Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Tagelang lag ich in den Qualen der Seekrankheit und war gänzlich abgestumpft gegen alle Eindrücke. Wenn ich mich recht entsinne, so habe ich während der ganzen Leidenszeit weder an Heimat, noch an meinen Vater oder an meinen Verlobten gedacht. Das einzige, was ich mir in jenem entsetzlichen Zustande wünschte, war – der Tod. Ja, ich glaube beinahe, ich hätte nicht einmal um Hilfe geschrien, wenn das Schiff untergegangen wäre ...
Am fünften Tage aber hatte ich das Uebel soweit überwunden, daß ich mich aufrichten und einen Hühnerflügel und ein Glas Wein genießen konnte. Am nächsten Tage wagte ich mich sogar an Deck.
Wie staunte ich über die Wasserwüste, die uns umgab! Denn der Kanal lag bereits hinter uns, und soweit das Auge reichte, war nirgends Land zu sehen. Nur in weiter Ferne schimmerten, vom Aetherblau scharf abstechend, ein paar weiße Segel, und etwa eine viertel Meile achter aus stieß, den gleichen Kurs wie wir steuernd, ein mächtiger Dampfer dicke, schwarze Rauchwolken aus.
Durch mein langes Kranksein geschwächt und durch den hellen Sonnenschein halb geblendet, mußte ich mich fest auf Mrs. Burkes kräftigen Arm stützen, um bei der ziemlich starken Deckskrängung Neigungswinkel des Deckes. unserer Lady Emma, die sich im Schmucke ihrer schneeigen Segel auf der langen Dünung des Atlantischen Ozeans graziös wiegte, nicht schwindlich zu werden und umzusinken.
Als Kapitän Burke uns erblickte, kam er rasch auf uns zu, beglückwünschte mich zu meiner Genesung von der Seekrankheit und trug für seine Frau und mich zwei Stühle an eine windgeschützte Stelle.
Nun konnte ich mir alles in Ruhe und Bequemlichkeit ansehen. Es war ein herrlicher Tag, die Sonne schien so warm, und die Brise, die aus Westen wehte, war so lind, als ob wir schon im Juni und nicht erst im launischen April wären. Der aus dem Kombüsenschornstein aufsteigende Rauch wirbelte lustig und schnurgerade empor, bis der Wind ihn packte und leewärts wehte.
In der Kombüsentüre tauchte gerade ein Matrose mit einer dampfenden Schüssel auf, mit der er in einer kleinen Luke, dem Zugang zum Volkslogis, verschwand, und kurz danach folgte ihm ein zweiter.
»Nun holen sich die Leute ihr Mittagessen,« erklärte Mrs. Burke mir.
»Was gibt es denn heute?« fragte ich den Kapitän.
»Salzfleisch und Pudding,« antwortete dieser.
»Das hört sich sehr gut an,« flüsterte seine Frau mir zu; »in Wirklichkeit sieht es aber ganz anders aus. Und seit ich meinen Mann begleite, wundere ich mich nicht wenig, wie die Leute bei der jämmerlichen Kost, die sie tagaus tagein erhalten, ihre schwere Arbeit verrichten können.«
»Setz' Du den sauertöpfischen Dickschädeln bloß einmal solche Raupen in den Kopf, dann sollst Du sehen, wie rasch wir hier Meuterei an Bord haben,« erwiderte Kapitän Burke, dessen sonst stets lustiges Gesicht bei diesen Worten sehr ernst geworden war.
Und kaum hatte er ausgesprochen, als in der Logiskapp auf der Back das bärtige Gesicht eines Matrosen erschien, der vorerst einen scheuen Blick nach dem Achterdeck warf, ehe er sich aufrichtete und aus der Luke an Deck kroch.
Sein Anzug bestand aus einer blauen Düffelhose, einem roten Wollhemde, einem Ledergürtel, in dem an der Hüfte ein langes Scheidemesser steckte, und einer schottisch karierten Mütze. Nach ihm kletterten aus der Luke noch drei andere Matrosen, die ihm auch folgten, als er nach einer kurzen aber erregten Beratung auf uns zuschritt.
Kapitän Burke tat so, als ob er die Leute gar nicht sähe, sondern sagte zu seiner Frau, er gehe seinen Sextanten holen, um die Mittagshöhe zu nehmen. Auch der mürrische Steuermann ging auf seiner Backbordseite hin und her, ohne von den Matrosen, die an der Treppe zum Quarterdeck stehen geblieben waren, Notiz zu nehmen.
Nach kurzem Zögern trat schließlich der Matrose mit der schottischen Mütze einen Schritt vor und sagte zum Steuermanne:
»Könnten wir 'n Wort mit'n Käpp'n sprechen, Herr?«
»Was wollt ihr von ihm?« erwiderte Mr. Green, dem Matrosen den Rücken zukehrend, über die Achsel.
»Beschweren wollen wir uns, daß das Fleisch heut' nich nach 'n Heuervertrag is!«
»Na, warum?«
»Stinken tut's!«
Kein Mensch zwingt euch, es zu essen!«
»So sollte der Steuermann nicht mit den Leuten reden!« flüsterte Mrs. Burke mir entrüstet zu.
In diesem Augenblick erschien der Kapitän mit seinem Sextanten wieder an Deck.
»Na, Jungens, was gibt's?« sagte er ernst, aber nicht unfreundlich.
»Unsere Fleischration, Käpp'n – ich red' hier für die Steuerbordswache – is so stänkrig, daß wir sie nich essen können,« begann wiederum der Matrose mit der schottischen Mütze.
Und ein anderer setzte hinzu:
»Das ganze Vorderdeck ist von dem stinkigen Dunst voll.«
»So, so! Na, dann holt mir 'n Stück zum Schmecken her,« antwortete Kapitän Burke, seinen Sextanten richtend, um die Mittagshöhe zu nehmen und danach die Lage der Lady Emma zu bestimmen.
Die Leute gingen und kehrten bald mit einer Schüssel zurück, in der ein großes Stück Pökelfleisch dampfte. Die Schüssel reichten sie dem Kapitän, der an dem Fleische roch und es den Leuten mit den Worten zurückgab:
»Ihr habt recht, Jungens! Ueber Bord damit. Solcher Schund sollte euch gar nicht erst vorgesetzt werden. Daran hat der Koch schuld. Bitte, Mr. Green, sorgen Sie dafür, daß die Steuerbordwache sogleich Konservenfleisch als Ersatz erhält.«
Nachdem die Matrosen den Inhalt der Schüssel mit vergnügtem Grinsen über Bord geworfen hatten, entfernten sie sich, mit dem Erfolge ihrer Reklamation augenscheinlich sehr zufrieden.
Als sie jedoch fort waren, sagte Mr. Burke lächelnd zu mir:
»Arme Kerle sind's, Miß Otway. Aber eins will ich Ihnen sagen: Sie werden nie finden, daß Janmaats Rechte etwa darum beeinträchtigt werden, weil er zu ihrer Verteidigung seinen Schnabel nicht weit genug aufreißt. Darauf können Sie sich fest verlassen.«
Mich hatte der Vorgang an Deck so interessiert, daß ich Kapitän Burke beim Abendessen bat, mir doch auch solch ein Stück Pökelfleisch zum Kosten holen zu lassen, und Dr. Owen schloß sich trotz Mrs. Burkes Abraten meiner Bitte an.
Schmunzelnd befahl der Kapitän dem aufwartenden Steward, ein gutes Stück von dem für die Mannschaftsmesse bestimmten Pökelfleisch zu bringen.
Als er aber mit dem vom Koch ausgesuchten besten Stücke zurückkehrte, verbreitete sich in der Kajüte ein so penetranter Geruch, daß wir Damen im ersten Augenblick unwillkürlich die Nasen rümpften. Auch Mr. Owen schnitt ein so drolliges Gesicht, daß man unmöglich ernst bleiben konnte. Doch trotz des keineswegs appetitlichen Duftes blieben Dr. Owen und ich dabei, ein Stück von dem Fleisch zu kosten. Kapitän Burke wetzte, seiner indignierten Frau von Zeit zu Zeit einen schelmischen Blick zuwerfend, das große Tranchiermesser mit komisch übertriebener Anstrengung und säbelte von dem großen Stück zwei Scheiben herunter. Eine reichte er dem Arzt, die andere mir. Meine Scheibe war hart wie Sohlleder und salzig wie scharfe Lake. Dr. Owen aber fragte den Kapitän mit treuherzigster Miene, ob der Koch sich nicht etwa vergriffen und aus Versehen einen Klumpen von dem Material geschickt habe, woraus die Matrosen in den Freiwachen so hübsche Schnupftabaksdosen und Schiffsmodelle zu schnitzen pflegten!