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XI.

Im Hause Faber herrschte heute freudige Erregung. Sophie hatte Herrn Bob und Seine Winzigkeit gebadet und getränkt zu Bett gebracht und sich just mit einem Buche zu kurzer Ruhe niedergesetzt, da platzte Helene ganz wirbelig mit der Nachricht herein, in der Universität sei heute bekannt geworden, Faber habe den Ruf nach München auf Kallmorgens Lehrstuhl erhalten.

»Ja,« bestätigte Sophie gelassen lächelnd, »das Schreiben ist heute morgen gekommen.«

»Wie! Was!« Helene trat vor hastiger Freude wie ein ungeduldiges Rassepferdchen von einem Bein aufs andere. – »Du weißt es schon! Und da sagst du nichts! Und sitzt da und liest!«

»Ja, soll ich im Stehen lesen?« lachte die junge Frau.

»Ja, aber –« Helene verstand die Schwester wieder einmal absolut nicht – »seid ihr denn nicht froh – und stolz und? – Herrgott, wenn Hancke nach München berufen würde, ich glaube, ich tanzte vor Freude Kakewalk über die Nepomukbrücke.«

»Du,« neckte Sophie, »du? So nahe ginge dir Hanckes Berufung!«

»Allerdings,« machte Helene und schnitt ihr verschmitztes Gassenmädelgesicht. Und mit drolligem Ernste fügte sie hinzu: »Natürlich nur als seiner Assistentin.«

Sie lachten beide. Dann fragte Sophie ernsthaft: »Nein, Lene, sag einmal aufrichtig, wie steht ihr beide – du und Hancke?«

»Hm,« überlegte Helene mit krauser Denkermiene – »es kommt darauf an. Mal steht er rechts und ich links, mal ich rechts und er –«

»Albere nicht,« zürnte Sophie. »Ich habe doch wohl ein Recht –«

»Haste, haste,« gestand Helene kampflos zu. »Die Sache scheint mir aber momentan nicht ganz so akut wie eure Berufung. Im Ernst, Sophie, freut ihr euch denn gar nicht?«

»Gewiß freuen wir uns. Wir wissen genau, was diese Berufung bedeutet. Fritz wußte heute morgen aber noch nicht, ob er annehmen wird.«

»Ist er verrückt?« entrüstete sich die Studentin.

»Nein,« versicherte Sophie in ihrer milden Art, »gottlob alle Ganglien ausgezeichnet in Takt.«

»Mach keine Witze!« verbat sich Helene. »Ihr werdet doch – Sophie bedenke: München! München gegen dieses Nest.«

»Nest?« erwog Frau Faber, »so schlimm ist es wohl nicht. Jedenfalls nisten hier an die hunderttausend Vögel recht gemütlich und mollig beisammen.« Und mit ihrem klaren offenen Blick gestand sie: »Ich für meinen Teil, Helene, ginge sehr gern nach München. Die Theater und Konzerte und all die Anregungen der großen Stadt für Fritz und für mich. Mein einziges Bedenken ist Papa.«

»Na, ich bin doch auch noch da,« stellte Helene sich in Positur.

»Wer weiß, wie lange noch!« scherzte Sophie. »Du sagst doch selbst, Hancke würde sofort annehmen.«

»Was hat das mit mir zu tun?« tat Helene arglos.

»Ich meine, als seine treue Assistentin,« blinzelte Sophie, »müßtest du ihm doch folgen. Und dann ist der arme Papa hier ganz verwaist.«

»Das ist richtig,« sann Helene. Dann aber warf sie den braunen Kopf zurück, daß ihr reiches Haar aufwogte, und rief: »Das wird Papa nie zugeben, daß die Rücksicht auf ihn –«

»Die dürfte auch nicht mitsprechen,« unterbrach Sophie, »wenn es sich um Fritzens Karriere handelt. Aber er selbst war sich noch gar nicht klar. Du weißt, wie anhänglich und dankbar er ist. Wenn die Regierung kommt und ihn ein bißchen bittet und ihm darlegt, wie gut sie immer zu ihm gewesen ist, – hat er nicht die Kraft sich loszureißen. So ist er doch nun einmal.«

»Dann mußt du eben die Stärkere und Vernünftigere sein. Dankbarkeit und Anhänglichkeit sind ja ganz hübsche Sachen. Wenn man aber seinen großen Weg im Leben gehen will, muß man hart und rücksichtslos sein und seine Ellenbogen brauchen. So denke ich.«

»Ja,« lächelte Sophie milde, »wir denken eben jeder immer in unserem Kreise herum.«

»Ihr müßt aber,« erhob Helene einen neuen Beschwörungsspruch. Da wurden sie durch Professor Hanckes Ankunft unterbrochen.

Er war ein sehr langer, etwas dürrer Herr Ende der Dreißiger mit blondem Vollbart und guten schwachen Gelehrtenaugen hinter dicken Brillengläsern. Man hätte in ihm eher einen Buchweisen denn einen der hervorragendsten deutschen Chemiker vermutet. Ein wenig befangen, wie immer, trat er herein, gab der jungen Frau seine große knochige Experimentierhand und freute sich: »Also, ich gratuliere, meine liebe Frau Faber. Also ich gratuliere sehr herzlich.«

Doch ehe Sophie noch erwidern konnte, platzte Helene dazwischen: »Denken Sie nur, Herr Professor, er schwankt noch, ob er annehmen soll! Haben Sie Worte?!«

»Nein,« bekannte der Gelehrte prompt.

»Wir haben uns darüber noch gar nicht ordentlich aussprechen können,« berichtigte die schöne Professorenfrau. »Das Schreiben kam gerade, als Fritz ins Kolleg mußte. Wir haben kaum recht drei Worte darüber sprechen können.«

Hier klopfte das Kindermädchen das Trio auseinander. Sie trat ein mit dem Alarmbericht, daß Seine Niedlichkeit, Herr Bob, wieder alsbald aufgewacht sei und aller Mahnung hohnlächelnd keine Neigung bezeige, die eigenmächtig okkupierte senkrechte Lage mit der horizontalen zu vertauschen. Hingegen habe er auch bereits Seine Winzigkeit, Herrn Heinzepeter, durch allerlei ausgelassenes Geschrei und Gejohle aus dem Schlafe gescheucht, worüber Herr Heinzepeter zeternd quittiere. Mutterpflichtberauscht entschwand Sophie Faber.

Die im Arbeitszimmer des Herrn Professor Faber überlebenden Herrschaften aber, der Herr Professor Karl Hancke und seine Assistentin, Fräulein cand. phil. Helene Pahlow, nahmen Platz und sprachen trübselig über den beschämenden Mißerfolg ihres gestrigen Experiments. Fräulein cand. phil. war indessen jugendlich heiteren Mutes und erhoffte ein heutiges Gelingen. Der Herr Professor aber sah trotz seiner schwachen Augen tiefer und erfahrener. Er schüttelte das Haupt mit seinen geringen Beständen und klagte sehr: »Es steckt irgendwo ein Fehler, Fräulein Pahlow. Ich habe mir die ganze Nacht den Kopf darüber zerbrochen, wo er wohl stecken mag. Die Formel stimmt doch –« Und plötzlich stand er auf und sagte energisch: »Etwas anderes stimmt nicht, Fräulein Pahlow. Da liegt der Rechenfehler. In meinem Laboratorium, in dem Sie meine Mitarbeiterin sind, mag ich darüber nicht sprechen. Dort nimmt auch die Arbeit uns ganz in Anspruch. Und sonst sehe ich Sie fast nie. Aber hier, auf diesem neutralen Boden –«

Helene tat baß erstaunt. »Herr Professor, was könnte das –? Sie werden mir doch nicht etwa kündigen wollen?!«

»Nein, Fräulein Pahlow, im Gegenteil. Ganz im Gegenteil. Es handelt sich um etwas Lebenslängliches. Wenn ich nur wüßte – Wenn man das durch eine chemische Berechnung feststellen könnte! Sehen Sie mal, Fräulein Pahlow –« er setzte sich wieder, und seine eckigen Knie ragten erschrecklich in die Höhe, »ich weiß natürlich oder hoffe es doch wenigstens, daß ich Ihnen ein wenig – –?«

Helene nickte helfend.

»Als ich Sie zu meiner Assistentin nahm, kannte ich Sie persönlich kaum. Ich hatte niemals eigentlich Sie, immer nur Ihre Leistungen gesehen.«

»Das freut mich, Herr Professor. Aber ich glaube, ein wenig hat wohl doch der Umstand mitgesprochen, daß ich die Schwägerin Ihres Freundes Faber bin.«

»Nein,« lehnte er fest ab, »so etwas spricht bei mir in wissenschaftlichen Dingen nicht mit.«

»Desto besser,« sagte sie.

»Wenn ich ganz ehrlich sein darf –«

»Sie dürfen –«

»Dann muß ich gestehen, daß ich Sie früher hier im Hause eigentlich kaum gesehen hatte. Ich meine – innerlich gesehen.«

»Ich verstehe,« nickte Helene.

»Ich habe – wie Sie bemerkt haben werden, eine gewisse Scheu vor Frauen.«

»Ja, das habe ich bemerkt,« lächelte das junge Weib.

»Erst später,« sann der Professor, »bei Ihrer Arbeit im Laboratorium, da – vor etwa zwei Monaten einmal – ich weiß nicht mehr, worüber wir sprachen. Aber plötzlich hatte ich die Eingebung – wie bei einer wissenschaftlichen Entdeckung war es – Donnerwetter, das ist ja ein Mensch – ein prachtvoller lebendiger Mensch!«

Auf Helenes Lippen brannte eine scherzhafte Bemerkung. Sie unterdrückte sie aber und lächelte nur still vor sich hin.

Sinnend aber sagte Hanse: »Ja, mein liebes Fräulein Pahlow, so seltsam ist das Leben. Man geht jahrelang an einem Menschen vorüber, nimmt ihn einfach als gegebene Tatsache –«

»Und sieht plötzlich, daß diese gegebene Tatsache ein lebendiger Mensch ist. Ja, das Leben ist seltsam.« Sie lachte frei.

»Sie lachen,« sagte er trübselig, »Ach, mein liebes Fräulein, die Welt ist plötzlich so voller Probleme. Diese klare wissenschaftlich so wunderbar geordnete Welt,« Er lächelte trübe.

»Probleme lösen, ist doch Ihr Beruf, Herr Professor.«

»Ach,« er griff mit seiner dürren Arbeitshand ins Leere, »wenn es wissenschaftliche Probleme wären!«

»Welche Art Probleme sind es denn?« erkundigte sie sich voll schalkhafter Teilnahme.

»Lebensprobleme, mein Fräulein. Und in deren Lösung bin ich leider durchaus kein Meister.«

»Vielleicht kann ich Ihnen dabei assistieren,« schlug sie freundlich hilfreich vor.

»Sie?« Er sah sie fast entsetzt aus seinen armen Äugen an. »Nein, Fräulein Pahlow, Sie zu allerletzt.«

»Nanu?!« Sie staunte ehrlich. »Ich zu allerletzt?!«

Hancke nickte heftig. Da überließ das junge Weib ihn seiner Not und betrachtete ernsthaft und fürsorglich ihre ein wenig ramponierten Chemikerhände.

Der brave Gelehrte aber sprach vor sich hin: »Es ist so sehr schwer. Da hat einer gelebt, ganz in seine Wissenschaft versponnen. Ist herumgegangen und hat über seine naturwissenschaftlichen Rätsel gegrübelt und sich in seine Probleme vergraben und hat geschrieben bis tief in die Nacht. Und ist so ruhig glücklich gewesen – auf seine Art.«

Helene sah noch immer auf ihre Hände nieder. Nach einer kleinen Pause fuhr Hancke fort: »Und nun eine junge forsche Frau, die doch leben will. Die trotz aller wissenschaftlichen Begeisterung einen lebhaften Mann von Welt haben will. Wenn er grübelt und sich verspinnt, will sie –«

»Was will sie denn?« unterbrach Helene ernst.

»Dann will sie – nun ja – leben.«

»Ja, das bißchen Leben muß er ihr schon lassen,« meinte sie.

Doch Hancke fuhr unsicher fort: »Daß sie seinen Beruf teilt, ist schön, wunderschön. Aber sie ist jung und will erst noch leben. Und er –« er sah sie traurig treuherzig an – »er, mein liebes Fräulein, ist eigentlich nie jung gewesen.«

»Dann,« sagte Helene fest und gut, »wird er vielleicht jetzt bei einem jungen Weibe die Jugend finden.«

»Sie sind so lieb,« blickte er froh auf. Aber gleich sank er wieder in sich zusammen. »Es sind solch schwierige Probleme. Selbst wenn ich annehmen dürfte, meine Pedanterie und mein Mangel an Jugend würden einer Frau erträglich sein – da ist doch noch etwas.«

Er blickte sie ganz hilflos an durch seine dicken Brillengläser.

»Noch etwas?« fragte sie schelmisch ernst.

»Es ist etwas sehr Schlimmes, das man aber doch einmal sagen muß. Der andere Teil muß doch das Vorleben kennen.«

»Muß er,« machte sie ihm Mut.

»Man hat doch eine Vergangenheit,« gab er Bescheid.

»Die hat man wohl,« sagte sie mit großen, ernstdrolligen Augen.

»Man hatte jahrelang eine Wirtschafterin –«

Helene lächelte fragend: »Hatte man?!«

»Es ist ein Kind gekommen.«

Da rief Helene fröhlich: »Und da tun Sie hier, als wären Sie gottweiß welcher Bücherwurm!«

Er hob seine Augen zu ihr und scherzte zutraulich:

»Auch Bücherwürmer sind Menschen, mein liebes Fräulein.«

»Na – also,« rief Helene, »wenn sie Menschen sind, dann werden sie sich mit einem anderen Menschen schon menschlich einrichten.« Und auf sprang sie, daß ihre Röcke wippten, stellte sich vor den Professor hin und sagte: »Ich finde, lieber Herr Professor, Sie machen sich sehr krause Ideen von der Ehe. Sie sehen eine sonnige Straße, auf der ein Herr mit seiner lieben Botanisiertrommel behaglich versunken dahinschlendert. Und nun steht da plötzlich am Wege solch junges lockeres Ding, mit einem modernen Riesenhut womöglich, und will den armen alten Herrn mit seiner Botanisiertrommel ganz schrecklich stören.«

»Nein, nein,« hob er die Hand, »so – im Gegenteil –«

Doch nun war Helene Pahlow im Zuge, und dann ging es immer durch dick und dünn. »Nun will ich Ihnen einmal sagen, wie ich mir eine Ehe denke.«

»Ach ja!« bat er.

Und das junge Mädchen sprach, und ihr herbes Gesicht ward weich und mild: »Am sonnigen Wege des jung-alten Herrn mit der Botanisiertrommel steht das junge Weib. Das nimmt der wandernde Mann an der Hand. Und nun gehen sie zusammen die sonnige Straße weiter. Und wenn der Mann sinnt, geht das junge Weib fein still neben ihm. Und will gar nicht anders leben als mit ihm und seinen Gedanken. Und will nur, daß der andere immer den guten Wanderkameraden wie einen treuen Schatten, der ihn nicht stört, neben sich fühlt. Vielleicht kann sie ihm auch bei seinem Grübeln dann und wann ein wenig helfen, wenn er es mag. Denn ein klein wenig versteht sie ja auch von seinem Werke. Und in der Abendstunde, wenn die Welt lind und blau wird, dann bleiben sie auf einer Anhöhe stehen und blicken in die Runde und genießen zusammen Hand in Hand die Schönheit der weiten blauen Welt.«

Da sprang auch Hancke auf seine langen Beine und rief: »Aber, Fräulein Helene, das ist doch herrlich!«

»Ob es herrlich ist!« sagte sie ernst.

Und plötzlich strahlte es hell durch die dicken Augengläser: »Wissen Sie, liebes Fräulein, ich glaube, ich bin der größte Esel des Jahrhunderts.«

Und Helene lachte: »Diese schwierige Frage mag Ihnen Ihr gelehrter Kollege entscheiden. Ich höre gerade seinen Schlüssel im Schlosse.«

Schon trat Faber herein. »Ah, ihr hier?« rief er ahnungsvoll, doch vorsichtig. Denn bei Leuten, die der Liebe dringend verdächtig sind, kann man nie wissen, ob das entscheidende Wort schon gesprochen ist oder nicht. »Verzeiht, wenn ich störe! Tag, Schwägerin, Tag Hancke.«

»Guten Tag, Faber,« dankte Hancke.

Helene aber sagte ernsthaft: »Herr Professor Hancke hatte eine brennende wissenschaftliche Frage an dich.«

»Nanu – an mich?«

»Ja,« nickte Hancke vergnügt, »es wußte einer nicht genau, ob er der größte Esel des Jahrhunderts sei.«

»Hm,« überlegte Faber mit angestrengter Wissenschaftsmiene, und schalkhaft flimmernde Lichter brannten lustig in seinen braunen Augen, »gleich der größte! Ob das nicht ein bißchen anmaßend ist!« Und lachend fragte er: »Aber, Kinder, wo habt ihr das Fieze-Weib?!«

»Der Herr Bob geruhte nicht zu ruhen,« gab Helene Bescheid.

Da lief der große Professor hinaus und erfüllte das Haus mit lichterlohem Geschrei: »Hallo – Weib – Freundin – Sonnenschein meiner dunkeln Tage!«

Doch schon prallte ihm der Sonnenschein flammend entgegen: »Fritz, du Unmensch! Eben schlafen sie ein.« Und seinen Kopf in beide Hände nehmend, lachte sie: »Nu bist und bleibst doch mein ungezogenster Bub, du vielberufener Professor.«

Just, als sie in das Arbeitszimmer zurückkehrten, erschien mit gewaltigem Glockengeläut der Oberst Pahlow. Er ließ sich nicht Zeit, den Säbel im Entree abzulegen, sondern explodierte sofort ins Zimmer hinein: »Kinder, – gratuliere, gratuliere!« Und küßte Sophie und schüttelte Faber die Hand, daß es keine Freude war.

»Richtig,« sprang Helene vor und vollstreckte an Faber die gleiche Prozedur, »ich habe dir ja noch gar nicht gratuliert. Vorhin, als du kamst, hat das Eselproblem uns so ganz in Anspruch genommen.«

Auch Hancke brachte nun seinen Glückwunsch an. »Kinder,« sagte der Oberst und schnallte ab, »das soll ja eine kolossale Ehre sein. Ich kenn' mich in den Sachen nicht so aus. Aber eben traf ich Professor Menke. Der sagte es mir und meinte: ›Da können Sie stolz sein, der Lehrstuhl ist ein berühmter.‹ Na, wenn Menke das sagt! Da bin ich denn stolz.« Er rieb sich den Schädel mit den kurzen weißen Borsten und marschierte mit sporenklirrenden Schritten durchs Zimmer.

»Aber sie wollen ja gar nicht annehmen,« sprang Helene mitten hinein in die Freude.

»Nanu?« machte der Oberst scharf linksum kehrt.

»Du willst nicht annehmen?« entsetzte sich Hancke.

»Ich weiß nicht recht,« zögerte Faber, und die nachdenklichen blauen Schatten um seine Augen wurden violett.

»Aber, Fritz,« erregte sich der stille Hancke, »München nicht annehmen mit deinen einunddreißig!«

»Sie sind total verdreht,« stellte Helene flugs ihre sachverständige Diagnose.

»Laß den Mann doch mal endlich reden!« polterte der Oberst und rückte nahe an den Schwiegersohn heran.

»O,« lachte Faber, »ich komme schon zu Wort. Habe Zeit bei meinen einunddreißig. Es lockt ja natürlich sehr. Die großen Verhältnisse dort und gerade München, die Kunststadt, für mein Fach. Die weit größere Hörerzahl, das große Säefeld. Das sehe ich alles.«

»Aber?« kribbelte Helene ungeduldig. Sophie stand still neben ihrem Manne und folgte seinen Worten mit ihren verständigen schönen Augen.

»Aber,« nahm Faber die Frage der Schwägerin auf, »aber kleine große Helene, es gibt Verpflichtungen.«

»Verpflichtungen?« Der Oberst zog aufmerksam die buschigen weißen Brauen hoch.

»Gegen wen?« forschte Helene.

»Gegen sich, min Döchting,« belehrte Faber heiter, »und gegen den Staat. Unsere Regierung hat mich an diese Universität berufen, als ich noch ein recht unerprobter Dachs von achtundzwanzig war.«

»Du warst doch vorher in Basel,« warf Hancke ein.

»Gewiß. Aber die erste deutsche Regierung, die Vertrauen zu mir hatte, war unsere Regierung. Und ich weiß nicht – ich habe so das Gefühl, das verpflichtet.« Er reckte sich zu seiner ganzen Sittlichkeit empor.

»Hm,« machte der Oberst nachdenklich und zupfte sein fleischiges Ohrläppchen.

»Aber, bester Faber,« drang Hancke auf ihn ein, »wenn jeder so denken würde, hört die Freizügigkeit der Dozenten überhaupt auf. Du wirst doch nicht dein Leben lang hier sitzen wollen!«

»Leben lang, nein. Aber gleich bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, davonlaufen! Ich habe da irgendwie ein unangenehmes Gefühl. Zumal unser Kultusministerium sich vom ersten Tage an sehr anständig gegen mich benommen hat.«

»Das ist verschroben,« erklärte Helene. »Das ist dein lächerliches Anhänglichkeitsgefühl.«

Da stellte sich Sophie schützend vor ihren Mann. »Ich verstehe Fritz sehr gut,« sagte sie, und es war wie eine angriffwehrende Liebkosung. »Nicht wahr!« griff Faber froh nach ihrer Hand und Hilfe, »wenn München mich an Stelle des großen Kallmorgen haben will, na, da muß doch wohl etwas an mir sein.«

»Stimmt,« lachte der Oberst und bohrte die Hände in die Taschen seiner blauen Reithose.

»Na,« pflügte Faber seinen Gedankengang herunter, »ist aber etwas an mir – und das darf ich wohl sagen, daß mein Fach seit meiner Tätigkeit hier der Universität eine Reihe von Hörern zugelockt hat –«

»Allerdings,« bestätigte Hancke, »darüber sind wir uns im Lehrkörper alle klar.«

»Schön, dann habe ich nach meinem Gefühl meine Kraft doch wohl in erster Linie der Regierung zur Verfügung zu halten, die mir zuerst diesen großen Wirkungskreis und die große Lebenserfüllung verschafft hat. So denke ich.«

»Bravo,« applaudierte der Oberst.

»Aber, bester Freund,« hob Hancke beide Arbeitshände, »wenn jeder so denken wollte –!«

»So denkt eben nicht jeder, Herr Professor,« schmunzelte stolz der Oberst und reckte seine kleine Gestalt. Seine beiden Mädel waren der verstorbenen schönen großen Mutter nachgeraten.

»Verrückt,« bezog Helene sich auf ihr früheres sachverständiges Gutachten. Sophie aber schirmte ihren geliebten ältesten Jungen: »Die Frage kann keiner entscheiden, als Fritz allein. Und wenn er seiner ganzen Denkungsart nach hier bleiben muß, dann werden wir eben bleiben.« Und damit gab sie ihrem Manne fest die Hand. Er legt den Arm um ihre ranken Schultern und scherzte: »Ach, Fieze, wenn ich dich nicht hätte, ich verlöre bei diesem Gezeter allen Mut, ›unverrückt‹ meinem Gewissen zu folgen.«

Durch den Scherz hörte sie beglückt den dankbaren Ernst.

Hancke aber schüttelte die Brillengläser, daß zwei rundliche Lichtscheiben irr über die Wände huschten, und wollte einen neuen Angriff versuchen.

Da meldete das Mädchen, daß eine Dame den Herrn Professor Faber zu sprechen wünsche.

»Wahrscheinlich wieder eine Hospitantin, die im nächsten Semester belegen will,« rief Sophie und zog mit dem Troß aus des Professors Arbeitszimmer.

Das Mädchen führte die Dame herein.


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