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Sleefkamp, den 20. Januar 19 ..

Jeden Tag kann ich nicht in den Folianten schreiben, oder ich muß die Magd zu Hilfe nehmen. Weiß nicht, wie es die Ahnen zuwege gebracht haben, so arg zu schriftstellern. Sind eben ein paar Fruenslüd dazwischen gewesen. »Ohne Kinder, durch Gottes Gebot«, wie es schon der Ahn Ode Sleef vermerkt hat. Denen liegt das »Mitteilen« mehr im Leder als uns Mannsen. Und so haben sie sich mit und an ihrer Gänsefeder ausgetobt.

Es ist auch verstecktes Leid gar viel im Folianten. Ein kurzer Passus einer Gesche Sleef hat mir zu denken gegeben. Sie schreibt: »Nur dir, dem alten Ahnenbuch, und dir, du liebe Feder, kann ich's beichten. Mein Ehgemahl, der Großbauer, schaut mich nicht an. Bin ein lüttjes, mager Ding, auch scheu im Kurakter. Und mag derbe Späß nicht leiden. Die bringt der Bauer an die große Hausmagd heran. Die lacht überlaut, läßt sich alles vom ›Herrn‹ gefallen. Aber ich lieb ihn zu tausend Malen jeden Tag mehr. Und kann's doch nicht erzwingen, daß er zu mir kommt, und die Magd läßt – – –«

Es geht kraus zu in der Welt. Wie würd' ich mir solche Lieb ersehnen – und ein Vorfahr hat sie mit Füßen getreten. Man muß sich schämen, daß er ›Sleef‹ heißt. Sind aber beide lange tot und ist also Leid wie Lust vergangen – – –

Schreibt hingegen wieder eine andere Sleef, Kiliam, geborene Dagebüll: »Komme wieder zu dir, liebster Foliant. Hörst geduldig zu. Fühle mich wieder Mutter, und du schallst mein Glück zuerst wissen. Zwölf Soggerpup's hatt ich mir gewünscht vom Adebar, oder von der Hexe Nekkepenn, je nach Gusto. Und nun rückt schon's dreizehnte an. Soll eine Unglückszahl sein – aber ich weiß schon jetzt – den frechen dreizehnten, den hab' ich am liebsten. Heißt das, wenn die zwölf anderen nicht zu Hause sind. Heut abend sag' ich's dem lieben Mann. Der wird wunnerwarken und sich verstaunen und sich freuen – huijeh – wie ein Jung, wenn er dreizehn Äppel auf einmal sieht. Und wird seine Ziehharmonika herkriegen – spielt seiner Eheliebsten auf, und ich tanz, und alle dreizehn tanzen mit. Lieber Herrgott, Du bist gut, und ich dank Dir zu tausend Malen – – –«

Die Eichen um den Sleefkamp stehen noch fest und stark und stolz von » damals« her. So sagte mir Muhme Kordula, als ich den Doppelhof in Stellvertretung übernahm.

» Wann war damals?« fragt' ich – aber eine Antwort ist nicht gekommen. Was Muhme Kordula nicht sagen will – den möcht ich sehen, der sie zwingt. Sie bekommt dann ein steinern Antlitz und ist doch von Natur aus nur Güte. Ich möcht' sagen »dunkle Güte«. Jetzt weiß ich längst, daß kurz vor Muhme Kordulas Hochzeit ein Blitz in die Eichen geschlagen war. Drei haben wie Fackeln gebrannt. Waren keine Hochzeitsfackeln. In derselben Nacht des Unwetters ist der Bräutigam ihr untreu geworden. Hat dann später wieder zurückfinden wollen zu ihr. Aber sie hat durch ihn hindurchgeschaut, wie wenn er Luft sei. – Ist ledig geblieben. Aber die neu gepflanzten Eichen haben getrieben, sind gewachsen schier übermächtig. Man muß im Hochsommer scharf lugen, will man das weiße Haus dahinter erschauen. Wien Sleef braucht nicht angestrengt zu lugen, der sieht durch Baum und Bork. Der sieht's auch mit den inwendigen Augen, und würde es sehen, auch wenn es plötzlich in die Erde sänke. – Das macht, daß der Sleefkamp in mich hineingeboren wurde. Trotzdem meine Mutter ein bayrisch Madel war.

Wenn eine Mutter ganz Liebe ist zu ihrem Manne, dann kann ihr Leib Wunder vollbringen an ihrem Kinde. Meine Mutter war ganz Liebe. Das ist ein heilig Vermächtnis für mich. Und ob ich auch nicht Geld noch Goldeswert habe, weil ich ja wirtschafte für andere, so beneide ich doch niemand. Will nichts sein, als ein frommer und getreuer Knecht. Freilich ist dieser Knecht einsam, und das kann gut sein und auch eine Qual. Ich möcht' wohl einen Freund haben. Mit dem man von Höhen und Tiefen sprechen könnte. Von allen Dingen, die mir gute Bücher gaben. Dieser Freund müßt gescheiter sein als ich. Vielleicht find ich ihn noch. Sauber muß er inwendig sein, sauber. Das ist meine erste Bedingung. Er muß nicht mit Behaglichkeit schmutzige Geschichten erzählen. Nicht drin herumwühlen wie ein Borstentier. Aber Humor muß er haben, Humor ist ein Bruder vom Ernst. Solche Zwillingsbrüder wandern durch die Welt wie ein paar Sieger, und wer sie beisammen hat, dem wird alles zu Musik. Ich hab' desgleichen Musik im Leibe und möcht' manchmal meine Geige gegen die Wand hauen, weil ich sie nicht in die Herzen schwingen lassen kann. Soviel Geld hatte mein Vater nicht, um mir einen Meister zu halten, der mich selbst zum Meister machte. Hab' viele Instrumente durchprobiert, Klavier und Geige, Baßgeige, Trompete und Flöte. Am meisten störte mich das Klavier. Weil da alles so feststeht. Man ist ja auf Bauer und Stimmer angewiesen. Habe auf jedem Instrument zum Tanze aufgespielt. Die Baßgeige habe ich auf eine närrische Art kennengelernt. – Ich hatte Hunger, und der Wirt in einem Heidedorf wollt' mir nur warm Essen geben, wenn ich Baßgeige spielen wollt' zum Tanz. Hatte aber nie eine in der Hand gehabt. Er gab sie mir, sie stand auf dem Oberboden, hatte aber nur zwei Saiten. Die hingen locker, aber der Schmied, der gerade da war, schraubte sie ordentlich fest. Der Geiger war ein Blödling, die Flöte war duhn, aber die Bratsche hatte Humor. Und die setzte sich neben mich und raunte mir immer zu: »Die Dicke, die Dünne, die Dicke – die Dünne.« Ich strich drauflos. Da ging es ganz gut, und ich durfte nachher auch mitessen. Nun bin ich bei der Flöte geblieben. Posaune und Trompete find zu schwer zu blasen, und geht einmal ein Ton vorbei, dann lachen die Hansnarren, weil unter tausend Menschen höchstens zwanzig sind, die wissen, daß es die schwierigsten Instrumente sind. Man sollte vor jedem rechten Posaunisten den Hut ziehen. Aber die Flöte, die jetzt meine Gesellin ist, paßt nicht zu mir. Ich bin ein rechter Schlagetot mit meinen zwei Metern an Länge, und sie ist so zierlich und klingt zärtlich und weich. Da ist's mir immer, als tönte es gar nicht aus mir selbst heraus, dem rauhen, widerhaarigen Gesellen. Und doch soll sie ein Ahn von mir gemeistert haben. Fand sie in einer der ältesten Truhen. Und so hab' ich's lieb, das kleine, weiße Ding. Denn sie ist aus Elfenbein, und das gehört ja doch zu dem Elefanten, der ich bin. Ihr Mundstück ist aus Mosaik.

Ich muß sagen, dieser Foliant macht Gelegenheit, nur von sich selbst zu schwatzen. Das kommt, daß niemand hineinschauen darf, ehvor ich sterbe. Will aber doch weiter vom Sleefkamp erzählen, der hochangesehen ist und war, und – so der Herrgott will – es bleiben wird noch ein paar hundert Jahre. So an die fünfhundert heran. Da hapert es dann mit den Vorbildern. Weil immer möglichst in die Familie geheiratet wird, und die Stirnen werden dann niedriger. Aber die Sleefs sind alle mit ordentlichem Grips erblich belastet, wenn auch ein General drunter ist, der seine leibliche Deern verrückt erzogen hat.

Gar stattlich gefügt ist unser Bauernhaus. Wer uns Übel will, schimpft es »Herrenhaus«. Das sind aber meist nur Händler, die wegen irgend etwas scheel sehen, vielleicht mal vom Hofe verwiesen sind von einem geringen Sleefkamper. Zwanzig Stuben birgt es, und eine Diele, die nochmal zehn Stuben fassen könnte. Aber sie tut's nicht. Es ist ihr Stolz, so weit und groß dazustehen mit dem Riesenkamin und den Tischen und Stühlen aus Eichenholz geschnitzt. An jedem Stuhl unser Bauernwappen. Ein paar Ohrenstühle sind auch da, die alle zwanzig Jahr frisch gepolstert werden mit reinem Roßhaar und einen Überzug neu kriegen, den die jüngste Haustochter aussuchen darf, weil sie sich ja die meisten Jahre dran freuen kann. Nicht weit vom großen Bauernhaus ist das Altgedinge, das Altenteil. Manch Besitzer begibt sich vorzeitig darein wenn etwa sein Sohn eine ungute Schwiegertochter ins Gewese bringt, die den alten Eltern das Brot nicht vergönnt. Was mein Foliant auf seinen anderen Seiten erzählt, das ist wohl so, daß einem das Heiraten vergehen könnt'.

Bei uns Heidjern heißt es aber »Mannshand haben«. Doch kann man auch was Feines verscheuchen, wenn man so ein Schlagetot ist, wie ich. Deshalb muß ich mal zusehen, daß die, der ich so gut werde, daß ich sie zur Mutter meiner Kinder haben möcht', den Spruch fest im Gedächtnis hat: »Er soll dein Herr sein.« Das ist ein rechter Bauernspruch. Die Städter nehmen das nicht so genau. Und deshalb hat bei ihnen mancher »Lahmlackl« eine »Z'widerwurzn«. So hat meine Mutter selig gesagt. Das soll bei mir nicht vorkommen, auch nicht, wenn ich ein Außenseiter bleibe, der niemalen den Hof erbt. Und bekomme ich den Hof, so müßt' ich erst recht Herr sein über mein Weib, sonst müßte ich mich schämen vor des Hofes schönem Angesicht und seinem Alter und seiner Vollkommenheit, und würde mich seiner für unwürdig achten.

Neben dem Altgedinge steht das Viehhaus und eine Scheune von so großem Ausmaß, wie sie kein anderer Hof besitzt. Eine Feldscheune ist auch da, ein großer Wagenschuppen und weiter fort ein Kunstdüngerschuppen. Mehrere Speicher schließen sich an. Darunter auch ein Imkerspeicher. Denn Muhme Kordula hält darauf, daß unsere Bienenbestände bleiben. Von Bayern her kannte ich nur den Lindenblütenhonig, aber er ist weiblich. Für uns Mannsen ist der herbe Heidehonig, der »braune Jung'«.

Und das Vieh auf dem Sleefkamp! Das macht stolz. – Das wächst einem ans Herz. Sechs Prachtspferde (drei Gespanne), fünfzig Kopf Rindvieh, zehn Zuchtsauen, im ganzen mit Läufern und Mast hundert Stück. – Einhundert Hühner, drei Zuchtgänse und einen Ganter. Tauben hält sich die Muhme Kordula, es ist eine besondere Liebhaberei von ihr. Ich selbst mag keine Geschöpfe, die sanft aussehen und auch als die Sanftmut in Person angedichtet werden von sonst ganz vernünftigen Menschen. Und dann doch um jedes Futterkorn streiten, kollern und neidisch sind. Meine Lieblinge sind die Heidschnucken. Achthundert Stück halten wir. Hätt' ich Zeit, ich verbrächte sie beim Schäfer mit seinem blauen Strickstrumpf. Der kann erzählen! Aber meistens schweigt er. Und dann verstehe ich ihn am besten. Sobald ich komme, löst sich aus der großen Herde eine Heidschnucke, das ist mein Liebchen, meine braune »Erika«. Die reibt ihren Kopf an meinem Knie und leckt meine Hand. Ich muß täglich nach ihr sehen, sonst fressen wir beide nicht.

Zwei große Schafställe nehmen die Schnucken auf. Einer steht auf dem Hof und einer in der Heide. – Meine Aufzählung klingt trocken und nüchtern, aber wie ich so alles nochmal durchlese, da fühl ich recht, wie stolz ich das schrieb. Es ist ein schöner Hof, der Sleefkamp, und ein stolzes Gewese rings in der Runde. Und immer war die Rechtschaffenheit zu Hause, Frömmigkeit, Ehrbarkeit. Das sind schon ein paar gute Wandergesellen durchs Leben. Und der Fleiß ist auch da, die Lust zur Arbeit. Die Knechte spüren es, wie es mir in den Händen zuckt, zu schaffen von früh bis spät. Sind auch nicht neidisch, daß mich die Muhme Kordula zum Oberknecht gemacht hat. Ich möcht' schon lieber nur Vorarbeiter heißen. Möcht' Beispiel sein. Sie haben hart zu leisten, meine Mitknechte. Da möchte ich den »Arbeiter« mehr betonen als den »Ober«. Und wenn der Tag kommt, der den richtigen Erben hierher bringt – – – ich erziehe mich jeden Tag dazu, es nie zu vergessen, daß ich Außenseiter bin und mir meine Stelle hier hart verdienen muß – – – so habe ich mich still zu bescheiden. Habe das Gewese zu übergeben und abzuwarten, ob mich der »Herr«, der freilich nur ein Vetter von mir ist, aber ein studierter, vornehmer Vetter, fürder behalten will.

Ein Dichter hat gesagt: »Auch Stillesein ist ein gewaltig Werk.« Freilich, das ist's! Ob ich es lernen werde?


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