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Maynz –
Der Reisende, welcher nicht die Mühe nehmen mag, sich weit von seinem Absteigequartier zu entfernen, nimmt keine gute Meinung von dieser Stadt mit sich. Der bessere Theil derselben ist grade der, wo die wenigsten und fast gar keine Gasthöfe und keine Passagen sind. Besonders liegt das Gasthaus zu den 3 Kronen, welches am häufigsten besucht wird, in der finstersten und abschreckendsten Gegend derselben, so gut auch die Bewirthung darinn ist. Von da kann man einen beträchtlichen Theil der Stadt durchwandern, ohne etwas anders, als eine finstere Häusermasse zu sehn, die über die engen Strassen hie und da den Einsturz drohen. Ich hab deswegen von dieser Stadt die widersprechendsten Nachrichten bekommen, ehe ich sie selbst besichtigt hatte. Einige hatten mir sie als eine Kloake, und andre als eine der besten Städte Deutschlands beschrieben. Erst vor einigen Tagen traf ich einen unsrer Landsleute, die als Avanturiers von jeder Art, besonders in dieser Gegend, ihre Rechnung finden, der mich in vollem Ernst versicherte, Maynz wäre die einzige erträgliche Stadt in Deutschland. Der gute Mann hatte nichts, als das Kölnische und Trierische und einen Theil von Westphalen gesehn. Ich konnte ihm nichts anders antworten, als daß Deutschland sehr groß wäre.
Der nördlichste Theil der Stadt, wo die Residenz des Fürsten liegt, ist wirklich sehr schön gebaut. Hier ziehn sich 3 schnurgrade Strassen, die Bleichen genannt, vom Ufer des Rheines bis auf 700 Schritte Landeinwärts in parallelen Linien, die fast regelmäßig von hübschen Querstrassen durchschnitten werden. Die kurfürstliche Residenz beherrscht sowohl durch diese Parallelstrassen, als auch über den Rhein und einen Theil des Rheingaus eine unvergleichliche Aussicht. Von diesem neuen Theil der Stadt ziehn sich einige sehr schöne Strassen und Plätze in die alte Stadt hinein. Der sogenannte Thiermarkt, an der nordwestlichen Seite der Stadt, ist besonders sehenswürdig. Auch in der alten Häusermasse findet man hie und da einige lachende Gegenden. Der mitten in der Stadt gelegene Markt ist zwar kein regelmäßiger, aber doch einer der schönsten Plätze, die ich in Deutschland sah.
Auf demselben nimmt sich die Dohmkirche vorzüglich aus. Sie ist ein ungeheures vortrefliches gothisches Gebäude, othisches Gebäude – Irrtum, der Baustil ist romanisch dessen erstaunlicher Hauptthurm vor ohngefähr 17 Jahren vom Blitz in die Asche gelegt ward. vom Blitz in die Asche gelegt – 22. 05. 1767 brannte der nördliche Vierungsturm ab, zwei Jahre später erfolgte der Wiederaufbau in der heutigen Form Er war von einem Wald von Holz gebaut und stand gegen 14 Stunden in vollen Flammen, ehe er verzehrt war. Um diesem Schicksal in Zukunft zuvorzukommen, ließ ihn das Domkapitel nun von blossen Steinen, beynahe in gleicher Höhe, erbauen, welches Unternehmen dasselbe gegen 400.000 Gulden gekostet. Schade, daß er zu sehr mit kleinen Zierrathen überladen ist; und noch mehr Schade, daß dieser bewundernswürdige Dohm mit kleinen Bürgerhäusern und Buden umgeben ist, die ihn zur Hälfte verdecken. Allein, da die Häuser und Buden in dieser Gegend der Stadt am theuersten sind, so kann man es dem Dohmkapitel nicht sehr verübeln, wenn es sich lieber seinen Grund und Boden bezahlen, als seine Kirche in mehrerm Glanz paradieren läßt.
Schwerlich findet man in Deutschland eine Kirche von der Länge und Höhe dieses Dohms. Verschiedne prächtige Monumente von Kurfürsten und andern Standespersonen verschönern das Innere desselben. Unter andern bewunderte ich das Monument eines verstorbenen Dohmprälaten, Herrn von Dahlberg, Herr von Dahlberg – Wolfgang von Dalberg, Erzbischof und Kurfürst von Mainz, † 1601 welches der Bildhauer Melchior verfertigt, dessen ich in meinem letztern Briefe erwähnt. Der Prälat liegt in Lebensgrösse auf einem Sarg, worauf eine Pyramide steht, die eine Dreyfaltigkeit in Wolken trägt. Die Arbeit ist vortreflich, würde aber noch viel schöner seyn, wenn der Künstler seine eigne Idee hätte ausarbeiten därfen. Im obern Kor pranget ein köstliches Stück von Bildhauerkunst. Ein Graf von Lamberg, der unter einem Prinzen von der Pfalz die kaiserlichen Truppen kommandirte, welche zu Anfang dieses Jahrhunderts unsere Armee aus der Stadt Maynz vertrieben, und an der Seite desselben in einem Schiff während des Angriffs von einer Stückkugel getödet ward, hebt mit dem rechten Arm trotzig den Deckel seines Sarges auf, und strekt mit der Linken den Kommandostab heraus. Das thut eine ungemein gute Wirkung, und drükt die Todesart des Helden sehr lebhaft aus. Man findet in dieser Hauptkirche noch mehrere sehenswürdige Denkmäler. – Der Schatz derselben übertrift das sogenannte grüne Gewölbe zu Dresden, wovon man so viel Lärmen macht, um ein beträchtliches.
Nebst dem Dohm enthält die Stadt Maynz noch viele andre merkwürdige Kirchen von modernem Geschmack. Die Jesuiten= und Peterskirche sind immer sehenswürdig, ob sie schon zu sehr mit Zierrathen überladen sind. Die Augustinerkirche, wovon die Maynzer viel zu rühmen wissen, ist das Meisterstük eines verdorbenen Geschmaks. Um so viel schöner ist die von den Einwohnern weniger bewunderte Ignatiuskirche, die ein Muster von antikem Styl seyn würde, wenn nicht eine unglückliche Hand auch hier zu viel Ziererey angebracht hätte. Ueberhaupt vermißt man auch an den Pallästen der Adelichen, die hie und da aus den Bürgerhäusern hervorstechen, die edle Simplizität, welche ganz allein die wahre Grösse und Schönheit ausmacht.
Nach einem Menschenalter wird die Stadt Maynz im Aeusserlichen kaum mehr zu erkennen seyn. Unter dem vorigen Kurfürsten ist sehr lebhaft gebaut worden, und diese Art von Aufwand scheint auch die Lieblingsbeschäftigung des jetztregierenden Fürsten zu seyn. Man zwang die Klöster und Stifter, ihre alten Häuser von neuem aufzubauen, und wenn manche Strassen etwas breiter und grader wären, so würden sie schon keine schlechte Figur machen.
Die Einwohner, deren Anzahl sich sammt der Garnison auf 30.000 beläuft, sind eine gute Art Leute, die, wie alle Katholiken Deutschlands, sehr viel auf eine gute Tafel halten. Ihre Physionomien sind interessant, und es fehlt ihnen nicht an natürlichem Witz und Lebhaftigkeit; allein erst nach einigen Generationen werden sie in der Kultur des Geistes ihren protestantischen Landsleuten gleich seyn, so sehr sich auch die hiesige Regierung seit 16 bis 18 Jahren durch gute Erziehungsanstalten vor den übrigen katholischen Regierungen Deutschlands ausgezeichnet hat. Doch findet man in keiner katholischen Stadt Deutschlands so viele helldenkende und wirkliche gelehrte Männer, als hier. Unter der vorigen Regierung trieb man die Freyheit zu denken und zu schreiben beynahe zur Ausschweifung, und obschon der jetzige Kurfürst der jetzige Kurfürst – Erthal, s. Zwey und sechzigster Brief. die Segel etwas mehr eingezogen hat, so lavirt er doch gradewegs der Philosophie entgegen. Die Wahlkapitulation Wahlkapitulation – Bedingungen des Domkapitels, die der zu wählende Erzbischof / Kurfürst vor seiner Wahl bestätigen muß des über die vorige Regierung aufgebrachten Dohmkapitels, seine Verbindungen mit der verstorbenen Kaiserin, gewisse Familienverkettungen, und überhaupt die Einschränkungen eines geistlichen Fürsten verwehrten ihm, seinen Lauf mit mehr Entschlossenheit anzutretten. Das Schicksal seines Vorfahrers, Vorfahrer – Emmerich Joseph Freiherr von Breidbach zu Bürresheim, Erzbischof seit 1763, stand der Aufklärung nahe, reformierte die Klöster, entmachtete die Jesuiten, beschränkte Prozessionen und Feiertage. Von seinem Sturz ist nichts bekannt, † 1774 der durch seinen zu heftigen Reformationseifer Priester und Leviten Levit – Helfer des Priesters beim Hochamt gegen sich in Harnisch brachte, mußte ihn ein wenig behutsamer machen, so wie sein Ministerium an dem Sturz des ehemaligen ein sehr erbauliches Beyspiel hatte. Man kann es also der jetzigen Regierung nicht verargen, wenn sie nicht gradezu mit allem Nachdruck nach ihrer Ueberzeugung handelt. Ich sage nach ihrer Ueberzeugung, denn zuverläßig fehlt es hier an der politischen Theorie nicht. Der Erzbischof Erzbischof – s. Zwey und sechzigster Brief ist ein Mann, der sich an den wichtigsten Stellen, so wie sein Bruder, sein Bruder – s. Ein und sechzigster Brief. Bischof von Würzburg, eine grosse Menschen- und Geschäftekenntniß gesammelt hat, und bloß in Betracht seiner Verdienste vom kaiserlichen Hof dem hiesigen Domkapitel bey Erledigung des erzbischöflichen Stules empfohlen wurde. Unter seinen Ministern und Räthen findet man die vortreflichsten Männer, und einige derselben könnten auch bey der Verwaltung eines ungleich grössern Staates, als das Kurfürstenthum Maynz ist, eine ausgezeichnete Rolle übernehmen.
Vermuthlich geschah es bloß aus Hochachtung gegen den kaiserlichen Hof, seinen Patron, daß der jetzige Kurfürst aus Wien, wo er mehrere Jahre als maynzischer Gesandte stand, einige Polizeygrundsätze mit sich nahm und beym Antritt seiner Regierung in Ausübung brachte, die der bürgerlichen Gesellschaft äusserst nachtheilig seyn müssen. Er ist der eifrigste Verehrer der Keuschheitsanstalten der verstorbenen Kaiserin. Er hat auch bey seinem Konsistorium die Maxime eingeführt, den Schwängerer stehenden Fusses mit dem geschwängerten Mädchen zu verehelichen, um die Hurerey und die schlimmen Wirkungen derselben zu hemmen. Wenn doch der sonst so einsichtige Fürst sehen könnte, welche Unordnungen diese Verfügungen im Ehestand veranlassen. Man zeigte mir hier einen jungen Menschen, der auf diese Art eine Frau bekam, die er aber jezt selbst seinen guten Freunden zum verkosten anbiethet. Vernichtung aller ehelichen Liebe und Treue, Unfruchtbarkeit der Ehen, die schändlichsten Verführungen, wenn eine Dirne mit einem jungen Menschen ihr Glück zu machen glaubt, Ehebrüche und noch unendliche Uebel sind Folgen dieser Verordnungen. Die Regierung von Neapel hatte ehedem die nämlichen Grundsätze; aber die Erfahrung lehrte sie, daß sie schädlich waren, und schon vor 4 Jahren erschien eine Verordnung, Huren, wie sie es verdienen, ihrem Schicksal zu überlassen. Warum sollte auch eine Dirne für eine Vergehung belohnt werden, die sie selbst so leicht, als die andre Parthey, vermeiden konnte? Belohnung ist es allzeit; denn das Mädchen, welches die Gränzen der Schaam einmahl überschritten hat, ist gewiß für jedermann feil, und sucht sich dann unter seinen vielen Liebhabern den aus, mit welchem es am gemächlichsten zu leben hoft. Wenn es aber auch den Vater mit Zuverläßigkeit angeben kann, so muß man, solange dieß Gesetz gilt, doch allzeit voraussetzen, daß es selbst den ersten Schritt zu seinem Fall gethan hat, denn es ist in unsrer jezigen Welt für das Frauenzimmer viel schwerer, sich zu begatten, als für das Mannsvolk. Die Verführung zu einer Farce, die sich nach diesem Gesetz mit einer Heyrath schliessen muß, ist also größtentheils der schönern Hälfte des Stückes auf die Rechnung zu setzen. Auch der jetzige Kaiser hat, seiner Weisheit gemäß, die Erfahrung zu Rath gezogen, und die ehemaligen Keuschheitsanstalten seiner Mutter aufgehoben. Eine besondre Verordnung desselben gebiethet ausdrücklich, daß eine geschwängerte Person keine Ansprüche auf ihren Liebhaber zu machen habe. Ist es nicht im höchsten Grad unbillig, daß das ganze Glück eines jungen Menschen von einem wohllüstigen Augenblik und der Verführungskunst einer Buhlerin abhängen soll? Man betrachtet diese gewaltthätige Verehelichungen als den sichersten Damm gegen die Kindermorde. Morden aber die gegenseitige Kälte der Ehepaare und die Ausschweifungen der Weiber und Männer, welche durch dieselben begünstigt werden, die Kinder nicht zu Dutzenden? Wie lange soll es noch währen, bis sich unsre Regierungen überzeugen, daß aller physische Zwang in moralischen Fällen für die menschliche Gesellschaft verderblich ist?
Nach Wien giebt es wenig Städte in Deutschland, wo ein so zahlreicher und mächtiger Adel versammelt ist, als hier. Es sind einige Häuser, die gegen 100.000 Gulden Einkünfte haben. Die Grafen von Bassenheim, Schönborn, Stadion, Ingelheim, Elz, Ostein, Walderdorf, die Freyherren von Dahlberg, Breitenbach und einige andre stehn alle jährlich zwischen 30 und 100 tausend Gulden. Nebst diesen zählt man hier noch gegen 16 bis 18 Häuser, die jährlich 15 bis an 30 tausend Gulden Revenuen haben. Der hiesige Adel wird für den ältesten und reinsten in Deutschland gehalten. Die fetten Dohmpfründen und die Hofnung, aus ihrem Schoos einen Kurfürsten zu zeugen, lokt die Familien hieher, und macht sie auf ihre Reinheit so aufmerksam. Wie vortheilhaft es für eine Familie sey, einen Sprossen auf dem erzbischöflichen Stul zu haben, kannst du daraus ermessen, daß der vorige Kurfürst, der nicht der strengste Oekonom war und nicht viel auf den Nepotismus Nepotismus – Vetternwirtschaft, nicht nur die Hauptbeschäftigung der Renaissancepäpste, sondern auch Pius' XII. († 1958) hielt, für seine Familie gegen 900.000 Gulden zurückgelassen, wovon sie aber nur die Nutzniessung hat, und die nach Absterben derselben, dem Lande anheim fallen. Sein Vorfahrer, ein Herr von Ostein, Ostein – Johann Friedrich Karl von Ostein, seit 1743 Erzbischof und Kurfürst von Mainz, † 1763 soll seiner Familie gegen 4 Millionen rheinische Gulden hinterlassen haben.
Es giebt unter diesem Adel viele Personen von grossen Verdiensten, die seltene Kenntnisse mit einem thätigen Leben verbinden, und überhaupt zeichnet sich derselbe durch die sogenannte feine Sitten und gute Lebensart von dem größten Theil des übrigen deutschen Reichsadels aus. Allein im ganzen ist seine Erziehung doch zu steif und zu verzärtelt. Er ist so unpopulär, daß er dem Ersten Minister des Kurfürsten den Zutritt in seine Assembleen Assembleen – Versammlungen versagen würde, wenn er nicht von stiftsmäßigem Adel wäre; und einige dieser Herren Barons glauben sich wirklich zu verunreinigen, wenn sie vis-à-vis mit einem unadlichen stehn. Sie sprechen alle ein elendes französisches Jargon, und schämen sich wirklich ihrer Muttersprache, wie dann auch wenige von ihnen mit der Literatur ihres Vaterlandes genau bekannt sind, da sie hingegen alle, wenigstens die leichte Reiterey, von unsern Schriftstellern kennen. Die Tafeln, Kleidungen und Equipagen sind hier nach dem besten Ton von Paris. Wenn aber die Barons wüßten, welche erbärmliche Figuren sie überhaupt genommen zu Paris spielen, und welche geringe Meinung man daselbst von ihnen hat, so sehr man sie auch, ihrer Louisdor halber, mit Komplimenten überhäuft, so würden sie die Platten, Kleidungen und Equipagen à la Parisienne zum Henker wünschen. Einige derselben, z. B. Herr von Dahlberg, Statthalter von Erfurt, Baron von Groschlag, Baron von Leyen, Dohmherr, und andre wußten zwar etwas mehr, als das Patois unserer Fischweiber, den Schnitt eines Kleides u. dgl. m. aus Paris zu holen, allein die Anzahl dieser ausgebildeten Männer ist im Verhältniß zum Ganzen zu gering, als daß man den hiesigen Adelichen die Reise nach unserer Hauptstadt nicht verbieten sollte, wo sie größtentheils nur sich und ihr Vaterland prostituieren und ihre Baken und Waden zurüklassen. Baken und Waden ... – sich die Syphilis holen Ich kenne hier einige junge Herren von Adel, die auf dem Land erzogen wurden, und als Landjunker der übrigen Noblesse zum Gespötte dienen; allein diese haben ihre vollen und rothen Wangen, und wenn sie sich auch nicht so kavaliermäßig, wie die übrigen, die Zähne zu stochern wissen, die Ringe an den Fingern nicht mit soviel Grace Grace – Anmut spielen lassen, nicht durch eine Lorgnette nichts sehn können, sich nicht auf einem Bein herum drehen und mit dem schönen Air in die Luft pfeifen können, so haben sie doch ihren gesunden Menschenverstand und Waden, und wissen den Bauer und Bürger zu schätzen. Ihr Abstich mit den übrigen Baronen setzt die sogenannte feine Erziehung in ein besseres Licht, als die weitläuftigste Abhandlung.
Die hiesige Geistlichkeit ist die reichste in Deutschland. Eine Dohmpfründe trägt in einem mittelmässigen Jahr 3.500 rheinische Gulden ein. Die Pfründe des hiesigen Dohmprobstes ist ohne Vergleich die fetteste in Deutschland. Sie wirft jährlich gegen 40.000 Gulden ab. Jene des Dohmdechants trägt gegen 26.000 Gulden ein. Die sämmtlichen Einkünfte des Dohmkapitels betragen beinahe 400.000 Gulden. So sehr es auch in den geistlichen Rechten verboten ist, daß Einer nicht mehr als Eine Pfründe besitzen soll, so haben die hiesigen Dohmherren doch alle 3, 4 bis 6 Pfründen, und es ist schwerlich ein Kapitular Kapitular – Mitglied des Domkapitels da, der nicht wenigstens seine 8.000 Gulden Revenuen hätte. Der verstorbene Dohmprobst, ein Graf von Elz, hatte so viele Pfründen, daß er von derselben jährlich gegen 75.000 Gulden zog. Nebst dem Dohm sind noch viele Korherrenstifte hier, deren Pfründen jährlich gegen 12 bis 1.500 Gulden abwerfen. Um dir vom Reichthum der hiesigen Klöster einen Begriff zu geben, dient dir zur Nachricht, daß man bey der Aufhebung der Jesuiten 120.000 Rchthlr. für ihre Weine löste, ob sie schon um den billigsten Preis verkauft wurden. Der Kurfürst hob vor kurzem eine Karthaus Karthaus – Kartause: ein Kartäuserkloster (Kartäuser verlassen ihre Klosterzellen nur zu besonderen Anlässen, Fleisch ist ihnen wie auch unverdünnter Wein verboten und 2 Nonnenklöster auf, die zusammen für ohngefähr 500.000 Reichsthaler Wein in ihren geheiligten Kellern hatten.
Des ungeheuern Reichthums ungeachtet ist die hiesige Geistlichkeit doch die gesittetste in ganz Deutschland. Von auffallenden Ausschweifungen derselben hört man sehr wenig. In keiner Diöcese Diöcese – Diözese: Amtsgebiet eines katholischen Bischofs von Deutschland sind die in der Tridentinischen Kirchenversammlung ridentinische Kirchenversammlung – Tridentinum, s. Neun und zwanzigster Brief. beschlossenen Verbesserungen der Kirchenzucht mit mehr Eifer und Strenge ausgeführt worden, als in der hiesigen, wie denn auch die hiesigen Erzbischöfe schon selbst zur Zeit der Reformation und schon vor derselben mit rühmlichern Muth Hand an dieß grosse Werk gelegt hatten. Ein Grundsatz, worauf hier besonders strenge gehalten wird, und der sehr viel zur guten Ordnung unter der Geistlichkeit beyträgt, ist, keine Priester zu dulden, die nicht ihre sichere, veste und hinlängliche Versorgung haben. Die meisten Unordnungen in Bayern, Ostreich und andern Ländern werden von den vielen Abbes, die von ihrer täglichen Industrie leben müssen, und den geistlichen Taglöhnern veranlaßt, welche sich mit einer Messe, die sie durch mancherley Kniffe und Pfiffe zu erschnappen suchen, täglich den Hunger stillen. Diese Kreaturen sind hier ganz unbekannt. Von jeher waren die theologischen Grundsätze des hiesigen Hofes gereinigter, als anderer geistlichen Fürsten Deutschlands. Es fiel mir auf, die Bibel in vielen Händen so vieler gemeinen Leute, besonders auf dem Land zu sehn, und man versichert mich, daß das Lesen derselben in der hiesigen Diöcese nie verboten gewesen; das Lesen derselben ... nie verboten gewesen – Das Lesen der Bibel verboten? Nein, das ist keine Verleumdung eines Kirchenfeindes, so etwas kann auch kein Satiriker erfinden – das war die Wirklichkeit! Es war die Synode von Toulouse 1229, die den Laien den Besitz und das Lesen der beiden Testamente verbot. sondern man nur den Leuten rieth, sie nie ohne Berathung ihres Beichtvaters durchzulesen. Schon seit langer Zeit verfolgt man hier den Aberglauben bis in seine verborgensten Schlupfwinkel, und wenn man gleich die Wunderbilder und Wahlfahrten noch nicht ganz abstellen konnte, so kann es doch kein hiesiger Priester ungeahndet wagen, einen Exorzismus Exorzismus – Teufelsaustreibung. Man vergleiche dazu den Bericht über eine T. durch Johannes Paul II. am 4. April 1982 ( Eugen Drewermann »Glauben in Freiheit«, Band 1, Seite 558 ) zu machen, oder so groben Unsinn zu predigen, als man noch auf vielen Kanzeln andrer deutschen Länder zu hören gewohnt ist. Merkwürdig ist, daß Bellarmins Bellarmin – s. Vier und zwanzigster Brief. Werk von der geistlichen Hierarchie schon seit 18 Jahren hier, ein durch öffentlichen Anschlag förmlich verbotenes Buch ist.
Der vorige Kurfürst vorige Kurfürst – Emmerich, s. o. hat vorzüglich viel für die Säuberung seines geistlichen Schafstalles Schafstall – vgl. Joh. 21.15 »Weide meine Lämmer ... weide meine Schafe usw.« gethan. Er erlag unter der herkulischen Arbeit; der jetzige Fürst setzt sie aber mit etwas gemäßigterm Eifer immer fort. Jener war besonders für die Mönche förchterlich, und sah bey Ausmistung der Klöster den Weltpriestern ein wenig zu sehr durch die Finger, die unter seiner Regierung ein zu galantes Air annahmen, und die Gränzen der anständigen Freyheit ein wenig überschritten, wie denn von einem geistlichen Lehrer hier Voltärs Abhandlungen von der Toleranz Voltärs Abhandlung – »Abhandlung über die Toleranz«, 1763 und ähnliche Bücher zum Behuf seiner Vorlesungen in der öffentlichen Schule erklärt wurden, und die Werke des Helvetius, Bayle u. a. m. in den Händen der Studenten der Logik roulierten, roulieren – umlaufen während daß die Jesuiten hier damals noch de infallibilitate summi Pontificis, de immaculata conceptione B[eatae]. V[irginis]. M[ariae]. de infallibilitate summi ... – über die Unfehlbarkeit des Papstes, die unbefleckte Empfängnis der glückseligen Jungfrau Maria u. s. w. mit einem Ernst disputirten, der mit den Lieblingsauthoren der Studenten der Philosophie den lächerlichsten Kontrast machte. Der jetzige Fürst dehnt aber seine väterliche Sorge und Zuchtruthe auch über die Weltgeistlichkeit, und hat sie an einen Anstand und an ein Betragen gewöhnt, welches sowohl ihm als ihnen selbst sehr viel Ehre macht.
Wie heilig indessen das Andenken des verstorbenen Kurfürsten jedem Patrioten von Maynz seyn müsse, kannst du zur Gnüge daraus ermessen, daß er bloß zur Stiftung und Unterhaltung einer Schullehrerakademie für das Land jährlich über 30.000 Gulden aus seinem Privatbeutel hergab. In der Ueberzeugung, daß ohne den Grund einer guten Erziehung alle Verordnungen und Verbesserungsanstalten in einem Staat unnütz, oder doch nur augenblickliche Linderungspflaster, und keine vollkommne Kur seyen, sparte er nichts, was zu diesem Endzweck beytragen konnte. Der itztregierende Fürst, welcher den Grund zum Gebäude der Volkserziehung gelegt fand, sucht es, wiewol in einem etwas abgeänderten Stil auszuführen, strengt aber seine Bemühungen hauptsächlich zur Beförderung der höhern Erziehung und zur Aufnahme der Wissenschaften und Künste an. Den größten Theil der liegenden Gründe der erwähnten 3 aufgehobenen Klöster schenkte er der hiesigen Universität, deren vormals sehr schmale Einkünfte dadurch um ohngefähr 100.000 Gulden vermehrt wurden. Da dieser Fürst ganz frey vom Nepotismus ist, so kann er mehr, als irgend ein andrer Bischof Deutschlands den Musen opfern.
Die Anekdote in Pilatis Reisen von einem Schweitzer Officier, der seinen Bedienten hier in keinem Gasthaus wegen der Religion unterbringen konnte, entspricht dem itzigen Ton des hiesigen Publikums nicht. Ich war hier in mehrern Gasthäusern, wo mir der Wirth von selbst auf die Fasttäge Fleisch anboth, wenn ich allenfalls ein Protestant wäre. Wahrscheinlicher weise hat der Officier auch nicht die ganze Tour durch die einigen hundert Wirthshäuser gemacht, und es ist hier, wie überall. In einer Strasse liest man noch Legenden, während daß man in der andern mit Locke und Newton konversirt. Wenn man Paris nach den Leuten in der Gegend der Porcherons, Berlin nach den Gemeinden, die wegen eines alten unsinnigen Gesangbuchs beinahe einen Aufruhr erregt hätten, und Hamburg nach den Gemüsweibern, an deren Spitze der Pastor Götz steht, beurtheilen wollte, so würde das Urtheil über diese Städte sehr schlecht ausfallen.
Obgleich die Handlung hier seit 18 bis 20 Jahren immer blühender wird, so ist sie doch lange noch nicht das, was sie in Betracht der günstigen Lage der Stadt und andrer Vortheile seyn könnte. Die sogenannten hiesigen Kaufleute, deren einige ansehnliches Vermögen besitzen, sind im Grunde nur Krämer, die größtentheils von der Verzehrung der Stadt und des Landes umher ihre Nahrung ziehn; und nebenher Spediteurs für die Kaufleute von Frankfurt und einige andre Städte machen. Wie kleinlicht hier im ganzen noch der Kaufmannsgeist sey, kannst du daraus abnehmen, daß man hier schwerlich einen Wechselbrief von 30.000 Gulden anbringen könnte. Einige Galanteriehändler, 4 bis 5 Tobaksfabrikanten und 5 bis 6 Spezereyhändler sind alles, was man hier zur eigentlichen Kaufmannschaft rechnen könnte. Einen Wechsler giebts hier gar nicht. Und doch hat diese Stadt das unschätzbare Stappelrecht Stappelrecht – Stapelrecht: Die Stadt kann vorüberfahrende Kaufleute zum zeitlich begrenzten Lagern und Verkauf ihrer mitgeführten Waren zwingen. Der Fernhändler kann seine Waren auch an ortsansässige Kaufleute zum Weitertransport übergeben. und beherrscht vermittelst des Rheins, Mayns und Neckers die ganze Aus= und Einfuhr vom Elsaß, der Pfalz, von Franken und einem Theil von Schwaben und Hessen gegen die Niederlande zu. Man sieht hier auch immerfort einige hundert Schiffe, die aber sehr wenig auf Rechnung hiesiger Kaufleute geladen haben. Religionsvorurtheile waren ein Haupthinderniß der Aufnahme der Handlung in dieser Stadt. Zur Zeit der Auswanderung der Hugenotten wollte eine sehr beträchtliche Gesellschaft derselben sich hier anbauen. Sie versprach dem Kurfürsten, der Stadt Maynz grade gegenüber, nämlich zwischen Kassel und Kostheim, auf der Landspitze, welche der Zusammenfluß des Rheines und Maynes bildet, eine ganz neue Stadt zu bauen, sie auf ihre Kosten zu bevestigen, eine hinlängliche Besatzung darinn zu unterhalten, und der Regierung jährlich noch eine ansehnliche Abgabe zu entrichten, wenn man ihr freye Ausübung ihrer Religion gestattete, und sie die Vorrechte der alten Stadt Maynz geniessen lassen würde. Allein der damalige Kurfürst der damalige Kurfürst – Anselm Franz von Ingelheim † 1695 fand es nicht anständig, so nahe bey seiner Residenz das Gift der Ketzerey Wurzel schlagen zu lassen. Der verstorbene Kurfürst hat öfters den Wunsch geäussert, so glücklich zu seyn, daß ihm Ketzer von dieser Art eine ähnliche Anerbietung machten. Auch unter der itzigen Regierung würden sie sehr willkommen seyn; allein solche Gelegenheiten sind sehr selten, und man vertreibt nun in ganz Europa keine Hugenotten mehr.
Der Stolz und die Verschwendung des Adels sind ein anderes Hinderniß der Handlung. Er und die Geistlichkeit sind im Besitz des grossen Kapitals dieser Stadt, dessen Interessen bloß in der innern Verzehrung roulieren, und während daß der Kaufmann von Frankfurt Mitregent seiner Vaterstadt wird, sieht ihn der Kavalier hier mit der tiefsten Verachtung an, und schließt ihn gänzlich aus seiner Gesellschaft aus. Der hiesige Adel äfft bloß das Aeusserliche und die nichtsbedeutenden Kleinigkeiten des Adels von Paris und London nach, und er ist nicht dazu aufgelegt, von demselben die Kunst zu lernen, sein Vermögen durch Handlung und Industrie zu verdoppeln.
Ich habe dir schon gesagt, daß die Gesichtszüge der Einwohner dieser Stadt und der Gegend sehr interessant sind. Die Landleute sind nebstdem auch sehr stark von Bau, und eine frische Gesichtsfarbe unterscheidet sie stark von den Bayern und Norddeutschen, die überhaupt genommen, bleich von Farbe sind. Allein durch das ganze Mayngebiethe, und auch einen Theil von Hessen bis hieher fielen mir die Beine der Leute stark auf. Besonders sind die Beine der Einwohner der hiesigen Gegend sehr übel gestaltet. Entweder stehn die Knie einwärts, und bilden Frauenzimmerfüße, oder sie sind ganz grade wie Stecken. Schön ausgeschweifte Männerfüsse sieht man hierzulande höchst selten. Zuverläßig ist die unsinnige und sehr schädliche Art, die Wiegenkinder so stark einzuschnüren, welche in diesen Gegenden herrscht, wenigstens zum Theil schuld daran. Ich konnte ohne Aerger nicht zusehn, wie die Mütter es recht gut zu machen glauben, wenn sie ihre Kinder so steif, wie ein Stück Holz einfetschen, und sie dann Tagelang in dieser unnatürlichen Lage liegen lassen. Dieser Zwang hat gewiß auch auf die Seele Einfluß, die in den ersten Jahren der Kindheit so enge mit dem Körper verwebt ist. Ueberhaupt muß man die Kopieen der Deutschen des Tacitus Deutsche des Tacitus – Tacitus: s. Zweyter Brief. In seiner »Germania« beschreibt er die Germanen: »... trotzige blaue Augen, rotblondes Haar und hoher Wuchs ...« hier nicht suchen. Schwarze und braune Haare sind hier viel häufiger, als blonde. In den so nah gelegenen darmstädtischen Landen sind die Einwohner diesen Urbildern ähnlicher. Ein aufmerksamer Beobachter sieht leicht im Aeusserlichen, welche Völker Deutschlands mit Fremden vermischt sind, und welche Länder bey der grossen Völkerwanderung von undeutschen Kolonisten in Besitz genommen wurden. Die schwarzen und dunkelbraunen Haare der hiesigen Einwohner stammen vielleicht noch von den Römern ab, welche hier ein Lager hatten.