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IX.

Einige Tage vergingen. Beatrice Herforth begann bereits in ihre neue anregende Tätigkeit hineinzuwachsen, da ward dem Regierungspräsidenten von Ingenheim die Privatklage auf dem Amte zugestellt. Er legte sie achtlos zur Seite und fuhr in seiner Arbeit fort.

Erst am Nachmittag kam sie ihm wieder unter die Hände. Gelassen öffnete er das Schriftstück und las die flammenden Anklagetiraden des ›schneidigen‹ Rechtsanwalts Doktor Wurm. Das Gezeter berührte ihn nicht persönlicher als irgendein anderer gleichgültiger Akteninhalt. Plötzlich aber kam ein verächtlich heiterer Glanz des Staunens in seine Augen. Das also! Also das war der bombastisch angedräute Stützpunkt dieser herrlichen Klage. Also Faber, der war der Missetäter! Eine verhaltene Lustigkeit spielte um die Augenwinkel des Barons. Das also hatten sie herausgefunden, daß seine Frau zu Professor Faber in ›unerlaubte Beziehungen‹ getreten war. Das also war der hohle Kern der ganzen wichtigtuerischen Geheimniskrämerei! Na! Daraufhin, wie sagte die Schrift doch so schön: ›Da der Privatkläger somit die Frau des Beklagten als gewissermaßen vogelfrei ansehen mußte ...‹ Hm, also Fabers wegen mußte er! Ausgezeichnet! Daraufhin glaubte der Kerl sich seine Frechheiten herausnehmen zu dürfen. Auf Fabers Konto. Sehr gut! Der Baron lächelte wieder, steckte das Schriftstück sorglos in die Tasche und griff zu seinen Akten.

Am Abend saß er dem Geheimrat Helmholtz gegenüber. »Da haben Sie die ›untrüglichen Beweise‹,« triumphierte er und legte die Klage vor den Anwalt auf den aktenbesäten Tisch.

Der Geheimrat nahm wortlos das Blatt, schob die Brille zur Stirn hinauf und las mit bedächtigem Aufmerken.

Endlich ließ er den Bogen sinken. Der Baron lächelte siegesfroh. »Was sagen Sie nun, Herr Geheimrat?«

»Kennen Sie Herrn Professor Faber?« tat der Anwalt seine Gegenfrage.

»Aber natürlich, sehr gut. Der Mann hat früher bei uns im Hause verkehrt. Das heißt, vor Jahren war er einmal bei uns zu Besuch. Faber als Zeugen zu benennen, ist etwas so – geradezu Hirnverbranntes! Mit derselben Dreistigkeit könnte er jeden xbeliebigen Mann von der Straße aufgreifen.«

»Hm,« machte der Geheimrat, »Sie halten das also für völlig ausgeschlossen?«

»Aber völlig! Es war eine rein geistige, allerdings sehr innige Freundschaft. Meine Frau – ich sage das, damit Sie sich ein ungefähres Bild von ihr machen können – ist die Tochter des großen Physikers van Deelen in Leipzig –«

Der Geheimrat blickte achtungsvoll auf.

»Sie hat den streng wissenschaftlichen Sinn des Vaters geerbt. Schon als Kind hat sie nur wissenschaftliche Werke gelesen. Wollen Sie glauben, Herr Geheimrat, daß meine Frau noch nie einen modernen Roman gelesen hat? So einseitig sind ihre wissenschaftlichen Interessen.«

»Also eine durchaus ungewöhnliche Frau,« schloß der Geheimrat.

»Durchaus. Sie hat selbst viele philosophischen Essays geschrieben, wie mir Fachleute bedeuteten, recht gescheite Sachen. Ich will mit alledem nur sagen: Es ist keine Frau, der man irgendeine törichte unüberlegte Spielerei zumuten darf.«

»Das scheint allerdings nicht möglich,« bedachte der Geheimrat sinnend.

»Und nun gar diese Freundschaft mit Faber! Ich weiß nicht, ob Sie ihn persönlich kennen?«

»Nur dem Namen nach. Sein Ruf ist allerdings ein ausgezeichneter.«

»Das glaube ich,« lachte der Baron. »Er ist einer der angenehmsten Menschen, die mir begegnet sind,«

»Verkehrt er viel bei Ihnen?« fragte der Geheimrat prüfend.

»Nein – schon seit Jahren nicht mehr. Es war fast ausschließlich eine Brieffreundschaft. So etwas schläft mit der Zeit ein. Vielleicht war auch meine Frau daran schuld. Wer will das sagen! Als Faber hierher berufen wurde, war die Freundschaft schon verstorben. Es hat sich dann auch nicht wieder recht angebahnt.«

»Ja,« der Anwalt legte entscheidend die Hand auf den Klageakt, »dann verstehe ich das verwegene Vorgehen des Herrn Direktor Seebeck nur in dem von Ihnen neulich angedeuteten Sinne. Es kann nur ein Bluff sein, um, wenn er mißlingt, schließlich klein beizugeben.«

Der Baron lachte rauh auf. »Den Spaß werden wir ihm aber gehörig versalzen. Wir erheben jetzt Widerklage wegen Verleumdung meiner Frau.«

Her Geheimrat nickte.

Der Präsident stand auf. »Meine Frau,« sagte er dringend, »muß von all diesen Dingen verschont bleiben. Wir dürfen sie unter keinen Umständen der Peinlichkeit aussetzen, vor Gericht als Zeugin über ihre Geschlechtsehre vernommen zu werden!«

»Ich werde es zu hindern wissen,« beruhigte der alte Herr, sich ebenfalls erhebend.

»Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar, bester Geheimrat. Und nun wollen wir hoffen, daß diese leidige Sache bald hinter uns liegt. Angenehm ist so etwas jedenfalls nicht.«

Der Anwalt hob bedauernd die Handflächen. »Gegen solche Anwürfe ist niemand gefeit, Herr Baron.« –

Wenige Tage später, als die knappe klare Erwiderung des Geheimen Justizrats Helmholtz eingegangen war, hielt Herr Rechtsanwalt Doktor Wurm mit seinem Mandanten Konferenz.

Der junge Anwalt, der durch einige Sensationsprozesse der letzten Zeit einen gewissen Ruf erlangt hatte, saß da mit der freundlich herablassenden Haltung des großen Mannes und der Unfehlbarkeit des stets sieghaften Rechtsvertreters.

»Also, mein weiter Herr Generaldirektor,« sagte er und blickte wichtig drein, »nun heißt es, den Wahrheitsbeweis antreten.«

»Das wollten wir von vornherein,« erklärte Seebeck geschäftlich.

»Ja, das wollten wir. Frage ist nur, ob wir's können. Eingeschüchtert haben wir die Leute jedenfalls nicht. Dafür ist dies Beweis.«

Er schwenkte die Widerklage wie eine Fahne.

»Sicher ist mir die Sache durchaus nicht.«

»Aber mir, Herr Rechtsanwalt,« ließ Seebeck sich nicht imponieren. »Die Frau hat nicht den Mut gehabt, zu gestehen. Nun tappt der Mann hinein. Die Sache ist doch ganz klar.«

»Na – na!« machte Doktor Wurm ein wenig ärgerlich. »Wir haben für unsere Behauptung lediglich zwei Zeugen: Die Frau selbst und Professor Faber. Das ist wenig.«

»Es genügt.«

»Nun ist hier ein Schreiben des Herrn Geheimrat Helmholtz eingegangen, in dem er bittet, auf die Frau als Zeugin zu verzichten, da sie ja doch ein Zeugnisverweigerungsrecht habe.«

Der Anwalt lachte sarkastisch. »Auf solche Ideen kommt auch nur solch alter Herr. Auf die Frau als Zeugin verzichten! Ideen haben manche der Herren Kollegen!«

»Ich weiß doch nicht,« bedachte Seebeck.

»Aber bester Herr Seebeck!« Doktor Wurm sprang in die Höhe. »Das hieße ja auf unsere schneidigste Waffe verzichten! Gerade die Frau mit ihrem bösen Gewissen ist vor Gericht unsere beste Bundesgenossin!«

»Ich will die Frau nicht quälen,« entschied Seebeck.

»Nanu!« rief der Anwalt, »Sie sagten doch damals, als wir die Klage einleiteten –«

»Damals war ich noch in heller Wut. Heute will ich allein den Mann treffen, den schonungslos –« Seine Augen glühten wild auf. »Die Frau will ich – soweit es geht – schonen.«

»Es geht nicht,« rief der Anwalt heftig. »Entweder – oder!«

»Nein,« blieb Seebeck fest, »unnötig grausam gegen die Frau will ich nicht sein.«

»Das ist eine unangebrachte Zartheit!« ereiferte sich Doktor Wurm.

»Sie kann mir ja auch nichts nützen, da sie ihr Zeugnis verweigern darf.«

»Soll sie nur!« rief Wurm feldherrn-seherisch. »Das soll sie nur! Sollen Sie mal sehen, welche Folgerungen ich daraus ziehen werde. Angst und bange soll ihr werden!«

Jetzt erhob sich auch Seebeck. »Nein, Herr Doktor, das gefällt mir nicht. Die Frau hat mich zurückgestoßen. Das war ihr gutes Recht. Ihre Art war ein wenig peinlich. Dafür wird sie schon genug an dem zu leiden haben, was wir ihr nicht ersparen können.«

»Gut,« beschied Doktor Wurm sich ingrimmig, denn er sah die Sensation dieses Prozesses verröcheln, »wie Sie wollen! Aber darauf mache ich Sie aufmerksam, wenn Faber dann versagt, liegen wir drin.«

»Faber kann nicht versagen.«

Der Anwalt machte bedeutungsvolle Fegebewegungen in der Luft. »Kann nicht! Kann nicht! Zunächst hat er selbst einmal das Recht, sein Zeugnis zu verweigern, weil er sich einer strafbaren Handlung schuldig bekennen würde.«

»Soll er! Seine Weigerung genügt uns.«

»Allerdings. Das Gericht und ich, wir würden unsere Schlüsse daraus schon ziehen. Aber wenn Sie sich nun irren und die beiden nichts miteinander gehabt haben?«

»Irrtum ist ausgeschlossen.«

»Wieso? Sie können doch unmöglich dabei gewesen sein.« Der Anwalt lächelte verschämt.

»Stimmt, Herr Doktor, dabei war ich nicht. Hat mir aber Spaß gemacht, die beiden Leutchen nach der Abreise des Mannes ein bißchen zu beobachten. Die Frau war mir aufgefallen. Es ist das schönste Weib, das mir begegnet ist. Muß ihr der Neid lassen.«

»Schön. Schön. Aber woher wissen Sie das – hm – Punctum saliens

»Lieber Herr Rechtsanwalt, wir Männer sehen doch, wie zwei Leute miteinander stehen! Den ganzen Tag über haben sie zusammen in den Dünen gesessen, an den einsamsten Stellen. Wie oft habe ich mir einen Spaß gemacht, sie zu überraschen!«

»Haben Sie dabei Küsse gesehen oder sonst was Verfängliches?«

»Das nicht. Aber ich sehe, wie es zwischen Leuten steht. Verlassen Sie sich da ganz auf mich, mein lieber Herr Rechtsanwalt! Auf solche Chosen verstehe ich mich wie auf meine Maschinengewehre. Und dann eines Nachmittags. Ich wohnte im selben Hotel wie Frau von Ingenheim. Da kam er zu ihr und blieb stundenlang bei ihr. Glauben Sie, daß sie sich da Märchen erzählt haben? Jawohl, Märchen vom Glück. Und dann am Abend fuhr ich mit demselben Zug wie er von Norddeich nach Berlin. Einige Minuten vorher ging ihrer. Die Gesichter hätten Sie sehen sollen! Wie sie sich ansahen, sie von oben vom Kupeefenster, er von unten, vom Bahnsteig. Wie zwei wunde Tiere. Ja, wahrhaftig. So groß war der Trennungsschmerz!«

»Vielleicht war es eine platonische Liebe,« erwog der Anwalt.

»Jawohl,« lachte Seebeck, »für ihn. Sie soll ja so'n kleiner Plato sein.«

Da lachten beide herzerquicklich.

»Na, wir wollen mal sehen,« sagte Doktor Wurm siegesfroher. »Und das mit der Frau überlegen Sie sich wohl noch einmal, Herr Generaldirektor.«

»Nein,« lächelte Seebeck, »so leid Sie mir tun, Herr Doktor.«

»Ich!« Der Anwalt stieß den Zeigefinger der Rechten empört gegen die Brust, »ich? Was meinen Sie damit?«

»Ich meinte nur,« sagte der Generaldirektor ruhig, »daß Ihnen doch noch genug Sensationelles an der Sache bleibt.«

»Darum handelt es sich nicht, Herr Generaldirektor,« verschloß sich Herr Doktor Wurm steif, »für mich sind lediglich die Interessen meiner Mandanten maßgebend.«

»Selbstredend,« bestätigte Seebeck mit undurchdringlichem Ernst, »selbstredend, Herr Doktor. Aber so ein bißchen Sensation dabei ist auch ganz nett.«


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