Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Hamburg –
Hamburg ist ohne Vergleich die blühendste Handelsstadt in Deutschland. Ausser London und Amsterdam ist schwerlich ein Handelsplatz in Europa, wo man immerfort so viele Schiffe sieht, als hier. Das hiesige Gewerbe beruht freylich größtentheils nur auf Kommißionen und Speditionen, allein der eigenthümliche und solide Handel der Einwohner ist daneben doch auch sehr beträchtlich. Spanien und Frankreich sind für den hiesigen Handel die wichtigsten Länder, besonders ist das Verkehr mit dem ersten Reiche sehr vortheilhaft für die hiesigen Kaufleute. Hamburg versah Spanien bis hieher größtentheils mit Leinwand, und lieferte ihm auch eine ungeheure Menge Eisen, Kupfer und andre nordische Artickel. Die Preussen, Dänen, Schweden und Russen geben sich zwar alle Mühe, ihre Produkten selbst den Spaniern zuführen zu können; allein es hält schwer, die Handlung aus einem alten Gang zu bringen, und viele Kaufleute in Norden finden den Zwischenhandel der Hamburger zu gemächlich und zum Theil auch zu vortheilhaft für sich, als daß diese in Gefahr stünden, diesen Handlungskanal ganz zu verlieren. Die Remessen Remesse – Rimesse: Geld oder Wertpapiere zur Bezahlung gelieferter Waren im Wechselgeschäft bleiben zu lange aus Cadix aus, und wenn eine Nation nicht durch den Waarentausch sich immerfort bezahlt macht, so ist der Handel mit Spanien sehr beschwerlich. Nun ist aber Hamburg immerfort an Spanien schuldig, oder es bezieht allzeit mehr Waaren aus diesem Reiche, als es demselben liefern kann (die Kriegszeiten ausgenommen, wo die Schiffbaumaterialien, Munition u. dgl. m. einen Unterschied machen). Es ist also sehr natürlich, daß ein Theil der nordischen Ausfuhr leichter durch die Hände der Hamburger geht, die ordentlich und geschwinde bezahlen können, dahingegen das Abwarten der Schiffe von Havanah, welche die Seele des ganzen spanischen Handels sind, oft den nordischen Kaufmann in Verlegenheit setzt.
Zuckerrohr ist der Hauptartickel, Zuckerrohr ist der Hauptartickel – seltsamerweise wird der Rohstoff importiert und die Zuckergewinnung erfolgt hier den Hamburg aus Spanien zieht und womit es ungeheure Summen gewinnt. Keine Nation hat es bisher den Hamburgern im Zuckersieden und raffiniren zuvorthun können, und der Handel mit diesem Artickel erstreckt sich durch ganz Deutschland, Polen und einen grossen Theil der Nordländer. Weine, Salz, Baumwolle, Früchte u. s. w. sind ebenfalls sehr wichtige Artickel, die Hamburg den Spaniern abnimmt, und womit es einen sehr ausgebreiteten Handel in Norden treibt. Nebstdem machen die Kattun=Strümpf= und Bandfabriken, die Spezereyen und der Fischfang einen grossen Theil des soliden Handels dieser Stadt aus. Nirgends giebt es auch feinere und kühnere Spekulanten als hier. Kein Umstand, kein Augenblick, der einem gewissen Artickel günstig ist, entgeht ihnen. Der jetzige Krieg hat hier erstaunliches Geld aufgehäuft.
Die aufgeklärten und patriotischen Regenten dieser Stadt unterlassen nichts, was zur Ausbreitung der Handlung beytragen kann. Vor mehrern Jahren suchten sie wegen dem Anschein grosser Vortheile ihren Mitbürgern den Handel nach den Küsten der Barbarey zu eröffnen. Die Holländer wurden eifersüchtig darauf, und machten den König von Spanien glauben, die Hamburger führten zu seinem Nachtheil den Sarazenen Sarazenen – Sammelbezeichnung für Araber und Mohammedaner Kriegsvorrath zu. Der König ergriff diesem Wahn gemässe Maaßregeln, welche den hiesigen Kaufleuten diesen neuen Kanal verstopfen, dem sie den ungleich wichtigern Handel mit den Unterthanen desselben nicht aufopfern konnten.
Auf allen Seiten ist diese Stadt im Gedränge mächtiger Rivalen, über deren Bedrückungen aber allzeit ihre Industrie, Klugheit und Freyheit siegen. Die dänische Regierung unterläßt nichts, was dieser Stadt schaden kann. Oft sucht sie dieselbe ohne einen abzusehenden Vortheil bloß zu necken. Die dänischen Minister glauben, der Kanal, Kanal – der Eiderkanal, der direkte Vorläufer des Nord-Ostsee-Kanals, von 1777 bis 1784 durch den dänische König Christian VII. errichtet wodurch sie die Ostsee mit dem deutschen Meere deutsches Meer – Nordsee vermittelst des Eiderflusses wirklich verbinden wollen, werde der Handlung von Hamburg und Lübeck unheilbare Wunden versetzen; allein die Regierung und der kluge Theil der hiesigen Bürgerschaft sind so ruhig darüber, als wenn se. dänische Majestät einen Kanal in Grönland graben liesse. Auf der andern Seite erschwerte der König von Preussen durch seine förchterlichen Zölle die Kommunikation dieser Stadt mit Sachsen vermittelst der Elbe, die für beyde Theile ungemein wichtig ist. Der weise Rath von Hamburg trat hierauf in Unterhandlung mit den Regierungen von Hannover und Braunschweig und entwarf den Plan zu einer Strasse, welche den Handel zwischen Sachsen und dieser Stadt erleichtern sollte. Der König von Preussen sah, daß nun seine Elbzölle eher ruinirt würden, als die Handlung zwischen Hamburg und Sachsen, und setzte sie demzufolge herab. Sie sind immer noch sehr lästig für die Sachsen und Hamburger; allein sie müssen doch in gewissen Schranken bleiben.
Aller Bedrängnisse ungeachtet, hat die Handlung dieser Stadt in diesem Jahrhundert immer zugenommen. Die durch den stärkern Anbau, die wachsende Bevölkerung und den Luxus der Nordländer vermehrte Konsumtion hat ohne Zweifel das meiste hiezu beygetragen. Allein bloß die Freyheit würde im Stand gewesen sein, eine Menge Hindernisse zu besiegen, welche feindselige Nachbarn der hiesigen Handlung in den Weg zu legen suchten. Während daß die benachbarten Regierungen ihre mannichfaltigen Akzis und Mauthsisteme einführten, und dadurch ihren Unterthanen so viele Handlungskanäle verstopften, eröffnete man hier der Aus= und Einfuhr der Waaren ohne den geringsten Unterschied alle mögliche Thüren, und suchte die Zölle eher zu verringern als zu erhöhen. Diese uneingeschränkte Handlungsfreyheit entspricht vollkommen der Verfassung und der Lage der Stadt, und sie war das einzige Mittel, welches die kluge Regierung derselben ergreifen konnte, um die Republik aufrecht zu erhalten. Wenn aber die Stadt nicht eine besondre selbstständige Republik ausmachte, so würde diese eingeschränkte Handlungsfreyheit dem Staat, welchem die Stadt zugehörte, sehr nachtheilig seyn, indem sie zum Theil auf dem Luxus und der Verschwendung des benachbarten platten Landes beruht, und nur auf Kosten andrer Theile dieses Staates bestehen könnte. Die hiesigen Politiker haben Recht, wenn sie behaupten, die uneingeschränkteste Handlungsfreyheit sei die Grundfeste des Wohls ihrer Vaterstadt; allein sie haben sehr Unrecht, wenn sie, wie sie allgemein thun, das preußische Akzissistem für ein wahnsinniges und land= und leutverderbliches Unternehmen halten. Mit einer einzeln, unabhängigen Stadt verhält es sich ganz anders, als mit einem grossen Staat. Die Handlung, welche die Herren Hamburger bereichert, macht viele Holsteiner und Meklenburger arm, denen sie soviel Geld für Kafee, Zucker, Wein u. dgl. m. abzapft, und sie könnte des Königs von Preussen beste Provinz in kurzer Zeit zu Grunde richten, so wie die blühende Handlung von Danzig sehr viel zur Verarmung des ganzen, weiten polnischen Reiches beygetragen hat. Wenn Hamburg ein beträchtliches Gebiet hätte, so würden seine Regenten bald die schlimmen Folgen einer unbedingten Handlungsfreyheit empfinden, wenigstens wenn sie nicht, wie die Regenten einiger andern Republiken, das Landvolk den Bürgern der Stadt gänzlich aufopfern wollten. Unterdessen hat bloß das Geschrey der aus= und inländischen Kaufleute, von denen der König von Preussen seine Bauern nicht will plündern lassen, ihn bey den Leuten von Herrn Wraxalls Art in den Ruf der Tyranney gebracht.
Das Vermögen der hiesigen Einwohner ist einer beständigen Ebb' und Fluth gleich. Die kostbare Lebensart ist die Ursache, daß wenige sehr reiche Häuser hier sind, und vielleicht keines aufzufinden ist, das sich über 60 Jahre lang in einem gewissen Glanz erhalten hat. Das ungeheure Vermögen dieser so mächtigen Handelsstadt ist so sehr vertheilt, daß nicht über 5 Millionärs hier zu finden sind, aber die Zahl der Häuser von 300 bis 600 tausend Gulden ist sehr groß. Sobald es ein Kaufmann auf die 100.000 Gulden gebracht hat, muß er seine Equipage und seinen Garten haben. Sein Aufwand steigt mit seinem Vermögen, und dann ist der kleinste Schlag im Stand, ihn wieder in den Koth zurück zu werfen, aus dem er sich freylich wieder sehr leicht herausarbeiten kann. Hamburg ist darin wirklich einzig, daß man hier viele Leute findet, die 2, 3 und 4 mal bankrutt geworden, und doch wieder bey Kräften sind. Der Mann, der seine 200 bis 300 tausend Gulden Vermögen hatte, und sowohl in seiner Wirthschaft als auch in seinen Handelsgeschäften mehr Lärmen damit machte, als mancher Amsterdamer mit vielen Millionen, verliert augenblicklich sein Komptoir, sein Haus, seine Magazine, seinen Garten, seine Kutschen und Pferde, läuft des andern Tages wieder als Mäkler in der Stadt herum, und kaum ist sein altes Haab und Fahrt vom Gerichte verkauft, so hat er schon wieder sein Komptoir, kauft sich wieder ein Haus, fährt gar bald wieder mit 2 prächtigen Holsteinern herum, hat wieder seinen Garten, seinen Koch, seine Spieltische, und, husch! ist er wieder ein Mäkler. Die unbeschreibliche Leichtigkeit, das Geld umzusetzen, macht die Kaufleute hier zu kühn, und ein Hamburger macht mit 50.000 Gulden gewiß mehr Geschäfte, als ein Holländer mit 200.000; allein dagegen ist er auch den schlimmen Zufällen mehr ausgesetzt als dieser. Die Sicherheit, in seinem Alter nicht darben zu müssen, macht ihn vollends sorglos. Nirgends hat man für die Bankruttiers so günstige Einrichtungen als hier. Sie erhalten, wenn sie nicht wieder mäklen und ihr Glück von neuem versuchen wollen, Stadtdienste, von welchen sie gemächlich leben können, und man hat auch besondre Fonds, um arme Bürger, unter denen man hier nichts als Bankruttiers versteht, zu unterstützen. Ueberhaupt findet man nirgends so vortrefliche Armenanstalten, als hier. Man sieht überall, daß Bankruttiers von jeher Theil an der Gesetzgebung und Staatsverwaltung gehabt haben, und sich und ihre Nachkommenschaft auf alle Fälle sicher setzen wollten.
Die schnellen und beständigen Revolutionen in den Handelshäusern geben hier dem Kaufmannsgeist einen Schwung, den er nirgends in der Welt hat. Nirgends thut das kaufmännische Genie so viele Wunder, als hier. In richtigen Beurtheilungen, Kalkulationen, Spekulationen und glücklichen Koups übertreffen die Hamburger weit die Holländer, und unter den hiesigen Mäklern findet man mehr ächte Handlungstheorie, als in manchen dicken Büchern, die hierüber geschrieben worden. Nur muß man dieselbe nicht statistisch betrachten wollen, denn für Zölle, Akzise und alles, was dem modernen Judaismus im Weg steht, haben sie keinen Sinn. Der Schliff und die Biegsamkeit, welche die häufigen und mannichfaltigen Zufälle dem hiesigen Handlungsgeist geben, sind in Rücksicht auf das Ganze ein grösseres Kapital, als die Millionen der Holländer, die geschickter sind, das Geld zu behalten, als zu erwerben. Mit der nämlichen Leichtigkeit, womit der Hamburger fällt, arbeitet er sich auch wieder empor, dahingegen der Holländer ohne die äusserste Kärglichkeit und angestrengte Bemühungen sein Glück nicht machen kann, und überhaupt genommen bloß durch den Fleiß und Sparsamkeit seiner Ahnen vermögend ist. Reiche Erben sind hier nach dem Verhältniß der ganzen Geldmasse sehr selten, weil dieselbe zu sehr vertheilt, und ihre Ebb' und Fluth zu schnell ist. Verstand und Industrie sind hier das Hauptkapital des einzeln Kaufmannes.
Der ganz uneingeschränkte Kredit der hiesigen Bank ist ein Beweis, wie vermögend die Stadt im Ganzen ist und wie richtig man hier über alles denkt, was Bezug auf die Handlung hat. Die Grundsätze, wornach diese Bank eingerichtet ist, sind die einfachsten, die sich denken lassen. Kein Papier, keine gewisse Münzsorte, kein eingebildeter Werth, sondern das wirklich baar daliegende und nach dem Pfund abgewogene Silber, ist die Grundveste dieser Bank, die sich bey allen Fremden in so grosses Ansehen gesetzt hat, und gewiß auch unter allen, die man nur kennt, die solideste ist.
Die Regierungsverfassung von Hamburg ist vortreflich. Ich kenne keine Republik, die das Mittel zwischen Aristokratie und Demokratie so glücklich traf und sich gegen die Inkonvenienzen Inkonvenienz – Unbequemlichkeit; Nachteil beyder Regierungsarten so sicher zu setzen wußte, als diese. Die gesetzgebende Macht ist in den Händen der gesammten Bürgerschaft. Sie ist nach den 5 Kirchspielen der Stadt eingetheilt. Das erste Kollegium, oder der erste Ausschuß derselben besteht aus den Oberalten, deren aus jedem Kirchspiele 3 von den verschiedenen Gemeinden dazu erwählt werden. Zu dem zweyten Ausschuß wählt jedes Kirchspiel noch 9 Personen, so daß er mit den Oberalten ein Kollegium von 60 ausmacht. Zu dem dritten Ausschuß giebt jedes Kirchspiel noch 24, so daß er mit den beyden erstern aus 180 Personen besteht. Gewisse Dinge werden vom Rath stufenweis bloß vor diese 3 Ausschüsse der Bürgerschaft gebracht; wenn aber ein neues Gesetz oder eine Auflage zu machen ist, so muß es, wenn es vor diesen Ausschüssen war, auch noch der gesammten Bürgerschaft vorgetragen werden. Bey dieser Bürgerversammlung müssen die 180, und aus jedem Kirchspiele noch 6 sogenannte Adjunkten Adjunkt – Assistent eines Beamten nothwendig erscheinen. Von den übrigen Bürgern darf jeder, der ein eigenes Haus oder unbewegliches Gut schuldenfrey, oder eine bestimmte Summe baares Geld über den Werth besitzt, um welchen das Haus oder das Gut verhypothezirt Verhypothezirt – hier: im Wert eingeschätzt ist, bey dieser Versammlung erscheinen und seine Stimme geben.
Das elende Zunftsystem, welches in andern Republiken, die sich der Demokratie nähern, oft zu so lächerlichen und oft auch zu so abscheulichen Auftritten Anlaß giebt, hat also hier keinen Einfluß auf den Staat. Kein Handwerk kann hier, wie in manchen andern republikanischen Städten, das ganze Volk tyrannisiren, und der Schusterleist kann nicht der Maaßstab vom Wohl des gemeinen Wesens werden. Es ist auch dafür gesorgt, daß die Volksluft, welche in Staaten, die der demokratischen Verfassung so nahe als Hamburg sind, oft die weisesten Verordnungen und die gemeinnützigsten Entwürfe verweht, dem hiesigen Staat nicht so leicht nachtheilig seyn kann. Ehe ein Gesetz vor die gesammte Bürgerschaft kömmt, ist es schon von dem bessern Theil derselben geprüft worden, und es ist dann nicht schwer das Volk für die gute Sache zu gewinnen, da es zu seinen von ihm selbst gewählten Ausschüssen Zutrauen haben muß. Der Hauptausschuß ist auch zu zahlreich, als daß sich eine besondre Parthey durch die bekannten demokratischen Künste leicht überwichtig machen könnte. Da die Ausschüsse für eine lange Zeit gewählt sind und nicht leicht abgeändert werden; so sind ihre Mitglieder mit dem wahren Zustand des gemeinen Wesens bekannt genug, um ihren Gemeinden und der gesammten Bürgerschaft einen genauen und deutlichen Begriff von dem Sinn der Gesetze, Verordnungen und öffentlichen Anstalten geben zu können. Die Vertheilung der Bürgerschaft nach den Kirchspielen hat auch noch den Vortheil, daß die Familienverbindungen nicht so leicht ein schädliches Uebergewicht bekommen, als in den Republiken, wo dieselbe in Zünfte oder beliebige gewählte Gesellschaften vertheilt ist. Wenn du dir die Mühe nimmst, diese Verfassung mit andern republikanischen Formen zu vergleichen, so wirst du leicht noch mehr Vortheile herausrechnen können.
Der Rath, welcher die vollziehende Gewalt in Händen hat, besteht aus 36 Personen, nämlich vier Bürgermeister, 4 Syndiks, Syndik – Syndikus: Bevollmächtigter einer Körperschaft 24 Rathsherren und 4 Sekretärs: Aber bloß die Stimmen der Bürgermeister und Rathsherren werden gezält. Er wählt seine Glieder selbst nach vorläufigem Vorschlage durch das Loos. Seine Gewalt, die sich nämlich bloß auf Vollziehung der Gesetze bezieht, ist uneingeschränkt, und die Gerechtigkeit und Polizey haben deswegen hier eine Kraft, die sie in wenigen so demokratischen Republiken haben. Er besteht nicht aus Leuten, die gar keinen Beruf zum Regieren haben können, wie in andern Republiken. Drey von den Bürgermeistern, 11 Rathsherren und alle Syndiks und Sekretärs müssen Gelehrte und sogar Graduirte seyn, und Beweise von ihren erfoderlichen Kenntnissen abgelegt haben. Ein Bürgermeister und 13 Rathsherren müssen, der Natur der Republik gemäß, Kaufleute seyn. Die Einkünfte von den Rathsstellen selbst sind unbeträchtlich genug, um den Geitz von der allgemeinen Staatsverwaltung entfernt zu halten. Ehre, Tugend und Geschicklichkeit sind die vorzüglichsten Beweggründe zur Bewerbung. Wenn einer die Rathsstelle, wozu er gewählt wird, ausschlägt, muß er sogleich die Stadt räumen. Die Anzahl der Rathsglieder ist zu gering, als daß die Familienpartheylichkeiten der Gerechtigkeit und Polizey öfters hinderlich seyn könnten. Kurz, die gesetzgebende Macht ist so sanft und populär, als sie seyn kann, und die vollziehende Macht ist, wie sie seyn muß, monarchisch strenge, und Hamburg ist wirklich das Muster einer wohleingerichteten Republik.
Malversationen Malversation – Veruntreuung mit den Staatsgeldern sind hier höchst selten, und fast unmöglich, weil die Leute, welche sie verwalten, keine Glieder des Rathes sind, sondern unter der strengen Aufsicht desselben und der Bürgerschaft stehen und zur pünktlichsten Rechenschaft gezogen werden. Sie sind eine besondere Deputation der Bürgerschaft, die aus 10 Personen besteht, wozu jedes Kirchspiel zwey, theils durch Wahl, theils durchs Loos, deputirt. Alle 6 Jahre legt jeder dieser Deputirten sein Amt nieder, und sein Kirchspiel wählt einen andern an seine Stelle. Dieß geschieht nicht, um, wie in andern Republiken, mehrere am gemeinen Besten Theil nehmen zu lassen, sondern, um die Deputirten von einer wirklichen Last zu befreyen.
Die Einkünfte der Stadt sind sehr beträchtlich, und fliessen theils aus alten beständigen Quellen, theils aus unbeständigen Auflagen, die von der Bürgerschaft bewilligt werden. Gewisse Kontributionen Kontribution – hier: Beitrag zu einer gemeinsamen Sache hat der Bürger das Recht in einem verschlossenen Beutel den Deputierten einzuhändigen, den sie in seiner Gegenwart nicht öffnen dörfen. Die Stadt hat auch ungeheure Ausgaben. Um den Ausfluß der Elbe, worauf das ganze Wohl der Republik beruht, nicht versanden zu lassen, und ihren bey der Mündung des Flusses gelegenen Haven im Stand zu erhalten, hat sie Anstalten treffen müssen, die dem Anschein nach ihre Kräften übersteigen sollten. Ihre sämmtlichen Einkünfte sollen sich auf beynahe 4 Millionen Mark, belaufen, und reichen kaum zum nöthigen Aufwand zu.
Die schnellen und beständigen Revolutionen Revolution – hier: Schwankungen, Veränderungen in dem Vermögen der einzeln Bürger setzen diesen Staat vielleicht noch wirksamer als seine Verfassung gegen Oligarchie Oligarchie – Ausübung der Herrschaft durch eine kleine Gruppe und Familienkomplotte sicher. Hier weiß man nichts von herrschenden oder gefährlichen Häusern, von welchen keine unserer heutigen Republiken frey ist. Ein Beweis von der guten Einrichtung und der vortreflichen Verwaltung dieser Republik ist, daß sie vielleicht die einzige deutsche Reichsstadt ist, die keine Prozesse mit sich selbst bey den Reichsgerichten führt. Zu Wien nennte man mir verschiedene Reichsstädte, deren manche Prozesse zu Dutzenden gegen sich selbst beym Reichshofrath anhängig gemacht hat. Zu Anfang dieses Jahrhunderts war Hamburg auch in einer starken Gärung, die aber 1708 durch die wohlthätige Verwendung des kayserlichen Hofes und die Klugheit verschiedener Patrioten so gänzlich unterdrückt wurde, daß die Ruhe des Staats seitdem nicht die geringste Erschütterung mehr erlitten. Die Bande der Gesellschaft sind wirklich zu vest, als daß einige Zerrüttung in Zukunft zu beförchten stünde.
Bloß der misverstandne Religionseifer wollte einigemal Feuer anblasen; allein zu unsern Zeiten ist das Religionsfeuer überhaupt nur eine Strohflamme, die sich noch leichter aus= als anblasen läßt. Die Gegenwart des kayserlichen Gesandten, den die Bürgerschaft aus mehr als einer Ursache zu respektiren hat, und die Weisheit des Rathes sorgen dafür, daß die Funken erstickt werden, ehe sie zu Flammen ausbrechen können. Unterdessen war Hamburg von jeher mit orthodoxen Pfaffen gesegnet, die es an nichts ermangeln liessen, was einen Brand erregen könnte. Durch unermüdetes Blasen brachten sie es einigemal dahin, daß das Volk zu Thätlichkeiten schreiten wollte, um den Gottesdienst der Katholicken in der Hauskapelle des kaiserlichen Gesandten zu stören; allein die Polizey war ihnen allezeit überlegen. Wirklich steht an der Spitze der hiesigen Geistlichkeit ein Mann, welcher der Stadt in unserm philosophischen Jahrhundert wenig Ehre machen würde, wenn man nicht wüßte, daß ihn der Rath bloß deßwegen duldet, weil er äusserst sicher ist, daß seine inquisitorischen Anstalten nicht die geringste Wirkung haben, und die Scheiterhaufen, die er beständig baut, niemand ein Häärchen versengen können. Erst vor kurzem bließ dieser orthodoxe Mann, der sich Götz Johann Melchior Goeze, Hauptpastor zu St. Katharinen, † 1786. s. a. Lessing »Anti-Goeze« und Andreas Urs Sommer »Die Kunst selbst zu denken«. Seine Polemik gegen Goethes »Werther« steht unter www.goethezeitportal.de/ zur Verfügung nennt, auf der Kanzel wieder gegen den Pabst und seinen Anhang Feuer; es that aber keine andre Wirkung, als daß er sich die Baken wund bließ, und er dem kaiserlichen Gesandten eine Abbitte thun mußte. Als dieser Mann seinen geistlichen papiernen Thron bestieg, herrschte noch die löbliche Gewohnheit in Hamburg, vor jeder Predigt in einem Gebet den Pabst und seinen Anhang öffentlich und feyerlich zu verfluchen. Der Rath sah ein, daß dieß zu unsern Zeiten eine grosse Aergerniß wäre, und befahl dem Herrn Hauptpastor, diesen Fluch ins künftige zu unterlassen. Die Liebe zum Fluchen war aber diesem Mann so an die Seele gewachsen, daß er gegen diese Eingriffe der weltlichen Macht in das Heiligthum eine förmliche Protestation eingab, und ohne die weitern Verfügungen seiner Oberherren abzuwarten, in der nächsten Predigt einen doppelten Keil [Pfeil?] auf den Pabst und sein Reich von der Kanzel herabschleuderte; seine Donnerschläge sind aber zum Glück allezeit kalt. Der Rath ergriff nun das wirksamste Mittel, um den unartigen Mann Sitten zu lehren, und drohte ihm mit dem Verlust seiner fetten Pfründe. Der Herr Hauptpastor hatte Philosophie genug, um einzusehn, daß es besser für ihn sey, nicht zu fluchen, als zu hungern, und so war der Pabst und sein Reich in den Kirchen der Reichs= und Hansestadt Hamburg gerettet. Obschon dieser Mann unzälige Mal öffentlich und allgemein ausgepfiffen worden, und seit 12 bis 15 Jahren der beständige Gegenstand des Spottes vom ganzen protestantischen Deutschland und zum Theil auch von seinen geistlichen Brüdern in Hamburg ist, so ist sein heiliger Eifer doch im geringsten nicht erkaltet. Gegen das Sittenverderbniß eifert er eben so sehr als gegen den Pabst. Er ist ein abgesagter Feind von allen öffentlichen Belustigungen: aber gegen die Lustparthien hinter den Bettgardinen soll er sanftere Gesinnungen hegen. Die Theater sind ihm besonders ein scharfer Dorn in den Augen. Da der bessere Theil des hiesigen Publikums nur seinen Spaß mit ihm treibt, so gab es schon verschiedene sehr interessante Auftritte. Unter andern fand einst ein Engländer ein deutsches Originalstück auf dem hiesigen Theater so schön, daß er den Mann, der neben ihm saß, um den Namen des Verfassers fragte. Dieser Mann war ein sehr witziger Kopf, namens Dreyer, Dreyer – Johann Mathias Dreyer, Zeitungsredakteur und Gelegenheitsdichter in Hamburg. Er war berühmt-berüchtigt für seine scharfe Zunge und mußte wegen seines Hauptwerkes »Schöne Spielwerke beim Wein, Punsch, Bischof und Krambambuli« die Stadt vorübergehend verlassen, † 1769. welcher den Engländer gar ernstlich versicherte, der Herr Senior und Hauptpastor Götz wäre der Verfasser dieses vortreflichen Stückes. Der Engländer, voll Begierde, einen so grossen Theaterdichter kennen zu lernen, machte des andern Tages dem geistlichen Akteur seine Aufwartung, der sich über das Kompliment, welches ihm der Britte wegen der angedichteten Geistesgeburth machte, so sehr ärgerte, daß er Gift speyen wollte. Da er ein handvester Mann und Lebensart überhaupt seine Sache nicht ist, so schmiß er den Engländer zur Thüre hinaus. Herr Dreyer, der ihn in den April geschikt, begegnete ihm bald darauf auf der Strasse. Ohne die geringste Erklärung gab ihm der Engländer eine Ohrfeige, daß er zu Boden sinken wollte. Demungeachtet spielte Herr Dreyer nachher dem antitheatralischen Herrn Pastor noch manchen ähnlichen Streich.
Ich hielt dich so lange mit diesem Pastor auf, um dir ein Beispiel zu geben, daß die protestantische Geistlichkeit nicht durchaus in Deutschland so wohl gezogen und tolerant ist, als in Sachsen und in den preußischen Staaten. Ueberhaupt ist die Religion des grossen Haufens in den Gegenden der Niederelbe lange nicht so helle, als weiter oben.
Das misverstandne Eifern gegen die öffentlichen Belustigungen trägt viel dazu bey, daß die schädlichen Winkelergötzungen hier so häufig sind, und daß sich in einer so reichen Stadt von 90.000 Menschen kein Theater erhalten kann, indessen täglich in den Stunden, wo man gemeiniglich das Theater zu besuchen pflegt, zum Verderben der Familien viele tausend Gulden verspielt werden.