Felicitas Rose
Provinzmädel
Felicitas Rose

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Aus Kerlchens Tagebuch.

Nein, ich sehe es nicht ein, durchaus nicht. – Natürlich, der Dienst muß sein, ein Soldat darf nicht mucken, aber eine Braut darf es, und eine Hochzeit läßt sich verschieben.

Mein Erich soll fern sein? Oho, das geht einfach nicht.

Fritz ist kein Feldwebel, und ich bin kein Rekrut, er ist Sommerleutnant, und ich bin Kerlchen. Ich will nicht, und ich will nicht!

Ich hab' Fritz sehr, sehr lieb (d. h. in diesem Augenblicke nicht gerade doll), aber ich sehe nicht das leiseste Gründchen, weshalb er mich schon im Mai fort holen will.

Er soll Erich nicht weh tun und den Buchenwaldern auch nicht, er darf es nicht, sie waren alle so gut mit mir.

Und Fritz hat mich doch dann immer bei sich, bis er ein Urahn ist und ich eine Greisin, aber Erich geht immer so einsam seinen Weg weiter, ich muß ihm jeden Gefallen tun.

Mir schießen die Tränen ganz heiß in die Augen, am liebsten möcht' ich so recht tüchtig losheulen, aber dann bekomme ich gleich greuliche Külpaugen und ein heißes, rotes Gesicht, und alle Hausbewohner merken, daß etwas nicht im Lot ist, das darf nicht sein.

Aber ich finde es nicht gerade über die Maßen schön, Braut zu sein, – die Dichter reden auch viel dummes Zeug zusammen.

Brief von Schlachter Krone an Kerlchen.

»Achtungsvolle Braut!

Sie haben mich in Ihrem letzten Wertesten leise angedeutet, daß Sie in Hoffnung leben, mich bei Ihnen zu sehen, wenn Sie in den heiligen Ehestand 'neintreten.

Was meine Frau ist, brach gleich in blutige Tränen aus, denn sie hats sehr mit die Rührung wie alle alten Weiber.

Auch die Schwarzhausener Mitbürger finden es eine ausgerechnete Ehre für mir, wogegen ich mir o kontrollör gewundert hätte, wenn Euer Edelgeboren mir mit eine Einladung hintergangen hatten.

Und wollte ich ferner sagen, daß ich es dem Herrn Baron von Rumohr in der Seele nachfühlen kann, daß ihm der frühste Termin gerade recht ist, so ein schönes und wohlgebildetes Mädchen zu heiraten und der Mai auch bei alle Dichters der geeignete Momang für so was ist.

Ich selber bin im November neingemacht, weil's mit'n Geschäfte besser paßte. Und ist mir auch bei Fräulein Kerlchen das Datum nicht recht, denn es tut mir leid, aber ich muß es mit allen schuldigen Respeck sagen, was mein Rewö is, erwartet im Mai mit seiner lieben Frau einen freudigen Stammhalter und muß dieserhalb dem Ladengeschäft fern bleiben. – Daraufhin hat er mir zu seinen Vertreter estimiert.

Gnädiges Fräulein brauchen aber dessertwegen nicht in Unwillen zu verfallen, denn das Hochzeitsgeschenk geht in Einen hin, ob ich abwesend oder an bin. Vierzig Mark. Dabei bleibts, kein Schund ausn Bahzar, daß bin ich dem Herrn Oberst selig schuldig und mir selber.

Und ist dieses mein letztes Wort, weil ich den Kopf alleweile voll habe, könnte sich nur ändern, wenn der Herr Bräutigam eine andere Jahreszeit für die heilige Handlung geruhten.

Leben Sie so wohl, als auch.

Krone, Schlachtermeister.«

Brief von Fritz von Rumohr an Kerlchen.

»Mein Liebling, Du schweigst Dich seit einiger Zeit völlig aus, – ich kann doch unmöglich glauben, daß mein verständiges Kerlchen mit mir schmollt, weil ich Deinen törichten Einwänden gegenüber etwas hartnäckig auf meinem Wunsche bestehe, Dich im Mai zu mir zu holen. Du bringst mich wirklich dazu, Dich ernstlich zu fragen: »Sehnst Du Dich denn gar nicht nach Deinem Fritz?«

Wenn Du wüßtest, wie ich ungeduldig und unvernünftig sehnsüchtig dem Briefboten entgegensehe, der jedesmal mit echt Thüringer Gemütlichkeit sagt: »Herr Barun, heite warsch nischt,« – Kerlchen – geh' in Dich und frage Dich, ob ich dieses trotzige Schweigen verdient habe?

Gottlob – nur noch acht Tage und ich bin bei Dir, dann wird sich auch mein Himmel aufklären, – mein Sonnengesichtchen.

Die nötigen Förmlichkeiten habe ich alle in der Kreisstadt erledigt, wir »hängen« nun schon, wenn auch, gottlob, nur im Rathaus.

Meine Gedanken fliegen unablässig über die acht Tage fort zu Dir hin, wenn es Dir ebenso mit den Deinen geht, so begegnen sich unsere Wünsche und Träume vielleicht jetzt droben in der Luft und halten fröhliche Zwiesprach.

Was soll ich noch viel schreiben, Kerlelein, ich komme bald, vielleicht schneller als Du ahnst, – soll ich Dich überraschen?

Gott mir Dir, Liebling!

Dein Rumohr.«

Aus Kerlchens Tagebuch.

Es ist, als ob sich ein Netz über meinem Kopfe zusammenzieht, und ich zapple mich nun darin ab.

Es wird über mich bestimmt, gerade als ob ich gar nichts zu sagen hätte.

Fritz hat alles mit Muusch brieflich besprochen, weil ich nach meinem herzlichen, stürmischen, wütenden, flehenden Brief, der gar keinen Eindruck auf Fritz gemacht hat, überhaupt nicht mehr an ihn geschrieben habe.

Ob Fritz annimmt, es sei nur so eine Laune von mir, so ein grundloses Widersetzen?

Aber dann wäre ich ja ein richtiges Greuel (kann sein, daß ich es so wie so bin), und er müßte froh sein, mich noch eine Weile los zu sein.

Kurz, es ist alles fix und fertig, wir »hängen« in E. und in B.

Aber der Strick ist noch nicht ganz zugezogen, ein Luftlöchelchen ist noch geblieben, so daß ich rufen kann: »Ich will nicht!«

Zu Mutti bin ich schon mit dem Wort hingegangen, – die sagte ängstlich: »Kerlchen, du bist krank! Denn so unvernünftig kannst du nicht sein. Es ist ja alles fertig, – das Brautkleid ist da – sieh' es dir an, wie duftig und weiß es daliegt.«

Aber ich habe es mir nicht angesehen, es ist etwas Zorniges in mir aufgestiegen, das nimmt mich ganz in Anspruch, – aber gut macht es mich nicht.

Und Muusch weint, ich sehe es wohl. Sie läßt es sich nur nicht so merken, daß ihr Erichs Fernbleiben genau so weh tut, wie mir, vielleicht denkt sie auch, daß wenigstens eine Schlieden vernünftig sein muß.

Es ist gar nicht wie vor einer Hochzeit.

Onkel Waldemar sieht bös aus und lächelt so krampfhaft, wenn er mir begegnet.

»Na, alte Deern?« – ruft er dann überlaut und klopft mich auf die Schulter, er will doppelt gut und freundlich mit mir sein, denn Tante Hedwig geht mir aus dem Wege, und wenn sie mal wirklich eine kleine Rede schmettert, ist sie spitzig wie eine Nadel. Sie ist bös auf Fritz, natürlich – sie fühlt ebenso wie ich, daß Munke, Bümi und Luttewete »von Gottes- und Rechtswegen« dazu gehören.

Heute hat auch noch Onkel Rumohr abgesagt, – ach, ein neuer Schlag!

Er hat auf dem Bahnhof Mölln einen schmerzhaften Gichtanfall bekommen und ist sofort zurücktransportiert worden.

Ich sehe schon, – das Schicksal ist auf meiner Seite: – wenn Fritz auf dem 13. Mai besteht, dann werden wir allein in die Kirche gehen und wieder hinaus und abdampfen ohne Sang und Klang – – ich will nicht, ich will nicht!

Gäste haben wir nicht, außer Pfarrer Richter und Emmy, denn die ich eingeladen habe, meine liebsten Freunde, Onkel Rumohr, Schlachter Krone, Johann und die alte Dorette, die können nicht abkommen. Tante Laura von Hartwig, welche sich auch schon aufgemacht hatte, ist gleich wieder umgedreht und will Onkel Rumohr pflegen.

Baron Russee und Ohm Waldemar wollen Trauzeugen sein, aber Munke mukscht natürlich auch, sie will nicht ohne die Schwestern kommen, ich kann ihr's nicht verdenken.

Und so bringt Fritz die greulichste Unordnung in unser friedliches Leben.

Aber er soll ja nicht denken, daß ich am 13. Mai, wenn ich gerade eben den letzten Bratenbissen heruntergewürgt habe, mit ihm fortrenne. Kein Stück ist gepackt, meine Kleider sind noch nicht mal alle da, weil ich dem Schneider immer schrieb, es hätte keine Eile. – – –

*

Eben kam ein Telegramm aus S.

Bümi ist schwer krank. Tante Hedwig ist abgereist. O lieber Gott, laß es doch nichts Schlimmes sein und behüte meine lieben Buchenwalder recht, sie verdienen es doch so sehr. Und zeige doch meinem Fritz auf irgend eine Weise, daß nicht alles nach seinem Kopfe geht.

*

Das waren bange Stunden, die wir durchlebt haben. Tante Hedwig schickte immerfort Nachricht: Briefe, Karten und Telegramme, es hat jammervoll mit unserer geliebten Bümi gestanden.

Aber nun ist die äußerste, dringendste Lebensgefahr vorbei, sie soll aber sehr schwach und blaß sein, unsere blühende Bümi. –

Das kleine Kindchen, das ihr der liebe Gott gestern geschenkt, hat er ihr gleich wieder weggenommen, er dachte wohl, es sei bei ihm besser aufgehoben, denn in so schwerer Zeit hätte sich doch niemand recht um Kleinchen kümmern können.

Mich hat das alles sehr niedergedrückt und traurig gemacht. – – –

*

Tante Hedwig ist wieder zurück, Bümi macht sichere Fortschritte, eine Diakonissin pflegt sie.

Tante Hedwig ist bei aller Liebe zu ihren Kindern doch wohl die ungeeignetste Krankenpflegerin, die es gibt, sie haben in S. den nächstbesten Vorwand gesucht, um sie heimzubugsieren.

Dafür haben wir sie hier mit großer Sorgfalt empfangen und sind liebevoll um sie herum, was sie furchtbar gern hat, und dafür erzählt sie uns von Bümi.

»Sehnsucht hat sie nach Kerlchen,« berichtete Tante Hedwig, »sie phantasierte in der einen Nacht sehr stark, und rief immer nach ihrem Kerlchen, bis der Arzt fragte: »Kann man das Mädchen nicht holen?«

»Na, und – – –?«

»Ich sagte ihm, du wärst mit den Vorbereitungen zu deiner Hochzeit beschäftigt, und da rief er gleich: ›Um Gotteswillen, dann nicht, – ein Mädel, das nächste Woche heiraten will, ist total unbrauchbar.‹«

Phhhh, so ein Doktor tut doch immer unfehlbar und irrt sich manchmal gründlich – ich werde ihm das beweisen – –

Eben kommt ein kurzer Brief von Bümis Mann: »Alles Glück über Ihre Zukunft, verehrtes Kerlchen! Ich bin so egoistisch, Sie am liebsten hier haben zu wollen am Krankenlager meiner Bümi, die immer nach Ihnen verlangt –

Aber Sie haben jetzt neue Pflichten übernommen, und wer sollte sich mehr darüber freuen, daß Sie nun dem Glücke entgegenschreiten, als meine geliebte, kleine Frau und ich. Bümi trägt mir leise viel tausend Grüße an Sie auf, in die sich ein paar Tränlein mischen« – – –

*

In Bümis Zimmer ist es still, sehr still. Die pflegende Diakonissin hat sich eben auf ein Weilchen zurückgezogen, denn Bümi hat mit etwas krankhaftem Eigensinn verlangt, allein zu sein.

Dr. Schirmer, der Tag und Nacht nicht von der Seite seiner lieben Frau gewichen war, ist auch wieder ins Sprechzimmer gegangen, wo die Leute dicht gedrängt stehen und sitzen. Er ist sehr beliebt in der Stadt und auf dem Lande, und die Schleswig-Holsteiner Bauern sind gut konservativ, die wollen den »Verdrehten« nicht, wie sie den »Vertreter« nennen, sie wollen ihren »Kreisviehsikus«.

Bümi ist in der Genesung, aber mit dem voll erwachenden Bewußtsein kommt auch die unendliche Sehnsucht nach dem Kindchen, auf das sie sich so gefreut, das ihr beinahe das Leben gekostet und ihr so rasch wieder genommen worden ist.

Und von dem Kindchen schweifen ihre Gedanken zu Kerlchen, dessen Hochzeit in wenig Tagen stattfinden soll, eine Vorstellung, die immer noch Kopfschütteln bei ihr hervorruft.

Kerlchen, – eine Hausfrau, Kerlchen – eine Gutsherrin, Kerlchen – Frau von Rumohr, Kerlchen – – – !!

Diesmal rief Bümi es nicht nur in Gedanken, sondern laut, fragend, zweifelnd, und endlich mit jubelnder Gewißheit, denn Kerlchen stand in höchsteigener Person in der Tür.

Dann kniete es vor Bümis Bett nieder, – tief erschrocken über das blasse, vergrämte Gesicht der ehedem so gesunden, kraftstrotzenden Walküre, und verbarg sein Köpfchen in den Kissen.

»Kerlchen, ist es denn wahr? Wer hat dich hergeschickt? Bist du wirklich bei mir?«

»Ausgerissen bin ich,« entgegnete Kerlchen trotzig und wischte sich ein paar Tränchen aus den Augen.

»Aus – – ge – – rissen?«

»Natürlich! Ja!«

»Und warum, – du – warum?«

»Weil – weil, – ach Bümi!« –

Die Beiden saßen Hand in Hand und schwatzten.

Die Diakonissin hatte schon ein paarmal besorgt hereingesehen und prüfend den Puls der Patientin gefühlt, aber Bümi schaute sie mit klaren, fieberfreien Augen an.

»Nun werde ich erst gesund, Schwester Beate,« lachte sie, – »denken Sie, dieses Frauenzimmer ist mein Kerlchen

Und Schwester Beate nickte lächelnd.

So, gerade so hatte sie sich das vielbesprochene Kerlchen gedacht, – mit verwehtem Haar, trotzig-glücklich aussehend und – – ausreißend einen Tag vor der eigenen Hochzeit, um die kranke Bümi gesund zu pflegen.

»Kerlchen, – nun kommt aber eine Kardinalfrage:

»Was wird dein bengalischer Tiger tun, wenn er in die Höhle kommt und findet das Nest leer?«

»Nicht so beängstigende Vergleiche, Bümi! Fritz sieht eben, wie lieb ich dich und euch habe, und daß nicht alles nach seinem Kopfe gehen kann, und sieht schließlich sein Unrecht ein, dreht um und kommt dann im Oktober vergnügt wieder, – oder nein – er wird hierherkommen, – das glaube ich bestimmt.«

»Spiele nicht mit Schießgewehr, denn es fühlt wie du den Schmerz,« – Kerlchen – du ahnst es nicht! Dieser Rumohr sieht nicht aus, als ob er schon heute oder morgen vor dir den Salaam macht. Ich fürchte – – – «

»Was denn, Bümi?«

»Nichts, Kerlchen! Hier reicht unser beschränkter Untertanenverstand nicht aus, hier muß Franz her, – der hat Medizin studiert. Siehst du, – da hängt er schon – – Himmel, – was für ein geistreiches Gesicht selbst die dümmsten Männer machen können, – na, ich meine es natürlich umgekehrt.«

Es war wirklich kein geistreiches Gesicht, das Dr. Schirmer machte, Kerlchen kümmerte sich aber nicht darum, sondern ging fröhlich auf ihn zu, – blieb aber plötzlich stehen und errötete heftig unter den ernsten, forschenden Blicken des Arztes.

Dieser zeigte auf ein Blatt Papier, das er in der Hand hielt.

»Herr von Rumohr fragt telegraphisch bei mir an, ob Sie hier sind, Kerlchen,« sagte er hastig. »Was ist vorgefallen?«

»Nichts,« lachte Kerlchen ziemlich sorglos, »ich wollte nur nicht im Mai heiraten, das wissen Sie ja, und Bümi hatte mir geschrieben, sie guckte mich nie wieder an, wenn ich ohne sie Hochzeit machte, und Munke und Luttewete auch – – –«

Es verstummte.

Dr. Schirmer hatte sich kurz herumgedreht und das Zimmer verlassen.

Nie Zurückbleibenden sahen sich verblüfft an.

»Na, nu kenne einer die Männer aus,« meinte Bümi kopfschüttelnd, »Franz war doch sonst immer wie närrisch, wenn er dich sah, – aber heute – – «

Dr. Schirmer kam nach fünf Minuten wieder. Er prüfte Bümis Puls, betrachtete etwas besorgt die heißen Backen, welche die ungewohnte Aufregung hervorgerufen hatte, beschied die Diakonissin ins Zimmer, gab ihr Anweisungen und sagte dann zärtlich-ernst: »Du wirst jetzt schlafen, Bümi.«

Diese nickte gehorsam und sah etwas scheu in das verfinsterte Gesicht ihres Gatten, der nun Kerlchen einen Wink gab und mit ihm in das Nebenzimmer ging.

Hier nahm er ihm ohne weiteres Hut und Jacke ab und blieb dann dicht vor ihm stehen.

»Wissen Sie auch, Kerlchen, daß Sie eine ganz ausgesuchte, vielleicht nicht wieder gutzumachende Dummheit verübt haben?«

»Nein!«

»Kerlchen!«

»Nein, und nein und nein! Bümi hatte Sehnsucht nach mir.«

Der Doktor fuhr sich mit allen fünf Fingern in die Haare.

»Herrgott, so sind wir am Ende noch allein schuld an Ihrem Hiersein? Hätte ich das geahnt, ich würde ja nie – – «

»Ach, – Sie sollen sich gar nicht anklagen,« fiel ihm Kerlchen heftig ins Wort, – »ich hab' das alles allein ausgeheckt und brauche gar keinen Helfershelfer.«

Doktor Schirmer ergriff beide Hände Kerlchens.

»Aber verstehen Sie denn gar nicht, was Sie getan haben?« fragte er zornig-vorwurfsvoll. »Glauben Sie denn, daß Rumohr Ihnen je verzeihen kann?«

Mir? Je? Er? Aber – – –«

»Sie haben augenscheinlich keine Ahnung von der Bedeutung Ihrer unverantwortlichen Flucht,« fuhr der Doktor ruhiger fort und brachte Kerlchen einen Stuhl heran, auf den es sich setzte, während er gegenüber Platz nahm. »Jawohl, unverantwortlich! Sie haben Ihren Verlobten auf das schwerste gekränkt, und da Sie sich hierher geflüchtet haben, muß Rumohr denken, ich sei mit im Komplott.«

»Phhh! Komplott! Ich mache meine Dummheiten immer allein!«

»Das weiß Gott,« feufzte Doktor Schirmer. »Aber diese hätten Sie sich schenken sollen. Und nun – nehmen Sie einen guten Rat von Ihrem besten Freunde an, liebes, liebes Kerlchen, – reisen Sie mit dem nächsten Zuge nach Buchenwalde.«

Kerlchen schrie auf.

»Dann heiratet er mich,« rief es angstvoll, »das weiß ich schon, er ist so, – nein, nein, ich bleib' hier.«

»Kerlchen, wenn man Sie hört, meint man, Sie wären ein dummes, kleines Kind, ohne Sinn und Verstand, ganz und gar vernagelt, kurz und gut – – «

»Horndumm!« ergänzte Kerlchen. »Ich weiß schon, aber das ändert gar nichts.«

»Na, da muß ich Ihnen ernstlich eine Frage vorlegen, die man eigentlich als guter Vater oder alter Freund vor der Verlobung der Schutzbefohlenen tut:

»Haben Sie Rumohr lieb?«

»Ja! Ganz doll,« entgegnete Kerlchen leise, während es das heißerglühte Gesicht seitwärts wandte und durch das geöffnete Fenster in den dämmrigen Abend hinausschaute.

»Dann verstehe Sie ein anderer!« Doktor Schirmer sah ratlos auf das junge Geschöpf.

»Wenn mir doch nur die rechten Worte zu Gebote ständen,« fuhr er eindringlich fort. »Wenn ich Ihnen richtig klar machen könnte, wie unrecht Sie getan haben, – wie wir alle, – Bruder Erich mit eingeschlossen, zurückstehen müssen, unbedingt zurückstehen vor dem Wunsche Ihres Verlobten, Ihnen endlich eine dauernde Heimat zu geben.«

Dr. Schirmer sprach warm und herzlich. Er redete in so überzeugendem Tone und Kerlchen war ja kein verstocktes Sünderchen, es war nur verstört und geängstigt durch das rücksichtslose Bestimmen über seine kleine Person, daß es jetzt bei den guten, ruhigen Worten ordentlich aufatmete, und das warme Gefühl es beschlich, seinen Kopf so gern, ach so gern an Fritz von Rumohrs Schulter zu lehnen und seine liebe Stimme zu hören.

Noch etwas unsicher schaute es den Freund an.

»Aber Bümi – – « sagte es seufzend.

»Bümi war immer ein kleines Schaf,« meinte der Doktor, »ich werde ihr den Fall vortragen und ein verständiges Wort mit ihr reden. Und Sie halten vorerst mal verständige Zwiesprache mit diesem guten Rotwein und dem bequemen Sofa dort, – verstanden? So kräftig unser Kerlchen auch ist, so sind doch derartige, dumme Aufregungen ganz unnütz.«

Er ging, und nach kurzer Zeit holte er Kerlchen zu Bümi, nicht ohne sich mißbilligend darüber zu äußern, daß Kerlchen immer noch auf derselben Stelle stand und in die ›Wicken horchte‹.

»Ach, – ich dachte mir schon ganz lebhaft aus, wenn ich nach Hause komme,« rief es fröhlich und setzte dann in überzeugungsvollem Tone hinzu:

»Ich glaube doch, daß ich sehr dumm war.«

Dann saßen alle drei an Bümis Bett, die durchaus nicht schlafen wollte, ehe Kerlchen abgereist sei, – der nächste Zug ging in anderthalb Stunden, – so lange sollte noch geschwatzt werden.

*

Der Weg von der Station nach Buchenwalde kam Kerlchen diesmal endlos vor.

Wo würde es Fritz finden? War er vielleicht in hellem Zorn über seine Abwesenheit in den Wald gelaufen und tobte nun dort umher?

Würde er ihm gleich verzeihen, wenn er es zurückkommen sähe? Oder wäre er ihm vielleicht gar nicht böse, sondern nur ganz glückselig über Kerlchens schnelle Rückkehr?

So glückselig, wie Kerlchen selbst?

Mit tausend Fragen im Kopf schritt Kerlchen hastig vorwärts, und das Herz schlug ihm heftig, als das rote Ziegeldach des Buchenwalder Herrenhauses auftauchte. Dort war Fritz – dort wartete das Glück – Tyras, der große Bernhardiner, kam würdevoll angetrottet und rieb seine Schnauze an Kerlchens Kleid, – Blitz, der kleine Foxterrier, sprang bellend an ihm in die Höhe, und da öffnete sich die Tür zur großen Diele, und Onkel Waldemar stand auf der Schwelle.

Kerlchen erschrak vor dem düsteren Ausdruck seines Gesichtes, und der fröhliche Willkommensgruß erstarb ihm auf den Lippen.

»Du wieder hier?« fragte der Gutsherr mit seltsam heiserer Stimme, »wo warst du?«

»Bei Bümi.«

»Du wolltest es zwingen, die Hochzeit zu verschieben?«

»Ja.«

»Nun, du hast deinen Willen.«

»Ach nein – ich hab' mich wieder umbesonnen. Der Doktor hat riesig verständig mit mir geredet. Wo ist Fritz? Er kann mich nun doch morgen heiraten, die Walküren sind mir nicht mehr böse, wenn wir's tun.«

»Ja, was denkst du dir denn eigentlich, du törichtes, unbegreifliches Geschöpf?« brach der Gutsherr los und schüttelte Kerlchen heftig. »Verzeih« – fuhr er etwas ruhiger fort, – »wir sind ja alle mit daran schuld, – ich weiß, ich weiß! Aber wer konnte auch ahnen, daß du es so machen würdest! Ich nicht, bei Gott nicht, ich hatte dich eines solchen Radikalmittels nicht für fähig gehalten.«

»Wo ist Fritz?« fragte Kerlchen mit sprühenden Augen – »ich will ihm alles sagen!«

»Nun, dann dampfe mit dem nächsten Zuge nach Italien oder nach Norwegen oder Schottland, – meinetwegen nach Cayenne – – die Frage hat er offen gelassen, – aber fort ist er. Du hättest ihn sehen sollen, als er ankam, strahlend, glücklich, – mit Paketen beladen, wie ein Weihnachtsmann, – als wir ihn nach deinem Zimmer schickten – und wie er dann wieder herunterkam, – mit deinem Brief, – blaß bis in die Lippen und so zornig, auf dich, auf uns, auf Gott und alle Welt.

Ein Vulkan ist dieser Mensch – ein Vulkan. Und dann – lief er planlos im Park umher, kam sehr ruhig zu mir zurück, zu ruhig, um glaubwürdig zu erscheinen, schüttelte mir die Hand und bat mich, die Trauung, – alles, alles abzubestellen, – er wolle fort, – ins Ausland – irgendwohin.

»Und Kerlchen?« schrie ich ihn an?

»Felicitas hat mich nicht lieb,« entgegnete er fest und hart. »Ein Mädchen, das mir solchen Schimpf antut, zwei Tage vor unserer Hochzeit, kann mich nicht lieb haben.«

Damit ist er fort, und du kannst dir nun die Bescherung ansehen, – meine heulende Frau, den kopfschüttelnden Pfarrer, die jammernde Frau Pfarrerin, und die grinsenden Dienstboten.« Ohm Waldemar hätte wohl noch eine Weile fortgescholten und getobt, aber das Gesichtchen da vor ihm war gar so totenblaß, die Augen schauten so verloren in die Welt, die eiskalten Hände hatten sich gefaltet, – nein, es lohnte sich nicht, auf dem armen Ding herumzuhacken, – auf seinem Kerlchen – Den Rumohr sollte der Teufel holen, – Kerlchen blieb nun wieder bei ihm – bei Ohm Waldemar.

Er schaute bekümmert auf das stumme Mädel vor ihm.

Das mußte bis ins Mark getroffen sein.

»Komm, mein alter Kerl! War ich sehr heftig?« fragte Ohm Waldemar gütig.

»Sieh', es hatte sich so aufgespeichert bei mir, und da bullerte ich los. – Sprich mal ein paar Worte, kleine Deern, oder heule ein bißchen laut, – stampf' mit dem Fuß auf und strecke die Zunge aus, – weit, weit –. Mußt nicht die Natur verleugnen, Kerlchen, – es tut niemals gut.«

Kerlchen sah ihn an, – verstanden hatte es offenbar nichts. Endlich öffnete sich der kleine blasse Mund:

»Wo ist Tante Hedwig?«

Der Gutsherr kraute sich bedenklich hinterm Ohr.

»Willst du dich in die Höhle der Löwin wagen, Kerlchen? Ich tät's nicht. Aber wie du willst. Sie ist in ihrer Kemenate.«

Langsam schlich Kerlchen die Treppe hinauf und legte die Hand auf die Türklinke. Das Zimmer war verschlossen. Und dann klang Tante Hedwigs Stimme ungewöhnlich hart und kalt heraus:

»Ich will dich nicht sehen! Du hast dich und uns alle blamiert, die ganze Nachbarschaft zeigt mit Fingern auf uns.«

Stumm schlich Kerlchen wieder hinunter an Ohm Waldemar vorbei, der ingrimmig etwas von »halsstarrigen, alten Weibern« murmelte. – Ein Plätzchen gab's ja noch in Buchenwalde, das ihm blieb, – das Herz der guten, alles verstehenden, alles verzeihenden Muusch.

Sachte öffnete Kerlchen das wohlbekannte Zimmer, sah sein Mütterchen am Nähtisch sitzen, die Hände im Schoß gefaltet, und in der nächsten Minute lag Kerlchen an Muttchens Herz.

Leise schloß Ohm Waldemar die Tür wieder. Was hier drinnen verhandelt wurde, das brauchte keinen Dritten. – – –


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