Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Fünftes Kapitel,

worin von Liebe die Rede ist und einer zu Boden geschlagen wird.

Zehn Jahre früher hätte so ein schöner Frühlingsvormittag, wie er heute über den weitläufigen Gartenanlagen des Ludwigsburger Schlosses aufgegangen, sicherlich eine Menge höfischer Spaziergänger auf die sauberen Kieswege gelockt, welche sich durch die mannigfaltigen Baumgruppen und Alleen hinzogen. Jetzt aber war es gar still und einsam in dem weiten Parke, dessen verschwiegene oder auch nicht verschwiegene Boskette vordem so manches pikante Abenteuer den profanen Augen der Welt verborgen hatten. Die gute Stadt Ludwigsburg führte dermalen ein gelangweiltes und Langweile erregendes Dasein. Der Herzog saß droben in seinem Hohenheim, der Hof befand sich in Stuttgart, und es war keine Aussicht da, daß die alten glänzenden Zeiten sobald oder überhaupt jemals wiederkehren würden. Aber die Hänflinge, die Finken und Goldammern, welche in dem Parke so freisam zwitschernd sich umtrieben, als wäre er recht eigentlich ihre Domäne, kümmerte das wenig. Es kümmerte sie auch wenig, daß der Frühling noch nicht dazu gekommen, seine ganze Pracht und Fülle zu entfalten. Schon der sonnige und hoffnungsgrüne Ansatz dazu genügte ihnen, um sich ihres Lebens königlich zu freuen, sich zu paaren und zu Nutz und Frommen zu erwartender Familie auf Gründung einer eigenen Nestexistenz spielend bedacht zu sein.

Ein Buchfink, der auf sein intensiv rotes Brusttuch augenscheinlich nicht wenig sich einbildete, sonst aber von gesetztem und solidem Aussehen war, debattierte mit seinem Weibchen die Nesterbauungsfrage in so gründlicher Weise, wie es einem deutschen Buchfinken zukommt. Das würdige Paar saß mitsammen auf einem Fliederstrauch, dessen Blütenknospen schon recht neugierig in die Welt guckten und der an einer kleinen Seitenallee stand, welche zu einem in Form einer chinesischen Pagode erbauten Gewächshause hinabführte. Frau Fink gab ihrem Gatten mit Gebärden und Worten zu verstehen, daß sie eine auf der andern Seite des Weges stehende ehrwürdige Birke für eine taugliche Nestlokalität ansehe. Ihre Meinung hatte auch viel für sich. Der ganze Platz trug den Charakter einer gewissen Heimeligkeit und versprach im Sommer recht dichtgrün und schattenkühl zu werden. Herr Fink beäugelte den in Frage stehenden Baum und die ganze Stelle mit großem Bedacht und deutete dann an, daß von seiten der Poesie angesehen, dem Wunsche der teuren Gattin nichts im Wege stehen dürfte; jedennoch – fuhr er fort, zur ganzen Würde seiner Stellung sich erhebend – jedennoch müsse er als praktischer Mann und vorsorglicher Familienvater in spe zu bedenken geben, daß, vom Standpunkte der finkischen Lebenswirklichkeit aus betrachtet, die fragliche Birke viel zu nahe am Wege stehe. Frau Fink hörte zwar mit geziemendem Respekt die Auseinandersetzung ihres Gemahls an, schien aber, nach Frauenart, seine Logik nicht sehr nach ihrem Geschmacke zu finden. Zum Glück nahm es der Zufall, der auch in der finkischen Welt eine große Rolle spielt, auf sich, der Frau Fink sogleich und unwiderlegbar darzutun, wie sehr ihr Herr und Gemahl recht habe.

Ein untersetzter, fast vierschrötiger, flachshaariger, noch nicht sehr alter, aber auch nicht mehr ganz junger Mann kam eilends die kleine Allee herauf, mit häufig über die Schulter zurückgewandtem Kopfe. Als er auf den Fliederstrauch losschritt, schien Madame Fink den Platz doch nicht mehr so ganz heimelig zu finden, wie vorhin, denn sie machte sich alsbald auf die Flügel. Monsieur Fink nahm gleichfalls den Finkenstrich und ließ im Abschwenken einen triumphierenden Schlag hören, welcher, aus dem Finkischen ins Deutsche übersetzt, bedeutete: Ich wußte wohl, daß ich klug und weise bin – sapperlot!

Der flachshaarige Vierschrötige stand bei dem Fliederstrauche still, blickte auf den Weg, den er gekommen, zurück und sagte für sich:

»Sie ist's! Kein Zweifel! – Das hochmütige Jüngferchen! – Aber hübsche Früchte liefert die Ecole, das muß man sagen! – Ob die Generalin davon weiß? Bah! Die wilde Hexe wird ihr wieder mal 'ne Nase gedreht haben. – Wenn es der Herzog wüßte! Wie der fulminieren würde!– Aber er soll es wissen, unter Umständen natürlich. – Möchte nur wissen, wer der vornehm aussehende Kerl ist, der mit ihr geht. 's muß ein Fremder sein. Sie schwatzen in irgend einer welschen Sprache – hol's der Teufel! – Ah, da kommen sie.«

Bei den letzten Worten dieses Monologs trat der Mann rasch über das schmale Blumenbeet weg, welches den Weg säumte, und verschwand hinter dem Buschwerk auf der andern Seite.

Ein Herr und eine Dame kamen die Allee herauf.

Sie schienen diese abgelegene Stelle des Parkes aufgesucht zu haben, um sich ungestört einer ernsten Unterhaltung überlassen zu können.

Den Herrn haben wir schon einmal gesehen, auf dem Stuttgarter Schloßplatze, wo er über Schillers komische Erscheinung und über die Möglichkeit, in deutscher Sprache zu dichten, seine Glossen machte. Es war der herkulische Elegant, welcher sich Herr Chevalier titulieren ließ.

Auch die Dame sahen wir bei jener Wachtparade an einem Fenster des alten Schlosses stehen. Sie ist uns aber vorzeiten schon im Salon der Frau Generalin von Wimpfen begegnet, eine angehende Elfin. Jetzt ist sie eine vollendete. Wie haben sich die Schönheitskeime, welche damals in dem wilden Kinde schlummerten, seither herrlich entfaltet!

Sie schritt in der wundervollen Harmonie ihrer schlanken Gestalt so unbefangen leicht und doch so siegesgewiß einher, wie die frischeste Rose im Morgenwind auf ihrem schwanken Stengel sich wiegt. Ihre prächtigen Haare, dem Gesetze der damaligen Mode spottend, fielen in schweren schwarzen Wellen auf Schultern nieder, die unter dem leicht umgeworfenen Menteur hervor die Weiße, Glätte und Festigkeit edelsten Marmors zeigten. In der linken Hand trug sie nachlässig den kleinen Hut, welcher ihren Kopf bedecken sollte, und in der rechten führte sie eine dünne Gerte, welche sie unterwegs von einem Haselstrauch gebrochen hatte.

Der Herr Chevalier, den Chapeaubas respektvoll unter dem Arme, redete eifrig und mit warmer Betonung in italischer Sprache.

Ohne ihn zu unterbrechen, stand Lauretta von Zeit zu Zeit still und fixierte den eifrigen Sprecher mit ihren großen dunkelblauen Augen. Dann ging sie wieder weiter. Ein spöttisches und doch unbeschreiblich reizendes Lächeln kräuselte für einen Moment ihre Lippen, und sie hieb mit der Gerte durch die Luft, daß es einen pfeifenden Ton gab, der wie ironisch klang.

Endlich sagte sie, und dabei stand die spröde Kälte der Betonung ihrer Worte in einem eigentümlich anmutigen Gegensatz zu dem tiefmelodischen, seelenvollen Alt ihrer Stimme:

»Mein Herr, ich mache Ihnen mein aufrichtiges Kompliment über Ihr eminentes Sprachtalent. Sie behandeln unsere schöne italische Sprache mit der nämlichen Virtuosität, womit ich Nardini seine Geige behandeln hörte. Aber, entschuldigen Sie die kindische Frage, wievielen Mädchen oder Frauen haben Sie das nämliche schon gesagt, was Sie soeben mich hören ließen?«

»Sie sind grausam, Signora,« erwiderte der Chevalier, und man konnte ihm unschwer ansehen, daß das bizarre Wesen, an dessen Seite er einherschritt, ihm keinen geringen Zwang auferlegte.

»Grausam? Bah! Und wenn ich es wäre, warum lassen Sie sich meine Grausamkeit gefallen?«

»Sie wissen es wohl, weil ich Sie liebe.«

»Schon wieder von Liebe? Was ist denn das eigentlich für ein Ding? Ich weiß davon nur aus Büchern, und in diesen stehen, wie Sie, mein Herr, ohne Zweifel wissen, so große Lügen! Vielleicht nur, weil sie meistens von Männern geschrieben werden, nicht wahr? Ich weiß gar nicht, was ich mir dabei denken soll, wenn der gute Guarini einen mächtigen Anlauf nimmt und zu singen anhebt:

Wie bist du groß, o Liebe!
Ein Wunder der Natur, der Welt zu preisen.
Welch rohes Herz und Wildheit ohnegleichen
Kann deiner Kraft entweichen?
Doch welcher Tiefsinn oder Witz der Weisen
Kann deine Kraft ergründen?
Wer steht, wie deine Gluten sich entzünden
Üppig und ausgelassen,

Wird sagen: Ird'scher Geist, dich aufzufassen
Taugt nur des Leibes Hülle.
Doch wer dann sieht, wie zu der Jugend Fülle
Den Liebenden erhebend,
Dein Feuer, was sonst ungestüm erglühte,
Alsbald erlöschen macht, wird bleich und bebend
Ausrufen: Hoher Geist, nur im Gemüte
Hast deinen Sitz, dein Heiligtum du innen!

Die ersten Verse dieser berühmten Stelle aus einem Chor des »Pastor Fido« hatte Lauretta mit parodierender Betonung und mit von Spott funkelndem Blicke gesprochen, Aber das änderte sich gedankenschnell. Ein reizendes Inkarnat überflog ihr edles Antlitz, ihre Augen, in feuchtem Glänze schwimmend, wandten sich in die Ferne, als suchten sie dort ein Wesen, an welches sie die glühende Ausströmung des italischen Dichters richten könnte, tiefes Sehnen machte ihre Brust schwellen, und ihre Stimme bebte, als sie die Schlußverse sprach.

Der Chevalier blickte entzückt auf das schöne Geschöpf. Es war mehr als weltgewandte Galanterie, es war sympathisches Ergriffensein, was ihn mit lebhaftestem Ausdruck aus dem angeführten Gedicht die Verse zitieren ließ:

»O Weib, des Himmels Gabe,
Nein, vielmehr einzig dessen,
Der deine holde Hülle
Dir, beider Schöpfer, schöner zugemessen!
Was ist, das schön wie du der Himmel habe?
Aus Ton, Bewegung, Schimmer,
Reiz, Schönheit, Sitte sind dir Harmonien
So süß im schönen Angesicht verliehen;
Der Himmel wage nimmer,
Muß nur dem Paradies der Himmel weichen,
Dir, göttlich Wesen, dir sich zu vergleichen!«

So sprechend bog er das Knie und suchte Laurettas Hand zu ergreifen, um sie zu küssen. Aber er sollte sogleich erfahren, daß er es mit der Turbinella zu tun hatte. Sie trat nämlich so schnell zurück, daß der Entzückte das Gleichgewicht verlor und ums Haar der Länge nach zu Boden geplatscht wäre. Während er sich dann ziemlich ernüchtert wieder aufraffte, deklamierte sie, das kokette Sprödetun einer Amaryllis oder Zerline zu komischer Übertreibung steigernd, aus dem »Pastor Fido«:

»O Schmeichler, deine Süße,
Dein falsch Vergnügen,
Soll es mich locken, mich betrügen?
Ich kehre um und wage
Und kreis' und flieh' und schlage
Und weiß dir zu entweichen;
Du kannst mich nicht erreichen,
O falsche Liebe!
Denn frei sind meine Triebe.«

Und sie ließ die Gerte pfeifen und lachte spöttisch wie ein Teufelchen. Aber das alles war so reizend, so allerliebst, daß es der Herr Chevalier für das klügste hielt, Brava! Brava! zu rufen und ebenfalls zu lachen.

»So gefallen Sie mir, mein schöner Herr,« sagte Lauretta. »Bezeigen Sie mir fortan unbefangenes Wohlwollen. Das steht Ihnen viel besser zu Gesichte als schäferliches Liebeswerben. Zu letzterem sind Sie ohnehin wie mir vorkommt, fast schon etwas zu alt.«

Sie sprach das so leichthin, daß man nicht recht wußte, ob es in aller Naivität oder aber in überdachtester Bosheit gesagt wurde. Der Chevalier biß sich auf die Lippen, aber sie gab sich den Anschein, das gar nicht zu sehen, und fuhr fort:

»Lassen Sie uns jetzt vernünftig reden, mein Herr, und mich vor allen Dingen das Geständnis ablegen, daß in Ihrer Persönlichkeit etwas ist, was mir von Anfang unserer improvisierten Bekanntschaft an großes Vertrauen, aber auch etwas, was mir großes Mißtrauen einflößte. Das erstere hat bislang überwogen, vielleicht hauptsächlich deshalb, weil mich die Art und Weise, wie Sie unsere siebenfach gescheite Abbatessa, das ist die Frau Intendantin der Ecole, nasführten, höchlich ergötzte. Sie haben sich dabei zugleich klug und kühn benommen: ich liebe das. So bin ich denn ganz damit einverstanden, daß Sie mich aus der ägyptischen Knechtschaft befreien oder meinetwegen entführen. Ich habe es satt, länger in der Ecole mit dummen Gänschen von Baronessen und Komtessen und albernen Kunstschülerinnen und all diesem Gesindel eingepfercht zu sein. Ich habe das Land überhaupt satt, habe es doppelt und dreifach satt, seit – doch das gehört nicht hierher. Ich will fort, das steht fest, und ich sehe nicht ein, warum ich von Ihrem gütigen Anerbieten, mir fortzuhelfen, keinen Gebrauch machen sollte. Aber, mein Herr, der Fluchtplan, welchen Sie mir mitteilten, gefällt mir nicht.«

»Das bedaure ich höchlich, Signora. Ich glaubte, derselbe sei nicht ungeschickt entworfen. Darf ich wissen, warum er Ihnen mißfällt?«

»Weil darin der Schauspielerin Binetti eine so wichtige Rolle angewiesen ist.«

»Aber was wollen Sie? Ich kann mich auf die Binetti vollständig verlassen. Sie ist eine gute Freundin von alters her.«

»Ei, ei, wirklich von alters her? Da hatte ich doch, sehen Sie, nicht unrecht, wenn ich meinte, Sie seien nicht mehr so jung, als Sie sich vorhin anstellen wollten.«

»Liebenswürdige Bosheit! Aber lassen wir mein Alter vorderhand aus dem Spiele.«

»Nein, nein, mein Herr. Ich bestehe im Gegenteil darauf, daß Sie in unserem Verkehr Ihr Alter beständig vor Augen haben sollen. Also Sie sind ein alter Bekannter der Binetti?«

»Ich wiederhole, Signora, Sie behandeln mich grausam. Alt ist ein sehr relativer Begriff. Ein Mann, welcher liebt und wagt, ist gar nie alt.«

»Sehr gut gesagt, mein Herr, und es wird mir Vergnügen machen, über diese Thesis bei gelegener Zeit mit Ihnen zu disputieren. Was aber Ihre Freundin Binetti anbetrifft, so will ich mich weder derselben anvertrauen, noch will ich sie kompromittieren.«

»Kompromittieren?«

»Ei, ja doch. Ich habe Ihnen ja schon früher gesagt, daß der Herzog von Württemberg in solchen Dingen keinen Spaß versteht. Ich will von Mittelspersonen überhaupt nichts wissen. Ihr Plan taugt nichts, mein Herr.«

»Aber –«

»Aber Sie haben nicht sofort einen andern bei der Hand? Wohl, so werde ich selber einen ersinnen. – Wollen Sie mir den Gefallen tun, bis morgen hier zu verweilen?«

»Sie wissen, Signora, daß Ihre Wünsche mir Befehle sind?«

»Wie galant! Morgen früh bringt mich die Frau Generalin in ihrem Wagen nach Stuttgart zurück. Wenn Sie sich zwischen neun und zehn Uhr in der Allee vor dem nach Stuttgart führenden Tore zeigen wollen, werde ich Mittel finden, Ihnen aus dem Wagen einen Zettel zuzuwerfen, welcher die Resultate meines Nachdenkens enthalten soll. Um aber nachdenken zu können, muß ich allein sein. Sie werden diese Eigenheit entschuldigen, und so, mein Herr Chevalier, entlasse ich Sie auf baldiges Wiedersehen.«

Sie winkte ihm zu mit dem stolzen Anstand einer Königin und doch auch wieder mit so unwiderstehlich schalkhafter Grazie, daß er, auch dieser plötzlichen Laune ohne Widerspruch sich fügend, mit einer respektvollen Verbeugung sich verabschiedete.

Sie sah dem Gehenden mit einem seltsamen Ausdruck ihrer Mienen nach. Deuten wir denselben richtig, so sagt er: Dieser Mann hat gerade Verstand genug, meinen Willen zu tun, aber nicht genug, zu wissen, daß ich mich über seine Hoffnungen lustig mache.

Dann ging sie in einer Richtung, welche der von dem Chevalier eingeschlagenen entgegengesetzt war, ein paar Schritte weit, blieb jedoch wieder stehen, wie in Gedanken verloren, schwippte mit der Haselgerte durch die Luft und bückte sich zu einem Blumenbeete nieder, auf welchem Primeln, Märzglöckchen und Veilchen blühten.

Sie pflückte sich einen Strauß. Als sie sich aber wieder aufrichtete, sah sie plötzlich den Flachshaarigen vor sich stehen. Sie erschrak jedoch nicht im geringsten ob dieser Erscheinung, sondern sagte ruhig:

»Ah, sie da, Herr Garteninspektor Walter! Guten Morgen, und halten Sie mir es zugute, daß ich mich verleiten ließ, in dem Blumenbeete da so räuberisch zu wirtschaften. Ich wollte der Frau Generalin ein Bukett mit heimbringen –«.

»Bitte, Mademoiselle,« fiel der Herr Garteninspektor ein, artigst sich verbeugend, »bitte recht sehr, da bedarf es keiner Entschuldigung. Alle Blumen des Schloßgartens stehen zu Ihrer Verfügung. Freilich will das nicht viel heißen, denn dermalen blüht im Freien erst solch untergeordnetes Zeug, wie Sie da in Ihrer schönen Hand halten. Wenn Sie mir aber die Ehre und Faveur erweisen wollen, in dem Gewächshause da unten meinen ultramontanen und tropischen Frühlingsflor zu besichtigen, so werde ich das Vergnügen und die Ehre haben können, Ihnen ein Bukett anzubieten, welches Ihrer würdiger sein dürfte.«

»Kommen Sie, Herr Inspektor. Ich mache von Ihrer Freundlichkeit sehr gern Gebrauch. Liebe ich doch die Blumen und Blüten des Südens so sehr.«

Herr Walter ließ ihr galant den Vortritt und folgte der Vorangehenden zu der chinesischen Pagode hinunter.

Die beiden waren aber kaum hinter den Glaswänden des Gewächshauses verschwunden, als auf der Stelle des Weges, wo sie sich getroffen, zwei andere Personen erschienen: der Regimentsarzt Schiller und sein Freund Raleigh.

»Am Ende hast du doch falsch gesehen,« bemerkte der erstere. »Wir haben jetzt so ziemlich den ganzen Park durchsucht und nirgends weder von der Schönen noch von dem unternehmenden Chevalier eine Spur gefunden.«

»Das erklärt sich einfach aus den vielverschlungenen Gängen und massenhaften Baumgruppen dieser Anlagen,« entgegnete der Virginier. »Ich weiß nur zu gewiß, daß meine Augen mich nicht getäuscht haben. Ich sah den Venezianer drüben an einem Fenster des Gasthauses zum Waldhorn lauern, bis das Fräulein über den großen Schloßhof hin nach dem Parke ging. Dann folgte er ihr. Sie gab ihm ein Stelldichein, kein Zweifel, der wunderliche Mensch, der Sammetdoktor, hatte richtig gehört – leider!«

»Armer William, dich plagt die Eifersucht. Aber, im Grunde, was kannst du und willst du tun?«

»Weiß ich es? Mir ist nur, als müßte ich das unbesonnene Kind vor einem Unheil bewahren. Ich fürchte, Lauretta hat sich, einer bizarren Laune nachgebend, in ein Abenteuer eingelassen, welches für sie von den mißlichsten Folgen sein kann. Der Chevalier ist offenbar ein kecker Waghals, wenn es sich um die Befriedigung seiner Leidenschaften handelt. – Wie schäm' ich mich dieser gemeinen Wette! Statt sie anzunehmen, wäre es edler und männlicher gewesen, dem unerfahrenen Mädchen auf irgend eine passende Art eine Warnung vor den Intrigen des Venezianers zukommen zu lassen.«

»Das gebe ich zu, aber –«

»Du meinst,« unterbrach der heute augenscheinlich ungewöhnlich erregte Amerikaner den Freund, »du meinst, ich hätte schwerlich das Recht gehabt, mich in Dinge zu mischen, die mich eigentlich nichts angehen?«

»Das nicht gerade. Vielmehr meine ich, daß die Turbinella, so wie ich sie kenne, und vorausgesetzt, daß von ihrer Seite bei dieser ganzen Intrige irgend eine Absicht im Spiele ist, die Warnung mit Spott zurückgewiesen haben würde.«

Sie waren inzwischen bei dem chinesischen Gewächshause angekommen, als ihr Gespräch durch ein seltsames Ereignis unterbrochen wurde.

Wie sie nämlich an der Pagode vorübergehen wollten, wurde die Türe derselben hastig aufgerissen und herausstürzte Lauretta glühenden Antlitzes, zornfunkelnden Auges, wie außer sich.

Auf dem Fuß folgte ihr in wütender Eile der Garteninspektor Walter, auf dessen breitem, widerwärtig aufgeregtem Gesicht eine blutrote Querstrieme sichtbar war, die ganz und gar dem Empfangschein für einen nachdrücklichen Gertenhieb ähnlich sah.

Raleigh sprang blitzschnell vor, blieb aber überrascht stehen, als er in dem Verfolger Laurettas nicht, wie er erwartet haben mochte, den Chevalier, sondern einen ihm völlig unbekannten Mann erblickte.

Lauretta übersprang leicht wie ein gehetztes Reh den Zwischenraum, welcher sie von den beiden Freunden trennte, eilte an Raleigh vorüber und warf sich, in der leidenschaftlichen Hast des Moments alle Zurückhaltung vergessend, dem Dichter an die Brust mit dem ängstlichen Ruf:

»Schiller, um Gottes willen, schützen Sie mich vor dem Elenden, der es wagte –«

Ihre Stimme brach in Empörung und Widerwillen.

Der Verfolger war durch die unerwartete Erscheinung der jungen Männer wenigstens insoweit zur Besinnung gebracht worden, daß er stehen blieb.

Schiller seinerseits hatte Mühe, seiner Überraschung einigermaßen Herr zu werden. Doch es gelang ihm keineswegs augenblicklich, und so hielt er die schöne teure Last eine Sekunde lang in den Armen und fühlte den holdesten Busen hoch aufpochen an seiner Brust. Endlich vermochte er seiner Entrüstung Worte zu geben und rief dem Inspektor zu:

»Was soll das, Sie brutaler Mensch? Wie konnten Sie sich erfrechen, eine Dame zu ängstigen und zu beleidigen?«

Beim ersten Laute seiner Stimme richtete sich Lauretta aus seinen Armen auf und trat einen Schritt zurück. Jungfräulicher Purpur überglomm ihre edlen Züge. Dann wurde sie todblaß, und zwei große Tränen rollten ihr über die Wangen herab.

Hinter den halbgeschlossenen dunkelbefransten Lidern hervor richtete sie auf den Dichter einen Blick, welcher Raleigh, der alle ihre Bewegungen mit der Spannung eines Liebenden bewachte, erbeben machte. Was hätte er um diesen Blick voll Seele nicht gegeben! Und der, dem er galt, bemerkte ihn nicht einmal, weil seine Aufmerksamkeit dem Menschen zugekehrt war, an welchen er seine zornige Frage stellte.

Der Freche ließ sich aber dadurch nicht einschüchtern.

»Wer sind Sie denn eigentlich?« fragte er mit kecker Unverschämtheit, konnte aber dabei nicht umhin, mit der Hand nach der hochgeschwollenen Strieme zu greifen, welche sein Gesicht grotesk genug halbierte und ihn empfindlich schmerzen mochte.

»Wer ich bin?« versetzte der Dichter, einen Schritt auf den Menschen zutretend. »Das geht Sie eigentlich gar nichts an, denn jeder hat das Recht, eine Niederträchtigkeit zu züchtigen, wo immer sie ihm begegne. Da Sie es aber wissen wollen, ich bin der Regimentsmedikus Schiller aus Stuttgart, und Sie sollen mir Rechenschaft geben über Ihr schuftiges Benehmen gegen diese Dame.«

»So, der Feldscherer Schiller sind Sie? Der Sohn meines Herrn Kollegen auf der Solitude? So, so! Und Sie wollen sich zum Ritter dieser Dame aufwerfen?«

Der Mensch legte einen boshaften Akzent auf das Wort Dame und fügte mit einem häßlichen Grinsen hinzu:

»Eine ehrsame Dame das, die an einem und demselben Morgen verschiedenen Galanen Rendezvous gibt!«

Ein halbunterdrückter Zornschrei brach über die Lippen Laurettas.

Der Unverschämte sah sie frech an und begann wieder: »Ei jawohl, eine saubere Dame, diese –«

Ein garstiges Wort schwebte ihm auf der Zunge, aber er hatte keine Zeit, es auszusprechen.

Schiller erhob den Arm, aber ein anderer kam dem seinigen zuvor. Raleigh warf sich mit einem wütenden Sprung auf den unverschämten Menschen und versetzte ihm einen Faustschlag auf die Stirne, daß er besinnungslos zu Boden stürzte.

»Ah,« sagte Lauretta mit wundersam schnell wiedergewonnener Fassung, »das war ein schöner Schlag! Ich danke Ihnen, mein Herr Amerikaner, denn jetzt erkenne ich in Ihnen meinen Tänzer von der letzten Redoute. Ich danke Ihnen von Herzen.«

Schiller blickte das Mädchen verwundert an. In einem Augenblick hatte sich Laurettas Wesen verändert. Sie war wieder ganz die Turbinella, die sich nichts sehr oder lange anfechten ließ. Es schien, für sie gebe es nur eine bleibende Stimmung, die eines über alle Wogenspitzen der Lebensflut sicher und anmutig hingleitenden Humors.

»Mein Fräulein,« sagte Raleigh, »ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich den Schurken da in Ihrer Gegenwart züchtigte. Und nun erweisen Sie mir, ich bitte Sie achtungsvoll, die Ehre, Sie von diesem Schauplatz eines widerwärtigen Auftritts weggeleiten zu dürfen.«

Er bot ihr mit der Gewandtheit eines Mannes von Welt den Arm, welchen sie nicht ausschlug. Als sie aber mit ihrem Begleiter an ihrem noch immer regungslos daliegenden Beleidiger vorüberging, wies sie mit der Spitze eines allerliebsten Füßchens auf die mehrerwähnte rote Strieme und sagte mit silberhellem Lachen:

»Sehen Sie, wie hübsch ich den Elenden gezeichnet habe!«

Schillers Seelengüte ließ ihn noch eine kleine Weile zurückbleiben, um zu sehen, wie sich dem Gezüchtigten und Gezeichneten Beistand leisten ließe. Als er jedoch bemerkte, daß der Mensch sich regte und dehnte, dann nach einigen vergeblichen Versuchen schnaufend, pustend und einen rohen Fluch ausstoßend auftaumelte, hielt er es für überflüssig, sein Mitleid an einen solchen Gegenstand zu verschwenden, und folgte langsam dem vorangegangenen Paare durch das grüne Parklabyrinth.


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