Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

Die verschiedenen Lebensströme, welche durch die gemeinsame Angst um Roger und Sir Launcelot in einen zusammengeflossen waren, zogen sich bald wieder in ihre verschiedenen getrennten Kanäle zurück.

Ach! wenn wir doch Alle stets auf dem Punkte des Wortes » Ich will mich aufmachen,« bleiben könnten, oder noch besser da, wo der Vater uns entgegen kommt, wie fromm und demüthig und weichherzig wären wir! Statt dessen heißt es nur zu oft: » Du hast mir nie einen Bock gegeben,« und: » Dieser dein Sohn, der dein Gut umgebracht hat!« Wie seltsam, daß die Erinnerung an solche Momente (und welches Christen Leben sollte wohl keine solche aufzuweisen haben?) das Herz nicht immer bußfertig und offen erhält! Das beste Mittel dazu ist ohne Zweifel ein tägliches Sichaufmachen und Umarmen. Ich bin überzeugt, daß wir es bedürfen. Allein wir thaten dies nicht gerade in Netherby.

Indem Tante Dorothea die Sache mit ihrer »gewohnten Nüchternheit« überlegte, hielt sie es für ihre Pflicht, uns vor dem »knechtischen Geiste« zu warnen, der Lady Lucia's Gebete bei all ihrer Milde in die Grenzen des Kirchengebetbuchs eingezwängt hatte. Und Base Placidia konnte, nachdem die unmittelbare Besorgniß vorüber war, sich nicht enthalten, zu zeigen, daß Rogers Heftigkeit sie noch weiter als bisher von ihm entfernt hatte. Sind wir einmal auf dieser pharisäischen Höhe angelangt, zu welcher wir uns leider ohne die geringste Mühe erheben, da wir durch windige Substanzen von innen und außen hinaufgetrieben werden, so vermehrt natürlich der Fall Anderer unsere vermeintliche Erhöhung; und es ist schwer zu bestimmen, ob ihr Hinabsteigen oder unser Emporkommen dies bewirkt; gerade wie man bei der Begegnung von zwei Booten nicht leicht unterscheiden kann, welches von beiden sich bewegt. Nicht als ob Placidia ihre Ueberlegenheit durch Vorwürfe kund gegeben hätte. Was brauchte sie auch zu reden? War nicht ihr Leben der gegründetste Vorwurf? Dieses ruhige Leben, das von keiner heftigeren Bewegung getrübt wurde, als der sanfte Wellenschlag eines zufriedenen Gewissens oder die eigene gelassene Mißbilligung gestattete, wenn Jemand versuchte, ihren Rechten zu nahe zu treten – was sie natürlich niemals duldete. Hatte sie nicht von der Grausamkeit des Erzbischofs Laud gegen jene drei Herren ohne weitere Rührung gehört, und nur sanft bedauert, daß diese Herren nicht ihren Mund zu halten wußten? Hatte sie nicht auf die Nachricht von Lord Straffords Gefangenschaft und der Auflösung der Sternkammer kein lebhafteres Gefühl geäußert als eine Bemerkung über die Eitelkeit menschlicher Größe und eine sanfte Hoffnung, daß nun die lästigen Monopole auf Pfeffer und Seife aufgehoben werden möchten?

Hatte sie nicht stets Roger und mich gewarnt, nicht zu strenge über Sir Launcelot zu urtheilen? War sie nicht so weit gegangen, ihn für einen sehr feinen Herrn zu erklären? Und konnte die Nothwendigkeit ihrer Warnungen auffallender bewiesen werden, als durch die rachsüchtige Handlung, zu welcher Roger sich hatte hinreißen lassen?

Unter diesen Umständen mußte Placidia nur ihre eigene Schonung bewundern. Sie äußerte keinen Tadel, las keine Moral und unterließ es gänzlich, an ihre Prophezeiungen zu erinnern. Sie thronte nur noch ein wenig weiter über uns auf ihren heitern Höhen – ein ganz klein wenig höher und heiterer als zuvor. Sie nannte mich »Olivia, meine Liebe«, und meinen Bruder den »armen Roger«. Doch das kam ohne Zweifel zum Theil daher, daß sie verheirathet war.

Roger ertrug ihre Ueberlegenheit mit der größten Demuth. Ich glaube in der That, daß er dieselbe so tief wie sie fühlte. Denn Roger blieb wirklich in dem Zustande der Reue und Begnadigung, welcher das Herz weich und demüthig und liebevoll erhält, was bei mir ganz gewiß sehr oft nicht der Fall war. Denn Placidia's Herablassung, vorzüglich gegen Roger, wurde mir oft ganz unerträglich.

Nur ein einziges Mal erinnere ich mich, daß er aufgebracht wurde.

Sie hatte gesagt (ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang), sie hoffe, daß Roger doch nicht gar zu niedergebeugt sei. Es sei nie zu spät, ein neues Blatt umzuschlagen; und er habe ja das tröstliche Beispiel des Apostels Petrus. Man habe Ursache zu glauben, daß der Apostel durch seinen tiefen Fall für sein ganzes Leben ein weiserer und besserer Mensch geworden sei. »Und wir wissen, daß denen, welche berufen sind, alle Dinge zum Besten dienen,« sagte sie.

Bei diesen Worten stand Roger, der am andern Ende des Speisesaals mit dem Putzen seines Gewehrs beschäftigt war und, wie wir glaubten, nicht auf unser Gespräch hörte, plötzlich auf, näherte sich uns und stellte sich vor Placidia mit zusammengepreßten Lippen und fest über der Brust in einander geschlungenen Armen.

»Base Placidia,« fing er an, »sage dies nie, nie wieder! Der heilige Petrus wurde durch seine Verleugnung Christi weder weiser noch besser, ja nicht einmal demüthiger. Ohne Zweifel wurde er auf immer weiser, besser und liebender durch jenen Blick und durch das bitterliche Weinen; aber nicht durch das Verleugnen, nicht durch die Sünde!«

Mein Vater, welcher hinter Roger während dessen Rede eingetreten war, sagte, die Hand ihm liebevoll auf die Schulter legend:

»Wahr, Roger, sehr wahr; allein wenn auch unsere Sünde selbst nie etwas Gutes bewirken kann, so vermag dies doch das Andenken an unsere Sünde; und wo immer aus der tiefsten Erniedrigung wir den Träbern den Rücken kehren und das Gesicht dem Vaterhause zuwenden, da kommt Gott uns entgegen und macht, daß die Folgen, so bitter sie auch sein mögen, zu unserm Besten dienen.«

»Uns wohl, Vater, uns!« rief Roger, »aber Andern? Denjenigen, die unsere bösen Thaten vielleicht verführt oder im Bösen bestärkt haben? Wir können vielleicht einen Felsblock auf seinem Hinunterrollen in den Abgrund aufhalten. Aber wer kann Alles, was er in Bewegung gesetzt hat, aufhalten, oder das Verderben ungeschehen machen, das er auf seinem Wege angerichtet hat?«

» Nichts dient denen zum Besten,« sagte Vater traurig, »die sich von Gott abgewendet haben. Aber Er kann und will uns helfen, dem Uebel, das wir angestiftet haben, entgegen zu arbeiten, wenn es uns rechter Ernst damit ist. Entgegenarbeiten, sage ich, nicht ungeschehen machen; denn eine That ungeschehen zu machen, ist selbst der göttlichen Allmacht unmöglich. Gerade darum ist die Sünde das einzige Böse und unabänderlich Traurige in der Welt.«

Diese Worte schnitten mir tief in's Herz. Sollte dies das Evangelium sein? Das Böse nie, nie wieder ungeschehen gemacht werden; Sünde nie wieder sein, als ob sie nicht begangen wäre? Placidia sprach nichts weiter, bis Vater und Roger mit einander auf's Feld hinausgegangen, und wir mit Tante Gretchen allein waren. Dann bemerkte sie, in ihrer entschiedenen Weise mit leichtem Kopfschütteln:

»Ich hoffe doch, daß Vetter Roger nicht noch immer im Dunkeln ist. Ich hoffe doch, er versteht das Evangelium!«

»Was verstehst Du unter dem Evangelium, Placidia?« entgegnete ich, halb erzürnt um Rogers und halb ängstlich um meinetwillen.

Placidia, welche damals gleich mit einer wohl gesetzten theologischen Abhandlung bei der Hand war, ließ sich in eine lange Untersuchung ein, was sie unter dem »Evangelium« verstehe.

Auf sehr bestimmte und geschäftsmäßige Weise übernahm sie es, die Absichten des Allmächtigen von Anbeginn darzulegen, als wäre sie auf höchst unbegreiflichem Wege, von Anfang an Seine Vertraute gewesen, als hätte sie nicht allein die Absichten Gottes, sondern auch die Gründe dafür erkannt und begriffen. Diese Erklärung machte auf mich den Eindruck, als ob der ganze, Leben spendende Strom erlösender Liebe, der aus der glorreichen Dreieinigkeit des lebendigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ausfließt, eingefroren wäre. Sie mahnte mich so zu sagen an einen genauen Kontrakt, wie er zwischen gewissen herrschenden hohen Mächten wegen Kaufs einer gewissen, zu ihrem eigenen Gebrauche bestimmten Erbschaft abgeschlossen wurde, wobei auf beiden Seiten mit der größten Genauigkeit die bezahlte und die empfangene Summe gegen einander abgewogen wurde. Es war, als ob die ganze lebende, athmende Welt, mit ihrem unermeßlichen blauen Himmel, ihren zahlreichen Strömen, ihren wallenden Kornfeldern, ihren wogenden Meeren, mit allen lebendigen Geschöpfen darin, zu einer Landkarte eingeschrumpft wäre, in welcher nur die Grenzlinien Bedeutung hätten. Diese »Abtheilungslinien« ihres Systems mochten, so viel ich davon verstand, richtig genug, ja sogar ganz biblisch sein; aber die hehre Allgegenwart Gottes, der heilige Unwille über das Unrecht, die Liebe, das Leben, das sehnende, erbarmende, unwandelbar gerechte und doch mild verzeihende Herz, das aus jeder Seite der Bibel uns entgegen schlägt, war völlig entschwunden. Während ihrer ganzen Rede gingen mir, wider Willen, beständig die Worte durch den Kopf: »Die solche machen, sind gleich also.« (Psalm 115, 8).

Am Schlusse sagte sie zu Tante Gretchen:

»Ich denke, ich habe das Evangelium klar dargestellt, und hoffe nur, daß Roger es so versteht.«

»Ich weiß es in der That nicht, meine Liebe,« versetzte Tante Gretchen. Denn die gute Seele, welche stets besorgte, durch irgend einen Irrthum in ihren theologischen Behauptungen Dr. Luther bloß zu stellen, wagte sich selten über die Citation eines Bibelspruchs hinaus. »Ich weiß es in der That nicht, meine Liebe. Ich bin kein Theologe. Und es ist ein großes Glück, daß die Heilige Schrift für die, welche keine Theologen sind, ein Evangelium im Kleinen enthält, wie Luther zu sagen pflegte, in dem Spruche: ›Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingebornen Sohn gab, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.‹ Dies ist mein Evangelium, meine Liebe. Es ist kürzer als das Deine, wie Du siehst; aber mir erscheint es auch als eine frohere Botschaft, besonders für die verirrten Schäflein und die verlornen Söhne, für Alle, die noch draußen sind, und für diejenigen, welche, wie ich, hoffen dürfen, daß sie umgekehrt sind, aber gleich mir fühlen, wie leicht sie wieder auf verkehrte Wege gerathen könnten.«

»Herr Nicholls sagt immer, ich habe einen merkwürdig klaren Kopf für Theologie,« versetzte Placidia. »Allein die Gaben sind verschieden, und Keines von uns darf stolz darauf sein.«

»Ohne Zweifel, meine Liebe,« sagte Tante Gretchen. »Ich weiß sehr wohl, daß ich wenigstens gar keine Ursache dazu habe. Allein ich glaube nicht, daß wir der Strafe oder wenigstens den traurigen Folgen der Sünde ganz enthoben werden, zum mindesten nicht in diesem Leben. Nimm zum Beispiel Gammer Grindle's Enkelin, die arme Cäcilie, eines der hübschesten Mädchen, die je um einen Maibaum getanzt haben, von der man sagt, Sir Launcelot Trevor habe sie verführt, nach London zu gehen, und sie dort – Niemand weiß wo – im größten Elend verlassen. Gott verzeihe mir, wenn es nicht Sir Launcelot war, daß ich eine falsche Anklage wiederhole; aber man hat ihn den Abend vor ihrer Flucht mit ihr sprechen sehen. Wenn nun, was Gott geben wolle, Sir Launcelot sich bekehrte, so würde dies doch die verlorene Unschuld der kleinen Cäcilie nicht wieder herstellen; auch sehe ich nicht ein, was es ihm je anders bringen könnte als die bitterste Reue.«

»Nun,« warf Tante Dorothea, die sich indessen zu uns gesellt hatte, dazwischen, »ich bin nur froh, daß ich meine Meinung über diese Maibäume offen ausgesprochen habe.«

»Was ist denn dann Vergebung?« fragte Placidia. »Was nützt es dann, fromm zu sein, wenn wir doch gerade so bestraft werden sollen, als wenn wir keine Vergebung erlangt hätten?«

»Die Seligkeit der Vergebung,« versetzte Tante Dorothea, »besteht gerade darin, daß uns vergeben ist, und der Nutzen der Gottseligkeit darin, daß wir selig in Gott sind, sollt' ich meinen.«

»Vergebung, meine Liebe,« setzte Tante Gretchen hinzu – »was ist Vergebung? Es ist die Wiederaufnahme an das Vaterherz. Christus hat den Fluch für uns getragen und ihn für uns hinweggenommen – von Allem, selbst dem Tode. Gott ist mit uns, trotz allen unseren Sünden; Gott ist für uns, trotz allen unsern wirklichen Feinden. Das zerrissene Band zwischen Gott und uns ist wieder hergestellt. Was kannst Du Besseres wünschen? Was willst Du mehr haben? Wiederum an dem Vaterherzen ruhend, sollten wir es nicht ihm anheimstellen können, welche Schmerzen Er uns ersparen kann, und welche nicht, ohne unsere Sünden zu begünstigen, was unendlich viel schlimmer wäre, als alle Schmerzen?«

»Meine Theologie,« fuhr Tante Dorothea fort, »ist die, welche Nathan lehrte, als er zu David sagte: ›Der Herr hat Deine Sünde weggenommen; aber das Kind wird sterben;‹ und die des Apostels Paulus, da er schrieb: ›Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten. Was der Mensch säet, das wird er ernten;‹ die Theologie, welche unsere puritanischen Voreltern uns lehrten – kein Evangelium, daß unsere Sünden geduldet, sondern daß sie vergeben und zerstört werden sollen. ›Christus hat uns erlöst von dem Fluche des Gesetzes, da Er ward ein Fluch für uns.‹ Er hat uns unter die Ruthe des Bundes (Hesek. 20; 37) gebracht, indem Er ›Gehorsam lernte an dem, das er litte.‹ Es ist bei dem Einen so viel Gerechtigkeit und Erbarmen als beim Andern. Ich hoffe nur,« sagte sie schließlich, »daß Ihr, Du und Herr Nicholls, das Evangelium richtig verstehet. Allein ich muß gestehen, Leute, welche so sehr leicht in den Bund gelangen, sind mir ein Räthsel. Wie erzählt wird, hat die Seelenangst Luther fast das Leben und Cromwell beinahe den Verstand gekostet.«

Placidia blickte von ihrer doppelten Höhe geistlicher Gemüthsruhe und halb klerikaler Würde milde auf Tante Dorotheens Einwürfe herab.

»Tante Dorothea,« sagte sie, »ich habe schon oft gedacht, Du verstehst Herrn Nicholls und mich nicht recht. Allein es steht geschrieben: ›Wehe euch, wenn euch Jedermann wohl redet.‹ Und was Vetter Rogers Evangelium betrifft, so kann ich es nicht anders als Gesetz nennen.«

Bald darauf erhob sich Placidia, um wegzugehen. Allein während sie ihre Handschuhe anzog, bemerkte sie, als ob der Gedanke ihr eben erst eingefallen wäre:

»Tante Dorothea, ich bin ein wenig in Sorgen wegen der drei schönen Kühe, die mir Onkel Drayton zur Hochzeit geschenkt hat. Die Kirchenländereien sind hoch gelegen, das Gras ist nicht so gut, wie das, an welches sie gewöhnt sind; und ich sagte gestern Morgen zu Herrn Nicholls, es würde Onkel Drayton sicher sehr leid thun, wenn er sähe, wie viel weniger gelb und fett die Butter ist als früher. Herr Nicholls war ganz meiner Meinung, Onkel Drayton ist immer so gütig. Daher sagte ich, es sei besser ganz aufrichtig gegen ihn zu sein. Du weißt, ich bin stets aufrichtig und sage, was ich denke. Es ist kein Verdienst dabei. Es liegt in meiner Natur und ich kann es nicht hindern. Und Herr Nicholls gab mir ganz Recht. Gestern Abend kamen wir nun zufällig an der Seewiese vorbei, und sahen, daß kein Vieh darauf weidete. Da sagte ich gleich zu Herrn Nicholls, wie Schade es sei, daß das schöne Gras in Samen schieße, während unsere Butter eine so elende Farbe hat. Und Herr Nicholls sah es auch. Da rieth er mir – oder ich schlug vor, und er billigte es, ich weiß es nicht mehr ganz genau (und ich bin stets so sehr darauf bedacht, Alles gerade so zu erzählen, wie es sich zugetragen hat), zu Onkel Drayton zu gehen und ihn zu fragen, ob er nicht erlauben wolle, daß unsere drei Kühe nur eine kurze Zeit auf dieser Wiese grasen dürfen, so lange kein anderes Vieh darauf ist, nur damit die schöne Waide nicht verloren sei, was Onkel Drayton gewiß sehr ärgerlich wäre, wenn er daran dächte. Aber Niemand kann an allen Orten zugleich sein, und er hatte sie ohne Zweifel vergessen.«

»Sehr wenig Leute sehen in der That mit ihren Augen zugleich nach allen Seiten hin, Placidia,« erwiderte Tante Dorothea stichelnd. »Allein zufälliger Weise hatte Dein Onkel diese Wiese nicht vergessen, und ließ diesen Morgen alle unsere Kühe dahin treiben.«

»So,« sagte Placidia, »nun dann ist es ja ganz gut. Ich war natürlich nur besorgt, daß nichts umkommen sollte, besonders wenn wir es so gut brauchen könnten. Aber natürlich eine arme Pfarrfrau kann nicht verlangen, solche Butter zu haben, wie Ihr in Netherby. Ich denke nur immer an die ›zwölf Körbe‹, und wie nothwendig es ist, ›daß nichts umkomme‹, und an die tugendhafte Frau am Ende der Sprüche Salomons. Ich werde Dir stets dankbar sein, Tante Dorothea, daß Du mich so viel aus der Heil. Schrift hast auswendig lernen lassen.«

»Sehr verbunden, meine Liebe,« erwiderte Tante Dorothea trocken. »Du hattest stets ein vortreffliches Gedächtniß. Allein bei der Heil. Schrift, wenigstens in der englischen Uebersetzung, ist es sehr wichtig, daß man sie nicht von der Rechten zur Linken lese.«

Hiemit empfahl sich Base Placidia und hinterließ Tante Dorothea das wohlthuende Gefühl, ein Complot zu nichte gemacht zu haben.

Aber ein halbes Stündchen darauf kam Vater herein.

»Die arme Placidia«, sagte er. »Ich begegnete ihr auf dem Heimwege und war ganz gerührt von ihrer Dankbarkeit für die Paar Kühe, die ich ihr geschenkt habe, und von ihrer Theilnahme für Roger. Es scheint, daß die Waide auf den Pfarrwiesen ihrem Vieh nicht so gut bekommt wie die auf den unsern, und daß ihr die Butter nicht recht gelingen will; aber sie mochte nichts davon sagen, besonders so lange wir Rogers wegen in solcher Angst waren. Dies zeigte wirklich mehr Zartgefühl, als ich von dem armen Kinde erwartet hätte. Und es ist ein Beweis, wie sehr wir uns vor lieblosen Urtheilen hüten sollten. Ich habe daher Bob befohlen, die drei Kühe eine Zeit lang mit den unsrigen auf die Seewiese zu treiben.«

»Erwähnte Placidia die Seewiese?« fragte Tante Dorothea.

»Nun, ich kann es nicht ganz bestimmt sagen, aber ich glaube, ja; und sie hatte da, sollt' ich meinen, gar keinen übeln Einfall.«

»Was sagte Bob dazu?« fragte Tante Dorothea ärgerlich.

»Bob äußerte sich ziemlich scharf,« versetzte mein Vater; »er ist zuweilen etwas derb. Er sagte, da dürfe er wohl nach unsern Wiesen sehen, wenn wir der ganzen Herde der Frau Pastorin eine Luftveränderung gewähren. Sie würde wohl nicht eilig sein, wieder abzuwechseln, meinte er.«

»Nun wahrhaftig, es gibt Männer, die so harmlos sind, wie die Tauben,« murmelte Tante Dorothea, »und Weiber so klug wie die Schlangen. Und je weniger diese beiden mit einander zu thun haben, desto besser. Mir ist's ja ganz einerlei, wer Placidia's Kühe füttert, aber ich kann es fast nicht ertragen, daß sie meint, Niemand durchschaue ihre Pläne.«

Allein Placidia hatte gesiegt. Und die Pfarrkühe brauchten in Zukunft keine Luftveränderung mehr.

Es verdrießt mich eigentlich, diese groben, widrigen Fäden mit der Geschichte meiner Lieben zu verweben; allein das Ganze würde ohne dieselben nichtssagend und fade werden. Placidia und Herr Nicholls machten mir später manche Verleumdung der Feinde begreiflich. Denn es wurde ja Mode zu behaupten, daß Charaktere von diesem Gepräge die große Mehrzahl unserer Republikaner bildeten. Solche Charaktere sollten die Schlachten von Naseby und Worcester gewonnen, die verfolgten Waldenser gerettet und England die Verehrung der ganzen Welt erworben haben! Sie sollten Werke wie des »Christen Pilgerfahrt«, die »Areopagitica« und den »Lebendigen Tempel« erdacht, und zweitausend Pfründen um des Gewissens willen geopfert haben!

Nein! Pharisäer freilich gab es ohne Zweifel unter uns, wie ja die Wurzel des Pharisäismus in uns Allen liegt. Aber sie waren von der Art eines Saulus, des Schülers Gamaliels, nicht von denen, welche Münze, Till und Kümmel verzehnteten.


 << zurück weiter >>