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Auf Borynas Hof, der von drei Seiten mit Wirtschaftsgebäuden umstellt war und den von der vierten ein Obstgarten von der Dorfstraße trennte, hatte sich schon viel Volk angesammelt; ein paar Weiber beratschlagten und gestikulierten wegen einer gewaltigen rotweißen Kuh, die auf einem Misthaufen vor dem Kuhstall lag.
Ein alter, etwas lahmer Hund mit glatzigen Flanken umkreiste die Bunte, beroch sie und bellte. Dann jagte er die Kinder, die neugierig am Zaun hingen, von der Einfahrt zwischen die Hecken zurück und versuchte sich an eine Sau heranzupirschen, die sich an die Wand des Wohnhauses lang ausgestreckt hingelegt hatte und leise stöhnte, denn die jungen, weißen Ferkel sogen an ihr.
Gerade stürzte Anna atemlos heran, warf sich auf die Kuh und fing an, ihren Kopf und ihr Maul zu streicheln.
»Bunte, arme Bunte!« rief sie weinerlich und brach in ein Schluchzen und Wehklagen aus.
Die Frauen aber beratschlagten immer wieder über neue Rettungsversuche für die Kranke; einmal goß man ihr Salzlauge in den Hals, dann geschmolzenes Wachs von einer geweihten Kerze in Milch zerlassen; eine riet Molken mit grüner Seife/eine andere schrie, daß man sie zur Ader lassen sollte/doch der Kuh wollte nichts helfen, sie streckte sich immer länger, hob nur von Zeit zu Zeit den Kopf hoch und brüllte gedehnt und schmerzlich, wie nach Rettung; ihre schönen, rosig umrandeten Augen begannen sich neblig zu trüben und der schwere gehörnte Kopf fiel zurück vor Ermattung. Sie streckte die Zunge aus und leckte Annas Hände.
»Vielleicht würde Ambrosius helfen?« schlug eine vor.
»Hast recht, der kennt sich auf Krankheit aus,« bestätigte man.
»Lauf, Fine. Soeben haben sie das Ave ausgeläutet, da muß er noch bei der Kirche sein. Herr, du meine Güte, wenn Vater kommt, wird das ein Fluchen werden. Wir haben aber doch keine Schuld,« klagte sie weinerlich.
Dann setzte sie sich auf die Schwelle des Kuhstalls, streckte dem plärrenden Jungen die weiße volle Brust hin und blickte mit schreckhafter Angst bald auf die röchelnde Kuh, bald aufhorchend auf den Weg zwischen den Hecken.
In der Dauer von ein bis zwei Paternostern kam Fine mit Geschrei zurück/Ambrosius käme schon.
Und wirklich kam er gleich hinterdrein, ein vielleicht hundertjähriger Alter, gerade wie eine Kerze, obgleich er einen Stelzfuß hatte und am Stocke ging. Sein Gesicht war trocken und runzlig wie eine Kartoffel im Frühjahr und von derselben grauen Farbe. Es war glatt ausrasiert und voller Hiebnarben. Sein Haar war milchweiß und fiel in Strähnen auf Stirn und Nacken, denn er kam bloßköpfig daher.
Er trat geradewegs auf die Kuh zu und besah sie sich eingehend.
»Oho, ich seh schon, daß ihr frisches Fleisch kriegt.«
»Helft ihr man, kuriert sie doch, die Kuh ist ja die dreihundert Silberlinge wert/und eben erst nach dem Kalben, helft doch.«
»Oh Jesus/Jesus!« rief Fine.
Ambrosius holte aus der Tasche ein Aderlaßmesser, wetzte es am Stiefelschaft, hielt die Spitze gegen das Abendlicht und durchschnitt der Bunten die Arterien unter dem Bauch / aber das Blut spritzte nicht, es trat nur langsam, schwarz und schaumig hervor.
Sie standen alle vorgebeugt ringsherum und sahen mit verhaltenem Atem zu.
»Zu spät! Oho, das Viecherl läßt schon den letzten Atem von sich,« sagte Ambrosius mit Feierlichkeit. »Das ist gewiß die böse Seuche oder etwas anderes ... man sollte gleich, wie sie krank wurde ... aber diese Frauenzimmer, die haben nur den Verstand zum Weinen, das Aaszeug, wenn man helfen soll, dann blöken sie, wie die Schafe.« Er spuckte verächtlich aus, ging um die Kuh herum, sah ihr in die Augen, betrachtete die Junge, wischte die blutigen Hände an ihrem weichen glänzenden Fell ab und schickte sich an, fortzugehen.
»Zu diesem Begräbnis werde ich euch nicht läuten; das Geläut macht ihr schon selbst mit den Pötten.«
»Der Vater und Antek!« rief Fine und rannte auf den Weg hinaus ihnen entgegen, denn ein dumpfes, schweres Rollen ließ sich von der anderen Seite des Weihers her vernehmen, wo in dem vom Abendlicht rotleuchtenden Staub ein länglicher, mit ein paar Pferden bespannter Wagen sichtbar wurde.
»Vater, da ... die Bunte tut verrecken!« Boryna bog gerade mit dem Wagen um den Weiher; Antek schob hinten nach, denn sie hatten eine lange Fichte aufgeladen.
»Red' nicht Unnützes,« brummte er, die Pferde antreibend.
»Ambrosius hat sie zur Ader gelassen und gar nichts ... geschmolzenes Wachs hat man ihr in die Gurgel gegossen, auch nichts ... und Salz ... und alles nichts ... das ist gewiß die schlimme Seuche ... Witek sagte, der Heger hat sie aus dem Weidewald gejagt, und die Bunte hätte sich immer hingelegt und gestöhnt, bis er sie hergekriegt hat ...«
»Die Bunte, die beste Kuh, daß ihr die Kränke kriegt, Saupack, verdammtes, so wird hier aufgepaßt«; er warf dem Sohn die Zügel hin und lief mit der Peitsche in der Hand voraus.
Die Weiber traten auseinander, und Witek, der die ganze Zeitlang vor dem Wohnhaus an irgend etwas herumgebastelt hatte, sprang aus lauter Angst davon und verschwand im Garten, selbst Anna erhob sich und stand ratlos und verängstigt da.
»Zuschanden haben sie mir das Tier gemacht,« ... rief der Bauer schließlich aus, nachdem er die Kuh besichtigt hatte! »Dreihundert Silberlinge rein in den Dreck geschmissen!/ Zum Fressen da sind die Biester da, die ganze Stube voll, aber Obacht geben, das gibt's nicht. So 'ne Kuh, so 'ne Kuh! Nicht aus dem Haus raus kann man, gleich kommt Verlust und Schaden draus ...«
»Schon von Mittag an war ich doch beim Kartoffelausnehmen,« entschuldigte sich Anna leise.
»Wenn du doch einmal was sehen tätest!« schrie er wütend. »Aber geht dich das an, was meins ist?« /
»So 'ne Kuh, so 'n Prachtstück, 'ne zweite, wie die, könnte man auf dem Gutshof suchen!«
Er fluchte immer erbitterter, ging um die Kuh herum, versuchte sie zu heben, zog sie am Schwanz, guckte ihr in die Zähne, aber das Tier atmete röchelnd und immer mühevoller, selbst das Blut hörte auf zu fließen und gerann langsam zu schwarzen, krustigen Schlacken/sie lag augenscheinlich schon in den letzten Zügen.
»Nichts zu machen, man muß sie notschlachten, wenigstens das 'rausschlagen!« sagte er schließlich, holte eine Sense aus der Scheune, wetzte sie schnell an einem Schleifstein, der unter der Dachtraufe des Kuhstalls stand, zog seinen Spencer aus, krämpte die Hemdsärmel hoch und machte sich ans Schlachten ...
Anna und Fine heulten los, denn die Bunte erhob mühevoll den Kopf, als ob sie den nahen Tod fühlte, brüllte dumpf auf und fiel mit durchschnittener Gurgel zurück, nur noch mit den Beinen strampelnd ...
Der Hund leckte das an der Luft gerinnende Blut und sprang darauf nach den Kartoffelgruben, die Pferde anbellend, die mit dem Wagen vor der Umzäunung stehengeblieben waren. Antek hatte sie dort gelassen und sah gleichgültig dem Schlachten zu.
»Heul' nicht, dumme Trine! Was geht uns Vaters Kuh an, ist doch nicht unser Verlust!« sagte er giftig zu seiner Frau und ging an das Ausspannen und Abschirren der Pferde, die Witek eifrig an den Mähnen in den Stall zerrte.
»Viel Kartoffeln auf dem Feld?« fragte Boryna, die Hände am Brunnen waschend.
»Weiß Gott, nicht wenig, an die zwanzig Säcke wird's wohl machen.«
»Die müssen heut noch rein.«
»Dann fahr' sie selbst ein, ich fühl' schon meine eigenen Füße nicht mehr, meinen Rücken auch nicht ... und das Handpferd lahmt auf dem Vorderfuß.«
»Fine, ruf' mal den Jakob her vom Kartoffelfeld, mag er dafür das Jungpferd vorspannen, es muß heute eingefahren werden. / Es kann Regen geben.«
Es siedete in ihm vor Wut und Ärger, und immer wieder blieb er vor der Kuh stehen und fluchte gallig, dann machte er sich auf dem Hof zu schaffen, guckte in den Kuhstall, in die Scheuer, in den Schuppen und wußte selbst nicht, was er suchte; der Verlust fraß an ihm.
»Witek! Witek!« brüllte er mit einem Male und schnallte den breiten Riemen von den Hüften los, aber der Junge blieb verschwunden.
Die Leute verzogen sich, denn sie begriffen, daß ein solcher Schade, eine solche Verdrießlichkeit mit Prügeln enden mußte, um so mehr da Boryna meist schnell damit zur Hand war, aber der Alte fluchte heute nur und ging in die Stube.
»Anna, das Essen her!« herrschte er die Schwiegertochter durchs offene Fenster an und ging auf seine Seite.
Das Haus war ein landläufiges Bauernhaus/in der Mitte durch eine große Diele getrennt; seine Giebelseite ging auf den Hof und die vierfenstrige Front schaute nach dem Obstgarten und auf die Straße.
Die eine Seite, nach dem Garten zu, nahm Boryna mit Fine ein, auf der anderen saß Antek und seine Frau. Der Knecht und der Hirtenjunge schliefen bei den Pferden.
In der Stube war es schon dämmerig, denn durch die kleinen Fensterchen, die von der Dachtraufe beschattet wurden und vor denen die Bäume buschig wuchsen, kam wenig Licht herein, außerdem dunkelte es schon draußen; nur die Gläser auf den Heiligenbildern, die auf der geweißten Wand eine schwarze Reihe bildeten, schimmerten noch. Die Stube war groß, aber von einer rußgeschwärzten Balkendecke niedergedrückt und so mit allerhand Hausrat vollgestellt, daß man nur um den großen, an der Flurwand stehenden Herd herum mit seinem mächtigen Rauchfang darüber etwas freien Platz hatte.
Boryna zog die Stiefel aus und trat in die dunkle Buze hinein, die Tür hinter sich schließend; von der kleinen Fensterscheibe schob er das Brett zurück, so daß das Abendlicht mit blutigem Schein den Raum erleuchtete.
Die Buze war voll Kram und Wirtschaftsgeräten, auf querlaufenden Stangen hingen Schafspelze, rote gestreifte Beiderwandröcke, weiße Haartuchkittel, ganze Raspeln grauer Garne, zu Ballen zusammengerollte schmutzige Schaffließe und Säcke voll Daunen. Er holte einen weißen Haartuchkittel und einen roten geflochtenen Hanfgürtel hervor und suchte darauf lange in den mit Getreide gefüllten Tonnen herum, dann wieder in einem Haufen alten Eisens und alter Riemen; als er jedoch Anna in der Vorderstube hantieren hörte, zog er das Brett über das kleine Fenster und scharrte noch lange im Korn. Auf der Bank vor dem Fenster dampfte schon das Essen; aus dem gewaltigen Tiegel voll Kohl verbreitete sich der Duft von geröstetem Speck; auch nach Rühreiern roch es, wovon eine nicht kleine Schüssel daneben stand.
»Wo hat Witek die Kühe gehütet?« fragte er, eine mächtige Schnitte von einem Brotlaib schneidend, der so groß war, wie ein Getreidesieb.
»Im Weidewald, im Gutsbezirk, der Heger hat sie verjagt.«
»Aasbiester, die haben mir das Tier zuschanden gerichtet.«
»Selbstredend, so 'ne große Kuh, die hat sich verhitzt bei dem Getreibe, 'n Brand hat sie gekriegt.«
»Das Lumpenpack. Der Weidewald gehört uns, das steht deutlich wie 'n Ochs im Grundbuch, und die tun nichts als 'rausjagen und meinen, es sei ihrer.«
»Die anderen haben sie auch 'rausgejagt und Waleks Jungen hat er verprügelt und wie geprügelt ...«
»Ha! da muß man vors Gericht und zum Kommissar. Dreihundert Silberlinge ist sie wert, mindestens!«
»Gewiß!« versicherte sie, froh, daß der Vater sich zufriedengegeben hatte.
»Sag' Antek, wenn sie die Kartoffeln eingefahren haben, sollen sie sich gleich an die Kuh heranmachen, man muß sie häuten und zerlegen. Wenn ich vom Schulzen heimkomme, will ich euch helfen. In der Banse am Balken soll man sie aufhängen/das wird sicherer sein vor den Hunden oder sonst welchem Viehzeug ...«
Er war bald mit dem Essen fertig und stand auf, um sich zurechtzumachen, aber er fühlte eine solche Trägheit in sich, ein solches Ziehen in den Knochen, eine solche Schläfrigkeit, daß er, so wie er dastand, sich aufs Bett warf, um etwas zu schlafen.
Anna ging auf ihre Seite zurück und wirtschaftete in der Stube, sich von Zeit zu Zeit hinauslehnend, um nach Antek zu sehen, der auf der Veranda vor dem Haus sein Essen bekommen hatte. Er war von der Schüssel abgerückt, wie es Brauch ist, und schlürfte Löffel auf Löffel, indem er laut gegen die gerillte Schüssel kratzte und gelegentlich vor sich hin auf den Weiher starrte. Dort lag die Abendröte und es entstanden auf dem Wasser gold-purpurne Regenbogen und flammende Kreise, durch die, gleich weißen Wölklein, die Gänse schnatternd hindurchschwammen, Schnüre blutroter Perlen aus den Schnäbeln vergießend.
Im Dorf fing es an, sich zu regen und zu wimmeln; auf dem Wege um den Weiher herum erhoben sich ständig Staubwolken, erklang Wagengerassel und das Brüllen der Kühe, die bis an die Knie ins Wasser stiegen, langsam tranken und die schweren Köpfe aufrichteten, daß ihnen dünne Wasserrinnsale, gleich opalfarbenen Peitschenschnüren aus den breiten Mäulern herunterrannen.
Irgendwo vom anderen Ende des Weihers knatterten die Waschschlegel der Wäscherinnen, und dumpf und eintönig klang von einer fernen Scheune herüber das Aufschlagen der Dreschflegel.
»Antek, hack' mir etwas Holz, denn allein werde ich nicht fertig,« bat sie schüchtern und ängstlich; denn er machte sich nichts daraus, zu fluchen oder zuzuschlagen aus dem ersten besten Anlaß.
Nicht einmal antworten tat er, als hätte er nichts gehört, so daß sie sich gar nicht mehr traute, noch etwas zu sagen und selbst hinging, von den Holzklötzen Holz abzuspalten; er aber schwieg verärgert, von der Tagesarbeit erschöpft und blickte jetzt nach dem jenseitigen Ufer auf ein Haus, dessen weiße Wände und Fensterscheiben leuchteten, denn es stand gegen das Abendlicht. Büschel roter Georginen sah er, die sich über die steinerne Gartenmauer lehnten und grell auf dem Hintergründe der Wände brannten, und vor dem Haus, einmal im Obstgarten, einmal zwischen den Hecken bewegte sich geschäftig eine hohe Gestalt /das Gesicht konnte man nicht erkennen, denn jeden Augenblick verschwand sie im Hausflur oder unter den Bäumen.
»Der schläft wie 'n Gutsherr, und du arbeite man gefälligst, wie 'n Knecht,« murrte er böse auf, denn das väterliche Schnarchen drang bis auf die Veranda.
Er ging auf den Hof und besah sich nochmals die Kuh.
»Das ist recht, Vater seine Kuh ist es, aber auch unser Verlust,« sagte er zu seiner Frau, die, da Jakob die Kartoffeln vom Feld eingefahren hatte, das Holzspalten aufgab und sich dem Wagen näherte.
»Die Kartoffelgruben sind noch nicht in Ordnung, da muß man auf die Tenne abladen.«
»Vater sagt doch, du sollst auf der Tenne die Kuh häuten und ausweiden.«
»Die Kuh wird Platz haben und die Kartoffeln auch,« brummelte Jakob, indem er die Scheunentür sperrangelweit aufstieß.
»Ich bin kein Schinder, daß ich dazu da bin, der Kuh die Haut abzuziehen,« warf Antek ein.
Sie sprachen nichts weiter, man hörte nur das Kullern der Kartoffeln, die auf die Tenne geschüttet wurden.
Die Sonne war erloschen, es wurde Abend, das letzte Rot leuchtete noch wie Lachen geronnenen Blutes und erstarrten Goldes. Der Weiher war wie mit Kupferstaub bestreut und die stillen Gewässer zuckten unter rostigen Schuppen im schläfrigen Gemurmel.
Das Dorf versank in Dunkelheit, in die tiefe, tote Stille eines Herbstabends. Die Bauernhäuser wurden kleiner, als ob sie sich zur Erde duckten, als schmiegten sie sich gegen die schlaftrunken geneigten Bäume und grauen Hecken.
Antek und Jakob waren mit dem Einfahren der Kartoffeln beschäftigt, während Anna und Fine die Wirtschaft besorgten. Die Gänse sollten noch zur Nacht eingetrieben werden und die Schweine gefüttert, die sich mit Gequieke auf die Diele drängten und die gefräßigen Rüssel in die Zuber steckten, worin der Drank für das Vieh war.
Die Kühe mußten auch gemolken werden, denn gerade hatte Witek die letzten von der Weide heimgetrieben und legte jeder einen Arm voll Heu in die Raufe, damit sie stillhielten beim Melken.
Fine setzte sich gerade zurecht, die erste vom Rande zu melken, als Witek unter der Krippe hervorkroch leise und ängstlich fragend:
»Fine, is der Bauer bös? ...«
»Du lieber Himmel, prügeln wird er dich, armer Kerl ... was hat er geflucht,« antwortete sie, den Kopf zum Licht wegdrehend und dabei mit der Hand das Gesicht schützend, weil die Kuh der Fliegen wegen mit dem Schweif gegen die Flanken klatschte.
»Ich ... kann ich denn was dafür ... Der Heger hat mich doch rausgetrieben und wollte noch mit dem Stock nach mir schlagen, aber ich bin gelaufen ... und die Bunte hat sich doch gleich hingelegt und gebrüllt und gestöhnt, so daß ich sie gleich heimgetrieben habe ...«
Er schwieg; man hörte nur ein stilles, banges Schluchzen und Schneuzen.
»Witek ... Hab' dich doch nicht wie 'n Kalb, ist doch nicht das erstemal, daß Vater dich verwichst...«
»Nein, nicht zum erstenmal, aber ich hab' doch solche Angst ... von wegen weil ich keine Ausdauer hab' ...«
»Bist dumm, wird schon bald ein Knecht und hat Angst ... ich werd's Väterchen schon stecken ...«
»Willst du das, Fine?« rief er freudig aus, »das war doch der Heger, der hat mich mit den Kühen weggejagt/das war doch ...«
»Ich werd's schon stecken, Witek, brauchst keine Angst zu haben! ...«
»Wenn es so ist ... dann hast du hier den Vogel!« flüsterte er freudig erregt und zog unter der Jacke ein hölzernes Wunderwerk hervor. »Guck nur, wie er sich von selbst bewegt.«
Er stellte sein Geschenk auf die Schwelle des Kuhstalls, drehte es auf und der Vogel fing an zu wackeln, die langen Beine zu heben und zu marschieren ...
»Jesus, 'n Storch, der ist ja ganz wie lebendig!« schrie sie erstaunt, stellte die Melkgelte beiseite, hockte vor der Schwelle nieder und sah ganz glückselig und bewundernd zu.
»Jesus! bist du ein Mechanikus! und bewegt er sich denn von selbst so, äh? ...«
»Doch, von selbst, Fine, nur mit dem Hölzchen muß ich ihn aufdrehen, dann spaziert er wie 'n Gutsherr nach dem Mittagessen/da ...,« er drehte ihn um, und der Vogel streckte ernst und komisch seinen langen Hals, hob die Beine und spazierte.
Sie lachten beide herzhaft und ergötzten sich an seinen Bewegungen, zuweilen nur hob Fine die Augen und sah den Jungen voll Staunen und Bewunderung an.
»Fine!« ertönte die Stimme Borynas vor dem Wohnhaus.
»Was denn?« ... schrie sie zurück.
»Komm mal her.«
»Wir melken doch.«
»Paß hier auf, ich gehe zum Schulzen hinüber,« sagte er, den Kopf in den dunklen Kuhstall steckend, »hast du nicht dieses aufgelesene Landstraßenbalg gesehen, ha?«
»Witek?/ni, der is mit Antek auf'm Kartoffelfeld, denn Jakob soll Häcksel schneiden ...,« sie antwortete schnell und etwas ängstlich, denn Witek verkroch sich aus Angst hinter ihrem Rücken.
»Aas von Junge, nur in Stücke reißen, so eine Kuh zu ruinieren,« brummte er, in die Stube zurückgehend, wo er den neuen weißen Tuchrock anzog, der an allen Nähten entlang mit schwarzem Litzenmuster benäht war, suchte den hohen spitzen Filzhut mit der roten Kokarde hervor, wickelte dazu den roten Gürtel um und entfernte sich über den Weg am Weiher in der Richtung der Mühle.
»So viel Arbeit noch ... Das Holz ist noch nicht eingefahren ... die Saat nicht beendigt ... der Kohl draußen ... die Nadelstreu nicht zusammengeharkt ... für die Kartoffeln muß gepflügt werden ... auch für'n Hafer müßte man ... und du fahr man zum Gericht ... Herr Gott, daß man die Arbeit nie fertigkriegt, immer nur wie'n Ochs im Joch ... nicht ausschlafen, nicht ausruhen kann unsereiner ...,« sinnierte er ... »Und dazu nun noch Gericht ... Aasschlampe, sieh einer an, ich mit der schlafen ... daß dir die Zunge verdorrt ... Lumpentrine ... Metze ...,« er spuckte wütend aus, pfropfte die kleine Pfeife mit Knaster voll und rieb die feuchtgewordenen Streichhölzer lange gegen die Hose, bevor er sie in Brand setzen konnte.
In Abständen paffend schleppte er sich langsam vorwärts; alle Glieder schmerzten ihm und der Verdruß wegen der Kuh machte ihn mißmutig und zog ihm durch alle Knochen.
»Und den Arger kann man sich nicht einmal wegprügeln oder ausklagen, nichts ... wie 'n einsamer Pflock ist man auf der Welt; alles muß man selbst bedenken, über alles mit seinem eigenen Kopf deliberieren, hinter allem selbst her sein, wie ein Hofhund ... reden kann man mit niemand ein Wort und von nirgends 'n Rat und 'ne Hilfe / nur Schaden und Verlust allenthalben ... und die ganze Gesellschaft, wie Wölfe um ein Schaf herum ... die zerren nach allen Seiten und lauem nur, wenn sie einen in Stücke reißen ...«
Im Dorf war es schon dunkel, in den warmen Abend quollen durch die angelehnten Türen und Fenster Flackerscheine der Herdfeuer, der Duft gekochter Kartoffeln und saurer Mehlsuppen mit Speckgrieben; hier und bei verzehrte man das Nachtmahl auf den Dielen oder selbst vor den Häusern, daß man von überall das Kratzen der Löffel und die Stimmen der Menschen hörte.
Boryna ging immer langsamer, die Erbitterung machte ihn schwerfällig, und dann fuhr ihm die Erinnerung an die im Frühjahr Verstorbene an die Gurgel ...
»Ho! ho! ... bei der/möge sie unberufen in Frieden ruhn/wär' das der Bunten nicht passiert ... das war 'ne Bäuerin! ... Gewiß, ein Schandmaul hatte sie und eine böse Zunge, ein gutes Wort hat sie niemandem gegönnt, mit den Weibern hat sie sich immerzu in den Haaren gelegen ... aber die Ehefrau war es immerhin doch und 'ne gute Hausfrau!« Hier seufzte er auf mit frommem Wunsch für ihr Seelenheil und eine noch größere Betrübnis legte sich auf ihn, denn er gedachte dessen, wie es einstmals gewesen war.
Kam er von der Arbeit nach Hause, abgearbeitet/dann hielt sie fettes Essen bereit, und oft und manch einmal steckte sie ihm hinter dem Rücken der Kinder noch sein gutes Stück Wurst zu ... Und wie gedieh da alles! ... Die Kälber und die schönen Gänse und die Ferkel ... zu jedem Jahrmarkt hatte man was mit zur Stadt zu fahren und bar Geld war immer da, allein vom Jungvieh schon... Und was Kohl mit Erbsen ist/so wie die kann das 'ne andere gar nicht ...
Und jetzt was? ...
Antek zerrt was er kann, der Schmied lungert auch nur herum, was er in die Krallen kriegt, und Fine? Die dumme Dirn', hat doch nur Streu im Kopf. Is ja auch man erst an die Zehn, was 'n Wunder da ... Anna kreucht herum wie 'ne Nachteule und ist immerlos krank und was die tut, ist gerade so viel wert, wie das, was sich der Hund zusammenheult.
So geht alles zugrunde ... die Bunte mußte geschlachtet werden ... in der Erntezeit ist ein Mastschwein krepiert ... die Krähen sind zwischen die Gössel gekommen, kaum die Hälfte ist übriggeblieben! ... So viel vergeudet, so viel zuschanden gemacht! ... Alles rinnt wie durch ein Sieb ... wie durch ein Sieb ...
»Aber ich duld' es nicht!« schrie er fast laut; »solange ich noch auf den Klumpen stehe, will ich keinen Morgen Land abschreiben! Das is mal sicher, auf den Altenteil geh ich zu euch nicht ...
Soll mir erst mal der Gschela vom Militär heimkommen, dann kann Antek auf Anna ihren paar Morgen wirtschaften ... ich duld' es nicht ...«
»Gelobt sei Jesus Christus,« ertönte eine Stimme.
»In Ewigkeit,« ... antwortete er gewohnheitsmäßig und bog von der Straße in einen langen Heckenweg ein, in dessen Hintergrund das Gewese des Schulzen lag.
In den Fenstern war Licht und die Hunde schlugen an.
Er trat geradeswegs in die Giebelstube ein.
»Der Schulze da?« fragte er eine dicke Frau, die vor einer Wiege niedergekniet war und einem Kind die Brust gab.
»Der kommt gleich, ist nur 'raus, um die Kartoffeln einzufahren. Setzt euch so lange, Matheus, is schon nichts zu machen dazu, dieser wartet auch,« mit einer Bewegung des Kinns wies sie nach einem Bettler, der neben dem Herd saß; das war jener alte blinde Bettler, der von einem Hund geführt wurde; das rötliche Licht der Scheite umfloß grell sein gewaltiges ausrasiertes Gesicht, seinen nackten Schädel und seine weit aufgerissenen Augen, die mit einer weißen Haut überzogen waren und unbeweglich unter den greisen, buschigen Augenbrauen saßen ...
»Woher kommt ihr mit Gottes Hilfe?« fragte Boryna, sich an die andere Seite des Feuers setzend.
»Aus der Welt, Bauer, woher denn sonst,« erwiderte er langsam mit seiner breiten, kläglichen Bettelstimme und spitzte fleißig die Ohren, die Tabakdose hervorholend.
»Langt zu, Bauer.«
Matheus nahm eine kräftige Prise und nieste dreimal hintereinander, so daß ihm die Tränen in die Augen kamen.
»Starkes Zeug!« und er wischte mit dem Ärmel über die tränenden Augen.
»Gut bekomm's. Petersburgischer, is gut auf die Augen.«
»Kehrt morgen bei mir ein, eine Kuh hab' ich notgeschlachtet, da findet sich für euch schon 'n Bissen.«
»Gott lohn's ... Boryna, scheint mir, was?«
»Freilich, daß ihr das aber erkannt habt? ... he, he.«
»Noch der Stimme nur, nach dem Reden.«
»Was gibt's denn so in der Welt? Ihr seid doch immerzu unterwegs.«
»Du lieber Gott, was es wohl geben kann. Einmal schlecht, einmal gut, einmal verschieden, rote immer in der Welt. Und alle pfeifen aus dem letzten Loch und jammern, wenn es sein muß, dem Bettler was zu geben, oder auch einem anderen, aber für den Schnaps da haben sie was.«
»Wahr habt ihr geredet, so ist es.«
»Ho, ho! so viel Jahre schleppt sich einer über diese heilige Erde, da kennt man sich aus.«
»Und wo habt ihr denn diesen aufgelesenen Jungen hingetan, der euch im letzten Jahre führte?« fragte die Schulzin.
»Gegangen ist das Aas, fort, schön hat er mir die Bettelsäcke umgekehrt ... Etwas Geld hatt' ich ja von guten Leuten, das war für Messen vor dem Altar der Tschenstochauer heiligen Jungfrau, das hat mir das Aas ausgenommen, und denn davon, über alle Berge! Still da, Burek! Den Schulzen hört er, mein' ich.« Er zerrte an der Schnur und der Hund horte auf zu knurren.
Er hatte gut geraten, denn der Schulze kam herein, warf die Peitsche in die Ecke und rief gleich an der Schwelle:
»Frau, Essen, hab 'n Wolfshunger./Wie geht's mit euch, Matheus, und was wollt ihr, Alter? ...«
»Ich komme von wegen meiner Gerichtssache, die für morgen angesetzt ist.«
»Und ich kann warten, Herr Schulze. Befehlt ihr auf der Diele/schön, auch dort wird's gut sein, und laßt ihr mich am Feuer, da ich doch alt bin, dann bleib' ich, und gebt ihr mir 'ne kleine Schüssel Kartoffeln, oder auch 'ne Brotrinde/dann will ich für euch ein Gebet sprechen und noch ein zweites dazu ... als hättet ihr mir bar Geld gegeben, oder vielleicht 'n Groschen ...«
»Bleibt man sitzen, Abendbrot kriegt ihr, und wenn ihr wollt, könnt ihr übernachten ...«
Und der Schulze setzte sich an die Schüssel voll gemuster Kartoffeln, die reichlich mit Speckbrühe begossen waren. Neben ihm stand eine große Satte voll saurer Milch.
»Setzt euch zu uns, Matheus, und nehmt, was da ist,« lud die Schulzin ein, indem sie einen dritten Löffel zurechtlegte.
»Gott lohn's. Als ich vom Wald heimgekommen bin, da hab' ich schon ordentlich gefuttert ...«
»Haltet euch nur an den Löffel, das wird euch nicht schaden, jetzt sind die Abende schon lang ...«
»Ein langes Gebet und eine große Schüssel, dadurch ist noch niemand ins Grab gekommen,« warf der Bettler ein.
Boryna zierte sich, aber schließlich, da der Speckduft ihm stark gegen die Nüstern stieß, setzte er sich an die Bank und langte bedächtig und vorsichtig zu, wie es die gute Sitte wollte.
Die Schulzin aber stand ein nach dem andern Male wieder auf, füllte die Kartoffeln nach und goß neue Milch in die Satte.
Der Hund des Bettlers fing an sich zu drehen und leise und bescheiden nach Essen zu winseln.
»Still, Burek, die Bauern essen jetzt ... auch du kriegst was, hab' keine Angst ...,« beruhigte ihn der Bettler, die schmackhaften Düfte mit der Nase witternd, und wärmte sich die Hände am Feuer.
»Da soll euch die Eve verklagt haben,« schnitt der Schulze an, nachdem er sich etwas gesättigt hatte.
»Ja, das hat sie schon, wegen dem Lohn, den ich ihr nicht ausgezahlt haben soll! Die hat ihn gekriegt, so wahr wie Gott ist, und noch darüber, aus gutem Herzen hab' ich dem Priester einen Sack Hafer gegeben wegen der Taufe ...«
»Und die sagt aus, daß dieses Kind ...«
»Im Namen Gottes und des Sohnes. Is sie toll geworden, oder was?«
»Ho, ho! alt seid ihr, aber noch 'n Meister!« Die Schulzen fingen an zu lachen.
»Leichter passiert's dem Alten, denn der kennt sich drauf und hat die Übung,« murmelte der Bettler.
»Die lügt wie'n Hund, nicht angerührt hab ich sie. Das fehlte mir noch, diese Schlampe ... am Zaun wär' sie verreckt, und wie hat sie gewinselt, daß man sie nur fürs Essen und für die Ecke zum Schlafen da behielte, weil es doch zum Winter ging. Ich wollte nicht, aber die Selige meinte: laß sie man kommen, kann sich im Haus nützlich machen, was sollen wir Tagelöhner nehmen ... Die eigene wird zur Hand sein ... Ich wollte nicht, im Winter gibt's doch keine Arbeit, und da noch ein Maul mehr zum Fressen. Aber die Selige hat gemeint: zu sorgen brauchst du dich nicht, sie soll Beiderwand und Leinen weben können, ich krieg' sie 'ran, mög' sie man 'rumpuddeln, irgendwas wird sie schon herauspuddeln. Na und sie is geblieben, hat sich 'rausgefüttert und sich nach Zuwachs umgesehen ... Und wer da Kumpeljonk is, davon haben sie schon manches geredet ...«
»Sie klagt gegen euch.«
»Kalt werd' ich das Aas noch machen, die Zigeunermetze!«
»Aber zum Gericht müßt ihr.«
»Das will ich. Gott vergelt's, daß ihr es gesagt habt, denn ich wußte bis jetzt nur das wegen dem Lohn/aber bezahlt hab' ich, da hab' ich Zeugen für! Die vermaledeite Schnauze, die Bettelschickse. Großer Gott, so viel Kummer, daß man schon gar nicht weiß, wie man das tragen soll / und dazu ist mir noch die Kuh umgekommen, notschlachten hab' ich sie müssen, auf dem Feld bleibt die Arbeit liegen und man ist allein auf seine fünf Finger angewiesen.«
»Das Schaf unter den Wölfen ist der Witwer unter den Menschen,« fügte abermals der Bettler hinzu.
»Von der Kuh hab' ich gehört, man sagte es mir schon auf dem Feld ...«
»Da hat das Gut seine Finger dabei gehabt, ich hör', der Heger hat sie aus dem Weidewald verjagt. Die beste Kuh, dreihundert Silberlinge war sie wert, sie hat sich verhitzt, so'n schweres Tier, und hat den Brand gekriegt, ich mußte sie schlachten ... Aber das Gut soll mir nicht damit durchkommen ... klagen werd' ich.«
Der Schulze jedoch fing an, ihm zuzureden und ihm die Sache auseinanderzusetzen und meinte, er möge damit warten, der Ärger sei ein schlechter Berater; er hielt zum Gut, und um schließlich der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben, blinzelte er seiner Frau zu und sagte:
»Ihr müßtet wieder heiraten, dann wär' da jemand, der nach der Wirtschaft sieht.«
»Zieht ihr mich auf, oder was? ... Ich habe doch am Kräutersonntag meine achtundfünfzig Jahr beendigt. Was euch nur einfällt, die andere ist noch nicht richtig kalt geworden.«
»Ihr müßt 'ne Frau nehmen, die zu eurem Alter paßt, dann kommt alles wieder zurecht,« ergänzte die Schulzin und begann abzuräumen.
»Ein gutes Eheweib krönt des Mannes Erdenleib,« warf der Bettler hinzu, die Schüssel betastend, die die Schulzin vor ihn hingestellt hatte.
Boryna wehrte ab, aber er wurde nachdenklich darüber, warum ihm der Gedanke nicht auch schon gekommen war. Denn wie auch die Frau sein mag, die einer kriegt, es ist doch immerhin besser, mit ihr zusammen, als sich alleine abzuquälen...
»Manche ist dumm und nicht rührig, manche wiederum 'ne böse, die nach des Bauers Zotteln langt und manche is 'n Schmutzfink und 'n Rumtreiber, hat nur Schenke und Tanzmusik im Kopfe / und doch ist der Bauer besser mit ihr dran und hat auch seine Bequemlichkeit,« führte der Bettler essend weiter aus.
»Da würden sie im Dorf was haben, um sich darüber aufzuhalten,« sagte Boryna.
»Na ja / und werden euch die Leute die Kuh wieder gesund machen, oder helfen, die Wirtschaft besorgen, oder euch bemitleiden,« legte die Schulzin gefühlvoll los.
»Oder euch das Federbett wärmen,« lachte der Schulze. »Und im Dorf gibt es so viele Madchen, daß wenn man zwischen den Häusern geht, die Glut schon durch die Wände schlägt ...«
»Pfui doch, sieh' einer mal, diesen Liederjan ... Was der nicht alles möchte ...«
»Und dem Gregor seine Sophie, wie wär' denn die zum Beispiel, schlank, schön und 'ne gute Mitgift.«
»Was denn, Mitgift, braucht denn Matheus 'ne Mitgift / der erste Bauer im Dorf!«
»Wer hätte genug, daß er nicht mehr wollte?« protestierte der Bettler.
»Nee, dem Gregor seine ist nichts für ihn«, nahm der Schulze wieder auf, »die ist noch zu matt, is ja kaum trocken hinter den Ohren.«
»Und dem Andreas seine Kassja«, zählte die Schulzin weiter.
»Vergeben. Gestern hat dem Rochus sein Adam mit Schnaps zu ihr geschickt.«
»Dann ist noch dem Stach seine Veronika da.«
»Die Bummelliese, dieser Rumtreiber und 'ne dicke Hüfte hat sie dazu.«
»Und dem Tomek seine Witwe, wie wär's mit der ... is noch ganz reputierlich ...«
»Drei Kinder, vier Morgen, zwei Kuhschwänze und den alten Schafspelz vom Seligen.«
»Und Ulischja, die vom Wojtek, die hinter der Kirche sitzen? ...«
»Ji ... das wär' was für'n Junggesellen ... gleich mit Zuwachs, der Junge wäre schon zum Hüten gut, aber Matheus braucht keinen, er hat schon seinen Hirten.«
»Gewiß, es gibt noch genug von diesem Jungfernkraut, aber ich such' doch solche aus, die für Matheus passen sollen.«
»Aber eine hast du vergessen, die für ihn grad die Rechte wäre.«
»Wen denn?«
»Dem Dominik seine Jagna.«
»Das is wahr, die hab' ich ganz vergessen.«
»'ne deftige Dirn', und gut gewachsen, über den Zaun kommt die nicht, ohne daß die Latten unten wegbrechen ... und schön noch dazu, ordentlich weiß ums Maul, schmuck wie 'ne Färse.«
»Jagna,« wiederholte Boryna, der schweigend der Aufzählung gefolgt war, »von der sagt man doch, daß sie auf die Jungen happig ist.«
»Hat sich was / war denn jemand dabei, der das weiß? Die Klatschmäuler reden nur, um zu reden; macht alles nur der Neid,« verteidigte die Schulzin mit Nachdruck.
»Ich red' auch nicht von mir aus / es wird nur so erzahlt. / Aber ich muß gehen;« er rückte den Gurt zurecht, steckte ein Stück Kohle in die Pfeife und sog ein paarmal.
»Um wieviel Uhr zu Gericht?« fragte er gelassen.
»Auf neun Uhr steht's in der Vorladung. Vor Tag müßt ihr aufstehen, wenn's zu Fuß gehen soll.«
»Nee ... mit der Jungstute will ich langsam hinfahren. Gehabt euch wohl, und schönen Dank für das Essen und den nachbarlichen Rat.«
»Gott auf'n Weg und überlegt es euch, was wir euch angeraten haben ... Und sagt ihr ein Wort, geh' ich selbst mit dem Schnaps zur Mutter und noch vor Weihnachten feiern wir Hochzeit ...«
Boryna antwortete darauf nichts, drehte nur mit den Augen und entfernte sich.
»Wenn ein Alter 'ne Junge freit, freut sich der Teufel, denn er wird davon Profit haben,« sagte der Bettler gewichtig, indem er laut über den Grund der Schüssel schabte.
Boryna kehrte langsam heim und kaute nachdenklich durch, was sie ihm geraten hatten. Er hatte sich wohlweislich nichts merken lassen bei den Schulzens, daß ihm dieser Gedanke recht gut mundete; wieso hätte er denn auch sollen, er war doch ein Großbauer und kein Bursch mehr, der noch gelb um den Schnabel ist, der, wenn man ihm vom Heiraten redet, schon quiekt und von einem Fuß auf den anderen springt.
Die Nacht hielt schon die Erde umfaßt und die Sterne blinkten, wie silberner Tau, aus dunklen, stummen Tiefen. Das Dorf war still, nur die Hunde bellten hin und wieder, und hier und da glommen zwischen den Bäumen schwache Lichtlein ... Manchmal wehte ein feuchter Windhauch von den Wiesen, so daß die Bäume anfingen leicht zu schaukeln und mit den Blättlein leise zu flüstern.
Boryna wählte nicht den Weg, auf dem er gekommen war, sondern wandte sich tiefer ins Tal, überschritt die Brücke, unter der das vom Fluß herkommende Wasser gurgelnd vorüberfloß, mit dumpfem Getöse sich zur Mühle hinwälzend, und schwenkte nach der anderen Seite des Weihers hinüber. Das Gewässer lag still und schimmerte schwärzlich, die Uferbäume warfen auf die spiegelnde Fläche schwarze Schatten und faßten die Ränder, wie in eine Umrahmung ein, und in der Mitte des Weihers, wo es heller war, spiegelten sich die Sterne, wie in einem Stahlspiegel, wider.
Matheus wußte nicht, warum er nicht geradenwegs nach Hause gegangen war, sondern den Umweg gemacht hatte, vielleicht um an Jagnas Hause vorüberzugehen? vielleicht auch um sich etwas zu sammeln und zu meditieren.
»Natürlich, schlecht wär' es schon nicht! natürlich! Und was man da über sie erzählt, das ist soviel wert ...« Er spuckte aus. »'n deftiges Frauenzimmer!« Ein Frösteln lief ihm über den Rücken. Vom Weiher kam nämlich feuchte Kühle und bei dem Schulzen war es mächtig heiß gewesen.
»Und ohne Eheweib muß man zugrunde gehen oder den Kindern die Wirtschaft abschreiben,« überlegte er, »und groß ist das Biest und wie gemalt. / Und die beste Kuh ist krepiert, und wer kann wissen, was morgen kommt? ... Vielleicht muß man doch 'ne Frau suchen. Aber die alte Dominikbäuerin ist der reine bissige Köter / na was kann das schaden, ihr Haus haben sie und ihren Grundbesitz, die kann dann auf dem ihrigen sitzenbleiben. Dreie sind sie und haben fünfzehn Morgen, dann kämen auf Jagna fünf zum Beispiel und die Auszahlung von wegen dem Haus und dem Infantar! / Fünf Morgen, gerade die Felder hinter meinem Kartoffelland, Roggen haben sie, glaub' ich, gesät dieses Jahr, ja ... Fünf Morgen zu den meinen, das wären ... fünfunddreißig Morgen fast! Mächtig viel Land! ...«
Er rieb sich die Hände und schob seinen Gurt zurecht. / »Dann hat nur der Müller mehr ... der Dieb, durch Menschenunrecht, Prozente und Betrügereien hat er es zusammengeschachert ... Und im nächsten Jahr würde ich gut durchmisten, den Acker durchnehmen und auf dem ganzen Stück Weizen säen; ein Pferd müßte man hinzukaufen und dann für die Bunte irgendeinen rechten Ersatz ... Das ist wahr, 'ne Kuh würde sie noch mitkriegen ...«
Und so überlegte er, zählte und schwelgte in wirtschaftlichen Plänen, bis er zuweilen in tiefem Nachdenken stehenblieb. Und da er ein kluger Kerl war, raffte er alle Gedanken zusammen und guckte tief in seinen Kopf hinein, um nicht irgend etwas zu übersehen oder zu vergessen.
»Schreien würde die Bagage, schreien!« dachte er, sich der Kinder erinnernd, aber sofort überflutete ihn das Selbstbewußtsein und das Gefühl seiner Macht und verstärkte seinen dumpfen, noch wankenden Entschluß.
»Der Grundbesitz ist mein, da soll sich jeder hüten, da beizugehen. Und wollt ihr nicht, dann soll euch ...« er beendete nicht, denn er stand vor dem Hause der Jagna.
Sie hatten noch Licht, und ein breiter Lichtstreifen fiel durch das offene Fenster auf einen Georginenbusch, auf einige niedrige Pflaumenbäume und lief über den Zaun bis auf die Dorfstraße.
Boryna blieb im Schatten stehen und versenkte den Blick in die Stube.
Ein Lämpchen glimmte über dem Rauchfang, aber auf dem Herd mußte noch ein gehöriges Feuer brennen, denn man hörte das Knackern von Tannenzweigen, und rötliches Licht erfüllte den großen, in den Ecken dämmrigen Raum; die Alte saß vor dem Kamin hingekauert und las irgend etwas vor, und ihr gegenüber saß Jagna mit dem Gesicht in der Richtung des Fensters und rupfte eine Gans; sie hatte nur noch das Hemd an und die Ärmel waren bis an die Schultern hochgekrempt.
»Verdeubeltes Luder, verdeubelt!« dachte er. Sie hob zuweilen den Kopf, sah zur Mutter hinüber und seufzte tief auf; dann machte sie sich wieder ans Rupfen der ängstlich unter ihren Händen gackernden Gans, die mit Geschrei und mit Flügelschlagen ihr zu entrinnen versuchte, so daß die Daunen, wie eine weiße Wolke, durch die Stube flogen. Sie beruhigte das Tier rasch und preßte es fest zwischen ihre Knie, bis die Gans nur unterdrückt und schmerzlich gackelte. Irgendwo, vom Hof oder von der Diele, antworteten ihr die anderen.
»Statiöses Frauenzimmer,« kam es ihm. Er ging rasch davon, denn es war ihm zu Kopf geschlagen, so daß er sich kratzend über den Schädel fuhr, eine Rocköse zuknöpfte und den Gürtel strammer anzog./
Schon hatte er das Tor seines Gehöfts hinter sich und ging an den Hecken entlang dem Hause zu, als er sich noch einmal nach ihrem Hof umblickte, der gerade gegenüber, nur an der anderen Seite des Wassers lag. Zur selben Zeit trat drüben jemand hinaus, denn durch die geöffnete Tür sprühte ein Lichtstrahl, blitzte auf wie ein Wetterleuchten und fiel bis auf den Weiher; darauf hörte man das feste Stapfen von Schritten, das Plantschen eines Wassereimers, der gefüllt wurde, und schließlich erklang durch die Dunkelheit und durch die Nebeldünste, die von den Wiesen aus sich anfingen über den Weiher zusammenzuziehen, ein gedämpftes Singen:
Ich hinterm Wasser und du hinterm Wasser,
Wie soll ich nun den Kuß dir reichen.
Ich geb' ihn auf einem Blättelein.
Da hast du ihn, Geliebter mein!
Er lauschte lange, obgleich die Stimme schon schwieg und die Lichter erloschen waren.
Aus den Wäldern kam der Vollmond über den Himmel gerollt und versilberte die Schöpfe der Bäume, streute sein Licht durch die Zweige über den Weiher und guckte in die Fenster der Hütten, die ihm gegenüber lagen. Selbst die Hunde schwiegen. Eine unergründliche Stille umfaßte das ganze Dorf und die Kreatur.
Boryna umschritt den Hof, sah bei den Pferden ein, die schnaubten und ihr Futter fraßen, und steckte den Kopf in den Kuhstall, dessen Türen der Hitze wegen ausgesperrt standen. Die Kühe lagen wiederkauend da und taten ihrer Gewohnheit nach ab und zu schnaufen. / Er lehnte noch die Scheunentür an.
Mit dem Hut betrat er die Stube und sprach halblaut das Gebet.
Da jedoch schon alle schliefen, zog er leise die Stiefel aus und legte sich gleich schlafen.
Aber der Schlaf wollte nicht kommen; einmal brannte ihn das Federbett, daß er die Füße heraussteckte, dann wieder gingen ihm verschiedene Geschäfte durch den Kopf, verschiedene Sorgen und Gedanken ... und dann fühlte er ein arges Drücken im Magen, so daß er herumstöhnte und vor sich hin brummte.
»Das sag' ich immer, saure Milch bläht nur den Bauch auf, die soll man nicht für die Nacht geben ...«
Danach fing er an, über die Jagna nachzudenken; und wie gut das wäre, denn sie wäre schön gewachsen und tüchtig, und das viele Feld ... Seine Kinder kamen ihm in den Sinn, das Gerede über Jagna, bis sich alles in ihm verwirrte und er nicht mehr wußte, was er anfangen sollte; er richtete sich etwas hoch und wollte, wie er es gewohnt war, nach dem andern Bett herüberrufen und um Rat fragen.
»Marysch! Soll ich die Jagna heiraten, oder soll ich sie nicht heiraten, die Jagna? ...«
Aber zur rechten Zeit fiel es ihm ein, daß Marysch schon seit dem Frühjahre auf dem Friedhof lag und daß dort im Bett Fine schlief und schnarchte; daß er 'ne ganze Waise geworden ist und niemanden hat, den er um Rat fragen kann, darum seufzte er schwer auf, bekreuzigte sich und fing an Aves für die Selige zu beten, und für alle Seelen, die im Fegefeuer sind.