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XXVII.
Olivia's Erinnerungen.

Gegen Ende Juli erhielten wir folgenden Brief von Roger:

 

» Marston-Moor, den 3. Juli. – An meine liebe Schwester, Fräulein Olivia Drayton. – Auf dem Schlachtfelde. Ein nach Süden reisender Bote wird diese Zeilen mitnehmen.

»Gott sei Dank, daß wir heute hier sind. Und der Feind ist nicht hier, sondern flieht zur Rechten und zur Linken über Moore und Berge. Ein solcher Sieg ist uns noch nie zuvor geschenkt worden.

»Gestern, den 2. Juli, machten wir uns bereit, die Gegend zu verlassen, Lord Manchester, General Leslie und General Cromwell.

»Prinz Ruprecht hatte York, das wir belagerten, wacker mit Vorräthen versorgt; allein die Feldherren dachten nicht, daß er einen Angriff auf unsere vereinten Streitkräfte wagen werde.

»Als wir jedoch eben recht in Marschordnung waren, überfiel er unsern Nachtrab. Wir brauchten bis drei Uhr Nachmittags, das Heer zu wenden, den Feind von vorn anzugreifen und uns die Stellung, welche wir haben wollten, zu sichern. Es ist hier ein Kornfeld mit einem Graben davor, wo die Todten bezeugen, wie hart wir zu kämpfen hatten.

»Um drei Uhr gab Prinz Ruprecht den Schlachtruf: ›Für Gott und den König;‹ und wir den unsrigen: ›Gott mit uns.‹ Von drei bis fünf schossen wir auf einander mit Kanonen, doch mit wenig Erfolg auf beiden Seiten. Dann trat eine zweistündige Pause ein, während welcher wir einander still gegenüber standen. So still als dies sein konnte, wo so viele Verwundete da lagen, und so viele ängstlich erwarteten, in's Jenseits abgerufen zu werden, während die Uebrigen auf den Befehl zum Angriff harrten. Endlich um sieben Uhr kam er.

»Unser Fußvolk, von Lord Manchester angeführt, setzte über den Graben vor jenem Kornfelde, um welches sie so heftig gekämpft hatten. So viel war Allen klar. Das Uebrige wissen wir nur durch die Vergleichung dessen was wir thaten, mit dem was nachher gethan war. Denn unmittelbar auf den Angriff des Fußvolks folgte derjenige der Reiterei. Der linke Flügel der königlichen Armee, der unserer Rechten gegenüberstand, warf sie um ein Haar und schlug Lord Manchester, Lord Fairfax und den alten Veteranen Leslie aus dem Felde. Unterdessen griff unsere Linke – das heißt wir Eisenseiten mit unserm General – die rechte Seite des königlichen Heeres an. Wir wurden nicht geschlagen. Ich glaube fest, wir gaben ihm keine Ursache, sich unser zu schämen. Aber der Kampf war überall heiß. Nachdem wir unsere Pistolen abgefeuert hatten, warfen wir sie weg und fielen den Feind mit den Schwertern an. Nun kam der ärgste Zusammenstoß, wie von zwei gegen einander anprallenden Meeren, ein Kampf Mann gegen Mann, wobei nur Wenige wußten, welchen Fortgang die Schlacht an andern Stellen hatte, bis wir endlich fanden, daß die ganze Fronte der Schlacht umgekehrt war, indem jeder siegreiche Flügel während des Gefechts sich gewendet hatte und nun an derselben Stelle sich befand, wo zuvor der Feind gestanden hatte. Nun rückten General Cromwells und General Leslie's Reserven vor, trieben Prinz Ruprecht und seine Plünderer in wilde Flucht bei einbrechender Dunkelheit und entschieden den Tag. Es war das erste Mal, daß der Prinz mit seiner Schaar den Eisenseiten gegenüber stand. Im Fliehen fiel ihre zerstreute Reiterei auf ihr gleichfalls geschlagenes und fliehendes Fußvolk, während wir hinter ihnen her waren bis eine Meile vor York. Waffen, Munition, Bagage, Fahnen, Alles warfen sie in toller Angst von sich. Bis eine Meile vor York verfolgten wir sie, dann kehrten wir um und schliefen auf dem Schlachtfelde.

»Da trat abermals eine Stille ein, Olivia; doch nicht wie die vorige, in Erwartung einer neuen Schlacht, sondern da unsere Arbeit vollbracht war und viertausend Todte rings umher zu begraben waren.

»Hiob Forster ist in Sicherheit und läßt Dich bitten, Rahel zu sagen, daß der Herr Israel endlich einen Richter gesandt habe und nun Alles gut gehen müsse.

»Er begleitete die ganze Nacht hindurch Dr. Antonius, um den Verwundeten und Sterbenden Hülfe und Trost zu bringen.

»Als ich erwachte, beschien die Morgensonne schon das Feld und ich wunderte mich, wie ich, von solchen Scenen und Tönen umringt, die ganze Nacht hatte schlafen können. Aber Gott sei Dank, daß es geschah; denn es gibt noch mehr zu thun. York muß genommen werden.

»Sage Rahel, daß ich meine militärische Autorität gebrauchte, um Hiob zu bewegen, sich an meiner Stelle niederzulegen, während ich mit Dr. Antonius die Runde machte. Zuerst schwankte er. Allein ich sagte: »Der General ist sehr ungehalten über Jeden von uns, der seine Waffen oder Pulver vernachlässigt. Und für den Leib muß eben so wohl gesorgt werden, wie für das Pulver.« Darauf hin legte er sich, in meinen Mantel gehüllt, nieder und in einer Minute schlief er so fest, daß höchstens eine Kanonade ihn zu wecken vermocht hätte.

» NB. Zwei junge Davenants, fast noch Knaben, fochten tapfer nur wenige Schritte von mir entfernt.

»Gott gebe, daß wir gestern dem Frieden um einen Schritt näher gerückt seien.«

 

Vierzehn Tage darauf kam ein neuer Brief. Er lautete:

» York den 15. Juli. – York hat sich ergeben. Der Norden ist unser. So eben komme ich von einem Danksagungsfest aus dem Münster zurück. Das herrlichste Orgelspiel, sollt' ich meinen, könnte nicht feierlicher durch die alterthümlichen Gewölbe geschallt haben, als der von mehreren tausend rauhen Kriegerstimmen gesungene Psalm. König David war ein Krieger und verstand es, Psalmen zu dichten, wie der Soldat sie bedarf. Auch glaube ich nicht, daß das alte Münster oft eine ernstere und andächtigere Versammlung gesehen hat. Wenn Einige von der Cavalierspartei zugegen gewesen wären, hätten sie schwerlich mehr sagen können, es fehle unserer puritanischen Religion an Feierlichkeit. Unsere Feierlichkeiten beginnen freilich im Innern; allein keine Musik gleicht der, welche unserer Andacht in der That entströmt, wenn sie aus der Tiefe bis zum Ueberfließen sich erhoben hat.«

 

Für Roger schien, wie für Jeden, der von dem Sonnenwagen getragen wird, die ganze Welt voll Licht. Uns jedoch in den Moorgegenden, schienen die Dinge immer mehr aus der Dämmerung in Nacht überzugehen. Noch war kaum etwas mehr als ein Monat vorüber seit dem Empfang jenes Briefes, worin uns Roger die Uebergabe der Stadt York mittheilte, als Nachrichten anlangten, welche in unsern Augen die errungenen Vortheile mehr als aufwogen.

Die königliche Briefpost, welche man vor nicht sehr langer Zeit auf der großen Landstraße nach Norden zwischen London und Edinburg und südwärts zwischen London und Plymouth eingerichtet hatte, war während des Krieges unterbrochen worden. Netherby lag an der Linie einer der neuesten Zweigposten, und wir vermißten zuerst den angenehmen Klang des Hornes, welches der Postillon außer an den Poststationen noch viermal in der Stunde blasen mußte.

Anfangs freute sich Tante Dorothea darüber. Sie hatte oft gesagt, es sei eine ärgerliche Beeinträchtigung der Freiheit der Unterthanen, daß wir gezwungen werden sollten, unsere Briefe durch königliche Boten bestellen zu lassen, anstatt durch eigene, von uns selbst gewählte Ueberbringer. Und überdies fand sie es entwürdigend für Seine Majestät, sich so zu erniedrigen und für jeden Brief sich ein Paar Pfennige bezahlen zu lassen. Allein die wenigen Monate, in welchen wir wieder auf die alte Weise der Privatbestellung angewiesen waren, mit all ihrer Unsicherheit und bangen Erwartung, ließ sie den öffentlichen Postdienst als eine große Wohlthat begrüßen, sobald derselbe von der republikanischen Regierung wieder eingesetzt wurde.

Durch Dr. Antonius hörten wir daher zuerst die Kunde von der Flucht des Lord Essex aus Fowey und den Ruin des ganzen Heeres.

Dies geschah erst im November.

Er brachte zwei Briefe, einen von meinem Vater und einen von Roger. Vater war traurig und Roger entrüstet. Beide sprachen von Uneinigkeit zwischen den Stützen des Parlaments. Sie waren zu verschiedenen Zeiten geschrieben, wurden aber durch Dr. Antonius, als der ersten sichern Gelegenheit, zugleich überbracht. – Der erste Brief war von Roger, vom Ende Septembers datirt und enthielt die Nachricht, daß das Fußvolk unter Lord Essex sich dem Feind ergeben hatte. Es hieß darin:

 

»Marston-Moor mit den vier Tausenden, welche dort gefallen sind, war, wie es scheint, doch kein Schritt dem Ende zu. Alles, was wir dort gewonnen, wird durch die Unschlüssigkeit der Adeligen, welche fürchten, zu viel zu erreichen, wieder verloren; und alte Soldaten wollen keinen Finger anders rühren, als es vor hundert Jahren der Brauch war; als ob es, wenn der Krieg einmal begonnen hat, keinen andern Weg zum Frieden gäbe, als durch das Verderben der einen Partei, nicht zu reden von dem Ruin beider; als ob ein zögernder Krieg schon eine Art halben Friedens wäre, anstatt, was er in der Wirklichkeit ist, der schlimmste aller Kriege, der an tausend Stellen die Adern der Nation öffnet, woran sie sich langsam zu Tode blutet. Dem General-Lieutenant Cromwell geht der traurige Zustand unserer Westarmee tief zu Herzen. ›Wenn wir Flügel hätten,‹ sagt er, ›so wollten wir unverzüglich dahin fliegen!‹ Und Schwingen stehen ihm in der That zu Gebote in den Herzen seiner Leute, die, wie er sagt, ›nie so frohen Muthes sind, als wenn Arbeit für sie da ist.‹ Allein es gibt Menschen, die es sich zur Hauptaufgabe machen, diese Flügel zu stutzen, damit unsere Angelegenheiten nicht zu schnell vorwärts gehen. Der General sagt, wenn wir Alle weniger unsere eigenen Zwecke und unsere Annehmlichkeit bedächten, so würde es in unserer Armee wie auf Rädern von Statten gehen! Ja, stünde er an der Spitze der Geschäfte, dann würde es uns, meiner Treu, nicht an Rädern und Schwingen gebrechen!«

 

Der zweite Brief war von meinem Vater Anfang Novembers geschrieben, nach der zweiten Schlacht bei Newbury, welche den 27. Oktober geliefert wurde. Es hieß darin:

 

»Es ist, fürchte ich, die alte Geschichte von dem Mangel an Einheit unter uns Protestanten. Die Leute scheinen nicht begreifen zu können, daß die einzige für uns mögliche kirchliche Einheit, da nun einmal die militärische Einheit der römischen Kirche gebrochen ist, nur in der Einheit eines Reiches wie Großbritannien bestehen kann, mit verschiedenen Racen und lokalen Constitutionen unter Einem Herrscher, oder in der Einheit einer Schaar erwachsener Kinder, die einem Vater freiwilligen Gehorsam leisten.

»Wenn Lutheraner und Calvinisten in den Hauptpunkten, in welchen sie wirklich übereinstimmen, die kleineren Unterschiede hätten verschwinden lassen, so wäre höchst wahrscheinlich der furchtbare Krieg, der noch immer an dem Leben Deutschlands nagt, nie ausgebrochen. Wenn jetzt Prälatisten, Presbyterianer und Independenten einander Freiheit gönnen wollten, so könnte unser Krieg bald ein Ende nehmen. Allein so lange die Prälatisten die Macht in Händen hatten, wollten sie lieber die Nation sich zerreissen lassen, als die Presbyterianer dulden. Und nun, da die Presbyterianer die Macht zu haben glauben, so wollten sie lieber Alles, was wir gewonnen, wieder verlieren, als sich mit den Independenten vertragen; während vielleicht das einzige Verdienst der Independenten und Anabaptisten darin besteht, daß sie noch nie mächtig genug waren, um Andere zu verfolgen. Ich sehe nicht ein, wohin dies Alles führen soll.

»Wir haben in Cornwallis ein Heer verloren; allein das ist noch nicht das Schlimmste. Mir scheint beinahe, als ob Manche unter uns nicht mehr recht wüßten, wofür wir kämpfen. Dieser Sieg bei Newbury zeigt unsere Schwäche noch deutlicher, als die Niederlage bei Fowey. Lord Manchester will den König nicht verfolgen, aus Furcht, unser letztes Heer zu verlieren, in welchem Falle, wie er sagt, Seine Majestät uns Alle aufhängen ließe. Als ob wir nicht von Anfang an Block und Galgen zu erwarten gehabt hätten, im Fall des Unterliegens. In Folge von Mißhelligkeiten zwischen ihm und Sir William Waller schlug der vereinte Angriff auf Oxford fehl; elf Tage nach unserm Siege bei Newbury gestattete man den Truppen Seiner Majestät Angesichts unserer siegreichen, aber unthätig daliegenden Armee, ihre Artillerie von Donnington-Castle zurückzuziehen.

»Unter dem Heere herrscht gränzenlose Entrüstung. Allein alle kleineren Spaltungen lassen sich leicht auf die zwei großen Parteien der Presbyterianer und Independenten zurückführen, indem General-Lieutenant Cromwell an das Parlament eine Beschwerde gegen Lord Manchester richtete, während dieser mit Lord Essex, Hollis und den schottischen Commissären darauf ausgeht, den General Cromwell zu unterdrücken.

»Dieser Streit stammt nicht erst von gestern her. Die Affaire von Donnington-Castle hat nur den Zunder angesteckt. Er schreibt sich noch von der ersten Sitzung der Westminster-Versammlung her, wo die Presbyterianer, nicht zufrieden, die Einkünfte der Kirche zu verschlingen, die man ihnen auch gewährt hätte, von dem Magistrat verlangten, daß derselbe Alle in's Gefängniß werfe, welche von ihnen excommunicirt wurden, und ihre Güter confiscire. ›Duldung,‹ sagte einer der Presbyterianer, ›wird ein Chaos, ein Babel, ein zweites Amsterdam, ein Sodom, ein Egypten, ein Babylon aus dem Reiche machen. Duldung ist das Hauptwerk des Teufels, sein Meisterstück und vorzüglichstes Werkzeug, um sein wankendes Reich zu stützen. Es ist das kürzeste und sicherste Mittel alle Religion zu zerstören, Alles zu verwüsten und alles Böse herbeizuführen. Wie die Erbsünde die Grundsünde ist und den Keim und die Brut aller Sünde in sich trägt, so begreift die Toleranz alle Irrthümer und Uebel in sich.‹ Sie nennen die ›Toleranz‹ die große Diana der Independenten! Allein es fällt Niemand ein, die Toleranz weiter als auf die orthodoxen protestantischen Secten ausdehnen zu wollen. Diese Zwistigkeiten machen Manche von uns zweifelhaft, wofür wir eigentlich kämpfen. Es verlohnte sich kaum, so viel Blut zu vergießen, um an die Stelle eines einzigen Pabstes in Lambeth, hundertundzwanzig Päbste in Westminster einzusetzen. Es sind goldene Worte, welche General Cromwell gesprochen hat: ›Alle Gläubigen haben in dem Einen Leibe und in ihrem Verhältniß zu dem Einen Haupte die wahre Einheit, die darum äußerst herrlich ist, weil sie innerlich und geistig ist. Um auch die Einheit in den Formen zu befördern, wird jeder Christ um des Friedens willen sich befleißigen, so viel zu thun, als das Gewissen ihm gestattet. Und für Brüder suchen wir in geistlichen Dingen keinen andern Zwang, als den der Aufklärung und Vernunft!‹«

 

»Was will mein Bruder damit sagen, Herr Antonius?« fragte Tante Dorothea, als sie an diese Stelle kam. »Und was versteht General Cromwell unter den Ausdrücken: ›Keinen Zwang!‹ und ›Aufklärung und Vernunft?‹ Höchst gefährliche Worte! Eine Versammlung gottseliger Theologen zu Westminster um Alles festzustellen! Das ist's ja gerade, wofür wir gekämpft haben. Nicht für Unordnung; nicht damit jeder Mensch glauben und thun könne, was er für Recht hält, sondern damit diejenigen, welche den rechten Glauben haben, die Andern, welche Falsches glauben, belehren oder zum Schweigen bringen können. ›Aufklärung und Vernunft,‹ fürwahr, das Geschrei aller Ketzer von Anbeginn! Ei, die Vernunft ist ja eben die Quelle jedes Irrthums. Und Aufklärung ist's gerade, was wir brauchen, was die Westminster-Versammlung uns verschafft, und wenn sie eben das Licht angezündet und auf den Leuchter gesteckt hat, wie eine Stadt auf dem Berge, meint dann Herr Cromwell, man sollte jedem Kesselflicker und Schneider erlauben, statt dessen sein eigenes Pfennigkerzchen anzuzünden und das Volk in die Wüste hinauszuführen, wohin es ihm beliebt?«

Hierauf erwiderte Dr. Antonius:

»Vor sechszehnhundert Jahren wurde ein großes Licht angezündet und auf einem Trauerhügel aufgepflanzt. Aber es hat nur die Herzen derjenigen erleuchtet, welche es anschauen wollten. Und wenn die Sonne jene elenden Pfennigkerzchen nicht auslöscht, so wird es uns schwer fallen dies mit unsern Fingern zu thun, Fräulein Dorothea.«

»Nun wohl,« sagte Tante Dorothea; »ich sehe wahrlich nicht ein, wo noch Alles hinaus soll.«

Selbst Tante Gretchen bemerkte:

»Daß Independenten und Presbyterianer sich einigen sollten, möchte wohl noch leicht genug möglich sein. Aber bei Lutheranern und Reformirten wäre dies eine ganz andere Sache. In der zukünftigen Welt – nun ja, da mag es wohl zu hoffen sein, allein in der jetzigen schwerlich. Mein lieber Schwager ist einer der weisesten Männer. Aber man kann nicht erwarten, daß selbst die klügsten Engländer die religiösen Streitigkeiten Deutschlands ganz ergründen.«

Keiner träumte von Duldung gegen Papisten, Ungläubige oder Quäker. Den Unglauben schrieben alle direkt dem Teufel zu, natürlich konnte kein Christ den Teufel oder seine Werke dulden. Die Papisten hatten, wie sich die ältern Leute unter uns noch wohl erinnerten, in der Armada, welche Gott durch Stürme zerstreut, Ketten gesandt, uns zu fesseln, und Reisig, uns zu verbrennen. In Frankreich hatten sie mit kaltem Blute in dem Gemetzel, das mit der Bartholomäusnacht begann, hunderttausend unserer Glaubensbrüder gemordet. Sie hatten zu unserer Zeit in Irland die Unsrigen zu Zehntausenden hingeschlachtet. Und noch immer fuhren sie auf dem Festlande von Europa fort, unsere Brüder zu fesseln, zu verbrennen, zu foltern und auf die Galeeren zu schleifen. Nicht als Ketzer, sondern als Rebellen mußten sie unterdrückt werden. Und was die Quäker anbelangte, so standen sie im Gerücht, Anfällen unterworfen zu sein, in welchen sie, zum großen Aergerniß nüchtern denkender Menschen, keine Kleider tragen wollten; auch waren vermuthlich viele von ihnen mondsüchtig. Solche Leute sollten natürlich nicht verbrannt, aber jedenfalls bekleidet und wo möglich zum Schweigen gebracht werden, bis sie zur Vernunft gekommen wären.

Der dritte Brief, den uns Dr. Antonius brachte, war von Hiob Forster. Ich begleitete Dr. Antonius zu Rahel, als er ihn ihr überbrachte. Hiob sprach darin auf eine Weise von Rogers Muth und Frömmigkeit, die mein Herz höher klopfen machte.

»Junker Roger ficht löwenartig, wie ein Mann aus Juda,« schrieb Hiob, »und befiehlt wie einer der mächtigsten Fürsten. Und zu andern Zeiten kann er einen verwundeten Freund oder Feind pflegen und den Sterbenden fast so fromm und tröstlich zusprechen wie Du, Rahel.«

Hiobs Brief trug nicht im Mindesten den Stempel der Besorgniß oder der Muthlosigkeit. Er genoß den Vortheil derer, die in Reihe und Glied stehen. Er sah nur die Reihe und den Schritt unmittelbar vor ihm; er hörte nicht den Streit der Befehlshaber, sondern nur das Commandowort. »Ich glaube,« sagte er am Schlusse, »wir sind jetzt bei 1 Samuelis XXIII, 14, angekommen. Vor einiger Zeit waren wir noch in 1 Samuelis XXII, 1 in der Höhle Adullam. »Und es versammelten sich zu ihm allerlei Männer, die in Noth und Schuld und betrübten Herzens waren.« Aber das ist nun vorbei. Der General selbst sagt: »Ich habe eine liebliche Schaar, ehrliche, nüchterne Christen; Ihr müßtet sie achten, wenn Ihr mit ihnen bekannt wäret.« Und in Achtung stehen wir, wenigstens bei dem Feinde. Jetzt ist David (das heißt General Cromwell) in Kegila. Und er befragte den Herrn: »Werden die Bürger zu Kegila mich und meine Männer überantworten in die Hände Sauls?« Der Herr sprach; »Ja,« aber » Gott gab ihn nicht in seine Hände.« Das Uebrige wird auch in Erfüllung gehen, wenn es Zeit ist.

Hiob erwähnte auch »den jungen Edelmann, den Wundarzt.« »Er ist,« schrieb er, »so tapfer wie der Besten einer. Denn ich halte es für schwerer, mitten im Kugelregen zu stehen, um die Verwundeten zu verbinden und fortzuschaffen, als zu fechten. Es ist immer schwieriger, dem Feuer Stand zu halten, als anzugreifen. Und es ist schwerer, Tag und Nacht arme, jammernde Leidende zu pflegen, als selbst Schmerzen zu ertragen. Das heißt, wenn man ein Herz hat. Und das fehlt diesem Doktor gewiß nicht. Aber jeder Mensch hat seinen Beruf, und Dr. Antonius hat den seinen direkt aus dem Hauptquartier vermuthe ich.«

Was mir in diesen Worten Hiobs sonderbarer Weise am meisten auffiel, war, daß er Dr. Antonius »jung« nannte. Nun wurde ich zum ersten Male neugierig, wie alt er wohl sein mochte; und während wir zusammen nach Hause gingen, schaute ich nach ihm, um es zu errathen. Ich hatte ihn stets als den Freund meines Vaters und daher als einer frühern Generation angehörig betrachtet. Ueberdies trug er den Doktorhut, und ein Arzt gilt stets ex officio für eine ältere Person. Als ich jedoch sein Gesicht betrachtete, fand ich sicher nichts Altes daran. Seine Haltung war aufrecht und ungezwungen, sein Haar war rabenschwarz, ohne im Mindesten an's Graue zu streifen; und so dunkel seine Augen auch waren, so fehlte es ihnen doch keineswegs an Feuer. Diese Untersuchung kostete mich nur einen Augenblick; aber seine Augen begegneten den meinen, und es schien, als ob er meine Gedanken halb erriethe; denn er sagte:

»Sie wunderten sich, wie Hiob von dem Muthe eines Wundarztes reden konnte?«

»Durchaus nicht,« erwiderte ich etwas verwirrt. »Ich dachte nur darüber nach, woher es kam, daß Sie stets der Freund meines Vaters anstatt der unsrige waren.«

»War ich nicht der Ihrige?« versetzte er halb lächelnd.

»O doch, natürlich,« sagte ich; »eines Jeden von uns.«

»Eines Jeden, Fräulein Olivia,« sagte er fragend, »nur nicht der Ihrige?«

»Der meine auch, natürlich,« erwiderte ich, mich immer verwirrter fühlend, »und aller Andern.«

»Ich danke Ihnen,« sagte er ernst; »ich wäre mit dem Tausche nicht zufrieden gewesen.«

»Doktor Antonius,« sagte ich eilig, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, »halten Sie es auf einem Schlachtfelde für leichter zu fechten, als Wundarzt zu sein?«

»Für mich wäre es wahrscheinlich leichter,« entgegnete er. »Fechten liegt in unserm Blute. Mein Großvater war ein Soldat und focht in den französischen Religionskriegen. Er wurde mit Coligny in der Bartholomäusnacht ermordet. Mein Vater, der damals noch ein Kind war, wurde ergriffen, getauft und in einem katholischen Seminar erzogen. Allein er entkam mit Gefahr seines Lebens nach England. Wir haben in Frankreich Religionskriege genug gehabt. Ich hielt es für einen schönern Beruf, den Bedrängten, so gut ich kann, beizustehen und Wunden und Kummer der Menschen, so weit es möglich ist, zu heilen. Ein solcher Beruf bringt heutzutage Gefahr und Kriegsdienst genug mit sich, um die Neigung eines Soldaten zu befriedigen und das Blut in gehöriger Bewegung und Wärme zu erhalten.«

Ein unterdrücktes Feuer leuchtete bei diesen Worten aus seinen Augen, und der wohltönende Klang seiner Stimme gab seiner Rede besondern Nachdruck.

»Aber Antonius ist kein französischer Name,« sagte ich.

»Es war der Taufname meines Vaters, den er zu größerer Sicherheit annahm. Sein eigentlicher Name war Antoine de la Mothe Duplessis, von einem Gute, das schon seit mehreren Jahrhunderten meiner Familie gehörte. Allein, Fräulein Olivia,« sagte er, dem Gespräch eine andere Wendung gebend, als ob dasselbe ihm peinlich zu werden begänne, oder als wäre es ihm unangenehm, von sich selbst zu sprechen – ein ihm allerdings ungewohntes Thema; »wie ich höre, werden Sie beschuldigt, Hexen in ihren Schutz zu nehmen.«

Diese Worte veranlaßten mich zu einer ernstlichen Vertheidigung Gammer Grindle's.

»Aber selbst wenn sie eine Hexe gewesen wäre,« wagte ich zum Schlusse zu sagen, »wäre es nicht mehr nach den Vorschriften der Bergpredigt gehandelt gewesen, sie zu befreien und zu unterrichten, als sie zu ersäufen? Und ist die Bergpredigt nicht das höchste Gesetz, das wir besitzen?«

»Sie ist die letzte Ausgabe des göttlichen Gesetzes, welche bis jetzt erschienen ist, Fräulein Olivia,« versetzte er. »Und ein herrlicher Vorzug scheint mir darin zu bestehen, daß dieses Gesetz nicht nur so klar und einfach ist, um keiner Auslegung eines Rechts- oder Schriftgelehrten zu bedürfen, sondern daß es auch eine wunderbare Macht hat, uns auch andere Dinge klar zu machen, wenn wir uns nur bemühen, es zu halten.«

Bei diesen Worten standen wir vor dem Thore von Netherby.

Am folgenden Morgen, als Dr. Antonius sich verabschiedete, sagte Tante Dorothea:

»Sie müssen sich nicht bemühen, unsern Briefboten zu machen. Leute, die sich weniger nützlich machen, können diesen Dienst versehen. Ich wundere mich, wie mein Bruder Sie damit belästigen mochte.«

»Ich danke Ihnen, Fräulein Dorothea,« sagte er; »allein ich kam aus freier Wahl. Und ich verspreche Ihnen, nur zu kommen, wenn es mir keine Last ist.«

Hierauf erwiderte sie seine Hand haltend:

»Verzeihen Sie mir; aber ich bin alt genug, um Ihre Mutter zu sein. Erlauben Sie einer alten Frau Sie vor diesen neumodischen Begriffen zu warnen. Hüten Sie sich, ich bitte Sie, vor ›Licht‹ und ›Vernunft‹ und solchen vermessenen Vorstellungen. Das Licht in uns ist Finsterniß und unsere Vernunft ist verderbt. Die geistige Rüstung, in der Ihre Väter kämpften, Junker Antonius, ist noch immer die wahre.«

»Das glaube ich, Fräulein Dorothea,« erwiderte er, »und seien Sie versichert, wenn ich in neuen Zeiten unter neuen Gefahren neuer Waffen bedürfen sollte, so werde ich nur zur Rüstung meines Vaters zurückkehren.«

Ich war recht ärgerlich über mich selbst, als er uns verlassen hatte, daß von all den weisen Gesprächen, welche seit seiner Ankunft geführt worden waren, mir die Worte, welche Hiob über Dr. Antonius geschrieben, am öftesten in den Sinn kamen, und über die thörichten Antworten, die ich ihm auf dem Heimwege von Rahel Forsters Hause gegeben hatte. Er mußte mich für so unhöflich halten, dachte ich. Und überdies fielen mir so viele passende Dinge ein, die ich hätte sagen können. Nichts beschäftigt den Geist mehr als eine Unterredung, in welcher man versäumt hat, das zu sagen, was man hätte sagen sollen. Sie verfolgt einen, wie eine Melodie, auf deren Ende man sich nicht mehr besinnen kann.

Es war überdies offenbar, daß Tante Dorothea das Alter des Dr. Antonius aus demselben Gesichtspunkte ansah wie Hiob Forster. Dies ließ mich Dr. Antonius als eine ganz neue Person betrachten; er war mir neu und doch ganz gewiß nicht fremd.

Da das Heer Winterquartiere bezogen hatte, so brachte mein Vater das nächste Christfest bei uns zu, wodurch es in der That so recht eine Ferienzeit wurde.

Im Februar 1645 las er uns einen Brief vor, worin Dr. Antonius ihm erzählte, was in London vorging. Im Anfang war ein beträchtliches Stück, das er uns nicht vorlas. Er sagte, es betreffe Familienangelegenheiten, über welche er später sprechen könne und enthalte Grüße an uns Alle. Der Brief war vom 21. Januar 1645 datirt und der Verlauf desselben lautete:

»Sir Thomas Fairfax wurde heute von dem Unterhause an der Stelle von Lord Essex zum Oberfeldherrn, Skipton zum General-Major ernannt, während der Posten des General-Lieutenants unbesetzt blieb. Die Meisten halten dafür, daß derjenige, welcher ihn ausfüllen wird, noch mehr sein wird, da sein Name und Ruhm in aller Munde ist. Es hat heftige Debatten, Geflüster, Complotte, mitternächtliche Zusammenkünfte im Hause von Lord Essex gegeben. Der Zweck aller dieser Verschwörungen und Versammlungen war, ›den General-Lieutenant Cromwell aus dem Wege zu räumen, der, wie Ihr wohl wißt,‹ sagten die schottischen Commissäre, ›nicht unser Freund ist.‹ Hunderte von ernsten englischen und schottischen Presbyterianern, Theologen, Soldaten und Rechtsgelehrten hatten Monate lang gearbeitet, dieses Hinderniß aus dem Wege zu räumen, diesen ›Hemmschuh‹, diesen ›Mordbrenner‹, wie sie ihn, nicht ohne sich dabei hoch in lateinische Ausdrücke zu versteigen, nannten, da sie vergebens nach Worten suchten, um ihren tiefsten Abscheu auszudrücken. Allein da stand er am 9. Dezember in dem Hause der Gemeinen, ein so unbewegliches Hinderniß oder › remora‹, wie sie sagten, als je, im Begriffe sich wirklich als einen ›Mordbrenner‹ zu beweisen, indem er eine Flamme anzündete, welche ihre beredten lateinischen Anklagen und ihre Autorität zugleich verzehren sollte.

»Tiefe Stille herrschte lange Zeit in dem Hause. General Cromwell unterbrach dieselbe, indem er in abgebrochenen Sätzen sprach und nicht auf lateinisch.

»›Jetzt ist es Zeit zu reden,‹ sagte er, ›oder auf immer den Mund zu halten. Es handelt sich um nichts Geringeres, als eine blutende, ja fast sterbende Nation vom Untergange zu retten, – dem die lange Dauer dieses Krieges sie schon nahe gebracht hat. Ohne eine eiligere, kräftigere, wirksamere Kriegführung – die alles Zögern ablegt, womit Glückshelden jenseits des Meeres einen Krieg fortzuspinnen suchen, – wird das Land unser müde und der Namen eines Parlaments ihm zum Ekel werden.

»›Denn was sagt der Feind? Ja, was sagen Viele, welche beim Beginn des Parlaments unsere Freunde waren? Sie sagen, die Mitglieder beider Häuser hätten hohe Aemter und Befehlshaberstellen und das Schwert in die Hand bekommen und sich durch ihren Einfluß im Parlament, sowie durch ihre Macht bei der Armee beständig an ihrem Platze behaupten und nicht zugeben wollen, daß der Krieg ein Ende nehme, aus Furcht, es möchte dann auch mit ihrer Macht vorbei sein. Was ich Euch hier in's Gesicht sage, ist nichts mehr, als was Andere hinter unserm Rücken verbreiten. Ich bin weit entfernt, auf irgend Jemand anzuspielen. Ich kenne den Werth jener Befehlshaber. Ihr Mitglieder beider Häuser, die Ihr noch die Macht habt, gestattet mir, Euch ohne Beziehung auf irgend Jemand meine Herzensmeinung zu sagen. Ich bin überzeugt, daß, wenn die Armee nicht in andern Zug gebracht und der Krieg nicht kräftiger geführt wird, die Nation den Krieg nicht länger ertragen kann und Euch zu einem schimpflichen Frieden zwingen wird.

»›Aber Eins möchte ich Eurer Klugheit empfehlen: keine Klagen oder Untersuchungen gegen irgend einen Befehlshaber zu veranlassen; denn da ich mich selbst mancher Versehen schuldig bekennen muß, so weiß ich, daß sie bei militärischen Angelegenheiten selten ganz vermieden werden können. Verzichten wir daher auf eine genaue Erforschung des Ausgangs dieser Dinge und laßt uns, was das Nöthigste ist, nur darauf denken, den Schaden zu verbessern. Und ich hoffe, wir haben Alle so treue, englische Herzen, und so eifrige Liebe für das allgemeine Wohl unseres Vaterlandes, daß kein Glied eines der beiden Häuser anstehen wird, sich selbst zu verläugnen, sein Privatinteresse dem öffentlichen Wohl unterzuordnen, und sich nichts zur Unehre zu rechnen, was das Parlament in dieser wichtigen Angelegenheit zu beschließen für gut finden wird!‹«

»Hier erhob sich ein anderes Mitglied und sagte:

»›Was auch immer die Ursache sein mag, so viel ist gewiß, daß zwei Sommer vorüber sind, und wir sind noch nicht gerettet. Unsere so tapfer errungenen Siege mit unschätzbarem Blute erkauft, und, was noch mehr zu beklagen, so freudig dargebracht, sind wie in ein durchlöchertes Faß gefallen; was wir das eine Mal gewannen, ging ein anderes Mal wieder verloren; der Schatz ist erschöpft, das Land verheert; der Sieg eines Sommers erwies sich nur als ein Wintermärchen; das Spiel, welches im Herbst aufgesteckt worden, mußte den folgenden Frühling aufs Neue begonnen werden, als ob das vergossene Blut nur geflossen wäre, um das Feld des Krieges zu düngen, damit es eine desto reichere Ernte des Haders hervorbringen könne. Den Menschen ist der Muth gesunken bei solchen Beobachtungen!«

»General Cromwell sieht die Theilung des Oberbefehls als die Ursache an. Das Mittel dagegen ist, daß die Mitglieder beider Häuser Selbstverläugnung genug beweisen, um auf das Recht zu verzichten sich selbst zu militärischen Befehlshaberstellen zu ernennen. Nun wurde das › Selbstverläugnungsgesetz und das › Neue Vorbild‹ der Armee vorgeschlagen und bald darauf im Unterhause angenommen. Die Lords verwarfen es nach einigen Verhandlungen; allein heute hat das Unterhaus den Sir Thomas Fairfax an der Stelle des Lord Essex zum Oberbefehlshaber ernannt. Und nur Wenige bezweifeln, daß sie es durchsetzen werden.

»So werden, hoffe ich, ein Paar kräftige Streiche Frieden – und der Friede die Ordnung herbeiführen.

»Unterdessen wurde in diesen düstern Januartagen ein anderer Kampf auf dem Towerhügel beendigt.

»Der abgesetzte Erzbischof, dessen Name so viele Jahre hindurch der Schrecken jeder puritanischen Familie Englands gewesen, ließ den 10. Januar das Leben heldenmüthig und ruhig wie ein Märtyrer, was er auch sicher zu sein glaubte. Er las ein Gebet, das er für diese Gelegenheit verfaßt hatte. Leider muß ich gestehen, daß die Richtstätte gedrängt voll war, doch nicht von seinen Freunden. Er sagte, er hätte eine leere Richtstätte gewünscht; wenn es aber nicht sein könne, so möge der Wille Gottes geschehen; er sei williger, aus der Welt zu gehen, als irgend Jemand sein könne, ihn hinaus zu schicken. Er war ein hülfloser, verlassener, alter Mann, schwer gebeugt unter den Gebrechen des Alters; allein obschon er vier Jahre im Gefängniß schmachten mußte und von Verhör zu Verhör geschleppt wurde, so habe ich doch nie gehört, daß er muthlos geworden wäre. Ich wollte, sie hätten ihn in Ruhe sterben lassen. Aber Sir John Clotworthy in übergroßem Eifer, wie mir vorkommt, fragte ihn, welcher Text für einen Hingang wie der seinige wohl am tröstlichsten sein dürfte. › Cupio dissolvi et esse cum Christo‹ (d. h. Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein), erwiderte der Erzbischof. ›Das ist ein guter Wunsch,‹ war die Antwort, ›aber man muß für diesen Wunsch auch einen Grund, eine Versicherung haben!‹ ›Kein Mensch vermag sie zu geben,‹ war die ruhige Antwort, ›sie muß im Innern zu finden sein.‹ ›Aber sie gründet sich auf ein Wort, und dieß Wort muß man kennen.‹ ›Es ist die Erkenntniß Jesu Christi und diese einzig und allein,‹ sagte der Erzbischof, und um weitere Erörterungen abzuschneiden, wandte er sich an den Henker, reichte ihm Geld und sagte: »Hier, guter Freund! Gott verzeihe Dir. Verwalte Dein Amt an mir gnädig!« Und nach einem kurzen Gebet fiel sein Haupt auf den ersten Streich. Die Menge verlief sich und der verhängnißvolle Hügel blieb wieder still und einsam; mit dem Schaffot und dem Tower, die einander anschauen, mit dem traurigen Gefängniß, in dem so Viele schmachten, und mit dem blutbefleckten Schlüssel, der für so Manche die schweren Thore geöffnet hat, aber hoffentlich auch zugleich eine andere Pforte, die in eine Stadt führt, von der aus unsere ganze Erde nur wie eine Gefängnißzelle erscheinen muß.

»Wenn wir nur an die Parteien denken, in welche die Welt jetzt zerfallen ist, so müssen wir gestehen, daß sein Tod für die, welche denken wie er, höhern Werth hat, als manche Siege im Parlament oder im Felde. Wenn wir aber an das Eine Königreich denken, so dürfen wir uns freuen, daß ein Mann, der nach unserer Meinung mit Herz und Kopf geirrt und viel Schaden angerichtet hat, zuletzt noch auf den rechten Weg kam und seine Zuflucht zu Dem nahm, der uns nicht als Erzbischöfe oder Presbyterianer oder Independenten annimmt, sondern als bußfertige, mühselige und beladene Menschen.

»Einige seiner Freunde bestatteten ihn ehrfurchtsvoll in der Barking-Kirche mit den Worten des alten, wenige Tage zuvor von dem Parlamente verbotenen Leichengottesdienstes. Allen Respect vor ihnen!«

 

Als mein Vater mit dem Lesen dieses Briefes zu Ende war, bemerkte Tante Gretchen:

»Wie Schade, daß nicht alle Märtyrer auf der rechten Seite stehen! Es wäre dann so viel leichter zu wissen, welches die rechte Seite ist.«

»Märtyrer auf der unrechten Seite!« rief Tante Dorothea entrüstet aus. »Eben so wohl könnte man von orthodoxen Ketzern reden.«

Allein mein Vater versetzte:

»Wenn Gehorsam besser ist als Opfer, so ist Gehorsam der beste Theil des Opfers beim Märtyrthum. Und sollten wir nicht hoffen dürfen, daß der Herr die That des Gehorsams selbst von denjenigen annehmen wird, welche Seinen Befehl mißverstanden haben?«

Den folgenden Tag reiste er nach London, und wir sahen ihn viele Monate lang nicht wieder.

Am 29. Januar kamen Abgesandte des Parlaments und des Königs in Uxbridge zusammen, um einen Frieden zu vermitteln, allein sie brachten gar nichts zu Stande. Dr. Stewart vertheidigte mit Vernunftschlüssen das göttliche Recht der Bischofswürde, und Dr. Henderson das der Presbyterialverfassung. Lord Hertford und Lord Pembroke wollten diesen Punkt übergehen, um an die besondern Bedingungen zu kommen, welche festzustellen waren; aber die Theologen ließen sich nicht zur Eile nöthigen, sondern bestanden darauf, syllogistisch zu disputiren, »wie es,« sagten sie, »Gelehrten ziemt.« Als daher nach drei Wochen Beide, Dr. Stewart und Dr. Henderson sich in der Ueberzeugung ihrer Rechtgläubigkeit bestärkt hatten, gingen die Commissäre aus einander, ohne das Geringste ausgerichtet zu haben.

Eines Abends war der König, wie man sagt, auf anständige Bedingungen eingegangen; als aber in der Nacht ein Brief von Montrose mit der Nachricht von Siegen des königlichen Heeres ankam, nahm seine Majestät alle Zugeständnisse des vorigen Abends wieder zurück.

Unterdessen fuhren die beiden Heere fort zu kämpfen, nicht in großen Massen, sondern in zerstreuten Scharmützeln, Belagerungen und Ueberfällen im ganzen Lande umher, so daß jede ruhige Familie an dem Tumult und Elend des Krieges Theil nehmen mußte. Immer mehr wurde, wie man sagte, der moralische Unterschied zwischen den Königlichen und den Parlamentstruppen offenbar. Wie konnte es auch anders sein? Der Krieg muß den Mann fester in der Tugend machen oder dreister im Sündigen. Durch jahrelanges Plündern und Hingabe an jede selbstsüchtige, sündliche Lust muß der Krieger immer unmenschlicher werden. Kein anständiges Frauenzimmer durfte sich in die Nähe des königlichen Heeres wagen, sagte mein Vater, und Laster und Gottlosigkeit wurden fast nie bestraft, während im Lager der Parlamentstruppen Jedermann so sicher und der Handel so frei war, wie in einer wohlgeordneten Stadt. Es war wieder dieselbe Geschichte, wie mit dem Heere des großen Gustav Adolph und demjenigen Wallensteins.

Es käme mir wie eine Gotteslästerung vor, zu glauben, ein solcher Unterschied sei von keinem Gewicht in einer Welt, in welcher Gott der König ist.

Ich möchte wohl wissen, ob es am Ende mehr zum Guten führt, auf diese Weise den großen Kampf zwischen Recht und Unrecht auszufechten, als syllogistisch wie Dr. Stewart und Dr. Henderson. Die logischen Schlachten machen gute Menschen heftig und thun den Bösen gar nicht wehe; während im Gegentheil die Schlachten um Leben und Tod die guten Menschen noch mehr veredeln, selbst wenn sie die Bösen noch schlimmer machen. Gute Leute noch besser zu machen scheint überhaupt der Zweck von Vielem in der Welt was Gott zuläßt oder anordnet. Und was das Schlimmerwerden der Bösen betrifft, so scheint dies unvermeidlich, weil Alles zum Schlimmern wirkt, so lange sie nicht umkehren, wozu sie zuweilen durch große Noth oder Gefahren angetrieben werden. Ist dem wirklich so, so läßt sich Schmerz, Noth und Tod leichter erklären. Tante Dorothea pflegte zu sagen, eine Kirche ohne Ruthe in der Hand sei eine Kirche ohne Sehnen. Aber eine Kirche mit der Ruthe scheint oft eben so blind und strenge im Gebrauche derselben wie die Welt. Daher vermuthe ich, daß die besten Zeiten der Kirchengeschichte vielleicht häufig diejenigen sind, in welchen die Welt anstatt der Kirche die Ruthe in der Hand hat. Ein Krieg kann oft ein eben so wirksames Werkzeug göttlicher Züchtigung sein als eine Synode.


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