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XV.

Kaum vierzehn Tage nach jenem Abend in Netherby durchzog auf die Nachricht von dem irländischen Blutbad ein Schauder des Entsetzens und ohnmächtiger Entrüstung über das Geschehene das ganze Land und erweckte einen bittern Schrei um künftige Erlösung und Rache.

Den 20. Oktober hatte sich das Parlament wieder versammelt.

An einem düstern ungemüthlichen Abend im Anfang Novembers kam ein Eilbote im Dorfe Netherby angesprengt und hielt vor Hiob Forsters Schmiede, um etwas am Geschirr seines Pferdes ausbessern zu lassen.

Rahel war sogleich mit einem Kruge Bier für den müden Reiter und mit Wasser für das Pferd bei der Hand. Der Bote nahm Beides schweigend in Empfang.

»Du bist heute sparsam mit Grüßen, guter Freund,« sagte Hiob, während er sich mit dem zerbrochenen Gebiß beschäftigte, ohne dem Reiter in's Gesicht zu sehen.

Allein Rahel, welche im Augenblick in des Fremden Antlitz schlimme Nachrichten gelesen hatte, legte ihre Hand, mit einer zur Stille verweisenden Geberde auf den Arm ihres Gatten.

Nun schaute Hiob auf, und dem Blicke des Fremden begegnend, ließ er die Stange fallen und sagte plötzlich:

»Was bringst Du für Nachrichten, Freund? Wir sind nicht von denen, welche sanfte Dinge erwarten.«

»Rauh genug,« war die Antwort. »Hunderttausend Protestanten So viel glaubte man gewöhnlich in damaliger Zeit. Seither habe ich es bestreiten hören. Allein daß das Blutbad und die Grausamkeit entsetzlich war, ist außer Zweifel., Männer, Weiber und Kinder sind vor kaum einer Woche in Irland überfallen, geplündert und niedergemetzelt worden. Des Morgens hatten die Papisten ihnen noch guten Tag gewünscht und sie freundlich angeschaut, und ehe es Abend wurde, sie nackt und hülflos aus ihren brennenden Häusern auf die Straßen und in die Wüsten hinausgetrieben. Tausende wurden in ihren zerstörten Wohnungen gemordet; und glücklich noch diejenigen, welche nur getödtet oder rasch getödtet wurden. Kein Alter oder Geschlecht fand Erbarmen; da war keine Erinnerung an empfangene Liebesdienste. Verrath und Marter regierten; Frauen und Kinder wurden zu Teufeln von Grausamkeit. Dublin selbst wurde nur durch eine Warnung, welche den Abend vorher eintraf, gerettet. Aber am Schrecklichsten war es für die Weiber und die kleinen hülflosen gemarterten Kinder.«

»Sachte, sachte, Freund,« sagte Hiob; denn Rahel war ohnmächtig auf seine Schulter gesunken. »Sie kann das Schrecklichste hören und sehen, wenn sie dabei zu helfen vermag; aber dies ist für sie zu viel.«

Sanft trug er sie hinein und legte sie auf das Bett, einen Augenblick unschlüssig, was er thun sollte, da er sie nicht gern verließ.

»Sie scheint immer zu wissen, ob ich es bin oder Jemand anders, selbst wenn sie ganz bewußtlos ist wie jetzt,« sagte er; »aber ich darf den Boten nicht aufhalten.«

»Ueberlaßt sie mir,« sagte ich; »sie wird mich nicht als eine Fremde ansehen.«

Und eine Weile darauf, nachdem er sie in eine bequemere Lage gebracht hatte, ging er hinaus.

Ich spritzte ihr Wasser in's Gesicht, rieb ihre Hände und hauchte auf ihre Lippen und Schläfe, wie ich Tante Gretchen in ähnlichen Fällen hatte thun sehen, und hatte bald die Freude, zu bemerken, daß sie matt ihre Augen öffnete. Einen Moment war ihr Blick verstört und fragend; aber bald kehrte ihr trauriges Bewußtsein zurück.

»Ich wußte es – ich wußte es, Fräulein Olivia!« sagte sie. »Ich wußte, daß etwas kommen mußte. Aber ich hatte gedacht, das Gericht werde über die Feinde des Herrn ergehen, und Hiob und ich hatten Ihn so inbrünstig selbst für sie um Gnade gefleht. Nie hätte ich gedacht, daß das Schwert über die Schafe Seiner Weide ergehen werde. Am wenigsten über die Lämmer,« setzte sie hinzu; »die unschuldigen Lämmlein! Allein vielleicht war gerade dies Seine Gnade. Sie sind ja blos heimgegangen auf einem grausamen Wege; die armen Schuldlosen – nur heimgegangen.« Ein Strom von Thränen erleichterte ihr Herz und da eben eine Nachbarin kam ihr beizustehen, verließ ich sie, um unverzüglich nach Hause zu eilen.

Die wenigen Minuten, welche ich an Rahel Forsters Bett zugebracht, hatten genügt, das ganze Dorf um die Schmiede zu versammeln. Weiber mit ihren Säuglingen auf den Armen und mit kleinen Kindern, die an ihrem Rocke hingen, Männer mit Spaten und Haue auf den Schultern, die von der Arbeit zurückkehrten; der Schneider mit der Nadel in der Hand, der Müller ganz weiß bestäubt von der Mühle, Frauen mit Händen voll Teig vom Backtroge her; Keines hatte sich Zeit gelassen, seine Geräthschaften wegzulegen; Keines war zu Hause geblieben, als die, welche Alter oder Krankheit an's Bett fesselte; allein Keines fragte, oder ließ einen Ausruf vernehmen, während Alle den Boten umringten und der schrecklichen Erzählung lauschten. Nur in den Pausen wurde zuweilen ein tiefgeholter Seufzer oder hie und da ein unterdrücktes Schluchzen von den Frauen hörbar.

Hiob fuhr indessen, wie gewohnt, fort, seine Gefühle mit der Aufgabe, die er unter den Händen hatte, zu verarbeiten; so daß er, lange ehe die Dorfbewohner des Zuhörens müde geworden, während der Bote durch seine Erzählung die Aufregung und die Stille der Menge vermehrte, das Gebiß ausgebessert und jeden Fehler an Hufen und Geschirr einer genauen, kundigen Untersuchung unterworfen hatte, worauf er dem Reiter noch einen Zug aus der Bierkanne anbot und dann in seiner kurz angebundenen Weise sagte:

»Wohin zunächst, Freund? Wir dürfen solche Botschaft nicht verzögern.«

»Ich habe Briefe an Squire Drayton vom Herrenhaus Netherby,« war die Antwort.

»Ueberlaßt sie mir,« sagte Roger.

»Ihr könnt sie keinen bessern Händen anvertrauen,« sagte Hiob.

Die Nothwendigkeit der Eile bedenkend, übergab uns der Postillon einen Brief, der von der Hand des Dr. Antonius überschrieben war. Im nächsten Augenblick bog er um eine Ecke der Straße und verschwand uns aus den Augen.

Die ländlichen Plaudertaschen murrten ein wenig. »Wozu auch einen Postillon so schnell unterbrechen, Meister Forster?« sagte die Müllerin; »er weiß sicher am besten, was er zu thun hat.«

»Was brauchten wir weiter zu hören, Gevatterin?« war Hiobs Antwort. »Ganz England muß es noch erfahren! Durchs ganze Land müssen noch vor der Nacht Tausende aufgefordert werden zu beten. Und haben wir nicht genug gehört, um es uns zur Pflicht zu machen, daß wir diese Nacht durchwachen? Furchtbaren Geschichten zuzuhören hilft nicht viel, und davon schwatzen noch weniger. Denn diese Art fährt nicht anders aus als durch Beten und Fasten!«

Mit diesen Worten ging Hiob in seine Hütte. Als aber Roger und ich die Straße hinauf eilten, sahen wir die Landleute in kleine, lebhaft redende Gruppen vertheilt, und vernahmen die mit bitterem Nachdruck gesprochenen Worte: »die papistische Armee« und »die papistische Königin!«

Tief war die Aufregung, welche die schreckliche Nachricht, die wir brachten, zu Hause verursachte. Nur zu sehr wurde sie durch den Brief von Dr. Antonius bestätigt, welcher beschrieb, wie das Unterhaus die Nachricht, die ein gewisser O'Conolly überbrachte, stumm vor Schrecken aufnahm; wie fast ganz Ulster, das Hauptquartier der Protestanten, noch immer in den Händen der Insurgenten war, und wie dort Städte und Dörfer in Flammen standen.

»Tilly und Magdeburg!« waren die ersten Worte, die über Vaters Lippen kamen. »Derselbe Streit, dieselben Waffen, dieselbe teuflische Grausamkeit in dem Namen des Allbarmherzigen! Wenn ein solcher Kampf wirklich wieder kommen soll, so wolle Gott England eben so gute Waffen senden, um damit zu streiten; Soldaten, welche beten können, und – wenn es zwei solche Helden in einer Generation geben kann – einen neuen Gustav Adolf!«

Inbrünstig betete er an jenem Abend mit dem versammelten Hause für die ihrer Habe und Verwandten beraubten Dulder in Irland. Bis tief in die Nacht sah Roger die Lampe in seinem Zimmer brennen. Ohne Zweifel hatte er, wie Hiob Forster, zum Wachen und Beten seine Zuflucht genommen.

Als wir aber am nächsten Morgen zum Frühstück kamen, hatte er sein altes Schwert, das ihm im deutschen Kriege gedient, von der Wand genommen und prüfte seine Schärfe.

»Der gute Gott behüte uns vor Krieg, Bruder!« rief Tante Gretchen, bei den Gedanken zitternd, welche die alte Waffe in ihr erweckte. »Ich dachte, wir könnten aus unsern Vorräthen Linnen und wollene Kleidungsstücke zusammen suchen. Sicher wird man den Armen dergleichen zuschicken und Waisenhäuser bauen.«

»Festungen müssen vor Allem gebaut und behauptet werden,« sagte mein Vater. »Es gibt Zeiten, in denen der Krieg eben so gut ein Werk der Barmherzigkeit ist als das Bekleiden der Nackten und das Speisen der Hungernden.«

»Aber Krieg mit wem, Bruder?« fragte Tante Dorothea scharf. »Was hilft's, die Zweige abzuhauen und des Baumes zu schonen? Was ist aus der irländischen papistischen Armee geworden, die der König so ungern entlassen mochte? Was nützt es, ein Paar arme blinde Fanatiker zu strafen, wenn die papistische Königin und ihre Jesuiten im Palaste regieren? Es thut mir im Herzen weh, zu hören, daß rechtschaffene Männer wie Hampden, Pym und die Uebrigen den Lord Strafford zur Verantwortung ziehen und den Erzbischof Laud gefangen halten, den armen, bethörten Mann, der Gott zu dienen glaubte, und dabei noch immer die Hand küssen, welche Laud und Strafford ernannte und noch heute Nacht das Todesurtheil eines jeden Patrioten und Puritaners im Königreich unterzeichnen würde, wenn er es mit Sicherheit thun könnte.«

»Herr Hampden, Herr Pym und Herr Cromwell thun eben gerade ihr Möglichstes, daß er es nicht mit Sicherheit thun kann, Schwester Dorothea,« war meines Vaters Antwort. »Indessen hat das Schweigen größere Gewalt als das Schmähen.«

»Ein Parlament von Frauen,« sagte Tante Dorothea, »wäre schon seit Monden auf das Ziel losgegangen und hätte dem König ihre Meinung zu verstehen gegeben.«

»Wahrscheinlich,« versetzte mein Vater; »aber die Hauptsache ist eben, das Ziel zu erreichen.«

Zu einer für sie ungewöhnlich frühen Stunde erschien Lady Lucia vor dem Herrenhause, mit Harry und Lätitia, welche neben ihrem Pferde hergingen.

Sie sah sehr blaß aus, als mein Vater sie in das getäfelte Besuchzimmer führte.

»Ach, Herr Drayton,« sagte sie, »wer hätte sich je solche Nachrichten träumen lassen! Das einzige Tröstliche daran ist, daß sie vielleicht dazu dienen können, unser armes, zerrissenes Vaterland auf's Neue zu vereinigen. Ueberall kann man nur einer Meinung sein über solche Thaten. Der König begab sich mit diesen Nachrichten sogleich in das schottische Parlament, um Rath und Hülfe dort zu suchen. Jetzt wenigstens werden König, Parlament und Volk in ihrer Entrüstung einig sein.«

»Es wäre besser gewesen, wenn der König vorher diese katholische Armee in Irland, welche Lord Strafford für ihn ausgehoben, entlassen hätte,« sagte mein Vater. »Man weiß gar wohl, daß die Offiziere derselben mit den Mördern in Verbindung standen.«

»Der König hat schon längst Befehl gegeben, sie aufzulösen,« entgegnete Lady Lucia.

»Ja, öffentlichen Befehl,« erwiderte mein Vater; »aber es geht das Gerücht, daß derselbe von geheimen Instruktionen begleitet war, welche nicht gerade dasselbe anordneten.«

»Gerüchte!« rief sie eifrig; »bloße Gerüchte, Herr Drayton! Sie sind zu gerecht und edel um gegen das ausdrückliche Wort des Königs gemeinen Gerüchten zu trauen.«

»Gnädige Frau,« versetzte er sehr ernst, »es wäre schon längst das Heil des Landes gewesen, wenn das Wort des Königs als Antwort auf die Angriffe gegen seine Politik hätte genügen können. Nichts ist revolutionärer als Falschheit auf dem Throne.«

»Sie nennen den König einen Revolutionär?« sagte sie.

»Ich nenne die Lüge den Hauptrevolutionär,« erwiderte mein Vater. »Ohne Wahrheit und Vertrauen müssen alle Gemeinwesen zuletzt mit mehr oder weniger Geräusch zerfallen, je nachdem sie mit starker Hand von außen angegriffen werden, oder nur in sich selbst zerbröckeln.«.

»Aber alle rechtschaffenen Leute müssen im Abscheu über solch barbarische Handlungen übereinstimmen,« sagte sie.

»Der Graf von Castlehaven selbst, ein Katholik, hat gesagt, alles Wasser im Meere könne Irland von dem Flecken dieses verrätherischen Mordes in Friedenszeit nicht wieder rein waschen.«

»Gnädige Frau! es unterliegt keinem Zweifel, daß es Katholiken gibt, welche die Wahrheit reden und die Ungerechtigkeit verabscheuen,« sagte mein Vater.

»Sie sind ungerecht, Sie sind grausam gegen Seine Majestät,« sagte sie mit Thränen in den Augen, »wenn Sie ungerecht und grausam gegen irgend Jemand sein könnten.«

»Lady Lucia,« versetzte er, »dies ist eine Zeit, in welcher Alle, welche Gott fürchten und England lieben, sich vereinigen sollten. Würde wohl Lord Strafford, (wenn er wieder zu uns zurückkommen könnte), die Worte zurücknehmen, welche ihm entschlüpften, als der König sein Todesurtheil unterzeichnet hatte? Würde er sagen: ›Verlasset euch auf Fürsten!‹?«

Heftig wendete Harry Davenant ein:

»Das ist doch zu arg! erst treibt man den König zu Handlungen, die er verabscheut, und dann macht man sie ihm zum Vorwurf. Jedermann weiß, daß er Lord Strafford gern gerettet hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Das Mißtrauen des Landes ist es, was den König gezwungen hat, zu Spitzfindigkeiten seine Zuflucht zu nehmen, welche jeder Edelmann als seiner unwürdig ansehen würde.«

»Harry Davenant,« sagte mein Vater, »ich bin fest überzeugt, keine Maßregel ungerechten Mißtrauens würde Sie je dazu treiben, Versprechungen zu geben, die Sie nicht zu halten Willens wären.«

»Mein Leben ist einfach, Herr Drayton, und ich gehöre mir selbst. Wenn ich lieber jedes Uebel leiden will, als mein Wort brechen, oder Dinge zu verstehen geben, die ich nicht denke, so ist dies meine Sache. Aber das Leben des Königs ist mannigfaltig. Die ganze Nation steht in seiner Person zusammengefaßt vor dem Höchsten. Er steht über der Nation als der gesalbte Stellvertreter des Königs aller Könige. Gott selbst ist nur mittelbar der König der Völker, als König der Könige. Der König steht zwischen Vergangenheit und Zukunft und hat ein anvertrautes Pfand heiliger Rechte und Privilegien zu wahren und auf seine Nachkommen zu übertragen. Es ziemt uns nicht, ihn mit dem Maßstabe unserer gewöhnlichen Moral zu messen.«

»Der Maßstab des göttlichen Sittengesetzes ist auf Alle, ohne Unterschied, anwendbar!« sagte mein Vater. »Wahrheit ist die Stütze sowohl des Himmels als der Erde. Es gibt kein besseres Band für die Gesellschaft als ein Wort, dem man glaubt.«

»Wenigstens für mich, der ich des Königs Brod esse,« entgegnete Harry Davenant sanft, aber stolz, »schickt es sich nicht, etwas Unloyales gegen den König zu sagen oder anzuhören. Und ich will es auch nicht.« Hiemit stand er auf, um sich zu entfernen.

Mein Vater hielt ihm die Hand entgegen, um die seine zu drücken.

»Nur noch ein Wort,« sagte er; »Untreue ist ein schreckliches Wort, das wir vielleicht in den nächsten Jahren öfters hören werden. Lassen Sie mich es Ihnen ein für alle Mal sagen; es handelt sich jetzt nicht um Treue oder Untreue, sondern wem wir Treue schuldig sind. Ich glaube, wir sind sie England und seinen Gesetzen schuldig; und dem Könige, so lange er diesen treu ist.«

»Welches Tribunal darf den König richten?« entgegnete Harry Davenant.

»Mehr als eines,« erwiderte mein Vater feierlich. »Die englischen Gesetze, die er geschworen hat aufrecht zu erhalten; der ewige Gesetzgeber, von dem er, wie Sie sagen, seine Krone empfangen hat, dessen Gesetze über Wahrheit und Billigkeit kein Geheimniß und für Bauern und Fürsten gleich bindend sind.«

Lady Lucia war ganz besonders zärtlich, als sie von mir Abschied nahm.

»Das sind schwierige Zeiten, Olivia!« sagte sie mich küssend; »aber wir wollen nicht vergessen, daß Frauen allezeit dieselbe Aufgabe haben, Frieden zu stiften und Wunden zu verbinden.«

Und Lätitia flüsterte Roger und mir zu:

»Glaubt nicht diese abscheulichen Sachen über den König, sonst kann ich nicht mehr nach Netherby kommen.«

Roger sah sehr bestürzt aus.

»Aber wie können wir uns enthalten, sie zu glauben,« sagte er, »wenn sie sich als wahr bestätigen?«

»Ich kann mich immer enthalten zu glauben, was ich nicht mag,« erwiderte sie. »Wünschen ist schon der halbe Weg zum Glauben.« Und damit hüpfte sie fort und ließ eine dunkle Wolke auf Rogers Gesicht, als er in's Haus zurückkehrte.

»Nicht so klar als du denkst, Olivia,« sagte Tante Dorothea, nachdem ich ihr Lady Lucia's Worte, zum Beweis ihrer guten Absichten mitgetheilt hatte. »Es gibt Zeiten, wo eine Deborah so nothwendig ist, wie ein Baruch, ja noch nöthiger. Und dann gab es auch eine Judith, ein muthiges, frommes Weib, obgleich nur in den Apokryphen von ihr geschrieben steht. Und es gibt Zeiten, wo das Messer liebreicher ist, als aller Balsam in Gilead.«

»Messer jedoch sind nie sicher,« setzte Vater hinzu, »als in den Händen, welche sie zu demselben Zwecke gebrauchen, wie den Balsam.«

Der Verkehr zwischen unsern beiden Familien wurde durch jenen kleinen Streit nicht unterbrochen. Er wurde im Gegenteil eher noch lebhafter. Das unbehagliche Bewußtsein, daß so viele politische Unterschiede jederzeit uns trennen konnten, ließ uns, zwar mit Zittern, aber gerade deshalb nur um so fester an den persönlichen Banden festhalten, die uns verknüpften. Vierzehn Tage nachdem die Kunde aus Irland zu uns gelangt war, vereinigte uns ein gemeinsames Band der Wohlthätigkeit, Lady Lucia, Tante Gretchen und Tante Dorothea, indem sie so viel Kleider und Vorräthe sammelten, als ihnen möglich war, um den durch das irische Blutbad ins Elend Gerathenen Unterstützung zu senden.

Dann kam die Nachricht von Spaltungen unter der patriotischen Partei im Parlamente, in Bezug auf die Abfassung und den Druck der Großen Beschwerdeschrift welche am 8. Dezember gedruckt sein sollte. Lady Lucia sprach viel von der versöhnlichen Gesinnung des Königs, von dem festlichen Empfang, welchen die Hauptstadt ihm bereitet hatte, und betonte vorzüglich den Abfall des wackern Sir Bevil Grenvill, Lord Falklands und Herrn Hyde's von der Volkspartei. »Alle Gemäßigten sehen jetzt ein,« sagte sie, »daß dieselbe nur Unruhen verursachte, und verlassen sie; und Dein Vater, der gemäßigste und aufrichtigste aller Männer, wird es sicher nicht mit einem kleinen Haufen Fanatiker und Gleichmacher halten wollen.«

In jedem Hause des Königreichs wurde während jener Weihnachtszeit die Große Beschwerdeschrift mit ihrer langen Liste königlicher und geistlicher Bedrückungen und die Berichte der neuesten Siege des Parlaments über schlechte Gesetze und schlimme Räthe gelesen und eifrig besprochen.

»Aber was verlangt man denn?« pflegte Lady Lucia zu fragen. »Ihren eigenen Berichten nach, haben sie ja schon Alles erlangt was sie suchten.«

»Sie brauchen Sicherheit für Alles,« antwortete ihr mein Vater; »Sicherheit für ihre Errungenschaften; eine von ihnen selbst ernannte Wache, um ihre Freiheit zu sichern und sie gegen die königliche Wache zu beschützen, womit, wie sie befürchten, der König sie zu umringen und gefangen zu nehmen sucht.«

»Wird denn kein Versprechen, keine Versicherung guter Absichten sie zufrieden stellen?« rief sie. »Schon hat man noch weitere zehn Prälaten in den Tower geschickt, dem Erzbischof Gesellschaft zu leisten. Welch fernere Garantieen können sie denn verlangen?«

»Alle Nachgiebigkeit der Welt,« versetzte er traurig, »vermag schwerlich das gebrochene Vertrauen wieder herzustellen. Alle Festungen Englands, oder ein stehendes Heer von der Stärke einer Million wäre keine solche Schutzwache für den König, wie es sein eigenes Wort hätte sein können. Es gibt im Himmel und auf Erden kein Band, das stark genug wäre, das Vertrauen in gebrochene Treue wieder herzustellen.«

»Es ist nicht immer so gar leicht aufrichtig zu sein,« sagte sie; »und Gott verzeiht und traut uns ja auch immer wieder auf's Neue.«

»Gott vergibt, weil Er in die Zukunft sieht,« entgegnete mein Vater, »Nationen aber sind nicht allwissend, und können daher nicht vergeben und trauen, wenn sie betrogen worden sind.«

»Das Parlament ist unvernünftig,« sagte sie mit Thränen in den Augen. »Sie urtheilen wie Privatleute. Aber Staatsmänner und Fürsten können nicht mit derselben Offenheit reden wie gewöhnliche Menschen. Die Politik ist wie ein Schachspiel. Sie möchten Ihrem Gegner nicht jeden Zug voraus sagen.«

»König und Parlament haben noch nicht erklärt, daß sie Gegner seien,« versetzte er. »Wenn es aber in der That so weit gekommen ist, können Sie sich über gegenseitiges Mißtrauen wundern? Allein die Ueberzeugung von uns Puritanern ist, daß es im Himmel und auf Erden nur ein Gesetz der Wahrheit und Billigkeit gibt für Fürst, Soldat, Bauer, Weib und Kind. Und ich glaube, selbst bei feindlichen Nationen würde die schlauste Diplomatie uns nicht solche Stärke verleihen, als ein für unverbrüchlich anerkanntes Wort. Wenn es einmal von Einzelnen oder einer Nation heißt: Sie haben es gesagt, darum ist es auch ihr Ernst, dann besitzen sie eine durch nichts Anderes zu ersetzende Kraft. Zwei Fäden sind zu einem Gewebe falscher Politik nöthig. Wird der eine heraus gezogen, so zerfällt der andere von selbst. Ich glaube, der Regent, welcher die Wahrhaftigkeit der Engländer sprichwörtlich machen könnte, würde mehr zu Englands Macht beitragen, als derjenige, welcher ihm auf jeder Insel und jeder Küste der Welt Festungen gewönne.«

»Aber sehen Sie doch nur, Herr Drayton, wie der König seinem Volke traut!« sagte sie. »Schon seine Gegenwart in einer so tumultuarischen Stadt sollte den Leuten Vertrauen zu ihm einflößen!«

»Ich sehe nicht ein, daß Seine Majestät Ursache gehabt hätte, dem Volke zu mißtrauen,« versetzte mein Vater.

»Ach!« seufzte sie; »wenn Sie nur Seine Majestät im Schooße seiner Familie gesehen hätten; welche ritterliche Galanterie er gegen die Königin beweist, und wie er, seine angeborne Würde bei Seite setzend, so heiter und liebevoll mit seinen Kindern spielt.«

»Vielleicht würde es dann noch schmerzlicher sein, ihm als König mißtrauen zu müssen,« erwiderte mein Vater. »Aber schwerlich wäre es dadurch leichter geworden, ihm zu trauen.«

»Nun wohl,« sagte sie, »entweder wird die Nation in Kurzem seinen gnädigen Absichten, wie er es verdient, glauben, oder zu ihrem Schaden einsehen lernen, welchem Regenten sie mißtraut hat!«


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