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Ich schrieb die nachfolgende Skizze im Jahre 1871 und veröffentlichte sie in dem damals von mir redigierten Raumerschen »Historischen Taschenbuch«.
Was ich hier gebe, ist jedoch keineswegs ein einfacher Wiederabdruck des ursprünglichen Textes, sondern eine durchgreifende Neubearbeitung, bei welcher ich vieles Neue hinzufügte, einiges strich und nur wenige Blätter ganz unverändert ließ. Nach zwanzig Jahren konnte ich manches sagen, was ich damals zurückhielt, und glaubte andres besser sagen zu können.
Als diese Schilderungen im Jahre 1872 erschienen, legte man mir in Bayern mehrfach die Tendenz unter, als habe ich das Bild des königlichen Vaters so angelegt, daß es sich zum Gegenbilde des regierenden königlichen Sohnes gestalte und also im Spiegel der jüngsten Vergangenheit eine Kritik der Gegenwart zwischen den Zeilen gebe.
Eine solche Absicht habe ich nicht im Traume gehabt und würde deren Ausführung meinerseits auch für unziemlich gehalten haben.
Ich schrieb bloß meine persönlichen Erinnerungen nieder mit der einzigen Tendenz der Wahrheit und Gerechtigkeit.
Jetzt aber, da ich die alten Blätter wieder las, erkannte ich erst, wie nahe jene grundlose Annahme gelegen habe, nicht weil ich beabsichtigt hätte, den Gegensatz von Vater und Sohn zu schildern, sondern weil dieser Gegensatz eine Thatsache war, die sich überall von selber aufdrängt und zwar heute noch weit stärker als vor zwanzig Jahren.
Die äußere Erscheinung in Gestalt und Haltung, Rede und Gebärde, die Lebensweise, der Lebensgang von Anfang bis zum Ende, Regierungsmaximen, Neigungen und Liebhabereien – alles war bei König Max II. und König Ludwig II. so grundverschieden, wie es nur die überscharf charakterisierende Phantasie eines Dichters hätte aussinnen können. Und doch hatten beide eines gemeinsam: den Adel und die Reinheit der Gesinnung und den hohen Idealismus, mit welchem sie ihre Lebensaufgabe erfaßten.
Als ich bald nach dem Tode König Maximilians dem früheren Kronprinzen Ludwig – nun dem Könige Ludwig – bei einer offiziellen Audienz zum erstenmal wieder gegenüberstand, war ich tief bewegt – von dem Auge des Königs. Ich glaubte plötzlich, in das Auge des heimgegangenen Vaters zu sehen! Es war derselbe Blick voll Güte, Seelenreinheit und Poesie. Aus diesen Augen sprach, was den beiden grundverschiedenen Naturen des Vaters und des Sohnes doch gemeinsam war: der Adel der Gesinnung und der begeisterte Idealismus.
König Maximilian II. von Bayern hatte in seinem ganzen Wesen wenig Leidenschaftliches, aber eine Leidenschaft erfüllte ihn, welche bei Fürsten selten sein mag: – die Leidenschaft zu lernen.
Er erzählte gern von seiner Göttinger Studentenzeit und versicherte, daß er ein echter und ganzer Student und nicht bloß ein »studierender Kronprinz« gewesen sei, daß er jeden Tag pflichtlich mit der Mappe unterm Arm ins Kolleg gegangen und seine Hefte so sorgsam ausgearbeitet und studiert habe wie irgend einer. Man durfte das wohl buchstäblich nehmen. Besonders tief ergreifend hatten damals Heerens Vorträge auf ihn gewirkt, und er bewahrte diesem Gelehrten durchs ganze Leben das treueste Andenken. Das gelegentliche Wort eines unsrer Freunde, daß Heerens Leistungen von der neuen Historiographie überwunden und großenteils veraltet seien, verletzte ihn tief. Nach seinem Wunsche sollte die Geschichte den verehrten Mann mit derselben Pietät auffassen, welche er ihm persönlich zollte.
Aehnlich erging es ihm mit Schelling, den er als seinen philosophischen Lehrer allezeit in höchsten Ehren hielt, »Schelling, der große Philosoph«, so ließ er auf den Sockel des Denkmals schreiben, welches er ihm in München errichtete, und diese Wortfügung war wohl bedacht und im strengsten Sinne gewählt. Auf dem Grabstein, welchen er Schelling in Ragatz errichtete, hat er den Philosophen als den Lehrenden und sich als den Lernenden darstellen lassen. Allein es entging dem Könige dann doch nicht, daß Schellings Philosophie später nicht mehr das Ansehen behauptete, wie in früherer Zeit, er sah den Stern des Meisters stark erbleichen. Es fiel ihm schwer, sich darüber zu beruhigen, und er fand den Grund hauptsächlich in dem äußeren Umstande, daß Schelling zu lange gesäumt habe mit der Herausgabe seiner späteren abschließenden Werke. Der tiefere Grund, welcher in der Wissenschaft Schellings selbst liegt und in den neuen Bahnen des Wissens, die ein neuer Geist des Forschens inzwischen eröffnet hatte, war dem rastlos fortarbeitenden Könige nicht verborgen. Allein er scheute sich, ihn in ganzer Schärfe auf einen Lehrer anzuwenden, an dem sein Herz mit warmer Jugendliebe hing.
Dagegen bot es ihm große Genugthuung zu sehen, wie ein dritter Meister und Lehrer, Leopold Ranke, trotz vorschreitenden Alters, sich auf der Höhe seines Wirkens behauptete, ja emporwuchs. Könige und andre Menschenkinder wollen so gern, daß große Geister und große Geisteswerke, an denen sie sich erzogen haben, der Zeit nicht verfallen möchten. Ist es uns doch, als ob mit diesem Verfallen auch schon ein Stück von uns selbst dahinsinke! – Erschien ein neues Werk von Ranke, so mußte es alsbald und von Anfang bis zum Ende gelesen werden, auch wenn die Zeit des Königs gerade knapp bemessen war, oder der Inhalt des Buches seinen Studien fern lag. Er wollte den Arbeiter ehren, indem er mitarbeitete, den Meister, indem er von ihm lernte. Dies war sein oft ausgesprochener und bethätigter Grundsatz.
In dem letzten Lebensabschnitte des Königs ist diese Ehre des Mitarbeitens und Lernens wohl keinem unmittelbarer zu teil geworden als Liebig. Poesie, Philosophie und Geschichte hatten dem Könige seit den Jünglingsjahren nahe gelegen, auf ihrem Gebiet fühlte er sich heimisch; die Naturwissenschaft, namentlich nach ihrer exakten Methode, stand ihm fern. Allein er ahnte die umbildende theoretische Macht dieser modernen Wissensgruppe und erkannte wohl noch klarer ihren praktischen Einfluß auf das ganze Volksleben. Darum berief er nicht nur den berühmtesten deutschen Forscher an die Münchener Hochschule, sondern er zog ihn auch persönlich in seine Nähe, um mit schwerer Mühe – denn das Lernen ward ihm niemals leicht – wenigstens einige Anschauung der neuen und fremden Weisheit zu gewinnen und genügendes Verständnis ihrer Anwendung auf die Bedürfnisse des Lebens. Die naturwissenschaftlichen Gespräche und Vorträge in dem gelehrten Freundeskreise des Königs, woran neben Liebig später auch der Physiker Jolly, der Anatom Bischoff u. a. teilnahmen, boten für den Beobachter des Fürsten ein ganz besonderes Interesse. Er stellte anfangs wohl manche wunderliche Frage, lernte aber rasch treffendere Fragen stellen, weil es ihm so ernst war, die Antwort zu begreifen. Vornehme Leute fragen überhaupt gern, warten aber häufig die volle Antwort nicht ab, weil sie gewohnt sind, nur nippend und naschend die Probleme eines ernsten Gespräches zu berühren. König Max konnte auch antworten hören, und zwar um so gründlicher, je besser er allmählich fragen lernte. Wo er den Sinn eines Satzes nicht ganz erfaßte, da ruhte er nicht eher mit Gegenfragen, bis er Klarheit gewonnen hatte. Ich habe niemand gekannt, der gleich ehrlich die Lücken seines Wissens und die Mühsal seiner Erkenntnis eingestanden hätte. Darum nahm er's auch nicht übel, wenn ihm einer im Feuer der Debatte rundweg sagte: »Majestät, das verstehen Sie nicht!« Nur verlangte er dann, daß ihn der scharfe Kritiker auch ebenso rund des Richtigen belehre.
Mancher Fürst wähnt, als Prinz habe er zwar offenkundig lernen dürfen, nach der Thronbesteigung hingegen heische es der Nimbus der Majestät, daß er vor Dritten immer nur als Wissender erscheine und also höchstens noch heimlich nachlerne. Und vielleicht hat aus diesem Grunde manches gekrönte Haupt niemals nachgelernt, was es ungekrönt zu lernen versäumte. Von Maximilian II. konnte man umgekehrt sagen, daß er als König noch offener und eifriger an seiner Fortbildung arbeitete, denn als Kronprinz.
Als ich im Sommer 1854 als jüngster Professor und im ersten Semester meines akademischen Lehramts über »Ethnographie von Deutschland« las, schickte der König, den dieser Gegenstand besonders anzog, einen Stenographen in mein Kolleg, um sich das vollständige Heft zur Herbstlektüre nach Hohenschwangau mitzunehmen. Als mir jedoch der Stenograph die Reinschrift überreichte, erkannte ich so klar die Unvollkommenheit meines freien Vortrags und die nicht minder große Unvollkommenheit der stenographischen Kunst, daß ich vier Ferienwochen opferte, um das Heft in bessere Form zu bringen.
Nun könnte man aus all dem vorher Gesagten den Verdacht schöpfen, als sei König Max ein »gelehrter« Fürst gewesen, und Gelehrte auf dem Throne waren nicht selten schwache Regenten, die über verfeinertem wissenschaftlichen Genußleben die nächsten Pflichten ihres Berufes vergaßen. Allein er war keineswegs ein Gelehrter und wollte es auch nicht werden. Der Trieb des reinen Forschens, welcher den Gelehrten macht, führte ihn nicht zur Wissenschaft, sondern die Erkenntnis, daß universellste Bildung dem modernen Fürsten unerläßlich sei.
Er lernte aber auch keineswegs bloß um seiner selbst willen, sondern viel mehr noch, weil er sein Volk zum Lernen drängen wollte. Denn sein großer Lebensplan stand dahin: das bayrische Volk durch freie Bildung höher zu heben und in jenes Gemeinbewußtsein der deutschen wissenschaftlichen Kultur zurückzuführen, das ihm während des 17. und 18. Jahrhunderts teilweise abhanden gekommen war. In diesem praktischen Sinne lernte er mit den Gelehrten, während ihm für jene idealste Wissenschaft und Kunst, welcher lediglich die Wahrheit und Schönheit Selbstzweck ist, das volle sympathische Verständnis wohl minder eigen war.
Ich berühre hier eine Schranke in der Natur des Königs und will meine ehrliche Ueberzeugung noch weiter aussprechen.
König Max war ein receptives, kein schöpferisches Talent; ein gesund begabter, kein hochbegabter Geist. Sein Vater, der alte König Ludwig, überragte ihn an sprühender, zündender Geisteskraft; der Sohn dagegen überragte den Vater in der Stetigkeit und Selbstzucht des Charakters. Die Bildung des Vaters war ureigener, sein Geist genialer; die Bildung des Sohnes harmonischer. Die Größe des Sohnes quoll darum nicht, wie beim Vater, aus der Hingabe an die Inspirationen seines Genius, sondern gegenteils aus dem steten pflichttreuen Kampfe mit sich selbst, aus der Selbstbezwingung, die ihn zur Leidenschaft des Lernens führte und die sich ebenso gut in den traulich-ernsten Unterhaltungen mit seinen Poeten und Gelehrten aussprach, wie in dem späteren Umschwunge seiner Regierungspolitik. Als die politische Welt im Jahre 1848 sich ganz anders drehte, als König Ludwig I. erstrebt und erwartet hatte, da konnte dieser eigenherrische Geist nicht weiter mitgehen und sprach: »Ich mag nicht länger König sein!« Als dagegen König Max im Jahre 1859 eine Krisis der inneren Politik Bayerns hereinbrechen sah, die seinem Dichten und Trachten kaum minder widerstrebte, zwang er sich zum Frieden mit seinem Volke; er suchte politisch von vorn zu lernen und wurde nun erst recht König. Und dennoch konnte er den tragischen Konflikt seines innersten Wesens nicht ganz überwinden; dieser Konflikt ist mit ihm ins frühe Grab gesunken. Aber die eigensten Unternehmungen für die Kultur seines Volkes hat er doch geschaffen, bevor er die Worte sprach: »Ich will Frieden haben mit meinem Volke!« War etwa dieser Friede nur Entsagung?
Ich konnte diesen Aufsatz mit friedlichen kleinen Notizen über des Königs Leidenschaft zum Lernen beginnen, den ich mit der Darstellung jenes tragischen Konflikts schließen will – scheinbar im unvermittelten Sprunge der Gegensätze, Und doch werden Anfang und Ende sich die Hand reichen.
Der König lernte aus Büchern, aber mindestens ebenso gern auf der Reise, auf der Jagd, im ungezwungensten persönlichen Umgang mit seinem Volke. Wenn je ein Fürst sein Volk begeistert geliebt hat, dann war es König Max II.
War er aber im Verkehr mit seinem Volke ganz der Bayer, so fragte er bei den Männern der Litteratur und Wissenschaft, die er in seine Nähe zog, nicht nach dem Heimatschein. Auch Kunst und Wissenschaft wurzeln im örtlichen Boden, doch ihre Früchte gehören der Nation und der Welt.
Das Jägerleben, welches ihm Land und Leute erschloß, und der trauliche Verkehr mit Dichtern und Gelehrten, der ihm eine weite Welt des Geistes erschloß, hielten sich bei ihm die Wage.
Den letzteren Verkehr wußte er sich in ganz eigener Weise zu organisieren.
Es ist seinerzeit viel gefabelt worden über die gelehrte Tafelrunde des Königs Max; ich will darum hier das einfach Thatsächliche erzählen, wie ich es als regelmäßiger Teilnehmer an derselben während nahezu zehn Jahren kennen gelernt habe. Ich beschränke mich aber – wie überhaupt bei dieser ganzen Charakterskizze – auf die letzten zehn Lebensjahre des Königs (1854–64) aus zwiefachem Grunde: einmal weil ich bloß Selbsterlebtes mitteilen will, und dann, weil dieses Jahrzehnt, wenn wir noch ein früheres Jahr hinzunehmen, zugleich einer abgerundeten Periode im Leben und Wirken des Fürsten entspricht. Denn seit 1853, wo eben die vielberufenen »Berufungen« begonnen hatten, traten auch die kulturhistorischen Reformpläne des Königs rasch und im vollen, weittragenden Zusammenhange ins Leben.
Anfangs sprach man nur von dem »Dichterkreise«, welchen der König allwöchentlich einmal zum Souper und Billard bei sich versammle. In der That überwog von 1853–55 das poetisch-litterarische Interesse. Der Mann, welchem neben der königlichen Initiative das Verdienst der ersten Anregung und Organisation dieser Zusammenkünfte gebührt, Dönniges, war Diplomat, Gelehrter und Poet zumal; Geibel, der nicht bloß durch seine Verse, sondern auch durch seine Persönlichkeit die besondere Zuneigung des Königs gewann, entwarf und leitete meist das poetische Programm des Abends; Heyse, Schack, Bodenstedt kamen hinzu, Kobell, Pocci, Thiersch vertraten das ältere Münchener Element. Schon um die Räume, wo wir uns versammelten, wob sich der Zauber der Poesie. Durch seit Jahren unbenutzte Prunkzimmer eines Seitenflügels gelangte man in ein schönes, reiches Rokokogemach aus der kurfürstlichen Zeit, dessen Wände mit alten Historienbildern, Porträten und Landschaften, gleich einer Gemäldegalerie, bedeckt waren; ein völlig einsamer, stiller Raum, wohin nicht das leiseste Geräusch von außen drang, vornehm und reich ausgestattet und doch so traulich, ein Asyl des Friedens inmitten des belebten Residenzschlosses. Hier stand der einfache Tisch mit der grünen Lampe, um welchen wir so manchen Abend saßen, in ernste Gespräche vertieft, oft auch erregt in stürmischer Debatte.
Dem Könige zur Rechten saß allezeit Liebig, zur Linken Geibel. Das »Souper« war höchst einfach; der König pflegte nicht mit zu essen. Vor seinem Teller stand eine Glocke, deren Handgriff durch eine kleine Statuette Friedrichs des Großen gebildet war, zur Linken stand ein Glas Wasser, dem er fleißig zusprach, und zur Rechten lag ein großes Stück – weißer Kreide. Nachdem ich diese geheimnisvolle, niemals benützte Kreide jahrelang bemerkt hatte, fragte ich endlich den Adjutanten, Baron Leonrod, was denn die Kreide zu bedeuten habe. Hierauf erzählte mir derselbe, vor etwa acht Jahren habe Liebig einmal für die nächste Zusammenkunft ein Stück weißer Kreide gewünscht, um dieselbe zu irgend einer Demonstration zu benützen. Der König habe hierauf sofort dem aufwartenden Diener befohlen, das nächste Mal ein Stück Kreide auf den Tisch zu legen. Das sei geschehen. Die Demonstration wurde aber nicht gemacht, und die Kreide, als nicht abbestellt, kam immer wieder, und die Bedienten glaubten zuletzt, sie gehöre zu den persönlichen Tischbedürfnissen Seiner Majestät, und legten sie acht Jahre lang pflichtlich neben deren Teller. Man hätte die Kreide als ein Symbol des konservativen Geistes und historischen Sinnes betrachten können, der am Hofe herrschte, allein vielmehr bekundete sie doch, daß der König für die allernächsten Aeußerlichkeiten kein Auge hatte, wenn ihn sein Geist in andre Regionen trug. Und hierfür könnte ich noch vielerlei pikantere Züge anführen.
Ein an das Zimmer unsrer Tafelrunde anstoßender Saal im style de l'empire aus der Zeit Max Josephs enthielt das Billard, auf welchem wir nachgehends ein oder zwei Partien spielten, um dann zum Anhören eines Gedichtes und zum Abendessen noch einmal in das Rokokozimmer zurückzukehren. Ein Thronhimmel an der Wand, dem aber der Thron und die übrige ebenbürtige Ausstattung des Raumes fehlte, zeigte an, daß dieser Billardsaal früher vornehmeren Zwecken gedient hatte. Wie der König erzählte, war er selber hier getauft worden, und er erklärte es für ein gutes Zeichen, daß Platen bei seiner Taufe als Page fungiert habe.
Vor allen Künsten liebte König Max nicht nur die Poesie zumeist, er übte sie auch und trug sich mit dem Gedanken, seine Gedichte drucken zu lassen. Als ihm jedoch Geibel, dem er dieselben zur vorläufigen Kritik übergeben, davon abriet, legte er sie ruhig wieder in das Pult mit jener Selbstbescheidung, welche ihm durchweg eignete.
Da König Ludwig I. so viel für die bildende Kunst gethan, mußte dem Könige Max die Idee fast von selbst kommen, nun seinerseits Aehnliches für die Dichtkunst zu leisten. Er fiel dabei in den Irrtum, als ob man die Poesie gleich den monumentalen Künsten an einen örtlichen Boden binden, als ob man eine Dichterschule gründen könne gleich einer Kunstschule, vielleicht auch Aufträge zu Dichtwerken zu geben vermöge wie zu den Werken der Maler, Bildner und Baumeister, und als ob sich die vorzüglichsten Arbeiten der Poeten durch Preisausschreibungen ans Licht ziehen ließen. Wenn er und andre solches erwarteten, so sahen sie sich getäuscht; die Natur der Poesie wird allezeit derartiger Versuche spotten. Allein trotzdem hatte König Max doch nicht vergebens Dichter an seinen Hof berufen und überall in Deutschland, oft ganz im stillen, poetische Talente ermuntert und gefördert.
Es war durchaus bedeutsam, daß der König mit den Poeten anfing und mit den gelehrten Specialisten schloß. Der »Dichterkreis« war die Ouvertüre, die »Historische Kommission« das Finale. Nur auf diesem Wege konnte der Fürst zu seinem universellen Wirken kommen, auf dem umgekehrten wäre er selbst im gelehrten Specialismus stecken geblieben; für einzelne Forschungen hätte er vielleicht mehr geleistet, für die geistige Anregung seines Volkes, für die Befreiung Bayerns von einem altererbten Bildungspartikularismus ohne Zweifel weniger. Seit länger als einem Jahrhundert hat die deutsche Wissenschaft immer in nächster Fühlung mit der Kunst, insbesondere mit der Poesie gestanden, und der wissenschaftliche Geist unsrer besten Dichter, der künstlerische unsrer größten Gelehrten bedingt den eigentümlichsten Glanz unsrer Nationallitteratur. Ob der König dies klar erkannte, ob er es bloß ahnte? ich weiß es nicht. Jedenfalls handelte er demgemäß.
Uebrigens hatten die gesellig heiteren Zusammenkünfte des Dichterkreises schon frühe einen lehrhaften Anstrich. Mit dem Vortrage der eigenen neuesten Arbeiten wechselten planvoll geordnete Proben aus der Weltlitteratur aller Zeiten, und die kritische und kunsthistorische Debatte ergab sich dann von selbst.
Nun war aber schon durch Liebig ein rein wissenschaftliches Element in den Dichterkreis gekommen, andre Gelehrte wurden gleichfalls als Stammgäste geladen, und so bildete sich – seit 1855 – der Dichterkreis unvermerkt in einen Gelehrtenkreis um. Die Dichter fehlten zwar niemals, und ein Gedicht gab dem Abende auch fürderhin seinen künstlerischen Schmuck und Abschluß. Allein die Wissenschaft gewann denn doch die Vorhand, ja nicht selten leitete sie uns von der Theorie zur Praxis, zur Erörterung politischer, socialer, wirtschaftlicher Fragen des Tages. Wir selbst begannen unsre Tafelrunde um diese Zeit nicht mehr den »Dichterkreis«, sondern das »Symposion« zu nennen; offiziell und im Munde des Königs hatte sie gar keinen Namen. Die Einladungen lauteten: »zum Billard«.
Ich bezeichne aber diese zweite Periode, welche unter der Hand aus der rein poetischen hervorgewachsen war, als die encyklopädische; das Wort paßt dann nicht bloß auf unsre Zusammenkünfte, sondern auch auf die ganze Kulturpolitik, wie sie der König in den Jahren 1855-59 energischer und selbständiger als je zuvor und nachher, ja mit einer drängenden Hast entwickelte, als fühle er, daß ihm nur noch kurze Frist vergönnt sei. Die Hauptwerkstätte seiner mannigfachen Bildungspläne war in jenen vier Jahren – aber auch nur damals – ohne Zweifel das Symposion. Früher war Dönniges der fast ausschließliche Berater des Königs in diesen Dingen gewesen; seit dem Herbst 1855 befand sich derselbe aber in diplomatischer Sendung in Turin, und obgleich ihm der König seine persönliche Freundschaft niemals entzog, war doch ein gewisses Erkalten eingetreten, und überdies gestattete die neue Stellung Dönniges doch nur nach längeren Zwischenräumen bei Hofe zu erscheinen.
Bei einem solchen späteren Gastbesuche im Symposion fand Dönniges einmal – in etwas aufgeregter Stimmung – sein besonderes Vergnügen daran, allerlei Stiche und Hiebe gegen mich auszuspielen, auf die ich nur lässig oder gar nicht antwortete. Nachher fragte mich der König, warum ich Dönniges seine Hiebe nicht energischer zurückgegeben habe. Ich sagte, das hätte ich wohl gemocht und auch vermocht, allein ich hätte es nicht für schicklich gehalten, am Tische Seiner Majestät energische Hiebe auszuteilen.
Jener allseitige und unmittelbare Einfluß, den Dönniges bis 1855 besessen, ging später auf keinen Einzelnen mehr über.
Der König verteilte vielmehr die Aufgaben unter die bevorzugteren Genossen seiner Tafelrunde, und legte dadurch, wie schon bemerkt, den Schwerpunkt in das Symposion selbst.
Der Kreis der geladenen Gäste erweiterte sich, und die sehr verschiedenartigen Persönlichkeiten stellten für sich schon eine kleine Encyklopädie dar. Aus der bunten Reihe erwähne ich neben den stammhaltenden Dichtern Geibel, Heyse, Schack, Bodenstedt, Kobell und meiner Person die Gelehrten Liebig, Bischoff, Jolly, Thiersch, Sybel, Löher, Bluntschli, Dollmann, Carriere, Gietl, Windscheid, Siebold, Pettenkofer, Cornelius, Hermann, Ringseis, und die Künstler Kaulbach, Piloty, Pocci, Klenze, Adam u. a., wobei nicht vergessen werden darf, daß auch unter den Kavalieren des königlichen Dienstes Männer sich fanden, die, wie von der Tann und Spruner, an den wissenschaftlichen Aufgaben des Abends ebenso berufen als eifrig teilnahmen. Bei der Zahl der Vorgenannten ist aber dann doch wieder ein engerer und ein weiterer Ring zu unterscheiden: regelmäßige Gäste, oder richtiger mitarbeitende Gäste, auf welche bei den Vorträgen und den nachfolgenden privaten Beratungen des Königs gezählt wurde, und Ehrengäste, die ab und zu einmal gebeten waren. Ich habe bei meiner Aufzählung der Gelehrten die ersteren vorangesetzt. Auch durchreisende Berühmtheiten, die bei Hofe vorgestellt waren, erhielten zuweilen eine Einladung zum Symposion. Von fremden Fürsten erinnere ich mich nur des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin.
Meistens waren wir unser zwölf, selten mehr: dreizehn durften es niemals sein, der König fürchtete die verhängnisvolle Zahl. Als einmal in Hohenschwangau, trotz aller Vorkehr, dennoch der dreizehnte Mann durch Zufall an den Tisch kam, mußte einer der Adjutanten an einem der kleinen Tischchen in der Ecke Platz nehmen. Wir nannten dies »am Altar des Aberglaubens – essen«.
Anfangs fanden die Symposien einmal in der Woche statt; von 1856-59 wurden sie häufiger, ja es gab eine Zeit, in der wir vier- bis fünfmal wöchentlich geladen waren, so daß sich die Teilnahme für unsre engere Gruppe der Stammgäste zu einer Art regelmäßigen und nicht immer mühelosen Dienstes steigerte. Mit der tiefen inneren und äußeren Veränderung, die seit 1859 in der Person des Königs eintrat, wurden auch die Symposien unregelmäßiger und immer seltener; sie bestanden aber doch fort bis wenige Tage vor seinem Tode.
Methodisch in allen Dingen, brachte der König später auch eine Art Geschäftsordnung in das encyklopädische Symposion. Er gliederte den Abend in zwei Teile, ich möchte sagen, in einen theoretischen und einen praktischen. Der zweite war wichtiger als der erste; aber wer nicht zu den Eingeweihten zählte, wer nur gelegentlich einmal als Ehrengast erschien, der merkte gar nicht, was alles im zweiten Teile vorging und entschieden wurde. Der eine Akt spielte in dem Rokokozimmer, wo wir bei einem kleinen Imbiß und nachher der Zigarre – dem modernen Symbol der ausgleichenden Vertraulichkeit – versammelt saßen, um einen Vortrag anzuhören und das Thema im allgemeinen Gespräche weiter zu erörtern; der andre Akt im Billardsaale. Hier bildeten sich Gruppen während der Pausen des Spieles, man ging auf und ab, und der König sprach mit Einzelnen unter vier Augen. Er beriet sich über seine Pläne, gab und entwarf Aufträge und nahm mündliche Berichte über den Fortgang der von ihm angeregten Arbeiten entgegen. Dazu konnte man bei dieser Gelegenheit auch unaufgefordert ein offenes Wort mit ihm reden. Fremde, welche sich über die langen Spielpausen wunderten, merkten es freilich nicht, daß inzwischen vielleicht ein weittragendes Unternehmen beredet und beschlossen worden war, wenn der König endlich ein paar Worte in sein kleines Notizbuch schrieb oder sich auch kurzweg einen Knopf zu mehreren bereits vorhandenen Knöpfen ins Taschentuch machte, um dann wieder unter die seiner Kugel harrenden Billardspieler zurückzukehren.
Wer aber wähnt, daß dabei etwa ein Protektions- und Günstlingswesen sich breit gemacht habe, der schwebt in starkem Irrtum. Der König suchte seine Ratgeber allerdings auch außerhalb der amtlichen und höfischen Kreise, und ihr Rat hatte Einfluß. Doch immer nur in sehr gemessenen Schranken. Ganz im Einklange mit seiner methodischen Art, sah er in jedem von uns den Vertreter eines besonderen Faches, und praktischen Erfolg hatte fast allezeit nur, was der einzelne aus dem Gebiete dieses Faches, gefragt oder ungefragt, vorbrachte. Wohl hörte er uns mitunter auch gern über Dinge reden, die wir nicht gerade aus der Schublade unsres »Faches« holten, aber das Notizbuch hat er dann kaum jemals hervorgezogen, ja nicht einmal das Taschentuch. Was der einzelne je aus seinem Fachkreise mitteilte, das schien ihm beachtenswert, was er etwa darüber hinaus vortrug, und wäre es noch so originell und bedeutsam gewesen, flüchtige Unterhaltung. Das Symposion als Ganzes war encyklopädisch, und der König, welcher unsre Verhandlungen an kaum merkbaren Fäden sicher leitete, die Encyklopädie in Person; aber der Einzelne unter uns sollte beileibe kein Encyklopädist sein.
Aeußerst empfindlich wurde der König berührt, sowie er merkte, daß irgend jemand persönliche Ziele erstrebte, oder überhaupt auch sachlich einen herrschenden Einfluß üben wollte. Seine Person vordrängen, war das sicherste Mittel, von ihm zurückgeschoben zu werden, ja selbst die beste Sache, welcher man etwa dabei dienen wollte, zu verderben.
König Max fürchtete sich argwöhnisch vor allem Günstlingswesen. Wer daher seine Freundschaft – ich sage absichtlich nicht seine »Gunst« – dauernd zu bewahren wünschte, der mußte warten, bis er gefragt wurde, dann aber ehrlich und geradeaus antworten, gleichviel ob er angenehme oder unangenehme Wahrheiten zu sagen hatte; er mußte den Umgang mit dem Könige betrachten wie den Umgang mit einem hochgeachteten Privatmanns, wobei das Vergnügen und die gegenseitige geistige Frucht des Verkehrs das einzige Ziel ist und der einzige Lohn. Auch der König faßte den geselligen Umgang mit seinen Freunden, sei es an den Münchner Abenden oder auf der Jagd und Reise, durchaus im Geiste des liebenswürdigen Wirtes; das bekundete seine ganze Haltung, das bezeugten aber auch seine ausdrücklichen Worte: er ließ niemals merken, als wolle er uns eine Gunst oder Ehre erweisen, dagegen dankte er uns um so anmutiger für unsre Ausdauer und frische Teilnahme. Das war denn freilich die reinste Gunst und Ehre, und er hatte ein Recht zu erwarten, daß wir dieselbe mit gleichem Zartgefühl erwiderten und uns allen vordringlichen Wesens, aller eigennützigen Wünsche und Pläne, sowohl ihm selbst gegenüber als nach außen, streng enthielten.
Der König war karg mit seinem Lobe; er erwartete aber auch von uns keine Schmeicheleien. Jener litterarische Kreis zählte Männer genug, welche ihn in der Presse laut hätten lobpreisen können und die, was mehr ist, auch Geist und Geschick besessen hatten, ihn geschmackvoll zu preisen. Keiner von uns hat das gethan, und der König würde es auch von keinem begehrt haben. Das hätte auch dem ganzen Wesen unsres gegenseitigen Verhältnisses widersprochen: einen Gönner mag man öffentlich rühmen, einen treuen Freund rühmt man nur in der Stille.
Indem König Max sein Ziel möglichst weit steckte, und nicht bloß eine Kunst, eine Wissenschaft fördern wollte, sondern Kunst und Wissenschaft, verfiel er in einen inneren Zwiespalt, der allerdings zunächst ein persönlicher war, aber tiefer gefaßt, zugleich ein Seelenkampf unsres ganzen Zeitalters genannt werden muß. Nur wer Specialist und Universalist zugleich ist, kann im Leben wie in der Lehre Großes leisten, und doch schließt die eine Eigenschaft – scheinbar – die andre aus.
Gerade als Fürst setzte der König seinen Ehrgeiz darein, auf jeglichem Geistesgebiete anzuregen und aus dem Vollen und Ganzen heraus das Gesamtleben seines Volkes zu höherer Reife emporzuführen; als rastlos lernender Fürst hegte er den Stolz, die Arbeitskreise genauer kennen zu lernen, welche er unterstützte, und als mitarbeitender Jünger, die Meister und die Kunst zu ehren. Je tiefern Einblick er aber gewann in die moderne Wissenschaft, um so mehr fühlte er das Ungenügen seiner encyklopädischen Vielthätigkeit; denn diese Wissenschaft ist eben zum großen Teil Specialismus. Er fürchtete, sich selbst zu zersplittern, er fürchtete Zersplitterung seiner Geldmittel. Und doch hätte es ihm noch viel weniger genügt, wenn er sich einseitig beschränkt, wenn er bloß vereinzelte Zweige studiert und gefördert haben würde. Das hieße den großen Plan ganz aufgeben, welchen er als Kind einer philosophischen Epoche aus seinen Jugendjahren in diese neue unphilosophische Zeit mit herübergebracht hatte. Und die Jugend gibt doch immer unserm Leben Ziel und Richtung. Seine Reden, seine Pläne und Versuche spiegelten später immer deutlicher diesen wachsenden Einblick in den wachsenden, unlösbaren Konflikt.
Er suchte Hilfe durch allerlei kleine Hausmittel. Und weil er nun so gar schwer zu Rande kommen konnte mit der unendlich zerstreuenden, vielgestaltigen Arbeit, so begehrte er häufig, wie sein stehendes Lieblingswort lautete, die »Quintessenz« vorgetragen zu haben von einem neuen Buche, einem neuen gelehrten Problem, ja vom Inhalt einer ganzen Wissenschaftsepoche, und konnte mit diesem Wort auch unverzagte Leute in rechten Schrecken setzen. Denn bei einer wirklichen Destillation mag zuletzt der »Geist« in konzentriertester Form in der Flasche sitzen; destilliert man aber Geisteswerke auf die kürzeste Formel ihres Inhalts, so bleibt zuletzt oft bloß das Wasser übrig. Und so befriedigte denn auch diese Quintessenz den König sehr selten. Freilich lagen ihm auch Probleme und Autoren und Bücher am Herzen, bei denen er sich keineswegs mit der bloßen Quintessenz begnügte, sondern die er selbst voll und gründlich durcharbeitete. Solche Bücher, welche ihm dann oft wieder nicht ausgeführt genug waren, füllte er mit eigenhändigen Bleistiftnoten, mit Strichen und Frage- und Ausrufzeichen und rastete nicht, vom Verfasser Weiteres, Eingehenderes mündlich oder schriftlich zu erfahren.
Da aber bei des Königs vielseitigen Arbeiten trotz allen Fleißes doch immer gar viel zu summarischem Berichte übrig blieb, ward er wahrhaft erfinderisch in allerlei Formen von Auszügen und Übersichten. Nicht bloß von Büchern, zu deren eingehender Lektüre ihm die Zeit mangelte, sondern auch von solchen, die er sorgsam studiert, ja nach seiner Weise kommentiert hatte, ließ er sich hinterdrein streng gegliederte Auszüge oder Dispositionen schreiben, um die gesuchte Quintessenz immer zur Hand zu haben. Er gab wohl auch Aufträge zu gedruckten Büchern und honorierte sie teuer, die nach seiner Absicht lediglich eine solche Ueberschau für seinen Handgebrauch bieten sollten. Meines Wissens sind aber diese Bücher, davon ich einige nennen könnte, niemals so kurz geraten, wie es der königliche Besteller gewünscht hat. Beiläufig bemerkt, sagte er sich nur schwer von dem Gedanken los, daß man auch heutzutage noch, wie zur Zeit der Karolinger und Ottonen, ein Buch bloß zur Privatlektüre für einen Einzelnen schreiben könne. Er hat derartige Bücher, die als Manuskript in seiner Bibliothek bleiben sollten, wirklich bestellt. So z. B. Lentners ethnographische Aufzeichnungen über das Königreich Bayern, wo er zugleich Inhalt und Gliederung so genau vorzeichnete, daß schon dadurch das Talent des Verfassers gefesselt bleiben mußte.
Ich stellte ihm vor, daß man wohl einen genauen, aktenmäßigen Bericht lediglich für sein Auge verfassen könne, aber niemals ein wirkliches, vom eigensten Geiste des Autors erfülltes Buch; denn dieser Geist werde nur in uns erweckt, wenn wir uns schreibend angesichts der Nation sähen. Als ich darum, zunächst auf seinen Wunsch und für seine Privatlektüre, meine »Augsburger Studien« niederschrieb, that ich dies nur unter der Vorbedingung, daß ich nach überreichtem Manuskript die Arbeit auch dürfe drucken lassen. Er bewilligte mir zwar diese Bedingung schriftlich und in aller Form, grollte mir aber doch noch einige Zeit, daß ich dieselbe gestellt, weil er darin meinen öfters getadelten Eigensinn wiederfand.
Neben den Uebersichten in Form einer großen Disposition ließ er sich besonders gern Tabellen anfertigen, auch wohl den Inhalt eines historischen, ethnographischen oder naturwissenschaftlichen Werkes auf eigens ausgeführten Landkarten summarisch versinnbilden. Es drängte ihn die Besorgnis, einmal gewonnenes Wissen wieder zu verlieren, und obgleich wirklich philosophischen Geistes, vermochte er den Trost nicht recht zu fassen, mit welchem sich auch der Gelehrteste täglich beruhigen muß: daß wir Alle hunderterlei Kenntnis unablässig wieder vergessen, hundert feine Gedankenfäden wieder verlieren, und daß doch all dieses trotzdem nicht vergebens erarbeitet war; denn aus den verlorenen alten Gedanken wachsen unvermerkt die besten neuen hervor. Und so besitzen wir das Vergessene oft eigener, als was uns wortgetreu im Gedächtnis geblieben ist.
Im Jahre 1856 gipfelte der encyklopädische Wissenstrieb des Königs, er sättigte und übersättigte sich.
Damals hatte er eine sogenannte »Wissenschaftliche Kommission« aus Männern der verschiedensten Fächer berufen, die unter dem Vorsitz des Kultusministers Vorschläge zur universellsten Förderung der deutschen Wissenschaft machen, eingehende Gesuche prüfen, zugleich aber auch in seinem Namen die berühmtesten Gelehrten an allen Enden des deutschen Vaterlandes zu selbständigen Vorschlägen auffordern sollte; denn der Blick des Königs war hier immer aufs große Ganze gewandt. Nun kamen, wie sich erwarten läßt, Vorschläge genug und übergenug, allein die wenigsten konnten berücksichtigt werden, und so erregte es draußen mancherlei Mißstimmung, wenn Gelehrte wie Humboldt oder Jakob Grimm wiederholt mit der Bitte um Vorschläge angegangen worden waren, ohne einen Erfolg dieser Vorschläge zu sehen. Trotzdem hat die Kommission und mit ihr mancher auswärts Befragte bei aller undankbaren und peinlichen Arbeit viel Gutes gefördert und den ins Weite greifenden Plänen des Königs geschäftliche Regelung gegeben. Sie charakterisierte in ihrem Bestand die encyklopädische Periode. Später kam die »Historische Kommission«, ein Institut ganz andrer Art, nicht bloß bestimmt, Vorschläge zu machen und zu prüfen, sondern, mit reichen eigenen Mitteln ausgestattet, auch eigene Arbeiten selbständig auszuführen. Sie bezeichnet den Sieg des gelehrten Specialismus am Lebensabende des Königs.
Maßgebend war hierbei wohl der Einfluß Sybels und Rankes gewesen. Die »Wissenschaftliche Kommission« versank und wurde vergessen, die »Historische Kommission« steht heute noch in voller Wirkenskraft und hat zum dauernden Ruhm des Königs wesentlich beigetragen. Die erstere war aber doch seine eigenste Schöpfung gewesen; die andre bewies, daß er sich der besseren Einsicht seiner gelehrten Ratgeber nicht verschloß.
Der Poesie und der künstlerisch gestalteten wissenschaftlichen Litteratur huldigte König Max von Anbeginn und aus eigenem Triebe; zur Pflege der strengen Gelehrsamkeit hat er sich, wie zu manchem andern, erst allmählich selbst bezwungen, auch hierbei mit dem Gange der Zeit Schritt haltend, als ein rastlos Lernender.
Bei der Stiftung des Maximiliansordens (1853) hatte dem Könige der Gedanke vorgeschwebt, daß dessen Mitglieder, in eine wissenschaftliche und eine künstlerische Klasse geteilt, doch zugleich eine Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft darstellen sollten. Er dachte sich die Spitzen dieser »Ritter vom Geiste« als Künstler, die sich nicht (mit vielleicht bewundernswürdiger Virtuosität) in irgend ein enges Sondergebiet einspinnen, sondern mit einem reichen und formvollen Schaffen im gebildeten Geiste der Nation stehen, an Gelehrte, die nicht bloß begrenzt forschende Fachmänner sind, sondern auch als Schriftsteller in die Nationallitteratur hinübergreifen. Es schwebten ihm dabei die Zeiten Schillers und Goethes, Kants und Schellings vor. Er sprach diesen Gedanken so oft und deutlich aus, daß ich glaubte, derselbe müsse auch irgendwie im Ordensstatut angedeutet sein. Allein bei späterem Nachsehen fand ich dort nichts dergleichen.
Ich kehre aber zu jener encyklopädischen Periode von 1856 zurück. Für unsre abendlichen Zusammenkünfte wurde damals ein auf Monate hinausreichender Plan entworfen, demgemäß wir in Vorträgen und freier Diskussion den gegenwärtigen Stand sämtlicher Wissenschaften, je nach unsern Fächern, darstellen sollten. Das brachte eine Revolution in den gewohnten Gang des Symposions. Der engere Kreis der Stammgäste wurde erweitert, obgleich der König sich allezeit schwer entschloß, neuen Persönlichkeiten nahe zu treten, die Zusammenkünfte mehrten sich in raschester Folge, um das unabsehbare Pensum seinem Ende entgegenzufördern. Selbst beim Sommeraufenthalte des Königs zu Nymphenburg mußten wir hinüberkommen, um in den phantastischen Rokokoräumen der Lustschlößchen des Parks, angesichts der prachtvollen Wiesen und Baumgruppen, die deutsche Wissenschaft in Auszüge zu pressen, während wir wohl lieber die Poesie der umgebenden deutschen Landschaft genossen hätten. Allein der König war unermüdlich; er betrachtete die rasche und ununterbrochene Durchführung jenes Planes als wichtige, ja notwendige Arbeit. Ich möchte stark bezweifeln, daß ihn unsre Übersichten so ganz befriedigten, wie er's erwartet hatte; aber fruchtlos waren sie darum doch nicht. Sie machten ihn empfänglich für den spätern Plan der »Geschichte der Wissenschaften in Deutschland«, wie sie von der »Historischen Kommission« herausgegeben wird, ja man kann jene Abende wohl die Einleitung zu diesem großen Unternehmen nennen.
Behaglicher wäre es dem Könige sicher gewesen, seinen engeren Neigungen in Poesie und Litteratur nachzuhängen, und jene anstrengende Rundschau über alles Wissen war für ihn mehr ein Akt entsagender Arbeit als des Genusses.
Allein er hielt es für Regentenpflicht, universell zu sein, ins Große und Ganze wirkend, jedem geistigen Bedürfnis seines Volkes gerecht.
Viele Fürsten gewannen dadurch Ruhm, daß sie in glanzvoller Kunstpflege lediglich ihrer besondern Liebhaberei huldigten. Dagegen sind Fürsten sehr selten, welche über ihre Neigungen hinaus, ja denselben entgegen, die Pflege großer Gesamtgebiete mannigfachster Geistesarbeit zur Lebensaufgabe erkoren. Man könnte die ersten Mäcene aus Neigung nennen, die andern – Mäcene aus Grundsatz; wozu dann noch nebenbei auch die Mäcene aus Eitelkeit kommen. König Max zählte überwiegend zu den Mäcenen aus Grundsatz und doch zugleich auch aus Neigung.
Bewegte irgend eine Angelegenheit – gleichviel ob politischer oder andrer Natur – recht lebhaft den Geist des Königs, dann pflegte er vieler Leute Urteil darüber einzuholen, sei es mündlich, oder indem er sich ein schriftliches Gutachten erbat. Dieses Verfahren führte zu allerlei Mißverständnissen und getäuschten Erwartungen. Mancher Parteimann, der sich also mit dem Auftrage eines Votums für Seine Majestät beehrt sah, erblickte darin eine Hinneigung des Fürsten zu seiner Partei: er wußte nicht, daß der König genau dieselbe Frage auch an einen Vertreter der Gegenpartei gestellt hatte. Und da der König mit solchen schriftlichen Anfragen wohl auch Sachkundige überraschte, die ihm persönlich fern standen, so glaubte mancher, die königliche Gunst wende sich ihm da plötzlich zu, arbeitete eine höchst gründliche Denkschrift aus und sah sich im Geiste schon auf halbem Wege zum Kabinett oder zum Ministerium. Dem war aber nicht so: der König wollte nur eine Ansicht zu andern Ansichten hören, und je kürzer, desto besser.
Da nun dann der Autor von dem sachlichen oder persönlichen Erfolge seines Votums in der Regel nichts Weiteres erfuhr, so glaubten viele, diese Arbeiten seien völlig müßig, nur durch verfliegende Laune veranlaßt, und wanderten ungelesen zu den Akten. Das war aber wiederum irrig. Sie wurden gelesen. Wie und zu welchem Zwecke? Dies möge eine kleine Scene aus den Abenden unsrer Tafelrunde veranschaulichen.
Wir stritten lebhaft über die Frage, ob der ausgesprochene Parlamentarismus die Zukunft unsres modernen Verfassungslebens sein werde. Der König hörte schweigend zu. Da aber ganz entgegengesetzte Ansichten in unsrer Gesellschaft vertreten waren, gerieten wir derart ins Feuer, daß keiner mehr des andern Wort achtete, und unsre überlaute Debatte, wenn auch nicht über das parlamentarische, so doch über das höfische Maß weit hinausschwoll. Als wir dessen plötzlich inne wurden, entstand mit einemmal eine komische Generalpause. In der Stille nach so heftigem Sturm ergriff nun der König das Wort und sagte lächelnd: »Reden Sie nur weiter, ein jeder nach seiner Herzensmeinung; ich höre, bedenke und prüfe alle Ansichten, habe aber auch meine eigene, wenn ich sie gleich ganz still für mich behalte.«
Und gerade so verfuhr er bei den schriftlichen Voten, die er sich von allen Seiten ausbat.
Durch Hin- und Herfragen und endloses Prüfen und Erwägen ward dann allerdings manche drängende Sache verschleppt, und der König erschien dem entfernten Beobachter unentschieden im Handeln, säumig zur Arbeit. Ein Mann der rücksichtslos energischen That war er nun freilich nicht; aufreibend arbeitsam, fand er öfters gar schwer den Abschluß seiner Arbeit, das letzte Wort. Man kann in zweifacher Weise unentschieden sein: entweder weil man zu träge ist, sich zerstreut und der gebotenen Aufgabe nicht fest ins Gesicht zu sehen wagt; oder aber, weil man gar zu fleißig prüft, jede Möglichkeit gar zu peinlich erwägt und also der Aufgabe allzu fest ins Auge blickt. Der eine ist unentschieden aus Gewissenlosigkeit, der andre aus Gewissenhaftigkeit. An seinen schwankenden Tagen gehörte König Max zu dieser zweiten Gattung der Unentschiedenen.
Darum wähne man aber nicht, daß er keinen festen Willen gehabt oder seinen Willen nicht durchzusetzen verstanden habe. Im Gegenteil. War er nur erst einmal mit sich selbst im Reinen, wußte er, was er wollte, dann wollte er auch sehr nachhaltig und handelte rückhaltlos nach seinem Willen. Diese Thatsache läßt sich auch in folgendem Satze epigrammatisch aussprechen: Wer beobachtete, wie der König handelte und sich zum Handeln überwand, dem mochte er unentschieden dünken; wer aber nach seinem Tode überschaut, was er alles zäh und nachhaltig gethan und durchgesetzt hat, der nennt ihn einen Mann der planvoll folgerechten That.
Ein Denkmal seines unbeugsamen Beharrens bei einmal gefaßtem Beschluß ist der rätselhafte Bau des Maximilianeums in München und mehr noch die rätselhafte Stiftung, welcher der Bau dienen soll. Mit Grundidee und Plan dieser Stiftung stieß der König überall auf Widerspruch. Wenigstens wüßte ich niemand aus unsern Kreisen, der sich beifällig und ermunternd geäußert hätte, könnte aber manchen nennen, der von der Fortführung des bereits begonnenen Unternehmens abmahnte. Die Folge war, daß der König keine Silbe mehr von der Sache redete, dabei aber mit unerschütterlicher Konsequenz des einmal beschrittenen Weges weiter ging.
Doch nicht bloß aus diesem persönlichen Gesichtspunkte, sondern auch in einem tiefern, sachlichen Sinn erscheint die Stiftung charakteristisch für den Stifter. Zu Grunde lag eine vortreffliche Absicht. Der König hatte richtig erkannt, daß unsern Staatsbeamten nur allzu oft die freiere weltmännische Bildung fehlt. Glückt es einem Talent, durch eigene Kraft zu höhern ministeriellen oder diplomatischen Stellen sich empor zu arbeiten, dann kann der Mann am Ende nicht ordentlich französisch und englisch sprechen, es mangeln ihm die feinen geselligen Formen und vorab jene Vertrautheit mit Kunst und Litteratur, welche denn doch das Salz des edel verfeinerten Umgangs bildet. Hier hat der Sohn reicher und vornehmer Eltern, auch wenn im Kerne weit minder tüchtig, zumeist von Haus aus den Vorsprung vor dem begabtesten Kinde der niederen Volksschichten. Dies widersprach dem Gerechtigkeitssinne des Königs. Er wollte eine reichere Auswahl staatsmännisch befähigter Talente gewinnen, er wollte das Monopol der Geburts- und Geldaristokratie auf diesem Punkte durchbrechen und jedem Hochbegabten, der sich dem eigentlichen Staatsamte widmete, die Möglichkeit einer weltmännisch freien und vielseitigen Bildung erschließen. Das waren sehr richtige und humane Vorgedanken.
Nun folgte aber ein ganz idealistisches Projekt, dieselben zu verwirklichen. Ein monumentales Gebäude sollte aufgeführt werden, die Akropolis von München, in einem neuen Stile, welchen man durch Preisausschreiben finden zu können glaubte. Was den Geist erhebt, was uns ästhetisch erzieht, das sollte hier den lernenden Jüngling umgeben; die Weltgeschichte sollte ihm mahnend und ermunternd gegenüber treten, künstlerisch verkörpert in einer ganzen Galerie von Historienbildern der tüchtigsten Meister; und wie sich ihm die schönste Aussicht der Lebensbahn eröffnete, so sollte er auch von den offenen Galerien des hochragenden Hauses die allerschönste Aussicht über ganz München genießen. Die besten Studenten wohnen sonst mehrenteils in den Dachstuben; König Max wollte sie in einen Palast versetzen, dessen sich kein Fürst zu schämen brauchte. Gleichviel, ob der Student aus vornehmer oder geringer Familie stammte, ob Katholik oder Protestant, – war er nur der beste unter den besten Abiturienten sämtlicher Gymnasien gewesen, eine personifizierte erste Note, dann sollten sich ihm die Pforten des Palastes öffnen, dann war ihm hier für die Dauer seiner Universitätsjahre eine sorgenfreie, ja höchst behagliche Existenz verbürgt. Vor- und Nachhilfe zu den akademischen Studien sollte reichlich dargeboten sein, dazu Unterricht in all jener Kunst und Kenntnis, die zur breitesten weltmännischen Bildung gehört.
Vergebens wandte man dem Könige ein, daß ein pädagogisches Treibhaus für künftige Minister an sich schon die berechtigte Satire herausfordere, daß die besten unter den besten Gymnasiasten nicht einmal immer die besten Studenten, geschweige denn die künftighin berufensten Staatsmänner seien; daß der begabteste Jüngling, wenn er gar zu sorgenfrei und obendrein mit dem Wechselbrief auf eine glänzende Laufbahn in der Hand seine akademischen Studien beginne, weit größere Gefahr laufe als beim Kampfe mit der Not, jener gewaltigsten Erzieherin; daß man mit zwanzig Jahren zwar nicht leicht zu viel lernen, aber gar leicht zu viel geschulmeistert werden könne; daß die großen Geldsummen, welche jetzt nur sehr Wenigen zu gute kämen, durch die einfache Anlage in Stipendien, Reiseunterstützungen u. dergl. weit Mehreren und mit sicherer Auswahl fruchtbar gemacht werden könnten.
Alle diese Gründe verfingen nicht. Der König wollte etwas durchaus Neues, Sichtbares, Monumentales. Es ist so oft der Irrtum der wohlwollendsten Fürsten, daß sie alles von außen glauben »machen« zu können und nicht einsehen, wie sich das Beste von selbst macht, und also auch der Tüchtigste weit mehr sich selbst erzieht, als von andern erzogen wird. Und so hätten die richtigen Vorgedanken den König vielmehr bestimmen sollen, das bayerische Gymnasialwesen im Geiste einer Vorschule zum Selbstdenken, zur Selbsterziehung und zu praktischerer, allgemeinerer Bildung umzugestalten; dann könnten sich die staatsmännischen Talente – auch ohne erste Note – aus eigener Kraft hervorarbeiten und späterhin zu jeglicher individueller Förderung selbst legitimieren. Dies aber war die bedenkliche Lücke in dem großen Kulturplane des Königs, daß er über den Hochschulen viel zu sehr die Mittelschulen vergaß und den bureaukratischen Notenkram und die philologische Einseitigkeit der Gymnasien durch das Maximilianeum sogar noch mittelbar bekräftigte. Und doch hatte ihm bei letzterm eigentlich das entgegengesetzte Ziel vorgeschwebt.
Noch kurz vor seinem Tode ließ er die Dotation der hart befehdeten Stiftung in fester rechtsgültiger Form verbriefen; er ist diesem Lieblingsplan niemals untreu geworden, welcher gleicherweise als Urkunde seines humanen, idealen Strebens, seiner Willenskraft und seiner Verkennung der realen Verhältnisse fortlebt.
Und so bleibt denn auch jener Palast, der sich, ein seltsam phantastischer Bau, auf der Isarhöhe über alle Gebäude der Stadt erhebt, ein echtes Denkmal seines Gründers. Denn groß und weittragend war der allgemeine Grundgedanke, den der Bau versinnbildet. Andre Herrscher hatten vielleicht ein Fürstenschloß oder eine Kaserne an den schönsten, ringsum dominierenden Platz gestellt. König Ludwig II. gedachte auf jene Isarhöhe ein Opernhaus zu setzen, König Max dagegen wollte, daß ein Palast der Wissenschaft, der Erziehung und Bildung die Akropolis von München werde, ein Palast nicht der selbstgenügsamen reinen Wissenschaft, sondern eines Wissens, welches dem Staate unmittelbar zu dienen und ihm die tüchtigsten Lenker in hellenischer Weise zu erziehen berufen sei.
Der König besaß ein tiefreligiöses Gemüt; das bezeugt seine ganze Lebensführung. Aber die Religionsphilosophie lag ihm näher als die Theologie. Im Laufe der Jahre hat er Männer jeglicher Wissenschaft zu seiner gelehrten Tafelrunde geladen, nur einen Theologen von Fach erinnere ich mich niemals dort gesehen zu haben. Als er sich an einer langen Reihe von Abenden Bericht erstatten ließ über den gegenwärtigen Stand der Wissenschaften in Deutschland, fehlte wohl keine – die Theologie ausgenommen. Ob das Absicht war? Ich bezweifle es. Vielleicht hatte er sie nur vergessen; oder er glaubte sie auch schon enthalten in der Philosophie der Geschichte.
Doch nein! Wahrscheinlich glaubte er, daß jene praktische Theologie, welche nicht in der Philosophie enthalten ist, für die einsame Beschauung, für die Beratung unter vier Augen geeigneter sei, als für den geselligen Kreis. In diesem Sinne soll er wenigstens mit dem ebenso frommen als milden Abt Haneberg sich sehr eingehend über theologische und religiöse Fragen besprochen haben.
Nicht selten vertieften sich freilich die Gespräche unsres Kreises in religionsphilosophische Probleme, wobei der König den Schüler Schellings nicht verleugnete. Er war gläubig im Sinne eines mystischen Philosophen und werkthätig fromm. Hätte er zu Meister Eckharts Zeit gelebt, so wäre er vielleicht ein ganzer Mystiker geworden, oder zu Speners Zeiten ein Pietist, aber schwerlich irgendwann ein Orthodoxer.
Er liebte religiöse Gedankenpoesie, mochte sie sich in beschaulicher Betrachtung, in plastischer Bilderfülle, in rednerischem Odenschwunge oder in der naiven Intuition des geistlichen Volksliedes aussprechen. Das religiöse Pathos so vieler Gedichte Geibels war sicherlich ein mitwirkendes Motiv, daß er sich zu Geibel vor allen Dichtern der Gegenwart hingezogen fühlte. In demselben Maße aber, als ihn das positiv Erhabene religiöser Vorstellungen und Ideen ergriff und fesselte, stieß ihn die ironische Behandlung kirchlicher und religiöser Gegenstände ab. Ueberhaupt kein sonderlicher Freund selbst des genialsten Humors und der geistvollsten Satire, ertrug er's am wenigsten, daß man das satirische Messer an Mißbräuche und Verirrungen des religiösen Lebens setzte, auch wenn ihm dieselben an sich noch so verdammlich erschienen. Das ernst verurteilende Wort däuchte seinem zarten Sinne hier allein angemessen, nicht die spottende Verneinung.
Es gab eine Zeit, wo man sich hie und da ins Ohr flüsterte, König Max sei ein heimlicher Protestant, und als er im Jahre 1853 den »Johannisverein« gründete, – eine große konfessionslose Stiftung für milde Zwecke, – redete man auch von freimaurerischen Tendenzen. Der König lebte und starb als Katholik, und um die Maurerei hat er sich wohl kaum, auch nur aus Neugierde, bekümmert. Aber engherziger, ausschließender Konfessionalismus war ihm allerdings entschieden zuwider. Als Fürst eines paritätischen Landes glaubte er sich ganz besonders zum Hüter allgemeiner Toleranz berufen, und er betonte gern das Wort, daß das moderne Königreich und das alte Kurfürstentum Bayern zwar schon auf der Landkarte zwei ganz verschiedene Staaten seien, aber doch auf der Karte noch lange nicht so verschieden wie im Kern ihrer Staatsziele. Durch sein stilles, folgerechtes privates Wirken mehr noch als durch öffentliche Akte hat König Max den Rückfall Bayerns in die Kirchenpolitik der alten Kurfürstenzeit unmöglich gemacht. Denn er förderte den Bruch mit den Ueberlieferungen jener Zeit im Volksbewußtsein. Ein ultramontanes Ministerium kann in Bayern wieder einmal obenauf kommen; aber ein ultramontanes Volk werden die Bayern niemals wieder werden. Dafür hat König Max gearbeitet und – gelitten.
Weder bei der Wahl seiner Umgebung noch bei den wissenschaftlichen und künstlerischen Berufungen sah er auf die Konfession, wofern ihm nur der Mann tüchtig erschien. Auch ist es wohl charakteristisch, daß unter den Momenten der bayrischen Geschichte, welche er für die Fresken des Münchener Nationalmuseums auswählte, nur eine einzige der neueren kirchlichen Geschichte angehörige Scene sich findet: wie Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz die »Eintrachtskirche« zu Mannheim gleichzeitig durch einen reformierten, einen lutherischen und einen katholischen Geistlichen einweihen läßt.
Den öffentlichen Gottesdienst seiner Kirche pflegte der König gewissenhaft zu besuchen. Selbst auf der Reise und auf seinen Jagdzügen im einsamen Hochgebirge ließ er sich an Sonn- und Feiertagen irgendwo, und war es am Hausaltar eines Bauernhofes oder in der bescheidensten Feldkapelle, eine Messe lesen. Den protestantischen Reise- und Jagdgenossen stellte er's völlig frei, ob sie mitgehen wollten, sah es aber gern, wenn auch sie ihn in stiller Andacht umstanden. Doch zog er eine kurze Jägermesse einem langen, musikgeschmückten Hochamte vor. Der Prunk und Pomp großer katholischer Kirchenfeierlichkeiten war überhaupt wohl wenig nach seinem Sinn, obgleich er nicht versäumte, an dem feierlich glänzenden Aufzuge der Fronleichnamsprozession teilzunehmen. Hier, wie fast überall, stand er in scharfem Gegensatze zu seinem Vater, der durch seine glänzende Pflege jeglicher Art von kirchlicher Kunst und Pracht dem südländischen Gepränge des katholischen Kultus ein so reiches, oft auch wahrhaft kunstverklärtes Genüge geleistet hatte. Und dies sagte denn freilich den Überlieferungen und dem Charakter des bayrischen Volkes weit mehr zu als der schlichte, vom Aeußerlichen abgewandte religiöse Sinn des Sohnes. Und am Ende erschien derselbe Vielen eben wegen seiner Gleichgültigkeit gegen die Pracht des Kultus weit mehr »lutherisch« als wegen seiner toleranten Sinnesart.
Oftmals und vielen Personen erzählte König Max, sein Vater habe nicht gestattet, daß ihm seine Lehrer, selbst in den reiferen Jünglingsjahren, eine irgend eingehendere Geschichte der Reformation vorgetragen hätten. So sei er auf die Universität Göttingen gekommen, ohne einen klaren Begriff, ja auch nur umfassendere thatsächliche Kenntnis vom Gange der Reformation zu besitzen. Um so mächtiger sei aber dann der Eindruck gewesen, den Heerens gründliche Darstellung der welterschütternden Epoche auf ihn gemacht. Nicht ohne eine gewisse Bitterkeit gegen seinen Vater pflegte der König dies zu erzählen, während ich außerdem niemals wahrnahm, daß er den fundamentalen Gegensatz, der zwischen seinen und seines königlichen Vaters Anschauungen waltete, gegen Dritte ausgesprochen hätte.
Dem Jesuitenorden versagte König Max bekanntlich standhaft die Rückkehr in sein Land. Er unterschied sehr genau zwischen strenggläubigen Katholiken, denen er nirgends zu nahe treten wollte, und Ultramontanen, die er für gefährliche Widersacher des modernen Staatswesens und jeglicher Geistesfreiheit ansah, und von denen er namentlich Uebergriffe in die königliche Gewalt fürchtete. Auf seine Souveränität hielt er große Stücke; er glaubte dieselbe jedoch weit weniger von außen bedroht als durch die Ultramontanen im Innern. Denn das unterscheidende Merkmal des Ultramontanismus sah er in dem Bestreben, die klerikale Herrschaft auf politisches und sociales Gebiet zu übertragen und dem Klerus jene Führerschaft unsrer gesamten Kultur zurückzugewinnen, welche er selbst im Mittelalter nur zeitweise besessen hatte. Zugleich wußte er gar wohl, wie feindselig einseitige Ultramontane seinen wissenschaftlichen und Bildungsplänen entgegentraten und deren Rückwirkung auf sein eigenes Volk durch das Aufstacheln von Stammesneid und Konfessionshader lähmten. Dies schmerzte ihn um so tiefer, je lebhafter er sich seines aufopfernden Wohlwollens für das bayrische Volk bewußt war und der treuen Pflege aller seiner tüchtigen und tief berechtigten Charakterzüge.
Nicht leicht gelang es jemand, den König, der fast durchweg langsam, zweifelnd, prüfend und verwerfend in seinen Unternehmungen vorging, zu rascherem Schritt zu spornen; machte einer jedoch drohende Gegeneinflüsse der Ultramontanen geltend, dann entschloß sich der König wohl stracks zu rascher That, denn hier sah er am leichtesten Gefahr auf dem Verzuge.
Das alles sage ich unverblümt; denn es ist so gewesen, und wer dem Fürsten irgend längere Zeit näher stand, der wird meine wohl bedachten Worte bestätigen, die ich durch manche persönliche Anekdote noch lebendiger in Farbe setzen könnte. Allein ich vermeide mit Absicht alle Persönlichkeiten, um nur eine Person desto sachlicher darzustellen: die historische Person des Königs.
Als im Jahre 1856 einer der Genossen unsres gelehrten Kreises dem Könige die damalige Politik der österreichischen Regierung anpries, fragte ihn dieser statt aller weiteren Antwort nur: ob er auch an das neue österreichische Konkordat denke? ob er dieses Konkordat kenne? ob er dessen Folgen erwogen habe? – und gab dann ein kurz und fest gezeichnetes Bild dieser Folgen. Er erklärte den Abschluß des Konkordates von 1855 für einen der größten Fehler, welchen österreichische Staatsmänner jemals gemacht haben – und das wolle viel sagen.
Nun fragt aber vielleicht mancher, woher es denn komme, daß die Gegnerschaft Maximilians II. zu dem Ultramontanismus in seiner Regierungspolitik doch keineswegs immer so klar und wirksam hervorgetreten sei, wie ich sie hier geschildert habe?
Die Frage ist berechtigt. Denn das Ministerium Pfordten-Reigersberg nahm eben nicht durchweg und entschieden Stellung gegen die Ultramontanen, es suchte vielmehr zu vermitteln und den Ausbruch des offenen Kampfes wenigstens auf dem engeren politischen Gebiete abzuhalten durch Zugeständnisse nach links und rechts. Die Erbitterung der Ultramontanen über die privaten Ueberzeugungen, über den persönlichen Umgang und die persönlichen Akte des Fürsten ward nicht entfernt in gleichem Maße seinen Ministern zu teil. Nun aber war die ministerielle Politik doch auch zugleich Politik des Königs, die, in seinem Namen gehandhabt, ohne seine Zustimmung gar nicht hätte durchgeführt werden können. Er verfolgte eine zwiefache Taktik, das ist unleugbar; er spornte an – durch sein Kabinett, während er die Zügel zurückzog – durch sein Ministerium. So lag denn der Verdacht nahe, daß der in seiner Ueberzeugung so feste Monarch unentschlossen im Handeln sei, – ein Gegenzug, welcher bei dem gemütreichen, schonend rücksichtsvollen Wesen, welches ihm eignete, und einem fast überzart ausgebildeten Gerechtigkeitssinne höchst natürlich erschien. Ging doch Bluntschli so weit, ihn in diesem Betracht mit Ludwig XVI. zu vergleichen. Die Parallele war aber sehr einseitig, und jener psychologische Erklärungsgrund streifte nur die Oberfläche.
Tiefere Gründe lagen in der Zeit und in den obersten, ganz eigentümlichen Regierungsgrundsätzen des Fürsten.
Man vergesse nicht, daß die maßgebende Periode seines Wirkens den fünfziger Jahren angehört. Damals herrschte überall in Deutschland eine gesteigerte Triebkraft des religiösen und kirchlichen Geistes, wie sie nach dem kulturgeschichtlichen Gesetze von Ebbe und Flut auf die rationalistischen, skeptischen, ja radikal antikirchlichen Strömungen der vierziger Jahre folgen mußte. Nicht bloß bei der Geistlichkeit und ihren Freunden, nein, im ganzen gebildeten Volksgeiste hatte das positiv religiöse Element mächtig Raum gewonnen. Der unbefangene Historiker wird das Recht dieses Gegenzuges anerkennen. Allein unsre Kultur bewegt sich stoßweise, Welle auf Welle überstürzt sich, ein Aeußerstes befehdet und verdrängt das andre, und erst die Zukunft vermag den stetig gemessenen Fortschritt in diesem Kampfe zu erschauen. So erhob sich damals gleichzeitig mit dem gesteigerten religiösen Bewußtsein auch das hierarchische Herrschgelüste – bei Protestanten und Katholiken – siegesgewisser als seit Menschengedenken und verderbte vielfach den idealen Gehalt jenes Aufschwunges. Beide Richtungen kreuzten und durchwoben sich, sie waren oft kaum voneinander zu unterscheiden und dennoch grundverschieden. Der König hatte den theoretischen Begriff des Ultramontanismus ganz klar gefaßt, klarer als die meisten Parteimänner; aber wo im praktischen Leben der gläubige Katholik aufhörte, den er ehrte und achtete, und andrerseits der Jesuit und Ultramontane anfing, darüber bewegten ihn wohl so schwere Zweifel, daß er seinen Ministern viel mehr als sich selbst das letzte Wort gönnte. Das erklärt die gärende Uebergangszeit.
Mehr noch als die Zeitlage kommen die, ich möchte sagen technischen, Regierungsgrundsätze des Königs in Betracht. Er faßte sich gleichsam als eine doppelte Person und gestattete seiner einen Hälfte mehr Initiative des Handelns als der andern. In jener Kulturpolitik, die er unabhängig von Ministern und Kammern, lediglich kraft seiner persönlichen Autorität und seiner privaten Geldmittel verfolgen konnte, gab er ganz sich selbst und ging entschieden vor, nach der Eingabe seiner eigensten Ueberzeugung; – bei Verwaltungsfragen, für deren positive Lösung das Gesetz freien Spielraum läßt und nur eine negative Schranke zieht, wußte er wenigstens sehr kräftig bestimmend auf die Minister einzuwirken; – bei Staatshandlungen hingegen, wo die Kompetenz verschiedener Gewalten in Frage kam – wie eben auch angesichts der Kirche – oder wo es einen Akt der Gesetzgebung galt oder die Uebung eines Hoheitsrechtes im engeren Wortsinne, glaubte er als konstitutioneller Fürst vielmehr die verantwortlichen Minister gewähren lassen zu müssen, in welchen er keineswegs immer sich selber wiederfand. Nicht Unentschlossenheit, sondern Gewissenhaftigkeit brachte ihn zu dieser Maxime, die er selbst gewiß oft nur mit schwerem Kampfe durchführte. Aber unsre besten Tugenden sind nicht selten der Quell unsrer größten Schwäche.
Der Dualismus der königlichen Regierungsgrundsätze fand eine Zeit lang seine Verkörperung in zwei Personen: Dönniges und Pfordten. Wäre damals ein Ministerium Dönniges möglich gewesen, so hätte sich der Dualismus gelöst; aber gewiß nur auf kurze Frist. Der König würde sich neben dem neuen Minister doch wieder einen neuen Pfordten gesucht haben, wie denn auch die wirklich erfolgte umgekehrte Lösung durch die Entfernung des in Bayern bestgehaßten Freundes in der Sache gar nichts geändert hat.
König Max unterschied bei sich selber scharf zwischen dem Fürsten und dem Privatmann, wie auch schon viele andre Könige vor ihm gethan haben. Allein hätte er ausführen können, was er seiner Meinung nach als Privatmann ausführte, wenn er nicht Fürst gewesen wäre? Und so hat er doch das Eigenste und Beste gethan, wo er auf Grund seines Fürstenberufs rein persönlich handeln, wo er sein eigener Minister sein durfte. Daß er lieber mit seiner litterarischen Tafelrunde »verhandelte« als mit seinen Ministern, könnte ich aus seinen eigenen Worten bezeugen. Wer von uns aber geglaubt hätte, im Symposion dürfe er politische Einflüsse zu üben versuchen, der würde sich sehr getäuscht haben. Als einer unsrer Freunde wiederholt spitzige Worte über die Politik Pfordtens einstreute – es war in den sechziger Jahren – da sagte ihm der König rund heraus, er möge unterlassen, seinen Minister zu kritisieren; das dürfe und wolle er nicht anhören.
Aus der hier gezeichneten Doppelstellung, die der König sich selber gestaltete, ergab sich schon äußerlich eine absteigende Skala seines persönlichen Wirkens. Auf Schul- und Bildungswesen hat er unmittelbar den tiefsten Einfluß geübt, ja man konnte sagen: er war sein eigener Minister der höheren Schul- und Bildungsangelegenheiten, – nicht schlechthin sein eigener Kultusminister. Denn auf die Kirche wirkte er nur mittelbar durch Schule und Bildung. Aber selbst in Schulsachen zeigte sich wiederum ein Unterschied. Akademie und Universität, die vom Staate am wenigsten abhängigen Körperschaften, empfanden am deutlichsten das Walten und Eingreifen der königlichen Hand, dann zunächst die Volksschule. Die Lyceen und Gymnasien dagegen, die besondern Domänen des Klerus und der Bureaukratie, wurden nur wenig berührt. Und doch wäre hier eine Radikalreform für die großen Kulturpläne des Königs viel wichtiger gewesen als bei den vorgenannten Anstalten. Hier wurde eben wiederum seine konstitutionelle Tugend zur politischen Schwäche. Denn für die höhere Volksbildung sind die Mittelschulen ohne Vergleich bedeutender als die Hochschulen, und das bayrische Volk wird sich nicht von innen heraus verjüngen ohne aus der Wurzel verjüngte Gymnasien. Freier und eigener noch, als bei den Universitäten, bewegte sich der König aber da, wo er rein als fürstlicher Privatmann schaffen und fördern konnte: angesichts der deutschen Litteratur und Wissenschaft. Und hier wird seine konstitutionelle Tugend dann auch ganz zur politischen Tugend; der König von Bayern, welcher nur deutsche Dichter und Denker kannte und keinen nach seinem Heimatschein fragte, hat trotz allem politischen Partikularismus jener Zeit doch auch der deutschen Einigung in seiner Weise den Weg gebahnt.
Wer darum ein Bild dieses Fürsten rein auf Grund seiner Regierungshandlungen entwerfen wollte, der würde ein schattenhaftes, ja verzeichnetes Porträt zu Tage fördern, dem die sprechenden Züge, der lebendige Ausdruck fehlten. Hier, wie anderswo, ruht das beste Quellenmaterial eben nicht in den Akten. Wer aber von dem Dualismus zwischen der persönlichen Politik des Königs und der offiziellen seiner Regierung ganz absähe und einseitig bloß jene darstellte, der gäbe gleichfalls ein unwahres, weil ein geschmeicheltes Bild. Denn auch der unverantwortliche konstitutionelle Fürst ist dennoch wiederum in Person verantwortlich für seine verantwortlichen Minister, nicht zwar im staatsrechtlichen Sinne, aber vor dem höchsten Forum, – der Geschichte.
Wäre König Max lediglich seiner Natur und Neigung gefolgt, so würde er als ein aufgeklärter, volksfreundlicher Absolutist regiert haben. Er war kein großer Bewunderer der konstitutionellen Staatsform und hatte wenig Freude an der prüfenden Kritik der Landtage. Dem sanguinischen Vertrauen, mit welchem wir manchmal im Gespräch die steigende Macht des modernen Verfassungsstaates prophezeiten, antwortete er mit rasch hingeworfenen Zweifeln oder auch bloß mit skeptischem Lächeln. (Man vergesse nicht, daß dies in den fünfziger Jahren war.) Hätte ihm dagegen einer gesagt, daß der konstitutionelle Apparat bereits zu veralten beginne, daß die Strömung der Zeit einen Rücklauf zur Erweiterung fürstlicher Machtvollkommenheit andeute, so würde er das wohl nicht leichter, aber lieber geglaubt haben.
Trotzdem regierte er ehrlich verfassungstreu. Er war konstitutionell nicht aus Neigung, sondern aus sauer erkämpfter Ueberzeugung; er förderte liberale Ideen, weil er echt konservativ gesinnt war. Denn diese liberalen Ideen waren gegeben, weitern Fortschritt vorbedingend, in der Verfassung, und vor allen Dingen glaubte der König, der Verfassung treu bleiben zu müssen. Daß er dies trotz manchmal irrender und strauchelnder Politik durchführte, daß die bayrische Verfassung von 1818 die Revolutionszeit von 1848 und die Reaktionsepoche des folgenden Jahrzehnts unangetastet überdauert hat, ist sein besonderer Ruhm. Und so erlebte dieser Fürst in seinen letzten Jahren eine, man darf sagen, deutsche Popularität wegen seines streng verfassungstreuen Verhaltens und seiner liberalen Milde, obgleich er doch von Haus aus weder den konstitutionellen Formen, noch den liberalen politischen Lehrsätzen geneigt war. Er verdiente diese Popularität aber mit vollstem Rechte; denn weil er etwas gelernt hatte und fortwährend lernte, so gewann hier seine Erkenntnis im Bunde mit seiner Gewissenhaftigkeit den Sieg über die ursprüngliche Neigung.
Auf diesen Gerechtigkeitssinn wird man bei der Charakteristik des Königs immer wieder zurückgeführt. Ich zeigte oben, wie derselbe seine Thatkraft mitunter lähmte; ich will hier eines harmloseren Konflikts gedenken, der einen tiefen psychologischen Blick gestattet. König Max lebte nicht nur in steter Sorge, daß gegenwärtig alles recht und gerecht angefaßt werde, er wollte auch, daß man streng gerecht gegen die Vergangenheit sei, ja er ängstigte sich gar, ob auch die Zukunft unsrer Gegenwart werde Gerechtigkeit angedeihen lassen. Nun war er aber auch Poet, und da wollte ihm der Unterschied zwischen poetischer und historischer Gerechtigkeit niemals ganz in den Sinn. Er konnte es den Dichtern von Dramen und Epen nicht verzeihen, wenn sie historische Personen je nach Erfordernis der poetischen Komposition bald größer, bald kleiner malten, als sie wirklich gewesen, und ihnen wohl gar Handlungen andichteten, welche poetisch wahr, aber geschichtlich nicht einmal wahrscheinlich waren. Es erschien ihm ganz unerträglich, daß ein Dichter so ganz nach Belieben hinterdrein die Leute besser oder schlechter machen dürfe. Vergebens betonten mir dem entgegen eines Abends das souveräne Recht des Dichters, seine historischen Gestalten frei umzubilden, wie sie eben für seine künstlerischen Probleme am passendsten seien.
Ihm bedünkte es niemals passend, der Wahrheit ins Gesicht zu schlagen. Und als sich in der Hitze des Wortgefechtes ein Historiker unsres Kreises nun gar zu dem äußersten Worte hinreißen ließ, ein Poet könne unter Umständen selbst das poetische Recht haben, den ersten Napoleon als einen insgeheim ganz friedfertigen Mann darzustellen, – da geriet der König in heiligen Zorn und wollte von solchen Paradoxen gar nichts mehr hören. Vielleicht sah er sich selber schon als einen blutdürstigen Tyrannen auf den Brettern des 20. Jahrhunderts.
Er gab manchen Beweis politischer Toleranz, welche zu seiner Zeit fast seltener war als die religiöse.
Später, zur Blütezeit der »Bismarck-Beleidigungsprozesse«, äußerte ich einmal in einem Gespräche mit dem früheren bayerischen Justizminister, Herrn von Bomhard, ich könne mich nicht erinnern, daß während der Regierung des Königs Max Majestätsbeleidigungsprozesse vorgekommen seien. Herr von Bomhard erwiderte, meine Erinnerung entspreche den Thatsachen, wenn auch mit Ausnahme der ersten Regierungszeit des Königs. Aber nach Ablauf der Revolutionsjahre – seit 1850 – seien wirklich keine solchen Prozesse mehr vorgekommen, weil König Max nicht gewollt habe, daß sie wegen seiner Person eingeleitet würden.
Bei Berufungen von Männern der Wissenschaft fragte er nicht nach ihrem politischen Katechismus und verlieh seine Orden auch an offene Gegner der damaligen bayrischen Politik, wenn jene in Litteratur und Kunst Bedeutendes geleistet hatten. Seine besondere grundsätzliche Ungunst warf er auf die damals sogenannten »Gothaer«; trotzdem hat er sehr namhafte Gothaer nach Bayern und in seine persönliche Nähe gezogen. Er legte ihrer freien wissenschaftlichen Wirksamkeit kein Hemmnis in den Weg, selbst wenn sie nach der Natur des Faches das politische Gebiet gestreift hätte, setzte aber allerdings stillschweigend voraus, daß man sich in solchem Falle praktisch-politischer Agitation enthalte.
Diese politische Toleranz ist ihm nicht immer leicht geworden; das weiß ich aus seinem eigenen Munde. Als im Sommer 1858 eine Erweiterung der historischen Klasse der Akademie der Wissenschaften in Aussicht genommen, und manche dahin zielenden Projekte besprochen wurden, von denen zuletzt die »Historische Kommission« Leben und Bestand gewann, äußerte der König mir sein lebhaftes Bedenken, daß hierdurch der Einfluß der Gothaer in Bayern wachsen möge; denn diese Partei umschließe gerade die gewünschtesten gelehrten Kräfte. Trotz dieser Bedenken genehmigte er jenen Plan. Die deutsche Wissenschaft stand ihm doch zuletzt außerhalb der Parteien, selbst wenn er ihre Träger innerhalb einer gegnerischen Partei wußte.
Noch in der letzten Zeit seines Lebens forderte König Max von mir ein Gutachten über Schulze-Delitzschs Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Der Gedanke, auf diesem Wege die arbeitenden Klassen durch Selbsthilfe zu erziehen und zu höherem Wohlstande zu führen, hatte ihn tief berührt, und er erklärte, daß er Schulzes Wirken in dieser Richtung freudig anerkenne und auch in Bayern fördern wolle, obgleich ihm die politischen Agitationen desselben Mannes, als eines Führers der Fortschrittspartei und Mitbegründers des »Nationalvereins«, nichts weniger als sympathisch seien. Der König hat diesen wie andre Pläne zur socialen Reform mit ins Grab genommen.
Bekanntlich wünschte und erstrebte König Max eine Neubildung des deutschen Bundes im Geiste der sogenannten »Triaspolitik«.
Deutschland ist in der That geographisch dreigeteilt als das Land der norddeutschen Tiefebene, das mittelgebirgige und das hochgebirgige Deutschland, und diesen drei Bodengruppen entsprechen annähernd die Gruppen der großen Volksstämme, und die drei Linien durchschneiden und kreuzen den dualistischen Gegensatz von Nord und Süd. Allein die Staatengrenzen entsprechen diesen Linien nicht, und neben die beiden großen Staatseinheiten von Preußen und Oesterreich würden sich die Mittel- und Kleinstaaten unter Bayerns Führung doch nur als eine große Uneinigkeit gestellt haben. Diese ganz nüchtern realpolitische Thatsache verkannte König Max. Er achtete auch nicht darauf, wenn man sie geltend machte; wer dagegen der idealistischen Auffassung seiner naturnotwendigen drei Gruppen schmeichelte, der konnte leicht seine Gunst gewinnen. Mit selbstverständlicher Ausnahme von Dönniges, der ja für den Vater der Triasidee galt und also nur seine eigene Schöpfung verteidigte, that dies aus unsrem engern Kreise keiner. Wir schmeichelten überhaupt nicht.
Die Trias bedingte von selbst den großdeutschen Standpunkt. Dieses Wort war aber so vieldeutig wie kaum ein zweiter Parteiname. Die großdeutsche Partei ist nicht nur durch die Macht der äußern Verhältnisse zerfallen, sondern ebenso sehr durch ihre widersprechende innere Zusammensetzung. Großdeutsche und Großdeutsche unterschieden sich wie Tag und Nacht, und nur ein einziges Ziel hielt alle zusammen, welches jedoch den einen Ziel und Zweck, den andern bloß Mittel zum Zwecke war: – die politische Einigung der ganzen deutschen Nation und aller deutschen Lande.
Man konnte großdeutsch sein aus Ultramontanismus, großdeutsch aus Partikularismus, aus Reaktionslust, großdeutsch aus Vorliebe für Oesterreich oder aus Abneigung gegen Preußen; es gab aber auch echt deutsche Großdeutsche, welche dem von jenen andern verfälschten Programm anhingen, weil sie nur in dem Vollbestand der gesamten Nation die Zukunft Deutschlands gesichert glaubten und diesen Vollbestand sich nicht denken konnten ohne Deutsch-Oesterreich. Leider erwiesen sich jene bedenklichen Elemente als die eigentlichen Realpolitiker der Gruppe, und die echt deutschen Männer als die Idealisten.
Aus welchen Gründen war nun König Maximilian großdeutsch? Aus Liebe zum Ultramontanismus gewiß nicht, auch nicht aus Reaktionslust, denn man machte es ihm ja zum Vorwurf, daß er fortwährend freigesinnte norddeutsche Protestanten in sein Land berufe; noch weniger aus grundsätzlichem Preußenhaß: erkannte er doch klarer als sehr viele seiner Unterthanen, welche Segnungen Preußen seit einem Jahrhundert über Deutschland gebracht, und wie es vordem in sehr entscheidender Stunde Bayerns Bestand gegen Österreichs Eroberungslust geschützt habe. Ein preußisch-deutsches Kaisertum wollte er freilich nicht, doch schwärmte er ebensowenig für eine straffe Oberhoheit Österreichs. Es kreuzten sich vielmehr zwei ganz andre gemischte Motive.
Des Königs deutsche Gesinnung wurzelte vorab im Gemüte, sie war in jüngern Jahren entwickelt und gehegt worden nach den romantisch-konservativen Ueberlieferungen der vormärzlichen Zeit, wo national und liberal noch als Gegensätze galten. Die neuen kleindeutschen Ideen, wie sie das Jahr 1848 zur Reife brachte, stießen ihn schon durch ihren revolutionären Ursprung ab, und sein milder, vor gewaltthätigem Eingreifen zurückschreckender Sinn konnte sich die gedeihliche Fortentwicklung Deutschlands nur auf dem Wege einer Reform der Bundesverfassung denken. Es ist bekannt, wie eifrig König Max gerade in seiner letzten Periode zur Beschreitung dieses Weges drängte. Daß er für deutsche Macht und Ehre ein Herz besaß, beweist seine warme thatkräftige Teilnahme für Schleswig-Holstein, die bedeutungsvoll den Anfangs- und Schlußpunkt seiner Regentenbahn verklärt hat. Er war also Großdeutscher aus patriotischem Idealismus.
Hiermit ist jedoch nur erst die Hälfte gesagt. Des Königs höchster Ehrgeiz zielte dahin, nicht bloß für Bayern, sondern durch Bayern für Deutschland eine hohe Kulturmission zu erfüllen. Um dies zu können, mußte er seines Erachtens vor allen Dingen König von Bayern sein. Was ihm die freie Hand lähmte, das schien ihm an jene große Aufgabe zu tasten. Er war Partikularist, aber nicht in dem Sinne, wie es der letzte Kurfürst von Hessen, sondern wie es Karl August von Weimar, wie es am Ende auch die besten Könige von Preußen gewesen: er wollte seine Sondermacht behaupten, weil er nur auf sie gestützt für Deutschlands Größe wirken zu können glaubte. Und niemand wird sagen, daß er diese Macht in bloß lokalpatriotischem Geiste, oder gar in persönlicher oder dynastischer Eigensucht ausgenützt habe. Den echten Bayern war er ja niemals bayrisch genug, und König Ludwig I. soll in diesem Sinne gesagt haben, sein Sohn sei vielmehr ein Sachse, indem er der Mutter Art folge, als ein rechter Wittelsbacher.
Nach dem Vorgesagten begreift sich's nun, wie und warum König Max immer wieder zu seinem Triasprogramm zurückkehrte, zu dem Gedanken einer Dreigliederung Großdeutschlands, in welcher neben den beiden Großmächten die kleineren Staaten, als verbundene und verbindende dritte Gruppe unter Bayerns Führung, durch liebevollste, individuellste innere Kulturpflege ihren besonderen Beruf für die Einigung und Kräftigung des großen Ganzen üben sollten. Und solchergestalt sah er dann auch seine begeisterte Bildungspflege als mit seiner bayrischen und deutschen Politik unlösbar verbunden an. Zwischen den Ministern (den Kultusminister stellenweise ausgenommen) und den gelehrten Freunden und Ratgebern des Königs bestand kein persönliches Zusammenwirken, sondern vielmehr Entfremdung und Gleichgültigkeit.
König Max wußte sehr gut, daß im Kreise seiner Tafelrunde nur wenig großdeutsche Gesinnung zu finden war. Allein da er jeglichen nach seiner Persönlichkeit schätzte und nach seinen künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen, die der Politik seitab lagen, so bekümmerte er sich wenig um jene offene Kluft. Er selbst hatte sie im Geiste überbrückt, er glaubte, daß die verschiedensten Geister doch zuletzt dem einen, oben angedeuteten Endziele dienten, und fand keinen Widerspruch darin, daß Sybel und Pfordten zugleich sein höchstes Vertrauen genossen, vorausgesetzt, daß Sybel Historiker blieb, und Pfordten Minister.
Manche haben wohl gemeint, König Max zähle zu jenen nicht ganz seltenen Kunstfreunden auf dem Throne, die sich in die Hallen der Kunst und Wissenschaft flüchten, weil ihnen das trockene Tagewerk des Staatsregiments zu mühselig und langweilig ist, und weil sie andrerseits ihren Ehrgeiz und ihr Gewissen denn doch durch irgend welche namhafte That beruhigen wollen. Diese Auffassung unsres Königs war grundfalsch und sehr ungerecht. Sein ganzes Leben widerspricht ihr, zumal aber die Tragödie seiner letzten Lebensjahre.
Ich sage: die Tragödie. Denn wie man bei äußerm Mißerfolge unter Umständen in sich selbst befriedigt und entsagend ganz heiter bleiben mag, so kann es andrerseits auch einen äußeren Erfolg geben, der, mit schwerer Selbstentsagung erkauft, unlösbare, tragische Konflikte unsrer Seele zurückläßt. Das Leben des Königs Max zeigt diese beiden Zustände und gliedert sich dementsprechend nach zwei Perioden, für welche das Jahr 1859 den Wendepunkt bildete.
Versetzen wir uns auf den persönlichen Standpunkt des Königs. Das erste Jahrzehnt seiner Herrschaft brachte ihm nur sehr geteilte Anerkennung, schwache, halbe Erfolge nach außen; aber es waren die Tage seines eigentümlichsten, fröhlichsten und hoffnungsreichsten Schaffens. Im März 1848 auf den Thron gelangt, teilte er zunächst das Schicksal fast aller damaligen Fürsten und Minister: unbedingtes Vertrauen und schwärmerische Erwartung der herrschenden Parteien am Anfang und bittere Verstimmung über getäuschte Hoffnungen rasch hinterdrein. Es erging den neuen Fürsten gerade so wie ihren sprichwörtlich gewordenen »Märzministerien«, und die Schuld lag durchaus nicht überall in den Personen, sondern viel öfter noch im Geiste jener stürmischen, überspannten Zeit.
Als die Sturmflut der Revolution abgelaufen war, trat der Zwiespalt der deutschen Stämme und Regierungen so klaffend wie nur jemals zu Tage; wir standen hart vor einem Bruderkriege, und die Stellung, welche Bayern während des unseligen Jahres 1850 einnahm, entfremdete ihm die Sympathien eines großen Teiles von Deutschland. Die Reaktion im Innern folgte, nicht bloß in Bayern, sondern überall: sie war durchaus nicht bloß eine Reaktion der Fürsten, sie war vom Volksgeiste selbst gestützt und getragen, der kulturgeschichtlich notwendige Gegenzug gegen das überstürzende Vordrängen der Revolution, die weit weniger geschlagen worden war, als sie sich selbst vielmehr geschlagen hatte. Allein es entspricht nun einmal der sehr menschlichen Art der öffentlichen Meinung, daß sie den Ruhm der Revolution ausschließend dem Volke zuschrieb, das Gehässige der Reaktion den Regierenden.
Die fünfziger Jahre waren für Deutschland eine schwüle, lastende Zeit, vergleichbar der heißen Mittagsstunde, wo der Tag stillzustehen scheint; aber er steht nicht still, heimliches Leben webt in der täuschenden Ruhe. Gerade diese Tage scheinbaren Stillstandes waren nun höchst günstig für einen Fürsten wie König Max; er konnte Muße gewinnen für seine Reformpläne der Geistesbildung, er konnte Ruhe und Sammlung bei den Gebildeten voraussetzen für die Aufnahme derselben. Allein er fand zunächst doch sehr wenig Dank und Entgegenkommen aus den bereits angedeuteten Gründen. Man wußte nicht, was er wollte; man hatte andres von ihm erwartet. Es geht den Fürsten genau wie den Schriftstellern: das Publikum dankt ihnen nicht, was sie später wirklich bringen, sondern es fordert, was sie nach seiner, beim ersten Auftreten vorgefaßten Meinung eigentlich hätten bringen sollen. Darüber hat schon Goethe geklagt; auch König Max konnte darüber klagen.
So sagte man sich denn gerade zu jener Zeit, wo der König erst recht zu regieren beginnen wollte, in Bayern nicht selten die bestimmte Nachricht ins Ohr: er sei ein kränklicher Mann, der Krone satt, er werde ihr demnächst entsagen, seine Neigung ziehe ihn überhaupt zu einem geistig angeregten Privatleben, nicht zum Fürstenberufe. So sprachen Unzufriedene, welche bereits verwirklicht sahen, was sie hofften. Diese Unzufriedenen konnten aber zwei sehr verschiedenen Kreisen angehören. Denn den Liberalen war sein Ministerium zu reaktionär und partikularistisch und den Ultramontanen sein wissenschaftliches und künstlerisches Programm zu liberal und unbayrisch. Es schien denn, als müsse der Fürst in diesen Gegensätzen sich in sich selber aufheben.
Allein der König, überhaupt nicht so kränklich, wie man ihn häufig darstellte, hat schwerlich je daran gedacht, das Zepter niederzulegen, und damals am allerwenigsten; er war eifersüchtig auf seine Macht, und zu seiner bestimmten Eigenart gehörte gerade dies, daß er mit wahrer Gewissensangst rang, seine persönlichen Neigungen in die Aufgabe des Königs zu übersetzen. Zu jener Zeit kam eines Abends bei unsrer Tafelrunde die Rede auf freiwillige Thronentsagungen, als Sybel einen fesselnden Vortrag über Viktor Amadeus von Sardinien hielt, der zu Gunsten seines Sohnes Karl Emanuel abgedankt hatte, nachgehends aber gar gern wieder König geworden wäre. König Max war mit uns andern der Ansicht, daß wohl überhaupt noch kein Fürst – auch Karl V. eingeschlossen – freiwillig entsagt habe, der nicht hinterher den voreiligen Schritt gern wieder zurückgenommen haben würde, – wenn er's gekonnt hätte.
Der König hatte während der ersten Regierungsperiode allerdings einen so schweren Stand, daß er der undankbaren Aufgabe wohl hätte überdrüssig werden können. Allein sie trug ihr Befriedigendes in sich. Er wollte das bayrische Volk der geistigen Isolierung entreißen, worin es seit drei Jahrhunderten mehr oder minder verharrt hatte. Es gibt dreierlei deutschen Partikularismus mit sehr ungleich verteilten Lichtern und Schatten: einen Partikularismus der Dynastien und Staaten, einen Partikularismus des naiven Volksgeistes – der »Stämme«, wie man so zu sagen pflegt – und einen Partikularismus der Bildung. Wenn Bayern so ausgeprägten Sondergeist entwickelte, so liegt der Hauptgrund darin, daß diese drei Formen des Partikularismus bei ihm ergänzend zusammenfielen. Den Stammespartikularismus wollte der König schonen (obgleich er ihm öfters wider Willen vor den Kopf stieß), den Partikularismus der Bildung dagegen brechen. Denn er erkannte wohl, daß Bayern den großen nationalen Aufschwung des 18. Jahrhunderts in Philosophie, Poesie und Litteratur nur halbwegs miterlebt hatte, und er erkannte die Folgen.
Nun war ihm aber sein Vater hier auf einem andern und obendrein weit günstigern Punkte vorausgeeilt, Auch Ludwig I. hatte versucht, Bayern aus der früheren Isolierung im deutschen Geistesleben herauszuziehen, indem er eine Kunstschule gründete, welche von München aus, bei Freunden und Gegnern Epoche machend, auf ganz Deutschland wirkte. Waren ihre hervorragendsten Meister auch keineswegs allesamt geborene Bayern, so hatten sie doch in Bayern erst sich selbst gefunden und einen Boden dazu, den ihnen damals kein andres deutsches Land bieten konnte. Jedes Volk läßt sich's gern gefallen, daß heimische Leistungen erobernd nach außen dringen, und sieht dann auch ruhig zu, wenn seine Besonderheit Gemeingut wird, und also zuletzt sein eigener Bildungspartikularismus auf diesem Wege aus dem Lande fährt. Aber der umgekehrte Weg gefällt keinem Volke. Diesen schlug König Max ein; jenen hatte König Ludwig eingeschlagen. Der Vater wirkte aus Bayern heraus für das künstlerische Deutschland; der Sohn wollte aus Deutschland heraus für Bayern wirken.
Eine weitere Thatsache gesellte sich erschwerend diesen hinzu. Der alte König konnte an heimische Traditionen der bildenden Kunst knüpfen, die schon im 16. und 17. Jahrhundert Bayerns und namentlich Münchens besonderer Ruhm gewesen war; der junge König mußte vielmehr mit Ueberliefertem brechen, und es meinten noch immer Leute genug, jene altbayrische Jesuitenzeit, welche so stattliche Bauwerke, so stolze Erzbilder in München aufgestellt, habe auch eine glänzende gelehrte Bildung geschaffen. Nur wer selbst schon höher gebildet ist, begreift Gang und Wert eines allgemeinen Bildungsplans, während glänzende Kunstdenkmale aller Welt imponierend ins Auge fallen. Man fragte auch – immer in jener ungerechten Parallele befangen –, wo denn die epochemachenden Bücher seien, die während der neuen Aera zu München geschrieben worden seien und sich neben die Bauten, Gemälde und Bildwerke des königlichen Vorgängers stellen könnten. Allein es galt ja zunächst weit weniger einzelnen örtlichen Leistungen, als einem Zusammenwirken der Geister nah und fern; es galt, einen großen geistigen Prozeß zu fördern, für welchen in Berlin und Wien so gut wie in München Kräfte angeregt wurden, einen Prozeß, der durch hundert große und kleine Faktoren bedingt war, und dessen Macht und Gehalt nur leise, langsam und spät vollauf zu Tage treten konnte. Das Volk macht es aber genau, wie die großen Herren: beide wollen alles gleich fertig sehen und haben selten ein Verständnis für das allmähliche Werden und Wachsen.
Und nun kehre ich auch bei dieser auf den Sohn drückenden Parallele mit dem Vater noch einmal zu den politischen Zuständen der fünfziger Jahre zurück. Die unbefriedigende Lage Deutschlands warf ihre Schatten selbst auf die edelsten Kulturpläne des jungen Fürsten. Der Vater dagegen, welcher dem Thron entsagt hatte, stand neben dem Sohne in desto glänzenderem Lichte – nicht weil er eine bessere Politik trieb, sondern weil er als Kunstfürst immer noch König war, dabei aber gar keine Politik mehr zu treiben hatte. Er genoß das seltene Glück, den Ruhm seiner Kunstpflege zu ernten und sich an dieser Frucht seines Lebens rein zu erfreuen, während frühere Mißgriffe seines politischen Regiments längst historisch geworden, das heißt: von den meisten Menschen vergessen waren.
Trotzdem ermüdete König Max nicht in rüstigem Fortarbeiten, obgleich er's, genau genommen, gar niemand recht machte.
Da kam das Frühjahr 1859. Der italienische Krieg zwischen Oesterreich und Frankreich drohte; die öffentliche Stimme in Bayern forderte laut die augenblickliche, thatkräftige Unterstützung Oesterreichs; sie argwöhnte, der König möchte, seinen vielberedeten »norddeutschen« Sympathien getreu, vielmehr an Preußens zögernde Politik sich anschließen. Die Gärung der Gemüter blieb ihm nicht unbekannt; er wollte wissen, wie sein Volk über ihn denke, was man mißbillige, was erwarte. War er doch immer bereit, zu hören und zu lernen. Stimmführer aus zwei sehr verschiedenen Lagern suchten ihn damals von den Fehlern seiner Politik zu überzeugen: von altbayrisch-nativistischer Seite hieß es, das Volk sei wohl in allen Stücken zufrieden mit ihm, aber es nehme Anstoß an seiner »fremden« Umgebung, an den norddeutschen Beratern seiner wissenschaftlichen – und vielleicht gar seiner politischen – Pläne; von liberaler Seite dagegen behauptete man, die innere Ruhe werde nur dann wiederkehren, wenn ein ehrlich liberales Ministerium, minder beeinflußt vom königlichen Kabinett, an die Spitze trete und nach streng konstitutioneller Richtschnur in Eintracht mit dem Landtage seine gemessenen Pfade gehe. Der König wollte Frieden mit seinem Volke: er nahm sich beide Ratschläge zu Herzen.
Zwar ließ er seine bisherigen Freunde auch jetzt nicht fallen; allein die Zusammenkünfte wurden mit der Zeit spärlicher, sie gewannen wieder mehr den ursprünglichen Charakter geselligen Verkehrs und Austausches als den ernstlicher Arbeit und persönlicher Beratung. Der König verzichtete nicht auf die Durchführung bereits begonnener Unternehmungen und Pläne; allein er entwarf keine wesentlich neuen mehr. Er bezwang sich gleicherweise nach zwei Seiten: er regierte als gemäßigt freisinniger, konstitutioneller Fürst und verzichtete auf weiteres selbstthätiges Vorgehen in Kunst und Wissenschaft. Daß einzelne seiner bedeutendsten Unternehmungen erst jetzt und später ans Licht traten, widerspricht dem nicht: der Gedanke war schon früher gefaßt, geformt, zur Ausführung vorbereitet. Die Periode seiner schöpferischen Ideen schloß mit 1859. Selbst die Begeisterung für seine Jugendliebe, die Poesie, schien zu ermatten.
Dagegen gewann er jetzt erst weithin Erfolg und Popularität; man nannte den bürgerlich schlichten Mann voll Herzensgüte, den Fürsten voll treuer Liebe für sein Volk, der mit sich selbst gebrochen hatte, um »mit seinem Volke in Frieden« zu leben, einen volkstümlichen Musterfürsten.
So verstehe ich jenes oft wiederholte, vielgedeutete und mißdeutete Wort. War es auch nicht so gemeint, wie manche es auslegten, so gereichte es doch jedenfalls dem Könige zur größten Ehre. Und an dieses Wort knüpfe ich wiederholt den vorher vielleicht dunklen Ausdruck, daß ein tragischer Zug durch die Geschichte seiner letzten Lebensjahre gehe. Jetzt erst lächelte ihm allerdings der schönste Erfolg, den überhaupt ein Fürst gewinnen kann: die Liebe seines Volkes und die Verehrung vieler der besten deutschen Männer auch jenseit der bayrischen Grenzen; aber er hatte diesen Erfolg, diesen Frieden mit seinem Volke erkauft durch den Bruch mit sich selbst, der nach seiner ganzen Natur und Art einen unlösbaren Widerstreit in seinem Innern zurücklassen mußte. Mancherlei Anzeichen berechtigen zu diesem Schlusse. Und ob König Max nicht dennoch eigentlich das Bedeutendste und Eigenste, was die volle Signatur seines Charakters gibt, geleistet hat in jener frühern Periode, wo er es fast keinem Menschen recht machte, aber seinen eigenen Idealen rastlos zu Dank arbeitete – das wird das Urteil einer spätern Zeit entscheiden.
König Maximilian starb im Jahre 1864, – am Vorabend des großen Umschwunges der Geschicke Deutschlands. Hätte er das Jahr 1866 erlebt, so würde Deutschland wahrscheinlich das Jahr 1866 nicht erlebt haben, – nämlich als das Jahr des großen Bruderkriegs und als das große Stufenjahr der neuen deutschen Einigung. Ich stehe mit dieser Ansicht nicht allein und habe vielerlei Gründe dafür. Jeder gewaltsame Bruch, jeder Krieg von Deutschen gegen Deutsche widerstrebte der innersten Natur des Königs, und die Erfahrungen vom Herbste 1850 waren für ihn nicht verloren gewesen. Bei dem drohenden Bruch zwischen Oesterreich und Preußen würde er alles aufgeboten haben, zu vermitteln und zu versöhnen. In den letzten Lebensjahren war sein Ansehen als weiser und wohlwollender Berater im Kreise der deutschen Fürsten gestiegen. Er hätte im Frühjahr 1866 das jähe Vordrängen von beiden Seiten mildern, er hätte die gärende Bewegung noch einmal in die Bahn friedlicher Reformen lenken können.
Doch gebe ich auch zu, daß es hiefür schon zu spät, und daß die vermittelnde Kraft des Königs unzureichend hätte gewesen sein können. Dann wäre der unabwendbare Krieg zwischen Preußen und Oesterreich ausgebrochen. Aber Bayern hätte die dargebotene Neutralität ergriffen und sicherlich die meisten, wenn nicht alle übrigen Klein- und Mittelstaaten zu demselben Entschlusse geführt. Nach der Besiegung Oesterreichs wäre dann doch eine engere Einigung der deutschen Lande mit Ausschluß Oesterreichs naturnotwendig erfolgt. Allein Form und Wege dieser Einigung würden andre geworden sein. Schon die vorsichtige, überall prüfende und erwägende Natur des Königs mußte ihn zur Neutralität bewegen: er würde zunächst auf Rat und Urteil seines Freundes, des Generals von der Tann gehört haben, der Preußens Kriegsmacht und Kriegsbereitschaft ebenso genau kannte wie die Mängel der österreichischen Armee und die damalige militärische Schwäche Bayerns.
Für Bismarck war in jenen Tagen sicherlich die kriegerische Gegnerschaft König Ludwigs II. erwünschter, als es die vermittelnde Neutralität König Max' II. gewesen wäre. Zwei Naturen wie König Max und Bismarck konnten sich gegenseitig nicht verstehen, sie würden sich noch weniger verstanden haben, wenn sie einander näher gekommen wären.
Es ist müßig zu fragen, was dann weiter geworden wäre, wenn etwas gewesen wäre, was nicht gewesen ist: freuen mir uns, daß sich der endliche Ausgang zum Glück der deutschen Nation gewendet hat!
Die historische Gestalt unsres so originalen und doch so zart und gemischt organisierten Fürsten läßt sich in folgenden kurzen Worten plastisch skizzieren:
König Maximilian förderte und ehrte Kunst und Wissenschaft, indem er mit Künstlern und Gelehrten arbeitete und lernte. Die Aristokratie des Geistes stand ihm höher als die Geburtsaristokratie. Seiner Natur nach ein humaner, aufgeklärter Absolutist, regierte er verfassungstreu und wurde zuletzt ein freisinnig-konstitutioneller Monarch aus Pflichtgefühl und Rechtssinn. Er bedurfte der Anerkennung, aber er suchte sie nicht, und als er sich selbst am meisten verleugnete, kam sie ihm von selbst entgegen. Er zeigte die Liebe zu seinem Volke, indem er es mit rastloser Hingabe studierte und förderte und den eigenen Frieden an den Frieden mit seinem Volke setzte. Er regierte zu einer Zeit der »Reaktion«, welche trotzdem die mächtigsten Fortschritte des nationalen Geistes vorbereitete. In solchem Doppelsinn mag man ihn einen ausgesprochenen Typus jener Zeit nennen. Ohne die stille, entsagungsreiche Arbeit der fünfziger Jahre hätten die siebenziger Jahre nicht so erhebend begonnen, eine neue große Epoche weissagend, wie es geschehen ist. König Max war nicht der letzten einer unter den eifrigen Hütern des guten deutschen Geistes in schwüler Zeit. Und wenn sich das bayrische Volk in den schwersten Stunden des Jahres 1870 als echt, treu und deutsch erprobt hat, wenn jetzt ein ganz andrer Geist im Lande weht als vor Jahrzehnten, wenn Bayerns Volk und Staat im neuen Deutschen Reiche eine würdigere und bedeutendere Rolle gewonnen hat als jemals im alten Deutschen Bunde – dann vergesse man angesichts alles dessen nicht, daß König Max es war, der mit redlicher, mühevoller Arbeit zu solchen Früchten den Boden bereiten half.