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9. März.
Mir ist es, als ob man einen Dachziegel über meinem Kopfe ausgehoben hätte und als ob ich durch diese Spalte zum erstenmal Gottes freien Himmel erblickte. Ja, schon kann ich den Arm bis zum Ellbogen hinausstrecken, so haben die Mitteilungen meiner Freundin mir das Herz mit Hoffnung erfüllt.
Morgen werde ich hören, was Mutter Lancien von meiner Lage hält, ich werde es hören, und wenn ich mein Leben drüber lassen sollte. Verkündet das Orakel dieser Sibylle mir keine Rettung, so weiß ich, daß mein Fall ein verzweifelter ist und daß mir nichts zu thun übrig bleibt, als mich geschlossenen Auges dem Schicksal zu überlassen und zu allem Ja und Amen zu sagen.
Wie ist es möglich, daß der Ruf dieser Frau nicht bis zu uns gedrungen ist? Ich kann mir es nur erklären, wenn ich mir vergegenwärtige, daß selbstverständlich das heimische Eulengesindel von den Angelegenheiten der Taubenschläge keine Ahnung hat.
Und doch müßten von Gottes und Rechts wegen die Loblieder, die ihr gesungen werden, selbst von unserm Maulwurfshügel aus gehört werden; laut genug wird ihr Ruhm verkündet, darüber muß man nur die Milchfrau hören. Als sie vorhin von ihr erzählte, war es gerade, wie wenn ein Priester den Vorhang des Allerheiligsten lüftet und dem Volke den Anblick der Gottheit gewährt, und ich habe mich darauf ertappt, daß ich jedesmal, so oft ihr Name genannt wurde, in Versuchung war, aufzustehen und einen Knicks zu machen, wie wir uns im Kloster in der Vesper beim Gloria Patri verbeugten, wo alle unsre Köpfe gleichzeitig niedertauchten, wie ein Aehrenfeld, wenn der Wind drüber hinweht.
Dabei kam mir die Sache aber nicht im geringsten lächerlich vor, Gott bewahre. Ob Haselstrauch oder Cedernholz, ich werde den Zauberstab, der sich über mein Haupt erhebt, gläubig verehren und ich denke jetzt schon mit Ehrfurcht an die runde Haube meiner hohen Ratgeberin.
Todesfälle, Heiraten, Geburten, nichts geht im Dorfe vor sich, ohne daß diese Frau daran teilhätte. Ich bin stark versucht, zu glauben, daß sie die Ehen segnet und den kleinen Schreihälsen ihr künftiges Schicksal in die Wiege legt, und wenn ich in Erlan geboren wäre, würde ich zweifelsohne das meinige ihr zum Vorwurf machen.
Ein halber Doktor und der gefährlichste Konkurrent des Stadtarztes, verbindet, heilt und tröstet sie mit geschickter Hand wie eine gute Fee. Verstauchte Füße, frische und alte Wunden, bösartige Fieber, für alles weiß sie Rat, und da ihre Pflaster so köstlich nach Talg, ihre Arzneien so herrlich nach Pfefferminze und Thymian riechen, ihre Vorschriften und Verhaltungsmaßregeln sehr deutlich im landesüblichen Dialekt erteilt werden, und somit alles höchst Vertrauen erweckend ist, gehorcht man ihr und glaubt an sie.
Dabei ist sie gegen niemand hochmütig und ein gut Teil ihrer Patienten entstammt dem Hühnerhofe und dem Stalle.
Sie weiß, was für ein Teiglein man den Hühnern geben muß, damit sie an einem bestimmten Tage legen, sie weiß, welche Fütterung fett macht und welche schädlich ist, und es ist gar kein Zweifel, daß unsern armen Kühen die Demütigung, keine Milch mehr zu haben, erspart geblieben wäre, wenn wir uns rechtzeitig an sie gewandt hätten.
Was diese Frau aber so vollkommen macht und mich in erster Linie berührt, ist, daß ihre Weisheit nicht nur dem leiblichen Wohl aller Kreatur zu gute kommt, sondern daß es überhaupt nichts noch so Verwickeltes und Kitzliches gibt, das sie nicht zu schlichten und ins Geleise zu bringen wüßte. Wie der schöne Percinet im Märchen mit drei Schlägen seines Zauberstabes zehn Tonnen Kolibrifedern verliest, so findet sie mit gleicher Schnelligkeit für jeden Kummer Rat, und die Halsstarrigsten, die nur zu ihr gehen, wenn sie am Rand der Verzweiflung sind und jede Hoffnung aufgegeben haben, kommen freudestrahlend zurück.
Natürlich nimmt die Wallfahrt zu ihr nie ein Ende. Patienten, die man am Stricke hinzieht, andre, die sorglich gestützt und am Arm geführt werden, und Leute, die im Dämmerstündchen sich in geheimen Dingen Rat erholen, machen sich den Eingang zu ihrer Hütte streitig.
Dabei ist die Zauberkraft der Frau, die man wohl eine heilige Frau nennen kann, ganz ohne Hexenkunst und Sünde und auch nicht ein Stückchen Teufelei in ihrem Arzneikessel, so daß sie sogar noch Muße findet, dem Heil ihrer Kunden heilige Kerzen zu weihen.
Morgen werde ich sie sprechen, so viel steht fest, und wenn Benedikta sich quer über die Thürschwelle legte, so sollte mich das nicht hindern. Uebrigens soll meine gute Alte erst nach vollbrachter That alles erfahren, ich spinne meine Pläne im Dunkeln und mache mir Kapuze und Pilgerstab zurecht, ohne viel Geschrei darüber zu vollführen, ja ich bin so vorsichtig, daß ich mir sogar »Einer« vom Leibe halte. Sein großer Eifer ist mir etwas verdächtig und es gibt Fälle, daß ein Hund trotz der ihm von der Natur gesetzten Schranken zu viel gesprochen hat.
Er heult zum Steinerweichen hinter der Thür, die ihn eingeschlossen hält, und kratzt so gewaltig am Getäfel, daß ich glaube, er bilde sich ein, mit seinen Nägeln ein Loch in die Wand reißen zu können, durch das er mich wenigstens im Auge behalten kann. Allein ich bin auf meiner Hut und werde, um mein Geheimnis ganz sicher zu bewahren, auch mit mir selbst nicht mehr davon sprechen.