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Ein Prozeß im Hause Abbâs

Abdallah Ibn Abbâs, ein rechter Vetter des Propheten, also ein Mann vom allerhöchsten Adel, lebte in Medina und kaufte sich dort eine Sklavin, eine braune Berberin. Diese gebar in seinem Hause in der Ehe mit einem seiner Haussklaven einen Sohn, der den Namen Salît empfing und in seinem Hause aufwuchs, kräftig und schmuck.

Nach Abdallah's Tode übersiedelte sein Sohn, Ali Ibn Abdallah, nunmehriger Chef des Hauses Abbâs, mit seinem ganzen Haushalt nach Damaskus, der Residenz des großen omajjadischen Kalifen Abdelmelik, und während dieser ganzen Zeit nahm Salît in seiner Familie die Stellung eines Haussklaven ein. Der Abbasside lebte ruhig unter dem Schutze Abdelmeliks, dessen Wink das große Reich von den Grenzen Chinas bis zum Atlantischen Ozean gehorchte. Als aber dieser gestorben war und sein Sohn Walîd den Thron bestiegen hatte, begannen die Schwierigkeiten.

Walîd haßte den Abbasiden, vielleicht nur deshalb, weil dieser ein Verwandter des Propheten war, also unter Umständen mit einem Anspruch auf seine Nachfolge, das Kalifat auftreten konnte, während er selbst – Walîd, nur ein Sohn von Usurpatoren war. Geheime Feinde machten sich nun an Salît, hetzten ihn auf, sich für einen echten Abbasiden auszugeben, indem sie ihm vorredeten: »Du gleichst dem Abdallah Ibn Abbâs in Schönheit und Gestalt.« Der Erfolg war, daß Salît öffentlich mit dem Anspruch auftrat, ein Sohn des Abdallah Ibn Abbâs zu sein und sich mit der Bitte um offizielle Anerkennung an den Kalifen Walîd wendete. Nach längeren Verhandlungen wurde Salîts Anspruch anerkannt, das Urteil dem Kalifen unterbreitet, und dieser verlieh ihm nun die Stellung eines Abbasiden als Bruder (Stiefbruder) des Ali Ibn Abdallah Ibn Abbâs.

Dieser Prozeß hatte aber noch einen zweiten zur Folge. Abdallah hatte ein großes Vermögen hinterlassen und von diesem forderte nun Salît als legitimer Sohn des Erblassers seinen Anteil. Der Prozeß kam durch einen Vergleich zum Austrag. Ali fügte sich in die Verhältnisse, behandelte den Salît als vollberechtigtes Mitglied seines Hauses, und damit schienen alle Schwierigkeiten beseitigt.

Eines Tages ging Ali, begleitet von Salît, nach dem vor den Toren von Damaskus gelegenen sogenannten Kamelkloster, in dessen Nähe er einen vier Morgen großen Garten besaß. In diesem Garten pflegte er oft und gern zu verweilen, um sich von der Luft und den Anstrengungen des Lebens in der großen Kalifen-Residenz zu erholen. Als nach einiger Zeit Ali den Garten verließ, um in die Stadt zurückzukehren, blieb Salît noch zurück, geriet dann – unbekannt aus welchem Grunde – mit den dort beschäftigten Arbeitern in Streit, es kam zu Tätlichkeiten, die Arbeiter erschlugen ihn und verscharrten seine Leiche in einem Winkel des Gartens.

Mittlerweile wartete in Damaskus die Mutter Salîts auf seine Rückkehr. Da er nicht kam, wurde sie unruhig, ging hinaus nach dem Garten, um nach ihm zu suchen, und erfuhr dort, daß man ihn hineingehen, aber nicht herauskommen gesehen habe. Voll Verdacht stürzte sie in die Stadt zurück direkt in den Palast des Kalifen Walîd und flehte ihn um Hilfe an.

Der Kalif: »Hast du irgend jemand wegen Mordes in Verdacht?«

Die Mutter Salîts: »Jawohl, den Ali Ibn Abdallah.«

Der Kalif: »Bringe mir irgendeine Person, welche bezeugen kann, daß sie Salît in den Garten hineingehen gesehen hat.«

Ein solcher Zeuge wurde herbeigeschafft. Der Kalif ließ darauf durch Kriminalbeamte den Garten untersuchen, ob sich dort eine Spur von Salît fände. Man grub die Erde des Gartens an mehreren Stellen auf, fand aber nichts. Dann aber sprach ein Gartenarbeiter: »Ihr müßt so tief graben, bis ihr auf das Wasser stoßt.« Das geschah nun auch, und nach verschiedenen vergeblichen Bemühungen fand man die Leiche.

Der Kalif ließ den Ali Ibn Abdallah kommen und fuhr ihn heftig an: »Bei Allah, wenn du ihn getötet hast, lasse ich dich auch töten.« Ali schwur, daß er ihn nicht getötet habe und mit seinem Tode in keinerlei Beziehung stehe. Trotzdem ließ der Kalif ihn einkerkern und schickte einen ausführlichen Bericht über die ganze Angelegenheit an die Bürgermeister und Richter der großen Städte, worin die Verdachtsgründe gegen Ali und die Zeugenaussagen mitgeteilt waren. Der damalige Statthalter von Medina, ein Vetter des Kalifen, schrieb ihm folgende Antwort: »Laß ihn prügeln, mit einem härenen Gewande bekleiden und so durch die Straßen von Damaskus paradieren.« Und so geschah es auch. Ali erhielt 61, nach anderer Version 100 Stockschläge, wurde in einem Armensünderhemd durch die Straßen paradiert und mußte dann in der prallen Sonne am Pranger stehen.

In dem Moment eilte ein Freund des armen Mißhandelten herbei, Abbâd Ibn Zijâd, ein Mitglied einer hochangesehenen, mächtigen Familie, warf sofort seinen Mantel über ihn, um ihn den Blicken des Pöbels zu entziehen, stürzte zum Kalifen und sprach: »O Emir der Gläubigen, Ali wird zu Unrecht des Mordes verdächtigt. Er ist ein viel zu vortrefflicher frommer Mann, als daß er imstande wäre jemanden zu töten.« Der Kalif ließ sich von ihm bestimmen, befahl mit der weiteren Vollstreckung des Urteils gegen Ali aufzuhören, verdammte ihn aber zur Verbannung auf Lebenszeit nach dem ödesten, heißesten, ungesundesten Orte seines ganzen Reiches, nach der Insel Dahlak im Roten Meer.

Mittlerweile erschien aber, als der Verurteilte bereits aus Damaskus herausgeführt war, ein neuer Fürbitter für ihn auf dem Plan, und zwar kein geringerer als der eigene Bruder des Kalifen, Prinz Sulaimân. Dieser sprach: »O Emir der Gläubigen, ruf den Ali zurück, schick ihn nicht nach Dahlak, halte ihn aber, wenn du willst« irgendwo gefangen.« Der Kalif gab ihm nach, schickte dem Ali einen Boten nach, und ließ ihn dort, wo der Bote ihn einholte, in das Gefängnis setzen. Und dort, in einem kleinen syrischen Städtchen, genannt Alfara, ist Ali geblieben, bis der Kalif Walîd starb und sein Bruder Sulaimân die Regierung antrat. Dieser befahl sofort seine Freilassung und setzte ihn in alle seine Ehren und Güter wieder ein. Nun verkaufte Ali jenen Unglücksgarten bei dem Kamelkloster vor Damaskus an eine omajjadische Prinzessin und ließ sich nieder in einem Städtchen des Transjordanlandes, wo er bis an sein Lebensende verweilte.

Die gute Tat Sulaimâns sollte ihre guten Früchte tragen, wenn auch späte. Wenige Jahrzehnte nach diesem Ereignisse zerbarst der Thron der Omajjaden, die Nachkommen eben dieses von ihnen mißhandelten Abbassidengeschlechtes hatten ihn vernichtet. Im Osten des Reiches hatten sie als Verwandte des Propheten einen Anspruch auf das Kalifat erhoben, unter ihrer Fahne große Heere gesammelt, welche bald das Reich überrannten, alle zahlreichen Mitglieder des Omajjaden-Geschlechtes verfolgten und töteten, die Gräber der Kalifen dieses Hauses überall schändeten und vernichteten, die Leichen herausrissen und ihre Gebeine in alle Winde zerstreuten. Mit einer Ausnahme. Im Archiv zu Damaskus hatten die Sieger einen Brief gefunden, den Sulaimân Ibn Abdelmelik als Kronprinz an seinen Bruder, den regierenden Kalifen Walîd geschrieben hatte, in dem er letzteren um Schonung für Ali Ibn Abdallah bat und darauf aufmerksam machte, daß Ali als ein naher Verwandter des Propheten doch ein Anrecht auf besondere Rücksicht habe. Dies war die Ursache, weshalb, während sämtliche Omajjadengräber vernichtet wurden, auf besonderen Befehl des siegreichen neuen Cäsaren aus dem Geschlechte Abbâs: das Grab Sulaimâns zu Dabik, einem kleinen Orte Nordsyriens, unangetastet blieb.


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