß er gar nicht gewahr wurde, wie er sich wieder auf der Straße befand.
»Sieh mal an, für die paar Vögelchens und so 'n Geld! Hochwürden/der Liebe ...« flüsterte er, die Münze beäugend. Nicht das erstemal zwar brachte er Hochwürden etwas, mal 'n paar Vögel, dann wieder ein Häschen oder Pilze. Niemals aber hatte er so viel bekommen; auf den Höchstfall einen Groschen oder auch nur ein gutes Wort ... und heute, du lieber Gott! einen ganzen Silberling, und aufs Zimmer hatte man ihn gerufen, und so viel Gutes gesagt. Jesus! Es klemmte ihm die Gurgel zu, und Tränen flossen wie von selbst aus seinen Augen, und im Herzen fühlte er eine solche Wärme, als ob ihm jemand Glut auf die Brust geschüttet hätte.
Allein der Priester weiß den Menschen zu ehren, er nur einzig und allein./Daß ihn Gott gesund erhalte und die heilige Jungfrau Maria von Tschenstochau. 'n guter Herr bist du, oh 'n guter! ...« Und die im Dorf, die konnten ihn nur Hinkefuß, Tölpel, unbrauchbares Subjekt nennen, die Bauern wie die Knechte, niemand gönnte ihm ein gutes Wort, niemand hatte Mitleid mit ihm/höchstens nur die Gäule und 'n paar Dorfhunde ... und war er nicht aus guter Familie ... ein Bauernsohn ... kein Landstreicher, sondern ein guter Christ, ein Katholischer...
Immer höher und sicherer reckte er den Kopf, machte sich gerade so gut es ging und schaute von oben herab und herausfordernd in die Welt, auf die Menschen, die den Kirchhof betraten, und auf die Pferde, die unter der Mauer bei den Wagen standen; die Mütze setzte er sich auf seinem Zottelkopf zurecht und begab sich langsam und würdig nach der Kirche zu, wie irgendein Hofbauer, die Hände in den Gürtel geschoben und mit dem schiefen Bein hinterherfegend, daß der Staub hinter ihm aufwirbelte. Nein, heute blieb er nicht in der Vorhalle, wie sonst, und wie's für ihn, den armen Knecht vom Borynahof paßte, sondern er fing an, sich mächtig durch das Gedränge vorwärtszuschubsen und schob geradeaus nach dem Hauptaltar/da, wo nur die Hofbauern zu stehen pflegten, wo Boryna stand und der Dorfschulze selbst, und all diejenigen, die den Traghimmel hinter Hochwürden hertragen, und die auch, die mit Kerzen dick wie eine Runge vor dem Altar Wacht halten durften während der Ausstellung des heiligen Sakraments.
Mit Staunen und Entsetzen betrachteten sie ihn, und häufig genug mußte er ein unangenehmes Wort hören oder erhielt einen Blick/wie ein Hund, der sich hindrängt, wohin man ihn nicht gerufen hat. Doch Jakob machte sich heute nichts daraus; fest hielt er die Münze in der Faust und hatte die Seele voll Süße und Güte; wie nach der Beichte fühlte er sich, oder selbst besser noch.
Der Gottesdienst begann.
Er kniete ganz dicht am Geländer und sang andächtig mit den andern, dabei den Hauptaltar angaffend, wo ganz oben Gott-Vater zu sehen war, ein weißhaariger Herr, streng und ganz dem Gutsherrn aus Dschasgowa-Wola ähnlich. Und aus der Mitte, im goldigen Mantel, sah ihn die Tschenstochauer Muttergottes selbst an ... Und überall gleißte Gold, lohten die Kerzenflammen, standen Sträuße aus roten Papierblumen und hoben sich aus den Wänden und bunten Fenstern goldene Scheine und ernste Heiligengesichter heraus. Streifen von Gold, Purpur und Violett fielen wie ein Regenbogen auf sein Gesicht, auf seinen Kopf, ganz als ob er im Weiher untergetaucht wäre vor Sonnenuntergang, wenn die Sonne über das Wasser kommt. Und er fühlte sich in diesen Herrlichkeiten wie im Himmel, so daß er sich nicht zu bewegen traute und nur so kniete, versunken im Anschauen des schwärzlichen, lieben Muttergesichts der heiligen Jungfrau, daß er ein Gebet nach dem anbeten mit fiebertrockenen Lippen stammelte und dann vor sich hin sang mit solcher Andacht, so aus allen Kräften seiner glaubensstarken Seele, so aus dem begeisterten Herzen heraus, daß seine eingetrocknete, knarrende Stimme am meisten vernehmbar war.
»Jakob, ihr blökt ja, wie 'ne Judenziege,« flüsterte ihm einer von der Seite zu.
»Unsrem Herrn Jesus und der heiligen Jungfrau zu Ehren,« brummelte er, nachdem er seinen Gesang unterbrochen hatte, denn in der Kirche wurde es allmählich still. Der Priester kletterte auf die Kanzel und alle reckten die Köpfe und schauten Hochwürden an, der im weißen Chorhemd sich über das Volk beugte und das Evangelium las. Und Lichter und Farben fluteten über seine Gestalt von den Fenstern her, daß er allen wie ein Engel auf einem Regenbogen dünkte. Der Priester sprach lange und mit solchem Nachdruck, daß der eine und der andere aus reuigem Herzen aufseufzte und manchem die Tränen übers Gesicht flossen, und ein anderer wiederum den Blick senkte, in seinem Gewissen bereute und sich vornahm, besser zu werden. Jakob starrte auf Hochwürden, wie auf ein Heiligenbild, und es war ihm fast seltsam, daß dieses derselbe gute Herr sein sollte, der mit ihm vorhin gesprochen hatte und ihm den Silberling gegeben hatte/denn jetzt sah er wie ein Erzengel auf dem Feuerwagen der Morgenröte aus, sein Gesicht war bleich geworden, die Augen schleuderten Blitze, als er die Stimme erhob und dem Volk alle Sünden vorhielt: Geiz und Trunkenheit, Zügellosigkeit, Schädigung des Nachbarn, Nichtachtung vor den Älteren und Gottlosigkeit! Und er rief mit großer Stimme, zur Besinnung mahnend, flehte, beschwor und bat/so daß Jakob nicht länger an sich halten konnte und unter der Last all dieser Sünden innerlich zu beben begann und laut losheulte/und ihm nach das ganze Volk, Frauen, ja selbst Hofbauern/so daß ein Weinen in der Kirche entstand, ein Schluchzen und Schneuzen; und als der Priester sich mit dem Bußgebet gegen den Altar wandte und niederkniete, überflog ein Stöhnen die Kirche, und das ganze Volk stürzte, wie ein sturmgebeugter Forst, mit den Gesichtern zu Boden, so daß der Staub aufwirbelte und wie mit einer Wolke die reuigen, tränenschweren, seufzenden und flehenden Herzen, die zum Herrn um Erbarmen riefen, umhüllte. Und Stille sank darauf herab, die Stille der tiefen Andacht und des innigsten Zwiegesprächs mit dem Herrn, denn nun begann die Messe/die Orgel setzte mit einer gedämpften, demütigen und tiefen Stimme ein/so daß Jakobs Seele in Wonne und unaussprechlichem Glück schier erstarb.
Und dann erhob sich plötzlich vom Altar her die Stimme des Priesters und floß über die gesenkten Köpfe, wie ein Bach von Klängen, oder die Schellen klangen in kurzen Stößen, und Weihrauch schlug in duftenden Säulen empor und umgab die knienden Andachtversunkenen wie mit einem Flor, Jakob aber wurde darob mit einer solchen Wollust erfüllt, daß er nur seufzte und die Arme ausbreitete, gegen seine Brust hämmerte und in diesem süßen Gefühl des Ersterbens sich ganz auflöste. Das Geflüster der Gebete, die Seufzer und plötzlichen Aufschreie, das vereinzelte Stöhnen, die heißen Atemzüge, die Lichter, der Dunst und der Orgelklang tauchten ihn wie in eine Verzückung und in einen heiligen Traum.
»Jeses, mein lieber Jeses,« flüsterte er geblendet und geistesabwesend und hielt seine Silbermünze fest in der Faust. Und als Ambrosius, der Küster, mit einem Teller herumging und mit dem Geld zu klappern begann, damit man hörte, daß er Gaben fürs Licht sammelt, erhob sich Jakob, warf seine Münze laut hin und suchte lange, wie das die echten Hofbauern so taten, nach dem Rest von 26 Pfennigen. »Gott bezahl's« hörte er voll Behagen.
Und als die Kerzen verteilt wurden, denn die Messe war mit der Zurschaustellung des heiligen Sakraments und mit einem Festgang um die Kirche, streckte Jakob mutig seine Hand aus, und obgleich er große Lust hatte, eine ganze Kerze zu nehmen, griff er doch nur nach der kleinsten, nach einem Lichtstumpf fast, denn er begegnete dem gestrengen, rügenden Blick der Dominikbäuerin, die mit ihrer Tochter Jagna neben ihm stand/er zündete rasch sein Licht noch an, denn der Priester hatte schon die Monstranz erfaßt und sich mit ihr nach dem Volk umgedreht, so daß alle mit dem Gesicht zu Boden fielen. Nun stimmte Hochwürden den Gesang an und schritt langsam die Treppenstufen des Altars hinab durch eine plötzlich gebildete Straße aus singenden Köpfen, flammenden Kerzen, grellen Farben und ächzenden Stimmen. Der feierliche Umzug setzte sich in Bewegung, die Orgel erdröhnte mächtig, die Schellen fingen an rhythmisch zu läuten, das Volk, die zweite Stimme ergreifend, sang mit einer einzigen großen Stimme des Glaubens, und vorne, vor dem Gedränge, umgeben von bebenden Lichtern, blinkte das silberne Kreuz, schaukelten die Tragaltare ganz in Tüll gehüllt, voll Blumen und mit goldenen Kronen gekrönt, und am Hauptausgang, wo durch die Weihrauchwolken die Sonne einströmte, entfalteten sich schon die gesenkten Fahnen und schlugen wie purpurfarbene und grüne Vögel mit den Flügeln.
Die Prozession umkreiste die Kirche.
Jakob beschattete sein Licht mit der gekrümmten Handfläche und hielt sich eigensinnig ganz nahe hinter dem Priester, über dem die Hofbauern Boryna, Thomas Klemb, der Schmied und der Dorfschulze den roten Traghimmel trugen, unter welchem die Monstranz golden leuchtete und so im Feuer des Sonnenlichts stand, daß man durch ihre runde Glasscheibe in der Mitte die blasse durchsichtige Hostie sah.
Jakob war so geistesabwesend, daß er immer wieder stolperte und den anderen auf die Füße trat.
»Paß auf, du Stummelaffe!«
»Mißgeburt, Hinkefuß,« warfen sie ihm zu, die Worte nicht selten mit Rippenstößen begleitend.
Er hörte nichts davon. Der Gesang des Volkes rauschte mächtig dahin, erhob sich wie eine Säule, schien wie eine Woge zu fließen und schlug gegen die weiße Sonne. Die Glocken dröhnten ununterbrochen aus erzenen Mündern, so daß die Linden und Ahorne bebten und hin und wieder sich ein rotes Blatt von den Zweigen losriß, wie ein aufgescheuchter Vogel, und auf die Köpfe niedersank. Und hoch, hoch über den Wandelnden, über den Wipfeln der gebeugten Bäume, über dem Kirchturm kreiste ein Schwarm aufgescheuchter Tauben ...
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Nach dem Gottesdienst ergoß sich die Volksmenge auf den um die Kirche gelegenen Friedhof, auch Jakob kam mit den anderen hinaus, aber heute hatte er keine Eile, obgleich er wußte, daß zu Mittag Fleisch von der notgeschlachteten Kuh da sein würde; nein, warum denn auch, hin und wieder blieb er stehen, redete mit diesem und jenem von seiner Bekanntschaft und schob sich an seine Leute heran, denn auch der Antek stand mit seiner Frau bei den anderen im Haufen. Man besprach sich, wie es immer an den Sonntagen nach der Hochmesse Brauch ist.
In einem anderen Haufen aber, der sich schon hinter der Pforte auf der Dorfstraße versammelt hatte, führte der Schmied das erste Wort. Der war ein großer, schon ganz städtisch gekleideter Kerl, in einem schwarzen, auf dem Rücken mit Wachs betropften Knierock, dunkelblauer Mütze, langen über die Stiefelschäfte heruntergelassenen Hosen und einer silbernen Uhrkette auf der Weste. Er hatte ein rotes Gesicht, einen rosthaarigen Schnurrbart und wirres, steifes Kraushaar, schwadronierte weit vernehmbar und brach hin und wieder in quarrendes Gelächter aus, denn er war der erste Spötter im Dorf, und Gott behüte den, welchen seine böse Zunge sich zum Opfer ausersehen hatte. Der alte Boryna schielte immerzu verdächtig zu ihm herüber und lauschte auf seine Worte, denn er fürchtete sich vor seinem Geschwätz. Selbst den eigenen Vater hätte der Schmied nicht ungeschoren gelassen, geschweige denn den Schwieger, mit dem er in ständigem Krieg war wegen der Mitgift seiner Frau, doch konnte Boryna nicht viel heraushören, denn gerade wurde er die Dominikbäuerin mit Jagna gewahr, die nun die Kirche verließen. Sie gingen beide langsam, da viel Volk auf dem Kirchhof war, warfen dem und jenem ein Wort hin und begrüßten den einen und den anderen, denn trotzdem sie sich alle kannten und obendrein versippt und verschwägert waren, wie es im Dorf zumeist so ist, wo man nur um einen Zaun oder Grenzrain voneinander entfernt sitzt, so war es doch recht schön, vor der Kirche miteinander zu reden, und es paßte sich so ... Mit einer leisen, und andachtsvollen Stimme verbreitete sich die Dominikbäuerin über Hochwürden, wahrend Jagna sich nach den Leuten umsah. Sie war im Wuchse den größten Männern des Dorfes gleich, und so schmuck schien sie heut, daß die Burschen, die sich qualmend auf dem Wege vor der Zufahrt in einem Haufen zusammengerottet hatten und ihr lachend die Zähne zeigten, mit den Augen an ihr hingen. Sie war so wohlgestaltet, so prächtig aufgeputzt, und von so hoher Statur, daß selbst ein Herrschaftsfräulein sich mit ihr nicht hätte messen können.
Die Dorfmädchen und auch die Bäuerinnen, die vorbeigingen, blickten sie neidisch an oder blieben gar dicht neben ihr stehen, um ihre Augen an dem gestreiften und reichen Beiderwandrock zu sättigen, der an ihr leuchtete, wie ein Regenbogen ihrer mazurischen Heimat, ihre schwarzen hohen Stiefel anzustaunen, die bis zum weißen Strumpf hinauf mit roter Litze verschnürt waren, das Mieder aus grünem Samt, das so reich mit Gold bestickt war, daß es einem in den Augen flimmerte, und auch die Bernstein- und Korallenschnüre, die ihren weißen, vollen Hals umschlossen. Ein Büschel verschiedenfarbiger Bänder hing vom Verschluß der Schnüre auf den Rücken herab und flatterte, wenn sie ging, ihr buntfarben nach.
Jagna merkte die neidischen Blicke nicht, aber eine plötzliche Röte schoß ihr ins Gesicht, als ihre lichtblauen Augen, von einem zum andern irrend, den sie anstarrenden Blicken Anteks begegneten. Sie zupfte die Mutter am Ärmel und ging voraus, ohne zu warten.
»Wart' doch, Jagna« schrie diese ihr nach, indem sie den alten Boryna begrüßte.
Mitten auf der Straße blieb Jagna aber stehen, denn die Burschen umdrängten sie in hellem Haufen, begrüßten sie und fingen an, sich über Jakob lustig zu machen, der hinter ihr her ging, in ihrem Anblick wie in ein Heiligenbild vergafft.
Der aber spuckte nur aus und wandte sich trägen Schritts heimwärts, denn auch seine Bauersleute waren auf dem Heimweg, und man mußte doch auch noch nach den Pferden sehen.
»Grad wie auf einem Bild!« rief er unwillkürlich aus, schon auf der Galerie des Bauernhauses sitzend.
»Wer denn, Jakob?« fragte Fine, die das Mittagessen richtete.
Er senkte beschämt seine Augen, aus Angst, daß man ihm etwas anmerken könnte.
Da aber das Mittagessen reichlich und lang war, hatte er bald alles vergessen. Fleisch gab es heute, Kohl mit Erbsen, Brühe mit Kartoffeln, und zum Schluß stellte man noch eine ordentliche Schüssel mit in Speck gerösteter Gerstengrütze auf den Tisch.
Sie aßen bedächtig, ernst und schweigsam vor sich hin, und als der erste Hunger gestillt war, fingen sie an, sich miteinander zu bereden und sich am Essen zu freuen.
Fine, die in den Platz der Hausfrau aufgerückt war, setzte sich nur hin und wieder am Rande der Bank nieder, aß schnell und achtete fleißig darauf, daß es nicht am Essen fehlte, und daß die Töpfe aus der Stube rechtzeitig nach draußen zum Nachfüllen kamen, denn niemand sollte sich beklagen können, daß in den Schüsseln Grund komme.
Sie aßen auf der Galerie, denn das Wetter war still und warm.
Waupa drehte sich um sie herum, scharwenzelte, rieb sich gegen die Beine der Essenden und schnüffelte in den Schüsseln, bis ihm jemand hin und wieder einen Knochen hinwarf, mit dem er nach der Mauerbank rannte, und beglückt durch die Anwesenheit seiner Leute, vielleicht auch weil man seinen Namen laut nannte, fing er an, freudig zu bellen und hinter den Spatzen her zu jagen, die in Erwartung der Brocken vom Mahl sich in die Hecken hingen.
Und oft kam jemand über den Weg, den Essenden seinen Gruß zurufend, auf den sie einstimmig antworteten.
»Hast Hochwürden ein paar Vöglein gebracht?« erkundigte sich Boryna.
»Jawohl, jawohl!« Er legte plötzlich den Löffel hin und fing an zu erzählen, wie der Pfarrer ihn auf die Zimmer gerufen hatte, und wie es dort schön sei und welche Menge Bücher.
»Wann kann er die alle lesen?« sagte Fine.
»Wann? An den Abenden! Dann geht er durch die Zimmer auf und ab, trinkt Tee und liest immerzu.«
»Das muß wohl ... lauter Frommes sein?« warf Jakob ein.
»Versteht sich, daß es keine Fibeln sind.«
»Und Zeitungen bringt ihm der Gemeindebote jeden Tag,« fügte Anna hinzu.
»Weil man in den Zeitungen schreibt, was in der Welt passiert ...« ließ sich Antek vernehmen.
»Auch der Schmied mit dem Müller halten sie sich.«
»Päh ... so 'ne Schmiedszeitung! ...« sagte Boryna höhnisch.
»Ganz und gar dieselbe, wie dem Pastor seine,« entgegnete Antek scharf.
»Hast sie gelesen, daß du es weißt?«
»Das hab' ich, und ob ...«
»Und bist doch nicht klüger geworden, daß du dich mit dem Schmied einläßt.«
»Für den Vater ist nur der klug, der mindestens seine halbe Hufe Land hat und sein Dutzend Kuhschwänze dazu.«
»Halt's Maul, solang ich gut bin. Sieh einer nur, da sucht er sich wieder Gelegenheit, mir die Zähne zu zeigen. Das Brot bläht dich auf, wie's mir scheint ... mein Brot ...«
»Jawohl, das steckt mir schon wie 'n Knochen in der Gurgel.«
»Such dir Besseres, auf Anna ihren drei Morgen wirst du Semmeln essen können.«
»Und sollte ich selbst Kartoffeln fressen, so wird sie mir niemand vorwerfen.«
»Ich werfe sie dir auch nicht vor.«
»Wer denn sonst? ... Wie 'n Ochs muß man sich schinden und nicht mal ein freundliches Wort kriegst du dafür.«
»In der Welt ist es leichter, da braucht man nicht zu arbeiten und kriegt alles.«
»Versteht sich! ...«
»Dann geh' er doch hin und versuch' er es.«
»Mit leeren Händen nicht!«
»Einen Stecken kannst kriegen, damit du was für die Hunde hast.«
»Vater!« schrie Antek, von der Bank aufspringend, aber er fiel gleich zurück, denn Anna hielt ihn fest. Der Alte warf ihm einen drohenden Blick zu, bekreuzigte sich, da das Mittagessen beendet war, und sagte noch im Weggehen hart:
»Auf den Altenteil geh ich nicht zu dir, nee!«
Sie gingen gleich darauf auseinander, nur Antek blieb auf dem Vorbau und grübelte. Jakob führte die Pferde aufs Kleefeld hinter den Scheunen und lagerte sich unter dem Getreideschober, um etwas zu schlummern, aber schlafen konnte er nicht, das Essen drückte ihn im Leib und der Gedanke quälte ihn, daß er, wenn er eine Flinte hätte, 'ne Menge Vögel und manches Häschen schießen könnte, um jeden Sonntag Hochwürden etwas zu bringen.
Der Schmied würde ihm wohl eine Flinte machen können, gerade solche wie dem Forstaufseher. Wenn einer daraus im Walde schießt, hört man es drin im Dorf!
»Ein schlaues Luder! Aber 5 Rubel müßte man ihm dafür bezahlen!« überlegte er. »Und woher nehmen? ... Der Winter rückt näher, einen Schafpelz muß man kaufen, die Stiefel halten auch nur bis zum Fest ... Gewiß, zehn Rubel bekommt er noch und zwei Stück Zeug, eine Hose und ein Hemd ... Der Schafpelz kostet mindestens 5 Rubel ... der wird allerdings etwas kurz sein ... die Stiefel an die drei Rubel ... und eine Mütze täte not ... einen Rubel muß man Hochwürden für die Seelenmesse der Eltern wegen bezahlen ... Verflucht ..., daß auch nichts übrigbleibt! ...« Er spuckte aus und fing an, in der Tasche seiner Joppe nach Tabakresten zu kramen, stieß aber auf das Geld, das er während des Mittagsmahles ganz vergessen hatte.
»Sieh da, bar Geld, sieh da!« Die Schlaflust war plötzlich verflogen; von der Schenke her ertönte die Stimme der Musik, fern wie durchgesiebt; ein Wiederhall von Zurufen wurde vernehmbar.
»Da tanzen sie, die Biester, trinken Schnaps und rauchen Zigaretten!« Er seufzte auf, legte sich wieder bäuchlings hin und sah den gefesselten Gäulen zu, wie sie zu einem Haufen geschart einander in den Nacken griffen. Er überlegte, daß er abends ebenfalls in die Schenke müßte, um etwas Tabak zu kaufen und wenigstens den Tanzenden zuzugucken. Immer wieder besah er seine paar Geldmünzen und blinzelte in die Sonne. Sie war noch recht hoch und schob sich heute so langsam gen Westen, als ob sie auch ein bißchen sonntäglich ausruhte. So mächtig zog's ihn schon nach der Schenke, daß er kaum an sich halten konnte, er drehte sich von einer Seite auf die andere und stöhnte nur hin und wieder voll sehnsuchtsvollen Begehrens; auf den Weg machte er sich jedoch nicht gleich, denn hinter den Scheunen hervor erschien gerade Antek mit Anna. Sie gingen über den Rain ins Feld.
Antek voraus und Anna mit dem Säugling im Arm hinterdrein. Hin und wieder sagten sie etwas. Sie gingen langsam, und immer wieder beugte sich Antek über den Acker, mit der Hand die aufgehenden Halme betastend.
»Es kommt sich ... dicht wie eine Bürste,« brummte er und umschlang mit den Blicken jene Ackerhufen, die er dem Vater gegen Lohn bestellte.
»Dicht ist es schon, aber das Väterliche is besser, wie ein Wald schießt es hervor,« sagte Anna, die benachbarten Äcker beäugend.
»Weil der Acker besser zubereitet ist.«
»Wenn man drei Kühe hätte/dann würde auch der Boden mehr Nahrung haben.«
»Und sein eigenes Pferd dazu.«
»Und noch was zu mästen zum Verkauf. Aber so? Jede Spreu, jede Kartoffelschale rechnet der Vater an und hält es noch für Gott weiß was für eine Wohltat.«
»Und alles kriegt man noch vorgezählt.«
Sie verstummten plötzlich. Ein Gefühl erlittenen Unrechts füllte ihre Herzen mit Bitterkeit, Zorn und dumpfer, zerrender Empörung.
»Acht Morgen würden nur auf jeden zufallen,« rief er unwillkürlich aus.
»Natürlich, mehr nicht. Fine ist doch da und dem Schmied seine Frau und Gregor und wir,« zählte sie her.
»Dem Schmied seinen Teil könnte man auszahlen und bei dem Haus mit der halben Hufe bleiben.«
»Und hast du, womit?« ... Sie stöhnte auf im Gefühl ihrer Ohnmacht, das so stark war, daß ihr die Tränen kamen, als sie mit den Blicken die väterlichen Felder umfaßte, diese Erde, wie gediegenes Gold, wo man Weizen und Roggen, Gerste und Rüben von Scholle zu Scholle ernten konnte ... So viel Gut, und alles fremdes, nicht ihr's.
»Heul' nicht, Dumme, acht Morgen davon sind immerhin unser.«
»Wenn's wenigstens noch die Hälfte wäre und das Haus und das Kohlfeld dazu!« sie wies links nach dem Wiesenland, wo lange Kohlbeete blauten. Dahin wandten sie sich.
Unter die Knicks am Wiesenrand setzten sie sich, Anna machte sich an das Stillen des Kindes, da es angefangen hatte zu greinen, und Antek drehte sich eine Zigarette zurecht, brannte sie an und starrte finster vor sich hin.
Er sprach zu seiner Frau nicht darüber, was ihm bis in die Eingeweide hineinfraß und auf dem Herzen wie glühende Kohlen lag, denn er hätte es weder ausdrücken können noch hätte sie ihn richtig verstanden. Wie die Weiber nun einmal sind, weder Überlegung haben sie noch können sie etwas selbständig bedenken und leben so wie ein Schatten, den ein Mensch wirft ...
»Die Wirtschaft, die Kinder, die Gevatterinnen/das ist ihre ganze Welt. Und alle sind sie so, alle ...« sann er voll Bitterkeit, und das Herz preßte sich ihm zusammen ... »Ein Vogel, der über die Moore fliegt, hat es besser, als manch ein Mensch ... Was hat er zu sorgen? Er fliegt und singt sich eins und Herr Jesus säet für ihn, so daß er nur zu ernten und sich zu nähren braucht ...«
»Und fehlt denn Vater vielleicht an bar Geld?« fing Anna wieder an.
»Freilich!«
»Und Fine hat er solche Korallen gekauft/daß ein anderer dafür eine Kuh haben könnte, und Gregor schickt er immerzu Geld durch den Schulzen.«
»Das tut er,« antwortete er, an anderes denkend.
»Das ist doch ein Nachteil für die anderen. Und der seligen Mutter ihre Kleider hält er in der Truhe unter Schloß und Riegel, nicht mal zeigen tut er sie ... Und was für Röcke sind das, was für Tücher, Hauben und Perlenschnüre,« sie begann umständlich alles Gut aufzuzählen. Alles Unrecht, alle Bitternisse und Hoffnungen zählte sie her, aber Antek schwieg verbissen, bis sie ihn ungeduldig gegen den Arm stieß.
»Schläfst du denn? ...«
»Ich höre schon, rede nur, rede, das wird dich erleichtern, und wenn du fertig bist, sag' mir Bescheid ...«
Anna, die leicht bereit zum Weinen war und auch tatsächlich viel auf der Seele hatte, brach in Schluchzen aus und fing an, ihm Vorwürfe zu machen, daß er zu ihr wie zu einer Magd spreche, daß er weder von ihr noch von den Kindern etwas halte.
Bis Antek aufsprang und ihr höhnisch zurief:
»Schreie nur, soviel wie du willst, die Krähen da werden dich schon hören und beklagen!« Er deutete mit den Augen auf die Vögel, die über die Wiese geflogen kamen, drückte die Mütze tiefer auf und ging hastig mit großen Schritten auf das Dorf zu.
»Antek! Antek!« rief sie kläglich hinter ihm her, doch er wandte sich nicht einmal um.
Sie wickelte das Kind ein und eilte aufschluchzend über die Feldraine dem Bauernhof zu; ihr Herz war schwer/niemand war da, mit dem man reden konnte, vor dem man sich über sein Los hätte beklagen können. Und man lebt allein wie 'n ... Termit, nicht mal zum Nachbarn hat man Lust hinzugehen, um sich all den Kummer vom Herzen zu reden. Antek würde ihr schon kommen mit den Gevatterinnen, nichts als zu Hause sitzen, sorgen und sich abmoraken und zu guter Letzt kriegt man selbst nicht ein gutes Wort dafür! Andere gehen in den Dorfkrug und zu Hochzeiten ... aber der Antek ... kann man dem was recht machen? ... Manchmal ist er so gut, wie Balsam auf die Wunde, und dann kann man wochenlang nicht ein Wort aus ihm herauskriegen, nicht einmal ansehen tut er einen ... Immer nur grübeln und sinnieren ... Er weiß auch worüber, das ist wahr! Und der Vater, könnte der ihnen nicht Land abschreiben, ist es nicht Zeit für den Alten, auf seinen Altenteil zu gehen ... Ach, sie würde ihn schon pflegen, daß selbst der eigene Vater es nicht besser bei ihr haben könnte.
Sie wollte sich zu Jakob setzen, aber dieser klemmte sich mit dem Rücken gegen den Heuschober und tat, als ob er schliefe, obgleich ihm die Sonne gerade in die Augen schien; erst als sie hinter der Scheunenecke verschwunden war, erhob er sich, klopfte das Stroh herunter und schlich sich bedächtig an den Obstgärten entlang dem Dorfkrug zu ... das Geld brannte ihm in der Tasche ...
Die Schenke stand am Ende des Dorfes hinter dem Pfarrhof am Anfang der Pappelallee.
Menschen waren noch wenige da; die Musikanten klimperten hin und wieder, niemand jedoch tanzte; es war noch viel zu früh, und die Jugend zog es vor, im Obstgarten herumzuscharmieren oder vor der Einfahrt an den Wänden entlang zu stehen, wo auf frischen und noch gelben Holzbalken schon ein ganzer Schwarm Mädchen und Weiber saß. In der großen Stube mit der schwarzen rußigen Balkendecke war es fast leer, die kleinen angelaufenen Scheiben ließen das rote Licht des Spätnachmittags so schwach durch, daß nur ein einziger Streifen auf dem ausgetretenen Fußboden lag, in den Ecken aber war es dämmerig. Ein paar Leute saßen da hinter den Tischen an der Wand, aber unterscheiden konnte man nicht, wer es war.
Einzig Ambrosius, der Küster, stand mit einem von der Brüderschaft der Lichttragenden mit der Schnapsbuttel in der Faust am Fenster da/sie tranken einander häufig zu und redeten dies und jenes ...
»Die tanzen heute wie die Fliegen im Pech! Los, rühr' dich mal, Eve! Die ganze Nacht hast dich herumgetrieben und jetzt schläfst du im Tanz! Und das Thomasle! Mach doch, mach vorwärts! Ist's dir denn so schwer geworden, dieses Maß Hafer, das du dem Juden verkauft hast, was? ... Hab nur keine Angst, der Vater weiß es noch nicht. Laß dich man mit den Rekruten ein, Maruschka, und bitte mich auf der Stelle zu Gevatter.«
So stichelte die alte Gusche gegen die Tänzer der Reihe nach, sie war eine Zügellose und hatte eine Wut gegen alle, weil sie die eigenen Kinder benachteiligt hatten, so daß sie auf ihre alten Tage auf Tagelohn gehen mußte. Da ihr aber niemand antwortete, bekam sie das Keifen bald satt und begab sich in die gute Stube, wo der Schmied mit Antek und noch einige jüngere Bauernsöhne saßen. Oben an der schwarzen Balkendecke hing eine Lampe und erhellte mit ihrem schwachen gelben Schimmer die hellen, wuscheligen Köpfe. Sie saßen um den Tisch herum, stemmten sich fest auf die Ellbogen und hatten alle die Augen auf den Schmied gerichtet, der über den Tisch gebückt, ganz rot, mit den Händen breit fuchtelte und hin und wieder mit der Faust aufschlug und leise erzählte.
Die Baßgeigen brummten, gerade als ob sich von draußen eine Hummel in die Stube verflogen hätte und umhersauste ... manches Mal zwitscherte eine Geige ganz unerwartet auf, tief wie ein lockendes Vöglein, dann wiederum turtelte und klirrte eine Trommel ... aber alsbald breitete sich wieder Stille aus.
Jakob ging geradeaus auf die Tonbank zu, hinter der Jankel mit einem Käppchen auf dem Hinterkopf und ohne Rock und Weste saß, denn es war warm in der Stube. Der Jude streichelte hin und wieder den weißen Bart, schaukelte hin und her und vertiefte sich in seine Lektüre, die Augen dicht an die Blätter des Buches haltend.
Jakob überlegte, trat von einem Fuß auf den anderen, zählte sein Geld, kratzte in seinem Zottelhaar und blieb lange so stehen, bis Jankel ihn ein paarmal anblickte und ohne in seinem Schaukeln und seinem Gebet innezuhalten, das eine und das andere Mal die Schnapsgläser klirren ließ ...
»'n halbes Maß, aber starken!« bestimmte er schließlich.
Zankel goß den Schnaps schweigend ein und langte mit der Linken nach dem Geld ...
»In ein Glas schenken?« fragte er, nachdem die rostigen Kupfermünzen ins Schubfach geschoben waren.
»Versteht sich, doch nicht in 'n Stiebel! ...«
Er schob sich nach der Ecke der Tonbank, stürzte das erste Glas hinunter, spuckte aus und begann sich in der Schenke umzuschauen;/den zweiten trank er gleich darauf, sah die Schnapsbuttel gegen das Licht an und klopfte mit ihr stark gegen die Tonbank.
»Noch einen und Tobak!« sagte er schon selbstbewußter, denn eine wohlige Wärme durchrieselte ihn nach dem Schnaps und eine merkwürdige Kraft floß ihm durch die Glieder.
»Hat Jakob heute seinen Dienstlohn bekommen?«
»Warum denn das ... ist denn heut Neujahr?«
»Etwas Arrak gefällig?«
»Nee ... reicht nich.« Er zählte das Geld über und blickte kläglich nach der Arrakflasche.
»Ich kann borgen, wir sind doch mit Jakob gute Bekannte.«
»Nich nötig./Wer borgt, der geht bald ohne Stiefel,« sagte Jakob scharf.
Trotzdem stellte Jankel ein Fläschchen mit Arrak vor ihm hin.
Er wehrte sich, machte selbst schon Anstalten wegzugehen, aber das Luder von Arrak duftete so stark, daß es in der Nase kribbelte; so kämpfte er nicht länger, sondern trank nur, ohne viel zu überlegen.
»Habt ihr im Wald was verdient?« fuhr Jankel fort, geduldig auszufragen.
»Nein, nicht im Walde ... sechs Rebhühndel, die ich im Netze griff, brachte ich Hochwürden... der hat mir dafor einen Silberling gegeben.«
»Fünfzehn Kopeken für sechs! 'n Zehner würde ich für jedes bezahlen.«
»Wieso, sind denn Rebhühndel koscheres Fleisch?...« Er war ganz erstaunt.
»Darüber brauchen sich Jakob kein Kopfzerbrechen machen ... bring' er mir welche und viel, und für jedes Rebhühndel kriegt er 'n Zehner in bar, und zum Einverständnis werde ich einen extra Starken spendieren. Gelt?«
»'n ganzen Zehner for das Stück wird Jankel bezahlen?«
»Mein Wort ist kein Wind. Und für die sechs hätte Jakob bei mir zwei halbe Maß reinen Schnaps und vier mit Arrak, einen Hering, 'ne Semmel und 'n Paket Tabak bekommen/verstanden?«
»Freilich ... vier halbe Maß mit Arrak und 'n Hering ... und freilich ... 'n Vieh bin ich nicht, ohne Verstand ... richtig wahr! Vier halbe mit Arrak und Tobak und Semmeln ... und 'n ganzen Hering.« Der Schnaps umnebelte ihn schon und machte ihn etwas flau.
»Wird er welche bringen, Jakob?«
»Vier Halbe ... und 'n Hering und... Das werd' ich... Verflixt, wenn ich so 'n Gewehr hätte ...,« sagte er, etwas wieder zu Bewußtsein kommend, und fing abermals an zu berechnen. »Ein Schafpelz zum Beispiel kostet 5 Rubel ... Stiefel sind auch nötig, an die drei Rubel ... nee, es reicht nich ... an die fünf Rubel würde der Schmied für 'n Gewehr haben wollen ... wie von Raphus ... nee,« er überlegte laut weiter.
Jankel machte eine schnelle Berechnung mit der Kreide und flüsterte ihm leise ins Ohr.
»Würde Jakob auch 'n Reh totschießen?«
»Freilich, aber aus der Faust kann keiner totschießen, mit dem Gewehr würde ich das Luder schon treffen.«
»Kann denn Jakob aus dem Gewehr schießen?«
»Jankel is 'n Jud', da weiß er nicht, was alle im Dorf wissen, daß ich mit den Herren in die Wälder ging, daß man mir dort diesen Klumpen angeschossen hat... warum soll ich da nicht schießen können.«
»Ich werde ein Gewehr geben, und Pulver werde ich geben und alles was Jakob braucht... und was er totschießt, das muß er mir bringen. Für 'n Reh gebe ich 'n ganzen Rubel, verstanden? 'n ganzen Rubel. Und für das Pulver muß er 15 Kopeken pro Stück bezahlen, das kann man abziehen... Und dafür, daß das Gewehr wird schlechter werden, wird er mir 'n Maß Hafer bringen.«
»Einen Rubel für ein Reh... und wiederum ich für das Pulver 15 Kopeken... 'n ganzen Rubel!... ja, wieso denn!«
Jankel rechnete nochmals genau vor.
»Hafer?... Ich werd' ihn doch nicht den Pferden unterm Maul wegholen...« Das eine hatte er verstanden.
»Wozu den Pferden nehmen! Auf dem Borynahof gibt's welchen auch anderswo.«
»Ja, wieso denn...?« Er stierte den Juden an und überlegte.
»Alle machen es so! Und woher«, dachte Jakob, »haben die Knechte Geld?... jeder braucht Tabak und ein Glas Schnaps und möchte mal Sonntags tanzen gehen. Woher nehmen?...«
»Wieso... bin ich denn 'n Dieb, verfluchter Jud / oder was?« donnerte er plötzlich los, mit der Faust aufs Tischbrett schlagend, daß die Schnapsgläser hochsprangen.
»Was hat Jakob hier zu toben? Bezahlen soll er und sich zum Teufel scheren...«
Aber Jakob bezahlte nicht und ging nicht fort, er hatte schon kein Geld mehr und war dem Juden selbst etwas schuldig... so stemmte er sich schwer gegen die Tonbank und fing an, schläfrig zu berechnen, und Jankel beruhigte sich und schenkte ihm nochmal ein Glas Arrak, aber reinen, ein, und sprach nichts mehr...
Inzwischen strömten die Leute immer zahlreicher in die Schenke, die Dämmerung wurde dichter, man brannte das Licht an, die Musikanten fingen an, flinker zu spielen, und ein lautes Stimmengewirr hatte sich erhoben. Das Volk sammelte sich vor der Tonbank, an den Stubenwänden entlang oder auch mitten in der Schenkstube, beriet sich, unterhielt sich und der eine oder der andere trank dem Nachbar zu, aber nicht allzuhäufig, denn sie waren nicht zum Saufen gekommen, sondern nur um mal 'n bißchen nachbarlich nebeneinander zu stehen, miteinander zu plaudern, auf die Geigen zu lauschen und auf die Baßviolen; auch dieses und jenes an Neuigkeiten zu erfahren... Es war doch Sonntagszeit/ da ist es keine Sünde, auszuruhen, die Neugierde zu befriedigen, oder selbst dieses Glas Schnaps mit dem Gevatter auszutrinken: wenn nur alles wie es sich paßte war und ohne Gotteslästerung vor sich ging, so hatte selbst Hochwürden nichts dagegen... Warum denn auch nicht, auch das liebe Vieh zum Beispiel ist froh, nach der Arbeit auszuruhen, und muß es auch. An den Tisch aber setzten sich die älteren Hofbauern und einige Frauen in rotleuchtenden Beiderwandröcken und Kopftüchern, sie sahen wie aufgeblühte Malven aus, und da die ganze Menschheit gleichzeitig sprach, ging es wie Waldesrauschen durch die Schenke, und das Stampfen der Füße war wie Dreschflegelgeklopf auf der Tenne, und die Stimmen der Geigen, die ständig schäkernd sangen, klangen weit vernehmbar:
»Ach wer wird mich greifen wollen ... greifen wollen!?«
»Ich will's tun – ich will's tun – ich will's tun!« brummelten die stöhnenden Baßgeigen als Antwort und die Trommel schüttelte sich nur immerzu und kicherte und schäkerte und machte Lärm mit ihren Schellen.
Nicht viele tanzten, aber sie trampelten so mächtig, daß die Bretter des Tanzbodens krächzten und der Tisch bebte, daß hin und wieder die Flaschen klirrten und die Schnapsgläser umfielen.
Doch die Lust war nicht allzugroß, denn es war auch keine richtige Gelegenheit dazu, wie das bei Hochzeiten und Verlobungen üblich ist. Man tanzte nur so, zum Spaß allein, oder um die Beine und das Rückgrat gerade zu recken. Allein die Burschen, die im Spätherbst zur Musterung mußten, amüsierten sich eifriger und tranken aus Kummer, was auch nicht verwunderlich war, denn sie sollten ja in die weite Welt hinausgetrieben werden, unter Fremde.
Am lautesten aber lärmte der Bruder des Dorfschulzen, und dann auch Martin Weißer, Thomasle Kohlmeise, Paul Boryna, ein Vetter von Antek. Antek war heute allein in die Schenke gekommen, in der Dämmerung, tanzte aber nicht. Er saß in der guten Stube mit dem Schmied und mit anderen noch. Auch Franz, der Müllerbursch, war da, ein niedriger, stämmiger, krausköpfiger Bursche, das größte Maul, der ärgste Windbeutel und Maulaffe auf Gottes Erdboden, ein Kerl, der auf die Dirnen besonders happig war und darum auch häufig ein zerkratztes und zerschundenes Maul hatte. Aber da er heute gleich auf der Stelle sich vollgesoffen hatte, wie 'n Schwein, so stand er ruhig an der Tonbank mit der dicken Magda vom Organisten, die bereits im sechsten Monat war.
Der Pastor hatte das schon von der Kanzel herab gerügt, und zur Heirat gemahnt, aber Franz wollte nichts davon hören, da er doch im Herbst dienen mußte, was sollte er da mit einem Frauenzimmer.
Magda zog ihn gerade in eine Ecke zur Ofenbank und redete mit weinerlicher Stimme auf ihn ein, er aber antwortete ihr darauf immer wieder:
»Hab' ich mich dir aufgehängt... Dummes Luder!... Die Taufe werd' ich bezahlen und einen Rubel schmeiße ich noch dazu, wenn's mir gefällt!...« Er war ganz unzurechnungsfähig und stieß sie von sich, daß sie auf der Ofenbank neben Jakob niedersitzen mußte, der sich bereits, mit den Füßen nach der Schenkstube zu, in der Asche schlafen gelegt hatte; dort schluchzte sie leise vor sich hin, und Franz ging weitertrinken und die Dirnen in den Tanz zu nehmen. Die Bauerntöchter wollten ihn nicht, denn er war ein Müllerbursche, so etwas also wie ein Knecht etwa. Und die einfacheren Mädchen wollten ihn auch nicht, denn er war besoffen und stellte beim Tanzen allerhand Dummes an. So spuckte er denn verächtlich aus und fing an, sich mit dem Küster Ambrosius zu umarmen und mit etlichen Bauern desgleichen, die, weil sie ihr Getreide in der Mühle hatten, ihn ihrerseits bewirteten.
»Trinke, Franz, und mahle mein Korn bald fertig. Meine Alte liegt mir schon immerzu in den Ohren, und zum Klößebacken ist auch nichts mehr da, nicht ein Krümelchen Mehl...«
»Und meine rattert wegen der Grütze ohn' Unterlaß...«
»Es täte auch mächtig not wegen dem Schweinefutter für die Mastsau ...,« redete ein dritter.
Franz trank, versprach und brüstete sich laut, daß alles in der Mühle nach seinem Kopf gehe, daß der Müller auf ihn hören müsse, denn andernfalls ... weiß er solche Sachen anzustellen, daß zum Beispiel Würmer in die Getreidekisten kämen ..., das Wasser austrocknete, die Fische ausstürben wenn er nur über den Teich hauchen würde ..., daß das Mehl klütig würde und keiner daraus einen Kuchen backen könnte...
»Deinen Schafskopf würd' ich dir rupfen, wenn du mir das machen solltest!« schrie Gusche, die sich überall 'rumdrückte, wo was los war, obgleich sie nicht trank, denn selten hatte sie bar Geld parat; es war aber immer möglich, daß ihr ein Gevatter ein halbes Maß spendierte und ein Vetter desgleichen, denn man hatte Respekt vor ihrer scharfen Zunge. So bekam es auch Franz mit der Angst, obgleich er betrunken war und hielt sein Maul. Sie wußte über ihn manches und mancherlei, wie er in der Mühle wirtschaftete, und da sie schon etwas angetrunken war, stemmte sie die Arme in die Seiten und legte los, indem sie mit dem Fuß den Takt dazu schlug ...
»Das ist die reine Wahrheit, denn so steht's auch in der Zeitung klar und deutlich ... So leben die Leute nicht in der Welt, wie hier bei uns, nein. Du lieber Gott, was hat man denn von seinem Leben? Der Gutsherr regiert, der Propst regiert, der Beamte regiert/und du arbeite und verrecke den Hungertod und verneige dich vor jedem, damit du nichts an den Kopf kriegst ...«
»Und kaum 'n Stück Land gehört dir, bald wird's nich mal für einen kleinen Streifen Acker pro Kopf reichen!«
»Und der Gutsherr allein hat mehr als zwei Dörfer zusammen.«
»Gestern erzählten sie am Gericht, daß neues Land verteilt werden soll.«
»Was für Land?«
»Na, herrschaftliches, welches denn sonst!«
»Sieh mal an! Geschenkt habt ihr's dem Gutsherrn, daß ihr es zurücknehmen wollt? Schau, schau, mit fremdem Gut wollen die schon wirtschaften,« brüllte Gusche und neigte sich lachend nach den Diskutierenden hin.
»Und sie regieren sich selbst,« erzählte der Schmied weiter, ohne auf das Weibergerede zu achten, »und alle gehen zur Schule, leben in Herrenhöfen und sind Herren ...«
»Wo ist denn das so?« fragte Gusche den Antek Boryna, der gleich am Rande saß.
»In warmen Ländern!« gab er zurück.
»Nee, wenn's dorten so gut ist, warum ist der Schmied da nicht hingegangen, wie? Das rußige Luder lügt ja wie gedruckt und schwindelt, und die Dummen glauben's!« rief sie schon ganz leidenschaftlich dazwischen.
»Geht, Gusche, woher ihr gekommen seid, solange ich gut bin ...«
»Das würde mir einfallen! Die Schenke ist für jedermann da und ich bin für meine drei Groschen ebenso gut wie du. Seht nur diesen Klugen, den Juden dient er, mit den Beamten hält er, nimmt vor dem Gutsherrn die Mütze ab, und die hier glauben ihm! ... So 'n Großmaul! ... Na, ich weiß schon ...« aber sie kam nicht zu Ende, denn der Schmied faßte sie stark unter die Rippen, öffnete mit dem Fuß die Tür und schmiß sie in die Vorderstube hinaus, wo sie, so lang wie sie war, liegen blieb.
Nicht einmal fluchen tat sie, und sagte nur lachend, nachdem sie sich erhoben hatte:
»Ein starkes Luder, wie 'n Pferd, so einer würde mir in die Ehe passen.«
Das Volk schlug eine Lache an, und gleich darauf ging sie hinaus, still vor sich hin schimpfend.
Auch die Schenke leerte sich bereits, die Musik schwieg, die Menschen gingen auseinander nach Hause, einzelne standen noch in Haufen vor der Schenke, denn der Abend war hell und warm. Der Mond schien. Nur die Rekruten waren noch geblieben, tranken drauflos und lärmten. Der Küster Ambrosius aber, besoffen wie ein Vieh, war auf die Mitte der Dorfstraße gewankt und sang, von einer Seite zur anderen taumelnd.
Auch die aus der guten Stube, mit dem Schmied voran, kamen heraus.
Später, als schon der Jude die Lichter zu löschen begann, schoben die Rekruten zur Türe hinaus, sie faßten sich recht fest unter, nahmen die ganze Straße ein und gingen aus voller Kehle gröhlend, so daß die Hunde geiferten und hin und wieder jemand aus offenem Fenster ihnen nachblickte ...
Nur Jakob schlief ununterbrochen in der Asche und so fest, daß ihn Jankel wecken mußte, aber der Bursche wollte nicht auf, er stieß noch ihm mit den Füßen, fuchtelte durch die Luft und brummte.
»Scher' dich, Jud', verfluchter! So wie ich will, werde ich auch schlafen ... ein Hofbauer bin ich, habe meinen eigenen Willen und du bist 'n Lausejud und 'n Rotkopf.«
Erst ein Eimer Wasser half, so daß er aufstand, etwas klarer wurde und mit Angst und Staunen zu hören bekam, daß er einen ganzen Rubel vertrunken hatte/daß er in Schuld geblieben war ...
»Wieso denn? Zwei Halbe mit Arrak ... ein ganzer Hering ... Tobak und noch zwei Halbe ... und schon 'n ganzer Rubel? Wieso denn ... zwei ...,« phantasierte er ...
Jankel überzeugte ihn schließlich, und sie verständigten sich wegen des Gewehres, das ihm der Jude vom Jahrmarkt mitbringen sollte, und zum Schluß gab's noch ein Glas Essenz mit Spiritus.
Nur den Hafer weigerte sich Jakob entschieden zu versprechen ...
»Jakobs Vater war kein Dieb/so ist der Sohn auch kein Dieb.«
»Geht, geht doch endlich, 's ist schon Schlafenszeit ... und ich habe noch meine Gebete zu lesen.«
»Donnerwetter! ... So 'n Spekulant! Zum Stehlen will er einen überreden, und muß Gebete lesen ...« brummte er vor sich hin im Nachhausegehen und fing nun an, sich alles zu überlegen und nachzusinnen, denn es konnte ihm gar nicht in den Kopf, daß er einen ganzen Rubel vertrunken hatte ... Da er aber noch nicht nüchtern war und die frische Luft ihn flau gemacht hatte, so torkelte er 'n bißchen und wankte hin und wieder gegen einen der Zäune oder auch auf einen Haufen Bauholz, das verschiedentlich vor den Katen lag ... Dann fluchte er ...
»Krumm sollt ihr werden, ihr Ludersch! ... Halunken, so den Weg zu versperren! Besoffen sind sie, die Biester ... und Hochwürden kann umsonst mahnen ... und Hochwürden ...« hier wurde er nachdenklich und überlegte, bis über ihn schließlich die Erkenntnis kam und ein solcher Jammer, daß er stehenblieb, rings um sich blickte, sich beugte und nach irgendwas herumsuchte ... sofort hatte er es aber wieder vergessen und faßte sich an seine Zotteln und fing an, sich mit der Faust aufs Maul zu schlagen und zu schreien.
»Du Saufjan! Du verfluchtes Schwein! Zu Hochwürden werde ich dich hinschleppen, daß er dir vor dem ganzen Volk ins Gesicht sagt, daß du ein Hund und 'n Saufjan bist ... daß du zwei halbe ... daß du einen ganzen Rubel versoffen hast ... daß du 'n Vieh bist, oder noch was Schlimmeres! ... Daß du ...«
Und ein plötzliches Weh erfaßte ihn über sich selbst, daß er sich auf der Dorfstraße niedersetzte und losheulte.
Der helle, große Mond ruderte durch die dunklen Räume und hier und da, nicht allzu dicht, blitzten die Sterne wie silberne Nagelköpfe; die Nebel spannen sich in grauen unscheinbaren Spinnweben über dem Dorfe und wehten, wie ein Schleier über den Wassern. Die unergründliche Stille einer Herbstnacht erfüllte die Welt, nur hin und wieder riß sich von ihr das Gesinge der von der Schenke Heimkehrenden los und das Kläffen der Hunde.
Und auf der Dorfstraße vor der Schenke wankte Ambrosius von einer Seite der Straße zur anderen und sang immerzu, immerzu, ohne Unterbrechung bis er nüchtern wurde:
Maruschka, oh Maruschka!
Wem brautest du das Bier wohl da?
Wem brautest du das Bier wohl da?
Maruschka, oh Maruschka!