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Alle Müdigkeit ist fort. Ihr Gang ist leichter, ihr Tun beschwingter. Und das Gesicht, dessen Blässe nun von innen her erhellt scheint, hat die grübelnde Falte zwischen den Brauen nicht mehr, nicht mehr das Zusammenpressen der Lippen und das Anspannen aller Muskeln des Gesichtes. Wohl ist ihr üppiges Haar an den Schläfen ein wenig ergraut, aber die milder gewordenen und sanfter geschwungenen Linien dieses Antlitzes haben sich zu einer solchen Reinheit der Form zueinandergefügt, daß es der Bühne und ihrer Erregungen nicht mehr bedarf, sie schön erscheinen zu lassen. Sie ist nun schön. Da sie in Southampton auf das Schiff kommt, das sie nach den Vereinigten Staaten bringen soll, umweht sie ein zarter Hauch von Verehrung. Auch die, die noch kein Bild dieser Frau in dem schlichten englischen Kleide, die so sehr und so unmittelbar als Dame wirkt, gesehen haben, sind betroffen von der Einzigartigkeit dieser Schönheit. Freilich haben sie dann nicht viel Gelegenheit, sie zu sehen, denn sie ist fast immer in ihrer Kajüte. Es ist Januar, böse See, Wolken, Nebel. Und als Ziel dieser Fahrt wartet dieses Amerika. Aber sie lächelt oft, sie fühlt ihre Kraft, die nun da ist, die sie nicht mit den rasenden Anstrengungen ihres Willens herbeizwingen muß.
Schurmann, der vorausgefahren ist, erwartet sie strahlend am Pier. Alles ginge (unberufen!) herrlich. Was sei dies Amerika doch für ein närrisches Land! Und er erzählt ihr, daß er bald nach seiner Ankunft ein komisches Erlebnis gehabt habe. Er habe in seinem Hotelzimmer einen dicken, kleinen Mann vorgefunden, der sich ihm als Dentist zu erkennen gegeben habe. Auf seine Versicherungen, daß er seiner nicht bedürfe, hatte ihm der Mann gesagt, daß es sich nicht um ihn, sondern um die »schöne, die göttliche, die unvergleichliche« Eleonora Duse handle. Auf Schurmanns neuerliche Abwehr habe der Mann gesagt: »Sprechen wir im Ernst: es handelt sich um fünfhundert Dollar.«
»Für eine Loge zu ihrer ersten Vorstellung? Bedaure schmerzlichst, Herr, alles ausverkauft.«
»Wenn ich Ihnen aber sage, daß es unter Umständen nicht einmal nötig ist, daß ich sie sehe!«
»Erklären Sie sich doch ...«
»Nun also: Sie sollen lediglich bei der großen Tragödin durchsetzen, daß sie ihren Bewunderern erkläre, alle ihre Zähne seien falsch, sie kämen von mir ...« Aus: J. J. Schurmann, Derrière le rideau, 1905
Ein tolles Land, dieses Amerika, nicht? Eleonora Duse lachte, daß ihre weißen makellosen Zähne unter dem Schleier blitzten.
Sie mußte noch am selben Tage nach Washington weiter. Und diese friedliche Stadt mit ihren Villen und Gärten und dem Fehlen alles dessen, was in New York für sie so schwer zu ertragen gewesen war, gab einen guten Auftakt für das diesmalige Amerika. Die erste Vorstellung hier war dann schon ein phantastischer Erfolg. Und Schurmann berichtete, daß der Ertrag dieses Abends nicht weniger als vierundzwanzigtausend Franken gewesen sei. »Und da hat man früher von Gold in der Kehle gesprochen!« setzte er hinzu.
Und dann hier in der Hauptstadt dieser Staaten widerfuhr ihr eine Ehrung, wie sie hier noch keiner Schauspielerin zuteil geworden war, auch nicht Sarah Bernhardt, die zu gleicher Zeit auf einer Gastspielreise hier war. Cleveland, der Präsident der Vereinigten Staaten, der mit seiner Gattin jeder Vorstellung Eleonora Duses beigewohnt und, wie Schurmann erzählt, das Zeichen zum Applaus gegeben und ihr die Garderobe hatte mit weißen Rosen und Chrysanthemen schmücken lassen, gab ihr zu Ehren einen Empfang im Weißen Hause.
Die Nachricht von dieser unerhörten Auszeichnung war vor ihr in New York und machte ihr erstes Auftreten hier zu einem Ereignisse, dem nun alle die beiwohnen mußten, die durch ihren Einfluß und ihr Vermögen die öffentliche Meinung bestimmen. Die erste Vorstellung ist die Kameliendame: ein Taumel von Begeisterung ohnegleichen. Und Schurmann triumphiert doppelt, denn zur selben Zeit spielt in einem anderen Theater New Yorks Sarah Bernhardt, und er hat in Erfahrung gebracht, daß ihre Kameliendame um neuntausend Franken weniger eingebracht hat als die »seiner« Eleonora Duse. Die Kritiker überbieten einander in ekstatischen Adjektiven, und die ganze ungeheure Stadt scheint das Theater zu umdrängen.
Auf welche wunderliche Weise sie selber eines Abends dieses ihres Ruhms in New York gewahr wurde, erzählte sie einer Freundin Gemma Ferruggia, La nostra vera Duse. Sie war, wie sie das in fremden Städten gerne tat, da es dunkel geworden war, ausgegangen. Auf dem Broadway sah sie einen alten Mann stehen, der durch ein Fernrohr die Sterne sehen ließ. Sie trat zu ihm, erkannte an seiner Aussprache den Italiener in ihm und verlangte, er solle ihr die Milchstraße zeigen. Jeder Stern koste fünf Cents, bemerkte der volkstümliche Astronom. Sie gab ihm einen Dollar. Und er begann nun mit seinen üblichen Sprüchen das Fernrohr zu richten. Nachdem sie ein paar Sterne gesehen hatte, fragte sie, wie der große im Osten heiße. Es sei der Polarstern, erwiderte der Sternhändler, aber der Dollar sei nun zu Ende. Da verlangte sie, er solle ihr noch eine Viertelstunde Himmel, noch für einen Dollar Sterne geben. Und während er das Fernrohr wieder richtete, sah sie durch die menschenüberfüllten Straßen die riesigen Trams dahinfahren, deren jede in leuchtenden Buchstaben die Aufschrift trug:
THE PASSING STAR
ELEONORA DUSE
Und »the passing star« lächelte den ewigen Sternen zu, schloß die Freundin diese Geschichte.
Andere Städte: Boston, Philadelphia, endlich Chikago. Das Toben und Rasen ungeheurer unverbrauchter Kräfte erfüllt die Theater. Ihr ahnt die formprägende Macht dieser jungen Erde, da sie lange hier lebende Italiener und Leute anderer Nationen sieht, die alle so sehr Amerikaner sind. Und diese Männer, die sie kennenlernt, die Ungeheures geleistet, gewaltige Vermögen geschaffen haben, werden plötzlich beinahe schüchtern, da sie ihr nahen. Die Frauen feiern sie, empfangen sie wie eine Königin. Sie aber empfindet zuweilen in all der Vornehmheit der Neuen Welt ein ganz klein wenig zuviel Betontheit, und sie, das Kind wandernder Komödianten, versteht hier auf eine neue Weise, was ihr Freund, der Dichter, meinen könne, wenn er das Erbe alter Rasse im lateinischen Menschen preist.
Einer unter ihren amerikanischen Bewunderern bleibt ihr besonders in Erinnerung: Thomas Alwa Edison, der große Erfinder S. George S. Bryan, Edison, der Mann und sein Werk, deutsch bei Paul List, Leipzig, 1927.. Auf ihn ist sie stolz, weil er ihr so gut gefallen hat und weil sie ihm, der nicht nur kein Wort Italienisch versteht, sondern auch noch beträchtlich schwerhörig ist, einen solchen Eindruck gemacht hat. Und sie, für die alles Technische und Maschinelle unheimlich, eine fremde, unfaßbare Welt ist und der alle die, die mit den Maschinen leben, wie dunkle Magier erschienen waren, sucht den Erfinder in seinem Laboratoriumshause in Orange Park auf. Und da der Mann, von dem man ihr gesagt hatte, daß schon weiß Gott wieviel hundert oder tausend Erfindungen seinen Namen tragen, sie mit seinen innigen blauen Augen anschaut und als das Beste, das er ihr als Gegengabe schenken kann, ihr manches von dem schon Vollendeten und etliches von dem noch in Arbeit Befindlichen seines Schaffens vorführt, fühlt sie den Menschheitsdienst auch in solchem Schöpfungswillen, und alle Fremdheit und Scheu ist fort. Ja, sie fügt sich lächelnd, als er von ihr erbittet, daß sie in diese neue absonderliche Maschine, die Menschenstimmen aufbewahren und wiedergeben könne, hineinspreche.
Und dann trägt sie endlich der Zug durch die große Einförmigkeit der Prärien, deren vordem erschreckende und ängstigende Leere nunmehr von zartem Grün bis an den Rand des blaßblauen Himmels erfüllt ist, an das Meer, in dessen mailicher Bläue jetzt ein Schiff heimkehrfröhlich wartet.
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