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Lachen links, 25. 4. 1924
Der General ohne Gegner ist wie eine Waage, an der nur eine Schale hängt; ein Einerseits ohne Andererseits; ein Salonkitsch ohne Pendant; ein Teil eines Zwillings ohne den andern.
Der General ohne Gegner ist eine halbe Erscheinung. Keine andere Menschengattung ist mit ihm zu vergleichen: ein Jäger, dem kein Wild vor die Flinte kommt, ist trotzdem ein Jäger; ein Redner ohne Zuhörer bleibt dennoch ein Redner; ein Dichter ohne Leser ist trotz allem ein Dichter; und ein Kaufmann ohne Käufer ist auch ein Kaufmann.
Denn alle diese Berufe sind mehr oder weniger natürliche Berufungen, auch wenn ihnen die Wirkung fehlt. Sie wirken nur tragisch, die Dichter ohne Leser, die Redner ohne Zuhörer und die vergeblich lauernden Jäger. Ein General aber ohne Gegner wirkt entschieden lächerlich.
Sein Beruf nämlich ist keine natürliche Berufung. Zwar ist der Wille zum Kampf auch natürlicher Instinkt. Aber kein dauernder Zustand, sondern nur ein zeitweilig bestehender.
Es gibt in der Natur keine Nur-Kämpfer. Das Raubtier kämpft lediglich, um sich zu sättigen. Nach beendetem Kampf ergibt es sich seiner friedlichen Beschäftigung: dem Beischlaf, der Wanderung, dem Bad, dem Schlummer. Es legt gewissermaßen die Rüstung ab. Es entmilitarisiert sich. Es demobilisiert. Es wird sogar sanft.
Nur der General wird niemals sanft. Seine Niederlage erbittert ihn. Sein Sieg reizt ihn zu neuem Kampf. Seine Tätigkeit ist Mittel ohne Zweck; eine Art l'art pour l'art. Er kämpft nicht, um satt zu sein, wie es selbst das grausamste Tier tut. Er kämpft, um zu siegen. Seine Beute ist nicht seine Nahrung. Deshalb ist er die moralisch niedrigste Erscheinung unserer Weltordnung.
Seine Beute ist nur das Nährmittel seiner Beutegier. Sie sättigt seinen Ehrgeiz. Sie bringt ihm Ehre und deren sichtbaren Ausdruck: Den Orden aus Blech, Eisen und Gold.
Wenn er aber keinen Feind hat, der General?
Mit dem Raubtier, das keine Beute findet, kann ich Mitleid fühlen. Denn es leidet die Qualen des Hungers (die wir alle kennen – mit Ausnahme der Generale). Der General aber, der keine Beute findet, leidet die Qualen des unbefriedigten Ehrgeizes. Deshalb erweckt er in mir nicht das Gefühl des Mitleids, sondern jenes süßere der Schadenfreude. Ich spotte seiner, wie eines Teufels, der kein Versuchsobjekt findet.
Denn erst das Opfer macht den Teufel zum Teufel. Erst der Feind macht aus dem General einen General. Ohne Gegner ist er nur ein Begriff. In einer Welt des Friedens, die sich nicht von Menschenfleisch nährt, ist der General nicht einmal ein Sättigungsinstrument. Er gleicht also einer Lokomotive ohne Eisenbahnzug; einer Brücke, die nicht von einem Ufer ans andere führt, sondern von einem Ufer ins Wasser. Und das ist lächerlich.
Da aber ein General vor der Lächerlichkeit eine größere Angst empfindet, als ich vor ihm, schafft er sich krampfhaft einen Feind. Wenn er keinen »äußern« findet, so erfindet er einen »innern«.
Deshalb ist die Existenz eines Generals fast noch gefährlicher, als sie lächerlich ist. Sein Dasein allein schafft Feindseligkeit und Haß.
Man kann nicht einmal versuchen, ihn abzuschaffen, ihn zu demobilisieren, zu zähmen. Ein dressiertes Raubtier ist immer noch für einen Zirkus ein Gewinn. Wer aber würde eine Menagerie besuchen, in der Generale ausgestellt sind? – Da die Gattung nicht selten ist und stündlich ohne Entree besichtigt werden kann?
Und wer fürchtete sich nicht vor einem General – und befände er sich selbst hinter Gittern?! ...
Josephus