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(1893)
Papa war auf den Markt nach Gutta gefahren – am Morgen meines Geburtstages stand das Pony vor meinem Fenster. Es stand aber nicht gern, Matthes und der Schmied mußten es halten. Denn Papa hatte die Gradiner Böhmen zum Ständchen bestellt, die bliesen das Pferd scheu.
»Marius, mein Sohn,« sprach Papa, »hier übergebe ich dir dein Geschenk, das Pferd. Sieh dirs genau an – es stellt ein gehaltenes Versprechen dar, und derlei wird dir im Leben nicht mehr oft begegnen. Einundvierzig Gulden hat es gekostet und zwei Oka Wein, mein Sohn, und ist noch jung. Ich lasse dir einen Wagen dazu bauen. Du wirst damit vorsichtig fahren, und wenn du umwirfst, heb dir den Wagen wieder auf. Deiner Tante Barbara aber sag kein Wort davon, wenn sie mal zu uns kommen sollte; denn deine Tante ist imstand, sich um dich zu ängstigen.«
Ich küßte Papa schweigend die Hand, übervoll von Glück, lief zu meinem Pferd und besah es von allen Seiten.
Soll ichs verschweigen? Ich war enttäuscht.
Papa merkte mir den Unmut an.
»Wie – gefällt dir der Kerl nicht? Warte nur, warte, mein Sohn, bis er geputzt ist und ein paar Körner Hafer gefressen hat! Dann hast du das schönste Tier im Komitat. Allen Bauern wirst du damit vorfahren; wenn aber der Herr Graf daherkommt, weichst du hübsch zur Seite und läßt ihn passieren – das schickt sich, mein Sohn. Die Mähne werden wir im Bogen stutzen, aber den Schweif, nein, den lassen wir stehen, damit sich das Pferd die Fliegen scheuchen kann.«
Mein Pony hatte ich also; auch ein prächtiges Geschirr mit silbernen Schlüsseln, Naturstutzen und einem Gehänge – es reichte dem Pferd schier bis an die Knie. Mit dem Ausfahren hatte es seine guten Wege.
Mein armes Fohlen durfte nicht einmal in den Stall zu Papas Pferden, Favorite, Amazone und Macbeth – es sollte erst einen Monat draußen mit den Schweinen weiden. Der Schmied ging täglich hin und salbte das Fohlen von der Schnauze bis zu den Hinterstollen.
Nach einem Monat hatte mein Pony keine Mähne mehr, keinen Schweif und kein Deckhaar; aber das, was Papa hatte wegbringen wollen, war mit weggegangen: die Räude. Das Pferdchen sah aus wie der Dingo im Brehm: mager, elend, nackt – zum Erbarmen. Eine Spottgeburt.
»Junker, wann reiten Sie Ihren Hengst spazieren?« fragten mich die Kutscher, so oft ich an ihnen vorbeikam. Darüber ward ich ärgerlich und mochte den Gaul nicht ausstehen.
»Laß sie reden,« sagte Papa. »Das Pferd ist dreieinviertel Jahr alt, fehlerlos und wird das beste auf der Pußta. Nur Geduld, Marius!«
Ja, Geduld! Nach zwei oder drei Wochen fing dem Gaul die Decke zu wachsen an. Nun sah er schreckenerregend aus.
»Papa, wirst sehen, er bleibt so fleckig.«
»Nur Geduld, Marius! Samtschwarz wird er, das schönste und schnellste Pferd der Pußta.«
Unterdessen hatte ich mich an den Anblick des Ungetüms gewöhnt, ihm auch hie und da Rüben gebracht. Er verschlang sie mit Heißhunger. Er verschlang überhaupt alles – gierig wie ein Wolf: den Hafer vor sich, das Heu über, das Stroh unter sich. Er wetzte an der Krippe und tanzte und webte wie toll, wenn Futterzeit war. Er wurde rund und runder, mein Gesicht vor Freude breit und breiter. Ich führte ihn an der Longe spazieren, und mehr als einmal riß er mich um; das gab dann einen Feiertag für mich, denn nun glaubte ich an Papas Prophezeiungen.
Als man Mais brach, hatte er sein Winterhaar, so schwarz wie meines Vetters Lackstiefel. Zu Weihnachten kriegte ich einen Wagen und durfte ausfahren. Freilich, ein paar Tage lang lenkte Papa, wieder ein paar Wochen Matthes, der Paradekutscher. Endlich im Frühjahr ich.
Über dieses Ereignis schrieb ich folgenden Brief an meinen Vetter Artur, der in Weißkirchen in der Kadettenschule war:
Pußta Ilintzi, 21. Februar.
»Lieber Vetter Kolinsky Artur, Kadettenschüler (Kawaleri) in Weißkirchen! Der Jani ist schon schön schwarz und wiehert sehr und lauft wie närrisch und Lisi, was jetzt unsre Köchin ist, fahrt nicht mit um kein Preis. Sie sagt ich wer umschmeißen, lieber Artur schreib mir gleich sofort und der Michel und der kleine Stefan der was bei die Schweine ist und der Matthes lassen dich schön grüßen.
Gruß und Kuß
Maria.«
Jani hieß mein Pferd; es zog wie eine Schraube und ging wie aus der Pistole geschossen. Alle Welt sagte, es wäre hundert Gulden wert.
Papa hatte eine schwere Hand, er verkaufte zäh. Wenn der Herr Rote Kohn einen Waggon Weizen um fünf Gulden billiger haben wollte, brauchte er Papa nur zu sagen, wie gut ich kutschiere: »wie der Paradekutscher des Bischofs.«
»Nein, des Königs,« antwortete Papa.
Bei Gott, ich hatte es auch nötig. Es gab kein launisches Pferd, vor dem Jani nicht ein paar Unarten voraushatte. Jani haßte Kotlachen; schwarze Gegenstände jeglicher Art; den Vollmond; Musik; Feuer, Schüsse; bellende Hunde und allerlei andres Getier; vor allem die Ziegen.
Sowie eine Ziege auftauchte, floh Jani wie besessen. Er biß sich in die Stange ein, und ich mochte festhalten wie eine Eisenklammer: der kleine Wagen flog hinterdrein, an den Zügeln fortgeschleppt, schief und grad, schwankend und rollend, ein sturmgejagtes Schiff.
Ich sprach von meinen Fahrabenteuern nicht – ich fürchtete, Papa könnte mir das Pferd wieder nehmen. Und ich liebte es so sehr. Vom Morgen an saß ich im Stall auf dem Streifbaum bei Jani und umhalste ihn und fütterte ihn und schmiegte mich an seine sammetweiche Schnauze.
Unser Nachbar, Herr Geyer, war zu uns zu Besuch gekommen. Herr Geyer hatte einen hübschen Hof bei Gradina, und nebenher war er Hageltaxator, »Generalagent der Versicherungsgesellschaft Danubia«. Die Leute nannten ihn den Herrn General.
Ein heißer Tag. Der Oberknecht läutete eben zur Mittagsfütterung, und einige Fohlen, die gewohnt waren, zu dieser Stunde ihr bißchen Hafer zu bekommen, galoppierten ungeduldig im Hof umher.
General Geyer schwitzte. Er sah durchs Fenster – heller Sonnenschein am Himmel.
»Danken Sie Gott, daß Sie keinen Hagel gekriegt haben,« sagte Herr Geyer zu Papa. »Ich war außer mir vor Unruhe – Unruhe um Sie – seit Sie die Versicherungspolize zurückgeschickt haben.«
»Sie war zu teuer – und Sie sehen ja, daß nichts passiert ist,« antwortete Papa.
Ich öffnete schon den Mund, um was zu sagen – da trat mir Papa furchtbar auf den Fuß. Nämlich: es war Schwindel; Papa hatte die Polize noch gar nicht zurückgeschickt – er hatte es gestern versäumt – der Kutscher wird sie erst heute nachmittag auf die Post bringen. Aber Herr Geyer darf das nicht erfahren – sonst muß Papa die Polize unweigerlich nehmen.
»Morgen beginnen Sie also mit dem Schnitt?« fragte der Herr General. »Dann haben Sie für dieses Jahr ausgesorgt. Aber man soll das Glück kein zweitesmal versuchen. 50 000 Gulden hätt Ihnen ein Hagel niederschlagen können. – Meine Parole ist: Vorsicht! Vorsicht ist die Mutter der Weisheit.«
»Gut, Herr Geyer,« sagte Papa, »halten Sie sich an die Tochter – ich halte mich an die Mutter.« Und raunte mir zu:
»Marius, du läßt sofort deinen Jani anspannen und bringst mir den Schwätzer weg. Aber höre: wenn du unterwegs unsern Matthes einholst – er reitet eben mit der Polize nach Gradina – untersteh dich nicht, anzuhalten – und wenn dir der Hagelgeneral die ewige Seligkeit verspricht.«
»Ich werde schon nicht halten, Papa.«
Ein paar Minuten darauf war Jani angespannt. Herr Geyer zierte sich – er wolle das Fräulein doch nicht bemühen, er gehe zu Fuß, wie er gekommen wäre ...
»Nur Hunde gehen zu Fuß,« sagte Papa, »Generale fahren.«
Und Geyer stieg ein. Er wär noch gern geblieben.
Unsern Matthes holten wir nach zehn Minuten ein – Herr Geyer hatte keinen Verdacht und verlangte nicht, anzuhalten. Ich paßte auch gut auf auf Jani und brachte Herrn Geyer glücklich zu seinen Lieben.
Auf der Geyerpußta nötigten sie mich, zu bleiben. Es wär so stechend heiß. Frau Geyer schenkte mir ein Glas Limonade.
»Was?« fragte sie. »Ihr fangt morgen an, zu mähen?«
»Ja – wenns trocken bleibt. Heut früh hat das Aneroid hoch genug gestanden.«
»Und jetzt? Ist es gestiegen?«
Geyer stand auf und warf einen Blick auf sein Orakel.
»Mischi, hast nit wieder am Zeigerl gerührt?« wandte er sich an seinen Ältesten.
Allerseits: Nein. Die Kinder saßen artig bei Tisch – weder Mischi noch sonst jemand hatte seine Finger am Aneroid gehabt.
Geyer sagte nichts und ging hinaus auf die Veranda. Da sah er – er hats später erzählt – eine Federwolke wie einen Flaum senkrecht emporsteigen.
Geyer schrie seinen Knechten zu:
»He! Karriere zum Heuschober und alles zudecken!«
Ich war auf die Veranda nachgekommen und wollte fragen, ob es Regen geben würde, doch die Frage erstarrte mir auf den Lippen; drohend über dem Wetterwinkel, dem Westrand des Gebirges, stand eine schwarze Riesenmasse von Wolkenballen.
Im Augenblick – ohne Abschied – saß ich in meinem Wägelchen.
»Was fällt Ihnen ein, Junker? An ein Nachhausefahren ist nicht zu denken.«
»Ach was – ein Gußregen schadet mir nicht.«
»Es ist aber Eis,« plärrte mir Frau Geyer nach – da fuhr ich schon.
Oh, ich wußte genau, wohin ich wollte: nach Gradina – Matthes abfangen und ihm die Polize nehmen. Hat Papa die Polize in der Hand, muß die Gesellschaft zahlen.
Kaum war ich aus der Geyerpußta, da erhob sich eine Windhose und wirbelte allen Staub der Straße, den Kehricht und das lose Stroh hoch auf als undurchdringliche Mauer. Ein kalter Luftzug wehte dazwischen, von schweren Tropfen begleitet, und es zuckte ein Blitz. Jani zog wie besessen. Wenn jetzt noch ein Donner kommt, dachte ich mir, geht mir der Racker durch. – Aber kein Donner folgte.
Die Weiber in Dugamedja holten jaulend die Federbetten von den Zäunen und trieben das Geflügel ein. Die Wetterglocke bimmelte.
Vor dem Wirtshaus in Dugamedja, unterm Flugdach, sah ich einen Schimmel angebunden – Matthes hatte das Unwetter kommen gesehen und gedachte, es hier abzuwarten. Ich gesellte mich zu ihm. Er hatte die Polize noch.
Schon pickten die ersten Schloßen an die Fenster. Die Wirtin und die Magd beeilten sich, die Spaletten zu schließen – zu spät. Ein Gedröhne und Gepolter erhob sich, wie tausend Pfeile prasselten die Schloßen ins Zimmer. Die Scheiben klirrten, das Wasser strömte nach, Vorhänge rissen, niemand konnte ans Fenster treten. Türen krachten in den Schlössern, zerbrochen schmetterten Spiegel und Tassen. Man mußte in die östlichen Stuben flüchten.
Immer ärger wütete draußen der Sturm. Die Ziegel flogen vom Dach, hühnereigroße Eisstücke hatten sie in Stücke geschlagen. Das Haus zitterte.
Die Wirtin hatte eine Kerze angezündet, saß im Halbdunkel und betete. Der Sturm schmiß immer neue Ballen von Eis und Wasser an die Fenster, ungestüm und zornig.
Plötzlich ein greller Schein, ein Donner wie aus Erzschlünden – es hatte in die Pappel gegenüber eingeschlagen.
Alle waren vor Schreck erstarrt.
Und: horch! Neuer Lärm. Brüllend und stampfend, wiehernd und fliehend rasten die Herden, blutig geschlagen, von der Weide ins Dorf, rasten wild in ihre Stallungen, gesenkten Kopfes. An Bäume und Zäune rannten sie an, sich überstürzend, stoßend, zermalmend. Durch das offene Tor, über die Gestürzten hinweg, lief neues Vieh, von den Schloßen gejagt.
Noch ein gewaltiger Wolkenbruch von Eis – dann ward es langsam hell und friedlicher. Zwar strömte noch der Regen, noch rollte der Donner, aber die schreckliche Verwüstung war beendet.
Der Wirtin traten die Tränen in die Augen; sie schluchzte laut auf und ging aus dem Zimmer.
Der Wirt saß stumm im Armstuhl und blickte hinaus in die Landschaft. Die letzten Tropfen fielen, ungeheurer Dampf wallte von den Feldern. Der sonnenerhitzte Boden rauchte nun, da ihn das Wasser begossen hatte.
Der Rinderhirt kam und erzählte, daß achtzehn Stücke der Herde mit zerschmetterten Schädeln verendet waren. Achtzehn – so viel habe er gesehen. Noch einmal achtzehn lägen wohl ostwärts blutend auf der Straße. – Der Fohlenwirt – das Blut rann ihm aus einer tiefen Kopfwunde übers Gesicht – hatte nicht viel andres zu melden.
Ich fuhr hinaus.
Dugamedja sah aus wie nach einem Bombardement. Die Schindeldächer durchlöchert, die Fenster zerbrochen, die Bäume entblättert, Weg und Steg von ihrem Gezweig bedeckt. Gelb rann das Wasser vom Landweg in die schmutzigen, rauschenden Gräben.
Jani spritzte und platschte im lehmigen Brei. Rings trostlose Saatfelder, zerstampft von Tatarenhorden. Der Mais stand zum Teil noch aufrecht, seine Blüten waren geknickt. Der Weizen lag wie Linnen auf der Bleiche. Die Rübenblätter hatte der Hagel an die Schollen genagelt und die Köpfe tausendfach geschrammt. In den Furchen lagen wie kristallne Haselnüsse die schmelzenden Reste der Eisstücke.
Von der bestockten Heide lief eben ein Rudel lahmer, verlaufener Schafe mit blutigen Vliesen über den Weg. Auch ein Pferd begegnete mir. Statt dem Wagen auszuweichen, legte es sich keuchend in den Straßenschmutz. Aus dem zerschlagenen Weizen schreckten zwei Kälber wie Hasen auf und flüchteten.
Auf den Bauernfeldern standen wehklagend die armen Leute.
Ich ließ die Peitsche sausen – Jani trabte, was er konnte, gleitend und schlüpfend, nach Haus.
Vom Unwetter erregt, voll Sehnsucht nach seinem Stall, griff er aus und kam ins Galoppieren.
Zuerst noch ganz ruhig. Dann kam ein Gespann hinter uns her – nun gabs kein Halten; Jani raste fort, fort wie die unheilige Jagd. Das andre Gespann folgte – Jani, der den Wagen hinten rattern hörte, immer toller. An der Weggabel, dicht vor Ilintzi, neben der Schlucht, geriet ich von der Straße. Mein kleines Gefährt kippte an einer Baumwurzel um. Ich stürzte – ohne die Zügel loszulassen. Ein Rad flog in die Schlucht, nun der ganze Wagen, Stränge und Deichsel waren zerrissen und zerbrochen – Jani – und ich.
Eine Stimme hatte geschrien:
»Auslassen! Zügel auslassen!« Ich wußte noch: das war Papa. Er war wohl hinausgefahren, um mich zu suchen.
Ich lag da und konnte mich nicht rühren. Das Gesicht blutig, das Kleid beschmutzt, in Fetzen. Der Arm war geschunden, er hing schlaff herab ins glucksende, kalte Regenwasser.
Papa hob mich aus dem Wachholderbusch, an dem ich hangen geblieben war, und wollte mich ins Gras betten. Ich stand aber auf, stumm und beklommen. Mit der heilen Hand wischte ich mir den Lehm aus den Augen.
»Schmerzt dich etwas?« fragte Papa.
»So ein Lump, der Jani! Wo ist er?«
Wir stiegen nieder zu ihm. Er lag unten in der Schlucht und streckte Beine und Kopf von sich.
»Tot?«
Nein, tot war er nicht. Es hatte aber nicht viel gefehlt.
Da sagte ich:
»Siehst du, Jani, wohin es führt, wenn man nicht gehorchen mag?«
»Und du, Marius, warum hast du nicht die Zügel freigegeben? Warum hast du dich an ihnen schleifen lassen?«
Ich brauste wütend auf:
»Zum Teufel, Papa, hat dir noch nie jemand was zu Trotz getan, daß du nicht weißt, wie man zurücktrotzt?«