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»Bist du endlich fertig, Kerlchen?« fragte Bümi in sehr vorwurfsvollem Ton.
»Endlich? Hat es denn so lange gedauert?«
»Vier Stunden, knapp gerechnet.«
»Bümi, deine Phantasie wuchert.«
»Nee!!! He, wat he is, is en olen Schreibkrampf, äwer du büs noch döller,«
»Phhhh! Hast du denn deinem Franz keine Briefe geschrieben, als du verlobt warst?«
»Natürlich hab' ich das, dumme Deern, aber erstens niemals so lange Briefe wie du, denn ich bin von Natur aus kein Schriftsteller, zweitens bildete ich mir ein, man müßte von seinem Verlobten immerzu und jederzeit wissen, was er treibt, was ganz unnütz ist, denn sie flunkern einem doch was vor. (Franz behauptet, er hätte während seiner ganzen Bräutigamszeit Gesangbuchsverse gelesen.) Drittens war ich bis über beide Ohren in Franz verliebt, während du vorläufig ein Hundeschnäuzchen bist.«
»Bümi!! – – du warst doch nicht bloß verliebt, du hattest ihn doch lieb!«
»Himmel, solch' feine Unterschiede mache ich nicht. Na, – jedenfalls wird dieses Paket, das du da so wohlgefällig in der Hand wiegst, Herrn von Rumohr in seliges Entzücken versetzen und ihn veranlassen, schleunigst hierher zu kommen und dich reineweg aufzuessen.«
»Dumme Bümi! Fritz hat mehr zu tun, der hat genug Arbeit um die Ohren und ist gut aufgehoben. Außerdem bin ich nicht so appetitlich, daß er mich als »Großfrühstück« betrachten könnte.«
»Na, es geht! In meinen Augen bist du ein ganz süßer Kerl, und wenn das ein Frauenzimmer zum andern sagt, steckt mehr Wert darin, als wenn 'ne Mannsperson im Spiele ist. Übrigens – Kerlchen – wann will er heiraten?«
»Wann? O Bümi, ich glaube im Mai –« »Kerlchen! Und du hast das zugeben können? – – –«
»O Bümi, sieh doch nicht so böse aus. Nichts, gar nichts habe ich zugegeben, aber Fritz ist so – – so bestimmt, so ein ganzer Mann – –«
»Ach was, dickköpfig ist er!«
»Bümi!«
»Einziges Kerlchen! Verklär' ihn dir nicht so doll! Ein Gott ist er nicht, sondern Fritz von Rumohr auf Rotbach in Thüringen. Aber nun mach' nicht so ein scheues, unglückliches Gesicht, hörst du? Ich weiß ja, daß er ein sogenannter Prachtmensch ist, das predigt mir Franz alle Tage, aber wehe – – wenn er gereizt wird,«
»Ja, er kann so furchtbar zornig werden, er läuft dann im Zimmer 'rum und macht so große wütende Augen – –«
»As en lütten bengalischen Tiger! Nee, Kerlchen, ich würde mich nicht so bald in seine Höhle begeben.«
»Ich möchte es ja auch garnicht, aber – o Bümi, wenn er es nun dringend, ganz, ganz dringend wünscht, wenn er es befiehlt?«
» Befiehlt?? Na, nun wird's Tag! Kerlchen! Da ist es ja die höchste Zeit, daß ich dir mal den Standpunkt klar mache. Zu befehlen hat dir als Bräutigam der Fritz überhaupt nichts, hörst du? Als Ehemann allenfalls, – – aber auch nur unvollkommen. Und wenn nun die triftigsten Gründe vorliegen, daß du erst im Oktober heiratest, und du, du, die Braut, diese Gründe billigst und es wünschest, noch bei uns zu bleiben, in deinem zweiten Vaterhause –«
»Aber wenn nun Fritz die Gründe nicht für stichhaltig ansieht – – –«
»Sollte dieser Barbar das tun? Wehe ihm!«
»Fritz sagt, er ginge jetzt vor, außer wenn es sich um Muusch handelt, und Fritz meint –«
»Siehst du, Kerlchen, das ist nun schon verkehrt, – »Fritz sagt, Fritz meint,« und so fort. Das ist so echt Mannerart, immer was zu sagen und zu meinen. Da mußt du dich beizeiten auf die Hinterbeine setzen.«
»Ach Bümi! Früher machte ich so gern Front, aber – jetzt – ich weiß nicht, es kommt mir ganz wonnig vor, zu allem ja zu sagen, was Fritz wünscht. Er meint es so gut!«
Bümi legte ihr Gesicht in ernste, strenge Falten und bemühte sich, sehr weise auszusehen.
» Dummes!« betonte sie ausdrucksvoll. »Er soll dein Herr sein« ist ein sehr schönes Wort, aber richtig durchzuführen ist es nicht, Kerlchen, glaub' mir's. Und Fritz von Rumohr, – der wird ein besserer Sklavenhalter, wenn du immer kuschst.«
»Also Bümi, rate mir, wenn er nun darauf dringt, daß wir im Mai heiraten – ich finde es ja auch viel, viel zu früh – – was soll ich dann sagen?«
»Dann sagst du langsam und feierlich: »Meine Basen gehören von Gottes- und Rechtswegen auf meine Hochzeit; es wäre unnatürlich, wenn sie fern blieben, aber im Mai kann Bümi nicht, und im Juli kann Munke nicht, und im September kann Luttewete nicht, ergo heiraten wir im Oktober.«
»Nein, Bümi, so kann ich's ihm nicht sagen.«
Na, – es ist wohl möglich, daß es 'n büschen komisch klingt. Also dann sagst du so:
»Bümi ist im Mai dringend verhindert, im Juli können Munke und ihr Baron unmöglich aus der Ernte fort, und im September ist Naturforscher- und Ärztekongreß, da müssen Schirmers nach Kassel, und Luttewete muß bei Bümi haushalten, kann also nicht zur Hochzeit. Punktum. Nimm mir's nicht übel, ich finde es überhaupt verrückt von deinem Landwirt, vor beendeter Ernte heiraten zu wollen.«
» Fritz ist nie verrückt!«
Ordentlich feindselig sah Bümi Kerlchen an.
»Er ist ein Engel!« beeilte sich diese hinzuzusetzen, und nun versprach Kerlchen, genau nach Vorschrift zu handeln.
»Liebstes!
Also es bleibt dabei. Im Mai! Ist Dir der Dreizehnte recht? Mein süßes Mädchen ist doch nicht abergläubisch? Das würde ja garnicht zu Dir stimmen, zu meinem tapferen Kerlchen. Ich habe mich hin- und herbesonnen, mir paßt dieser Tag durchaus am besten, und wenn mein Kerleleini nichts dagegen hat, dann – –
o Kerlchen, süßes, süßes Kerlchen!
An den 13. Mai knüpfen sich für mich meine liebsten Kindeserinnerungen. An diesem Tage hatte mein liebster Freund Flori Geburtstag, – ach, und das war ein Glanzpunkt in meinem armen Kindesdasein, wenn ich in das reiche Haus eingeladen wurde und in den hohen, hallenden Zimmern umherspringen konnte. Wort lernte ich zum erstenmal die Musik kennen, die Mutter meines Freundes Flori sang herrlich, es war ein hoher, jubelnder Sopran, dazu der weiche, schöne Tenor des Vaters, und Floris eigene wunderschöne Stimme, die später ausgebildet wurde. Sein Schwesterchen Käti spielte Geige und war meine erste Lehrmeisterin – – ich habe später als Jüngling und dann als gereifter Mann so viel liebe Freunde gefunden, – aber mein Flori – ich denke so oft an ihn und den 13. Mai.
Liebes Kerlchen, ist er Dir recht, dieser Tag, unser hoher, heiliger Tag? Sag' ja, Kerlchen, laut und deutlich ja, – oder sag' es mir auch leise ins Ohr mit Deinem Silberstimmchen, – wenn Du nur zustimmst, so ist alles gut.
Ich lasse ununterbrochen im Schlosse arbeiten, damit die holde Herrin einziehen kann.
Kann ja kaum die Zeit erwarten – – – soll ich Dir eine Geschichte erzählen? Eine wunderschöne Geschichte! Wie wir in unserm Hüttchen sitzen werden, ganz leini, Du und ich, und der Sturm braust wild um das Haus, – hei, laß ihn brausen, Du bist warm in Deiner Heimat, Du mein Einziges, mein Geliebtes, mein Kerlchen!
Noch sechs Wochen, und Du bist mein! Ein wonniger, herrlicher, glücksvoller, atemraubender Gedanke. Ich bin Egoist, Kerlchen, rücksichtsloser Selbstsüchtling, ich denke keinen Augenblick an Buchenwalde, an die Deinen, die Dich sehr vermissen werden. Denn Dein liebes Muusch, – nun bald auch meine innig verehrte Mutter – kommt uns ja nach, sowie wir von unserer Reise zurück sind. Also Kerlchen, merk' auf den 13. Mai!
Gott befohlen!
Dein Rumohr.«
»Liebes Kleines!
Na, natürlich, das war vorauszusehen. Warum hast Du mir nicht seinen Brief mitgeschickt, damit ich sehen kann, wie, wo, warum. Seiner liebsten Freundin und Base muß man die Briefe des Verlobten zeigen, – hörst Du? Ich habe es dunnemals nur deshalb nicht getan, weil Franz nicht zärtlich veranlagt war, und seine Briefe eigentlich nur Rüffel enthielten, die wollte ich Euch andern natürlich nicht unter die Nase reiben, Ihr hättet doch nur fühllos gegrient, anstatt Mitleid mit der verkannten Bümi zu haben. Bei Dir ist es etwas anderes.
Die Rumohrschen Briefe können, wie ich fest annehme, ein Muster für »Liebende« sein, Du wirst sie später mal herausgeben und horrendes Geld damit verdienen.
Aber wie ich mit Wehmut sehe, hindert alle Zärtlichkeit diesen Schloßherrn nicht, auf seinem Pakt zu bestehen, und das ist unritterlich.
Dixi, ich habe gesprochen.
An Dir ist es nun, ihm zu beweisen, daß an der Stelle, wo bei den Mannsleuten die anderthalb Lot mehr sitzen, bei uns »Beharrlichkeit« thront.
Freilich rückt der Termin beängstigend nahe.
»Was tun?« spricht Zeus.
Konntet Ihr nicht mit der Aussteuer etwas mehr trödeln?
Daß diese fix und fertig, gewaschen, gerollt und geplättet und mit »FR. S.« gezeichnet im Schranke liegt, ist ein erschwerender Umstand.
Aber, Kerlchen, geliebtes, einziges Herzenskerlchen, nicht wahr, Du trittst nicht in den heiligen Ehestand, ohne daß Deine treue Bümi Dir treten hilft.
Wirklich, wir könnten Dir nie wieder gut sein, wenn Du in Deinem vollen Glück nicht an uns dächtest, die wir im tiefsten Leid immer an Dich gedacht und uns Deiner angenommen haben. Herrn von Rumohr aber kannst Du sagen, daß ich – »Bümi« seine Eile »unschicklich« finde.
Deine treue Bümi.
P. S. Bitte, sag' es ihm lieber nicht; Dein Verlobter hat so 'ne Art, einen anzusehen, die höllisch unangenehm und niederdrückend ist.«
Was soll ich tun?
Immerwährend lese ich Bümi's Brief durch, um mich stark zu machen. Aber wenn ich dann die Briefe von Fritz hernehme – er hat mich so lieb – er sehnt sich so sehr – ach, das Leben ist doch furchtbar schwer!
Und wie unheimlich rasch der Mai näher rückt. Das war sonst immer so ein lieber Monat, aber Bümi – und die andern Walküren – und Fritz – ach, ich bin ganz verwirrt.
Onkel Waldemar geht mit einem bitterbösen Gesicht umher, nur wenn ich ihm begegne und mit ihm plaudere, dann hellt es sich etwas auf. Es wird ihm so furchtbar schwer, mich herzugeben.
Muusch denkt, sie behält mich noch bis Oktober, denn sie kann sich so schwer aus den altgewohnten Verhältnissen losreißen.
Freilich hat sie Väterchens Grab näher, wenn wir erst in Rotbach wohnen, und daran denkt sie, – genau so viel wie ich.
Bei Muusch ist's mir am wohlsten.
Wenn ich zu ihren Füßen sitze, und wir von Fritz sprechen, dann bin ich stolz auf ihn und höre es so unbeschreiblich gern, wenn Muusch mir alle seine lieben, vortrefflichen Eigenschaften vorhält, ich nicke auch sehr eifrig, wenn sie mich fragt, ob ich ihn denn sehr lieb habe.
Aber von selbst sagen kann ich es nicht, es ist so etwas Heiliges, man muß es tief drinnen im Herzen behalten.
Nur wenn ich ganz allein in meinem Stübchen bin und so an alles denke, oder des Abends wenn ich mein Gebet gesprochen habe, dann sag' ich es leise vor mich hin, – vielleicht hunder- oder auch tausendmal: »Ich hab' ihn so lieb! Ach so lieb!«
Aber ich muß doch fest bleiben, was die Hochzeit anbetrifft. Die Walküren sind meine treuesten Freundinnen, ich hab' ihnen vor vielen Jahren versprochen, daß sie an meinem Ehrentage dabei sein sollten, wenn wir nicht alle tot wären, und ich muß mein Versprechen halten.
Buchenwalde ist immer meine Zuflucht gewesen in Freud und Leid, und mein Herzensonkel Waldemar hat Väterchens Bürgschaft übernommen, hat unsern Namen wieder klar und rein leuchten lassen, – o, ich vergesse es nie! Nie! Und deshalb muß ich noch ein bißchen bei ihm bleiben, und Fritz muß das einsehen, ja er muß, und wenn er's nicht tut – – –
O – ich sehe keinen Ausweg.
Wenn Väterchen noch lebte, – ach, da wäre alles gut.
Der würde sagen: »So geschieht's« und damit »Kehrt, Marsch«.
Bümi meint, Väterchen würde Fritz einen Puff geben, daß er bis nach Rumohr flöge, und mich würde er fest an sein Herz ziehen und nicht wieder los lassen bis Oktober.
Aber, – ich weiß doch nicht so recht. Väterchen war nicht so fürs Gewaltsame, und dann – – wenn er lebte, – wer weiß, ob ich den Fritz so lieb hätte, ich würde dann wohl bei meinem Väterchen geblieben sein.
Wenn Fritz doch nachgeben wollte!
Er ist doch jetzt ganz eins mit mir und müßte die Cousinen ebenso lieb haben, wie ich.
Ach, wenn mir doch jemand sagen wollte, was ich tun soll!
Ich möchte so gern Fritz gehorchen, aber sie halten mich dann in Buchenwalde für lieblos und undankbar, das ist ein schrecklicher Gedanke für mich.
Ich will nun noch einen Brief von Erich abwarten, – – bin ganz unentschlossen, ganz mutlos.
»Mein geliebtes Schwesterchen!
Viel Arbeit, viel um die Ohren. Rumohr schrieb mir von Eurer Hochzeit und vom Mai, eine Nachricht, die mich recht verstimmte, denn ich hatte immer nur an den Herbst gedacht, (Kerlchen ist noch gar so jung), und nun soll ich eine Generalstabsreise im Mai machen, – denk' doch nur, Liebling, ich soll Dich erst wiedersehen, wenn Du »Kerlchen Rumohr« heißt.
Ist es denn nur möglich?
Bin ja im Grunde kein sentimentaler Kerl, aber der Gedanke, mein wundersüßes Schwesterlein nicht im Myrtenkranz und Schleier zu sehen, ist mir beinahe unerträglich.
Ich möchte mich aber nicht selbstsüchtig in Eure Angelegenheiten mischen, Ihr habt gewiß beide reiflich den Termin überlegt, und Rumohr kann man es nicht verdenken, wenn er sich sein Kleinod so bald wie möglich in seine Burg retten will. Aber traurig ists doch für mich.
In allernächster Zeit will ich, wenn möglich, noch einmal kommen, um Abschied von Dir zu nehmen, – vor September werden wir kaum zurück sein.
Bereite Muttchen schonend vor, daß ich zu Deinem Ehrentage fehlen werde, der Dienst kennt nur das eiserne »Muß«. Sie war ja Soldatenfrau und versteht das, ob aber mein »lütten Terle« es einsehen wird??
Dein alter Erich.«