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Ob es wahr sei, daß ich einmal Schullehrer gewesen? wurde ich schon brieflich gefragt. Denn in irgendeiner Gesellschaft des Reiches hatte man sich mit meiner Wenigkeit für und wider befaßt und da hätte jemand die von den übrigen bestrittene Behauptung aufgestellt, der Waldbauernbub sei einmal Schulmeister gewesen.
Ob das richtig sei?
Soviel ich weiß, nein.
Das heißt –. Ganz kann ich es nicht ableugnen, und bei näherer Gewissensforschung komme ich drauf, daß jener Jemand recht hatte. Ich war doch einmal Schulmeister gewesen, und was für einer!
Als im Jahre 1857 der alte Michel Patterer verstorben war, drohte in Alpl die Kunst des ABC wieder verlorenzugehen, so wie den Deutschen einst die Glasmalerei und die Kunst, Knödel zu braten, verlorengegangen war. Das mußte vermieden werden. Ich fühlte mich als Hüter der Wissenschaft und hatte Lust, in die Ehren und Würden des alten Lehrers zu treten, erstens, um der schweren Feldarbeit zu entgehen, zweitens, um – Spielgenossen bei mir zu versammeln. Es war, wie man sieht, ein mehrfach begründetes Streben.
Meine Eltern waren unschwer zu überzeugen, daß es auch den jüngeren ihres Stammes – Mädlein wie Knaben – vorteilhaft sein würde, wenn sie christliche Bücher, Zuschriften des Amtmannes und die Papierflügeln auf den Medizinflaschen lesen konnten. Täglich auf zwei Stunden wurden mir meine Geschwister freigegeben, daß ich sie im Lesen, Schreiben und Rechnen unterwiese. Der Leuttisch in der Stube war zur Zeit von Nähterinnen besetzt. So richtete ich mir als Schulzimmer den Stubenwinkel ein, der zwischen dem breiten Elternbette und dem Ofen war. Ein Brett von der Bettstatt bis zur Ofenbank war der Tisch. Zu beiden Seiten einige Holzblöcke waren die Stühle. Das abgebrochene Stück einer Kastenleiste war das Lineal, eine Fibel und eine Schiefertafel sollten von Hand zu Hand gehen, und sonst bedurfte man nichts. Alles übrige mußte sich im Kopfe vorfinden. Meine Schuljugend befriedigte mich aber nicht recht. Der Bruder Jakob bestritt mir die Namen einzelner Buchstaben, und die Schwestern waren dumme Dinger, die immer lachten.
Ich sann nach, wieso beim alten Patterer eine größere Ordnung war. Natürlich, weil er mehr Schüler hatte. – So ging ich in die Nachbarschaft und warb Schüler. Ich täte es ganz umsonst, ja, wenn meine Mutter Topfenstritzel backe, so bekämen sie auch davon.
Einige Nachbarn hatten mir sofort ihre Kinder probeweise zugesagt. Der alte Höfelzenz, er saß immer auf dem Herd seines Hauses, der nahm mich zwischen die Knie, faßte mich an beiden Ohren an, aber ganz leicht, und fragte nach meinem Alter.
»Dreizehn vorbei!«
»Sappermosthosen! – Na, die Altersschwäche wird noch nicht plagen. Sag', Peterl, was willst du denn werden?«
Glotze ich ihm ins Runzelgesicht. Werden? Ich war's ja schon.
»Schulmeister, natürlich!«
»Ah ja so. Richtig, richtig, Schulmeister.«
»Auweh!« schrie ich auf, denn er war mir auf die Zehe getreten.
»W-a-s?!« fragte er ellenlang gedehnt. »Du schreist auweh, wenn dir einer mit den Tuchpatschen ein bissel auf die Zehen tritt. Und willst Schulmeister werden? Oh, mein kleiner Mensch, auf einem Schulmeister wird noch ganz anders herumgetreten!«
Dieser törichten Rede legte ich kein Gewicht bei. Wer wird denn auf einem Schulmeister herumtreten!
»Na, geh' nur, ich werde meinen Buben, den Klasel, schon schicken. Aber raufen, wenn's mir tut's!«
Als ich auf dem Heimweg über die Weide ging, wo sein Bub die Schafe hütete, winkte ich ihm wiederholt mit der Hand: »Grüß Gott, Klasel!« und schritt mit langsamen, großen Schritten fürbaß. – Strenge, das nahm ich mir vor, strenge wollte ich nicht sein. Wußte ich doch selbst am besten, daß der alte Patterer nur mit Güte bei mir was ausgerichtet hat. Einst, als er mir des Käfers im Tintenfasse wegen die Ohrfeige versetzt hatte, blieb ich nachher einfach wochenlang weg, bis er endlich gütlich und bittlich an mich herankam und mir ein Lebzeltenherz versprach, wenn ich wieder in die Schule käme. – Lebzeltenherzen hatte ich nicht zu vergeben, so durfte ich natürlich auch keine Ohrfeigen austeilen, und das um so weniger, als meine Schüler fast alle stärker waren als ich.
Aus diesem Grunde geschah es auch, daß schon in der zweiten Lehrstunde, die wie die erste feierlich begonnen hatte zwischen Bett und Ofen, ein Nachbarsbub den Vorschlag machte, wir sollten jetzt in den Schachen hinausgehen und »Esel über den Bock springen« spielen, hingegen am nächsten Tage um eine Stunde länger Fibel lesen. Nun dachte ich, wer nicht stark ist, der muß klug sein. Vergeben will ich mir nichts.
»Esel über den Bock springen? Ich kann euch das nicht erlauben, Kinder, denn es ist Schulzeit. Aber ich will es auch nicht verbieten. Wir werden jetzt diese Seite fertiglesen und dann werde ich abstimmen lassen.«
»Wer für den Schachen nicht ja sagt, der wird gehaut!« rief der Nachbarsbub. Alle stimmten für den Schachen. Auch meine kleine Schwester Plonele, die sonst immer Wissensdrang heuchelte, hub ihr Bratzlein auf: »In den Schachen, in den Schachen!«
Einige Zeit früher, als ich des »Hasenöls« wegen in Bruck gewesen war, hatte ich Schulknaben gesehen, die im Garten der Reihe nach über einen mit Leder überzogenen Holzbock sprangen und der Lehrer kommandierte sie dazu wie Soldaten. »Turnen« hieß man das, eine Leibesübung, die nach neuem Brauch auch zur Schule gehörte. Als meine Schuljugend nun einstimmig für den Schachen war, erhub ich meine Stimme und rief strenge: »Schachen hin, Schachen her! Jetzt ist Turnstunde. Jetzt gehen wir Bockspringen. Marsch!« – So hatte ich den Anschein meiner Herrlichkeit gewahrt und kann sich's auch mein Leser merken: Willst du, daß dir die Leute stets gehorchen, so befiehl ihnen gerade das, was sie selber tun wollen. Da die Knaben keine hölzernen Turnböcke hatten, so gaben sich die Mädel dazu her, indem sie tief gebückt auf Füßen und Händen dastanden und die Jungen über sich springen ließen. Ich war natürlich der Turnmeister, hütete mich aber wohl, auch nur einen Sprung zu machen, um nicht etwa die Meinung zu zerstören, daß ich der beste Springer sei. Das hinderte sie keineswegs, sich im Schachen in Knabenlust auszutoben.
Um meine Zöglinge nächstens noch wieder zu den Schulbüchern zurückzulocken, stellte ich ihnen für die Prüfung am Schlusse des Monats Prämien in Aussicht. Die ABC-Schützen waren noch die ehrgeizigsten, sie wußten in wenigen Tagen die Namen der vierundzwanzig kleinen Burschen, die seit vierhundert Jahren größere Reiche erobert haben, als alle Heere der Welt zusammen. Das Zifferrechnen wollte gar nicht gehen, hingegen waren die Finger an der Hand die denkbar bequemste Rechenmaschine. Die Schreibaufgaben wurden häufig illustriert. Zumeist ein Kopf mit langen Ohren und langer Nase. Ich hatte nie den Mut, die Künstler zu fragen, wer das sein sollte. »R!« rief die kleine Schwester, die auf dem Ofenmäuerlein saß und ihren Finger gar so harmlos an den genannten Buchstaben legte.
Ich war zur Zeit im Besitze eines alten Pulverhornes, wie es einst die Jäger an grüner Schnur seitlings getragen haben, ferner hatte ich vom verstorbenen Oheim, der »Uhrendoktor« gewesen, ein paar in Bein gefaßte Brillen inne und endlich war ich Eigentümer einer mausgrauen Pelzhaube, an der man rechts und links Tuchlappen über die Ohren herabbinden konnte. Diese Schätze stiftete ich als Ehrengaben für jeden besten Schüler im Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Prüfung kam heran. Den alten Höfelzenz, den ich ein wenig als Gönner meiner Schule betrachtete, lud ich ein, der sollte den Schulinspektor abgeben. Ich hatte ihm in der Stube nächst dem »Schulzimmer« den Großvaterstuhl hergerichtet. Er kam, setzte sich hinein, behielt aber den breitkrempigen Hut auf dem Kopf und die Pfeife im Mund, was mich so irre machte, daß alle feierliche Stimmung zum Kuckuck ging. Unter den Schülern war leidliche Zucht, ich ließ lesen, schreiben und rechnen, und zwar das Urelementare im ABC, und die ewige Wahrheit, daß zwei mal zwei gleich vier ist. Bei einigen ging es recht notig, aber sie brachten es ziemlich richtig vor, ein paar aber ratschten ihre Wissenschaft mit großer Zungengeläufigkeit herab, an der nur die Kleinigkeit auszustellen gewesen wäre, daß fast alles unrichtig und falsch war. Natürlich nickte ich stets zufrieden mit dem Kopf und hütete mich, auch nur einen Fehler auszubessern. Darob ließ freilich auch der alte Höfelzenz sein Köpflein bewundernd wackeln, jetzt tat er auch den Stinktiegel vom Gesicht, spuckte über das Ehebett hin in den Stubenwinkel und sagte: »Deuxels Fratzen seid's, daß' schon lesen und rechnen könnt's, wie der Herr Verwalter! Hätt' mir's nit erwartet von dem Rotzbuben, daß er schon so brav schulhalten kunnt! Wie der Pfarrer tun's lesen, daß nur gleich alles scheppert, die Schlingel, die verschwammelten! So ein kleberer Nixi da, dem die Windeln schier noch beim Hösel heraushängen! Und schon so schulhalten können! Wirst halt einer werden müssen, bist eh sonst zu nix.«
Auf solche Anerkennung blickten meine Schüler auf mich her voller Hochachtung und Geringschätzigkeit zugleich, ganz im Geist der Rede des verehrlichen Inspektors. Und dann wurde die Preisverteilung vorgenommen. Meine Schwester erhielt das Pulverhorn, der Klasel die Brillen, der Grabenhupferfranzel für sein fixes Rechnen die Pelzhaube. Nun mochte der gute Rechner auf etwas Besseres gerechnet haben, als auf eine schäbige Pudelhaube, er schmiß sie dem Höfelzenz an die Beine, worauf dieser ihn mit zwei Fingern beim Ohrläppchen nahm und es wie eine Schraube drehte: »Werden wir halt einmal ein bissel uhraufziehen, vielleicht, daß nachher im Köpfel doch der Verstand anhebt. Aften wollen wir das Pelzkappel schon noch aufsetzen.«
Der Klasel war übrigens mit seinen Brillen auch nicht zufrieden, wollte das Pulverhorn haben. Ans Schießen dachte er, allerdings nicht ermessend, daß zum Horn auch noch Pulver und zum Pulver das Gewehr gehört. Darauf kam er erst, als das Horn durch Tausch für die Brillen sein Eigentum geworden war, und also einen Schock unerfüllbarer Wünsche in ihm geboren hatte. Meine Schwester wollte die Brillen sofort an das Nasel stecken, blieben aber auf dem kleinen Ding nicht stehen; und als sie doch ein wenig durchguckte, konnte sie durch diese guten Gläser sehen, wie es ist, wenn man nichts sieht, wenn man die Augen aufmacht in den hellichten Tag und nichts sieht, als nebelige Sachen, die alle ineinanderrinnen.
So hatte ich mit meinen Prämienstiftungen schon das Richtige getroffen, jedes war zufrieden mit der seinigen, und die mehreren, die nichts bekommen hatten, waren es noch am meisten.
In den Vakanzen, während des Herumarbeitens im Heu und Korn, legte ich mir manchmal die Frage vor, ob für nächstes Jahr meine Schule nicht einen anderen Geist bekommen sollte? Eine Schulreform, die sich aber in erster Linie auf den Schullehrer selbst beziehen sollte. Vor allem mußte er älter werden, und das wurde er bis zum nächsten Winter. Dann mußte er gescheiter werden, und das wurde er nicht. Denn als der Winter kam, machte er mit Kreide an der Haustür bekannt, daß das neue Schuljahr beginne.
Die Nachbarn taten diesmal aber nichts desgleichen, nur einer warf es mir so im Vorbeigehen über die Achsel zu, er schicke seinen Buben nicht mehr. Das sei ein kindisches Wesen und es käme nichts dabei heraus. Der Knabe des Höfelzenz, der Klasel, sandte mir ein zierlich zusammengefalztes Brieflein, in welchem nichts Geringeres stand, als der folgende Bericht:
»I g a i k Schul kun e lesen un schreim a.«
(In unserer umständlichen Alltagssprache heißt das: »Ich gehe auch in keine Schule, kann ohnehin lesen und schreiben auch.«)
Nun also! Das war doch ein Erfolg. Und was für einer! Mit so wenigen Buchstaben soviel zu sagen! – Übrigens war das aber auch die einzige schriftstellerische Leistung des Klasel. Später ist er Eseltreiber geworden. Nun, da kam er mit seinen Selbstlauten ja reichlich aus.