Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIX.
Olivia Draytons Erinnerungen.

Den ganzen Sommer über wurden die Heere gesammelt. In unsern sieben westlichen Grafschaften, – Essex, Norfolk, Suffolk, Cambridgeshire, Lincoln, Huntingdonshire und Hertfordshire – die sieben verbündeten Grafschaften genannt, weil Herr Hampden und Herr Cromwell ein Bündniß zu gegenseitiger Vertheidigung zwischen ihnen zu Stande gebracht hatten – kamen der Musterungsbefehl des Königs und die Verordnung des Parlaments zur Bildung einer Landmiliz weniger in Streit als an andern Orten. Im August bemächtigte sich Herr Cromwell in Cambridge eines Magazins voller Waffen und Munition. Diese östlichen Regionen waren die festen Plätze der Puritaner, und ausgenommen da, wo einige royalistische Edelleute, wie die Davenants, ihre Untergebenen dem König zuführten, setzte das Parlament meistens seinen Willen durch. Um so mehr Grund für unsere Leute, ihr Leben zu wagen, wie Vater sagte, da ihre Familien größere Sicherheit genossen.

Da mein Vater aus alter Zeit viel militärische Erfahrung besaß, so war er sehr mit dem Einexerziren der Leute beschäftigt. Der Hof des alten Herrenhauses widerhallte von den seltsamen Klängen des Waffengeklirrs und strenger Commandoworte. Alte Waffen, deren Geschichte fast in Vergessenheit gerathen, Waffen, welche seit den Kriegen der beiden Rosen im Herrenhaus und in der Meierei an der Wand gehangen hatten, wurden hervorgeholt. Unsere modernste Waffe in Netherby, welche England gedient hatte, war ein kurzes Schwert, mit kostbarem Griff, das ein Drayton jener Zeit in der Schlacht von Bosworth-Feld geführt hatte, welcher – ein seltenes Glück in unserer Familie – auf der Seite des Siegers, unter Heinrich VII. kämpfte. Seither hatte die Reformation eine Umwälzung in der Kirche, und die Erfindung des Schießpulvers eine Umwälzung in der Kriegführung hervorgebracht; so daß anstatt der kühnen Bogenschützen, die unsere Vorfahren in's Feld geführt, von denen jeder seine Waffe besaß, die er gut zu gebrauchen verstand, mein Vater nur wenige ungeübte Tagelöhner und Diener zusammen bringen konnte, ohne Waffen und ohne andere Vorbereitung zum Kriege als der Arbeit gewohnte Hände, gesunden, zum Lernen willigen Verstand, und Herzen, die bereit waren, für die gute Sache Alles zu wagen.

Mein Vater hatte nicht die Absicht, seine eigenen Leute anzuführen. Da er in den deutschen Kriegen bei der Artillerie gedient hatte, so wurde er bald dahin, bald dorthin gerufen, wo man seines Rathes bedurfte. Roger und die Männer von Netherby, welche sich anwerben ließen, dienten von Anfang an unter Herrn Cromwells Eisenseiten, und mein Vater übernahm, als seine Beisteuer, ihre Ausrüstung, welche gleich der Infanterie Haselrigges vollständig und sehr kostspielig war. Andere Truppen zogen öfters durch Netherby, um zu Lord Brooks Purpurröcken zu stoßen, und fanden bei uns gastliche Aufnahme. Die Rothröcke des Herrn Hollis waren Londoner; Herrn Hampdens Grünröcke waren alle aus seiner Grafschaft Buckinghamshire; während das allgemeine Erkennungszeichen die orangefarbene Schärpe um den Arm war, – die Familienfarbe ihres Feldherrn, des Lord Essex. Jedes Regiment hatte sein eigenes Motto; Hampdens hieß: » Vestigia nulla retrorsum« (Keine Fußstapfen rückwärts). Dasjenige von Lord Essex: » Cave adsum« (Nimm Dich in Acht, ich bin da), gab den Cavalieren, wenn sie es beim Plündern oder auf der Flucht bemerkten, zu manchem Scherz Veranlassung. Auf der Rückseite eines jeden Banners stand das gemeinsame Motto Aller: »Gott mit uns!« die Losung für so manche Schlacht.

An Geld fehlte es nicht; die Stadt London an der Spitze zahlte im Januar 50,000 Pfund Sterling Contribution und die Compagnie der Kaufleute eine fast eben so große Summe (damals dazu bestimmt, das Blutbad in Irland zu rächen), während Herr Hampden 1000 und sein Vetter, Herr Cromwell 500 Pfund gab.

Frauen brachten ihre Ringe und Juwelen, theure alte Familienstücke von Silber wurden nicht verschont. Wir in unserm einfachen puritanischen Haushalte hatten wenig Schmuck darzubringen; aber die wenigen Kostbarkeiten, die wir besaßen, wurden hervorgeholt und nebst den silbernen Trinkbechern, die unsern Tisch vor demjenigen der Pächter rings umher auszeichneten, von Tante Dorotheens eigenen Händen zusammen gepackt und – nicht ohne Seufzer, aber ohne Zögern sammt allem Gelde, das man entbehren konnte, nach London in die Schatzkammer gesandt.

Auch Base Placidia brachte ihr »Scherflein«, wie sie es nannte; als sie hörte, daß arme Bürgerfrauen in London ihre Fingerhüte und Schnürnadeln hergegeben hatten.

»Ich bin nur eine arme Pfarrfrau,« sagte sie, »aber es freut mich, daß man auch das Wenige, was ich geben kann, annehmen will.«

Und mit diesen Worten überreichte sie die gestickten Corduanhandschuhe, deren Aufsuchen Tante Dorothea so sehr geärgert hatte.

»Es ist merkwürdig,« sagte sie, »daß ich immer behauptet habe, man wisse nie, wozu etwas in einem armen Pfarrhause dienen könne; und jetzt habe ich eine Verwendung dafür gefunden.«

»Welche Verwendung meinst Du, meine Liebe?« fragte Tante Dorothea. »Meinst Du die Soldaten des Parlaments werden in gestickten Handschuhen fechten?«

»Spanisches Leder ist theuer,« entgegnete Placidia, »und man kann ja Alles verkaufen. Ich weiß wohl, es ist nur ein kleines Scherflein; aber ein Fingerhut ist auch nicht viel. Die Parlamentssoldaten werden natürlich ebenso wenig in Fingerhüten als in Handschuhen fechten; und das Scherflein der Wittwe ward doch angenommen.«

»Es ist ein Unterschied zwischen einem Scherflein und dem ›Scherflein der Wittwe‹, meine Liebe,« sagte Tante Dorothea. »Dein ›Wittwenscherflein‹ zum Beispiel könnte wohl die Kirchenländereien und Deine Kühe in Deines Onkels Park und Wiese begreifen. Besinne Dich wohl, was Du dem Herrn zum Opfer bringen willst. Er nimmt uns zuweilen beim Wort. Und es gibt Plünderer genug im Lande, welche die Scherflein der Leute, Wittwenscherflein und andere, auf ihre eigene Weise schätzen.«

Allein Placidia, die nie in Verlegenheit zu bringen war, sagte:

»Tante Dorothea! Herr Nicholls und ich betrachten die Kirchenländereien als ein heiliges uns anvertrautes Pfand, von dem wir nicht das kleinste Theilchen abtreten dürfen. Und was die Kühe betrifft, die mir Onkel Drayton geschenkt hat, so begreife ich nicht, wie Du mich einer solchen Undankbarkeit für fähig halten kannst, sie irgend Jemand zu geben.«

»Das habe ich auch nicht erwartet, meine Liebe,« erwiderte Tante Dorothea ruhig. »Welchen Zettel soll ich Deinen Corduanhandschuhen anhängen? Doch wohl nicht ›ein Pfarrersscherflein‹; man könnte sich irren und glauben, es sei ›seine ganze Nahrung.‹ Ich kann es auch nicht wohl ein ›Wittwenscherflein‹ nennen.«

»Vielleicht das einer Waise, Tante Dorothea.«

»Nun wohl, meine Liebe,« versetzte Tante Dorothea, »ich denke, das Parlament wird sehr davon gerührt werden, und vielleicht überliefert sogar die Geschichte der Nachwelt Dein edelmüthiges Opfer.«

Und damit endete das kleine Gefecht.

Zum Glück für die Sache der Nation hatten die Meisten eine andere Ansicht von den darzubringenden »Scherflein« als Placidia, so daß in kurzer Zeit eine beträchtliche Armee angeworben war.

Die Flotte blieb dem Parlament treu ergeben, aufgebracht, wie einige thörichte Leute behaupten, durch das Gerücht, daß der König sie »Wasserratten« genannt habe. Eben so wohl könnte man sagen, das ganze Parlament sei fest geblieben, weil der König sie einmal mit Katzen verglichen hatte. Die Flotte hatte ihre eigenen Losungsworte, welche beißender waren als der Stachel eines bittern Scherzes. Englische Seeleute waren nicht sehr geneigt, den Versprechungen eines Monarchen zu trauen, der sie hatte verkaufen wollen, um bei der Zerstörung der tapfern, kleinen protestantischen Festung la Rochelle zu helfen.

Den ganzen Sommer hindurch wurden die Heere angeworben, und der Bruch wurde immer weiter.

Ein Vorfall im Monat Juli zeigte so deutlich wie nur immer möglich, daß der Sinn des Königs nicht geändert war, und wie »durchgängig« die Tyrannei sich in seinen Händen befestigt hätte, wenn auch Laud und Strafford, die Königin und alle bösen Rathgeber entfernt gewesen wären. Mein alter Freund, Dr. Bastwick, der Arzt, wurde von den königlichen Truppen in Worcester ergriffen, während er beschäftigt war, unter dem Grafen Stamford, der sich zurückzog, Soldaten für das Parlament zu werben. Nur mit der größten Mühe hielt einer der Richter den König ab, ihn auf der Stelle hängen zu lassen, obgleich gar kein Grund vorhanden war, ihn mit solch ungewöhnlicher Strenge zu bestrafen, als der Umstand, daß er schon durch die Grausamkeit der Sternkammer gegeißelt, an Pranger gestellt und verstümmelt worden war.

Das gerechte Mißtrauen, welches solche Beweise von der wahren Gesinnung des Königs erweckten, kam ihn theurer zu stehen als manche verlorene Schlacht.

Sie trugen dazu bei, zu solchem Widerstande zu entflammen, wie derjenige, welchen wenige Wochen später die tapfern Bürger von Coventry bewiesen, als sie, ohne Garnison, ohne Artillerie, ohne andere Verteidigung als ihre alten, schwachen Mauern, ihre Thore dem Könige vor der Nase zuschlossen, den königlichen Truppen Trotz boten, und, nachdem die Artillerie eine Bresche in die alten, schwankenden Mauern gemacht, die Straßen mit Karren verbarrikadirten, worauf sie einen Ausfall unternahmen, die vordersten Reihen besiegten, die Geschütze eroberten und gegen die Belagerer richteten und sie zuletzt zwangen, unverrichteter Sache umzukehren.

Allein vor Allem war es Prinz Ruprecht, »der Prinz Räuber,« welcher das Herz des Volkes dem Könige, der ein solches Werkzeug gebrauchen mochte, abwendig machte. In der grausamen Schule der Pfälzerkriege erzogen, hatte er die schrecklichen Lehren ganz verkehrt aufgefaßt, indem er statt Mitleid mit den unglücklichen Unterthanen seines Vaters zu fühlen, sich an rohe Gleichgültigkeit bei den Leiden des Volkes gewöhnt hatte. Hunderte von eingeäscherten Dörfern und geplünderten Pachthöfen, wohin keine Beschwerde oder Erklärung des Parlaments gedrungen wäre, kamen durch ihn zur Ueberzeugung, daß der König sein Volk nicht als eine Herde ansah, die er pflichtgemäß zu weiden habe, sondern als einen bloßen Viehstand auf einem Gute, den man hält, so lang er einträglich und leicht zu behandeln ist, und den man jeder andern Art der Bewirtschaftung opfert, welche weniger Mühe und mehr Profit bringt.

» Denen die Schafe nicht eigen sind.« Diese Worte waren in die Asche jedes Hauses geschrieben, das Prinz Ruprecht im Dienste des Königs zerstört hatte.

Welch ein Kontrast zwischen dieser Rohheit und den genau befolgten Befehlen, die das Parlament dem Lord Essex ertheilt hatte. »Ihr sollt Eure Soldaten von aller Gottlosigkeit, Unheiligkeit, Unordnung, Gewalt, Frechheit sorgfältig zurückhalten, sowohl durch augenblickliche und strenge Bestrafung solcher Vergehen, als durch alle andern Mittel, welche Eure Weisheit für gut finden wird.«

Und so kam uns der Gedanke ganz natürlich, daß wer auch der wahre Hirte und König des Volks sein möchte, es wohl schwerlich derjenige sein könnte, der den Wolf zum Hüter der Herde einsetzte.

Diese Ueberzeugung brach sich langsam und mit Widerstreben Bahn bei der Nation; diejenigen, welche auf das durch seinen Tod verklärte Leben des Königs zurückblicken, wissen gar nicht, wie langsam und widerstrebend. Wie gerne hätten wir ihm trauen mögen, wenn er es nur gestattet hätte! Immer und immer wieder machte die Nation den Versuch und mußte ihn nur zu theuer bezahlen, ehe sie glauben konnte, daß es vergeblich sei. Noch war es zu keiner Schlacht gekommen. Der Graf von Essex, welcher dem Prinzen von Worcester aus nachgezogen war, verweilte dort drei Wochen, ohne etwas zu unternehmen. Seit fast einhundert und siebzig Jahren war keine eigentliche Schlacht vorgefallen bis zum Sonntag, den 23. Oktober 1642.

Da kam der erste schreckliche Stoß. Jenen ganzen Sonntag Nachmittag kämpften unsere Landsleute, die Gatten und Brüder, Väter und Söhne der in den stillen Dörfern zurückgebliebenen Frauen und Kinder, den verzweiflungsvollen Kampf um Leben und Tod, bis endlich des Nachts viertausend Engländer todt an den Abhängen von Edgehill dalagen, oder in den umliegenden Dörfern, – die Tags zuvor noch so still und friedlich waren wie das unsrige – an den empfangenen Wunden starben.

Gar wohl erinnere ich mich, daß an jenem Sonntage eine ganz eigenthümliche Stille in Netherby herrschte. So viele der Männer waren in den Krieg gezogen. Roger war schon lange fort, und mein Vater war vor einigen Tagen zu Lord Essex nach Worcester gereist. Der Hirte Bob war der einzige Mann in unserem ganzen Hause. Die Kirche war ganz verlassen; der Kirchenstuhl des Schlosses blieb leer. Kaum war bei den Responsorien und Psalmen eine männliche Stimme vernehmbar. Auf den Bänken im Dorfe hatten einige alte Männer ein ungewohntes Monopol für das Gespräch, und die nur einigermaßen der Männlichkeit sich nähernden Burschen schritten schwerfällig und in dem neuen Gefühle ihrer Wichtigkeit einher.

Eines fragte das Andere nach Neuigkeiten. Allein man wußte keine, ausgenommen unbestimmte Gerüchte von geheimnißvollen Märschen und Contremärschen der Truppen, deren Zweck Niemand von uns kannte, oder das Echo irgend eines von Prinz Ruprecht unternommenen, entfernten Raubzuges. Eine träumerische Stille herrschte rings umher. Nur Tibs Stimme drang von der Küche herauf, wo sie mit irgend einer nothwendigen Sonntagsarbeit beschäftigt war und den Psalm summte, den wir beim Morgengottesdienst gesungen hatten. Von der Anhöhe, auf welcher das Haus stand, (welche uns eine so weite Aussicht über die Ebene gewährte, die ich sonst überall vermisse) sah ich in ziemlicher Entfernung die Viehherde im Marschgrunde weiden, ohne das Geläute ihrer Glocken oder ihre Stimme vernehmen zu können. Auf den zunächst gelegenen Feldern war die Ernte bereits vorüber, so daß kein Rauschen des Windes zu hören war. Das Land lag halb schlummernd in seiner Herbstruhe da, wie Leo, der treue Hund Rogers, in seinem Nachmittagsschläfchen auf der untern Terrasse. Allein ich wußte nicht, warum mir eine gewisse ahnungsvolle Erwartung in dieser Stille zu liegen schien. Mir war als ob ein Lauschen und Warten die Ruhe des Landes durchzucke in ähnlicher Weise, wie Leo in seinem Schlummer beunruhigt war, der bei dem leisesten Ton zusammenschrak und vergebens auf Rogers Stimme lauschte, die ihn gewöhnlich um diese Stunde zu einem Gang durch die Felder aufzurufen pflegte.

Dieses Gefühl bemächtigte sich meiner immer mehr, bis mir die Stille nicht mehr wie die Erholung nach vollbrachter Arbeit vorkam, sondern als die Stille, welche einem Sturme vorangeht. Es war mir, als fühlte ich die athemlose Stille vieler tausend angstvoll klopfender Herzen.

Nun dachte ich an Rahel Forster in ihrem einsamen Hause. Es that mir wohl aufzustehen und sogleich zu ihr zu gehen. Ihre Thüre stand offen. Sie saß vor ihrer alten Bibel; allein sie las nicht, obgleich dieselbe aufgeschlagen war. Sie hatte ihre Hände über den Knieen gefaltet. Dieselbe Ruhe, welche über der ganzen Gegend lag, war auf ihrem Gesicht zu lesen. Aber darin war etwas, das mich beruhigte. Ihre Ruhe schien mir eine bewußte und siegreiche zu sein, keine träumerische, jeden Augenblick mit schrecklichem Erwachen drohende.

Ich sagte ihr, welche Unruhe mich gequält habe.

»Ist das zu verwundern, Fräulein Olivia?« sagte sie. »Wissen wir nicht, wofür wir unsre Lieben vielleicht hergeben müssen?«

»Ich weiß kaum, ob es Gebet ist, Fräulein Olivia. Ich flüchte mich nur zu dem Felsen, der höher ist als ich, und nehme Alles, was mir theuer ist, mit dorthin und bleibe dort. Ich krieche nur zum Fuße des Kreuzes und umklammere es.«

»Ihr ahnt also, daß etwas Schreckliches kommen wird, Rahel?« fragte ich.

»Ich weiß, daß etwas Schreckliches kommen muß,« erwiderte sie mit einer mehr von Begeisterung als Angst zitternden Stimme. »Heute oder morgen, oder an einem andern Tage. Denn der Tag der Rache ist vorhanden, und das Jahr die Seinen zu erlösen ist gekommen.«

»Ach, Rahel,« sagte ich, »mir ist's nicht möglich, so still zu ruhen wie Ihr. Ich bedarf der Worte, der Fürbitte für Roger, für meinen Vater und Hiob, und auch für die frommen Männer, welche, wenn es zur Schlacht kömmt, für die ungerechte Sache sterben, und für den König, der Alles wieder in's rechte Geleise bringen könnte, wenn er nur aufrichtig sein wollte.«

Nun kniete sie nieder und betete in kurzen, glühenden Worten, wie in den Gebeten in der Bibel.

»Fühlt Ihr Euch nicht zu einsam hier, Rahel?« fragte ich beim Weggehen. »Warum kommt Ihr nicht zu uns herauf? Eure Gegenwart wäre für mich wie eine starke Mauer und Festung.«

»Ich fühle mich hier weniger einsam, Fräulein Olivia. Hiob hat vor seinem Weggehen so manche kleine Vorrichtung getroffen, um mir Mühe zu ersparen. Ueberall sehe ich seiner Hände Arbeit: der Haufen gespaltenes Holz in der Nähe des Herdes, und die kleine Röhre, welche das Wasser bis vor meine Thüre leitet. Es würde aussehen, als ob ich mir nichts aus seiner Arbeit machte, wenn ich sie nicht benützte. Ueberdies,« setzte sie hinzu, »pflegten ein Paar arme, geprüfte Leute zu Hiob zu kommen, um bei ihm ein Wort des Trostes und hin und wieder ein wenig Beistand zu finden, und jetzt kommen einige von ihnen zu mir. Und um die ganze Welt möchte ich sie nicht im Stiche lassen.«

Als ich mich von ihr verabschiedet hatte und auf dem Heimwege an sie dachte, kam mir auf einmal das herrliche Gefühl, welche Kraft darin liegt auf Gott zu warten, und wie der Schwächste, der sich auf Ihn lehnt, nicht nur gestützt wird, sondern auch Kraft erhält, Andere zu stützen.

Als ich ausging, um Rahel zu besuchen, war mir in meiner Angst um das Leben meiner Geliebten, das ich nicht zu behüten vermochte, die ganze Erde wie ein verrätherischer schwankender Grund in unsern Mooren vorgekommen, der im Begriff ist zu versinken und uns unter der Last unserer eilenden Fußtritte zu begraben.

Während ich zurückkehrte, war mir die Welt, obgleich an sich noch so unsicher und vergänglich als je, doch wieder ein fester Pfad geworden; denn darunter lag der feste Grund einer allmächtigen Liebe, von der ein einziges Wort mächtiger und dauernder ist, als alle Welten.

So sangen wir denn unser Abendlied und schliefen ruhig in Netherby, nichts ahnend von den viertausend bleichen, starren Leichnamen, welche auf dem blutigen Schlachtfelde bei Edgehill umherlagen, während Lord Essex auf dem stillen Schlachtfeld übernachtete und die Wachtfeuer des Königs auf dem Hügel angezündet waren, wo er am Morgen den Kampf begonnen hatte, ohne daß eines der beiden Heere einen Vortheil errungen hätte, indeß viertausend Menschen das Leben verloren.

Wenn man irgend ein Leben »verloren« nennen kann, das der Pflicht geopfert und von Gott abgerufen worden!

In unserer Sprache reden wir von Menschenleben, die auf Schlachtfeldern verloren gingen; vielleicht reden die Engel in ihrer Sprache von Leben, die in zu bequemer und üppiger Häuslichkeit verloren gehen.


 << zurück weiter >>