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»Mein teures Kind!
Deine spärlichen Nachrichten aus dem gottverlassenen Neste da oben in der Marsch befriedigen mich ganz und gar nicht und Tante Hartwig, die mich vom Krüppel wieder zum Menschen gepflegt hat, auch nicht. Du mußt nicht denken, daß ich mich wie ein knurrender, bissiger, unversöhnlich blutgieriger Tiger in meinen Wald zurückgezogen habe, bloß weil Du echt kerlchenhaft aus irgend einem dummerhaften Grunde vor Deiner eigenen Hochzeit ausgekniffen bist, die sonst normal veranlagte Mädels kaum erwarten können.
Ach nein, ich habe mich nur etwas verknurrt darüber, daß die heutigen jungen Kerle keine »Kerlchen« sind, sondern Besenstiele, hölzerne langweilige Gegenstände, und daß leider mein geehrter Neffe Fritz, auf den ich weiß Gott große Stücke hielt, auch mit zu dieser Löffelgarde zählt.
Himmel, ich hätte Dich wohl wieder holen wollen und Dich mores lehren.
Und wenn er es so gemacht hätte, dann säße er jetzt mit dem Sonnenscheinchen von Gottes Gnaden im Thüringer Wald, und wir Alten freuten uns wie die Schneekönige an jungem Glück und tauchten auch ein bißchen in Sonnenschein unter.
Statt dessen krebst er irgendwo umher, wo, weiß ich auch nicht, denn sein alter Inspektor gibt, trotzdem ich ihn beinahe gemordet habe, nicht Hals, so ein Halunke!
Das ist doch noch Treue, Donnerja, – der Kerl reagierte auf nichts.
Aber es ist Treue auf dem verkehrten Fleck. Denn ich hätte dem Musje Fritz für mein Leben gern einen Brief geschrieben und darin einen ordentlichen Staar gestochen und ihn mit der klassischen Griechennase auf seine Dummheit und – sein Glück gestoßen.
Ich nehme als selbstverständlich an, daß Du auch nicht weißt, wo der Fritz abgeblieben ist, denn ich halte unser Kerlchen für ein ausgesucht kluges Frauenzimmerchen und ein gutes dazu, das sich nicht auf etwas verbockt und vertrutzt, was es doch als Unrecht erkannt haben muß.
Du siehst, ich hab' ein Riesenvertrauen zu Dir. Und seit mir Tante Laura noch eine Menge kleiner Närrischkeiten Deines Charakters erzählt hat, was Du für ein noli me tangere bist, wie lieb Du den Fritz hast, wie einzig lieb, und wie das, was Dich einmal erfüllt, auch Dein ganzes Leben hindurch Dein alles bleibt, und wie Du imstande bist, Dich klaglos, spartanerhaft zu verzehren, bloß um nicht zu zeigen, wie es in Dir aussieht, – – – so geb' ich Dir mit dem Rechte eines alten Onkels, der Dich sehr liebt, den strengen Befehl, – nein – ich bitte Dich, liebes, kleines Kerlchen, ruf' mich, wenn Du mich brauchst, – hörst Du? Ich bin der Einzige, der sich um den Fritz grämt, alle anderen sind wütend auf ihn, und schon deshalb gehören Du und ich zusammen.
Zwischen Deinen spärlichen Zeilen las ich doch, daß nicht alles im Lot ist auf dem Marschhofe.
Großmutter Tönningsen kenne ich nicht persönlich, aber was ich so durch Familientradition von ihr vernahm, berechtigt mich zu der Annahme, daß sie ebensogut die Großmutter vom ††† sein könnte, als von unserem Fritz.
› Unser Fritz‹! Gelt Kerlchen, er ist's und bleibt's, der verd... Ausreißer.
Also Du rufst mich, – Hand her! Ich würde sagen: »Komm' zu mir«, aber ich verstehe Dich, daß Du Dir diese Buße auferlegt hast.
Vergiß aber nie, daß bei mir Deine eigentliche Heimat ist, bis der Fritz Dich holt.
Gott befohlen
Dein Wolf Rumohr.«
Nun habe ich schon eine ganze Menge Briefe an Fritz aufgestapelt, – ach und nun werde ich mutlos.
Ich dachte, man könnte immer mit derselben Freude an den liebsten Menschen schreiben und nie eine Antwort bekommen, und nun ist es doch nicht so.
O wie bin ich voll Heimweh!
Ohm Waldemar und die Walküren haben mir schon ein paarmal ganz lieb geschrieben, Bümi sogar voll tiefer Sehnsucht, ich möchte zu ihnen kommen, und wir wollten alles vergessen.
Aber ich kann's nicht.
Ich kann's nicht ertragen, Buchenwalde noch einmal zu sehen, noch einmal den furchtbaren Schmerz zu empfinden, wie damals, als mir Ohmchen sagte: »Fritz ist fort«.
Ich kann's nicht ertragen, Muttchens traurigen Augen zu begegnen, denn sie hat Fritz lieb gehabt, so lange sie ihn kennt, wie ihren eigenen Sohn. Und ich kann's nicht ertragen, vor Tante Hedwig als eine Bittende zu stehen, – sie hat mich mit keinem Wörtchen eingeladen.
Ich weiß, sie würde mich nicht wegschicken, aber doch immer in Angst sein, »was die Leute sagten«.
Und ich hab' Großmutter Tönningsen lieb. Sie ist nicht sehr gut mit mir und quält mich viel, aber sie ist die Großmutter von Fritz und braucht mich.
Jetzt hat sie viel Schmerzen, manchmal liegt sie krumm wie ein Flitzbogen, und doch kommt kein Klagelaut über ihre Lippen, sie schimpft und wettert nur, und das gefällt mir. Ich kann auch nicht jammern.
Aber wenn die Schmerzen nachlassen, dann wird Großmutter weich und liebevoll, und das ist etwas Schreckliches. Denn nun bittet sie mich, wo sie sonst befohlen hat, und sie sagt mir nicht mehr, daß Fritz schlecht ist, und ich ihn darum aufgeben soll, sondern nun fleht sie mich an, ihn zu vergessen, damit er frei wird und eine andere nehmen kann und glücklich wird. Aber sie tut es nicht um Fritz, sie tut es nur um Edmunds willen.
Edmund ist immer der Schlußreim.
Er hat so etwas an sich, was ihr gefällt, und er versteht es, zu schmeicheln und sie ganz und gar für sich zu gewinnen.
Mag er.
Ich will ihn nicht, er ist mir greulicher als eine Spinne.
Und Fritz wird nicht glücklich ohne mich, das weiß ich ganz bestimmt, – das fühle ich ganz tief im Herzensgrund.
Ich bleibe sein Kerlchen.
Der Amerikaner ist wieder da.
Er blinzelte greulich, als er mich sah, mit seinen wasserhellen Augen, die von rötlichen Wimpern und Augenbrauen eingerahmt sind.
Ich sah ihn nur ganz fremd an und da biß er die Zahne zusammen.
Wir haben jetzt auch Geselligkeit bekommen, – o eine furchtbare Geselligkeit.
Die fünf Töchter des Doktor Lorentzen besuchen uns, – ist es zu glauben, daß sie alle fünf den Amerikaner wollen?
Ich hätte nie daran gedacht, wenn es mir nicht die Großmutter selbst gesagt hätte, und ich sah es ja mit eigenen Augen, wie sie ihm schmeichelten.
Wie schrecklich ist das!
Die alte Magd Stina verriet mir außerdem sehr gegen meinen Willen, daß Edmund Tönningsen seiner Großmutter gesagt habe, er wolle mich eifersüchtig machen, dann würde ich schon kommen.
Was muß er »drüben« für Menschen kennen gelernt haben, daß er ein deutsches Mädchen so niedrig einschätzt.
Die Frau Doktor ist wie ihre Töchter: groß, blond, plump, mit kreischender Stimme; der Doktor selbst ist selten dabei, er hat viel zu tun und wenn er wirklich mal den Abend mit uns verbringt, dann ist er scheu und gedrückt, es sieht aus, als schäme er sich.
Ich fühl's ihm nach.
Vorgestern kamen wir zum ersten Male zusammen. Die Doktorsmädchen brachten zwei Spiele Karten mit, denen man es ansah, daß sie fleißig benutzt wurden. Im ganzen Marschhofe war nicht ein buntes Kärtchen zu finden, und Großmutter sagte mir finster, – sie habe die Teufelsdinger alle verbrannt, weil Gefahr vorlag, daß der selige Tönningsen Haus und Hof, Weib und Kind »bei klein« verspielte.
Die Doktorstöchter schlugen keine gefährlichen Verlierspiele vor, sondern lachten sehr lieblich mit der Großmutter, und dann wurden Karten zum Orakel aufgelegt.
Wenn eine der geistreichen Fragen, z. B. »Wer ist verliebt« auf eine Karte der Mädchen fiel, dann brach ein tosendes Gekreische los, und die Betreffende wurde von ihren Schwestern überfallen und beinahe tot gedrückt, wobei sich Edmund stark beteiligte.
Die Fragen aber: »Wer heiratet noch in diesem Jahr,« oder, »Wer erringt das höchste Glück« fielen auf mich, und da kreischte niemand, sondern es wurden zarte Anspielungen gemacht, und Fräulein Adeline sagte: »Na seien Sie nur nicht so siegesgewiß! Ein Mann muß sich doch schon sehr über Verschiedenes hinwegsetzen, wenn er ein Mädchen heiratet, das so kurz vor der Hochzeit sitzen gelassen worden ist.«
Ja, – das sagten sie mir, – woher sie es wohl wissen?
Ich stand auf, aber Edmund vertrat mir breit den' Weg, und wenn ich ihn nicht berühren und wegschieben wollte, dann mußte ich mich wieder hinsetzen.
Das tat ich denn auch, mit grenzenlos wehem Herzen und einem ekelhaften Geschmack auf der Zunge.
Und dann spielten wir weiter.
Die Karten sagten mir noch, daß ich die Schönste und Reichste, die Dümmste und Lauteste sei. Edmund saß neben mir, und hatte er sich vorher gar nicht um mich gekümmert, so flüsterte er mir jetzt unaufhörlich etwas ins Ohr, und trank von dem schweren Kaffeepunsch ein Glas nach dem andern. Aber immer wenn ich hinaus und auf mein Zimmer gehen wollte, stand er breitspurig in der Tür und litt es nicht.
Endlich, endlich kam der Doktorwagen und holte die Gesellschaft ab.
Die Mädchen flehten Edmund an, doch bei dem herrlichen Mondschein mit ihnen zu fahren, aber er war ordentlich grob gegen sie und verstand sich nur dazu, sie bis an den Wagen zu bringen. Ich benutzte die Gelegenheit, während sie sich laut lachend an seinen Arm hingen, und schlug die Wohnstubentür hinter ihnen zu, drehte den Schlüssel zweimal um und rief dann heftig und leidenschaftlich:
»Großmutter, morgen gehe ich fort.«
Großmutter winkte mich zu sich heran, und da brach ich in bitterliches Weinen aus.
Sie blieb ganz ruhig und sah sehr ernst aus.
»Ja siehst du, Kind,« sagte sie, »mir gefällt das heutige Getue von den Frauenzimmern auch nicht. Das hat kein Ehr' und keine Reputation im Leibe. Aber deshalb gefällst du ja gerade dem Edmund so, und ich glaube, er will die fremden Mädchen gar nicht mehr sehen, und wenn du lieb und vernünftig bist, dann sitzen wir von jetzt ab abends wieder hübsch allein, wie es sich für einen geordneten Haushalt schickt, und ihr zwei lernt euch immer besser kennen, – bis – – – «
Mir rann ein Schauer über den Rücken, und die Zähne schlugen mir wie im Fieberfrost zusammen.
»Sieh' mal, du darfst nicht von mir fort,« klagte auf einmal die Großmutter, ich fühl's, wie die Schwäche immer mehr an mich herankommt. Und wenn du Fritzens Frau geworden wärst, dann wär's deine heilige Pflicht, mich zu pflegen, und du bist es doch nur aus eigener Schuld nicht geworden.«
Ja, die Großmutter mußte krank sein, sehr krank, denn sie drehte plötzlich alles herum und gab mir die Schuld, wo sie mich früher immer verteidigt hatte.
Aber recht hatte und hat sie, – ich halte an Fritz von Rumohr fest und gehöre zu ihm und zu seiner Großmutter.
Aber wie mir zu Mute war, das werde ich nie jemand sagen können, – solchen Jammer gibt es nirgend wieder in einem Mädchenherzen.
Ganz mechanisch kleidete ich die Großmutter aus und sah, wie ihre Mundwinkel zuckten, wenn ein Kleidungsstück nicht gleich herunter wollte, sie mußte große Schmerzen haben, die sie gar standhaft trug.
Dann kletterte sie mühsam in ihre hohe Bettstatt, ich »bestopfte« sie sorgfältig, und sie küßte mich auf die Stirn. Leise ging ich aus dem Zimmer.
Auf der Diele war es stockfinster, trotzdem draußen der helle Mond schien, er hatte uns beim Auskleiden geleuchtet.
Alle Fenster, die von der Diele hinaus nach dem Hof gingen, mußten mit den schweren Laden verschlossen sein, – das geschah sonst nie.
Ich dachte nicht weiter darüber nach, ich wußte ja so genau Bescheid im Marschhofe, wie ein Wiesel lief ich nach der Treppe, die zu meinem Zimmer führte. Da prallte ich gegen eine dunkle Gestalt, ich fühlte, wie sich ein Arm um mich legte, und eine feuchte, kalte Hand die meine berührte. Einen gellenden Schrei stieß ich aus, und da war ich auch schon wieder frei und flog die Treppe hinauf nach meinem Stübchen. Voll und breit leuchtete der Mond herein, als ich die Tür aufstieß, und in seinem lieben Licht saß ich die ganze Nacht, – – stumm und verlassen, einsam und verzweifelt.
Dann bin ich aber doch auf meinem Stuhl ganz fest eingeschlafen und früh konnte ich zuerst gar kein Glied rühren.
Aber ich schleppte mich doch an das tannene Tischchen, darauf mein Schreibzeug steht, holte mir einen Briefbogen und malte große, ungefüge Buchstaben darauf:
»Lieber Onkel Rumohr, ich brauche Dich!
Komm zu Kerlchen.«
»Mein Fräulein!
Ich stehe in großer Ratlosigkeit vor einem dunklen Punkt.
Schwarzhausen ist mit allem Respekt zu sagen ein Lausenest, nichts desto trotz wird darin getuschelt und geredet und gemunkelt und ich schließe mich Tag für Tag ein, weil ich sonst noch Prozesse an den Hals kriege.
Aber die ewige Stubenluft fällt mich auf die Nerven und ich sehe, daß alles auch meinen Newö wurmt, der trotz glücklichem Weib und Stammhalter in allen Ehren dem Fräulein Kerlchen mit Leib und Seel ergeben ist.
Nun lege ich meine Hand ins Feuer, daß Euer Hochwohlgeboren unschuldig sind wie ein ungeborenes Kind, aber der Teufel und die alten Weiber fragen danach nicht und deshalb frage ich Ihnen im höchsten Zorn als ältester Freund und demütiger Vertreter Ihres Herrn Vaters, ob Sie der hochedelgeborene Herr von Rumohr und Baron, den ich nun als echten Schewalchee schätzen tue, Sie als gemeiner Schuft hat sitzen lassen. Und wenn Sie diese meine ehrerbietige Frage in heiliger Stunde mit »ja« beantworten, so werde ich nicht zur Duellpistole greifen, denn so Einer ist mir nicht gratifikationsfähig, sondern ich werde ihm auf offenen Marktplatz sagen, was ich von ihm halte.
Ist kein Ehr und Glauben mehr in der Welt und täten wir Alten gut, rasch wegzusterben.
Aber ich würde ja doch niemalen ruhig in meinem Erbbegräbnis liegen, wenn ich wüßte, unser Kerlchen war noch nicht wohlgeborgen im eigenen Nest.
Komme eben von meiner Reise und Vieheinkauf und habe auch hier viel Widerwärtigkeiten gehabt, weil ich mit die einfachen Gasthöfe, wo ich immer als Schlachtergeselle abstieg, besser Bescheid weiß, als mit die modernen Hoteliers und kann wohl sagen, daß von all die Leute, mit denen ich so auf Reisen zusammen komme, meine Ochsen immer noch die gescheitesten sind.
Und wenn ich den ganzen Tag mit Vieh herumgeschuftet Hab, dann will ich des Nachts mit meiner werten Persönlichkeit Ruhe haben, kann ich das aber?
Wenn nebenan die alte Dame Leibkrämpfe bekommt und läßt sich von ihrer Gesellschafterin nachts 'ne heiße Stürze machen und die irrt sich im Zimmer und stürzt mir plötzlich 'n heißen Deckel auf'n Leib, daß ich laut schreie wie niemalen in meine Kinderjahren und ist ein Aufstand im ganzen Hotel?
Und muß gleich in aller Herrgottsfrühe abreisen, denn so viel Schamhaftigkeit besitze ich von Natur, daß ich nicht einer Dame unter die Augen trete, die mir aus Versehn 'n Leibumschlag gemacht hat, der mich aber gut bekommen ist.
Ihnen das Gleiche wünschend bin ich mit der Bitte mir zu sagen ob Sie heiraten oder nicht
Ihr unverbrüchlicher Freund
und Schlachter Krone.«