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Vorwärts, 20. 9. 1922
Der gut angezogene Herr kommt bereits in den Zonen der gemäßigten Bourgeoisie vor. In zahlreichen Exemplaren und verschiedenen Schattierungen ist er in den Straßen Berlins zu sehen und in den Modejournalen, in denen geistige Arbeiter sozusagen aus der Not der deutschen Presse die Tugenden des gut angezogenen Herrn herauszuschlagen bemüht sind.
Der gut angezogene Herr unseres Jahrhunderts schont seine Schultern gegen den Druck einer eventuellen Verantwortung durch die sorgliche Schicht an entsprechender Stelle eingenähter Watteline. Dadurch erweckt sein Oberkörper den Eindruck einer knockout-trotzenden Männlichkeit. Der kurze Halskragen, den fürchterlich auf- und abrollenden Adamsapfel freilassend, weist mit zwei scharfen Spitzen in das Innere der Weste. Der »Selbstbinder« hat häufig die auffallende Färbung eines künstlich mit Lineal und Zirkel gezeichneten Feuersalamanders.
Auf dem Kopf trägt der gut angezogene Herr einen breitrandigen Filzhut, dessen Mitte von einer im inneren Hohlraum sitzenden Schnalle zusammengehalten wird. Ein seidenes Taschentuch lugt mit violetter Leiste aus der linken oberen Rocktasche.
Abwärts verjüngt sich der gut angezogene Herr. Seine Hose, um die Oberschenkel noch schlotternd, wird schmal in der Nähe des violett bekleideten und über dem Halbschuh sich erhebenden Fußknöchels. Die Kürze der Hose mildert den gewalttätigen Eindruck des oberen Menschen und reduziert gerechterweise die Persönlichkeit zum Jüngling, der den Kinderhosen kaum entwachsen ist.
Die Halbstiefel sind gelb und braun und haben flache Absätze, die den gut angezogenen Herrn zwingen, sein Schwergewicht der Ferse anzuvertrauen. Das übt er mit Eleganz und Ausdauer in vielen abendlichen Foxtrottstunden. Denn das Natürliche verschmähte er gewiß, würde es ihm nicht auf dem Umweg über die Mode beigebracht.
So schiebt der gut angezogene Herr über die Straße mit rudernden Armen, die die Ähnlichkeit seiner spitzen Schnabelschuhe mit Kähnen bedeutend verstärken. Rehlederne Handschuhe von kanariengelber, geradezu zwitschernder Farbe verbergen die polierte Manikürtheit seiner restlos untätigen Hände. Von seiner Handschuh-Arbeit lebt der gut angezogene Herr.
Mit Vorliebe läßt er sich auf aussichtsreichen Caféterrassen nieder und, wenn es kälter wird, in der Fensterecke hinter einer glatten Spiegelscheibe, durch die er gern die Welt betrachtet. Da sieht er einen humpelnden Krüppel, dort einen blinden Bettler, drüben eine hastende Näherin. Diese könnte man ansprechen, jene beschenken. Ein Blick auf die Wärmeskala der Devisen im eben erschienenen Abendblatt überzeugt ihn von der Sicherheit seines Wohlergehens. In zeitlicher Parallele zum Dollar macht er Karriere. Die Sträflichkeit seines Lebens ist niemals strafbar.
Skeptisch blättert er in den Journalen der eleganten Welt, deren Gegenstand er selbst ist. Was soll er ihnen für die Wintermode vorschreiben, auf daß sie es ihm wieder vorschreiben? Sollen die Kragenspitzen noch mehr auseinanderstehen? Soll ein buntes oder einfaches Band den Hut zieren? Zwischen einer perl- und einer dunkelgrauen Hose schwankt er unentschieden, bis ihn der Klang seines Leibtwosteps aus fruchtlosen Sinnen reißt.
Seine Gedanken wandern Marys seidenen Strümpfen entgegen, die er in dieser Saison zu lieben gedenkt.