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Am selben 27. August (in der Nacht zum 28.) 19 ..
Als ich vom Friedhof kam, heut' nachmittag und gleich wieder auf's Feld wollte, sagte Hannes eifrig: »Hast Besuch, Wien!«
Und weil ich sofort laut »Amei!?« rufen wollte, merkte ich, daß ich noch nicht genug Erde auf den Hügel geworfen hatte ...
»Kann keinen Besuch brauchen«, knurrte ich. »Muß weiter schaffen.«
»Schaff's schon selb dritt mit Stina und Tetje Bur«, versicherte Hannes.
»Ist Tetje Bur da? Was will er?«
»Helfen, mit noch einem Knecht. Du, der ist neu auf dem Sleefkamp. Und soll alles lernen. Roggenernte zum Beispiel. Sagt, er hätte dich beleidigt mit seinen Worten. Du, Wien, der schnackt gor nich bei der Arbeit – die flutscht dann. Und er sagt, er wollt' sein Benehmigen gut machen, weil er nicht gewußt hat, daß du Herr auf Sleefkamp büst.«
»Bün ik nich, hol din Mul, oder –?«
»Wien – man blot nich ... ich geh schon.« Er schien weiß Gott Angst zu haben, ich kriegte meinen Jähzorn. Ich rief ihm nach: »Sag' dem Knecht, er könnt' mich nich beleidigen, hätt's auch gar nicht getan. Hätt' mir 'ne Antwort nach Strich und Faden gegeben.« –
Hannes schüttelte seinen dicken Kopf und trabte davon, und ich ging ins Haus, öffnete die Tür ...
»Ich weiß, Wien, du hättest jeden anderen eher erwartet als mich«, sagte der General von Sleef.
»Jawohl, Exzellenz!«
»Hast du keinen andern Gruß für mich?«
Und wieder konnt' ich kein Wort herausbringen. In mir rangen die Fragen: Was soll's? was ist? wo ist Amei? warum ist ihr Vater hier?«
»Setz dich, Wien. Ich muß kommandieren, weil du mir keinen Platz anbietest.«
Es würgte mich wieder in der Kehle. Und ich hatte vergessen, daß ich Unteroffizier gewesen war. Ich machte nicht den höflichen Wirt, ich bat nicht um Entschuldigung. Wie ein Pfahl blieb ich stehen. Und sah den General an. Wie Heimat kam's über mich, als ich spürte, daß er denselben herrischen Blick und die gleichen herrlichen Augen hat, wie die Amei. Er nahm meine Hand, und da sagte ich heiser: »Nicht gut sein mit mir. Das wirft mich um. Hab's nicht verdient ...« Aber dann straffte ich mich. »Es war nicht gut, daß Sie kamen, Exzellenz – nein gar nicht gut. Ich kann nichts mehr sagen, hab' alles geschrieben an Jochen – – jede Genugtuung – – jede – Exzellenz. Und jetzt muß ich auf's Feld. Es ist Erntezeit.«
»Ich gehe mit dir. Wirst mich ja nicht allein hier sitzen lassen.«
Wir schritten selbander. Er stützte sich auf meinen Arm und mit der rechten Hand auf einen derben Knotenstock, ähnlich dem der Muhme Kordula. Das Zipperlein schien ihn arg zu plagen. »Wollen wir nicht doch lieber hineingehen?« fragte ich unsicher.
»Fällt dir's bei klein ein?« lachte er knurrig. – »Hast mir auch nicht ›Matt noch Drög‹ angeboten.«
Richtig. Aber warum kam er? Warum ließ er mich nicht in Ruh'? Warum schaufelte er vollends alle Erde von dem Grab in der Heide?
Wir kamen dann zu den arbeitenden Knechten. Ein Karren stand am Roggenfeld. Der General ließ sich schwer darauf nieder. Ich nahm die Sense zur Hand und begann zu mähen. – Da war ich wieder Wien Sleef. – Und besann mich bei der Arbeit, und winkte dem neuen, wortkargen Knecht vom Sleefkamp, der zum Helfen gekommen war. Befahl ihm, obgleich ich ihm nichts zu befehlen hatte, daß er der Gesine Bescheid geben solle, in aller Geschwindigkeit einen guten Korb Essen und eine Flasche Wein zu bringen und viel Decken und Kissen aus dem Wohnpesel der alten Dierkhofer.
Der Neue wollte was sagen, tat's aber nicht und das war sein Glück. Ich aber mähte, mähte mit Tetje Bur, mähte alles, was Ungutes, Hemmendes, Sonderbares in mir war, zusammen, und die Magd Stina und ihre Nachbarin banden die Garben und stellten sie zu Mandeln. Der General hatte sich eine kurze Pfeife gestopft. Sie brannte gut, und er paffte und sah uns ruhig zu. Bis die Gesine kam und mit dem »Neuen« einen Korb schleppte. Der war voll guter Sachen, und Wien Sleef konnt' wenigstens als Kommandeur der Gulaschkanone bestehen. Ich tat die Sense fort, der Neue arbeitete stumm weiter an meiner Statt. Und nun stützte ich Ameis Vater beim Aufstehen. Gesine baute mit viel Kissen und Decken am Waldrand einen weichen Sitz. Blühweißes Leinen legte sie auf den Heideboden und alle Gottessachen darauf in den bunten Bauerntellern. Eine Pracht. Schinken und Wurst, Käse und Eier, wie sie hohe Herrschaften weichgekocht mögen. Als hätte sie immer nur bei Generälen gedient. Sie war ja Sleefkampschaffnerin.
Ein heißer guter Kaffee war auch gebraut. Der zog mit Kräuselduft aus der Tülle der braunen bauchigen Kanne. Sandtorte dazu. Die wird besser, je älter sie wird.
»And ein Weinchen habt ihr Dierkhofer ...« Exzellenz kaute ihn förmlich.
»Ich bleib Sleefkamper«, sagte ich barsch. »Dies ist der Hof meines Patenkindes Birgitt Dierk. Aber der Wein gehört mir. Geschenk von Muhme Kordula zum Einstand.«
Wie vornehm der General blieb. Mit keinem Wort maßregelte er den groben Wien. Nicht einmal mit einem Blick. – »Verzeih!« sagte er fein. »Ich hatte mich taktlos ausgedrückt.« – »Also Heil unserm Sleefkamp! Es ist zwar Selbstmord, daß ich mich bei dem Podagra unter Alkohol setze, aber – – ich muß auf dein Wohl trinken, mein Junge ...«
Da sprang ich auf und stieß einen Juhuschrei aus, den mir mein Bubenreuther Großvater vermachte. Eine Kuh wurde scheu und rannte in wilden Sprüngen quer über die Heide. Vielleicht war sie die Einzige, die wußte, wie dem Wien zumute war. Dann setzte ich mich still neben Seine Exzellenz, schenkte ihm ein. Und sah mit rechter Freude, wie es ihm schmeckte. Mein eigenes Futter holte ich mir aber aus dem Knechtskorbe. Ich war zu unbeholfen, und die Brotscheiben, die Gesine geschnitten hatte, konnte wohl die gepflegte Generalshand bestreichen und belegen, aber nicht meine groben Hände. Auch zurechtgemachte Brötchen waren da. Da steckte man wohl drei zugleich in den Mund, sonst wußte man nicht, was man kaute. – Meine Nachfahren werden spüren, wie ich zögere ... zur Sache zu kommen.
»Wien«, fragte der General laut und barsch: »Was hast du mit meinem Mädel gemacht?«
Da hab' ich geschrien: »Herrgott, kommt's nun doch? Kann ich nicht in Ruhe leben? Hier ist doch nicht der Sleefkamp ... Muß ich Hausrecht gebrauchen?«
»Wien, wenn du so tobst, dann sag' ich nein, und fahre zurück, und helfe dir nicht. Sie ist noch nicht mündig, Wien, noch lange nicht ...«
»Ich verstehe kein Wort, Exzellenz. Die letzten Wochen und Monate konnten einen gesunden Menschen verrückt machen. Ich war gesund. Jetzt bin ich krank und verrückt.«
»Die Amei ist's auch, und deshalb frag' ich«, sagte der General. »Wenn du gesund wärst und normal, dann hätte ich dich geschüttelt und nicht losgelassen, bis du mir Rede gestanden hättest. Aber du bist krank, Wien, ich seh's ja selbst. – Und ich weiß, daß ich kein Pädagoge bin – – ich weiß, daß die Amei mißraten ist meinetwegen, aber mir gefällt sie, wie sie ist. Freilich darf sie das nicht wissen. – Sie ist wahrhaft und ist ehrlich und geradezu. Aber dolle Sachen macht sie, und das geht nicht. Ich dachte, bei Jochen wär' sie gut aufgehoben, und in feste Hände gekommen, aber sie hat ihm ja das Wort zurückgegeben ... Wirf mich nicht um, Wien, ich kann keinen Widerstand leisten, das Zipperlein hat mir nur einundeinhalb Flügel gelassen.«
Ich, Wien Sleef, schreibe alles so genau hin, weil es mir in die Ohren gellte, was der General da sagte. Und er hatte doch nicht laut gesprochen, viel mehr müde und wie unfrei. Und ich will es schwarz auf weiß haben, weil ich es sonst nicht glaubte. Meinen Ohren traue ich nicht, aber dem »Fullianten, der alles festhält.«
»Hat sie einen Grund, die Amei?« fragte ich heiser.
»Wien – ich bin doch froh, daß ich kein Heidjer bin – – ich würde mich vor mir selber vergraulen. – So red' doch! Wer soll den Grund wissen, wenn nicht du?«
»Ich weiß ihn nicht«, sagte ich verbissen, »die Amei hat ihn mir nur gesagt. Aber ich glaub' ihr ja nicht. Sie spielt Fangball mit mir, und sie steht hoch und ich steh' niedrig, aber immerhin bin ich Wien, der Knecht, und kein Spielzeug. Und wenn es Wahrheit von ihr wär' – dann – dann wär's verboten. Ich verrate meinen Freund Jochen nicht.«
»Ich bitte dich, Wien, fahr' mich nach dem Sleefkamp. Ich will mich ins Bett legen, da bin ich wenigstens mit 'm vernünftigen Menschen allein.«
Da legte ich, so zart wie möglich, meine Pranke auf sein krankes Knie. »Hierbleiben«, bat ich – »nicht fortgehen – – ich möchte wissen, was der Jochen gesagt hat...«
»Das will ich dir sagen, Wien. Der Jochen hat mein liebes Mädel angedonnert: ›Schämst du dich nicht?‹ Und das Kind, das auch nicht den leisesten Rüffel verträgt, hat demütig vor ihm gestanden. ›Verzeih', Jochen!‹ Noch nie in ihrem Leben hat sie um Verzeihung gebeten, auch wenn wir uns der Reihe nach auf den Kopf gestellt hätten, was sich ja nie gut ausnimmt. – Ich habe dann mit Jochen gesprochen. Er war zwei Stunden in der Heide herumgerannt und sah trotzdem erbärmlich aus. Dann schloß er sich ein.«
»Wien, fahr' mich heim!« bat der General. »Es ist eine verdammte Geschichte. So sagte auch Jochen und war sehr blaß.« – – – – – – – – – – – –
Ich hab' den ganzen Tag kein Wort mehr gesprochen ... Was denn auch? Es ist nun aus und vorbei. – Aber Pflicht und Arbeit, die leben ja noch. Ich spüre sie. Und ich will ihnen nachgehen. Das wird der Jochen auch tun, ich vertrau' auf ihn. Den General verstaute ich in die niedrige Viktoriachaise, die der Hannes herbrachte. Dann fuhr ich ihn im Schneckenschritt nach dem Dierkhof. Gesine und ich haben Ameis Vater mühselig ins Bett bugsiert. Wärmkruken um ihn gepackt. Nun hab' ich einen Ehrengast, den sich der Unteroffizier Sleef niemalen hat träumen lassen.