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Sechzigster Brief.

Kassel. –

Das Ideal von körperlicher Schönheit lieber Bruder, welches unsern Künstlern vor Augen schwebt, sich aber so sehr gegen die Meisel, Pinsel, Grabstichel, gegen Bley, Kohlen, Kreide und alle Instrumente sträubt, ist gewiß nicht in Norden abstrahirt worden. Alle Menschenfiguren, von hier bis an die Nord= und Ostsee, sind so weit davon entfernt, daß sich keine Linie dazu haschen liesse.

Einen Frauenkopf, der sich der griechischen Form näherte, suchst du im ganzen Strich umsonst. Du findest einnehmende Gesichter genug mit sehr sanften Zügen. Allein allen fehlt das griechische Profil, und die Seele. Das schöngefärbte Fleisch hat auch die Festigkeit nicht, welche von einer sehr schönen Form unzertrennlich ist. An den tiefern Gegenden der Elbe und Weser siehst du die Schneebusen, die Lilien= und Rosenwangen der Mädchen, die in ihrer vollen Blüthe sind, in ihrem Gang sich bewegen. Alles ist schlapp und unstät, daß man es keine veste Form nennen kann. Auch unter den Sächsinnen, die übrigens, wenigstens für uns Ungriechen, allerliebste Geschöpfe sind, findest du höchst selten ein Gesicht, das sich deinem Ideal näherte, ob sie schon in Norden das sind, was die Florentinerinnen in Süden sind, und alle ihre Landsmänninnen an Lebhaftigkeit und Geist unendlich weit übertreffen.

Die Männer in Norden sind eben so weit von dem Ideal der Schönheit entfernt. Winkelmann Winkelmann – Johann Joachim Winckelmann, Archäologe und Kunstwissenschaftler, Begründer der wissenschaftlichen Archäologie, formte das idealistische Antikenbild der deutschen Klassik, † 1768 (Raubmord) selbst glaubte, daß man in Neapel und Sicilien mehrere und bessere Muster zum Studium männlicher Schönheit fände, als unter seinen Landsleuten, den Sachsen, die doch unter den Nordvölkern ohne Vergleich das schönste sind.

Ich weiß auch, daß kein Deutscher den Südvölkern den Vorzug der Schönheit streitig machen wird. Wenn man aber den Deutschen sagt, daß überhaupt genommen, der Mensch in Süden viel stärker und dauerhafter ist, als in Norden, so halten sie es für das dreisteste Paradoxon. Und doch ist Stärke ein Hauptzug der männlichen Schönheit? – Sie sollten einmal einen Sicilianer mit einem Hannoveraner oder einem Westphälinger ringen sehn! Das Ringen halt ich für die entscheidenste Prüfung der Stärke – Ich glaube auch, daß man die genuesischen und neapolitanischen Lastträger, die 400 Pfund auf eine beträchtliche Streke Weges schleppen, im ganzen Norden umsonst sucht. Ich glaube auch, daß man mit deutschen Truppen, in gleichen Umständen, nie das thun kann, was man mit Spaniern zu leisten im Stand wäre. Daß jene diesen heut zu Tage in Disciplin und Kunst so sehr überlegen sind, kömmt hier nicht in Anschlag. Zu Karl des Fünften Zeiten, waren es die letztern den erstern eben so sehr. Man agire einmal mit deutschen Truppen in Spanien oder Italien. Wenigstens sind die Armeen, welche ehedem die Kaiser nach Italien führten, alle umgekommen. Dagegen haben die Spanier unter Karl dem Fünften am Rhein so manche Feldzüge mit Ruhm ausgehalten, und auch in Holland, dessen Klima von dem ihrigen so unendlich verschieden ist, grössere Wunder der Dapferkeit gethan, und hartnäckiger gestritten, als die Eingebohrnen selbst, die gewiß noch hätten unterliegen müssen, wenn ihnen nicht äussere Umstände wären zu Hülfe gekommen, und des Prinzen von Oranien Geist nicht mehr gethan hätte, als alle Mynherrn zusammengenommen.

Es hat dem Nationalstolz der Deutschen beliebt, sich von den Südvölkern einen Begriff zu machen, dem die ganze Geschichte, der Augenschein und die Natur widersprechen. Sie glauben, Verstand, Entschlossenheit, Muth, Stärke und Freyheit wären Attributen ihrer dicken und feuchten Luft, und der Süden wäre der natürliche Sitz der Dummheit, Indolenz, Weichlichkeit und Tyranney. Unterdessen lehrt uns die Geschichte, daß die Erleuchtung des Menschenverstandes aus Süden gekommen ist. Der Augenschein lehrt uns, daß die Italiäner und Spanier viel nüchterner im Essen und Trinken und vielleicht auch im Genuß der Liebe sind, als die Deutschen überhaupt genommen, die Dänen, Schweden, Russen und Polen. Die Natur sagt uns, daß die körperlichen Kräfte mit jenen der Seele in einem gleichen Verhältniß stehn, und daß die natürliche Schönheit und Stärke des Geistes am ersten da zu suchen sey, wo die grosse Schöpferin dem Menschenkörper eine vorzügliche Schönheit und Kraft beygelegt hat. Gehen wir einmal über die Mittellinie hinaus; vergleichen wir die Menschen in dem Verhältniß, wie sie sich immer gleichweit von dem glüklichen Luftstrich Griechenlands, Kleinasiens oder Italiens gegen den Nordpol und den Aequator entfernen. Die Natur läßt den Bewohner der Küste der Barbarey, den Araber, den Guineer, Guinea – Westafrika Abyßinier Abyßinien – Abbesinien: Äthiopien u. w. s. nicht zu der Indolenz und Fühllosigkeit sinken, wodurch sich der Grönländer, der Lappe, der Samojede Samojede – eine Rasse von Schlittenhunden u. s. w. auszeichnet. Welche erstaunliche Proben geben uns nicht die Negers von körperlicher Stärke, Entschlossenheit und Kaltblütigkeit. Ein offenbarer Beweis, daß der warme und heitere Himmel in Süden den Naturmenschen erhöht, und die trübe und kalte Nordluft ihn erniedrigt.

Wenn jetzt die Völker in Norden denen in Süden überlegen sind, so beweist es nichts, als daß Gebräuche, Sitten und Regierung mehr Macht über den Menschen haben, als das Klima. Diese Sitten, Gebräuche und Regierungsarten, welche den Norden in diesem Jahrhundert ein so grosses Uebergewicht über das südliche Europa geben, sind aber aus Süden gekommen. Was sind unsre Republiken anders, als Miniaturkopien von den Griechischen und Römischen? Wie krippelhaft ist unsre Gesetzgebung überhaupt im Vergleich mit der von Karthago, Aegypten, Rom, Athen u. s. w. ? Und doch ist auch dieß Krippelhafte nichts, als was wir in den Ruinen dieser Südstaaten zusammengestoppelt haben. Hat die preußische Taktik etwas Besseres, als die Phalanx Phalanx – antike Sturmtruppe von 8.000 bis 16.000 Mann der Macedonier war? Wundern wir uns, daß die Völker an der Weser und Elbe den Varo Varo – Publius Quinctilius Varus, römischer Feldherr, nahm sich nach der verlorenen Schlacht im Teutoburger Wald † 9 das Leben ermüden und schlagen konnten, da wir doch sehen, daß die Nordamerikaner, das feigste und undisciplinirteste Pakvolk von der Welt, vermittelst ihrer Wälder, Flüsse, Sümpfe und der Ausdehnung ihres ungebauten Landes der ganzen Macht Großbrittaniens Trotz bieten? Und doch ist den Britten das Klima von Nordamerika gewiß nicht so beschwerlich, als jenes von Süddeutschland den Römern damals seyn mußte, und Deutschland war zu der Zeit bey weitem noch nicht so angebaut, als jetzt schon Nordamerika ist. Man denke sich Varons Armee an dem St. Laurentfluß, St. Laurentfluß – St. Lorenz-Strom an dem Obersee, dem Illinoissee, und im Begriff, über die obern Gegenden des Mißißippi zu setzen, und dann hat man doch noch kein getreues Gemählde von ihrer Lage. Sie hatte lange die Leichtigkeit der Zufuhr von Kriegs= und Mundvorrath nicht, welche sie in Nordamerika haben würde. Deutschland war damals ein unterbrochener Wald, dessen Flüsse noch in keine beständigen Bette eingeschränkt waren, sondern ungeheure Moräste bildeten, von denen man noch zu viele und zu deutliche Spuren sieht.

Die Völker Deutschlands, welche nachher den Süden unterjochten, hatten diese Ueberlegenheit ohne zweifel zum Theil den Kriegen zu danken,welche die Römer zuvor gegen sie geführt hatten, so wie die Russen durch die Kriege mit den Schweden, und die Nordamerikaner durch die Anfälle der Britten, geübt und endlich vollkommene Soldaten wurden. Man hätte den Scipionen Scipionen – Publius Cornelius Scipio, römischer Feldherr im 2. Punischen Krieg, besiegte - 202 Hannibal in Afrika, † v.C. 183 sagen sollen, daß einst aus dem herzinischen Wald herzinischer Wald – Hercynia silva, römische Bezeichnung für die deutschen Mittelgebirge die Ueberwinder der Römer kommen würden! Wenigstens würden sie auf das Klima keine Rücksicht genommen, sondern allenfalls geantwortet haben, daß zuvor Roms Sitten, Verfassung und Verwaltung verderben müßten, und das war hernach auch der Fall.

Was waren aber die Eroberungen der Nordvölker, nachdem der Luxus die Menschen in Süden unter ihre Natur herabgewürdigt, und die erstern den letztern überlegen gemacht hatte? Waren sie nicht gleich einem Eisgang ihrer Flüsse, die nach einem starren Frost aufthauen, die Felder überschwemmen, und mit Eisschollen und Sand weit und breit alles verwüsten? Alle Eroberer aus Süden bauten an und klärten auf, dahingegen alle Eroberer aus Norden verheerten und verfinsterten. Vor und nach der Epoche der Römer geschah immer das nämliche. Die Babylonier und Aegypter, wenn die Feldzüge der letztern wahr sind, waren wohlthätige Sieger, wie die Griechen und Macedonier, und was waren dagegen die Scythen? Scythen – Skythen: Sammelbezeichnung für die Nomadenstämme der eurasischen Steppen im - 1. Jahrtausend Die Araber verbreiteten Wissenschaften, Künste und Menschenliebe, wohin sie ihre Waffen trugen; wie finster ward es aber, als sich die nördlichen Türken ihres Reichs bemächtigt hatten?

Ein auffallender Beweis von der körperlichen Schwäche der Nordvölker ist, daß sie allezeit entnervt waren, sobald sie sich in Süden niedergelassen hatten. Nie konnten sie es lange aushalten, da man hingegen in keinem Geschichtschreiber liest, daß das Klima von Norden der Stärke und Tapferkeit der Römer nachtheilig gewesen wäre. Wie hielten es Cäsars Truppen in Gallien, Belgien und Brittanien aus? Wie hartnäckig agirten die Römer unter den Kaisern am Rhein, an der Donau und in den Gegenden der Weser und Elbe? Man giebt es dem Klima schuld, daß die Nordvölker in Süden weichlich wurden. Waren aber die Römer weichlich, als ihre Heerführer Haberbrey assen? Waren es die Macedonier oder Spartaner? Der grosse Haufe der heutigen Italiäner und die Spanier sind gewiß kein weichliches Volk. Das Klima an sich machte den Unterschied nicht. Der schwache Nervenbau der Nordvölker war schuld, daß sie den Abstich der heissen Täge mit den kalten Nächten in Süden, welcher die stärker gebauten Eingebohrnen abhärtet, erschlappen machte, und sie auch die Veränderung der Lebensmittel nicht aushalten konnten. Die grossen Körper unter den Deutschen, Dänen und Polen sind blosse Klötze von Knochen und Fleisch, welches letztere oft bis zum Eckel ins Schwammige fällt. Dahingegen der leichtere Italiäner und auch der hagere Spanier sehnigter und muskulirter ist, welches die wahre und körperliche Stärke karakterisirt.

Eben so ist es ein Beweis von der Seelenschwäche der Nordvölker, daß sie in dem eroberten Süden nie dauerhafte Staaten zu stiften wußten. Ihre Reiche waren ein blosses Spiel des Zufalls, und sie hatten nie glückliches Genie genug, um Plane zu machen, und gesellschaftliche Bande zu knüpfen. Wie ganz anders verfuhren die Südvölker bey ihren Eroberungen, besonders die Römer, auch als sie von den Wissenschaften und Künsten noch nichts wußten!

Ueberhaupt äussert die Natur durch alle ihre Reiche in Süden eine ganz andre Treibkraft, einen viel mächtigern Schöpfungsgeist, als in Norden. Welche Mannichfaltigkeit und Stärke herrscht durch das Pflanzenreich in Süden! Die Staude, welche uns den Balsam von Mekka Balsam von Mekka – Kaffee liefert, die Gewürze von Zeylon und den molukkischen Inseln beschämen die Zeugungskraft der Erdstriche gegen die beyden Pole zu, und augenscheinlich nimmt diese Kraft in eben dem Verhältniß ab, in welchem ein Erdstrich sich von dem Aequator entfernt. Unsere schmackhaften Früchte sind alle aus Süden zu uns gekommen, und je schmackhafter und geistiger sie sind, desto weniger können sie die Nordluft ertragen. Die edlern Früchte können so wenig als der Wein, der den Menschen so stark macht, in Norden einheimisch werden. Sogar in dem todten Steinreich zeigt sich die Natur in Süden edler als in Norden. Und vollends das Thierreich! Wie weit sind die Thiere in den warmen Ländern jenen in Norden überlegen? Warum sollte die Natur, die unter einem heissen Himmel durchaus mächtiger wirkt, nicht auch unter denselben den Menschen stärker machen?

Der Verstand und die Sittlichkeit sind freylich kein Eigenthum eines gewissen Luftstriches. Sie setzen Gebräuche, Sitten, Erziehung, Regierung, u. s. w. voraus, wodurch der künstliche Mensch leicht dem natürlichen überlegen werden kann. Allein der Menschenverstand erwacht gewiß eher aus seinem natürlichen Schlaf in Süden als in Norden. Unter einem warmen Himmel bietet ihm die Natur mannichfaltigere Gegenstände dar, deren sehr lebhafte Eindrücke ihr die Aehnlichkeiten viel leichter abstrahiren machen. Seine Sinnen sind hier reger und gespannter, und beruht nicht der Verstand auf sinnlichen Begriffen? Die Phantasie, welche mit allen Verrichtungen der Seele so sehr verwebt ist, hat in Sicilien doch gewiß mehr Reitz und Nahrung, als in Island. Die Stärke der sinnlichen Eindrücke giebt unter einem warmen Himmel den Seelenkräften einen Schwung, welcher der eigentliche Karakter des Genies ist, und den die Nordvölker durch keine kalten Abstraktionen, die eine Folge ihrer geborgten Sitten, Gebräuche und Regierungen sind, ersetzen können.

So vortheilhaft die Stärke der sinnlichen Eindrücke für den Verstand und die Phantasie des Menschen ist, eben so enge ist das feine sinnliche Gefühl mit dem sittlichen verbunden. Die Deutschen, welche den Franzosen, Italiänern und allen südlichen Völkern Indolenz, Sklaverey und Erniedrigung der Seele vorwerfen, vergessen, daß die Sibirier und Kamtschadalen in ihrem Eis und Schnee nach den Beschreibungen aller Reisenden das feigste, wollüstigste, niederträchtigste und sklavischeste Volk auf der Erde sind. In Italien konnte das Gefühl der Freyheit nie so ganz erstickt werden, wie in verschiedenen Nordländern, die der natürliche Sitz des Despotismus zu seyn scheinen; und die Regierung von Frankreich und Spanien ist lange nicht so willkürlich, als sich die deutschen Politiker dieselbe zu denken belieben. Die reine und trockene Luft in Süden erhebt die Seele, so wie sie den Nerven Ton giebt. Alle, die auf Bergen eine heitere und feine Luft geathmet haben, reden von Empfindungen, die sie auf der Ebene nicht kannten. Die Luft des südlichen Europa verhält sich zu der in Norden, wie sich die Luft auf den Alpen der Schweitz zu jener in den Thälern verhält. Wenigstens lassen sich die hektischen Engländer zu Cintra, Cintra – Stadt in Portugal Nismes, Nismes – Nimes, Stadt in Südfrankreich Nizza, Pisa und Neapel nieder, um ihren schlappen Nerven Ton zu geben.

Wenn die Völker an der Elbe und Weser eben so der lieben Natur überlassen wären, sie würden an Seelenstärke eben so tief unter den Sicilianern und Neapolitanern seyn, als sie von diesen in körperlicher Schönheit und Lebhaftigkeit übertroffen werden. Der unbefangne Weltbürger bewundert die Allmacht der Regierungen, welche die Menschen so weit über ihre natürliche Lage erheben, oder so tief sinken lassen können, ohne gehäßige Vorurtheile gegen ein Volk zu fassen. Er wünscht dem Norden Glück, daß er sich anbaut und durch den Anbau immer mehr aufheitert; aber er vergißt nicht, daß der Süden früher angebaut und aufgeheitert war, und daß die Kunst des Anbaues und das Licht aus diesem gekommen sind.

Du siehst diesen Betrachtungen leicht an, daß sie auf dem Postwagen gemacht worden, wo ich ein Vieh von einem oldenburgischen Pferdehändler, ein Klotz von einem bremischen Mäkler, und ein hübsches weibliches Stück Fleisch, eitel todtes Fleisch, vor mir auf dem Stroh liegen hatte. Da war auf dem ganzen Weg von Göttingen hieher kein Wörtchen zu reden. Wenn nicht Husten, Niesen, R*lpsen u. dgl. m. die grosse Stille manchmal unterbrochen hätten, so würde ich gewiß nicht daran gedacht haben, daß ich Gesellschaft hätte.

Zu Göttingen hatte ich verschiedene Professoren besucht, denen ich meine grosse Hochachtung nicht versagen kann, die aber alle für die Kultur Deutschlands und gegen uns andre Südländer so sehr eingenommen waren, daß ich es mit ihrer so ausgebreiteten Weltkenntniß nicht zusammen reimen konnte. Alle diese Herren sprechen von dem politischen und litterarischen Zustand unsers Vaterlandes mit einer Verachtung, die wirklich manchmal ans Lächerliche gränzt. Es ist theils Nationalstolz, theils Partheylichkeit für die Engländer, theils ächte Charlanterie vom besten Gehalt. Unsere Regierung halten sie für die Quintessenz der Despotie, unsere Akademien für Narrenspithäler, unsre Soldaten für Weiber, und unsre größten Geister, denen sie doch, wie sich offenbar aus ihren Schriften ergiebt, so viel schuldig sind, für Kleinmeister. Ueberhaupt halten sie den Süden für das Reich der Finsterniß und Tyranney, und trauen den Schweden, Dänen und Russen mehr Menschenverstand, Witz und Aufklärung zu, als dem feinsten Südvolk, welches mir zu meinen Betrachtungen auf dem Postwagen, die durch starke Stösse manchmal dekontenancird dekontenancird – von Contenance: Fassung, Gelassenheit; also aus der Fassung bringen wurden, Anlaß gab.

Unter andern besucht' ich auch den Professor Schlötzer, Schlötzer – August Ludwig von Schlözer, s. Vier und dreyßigster Brief. der aus purer Nationalpartheylichkeit auch nicht sehr billig gegen uns ist. Vielleicht giebt es wenige Geschichtkundige in Europa, die aus der ganzen Weltgeschichte so viele Thatsachen wissen, als dieser Mann. Besonders fand ich von der neueren Geschichte einen ganz unerwarteten Vorrath bey ihm. Er besitzt eine ungeheure menge lebender Sprachen. Seine etwas versalzene Laune mag ihm als Privatmann nicht sehr vortheilhaft seyn; aber in seinen Schriften thut sie oft eine gute Wirkung. Was ihn itzt vorzüglich merkwürdig macht, ist ein Journal, welches er unter dem Titel eines politischen Briefwechsels herausgiebt, und welches eins der gängigsten in Deutschland und auch einigen angränzenden Ländern ist, ob es schon Herr Linguet bey einem gewissen Anlaß peu connu peu connu – wenig bekannt nennt. Es ist nicht von der Art der englischen, holländischen und französischen Journale, die meistens nur Reflexionen und Deklamationen enthalten, welche in ihr voriges Nichts zusammen fallen, so bald man die Species Fakti, Species Fakti – die Tatsachen worauf sie beruhen, in die Pfanne hauen kann. Schlözers Journal enthält größtentheils nur Urkunden, zu denen er manchmal kleine, interessante und oft auch etwas beissende Noten macht, und deren Sammlung ihm die deutsche Nachwelt gewiß verdanken wird. Es ist wahr, daß auch oft sich falsche oder verunstaltete Thatsachen sich einschleichen; allein, sie werden zuweilen berichtigt. Aus keiner Schrift kann man den jetzigen politischen Zustand, wenigstens eines Theils von Deutschland so genau kennen lernen als aus diesem Journal. Es enthält eine Menge Listen von Bevölkerung und Einkünften verschiedener deutscher Staaten und Nachrichten von dem Anbau und der Industrie derselben. Da Herr Schlözer besonders auf die Sottisen und Sultanismen deutscher Regenten und auf die Produkte der Barbarey und des Mönchswesens Jagd macht, so fehlt es nicht an sehr interessanten Anekdoten, die oft zu noch interessanteren Beleuchtungen Anlaß geben. Vielleicht ist dieses Journal einer der sichersten Dämme gegen die Despotie der kleinen Fürsten Deutschlands. Wenigstens weiß man gewiß, daß es an verschiedenen Höfen Wirkung gehabt hat. Leute vom ersten Rang, und sogar Fürsten selbst haben ihm öfters schon Beyträge geschickt. Der Plan dieses Journals ist für den Herausgeber eben so einträglich, als vortheilhaft für das Publikum. Es erhält sich durch fremde Beyträge, wird durch keine selbstbeliebige und partheyliche Bemerkungen des Verfassers gehäßig, alle Wege bleiben ihm offen, und die kleinen Regenten, welche noch einige Schaam haben, müssen den strengen Zensor förchten, der ihre Thaten öffentlich sprechen läßt. Herr Schlözer bedient sich all der Freyheit, die ihm der Ort seines Aufenthaltes Ort seines Aufenthaltes – Göttingen bzw. Hannover gehörten zum Großbritannischen Königreich gestattet. Auch von andern Staaten hat er in seinem Journal sehr interessante Nachrichten geliefert. Es kömmt immer mehr in Aufnahm, und in meinen Augen hat ein Heft desselben mehr Werth, als alle Jahrgänge von Linguets Annalen zusammen genommen. Wenigstens enthält es mehr Wahrheit.

Dieses Journal karakterisirt die deutsche Gelehrsamkeit überhaupt vortreflich. In den deutschen Geschichtschreibern und Politikern findet man keine Spur von den kühnen Bemerkungen, dem glänzenden Scharfsinn und der Gabe lebhaft zu schildern, wodurch sich die Geschichtschreiber und Staatsmänner der Engländer auszeichnen. Alles beruht bey ihnen auf trockenen Thatsachen, mit deren Berichtigung sie sich unglaublich zu schaffen machen. Der unbefangene Liebhaber der Wahrheit, welcher zu seiner Unterhaltung kein Spiel des Witzes sucht, wird gewiß lieber in Schlözers Briefwechsel eine Liste von der Bevölkerung eines Landes anschaun, als die pompösen Deklamationen der englischen Reisebeschreiber und Politiker lesen, die oft durch einige Ziffer jener Liste zu Schanden gemacht werden. In allen Fächern der Wissenschaften unterscheiden sich die Deutschen von andern Nationen auf die nämliche Art.

Göttingen ist ein hübsches Städtchen von ohngefähr 8.000 Seelen, dessen Lage schöner und dessen Gegend fruchtbarer ist, als irgend einer andern hannövrischen Stadt, die ich sah. Sie lebt fast bloß von der Universität, die nun eine der berühmtesten in Europa ist, und nebst den Deutschen auch von Russen, Schweden, Dänen und Engländern besucht wird. Der Studenten sollen hier itzt gegen 800, und der Lehrer, die Sprach= Tanz= Fechtmeister u. dgl. m. mitgerechnet, gegen 60. seyn.

Der König von Großbrittanien spart nichts, was diese hohe Schule immer mehr in Aufnahme bringen kann. Die Bibliothek, welche auf seine Kosten unterhalten und immerfort sehr vergrössert wird, ist eben so zahlreich als gut angeordnet. Die Sternwarte, die Sammlungen von Naturalien, physikalischen und chirurgischen Instrumenten, der botanische Garten, kurz, alles zeugt von einem königlichen Aufwand.

Die halbjährigen Kurse der protestantischen Universitäten, welche Herr Pilati so sehr mißfallen, haben meinen vollkommenen Beyfall. Wenn sie zum Vortheil des Beutels der Professoren angelegt sind, so verliert der Lernende doch gewiß auch nichts dabey. Auf einer Schule läßt sich keine Wissenschaft erschöpfen. Es kömmt hier bloß darauf an, den Studirenden einen Grundriß davon vorzuzeichnen, ihnen einen deutlichen Begriff von der Abtheilung des Gebäudes zu geben, die Schwierigkeiten und zugleich die leichtesten Mittel anzuzeigen, dieselbe zu überwinden. Das Mauern, Zimmern, Vertäfeln, Verfenstern und Vergolden ist kein Werk für die Schule. Kaum reicht das Leben eines Menschen hin, um das Gebäude einer Wissenschaft ganz auszuführen. Faßt der lernende den Grundriß leicht, so ist der halbjährige Kurs ein eben so grosser Vortheil für ihn, als den Professor. Er erspart Zeit und Geld. Faßt er ihn nicht ganz, so kann er sich von der Wiederholung um so mehr Deutlichkeit und Leichtigkeit versprechen. Eben so parallel läuft der Vortheil der Studenten mit jenem der Professoren darin, daß man jene anhält, viele Stunden auf einmal zu nehmen. Gemeiniglich legt man ihnen einen Plan vor, in welchem man die Wissenschaften theils nach ihrer natürlichen, theils nach ihrer relativen Verbindung mit dem Zweck der Studierenden so anordnet, daß sie einander die Hand bieten. Es ist hier nichts seltenes, daß ein Student alltäglich seine 6 bis 7 Kollegien frequentirt. Er wird nicht leicht ermüdet, weil die Abwechslung unterhält. Das Quellen=Studium ist nicht für die Schule, und wenn man einen geschikten Vortrag anhört, so macht es einen lebhaftern und vestern Eindruck auf die Seele, als wenn man das nämliche lesen würde. Man muß auch voraussetzen, daß der Professor das bestimmte und deutliche Resultat geben kann, welches der Studierende aus einem Haufen Bücher oft nicht heraus nehmen könnte. Wenn durch diese Gewohnheit auch nur den Studierenden der Weg zu Ausschweifungen und zur Liederlichkeit mehr abgeschnitten würde, so wäre der Vortheil schon groß genug.

Daß die Kollegien von den Studierenden müssen bezahlt werden, hat meinen Beyfall nicht. Es ist wahr, es trägt dazu bey, den Eifer und Fleiß der Professoren warm zu erhalten; allein der Vortheil ihrer vollkommenen Unabhängigkeit von den Studenten würde meines Erachtens jene aufwiegen. Alles, was die Hochachtung des Schülers gegen seinen Lehrer vermindern kann, sollte sorgfältigst vermieden werden. Die Studierenden hier sind freylich meistens erwachsene Leute; allein sie sind doch nicht alle im Stand, ihre Lehrer bloß nach dem innern Werth zu beurtheilen. Ein wenig Glauben und Ehrfurcht ist gewiß für den Schüler nicht schädlich. Verhetzung, Klätschereyen, und eine Menge elender Kunstgriffe, zu denen sich öfters so berühmte Männer einiger Gulden halber herablassen, und die sie in den Augen der Studierenden herabwürdigen müssen, sind eine Folge dieser Einrichtung. Man könnte allenfalls auch durch einen wohlgewählten, klugen und wachsamen Intendanten verhindern, daß die Professoren nicht leicht einschliefen, wenn sie ihre festen und hinlänglichen Besoldungen hätten.

Wenn Herr Pilati sagt, die Deutschen behandelten alle Wissenschaften itzt nur in Kompendien, so hat er gewisse Produkte der öffentlichen Lehrer besonders auf der hiesigen Universität sehr verkennt. Fast jeder Professor hier entwirft einen Plan zu seinen Vorlesungen, der seinen Zuhörern zu einem Leitfaden in seinem Vortrag und zum Behuf seiner Nachlesungen dient. Diese Plane kann man keine eigentliche wissenschaftliche Kompendien nennen, so wie man z. B. Bossuets Bossuet – Jacques Bénigne Bossuet, französischer Bischof, Jesuit, † 1704 Universalgeschichte ein Kompendium dieser Wissenschaft nennt. Sie sind nichts mehr noch weniger als ein Entwurf der Methode, wie sie, jeder einzeln für sich, eine Wissenschaft mit ihren Zuhörern behandeln wollen. Eine Nebenabsicht dabey ist, durch eignen Verlag oder durch Verkauf der Manuscripte einige Louisd'or zu gewinnen, wie sie denn überhaupt die Industrie aufs höchste treiben. Nun haben einige freylich diese diese [!] Entwürfe so ausgearbeitet, daß sie für Kompendien gelten können; allein daraus folgt nicht, daß die Gelehrten Deutschlands, die nicht alle Professoren sind, die Wissenschaften durchaus kompendienmäßig behandelten. Einige dieser Entwürfe, die ihren Zweck überstiegen haben und Kompendien geworden sind, sind Meisterstücke von grösserm Werth, als manche Abhandlungen der Wissenschaften in Folianten, und überhaupt genommen, sind sie ein offenbarer Beweis, daß die Universität zu Göttingen mit den ausgesuchtesten Männern besetzt ist.

Die weder durch Politik noch durch Pfaffen eingeschränkte Freyheit, die Entfernung von dem lästigen und schwerfälligen Fakultätensystem, welches noch die Universitäten andrer Länder drückt, eine aufgeklärte und sanfte Regierung, gewähren dieser hohen Schule Vortheile, die schwerlich eine andre hat.

Kassel ist eine sehr schöne und zum Theil prächtige Stadt von ohngefähr 32.000 Einwohnern. Die Hugenotten Hugenotten – die Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes durch Ludwig XIV. 1685 unter dem Einfluß reaktionärer Pfaffen führte zur Rechtlosigkeit der Hugenotten, diese flohen zu hunderttausenden ins Ausland. Der wirtschaftliche Schaden für Frankreich war beträchtlich. haben diese, so wie viele andre Städte Deutschlands, auf unsre Kosten blühend gemacht. Sie hat sehr beträchtliche Manufakturen, besonders von Hüten, die den Lyonischen an Feinheit und Stärke nichts nachgeben, und auch mit denselben in gleichem Preis stehen.

Die Zahl der Unterthanen des Landgrafen Landgraf – Friedrich II., Landgraf von Hessen-Kassel. Trat zum katholischen Glauben über, angeblich der erste Fürst der Aufklärung in Hessen, wurde europaweit durch den Soldatenhandel bekannt, † 1785 ist mir zuversichtlich auf 330.000 Seelen angegeben worden. Die Einkünfte aus seinen Landen sollen sich auf 2.200.000 rheinische Gulden belaufen. Sammt den hanauischen Landen, die ohngefähr 100.000 Menschen zählen und etwas über 500.000 Gulden abwerfen, machen die Besitzungen dieses Hauses also noch kein Herzogthum Würtemberg aus.

Dieser Staat ist der militarischste von ganz Deutschland; seine Bauern sind nicht nur alle exerzirt, sondern auch immer in die ganze weite Welt marschfertig. Die Verschickung der heßischen Truppen nach Nordamerika Verschickung der heßischen Truppen ... – es sollte »Verkauf« heißen, ein schönes Beispiel für pfaffengestützten Absolutismus, s. a. Schiller »Kabale und Liebe«, die Kammerdienerszene. Der Kaufpreis dient dem persönlichen Luxus des Fürsten. ist an sich nicht ärgerlich, weil dieser Hof mit dem von St. James St. James – der Londoner Königspalastes St. James's Palace in einer beständigen Verbindung steht. Allein diese Verbindung selbst ist für das Land keine vortheilhafte Maxime. Unmöglich können die englischen Subsidien den Schaden ersetzen, den diese Verbindung bisher dem Lande wie dem Fürsten zugefügt hat. Nach dem letzten schlesischen Krieg war das Land von aller jungen Mannschaft entblößt, und kaum war wieder einiges nachgewachsen, als sie nach Amerika wandern mußten. Es sollen in allem nun gegen 20.000 Hessen nach diesem Welttheil gegangen seyn, wovon gewiß die Hälfte nicht wieder zurückkömmt. Das Land hat also den sechsten Theil seiner schätzbarsten Einwohner durch den Bostoner Theebrand Bostoner Theebrand – unmittelbarer Auslöser des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges war die Boston Tea Party, als am 16. Dezember 1773 Bostoner Bürger die Teeladung von vor Anker liegenden Schiffen ins Hafenbecken warfen. verloren. Die Auflagen sind sehr groß, wie du aus einem Vergleich der Bevölkerung und des Ertrags dieses Landes mit dem Herzogthum Würtemberg, dessen Natur seinen Bewohnern ungleich mehr Vortheile als das Heßische den seinigen gewährt, leicht ersehen kannst. Der Landgraf hat zwar, so lange der amerikanische Krieg dauert, seinen Unterthanen einen Theil der Abgaben erlassen; allein sie ziehen doch haufenweise aus dem Lande, nach Hungarn, Polen und vielleicht gar nach der Türkey.

Die militarische Verfassung dieses Landes war bey einigen Anlässen dem deutschen Reiche eben so vortheilhaft, als sie dem Lande selbst schädlich war. Schon zur Zeit der Reformation kam sie der Freyheit der Reichsstände vortreflich zu statten, und vielleicht wäre der letzte schlesische Krieg nicht so vortheilhaft für die Könige von Preussen und Großbrittanien abgelaufen, wenn nicht gegen 16 bis 18 tausend wackre Hessen den Damm gegen unsre Truppen verstärkt hätten.


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