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An der Gartenseite der Ingenheimschen Villa ragte ein weinlaubumsponnener Balkon hinein in die wiegenden Schatten der Akazien. Dort lag Manja den ganzen Nachmittag auf ihrer bequemen Chaiselongue aus schmiegsamem Strohgeflecht mit geschlossenen Augen. Die gedämpfte Sommerhelle drang in blauen zartgepurpurten Lichtwellen durch die nervös bebenden gesenkten Lider. In halber Bewußtlosigkeit lag sie da, ohne Sinnen, ohne Denken, aufgelöst in dem wohligen Gefühl der Entspannung. Endlich war diese ungreifbare Angst von ihr gewichen, die all diese Zeit, seit Seebeck ihr begegnet war, an ihren Lebenskräften gezehrt hatte. Jetzt war etwas geschehen, sie stand vor Ereignissen, die Dinge ließen sich packen und abwehren. Nicht mehr lauerte irgendwo in der Luft das Entsetzen, das jeden Augenblick heimtückisch zuspringen konnte.
Sie lag auf dem Rücken und fühlte die Entlastung in allen Gliedern. Stundenlang lag sie so, sanft atmend, die Befreiung genießend.
Dann trat ihr hübscher neunjähriger Junge vorsichtig an ihr Lager. »Schläfst du, Mama?« fragte er leise. Aufgeschreckt riß sie die Lider empor. »Nein, mein Junge,« lächelte sie gleich und streichelte seine braunen Backen, »willst du ein bißchen bei mir bleiben?«
Er errötete drollig. »Gern, Mama.« Sie sah ihm scharf in die klugen Augen. »Du hattest etwas anderes vor, Paul. Na, heraus damit, was war's?«
»Ich wollte,« er wurde noch röter, »mit Herbert Vorbach radeln. Aber wenn du gern willst, daß ich bei dir bleibe –« Es klang ein wenig verzagt und ein wenig heldenhaft.
Manja lachte. »Buberle, mach', daß du fortkommst! Radeln ist viel gesünder für dich, als hier bei Mutter zu hocken. Wir können ja abends noch ein bißchen plaudern.«
»Nicht wahr, Mutti?« rief er froh befreit. »Ich komme auch gar nicht spät. Und dann liest du mir weiter die Napoleonsbriefe vor, gelt?«
Er umarmte sie halb stürmisch, halb chevaleresk und lief auf seinen drallen Beinen davon.
Die Baronin blieb steil auf der Chaiselongue sitzen und blickte ihrem Jungen nach. Und plötzlich blutete eine dunkle Röte der Scham über ihr zartes Gesicht. Das Ereignis des Vormittags fiel über sie her. Doch sie dachte nicht an ihren Jungen, den sie würde verlassen müssen, wenn der Vater sie aus dem Hause jagte; sie dachte nicht an ihre eigene verzweifelte Zukunft noch an die Schande, die sie über das hochangesehene Haus des Regierungspräsidenten bringen würde. Sie hatte nur ein Gefühl zermalmender Scham vor ihrem Manne. Nein, nein, nicht so vor ihm stehen! Als überführte gebeugte Sünderin. Nein, das nicht. Nur das nicht! Nicht nach alledem vor ihm stehen müssen und bekennen. Nein, nein. Nicht das! Nachdem sie damals, in den ersten Jahren ihrer Ehe, auch damals noch, als Faber schon längst alle ihre Gedanken beherrschte, ja, gerade damals alle diese großen Worte gefunden hatte. Immer wieder hatte sie damals mit ihrem Manne über das Problem der Ehe gesprochen und aus tiefster erlebter Überzeugung diesen stacheldrahtumhegten Grenzwall zwischen geistiger Verschwisterung und vorbehaltloser Liebe aufgerichtet. Just heraus aus dem stolzen Bewußtsein ihrer festbegründeten Stellung zu Faber und zu ihrem Manne hatte sie sich zur souveränen Herrin dieser beiden, durch Empfindungswelten getrennten Provinzen ihres Gefühlslebens proklamiert und proklamieren dürfen. Bis dann zuletzt ihr erhabener selbstsicherer Thron so kläglich zusammengebrochen war. –
Sie schloß wie im Fieber fröstelnd die Augen. – Und jetzt sollte sie vor ihren Mann hintreten, das Haupt zerknirscht zur Erde gebeugt, und bekennen, daß alle jene großmächtigen Worte hohle Phrasen gewesen waren! Nein, nein. Sie war viel zu weltklug, um nicht zu wissen, welches Janusgesicht dieselben Dinge oft haben und haben müssen. Sie wußte, wie alles gekommen war, wie naturgemäß, wie unendlich schuldlos für beide Teile im Grunde, trotz aller unleugbaren Schuld. Sie wußte das. Sie hatte das erlebt. Aber ein anderer, der draußen stand, auf den diese schwer erklärlichen Dinge jetzt plötzlich alt und verblichen heranstürmten, sollte das begreifen! Ihr Mann mit seinen eisenstarren Anschauungen von der Heiligkeit der Ehe sollte das fassen! Das konnte sie nicht verlangen. Ihm war es nichts anderes als ein nackter gemeiner Treubruch. Ihm konnte es nichts anderes sein. Er würde und mußte glauben, alle jene erhabenen Worte damals seien Lügen gewesen, arglistig verabreichte Gifte, ihn einzulullen, seinen Verdacht niederzuhalten, ihn sicher einzuwiegen, damit das Gemeine gefahrlos hinter seinem Rücken geschehen konnte. Er war ein Mensch und mußte das glauben. Er kannte sie. Gewiß. Aber würde er nicht mit Entsetzen zu erkennen meinen, daß er sie diese zehn Jahre lang durch einen verhüllenden Schleier gesehen habe! Nein, so durfte es nicht kommen. Dann lieber sterben. So erbärmlich konnte sie nicht dastehen vor diesem geraden aufrechten Manne, dem jede Falschheit das Schmutzigste war. Dann lieber fort, ehe sie in seinen stolzen Augen das Grauen darüber aufzucken sah, daß er zehn Jahre seines Lebens mit einem tückisch verlogenen Tier zusammengelebt hatte. Dann lieber schnell fort! Und dabei im tiefsten zu wissen, daß sie nicht das verbrecherisch treulose Weib war! Es ganz genau zu wissen. Und es ihm mit allen Worten der Erde nicht begreiflich machen zu können, weil alles, alles, diese nackten sinnlosen toten Tatsachen gegen sie sprachen! Nie würde er begreifen, daß sie es nicht gewollt hatte. Daß er sie genommen, jäh überrascht hatte mit seiner ungeahnten aufwetternden Leidenschaft. Und daß dieser Taumel über ihn gekommen war plötzlich, wie ein Orkan, wie ein Gewittersturm aus wolkenlosem Himmel. Sie wußte das. Sie hatte es erlebt. Doch ihr beherrschter Mann, der nie die Zügel seines Wollens aus den Händen gleiten ließ, er sollte das verstehen!
O, diese blutleeren Tatsachen, die dastanden, tot und feindlich, bar all des zitternden heißen Lebensodems, der sie möglich und begreiflich gemacht hatte! Diese starren Pfähle, von denen all die bunten Blütenranken längst verweht und verflattert waren!
Nein, nein, so konnte sie nicht vor diesem Manne stehen. Keinem, und ihm zuletzt, konnte sie jemals erklären, wie es an jenem Regentage in Norderney gekommen war. Ohne Verrat, ohne Wollen, ohne Freude. Und was bedeutete ihm heute ihre schwere Sühne! Nichts. Nichts. Die Tat blieb und starrte, diese einmalige unselige Tat.
Die Frau sprang auf die Füße. Ehe sie so vor ihm stehen mußte, nein, lieber den Tod! Den martervollsten Tod!
Sie kauerte sich nieder und grübelte. Ja, dann sterben, wenn es soweit war. Hinübergehen. Fort von ihrem Jungen – dem armen geliebten Kerl, der so an ihr hing. Und plötzlich erwachte mit ihrer Mutterliebe ihre schnellende Energie. Noch war es nicht so weit. Noch nicht. Ihre grauen Augen wurden fast blau vor Willenskraft. Kämpfen, ja, sie wollte bis aufs Messer mit diesem Schurken um ihr Leben kämpfen. Sie wollte den Kampf aufnehmen. Er sollte staunen, welche Kraft in ihrem zarten Körper webte, dieser Mensch! Was konnte er denn wissen? Nichts, gar nichts. Kein Mensch außer ihr und Faber konnte Bestimmtes wissen. Seebeck hatte sie in Norderney stets zusammengesehen. Pah, davon wußte ihr Mann. Vielleicht hatte er beobachtet, daß Faber sie im Hotel besuchte. Das war unverfänglich, wie sie damals standen. Pah, was konnte er wissen! Sie würde leugnen bis zum Tode. Sie würde ihrem Manne schwören, wenn es sein mußte. Ja, das würde sie. Aber dazu kam es nicht. Ihr Mann würde nicht an ihr zweifeln, und wenn – Was konnte der Mensch an Beweisen haben? Nichts – nichts!
Sie reckte sich. Gut war es, daß es nun zum Austrag gekommen war. Wie dumm und töricht war sie all diese Zeit über gewesen. Ja, es war kein leerer Wahn, dieses Gerede von dem bösen Gewissen. Das wußte sie jetzt. Ihren klaren Blick hatte es völlig getrübt, sie umhergehetzt und eingeschüchtert, wirr und verzweifelt gemacht. Jetzt sah sie wieder klar. Sie lächelte fast keck.
Dann sann sie wieder und grübelte und schüttelte ihren blonden Kopf. Heute, ja heute war sie so klug. Heute, da alles abgeschlossen und übersehbar vor ihr lag. Aber dazumal! Es war doch alles so allmählich, so zaghaft, so lind und gut und ohne Warnen aus unscheinbaren Anfängen herausgewachsen.
Sie schmiegte sich tiefer in das hängende weiche Geflecht und sann darüber, wie alles gekommen war.
Vieles war verdämmert, doch einzelne helle Lichter brannten noch aus der Erinnerung.
Im vierten Jahr ihrer Ehe war es gewesen, als sie ihre verheiratete Schwester in Berlin besuchte. Sie waren bei irgend jemand zum Diner eingeladen, den Namen hatte sie längst vergessen. Sie sträubte sich. Sie hatte sich damals scheu in sich und ihre Arbeit verkapselt. Es war in der Zeit, in der ihre Ehe sie ein wenig enttäuscht hatte. Ihr Mann – damals war er noch Regierungsrat in einer kleinen Stadt – hatte ihren wissenschaftlichen Bestrebungen nicht die mittätige Teilnahme gehalten, die er ihnen als Bräutigam und junger Ehemann entgegengebracht hatte. Über ihre ernsten mathematischen Studien hatte er freilich schon bei ihrer ersten Begegnung ein wenig zweifelnd gescherzt. Ihre philosophischen und historischen Arbeiten aber hatten seinen Intellekt lebhaft gebannt und gefesselt. Und gerade als sie ihm einen ihrer Artikel in einer philosophischen Fachzeitschrift vorlas, gerade da hatte er sie staunend und zaghaft und hingerissen von dieser kühlen Weisheit in diesem heißen blonden Kopfe scheu auf die kluge Stirn geküßt. Und dann waren sie verlobt gewesen.
Aber als die Ehe aus dem ersten Frühlingswehen in die milde Sommerlindheit hinübergeglitten war, da begann der Regierungsrat kein Hehl daraus zu machen, daß er des Abends nach einem verantwortungsreichen zehnstündigen Arbeitstage für philosophische Erörterungen die erwartete Frische nicht mehr aufbringen könne. So traten diese Bestrebungen der jungen Frau allmählich in den Hintergrund. Manja von Ingenheim aber vereinsamte dadurch in ihren bedeutsamsten Lebensinteressen.
In den Stunden, in denen ihr Mann auf dem Amt war und ihr kleiner Junge ihrer nicht bedurfte, vergrub sie sich freilich nur um so leidenschaftlicher in ihre geliebten tiefgründigen Bücher. Doch damit breitete sich in ihrem Dasein ein weites, mit allen ihren Lebenssäften reich gedüngtes Gebiet, auf dem ihr Mann ein Heimatloser, in seltenen guten Stunden ein fremder Gast war.
Zur Zeit ihres Berliner Besuchs litt sie noch weh unter ihrer Vereinsamung. Nach langem Hin- und Herreden begleitete sie die Schwester in jene Gesellschaft. Sie saß verloren unter all diesen Menschen, die ihr mit ihrem vielen Reden so wenig zu sagen hatten, und antwortete kurz auf alle ihre Liebenswürdigkeiten.
Und dann stand neben ihr ein dicker kahlköpfiger Herr und gestand: »Jetzt begreife ich, Frau Baronin, daß Lenbach Sie hat malen wollen.« Erschreckt fuhr sie aus ihren Gedanken auf. »Lenbach? Wie kommen Sie nur darauf?«
»Nun,« sagte der glatzköpfige dicke Herr, »man hat vorhin darüber gesprochen, und der Herr dort, der mit der gelben Weste, übrigens ein scheußlicher Bursche, hat gesagt, daß Lenbach Sie in Karlsbad auf der Promenade angesprochen hat und Sie gebeten, ihm zu sitzen.«
Er kniff die Augen zusammen, zog einen feisten Schlemmermund und bewunderte: »Ich sag' Ihnen, Frau Baronin, der Lenbach, 'n Kenner is er gewesen!«
»Ich habe Lenbach nie gesehen,« entgegnete sie steif, »das ist ein Märchen, das man von vielen Frauen erzählt.«
Da schwieg der dicke Herr enttäuscht und zog sich nach einer kleinen Anstandspause zurück. Wenn das mit Lenbach nur ein Irrtum war, na denn – –
Und dann saß, als sie schon an Aufbruch dachte, Faber neben ihr. Sie wußte heute nicht mehr, wie das gekommen war. Sie erinnerte sich auch nicht mehr daran, was sie mitsammen gesprochen hatten. Wohl von seiner Doktorarbeit über die Präraffaeliten. Sie wußte nur, daß er ihr Gemüt aus tiefem Meeresgrunde heraufbeschworen hatte an das Licht der Teilnahme und daß sie staunend aufgetaumelt war, als plötzlich die andern Gäste die Hausfrau abschiednehmend umstanden. Es war zwei Uhr morgens.
Faber hatte die beiden Damen nach Hause begleitet. Es war der 21. März. Das wußte sie noch. Frühlingsanfang. Doch als sie aus dem Hause in die Nacht hinaustraten, rieselte ein seiner stäubender Schnee hernieder. Die Welt war plötzlich weiß geworden. Sie wollte nicht fahren. Sie schritten plaudernd durch die Straßen, die Tritte wurden weich gedämpft vom knisternden Schnee. Das wußte sie noch. Und der frische große Junge – ja, wie ein Junge kam er ihr vor, trotz seiner vierundzwanzig, ging da zwischen ihr und der todmüden gähnenden Schwester und sprach von den Präraffaeliten.
Am nächsten Morgen holte er sie ab. Sie hatten einen gemeinsamen Besuch des Völkerkunde-Museums verabredet. Sie wußte es noch genau. Die Sonne schien frühlingsjung auf die verschneite Welt. Und sie hatte nach einigem Zögern zu ihrem neuen schönen Frühlingshute gegriffen. Und wie sie fröhlich gelacht hatte, als er es merkte, und sich doch ein wenig ihrer Eitelkeit schämte!
Am nächsten Tage reiste sie heim. Dann schrieben sie sich. Erst ganz neutrale Dinge. Er sprach von seiner kunstgeschichtlichen Arbeit, sie von ihren Essays über Giordano. Und dann gerieten sie in eine heftige Korrespondenz, als sie schüchtern den Plan andeutete, eine gemeinverständliche großangelegte Geschichte der Philosophie zu schreiben. Wie er sie ermutigte und ihre Skizzen ordnete! Wie sie glühend eifrig ans Werk ging! Wie hell und neu ihr die Welt wurde, jetzt, da sie ein großes Werk als Ziel vor sich sah, das ihre in kleinen Arbeiten zerplänkelten Kräfte zusammenzwang! Wie er vorwärts half, wenn sie ratlos wurde, wie er mahnte und zürnte, wenn sie mutlos ermattete!
Ach, das Werk war nie beendet worden. Mit Faber war aller Ehrgeiz und alle Freude am geistigen Wirken aus ihrem Leben geschieden. –
Dann kam er zu Besuch nach seiner Habilitation in Berlin. Seine Doktorarbeit war seine Dozentenschrift geworden. Sie fuhren in ihrem Wagen durch die weiten Gebirgswälder. Und jung war er und plänevoll und lebensprühend. Und jung wurde ihr zergrübelter Sinn und plänevoll und lebensprühend.
Er eroberte ihren Mann im Fluge. Oft saß sie eifersüchtig des Abends dabei, wenn die beiden Männer in eifrigem politischen Geplauder sie ganz vergaßen. Scheu zog sie sich dann in sich zurück. Und fühlte Schmerzen in der Brust. Doch am nächsten Tage gehörte er wieder ihr, ihr allein.
Er sprach von seinen neuen Arbeiten, von dem Kolleg, das er lesen wollte, von den Erwartungen, die er auf seine Lehrtätigkeit setzte. Wie er die »Jungens« begeistern wollte, ihnen die Schönheit der Kunst so predigen, daß sie ein Leuchten davon mitnähmen hinein in ihr enges Berufsleben. Wie war er jung, so viel jünger als sie, die an Jahren die jüngere war. Wie machte er sie jung und spendend ihren Geist! Wie waren die Tage damals hell und reich!
Dann begannen die Briefe, in denen so viel mehr stand als blühende Weisheit. In denen es zuerst leise, dann immer lauter läutete und klang von lieben zarten innigen Dingen. Ihr Mann wußte von dieser Korrespondenz. In seiner stolz vertrauenden Vornehmheit verlangte er nie Einblick. Im Grunde war er herzlich froh, daß sein junges Weib eine Resonanz für ihre geistigen Bestrebungen gefunden hatte.
Später sahen sie sich in Berlin. Sie besuchte mit ihrem Manne sein Kolleg. Es war ein großer Tag. Wie die Augen seiner »Jungens« ihm zustrahlten! Wie er dort oben auf seinem Katheder stand und von der Schönheit der Kunst und des Lebens sprach! O, sie wußte, nur sie allein wußte es, wem er manch blinkendes Goldkorn seines Reichtums verdankte.
So blühten diese zwei glücklichsten Jahre ihres Lebens auf, die gesegnete Zeit des freudevollsten Nehmens und stolzesten Gebens. Fritz Faber war inzwischen Professor an einer Schweizer Universität geworden. Sie sahen sich selten und auch dann nur wenige in Unrast verflatternde Berliner Tage. Doch ihre Briefe schlugen eine feste Brücke über die trennenden Länder, auf der jeder dem andern in rosenumkränzter goldener Schale seines Wissens und Fühlens Tiefstes, heiligstes und Reinstes entgegentrug.
Endlich bot sich die Gelegenheit eines längeren Beisammenseins. Sie trafen sich in Norderney. Als des Barons Urlaub zu Ende ging, blieb sie mit Faber zurück. Der September mit seiner erlösenden Einsamkeit hatte den menschenwimmelnden Strand gefegt. Vierzehn herbstdurchgoldete Tage blieben sie noch. Und am letzten, in der Stunde ihrer Abreise, stürzten sie von ihrer himmelhohen Brücke nieder zur Erde als kleine Menschlein.
Dann hatte sie ihm geschrieben, weh, zerbrochen und groß. Und hatte mit starken schonungslosen Fingern das Prangendste aus ihrem Leben ausgerodet. Ihrem Manne erklärte sie, Faber rege sie nicht mehr an, ihre Freundschaft habe sich überlebt. Der Baron schüttelte den Kopf, tadelte: »Du lebst recht schnell, liebes Kind« und hatte den jungen Professor bald über seinen Berufssorgen vergessen.
Zwei Jahre später las sie seine Berufung an die große Universität ihrer Stadt. Nach schlafloser Nacht telegraphierte sie ihm anzunehmen. Und dann schrieb sie ihm, ihr einstiges Finden dürfe kein Hemmschuh seiner Karriere werden. Die Berufung sei ehrenvoll. Alles weitere überlasse sie seinem Takte.
So war er gekommen, hatte seinen Besuch gemacht zu einer Zeit, zu der er niemand zu Hause treffen konnte. Die Gegenvisite blieb die gleiche Farce. Und als er mehrere Einladungen mit nichtiger Begründung abgelehnt hatte, erstarb jeder weitere Verkehr.
Bald darauf verlobte er sich mit der schönen Tochter des Oberst Pahlow. Da war Manja schon so weit über die Dinge von dazumal hinausgereift, daß sie sich ehrlich freute. Eine Bekannte schwärmte geradezu von diesem »Prachtmädel«.
Und dann – Hier wurde die Baronin aus ihrem erinnernden Gedenken durch ihren Jungen aufgescheucht. Er stürmte herein mit roten Backen und erhitzter Stirn. »So, Mutti, da bin ich wieder. Bis nach Schönau sind wir gekommen.«
Die Mutter strich ihm über das Haar. »Seid ihr auch nicht zu schnell gefahren, ihr Stricke? Ganz naß ist dein Schopf. Ihr sollt es doch nicht übertreiben!«
»Nein, Mutti, wir haben durchaus eine mittlere Geschwindigkeit innegehalten,« belehrte Paul altklug. »Und nun, Mutti, darf ich die Napoleonbriefe holen?«
Sie nickte und erhob sich. Und dann las sie dem scharf aufhorchenden Verstande ihres frühreifen klugen kleinen Jungen, diesem Arbeitsgenossen und Freunde, den sie sich nach den bitteren Erfahrungen ihrer jungen Ehe freudestolz heranzog, die Briefe des letzten großen Kaisers. –