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Erhitzt und blühend trat sie herein, Seine Winzigkeit auf dem Arm, Herrn Bobs rotes Rundköpfchen vor ihren Knien einhertrippelnd.
»Da sind wir!« lachte sie, heiß vom Wege und von achtender Sorgfalt. »Du bist ja vorhin so sanglos entschwunden.« Seine Niedlichkeit flog auf den Papa zu und rief: »Aha – aha!« was aus seiner bündigen Individual- in die umständliche Universalsprache übersetzt hieß: »Ich will auf deinen Knien reiten, hochzuverehrender Papa!«
Langsam beugte Faber sich nieder und hob das Kind zu sich empor.
»Wer hat denn die wundervollen Rosen da auf den Teppich geworfen?« staunte Sophie.
»Sie sind mir hinuntergefallen,« sagte er, ohne aufzublicken, stellte den verwunderten kleinen Kerl auf die dicken bloßen Beinchen und hob die Blumen auf.
»Sind die für mich?« staunte die junge Frau in glücklicher Schelmerei.
Da sah er auf in ihre freudeverklärte Schalkheit. Und plötzlich empfand er die Unmöglichkeit, mit seiner blöden Schauertragödie in ihre lachende Ahnungslosigleit hineinzutolpatschen. Er zwang ein armseliges Lächeln hervor und nickte. Da legte sie den einen freien Arm um seinen Nacken und zog sein Gesicht an ihre junge Brust. Und Seine Winzigkeit auf dem andern Arm krähte, und Seine Niedlichkeit hob die Hände und johlte, und dem Manne an ihrem pochenden Herzen ward angst und weh. –
Bei Tisch konnte seine gewaltsame Beherrschung und bitterbange Heiterkeit ihre sorgende Achtsamkeit nicht täuschen. Sie legte die Hand auf seine ruhelosen Finger: »Was ist dir, Lieber?« fragte sie zart und hilfsbereit, »ist es diese Berufung, die dir so kummertiefe Stirnfalten gräbt?«
Er hob den Kopf und sah sie an mit einem Blick, der an ihr vorüber suchend ins Weite glitt. Sollte er – sollte er ihr es sagen? Alles – alles. War sie nicht sein Weib, mit der er sich verbunden hatte, Freude und Leid zu tragen! War sie nicht der kluge besonnene Berater seines Lebens! Sie wußte, daß er nicht als keuscher Mann in die Ehe getreten war. Sie würde auch jene Verfehlung sofort in ihre alles verstehende Milde nehmen. Er blickte ihr in die schwarzen feuchtglänzenden Augen und sagte: »Es ist die Berufung.«
Nein, er konnte es doch nicht. Ihren jungen Mutterschultern diese zermalmende Verantwortung aufbürden! Tiefe verzweifelte Gewißheit, daß ein armes Weib, zwei Gassen entfernt, mit dem Tode rang, den er, ja doch er schließlich verschuldet hatte. Und dabeistehen, jeden Augenblick ahnen: jetzt – jetzt geschah das Entsetzliche, und nicht zuspringen, helfen, retten können, zugaffen müssen, ohne den Finger rühren zu können. Nein, nein, in diesen folternden Wahnwitz konnte er ihre heitere Ernsthaftigkeit nicht hineinreißen. Nein, nein!
Und sie sprach von der Berufung, erwog Gründe und Gegengründe, während er sein Hirn nach einer Rettung auskelterte. Endlich, als sie erkannte, daß er nicht auf ihre Worte hörte, überließ sie ihn klug seinem Grübeln.
Gleich nach dem Essen verabschiedete er sich: »Ich muß mich klar laufen,« entschuldigte er mit einem schwachen Lächeln. Und noch über das Treppengeländer fort tröstete sie ihm nach: »Was du mir auch bringst, München oder Bleiben, mir ist es willkommen, wenn du es nur in Glück und Zufriedenheit bringst.«
Auf der Straße wurde er still und besonnen. Er kam an einer Uhr vorbei und sah, daß es kurz nach drei war. In weniger als einer Stunde sollte er Manja begegnen. Er empfand deutlich, wie in der Brust der Herzschlag aussetzte. »Ruhig, ruhig,« sprach es in Worten in ihm, »jetzt aber endlich Mannhaftigkeit und Ruhe!«
Er ging weiter und dachte: sie wird erlöst auf mich zukommen, das arme Weib. Meine Botschaft war ihr ein Rettungstau beim Versinken. Sie liebt das Leben, o, wie sie immer ihr wissensreiches Leben geliebt hat! Neugeboren wird sie mir entgegeneilen – und ich werde wieder dastehen wie heute morgen mit leeren Dummejungenhänden. Sie erleidet ihren Tod zehnfach. Wie ein Spielball wird sie herüber und hinüber geschleudert vom Leben zum Tode, vom Tode zum Leben.
Er schritt immer weiter, denselben Weg, den er am Mittag gegangen war. Noch jetzt hatte er sich fest in der Hand. Wie bei der Durcharbeitung einer wissenschaftlichen Frage zwängte er sein Denken in logisch geordnete Bahnen. Vorwärts! Und plötzlich dachte er durchdringend klar: »Ich kann noch immer davonlaufen, trotz der Zusendung der Ladung. Ja, das kann ich. Dann rette ich mich für mein Weib und meine Kinder.«
Er ging einfach mit ihnen fort – mochten sie alles ahnen und erraten – hinter ihm die Sintflut – Manja – wie ein scheues Pferd vor dem Hindernis wollten seine Gedanken hier ausbrechen. Er ballte die Fäuste und hielt sie an der Kandare. Weiter – keine Gefühlsduselei – kaltblütig die letzten Konsequenzen durchdenken: – Manja war dann verloren – nein, nein, keine falschen Wattepolster um das Gewissen wickeln, keine lügenhaften Kompressen auflegen: sie starb, das wußte er, sie war nicht die Frau, die als ertappte Sünderin vor ihrem Manne stand, sie nicht, das wußte er. – Also sich nichts vorlügen, weiter im Gedankenzuge! – Doch ihm konnte nichts geschehen. Er brauchte nicht als Zeuge aufzutreten, ruinierte nicht in einem öffentlichen Skandal seine Dozentenlaufbahn – wenn er nach ein, zwei Jahren zurückkam, war alles vergessen. Wer bewahrt jahrelang über ein Grab hinaus seinen Groll! Ja, das war ein Weg ins Freie.
Er ging immer weiter, schon war er auf der Brücke. Pfui Teufel, davonlaufen wollte er! Um sich seinem Weibe und seinen Kindern zu erhalten. Und Manja rücksichtslos dem Verhängnis in den Rachen werfen? Nein. Nein doch! Das war Schufterei, trotz Weib und Kindern. Ja, aber was? Was sonst?
Er bog zur Bischofshöhe empor. Wie, wenn er vor dem Termin starb? Es war ja Wahnsinn. Aber wenn er starb! Dann war Manja gerettet. Wenn er die Berufung nach München annahm – das würde täuschen – deutete hoffnungsvoll in die Zukunft. Wahnsinn! Wahnsinn!
Er machte nächsten Sonntag wie oftmals eine Tour in das nahe Hochgebirge und verunglückte. Ein Absturz. Keinem würde das auffallen, niemand Verdacht schöpfen. Ja, mein Gott, war das nicht seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit dieser Frau gegenüber, die sonst sterben mußte! Ihrer ganzen Geistesrichtung nach in dieser Schmach der Entdeckung nicht leben konnte!
Er wischte den Schweiß von der Stirn. Die Kinder waren klein. Materiell war für sie gesorgt. Sie würden ihn nicht vermissen. Ihre Erziehung lag in guten Händen. Aber Sophie, sein junges Weib, das ihn liebte, so liebte, wie nur Frauen von ihrer Reinheit lieben können. Ihr zerbrach er das Leben. Nein, nein. Keine Schleier! Dem Grauen scharf ins Auge geschaut! Ihr zerbrach er das Leben. Sie gehörte nicht zu den Naturen, die sich mit Kummerbrocken trösten. Sie zerbrach mit ihrer Ehe. Gewiß, er konnte auch ohne dieses Furchtbare jeden Tag sterben. Dann war es ihr Geschick, an dem ihr Leben zerschellte. Ja doch, auch diese Verstrickung war Schicksal. Aber es lag doch nun, jetzt, in diesem grimmigen Augenblicke, in seiner Hand, da – auf seinem Handteller lag es.
Er wollte Sophie einmal aus seinem Leben ausschalten. Dann sah er klarer. Wenn er jetzt unverheiratet wäre, und Manja käme und müßte ohne die Tat sterben – müßte sterben nach der Notwendigkeit ihres Charakters – über die nur sie allein zu entscheiden hatte – ohne Zögern würde er für sie sterben.
Ja, nach all dem Unvergeßlichen, das ihre Liebe ihm einmal gebracht hatte, würde er es tun, ohne mit der Wimper zu zucken. Ja, aus Pietät gegen die Verklärung seiner jungen Tage würde er es tun. Und wegen des Endes! Das war sein Verschulden. Gewiß, er hatte nie die Gedanken zu ihrer Reinheit erhoben. Nein, nein. Sie war ihm heilig gewesen in ihrer ernsthaften Gelehrsamkeit und ihrem liebreizenden Frauentume. Wie ein wunderzartes Gefäß mit kostbar edelm Inhalt hatte er sie behutsam schützend in Händen gehalten. Und dann kam dieser trübe Regentag, als der Abschied sie so verzagt wehmütig stimmte, als sie vor ihm stand und in tapferer Schelmerei ihren Schmerz hinter den Gittern des Scherzes zu verschanzen suchte. »Und in dem Regen ließest du mich allein –« hatte sie mit zuckenden Lippen zitiert. Immer wieder, bis das Lächeln in der Trauer ertrank. »Und in dem Regen ließest du mich allein –!« Ja, da hatte er sie auf diese armen wehen bebenden Lippen geküßt. Und mit der Berührung ihres Mundes brach in dem Schmerze, daß sie ihm nun wieder genommen würde, auf Monate, aus Jahre, die künstlich zurückgedämmte Wildheit seiner aufsiedenden jungen Kräfte über sie herein.
Ja, es war eine Schuld. Sie forderte Sühne. Das Leben war oft bitter gerecht, nicht nur in Bilderbüchern. Er war kein feiger Schuft, der sich den Folgen seiner Handlungen entzog. Forderte die Tat in übertriebener Grausamkeit den Tod, gut! Er war nicht der Mann, der mit dem Geschick um den Preis hökerte und feilschte. Ob er seinen Jungens noch viel zu geben hatte, ob er noch ungehobene Reichtümer in seinem Wissen barg, – mein Gott, wer glaubt das von seines Lebens Inhalt nicht! Nein, wenn er frei wäre – dann rettete er, ohne mit der Wimper zu zucken, die Frau, die einmal das Licht und das erwartende Herzklopfen seiner jungen Tage gewesen war. Das tat er, so wahr er sich noch niemals selbst betrogen hatte.
Aber jetzt! Manja hatte mit schmerzgekrümmten Fingern die Bande zwischen ihr und ihm zerrissen. Er ehrte ihre Sühne. Lange nachher noch hatte er unter seiner verlangenden Liebe gelitten. Dann kam das Leben und sein fordernder Beruf und die trostmilde Zeit. Und aus der schmerzenden Liebe wurde ein still und dankbar gedenkendes Glimmen. Er war sechsundzwanzig! Das Leben riß ihn hinein in sein Strömen, das Abgestorbenes schonungslos verspült.
Er war Sophie Pahlow begegnet und liebte sie.
Und nun, nun sollte er sie opfern? Der Fremdgewordenen opfern? Seiner früheren Liebe opfern? Einer Frau, die ihm heute nur noch eine linde liebe Wehmut war, wie die verflogenen Träume seiner Zwanzig!
Ratlos schnurrte sein Hirn, während er in den Wegen des Parkes einherlief. In wenigen Augenblicken kam Manja, mit leuchtenden Augen, seine Glücksgabe zu nehmen. Und er stand da, nichts als tausend blutige Zweifel in Händen.
Er rannte im Kreise umher, immer auf denselben Wegen und mied die Anhöhe, auf der er Manja treffen sollte. Erst die Lösung finden, die Lösung finden! Von den Kirchtürmen unten im Tale schlug es vier. Rasch, rasch die Erlösung finden! Vor Hast und treibender Eile kam ihm kein Gedanke. Zerschlagen, mit zermürbtem Gehirn ging er endlich, als es ein Viertel schlug, der Anhöhe zu.
Sie saß auf der Bank und blickte mit hellen Augen nach ihrem Erlöser aus. Als sie ihn mit gebeugtem Haupte, wie einen alten Mann, die letzte kleine Steigung erklimmen sah, als er vor ihr stand und das vergrämte Gesicht zu ihr erhob, verschwelten die Freudenfanale in ihren Augen zu einem qualmigen Düstergrau. »Fritz,« schrie sie auf, »hast du mir das nur gesagt, um mich zurückzuhalten?«
Er schüttelte schwer den Kopf. »Wir wollen tiefer in den Park hineingehen,« zeigte er marklos und schritt voran. Schreckensblind ging sie hinter ihm drein.
Als sie in die geheimnisvollen Pfade kamen, blieb er stehen. »Ich hatte einen Weg,« wandte er sich zu ihr zurück. »Wollte sofort, noch heute, Urlaub nehmen, ehe die Vorladung kam. Dann konnte durch den Zustellungsschein sofort festgestellt werden, daß ich die Absicht zu verreisen hatte, ehe ich die Ladung erhielt. Daß wir zusammen gesprochen haben, weiß keiner?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich wäre noch heute oder morgen abgereist, hätte Überanstrengung vorgeschützt, wäre ein Jahr fortgeblieben, wenn nötig auch zwei, drei. Gründe hätten sich gefunden, die Sache Ware eingeschlafen, in jedem Falle wäre Zeit und damit vieles gewonnen. Ich rief dich von unterwegs an –«
»Ja – und?« drängte sie mit Erregungsflecken auf den Wangen.
»Als ich nach Hause kam, lag die Ladung auf dem Tisch.«
Sie sagte nichts. Wie ein stillverzweifeltes Einknicken war es. Stumm schritten sie nebeneinander her. Nur ihre Röcke rauschten und knisterten lebendig. Endlich sagte sie mit ergebener Ruhe: »Dann stehen wir an demselben Punkte, an dem wir heute morgen standen.«
»Nein, nein!« rief er lebhaft. »Jetzt habe ich die Sache durchsonnen.« Und die Hand einend auf ihren Arm legend, bekannte er: »Ich will zu dir heute so ehrlich sein, wie ich es damals war in meinen Briefen, in allen meinen Gedanken und meinen Worten.«
Sie nickte leise, fragend, staunend.
»Meine Person will ich ganz ausscheiden,« begann er. »Es handelt sich allein um mein Weib, meine Kinder und um dich.«
Sie wandte den blonden Kopf und nahm ihn fest in die Augen.
»Es gibt einen Weg, dich zu retten.«
Sie blieb stehen.
»Wenn ich nicht zu dem Termin komme.«
»Dann holt man dich.« Sie schritt weiter.
»Wenn man mich nun aber nicht holen kann, weil ich dort bin, wo selbst das Gericht keine Gewalt mehr hat?«
Sie zuckte zusammen.
»Bleibe ruhig!« bat er. »Wir wollen es wie eine wissenschaftliche Frage erörtern. Nur keine Gefühle hineinmengen! Wir wollen es zu lösen versuchen, wie wir früher philosophische Probleme bis zu ihrem letzten Kern zu enträtseln versucht haben.«
»Laß!« schnitt er ab, »ich will es dir klarlegen. Verunglücke ich vor dem Termin, dann bist du gerettet. Du brauchst nicht Zeugin zu sein, keiner kann gegen dich auftreten. Die Sache verläuft im Sande. Als Opfer fällt mein Weib.« Er schwieg hart.
»Und das ›Oder‹?« forschte sie ruhig.
»Das ›Oder‹? Ich denke nur an mein Weib, reise trotz der Zustellung ab, bleibe fort, zwei, drei Jahre wenn nötig, und rette mein Weib.«
Sie hob wieder den Kopf. »Ich sehe da keinen Konflikt.«
»Du siehst keinen Konflikt?«
»Nein, Fritz. Wie kann die Entscheidung zweifelhaft sein! Du hast jetzt allein an dein Weib und deine Kinder zu denken. Du reist noch heute!«
»Du Liebe,« sagte er und strich zag über ihre Schultern. »Du sprichst wie mein Herz. Aber mein Verstand und mein Mannestum erheben dagegen die Fäuste.«
Ihr Mund wurde energisch wie dann, wenn sie wissenschaftliche Fragen entschied. »Es bleibt alles beim alten,« sagte sie. »Ich habe geglaubt, du, der du mir schon einmal das Leben geschenkt hast, du könntest es mir heute zum zweiten Male geben. Aber du bist doch auch nur ein Mensch. Das habe ich schon früher einmal vergessen. Es soll kein Vorwurf sein,« fügte sie schnell bei. »Und nun sprich nichts mehr! Wir wollen noch eine Weile nebeneinander gehen und des andern Nähe fühlen, und dann – wollen wir scheiden. Und du reist weit fort – und« – sie lächelte verklärt tapfer, »ich auch.«
Ein sommerwarmes Summen und Zittern war in der Luft. Sie ging mit klaren Augen, er mit grübelnd gesenkten Lidern.
Plötzlich warf er den Kopf zurück, seine Gestalt straffte sich; all das Alte, hilflose fiel von ihm ab, die Adlernase ragte scharf und kampftrotzig aus dem entschlossenen Gesicht.
»Ich habe mich gefunden,« sagte er ruhig. »Es brach so plötzlich heute morgen über mich, dieser Schwall, und riß mich über Bord. Jetzt habe ich mich aus den Fluten herausgearbeitet.«
Sie lächelte.
»Ich wußte, du bist groß.«
»Ja,« sagte er bitter, »mein Weg verlangt Größe. Es gibt kein Schwanken. Dir brauche ich kein Wort darüber zu sagen, daß es nicht Feigheit ist, die diese Entscheidung fallt. Wenn ich einem meiner Studenten raten sollte, ich müßte ihm sagen: Steh zu deinem Weibe und zu deinen Kindern!«
Sie gab ihm wortlos die Hand.
»Ich werde nicht fortlaufen,« sprach er weiter, »und mich keiner Rechenschaft entziehen. Dagegen spricht mein ganzes Leben. Hier werde ich ausharren und meine Folgen tragen, tapfer wie du. Freilich weiß ich, daß es nicht zum Termin kommen wird, wenn du – gegangen bist.« Aber plötzlich überwältigte ihn wieder das Unmögliche seiner Entscheidung. »Herrgott,« knirschte er, »ich kann dich nicht hingehen und sterben lassen. Du mußt mit deinem Manne reden. Du mußt, es gibt kein anderes Mittel! Oder fahre weit fort, dann werde ich mit ihm sprechen. Er ist ein kluger menschlicher Mensch.«
Sie schüttelte wieder das blonde Haupt.
»Denk an deinen Jungen!« bat er eindringlich.
Sie schwieg bleich. Ihre Lider röteten sich. »Ihn verliere ich in jedem Fall,« sagte sie endlich. »Er wird ihn meinem – Einflusse entziehen.«
Wieder schritten sie stumm nebeneinander.
Da beichtete sie ihre Gedanken. »Wenn es für meinen Jungen oder meinen Mann besser wäre, stellte ich meine Gefühle zurück, würde bekennen und wie eine entlassene Magd aus dem Hause gehen, dem trüben Leben der verjagten Frau entgegen. Ich brächte das Opfer. Aber wie es jetzt liegt: wenn ich am Leben bleibe, und Seebeck und seine Freunde erhalten ihre Gewißheit – wer kann das verhindern? – ist meines Mannes Leben verpfuscht. Wenn sie erst soweit gegangen sind, gehen sie ihren verruchten Weg bis zum grausamen Ende. Es kommt zum öffentlichen Skandal. Mein Mann wird kompromittiert. Er muß seinen Abschied nehmen. Er ist ein toter Mann. Gehe ich aber – ach, Lieber, der Tod macht Heilige aus Sündern! Dann wird man mich beklagen und Frieden über all dieses Wilde decken. Laß, ich kenne die Menschen. Und meinen Jungen! Dem bin ich im Tode mehr. Bleibe ich am Leben, so werde ich ihm ein warnendes Beispiel der Schlechtigkeit. Dafür wird gesorgt werden. Im Tode werde ich die arme frühverstorbene Mutter werden, die als ein leuchtendes Vorbild vor ihm wandelt. Und obwohl ich allen, die mir lieb sind, auch dir, nütze, soll ich diese Last auf mich nehmen, diese Schmach und Erniedrigung, dieses Verjagtwerden und unstete Leben draußen irgendwo einsam in der Fremde? Nein, lieber Freund, das kannst du nicht verlangen!«
Er schwieg. Was sollte er diesen Gründen entgegenhalten!
Nach einer Weile sagte er: »Manja, warte wenigstens noch! Vielleicht geschieht irgend etwas. Bei solchem Prozeß kann man das nie wissen. So vieles kann dazwischen kommen.«
»Glaubst du an Wunder?« lächelte sie schmerzlich und blickte ihm in die Augen.
»Nein, aber daran, daß vieles im Leben sehr wunderbar geschieht. Und daran, daß der Schritt, den du vorhast, das Allerletzte ist. Damit hast du Zeit. Setzen wir uns eine Frist! Am 14. Juli ist der Termin. Lassen wir die Entscheidung bis zum zwölften!«
»Und dann?«
»Dann nehmen wir unser Schicksal auf uns. Willst du mir diese letzte Bitte erfüllen, Manja? Ich weiß, daß es noch ein Opfer mehr ist. Ich sehe jede Stunde dieser furchtbaren Tage mit ihrer Qual und ihrem Grauen vor dem Kommenden. Aber nimm es auf dich! Solange wir leben, lebt die Hoffnung.«
Da reichte sie ihm die Hand. »Ich will es tun, Fritz, um all des Leides willen, das ich über dein Leben gebracht habe.«
Da wurden dem Manne die Augen feucht.