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Dreizehntes Kapitel.
Im Eise gefangen.

Mein erster Gedanke war, wir seien mitten im Eis, jenes zischende, reibende Geräusch bedeute, daß die Lady Emma in Eismassen treibe, inmitten von Eisbergen. Als ich die Kajütentür öffnete, wurde ich durch einen wütenden Windstoß jäh zurückgeschleudert und mit einem prasselnden Hagelschauer überschüttet. Ich sprang vorwärts; aber nur mit Aufbietung aller Kräfte gelang es mir, mich bis an Deck durchzukämpfen.

Ein schwerer Kap-Horn-Sturm peitschte den Ozean. Zerrissene Wolkenfetzen jagten am tiefschwarzen Himmel, und schäumend brandeten die Wogen an der Schiffswand empor. Fortwährend fegten Hagelschauer das Deck. Aber im Eis schienen wir nicht zu sein. Mit jeder Sekunde stieg die Gewalt des Sturmes. Und die Lady Emma war hilflos.

Schweren Herzens kehrte ich in die Kajüte zurück. Am Kajüteneingang stand Miß Otway, zitternd, mit kalkweißem Gesicht.

»Was ist es ...«

»Eine schwere Bö,« sagte ich. »Der Anfang eines Sturmes vielleicht. Aber es ist möglich, daß gerade dieses Unwetter uns vom Eise forttreibt. Die Windrichtung ist Süd-Südwest.«

Miß Otway schwankte und ich konnte sie gerade noch auffangen.

»Das Stampfen und Rollen ist fürchterlich!« stöhnte sie. »Ich kann's nicht mehr aushalten.« Mehr tot als lebendig sank sie auf das Ruhebett nieder. Ich hüllte sie in wärmende Decken, stützte sie durch Kissen, flößte ihr heißen Rum ein und versuchte, sie zu ermutigen.

Aber mir selbst war's elend genug zu Mute. Wie ein Ball wurde die Lady Emma vom Sturm umhergeworfen. Niemals in meinem Seemannsleben war ich seekrank gewesen; heut aber überkam mich jedesmal, wenn das Wrack vom Gipfel einer Woge herabschoß, ein unbeschreibliches Schwindelgefühl. Mehrere Male versuchte ich an Deck zu gelangen, wurde aber immer wieder zurückgetrieben.

Nach zwei langen Stunden schien das Toben nachzulassen. Ich hatte während der ganzen Nacht neben Miß Otways Lager gesessen, nur ab und zu nach dem Ofenfeuer gesehen und einen heißen Trunk für uns bereitet. Schließlich mußte mich der Schlaf übermannt haben, denn ich fuhr plötzlich schlaftrunken von meinem Stuhl in die Höhe und sank dann kraftlos auf die Knie nieder. Sofort aber raffte ich mich wieder auf und erkannte an den veränderten Bewegungen des Schiffskörpers, daß der Wind abermals umgesprungen sein mußte. Jetzt bewegte sich das Schiff in rollenden Seitenbewegungen – der Sturm mußte es von der Seite treffen.

Mit einem Blick auf Miß Otway, die mit geschlossenen Augen dalag, griff ich vorsichtig nach der Handlaterne, um auf Deck nach dem Kompaß zu sehen. Er zeigte, daß der Wind wieder aus Norden wehte! Von neuem näherten wir uns den Eismassen!

Jetzt sank auch mir der Mut. Mit wankenden Knien kehrte ich in die Kajüte zurück.

Mir war, als ob ich wahnsinnig würde in dem Gedanken an diese fürchterlichen Eisberge, denen wir jetzt unaufhaltsam entgegentrieben. Das Schiff wurde nach Süden gepeitscht, immer weiter nach Süden. Die Gefahr war in allernächster Nähe.

Ich beugte mich über Miß Otway. Sie lag still da und ihr Gesicht war wie Marmor. Da öffnete sie die Augen und versuchte sich aufzurichten, wurde aber durch das heftige Rollen des Schiffes wieder zurückgeschleudert.

»Das ist fürchterlich!« schrie sie.

»Ja. Das Schiff wird umhergeschleudert wie ein leeres Faß. Aber noch leben wir.«

»Helfen Sie mir doch, mich aufzurichten!«

Als ich neben ihr kniete und sie stützte, sah sie mich lange an, als ob sie die innersten Gedanken meines Gehirnes lesen wollte ...

»Sie sind ein tapferer Mann, Mr. Selby! Aber jetzt sehe ich auch bei Ihnen die Verzweiflung. Wir müssen sterben. Wenn nur das Ende schnell kommt. Und – lieber Mr. Selby, ich möchte Ihnen danken – für Ihre Tapferkeit – für ...«

Weinend streckte sie mir ihre zitternde Hand hin. Ich beugte mich tief, damit sie mein Gesicht nicht sehen sollte. Meine ganze Kraft nahm ich zusammen, um ruhig sprechen zu können.

»Ich gebe uns noch nicht verloren. Wir dürfen nicht verzweifeln, wir müssen kämpfen, solange noch Atem in uns ist. Vielleicht sieht es anders aus bei Tagesanbruch. Kopf hoch, Miß Otway!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich will wieder an Deck gehen,« sagte ich.

Ich hielt mich am Maststumpf fest und starrte in die Nacht hinaus. Langsam, ganz langsam wurde es heller. Da – das war das Ende! An der Schiffsseite tauchte eine riesengroße gespenstisch weiße Masse auf – und als ein Windstoß das wirbelnde Schneegestöber auf Augenblicke zerriß, sah ich am Bug, am Heck, auf der anderen Seite die gleichen Todesboten. Unser Schiff war von Eisbergen umgeben, eingeklammert in ihre tödliche Umarmung.

Miß Otway war mir gefolgt. Schweigend, in stummer Verzweiflung, stand sie neben mir. Ihr Antlitz war wie zu Stein erstarrt – sie wußte jetzt, daß wir rettungslos verloren waren.

Wir konnten nur das Ende erwarten. Ich nahm sie am Arm und führte sie in die Kajüte zurück. Mechanisch begann ich Kaffee zu kochen.

Sie folgte meinen Bewegungen mit teilnahmslosen Blicken. Plötzlich fragte sie ganz ruhig:

»Wir müssen an den Eisbergen zerschellen?«

»Ja.«

»Ist es besser, hier unten zu bleiben oder an Deck zu gehen?«

»Das ist gleichgültig.«

»Wenn das Ende kommt, möchte ich ertrinken. Lieber schnell sterben, als auf das Eis geschleudert werden und erfrieren. Das würde lange dauern. Ich – ich fürchte mich, leiden zu müssen. Vor dem Tod hab' ich keine Angst. Nur schnell – nur schnell ...«

»Noch ist das Eis etwa eine Meile entfernt,« sagte ich. »Bitte, trinken Sie doch den heißen Kaffee.«

Sie führte die Tasse an die Lippen.

»Wird das Wrack beim Scheitern augenblicklich zerschmettert?« fragte sie.

»Darüber läßt sich nichts sagen. Es kann auf einem Eisberg stranden und uns immer noch ein Obdach sein, bis der Berg nordwärts treibt und der Rauch unseres Feuers von vorüberfahrenden Schiffen bemerkt wird.«

Miß Otway gab keine Antwort. Ich ging wieder an Deck. Nichts hatte sich verändert, nur die riesige Eismasse, die uns zur Seite gewesen war, lag nun gerade voraus. Und auf Steuerbord war nur eine kleine Eisinsel, sechzig Fuß hoch etwa, dem Schiff ganz nahe, die ich vorhin noch nicht gesehen hatte. Weiter draußen zählte ich Dutzende von zackigen, drohend aufgetürmten Eiskolossen.

Je weiter der Tag vorschritt, desto deutlicher enthüllte sich meinen Augen die furchtbare Gefahr, in der wir schwebten. Immer gigantischer wurden die vielgestaltigen Umrisse der Eisberge, die uns oft so nahe kamen, daß ich den weißen Gischt der Brandung an ihrem Fuß sehen konnte.

Gegen zwei Uhr mittags wurde es schon dunkel. Plötzlich sah ich das fahle Leuchten eines Eisberges hart an unserer Leeseite. Das Wrack aber, als sei es ein lebendes Wesen und ahne, was ihm bevorstehe, machte – wahrscheinlich durch das Zurückbranden der Wellen vor der Eiswand – eine Schwenkung und entging der gefährlichen Nachbarschaft. Kaum waren wir einige Schiffslängen entfernt, als ich ein langgezogenes, zischendes Heulen vernahm, als ob tausend Lokomotiven zu gleicher Zeit ihren Dampf ausströmen ließen: ein beträchtlicher Teil der gewaltigen Eismassen hatte sich losgelöst und war in die hoch emporgeschleuderte Flut gestürzt.

Oft noch hörten wir diesen Ton zu uns in die Kajüte hinabdringen, als wir dort mit einander in Harren und Bangen die endlosen Stunden der Polarnacht durchwachten. Gegen vier Uhr morgens merkte ich an den plötzlich ruhig und regelmäßig werdenden Bewegungen des Wracks, daß sich etwas verändert haben mußte.

Rasch eilte ich an Deck, wo mich pechschwarze, nur selten von unbestimmtem und unstetem Flimmern unterbrochene Dunkelheit umfing. Wie Grabeshauch wehte es mich von allen Seiten an, hoch über mir heulte der Sturm, als bliese er über Berggipfel, an deren Fuß ich stände. Ich begriff sofort, daß wir in eine Bucht geraten waren und im nächsten Augenblick scheitern oder stranden mußten. Aber Furcht und Warten hatten mich schon so mürbe gemacht, daß mich die Entdeckung beinahe gleichgültig ließ. Nur das eine empfand ich deutlich, daß mein Platz jetzt an der Seite meiner unglücklichen Gefährtin war, mit der ich die letzten Minuten teilen wollte, wenn ich ihr auch keine Hilfe bringen konnte.

»Hat der Wind sich gelegt? Wo sind wir?« rief sie mir entgegen, sobald ich den Fuß auf die Kajütentreppe setzte.

»Wir müssen in eine Bucht geraten und von Eismassen eingeschlossen sein,« antwortete ich, und wie zur Bestätigung meiner Worte erbebte in diesem Augenblick der Schiffskörper unter einem heftigen Stoß, dem nach wenigen Sekunden ein zweiter folgte. Ich hörte das Knirschen des splitternden Kieles und fühlte, wie eine unsichtbare Gewalt das Wrack emporhob, bis es sich seitwärts neigte und schließlich auf der Steuerbordwand liegen blieb, sodaß die Kajütenlampe fast parallel mit dem oberen Deck hing.

Miß Otway fiel. Glücklicherweise hatte ich einen festen Stützpunkt gewonnen, fing die Stürzende auf und brachte sie in einem an den Deckplanken festgeschraubten Lehnstuhl unter.

Zahllose Sturzseen ergossen sich über das zitternde und zuckende Wrack; bei jedem erneuten Wogenschwall hörte ich wieder das Knirschen und Krachen und spürte, wie die hochgehenden Wellen unser Fahrzeug höher und immer höher auf das schlüpfrige Eis hinaufschoben. Dadurch aber verminderte sich die Wucht ihres Anpralls, so daß die Lady Emma nach einiger Zeit ziemlich trocken lag.

Jetzt wagte ich's, meinen geschützten Winkel zu verlassen, und versuchte, auf allen Vieren kriechend, die Kajütentreppe zu erklettern.

»Bleiben Sie, um Gottes willen!« schrie Miß Otway. »Sie werden sich den Hals brechen!«

Aber mein geübtes Seemannsohr hörte an dem schwächeren Plätschern des ablaufenden Wassers, daß die Sturzseen mir nicht mehr gefährlich werden konnten. Unter unglaublichen Gliederverrenkungen, zahllosen Püffen und Stößen zog und arbeitete ich mich an der fast wagerecht stehenden Kajütenstiege entlang, bis ich glücklich die zum Achterdeck führende Tür erreicht hatte, die ich einen Spalt breit öffnete. Vorsichtig steckte ich den Kopf hindurch und schaute mich um, konnte aber ebenso wenig wie vorhin erkennen, wo wir waren.

Aus der nachtschwarzen Finsternis, die mich umgab, schloß ich, daß wir in eine enge Felsschlucht geraten sein mußten, und zwar entweder auf einer der Neu-Orkney- oder Südshetlandinseln. Hoch über mir donnerte der Sturm, und aus der Tiefe klang das Brausen der allmählich zurückebbenden Flut, die uns bis hierher hinaufgeschoben hatte. Genaueres ließ sich vor Tagesanbruch nicht feststellen.

Ich schloß die Kajütentür und kroch wieder zu Miß Otway zurück, die mich sofort bestürmte:

»Konnten Sie sehen, wo wir sind?«

»Nein. Aber ich vermute, daß wir auf einem eisüberzogenen Felsenabhang der Krönungsinsel gestrandet sind.«

»Wie sieht es an Deck aus?« fragte sie. »Hat die See alles fortgeschwemmt?«

»Es war nicht mehr viel zum Fortschwemmen da. Höchstens noch die Kombüse. Der Treppenhals der Kajüte hat zum Glück standgehalten.«

»Mr. Selby, was fangen wir an! Was soll aus uns werden!« jammerte sie händeringend.

»Wir müssen den Morgen abwarten und herausbekommen, wie unsere Lage eigentlich ist. Vorläufig sind wir hier besser aufgehoben als draußen zwischen den Eisbergen, wo wir jeden Augenblick fürchten mußten, an einem der Riesen in Stücke zu zerschellen.«

Diesmal war mein Trost aufrichtig gemeint, denn in der geschützten Stille unseres jetzigen Aufenthaltsortes überkam mich ein Gefühl des Friedens und der Ruhe. Das Wrack lag regungslos, nur ab und zu, wenn eine hochgehende Brandungswoge es erreichte, durchlief ein leises Zittern seine Planken. Die Lampe war glücklicherweise nicht ausgegangen, sondern brannte ruhig und gleichmäßig weiter. Nur das Ofenfeuer war erloschen. Da der scharfe Winkel, unter dem die Lady Emma sich zur Seite geneigt hatte, mir nur auf Händen und Füßen umherzukriechen erlaubte, so wagte ich auch kein neues Feuer anzuzünden, aus Furcht, durch eine ungeschickte Bewegung womöglich das ganze Schiff in Brand zu setzen. Ich schleppte alle Kissen und Decken aus der Kajüte zusammen, um Miß Otway einzuhüllen. Vorher flößte ich der vor Frost Zitternden einen Schluck Wein ein.

Endlich brach durch die beinahe senkrecht über uns liegenden Kajütenfenster ein matter, bläulicher Schimmer, der mir erlaubte, mich an Deck umzusehen. Ich fand meine Vermutungen zum größten Teil bestätigt.

Das Wrack war auf dem eisüberzogenen Vorsprung einer Felswand gestrandet, deren zerklüftete Masse etwa vierzig bis fünfzig Fuß emporstieg und von anderen, noch höheren Felsenpartien überragt zu sein schien. Zu meinen Füßen starrten mir zahllose Eisklippen entgegen, hinter denen der Ozean donnerte. Doch konnte ich nur ein kleines Stück der offenen See überblicken, denn ein mächtiger, mit dem Lande zusammenhängender Eisberg schloß nach vorn die schmale Bucht ab, in der wir lagen.

Vorder- und Achterdeck waren von den wütenden Sturzseen vollkommen kahl gefegt. Steuerrad, Kompaß, Kombüse – alles war über Bord gegangen, nur der Oberbau der Kajüte stand noch. Schweigend blickte ich in der trostlosen Wüstenei umher und fühlte meinen kaum erwachten Lebensmut wieder schwinden.

Waren wir auch augenblicklich unmittelbarer Gefahr entrückt, so machten doch die Eis- und Felsenmauern unseres Gefängnisses ein Entrinnen unmöglich. Selbst wenn ein Walfischfänger sich bis auf eine halbe Meile der Insel näherte, verbarg uns der Eisberg den Blicken der Retter. Bis die nagenden Fluten diese kristallene Mauer zerbröckelt und fortgespült haben würden, konnten Monate vergehen ...

Miß Otway saß – wie ich sie verlassen hatte – zusammengekauert neben dem kalten Ofen und fragte mich zähneklappernd, was ich ausgekundschaftet hätte.

Ich sagte ihr, wie es mit uns stand.

Regungslos und geisterbleich starrte sie mich an, als könne sie das Gehörte nicht fassen. Dann sagte sie mit müder gebrochener Stimme:

»Wenn ich Sie recht verstehe, sind wir gefangen! Wir müssen in dieser entsetzlichen Lage ausharren, bis – ja bis wann?« unterbrach sie sich mit jäh ausbrechender Verzweiflung. »Bis wir in diesem verlassenen Winkel elend umkommen.«

»Oho!« sagte ich. »Wenn keine neue Bö uns von diesem Felsen auf die Eisklippen schleudert, so verspreche ich Ihnen, uns ein, ja auch mehrere Jahre lang am Leben zu erhalten, soweit es sich um Nahrung und Heizung handelt. Ich habe die Schiffspapiere gelesen und kenne unsere Vorräte. Sie reichen noch jahrelang aus, und inzwischen kann und wird uns Hilfe werden.«

»Können wir uns denn nicht selber helfen?« rief Miß Otway. »Wie sollen wir es hier auch nur eine Woche aushalten, wenn wir uns nicht einmal frei bewegen können.«

»Dagegen läßt sich Abhilfe schaffen! Mut, Miß Otway, noch leben und atmen wir ja. Denken Sie doch daran, was wir schon alles durchgemacht haben, und wie schlimm es uns hätte ergehen können, wenn dieses schützende Obdach, das uns jetzt vor dem tödlichen Froste bewahrt, zerstört worden wäre!«

»Sie meinen, wir sind auf einer Insel gestrandet?«

»Höchstwahrscheinlich.«

»Ist denn nirgends ein Hafen oder ein bewohnter Ort in der Nähe, den wir erreichen könnten?«

Ich tappte vorsichtig in die Kabine des Kapitäns, zündete eine Handlaterne an und holte eine Karte des Südorkneygebietes.

»Sehen Sie,« sagte ich, auf zwei neben einander liegende Inseln deutend, »hier haben wir die Krönungsinsel und hier Laurie-Island; ich weiß nicht genau, auf welcher von beiden wir gestrandet sind. Vermutlich auf der größeren, denn hier ist ja auch der Berg, den wir als bläulichen Schatten schon von weitem sahen.«

Mit gespannter Aufmerksamkeit beugte das junge Mädchen sich über die Karte und rief:

»Wieviel englische Namen hier stehen! Kap Dundas, Despair Rock, Sadle Island – man sollte meinen, daß eine Insel, die so gründlich erforscht und so ausführlich benannt worden ist, doch auch bewohnt sein müßte.«

»Wir wollen's hoffen,« gab ich zurück.

»Ließe sich denn gar nichts tun? Es sind doch wohl schon oft genug Schiffbrüchige in ähnlicher Lage gewesen wie wir und glücklich gerettet worden; wie haben sie es denn angefangen, ihren Rettern ein Lebenszeichen zu geben?«

»Genau so, wie wir es auch machen werden. Durch Flaschenposten und Holzflöße, an deren Mastspitze sie eine Blechbüchse mit einem Schriftstück befestigten, das ihre Lage schilderte.«

Miß Otway wollte mit mir an Deck gehen. Ich hielt es aber für besser, sie vor dem trostlosen Anblick, der sie oben erwartete, noch zu bewahren, bis sie ruhiger geworden war. So redete ich ihr zu, noch bis nach dem Frühstück unten zu bleiben, und machte mich auf die Suche nach Trinkwasser, denn der Rest im Kessel ging auf die Neige.

Das Gefäß mit Süßwassereis, das uns bis jetzt unseren Wasservorrat geliefert hatte, war über Bord gespült worden, und da meine Kraft nicht ausreichte, die zugefrorenen Wasserbehälter im Schiffsraum aufzubrechen, so mußte ich mir auf andere Weise Rat zu schaffen suchen. Ich bröckelte ein Stückchen von einem Eiszapfen ab und fand es süß und wohlschmeckend. Das war kein Wunder, denn all das Eis, das die Bord- und Felswände überzog, war ja gefrorener Nebel oder Schnee, an Süßwasser konnte es uns hier also nicht mangeln.

Während ich damit beschäftigt war, einen genügenden Vorrat von Eisstücken zu sammeln, hörte ich plötzlich achter Schiff ein lautes, donnerähnliches Getöse. Ein starkes Zittern durchlief das Wrack, als sei dicht neben ihm eine Mine gesprungen oder eine Breitseite abgefeuert worden, doch war in den Eismassen nirgends eine Bewegung zu spüren oder das Geräusch eines Sturzes zu hören. Das brachte mich auf die Vermutung, der große Eisberg, der uns von der Außenwelt abschloß, löse sich allmählich von seiner Felsenheimat, um seinen Kameraden nachzuschwimmen. Vorsichtig beugte ich mich über die Reeling und überlegte, ob wir wohl mit dem Eisberg wieder flott werden oder hier liegen bleiben würden. Da ich aber nichts entdecken konnte, was für die eine oder die andere Möglichkeit sprach, so gab ich das Ueberbordstarren bald wieder auf und kehrte mit dem erbeuteten Eis in die Kajüte zurück.

Unterwegs fiel es mir auf die Seele, wie schrecklich es für eine junge Dame sein müsse, mit einem fremden Mann wochen-, vielleicht monatelang allein auf einem gestrandeten Wrack eingeschlossen zu sein. Tiefstes Mitleid überkam mich von neuem, als ich das junge Geschöpf so hilflos auf den Deckplanken kauern und mit großen, traurigen Augen jeder meiner Bewegungen folgen sah.

»Wie schrecklich wäre es für mich, wenn ich jetzt ganz allein sein müßte,« murmelte sie halb zu sich selbst.

Lächelnd wandte ich mich zu ihr um und sagte:

»Es freut mich, daß meine Gesellschaft Ihnen willkommen ist; soviel an mir liegt, soll sich nichts daran ändern, solange wir zusammen sind.«

Miß Otway warf mir einen dankbaren Blick zu, und ein mattes Lächeln huschte über ihr blasses Gesicht.

»Ohne Sie wäre ich längst wahnsinnig geworden oder hätte Hand an mich selbst gelegt,« flüsterte sie.

»Hörten Sie vorhin das explosionsähnliche Geräusch?«

»Ja, was bedeutete es?«

Ich erzählte ihr von dem großen Eisberg, durch dessen Entfernung unser Aufenthaltsort von der See aus sichtbar würde, so daß wir dann Aussicht hätten, von vorüberfahrenden Walfischfängern bemerkt und gerettet zu werden.

»Inzwischen will ich uns diesen Raum so wohnlich wie möglich machen,« fuhr ich fort. »Feuerung und Lebensmittel sind genügend an Bord, so daß wir keinen Mangel zu befürchten brauchen. Ich werde einen ausreichenden Vorrat in die Kajüte schaffen, damit wir ihn jederzeit bei der Hand haben; auch will ich einmal versuchen, den Kajütenteppich an Deck auszubreiten, vielleicht trocknet ihn der Wind.«

Während unseres Gespräches hatte ich, so gut es ging, etwas Frühstück hergerichtet, wobei mir freilich die schiefe Stellung des Wracks äußerst hinderlich war. Ohne dieses lästige Hemmnis hätte ich die tiefe Stille und Regungslosigkeit um mich her, in die selbst das Branden der Wogen und das Brausen des Sturmes nur gedämpft hinaufklangen, wohltuend empfunden, denn zu frisch haftete das entsetzliche Rollen und Schlingern des steuerlosen Schiffes auf den sturmbewegten Ozeanwellen noch in meiner Erinnerung. Ein Gefühl der Dankbarkeit für unsere Erlösung aus steter Todesgefahr erfüllte mein Herz, und leichteren Sinnes blickte ich jetzt in die Zukunft. Das Wrack hatte bisher allen zerstörenden Einflüssen getrotzt. Es war anzunehmen, daß es uns ein zuverlässiges Obdach bieten würde.

Von der See hatten wir kaum mehr etwas zu befürchten; selbst wenn bei großem Sturm die Brandung uns noch erreichte, so konnte sie uns doch nichts weiter anhaben, als uns noch höher aufs Trockene hinaufzuschieben und den Schiffskörper vielleicht in eine bequemere Lage zu bringen.

Nach dem Frühstück verlangte Miß Otway noch einmal an Deck zu gehen. Sorgsam half ich ihr die schiefstehende Stiege erklimmen, wählte dann selbst erst einen sicheren Standpunkt auf den schrägen Deckplanken und hob Miß Otway zu mir hinauf.

Nie werde ich den Ausdruck lähmenden Entsetzens vergessen, den ihr Gesicht trug, als sie die trostlose Einöde sah. Der Anblick der zahllosen Eisklippen zu unseren Füßen, der steilen Felswand im Hintergrunde und der starren Eiskulisse vor uns überwältigte sie.

»Also das ist's ... Das ist's!« flüsterte sie mit erlöschender Stimme, dann wandte sie sich zu mir, brachte aber keinen Laut mehr über die Lippen; mit großen angstgeöffneten Augen blickte sie mich an, schwankte und taumelte gegen mich, wo sie sich niedersinkend an meine Kniee klammerte und die Verzweiflung ihrer Seele sich in einem fürchterlichen Weinkrampf entlud.


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