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Vorwärts, 21. 4. 1923
Hart an das UT-Kino am Kurfürstendamm grenzt der große Tanzpalast, in dem die Einheitsfront des Bürgertums dreimal in der Woche ihre patriotische Betrübnis an der Garderobe ablegt, um unbeschwert von traurigen Ruhrgedanken das geflügelte Shimmybein zu schwingen.
Nur eine dünne Wand trennt den Palast vom Vorführungsraum des Kinotheaters, – und wenn in diesem die Kapelle nicht spielt (in der Pause und während der Meßter-Woche), hören die Besucher des Kinos die gedämpften flotten Shimmyklänge.
In diesen Tagen geschieht es nun, daß die Meßter-Woche, die noch aus der traurigsten Angelegenheit ein patriotisches Geschäft zu machen versteht, und deren nationales Empfinden sich auf alle Ereignisse in Deutschland erstreckt, angefangen vom Tod eines deutschen Proletariers bis tief hinunter zu einer Parade Hindenburgs –, daß die Meßter-Woche also das Begräbnis der Ruhropfer im UT-Kino abrollen läßt.
Und weil bei diesem Bilde die Kinomusik nicht spielt und es gerade einer jener drei Tage in der Woche ist, an denen der Nationalismus mit dem Amüsement einen Burg- will sagen: Tanzpalastfrieden schließt – hört man als Begleitmusik zu dem Begräbnis der Ruhropfer – kling, klang – den Shimmy von nebenan; gedämpft, aber deutlich genug, um symbolisch zu sein:
für diesen Kurfürstendamm;
für diese Meßter-Woche;
für dieses nationale Bürgertum, das mit einem heiteren Bein
und einem nassen Aug' Miterleber des schrecklichen Proletariertodes ist.
Alle, die Augen haben, zu sehen, und Ohren, zu hören, erkennen in solch einem zufälligen Zusammentreffen von Shimmy und Tod den Sinn dieser Zeit, die sich beinahe zu einer »Großen« ausgewachsen hat...
Der rote Joseph