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Auf hoher Bergkuppe saß ich eines Tages mit meinem jungen Freunde Li-sis-tsi, d. h. Vielfraß, und schaute in die Ebene hinab. Stunden und Stunden konnten wir so miteinander sitzen und das Wild, das in großen Rudeln um uns herum graste, beobachten, Hinaufschauen zu den hohen Bergen und über die weite, schweigende Ebene. Li-sis-tsi wurde dessen nie müde; er saß dann mit so eigentümlich verträumten, verschleierten Augen neben mir und sagte immer wieder: i-tam-ah-pi, was etwa so viel bedeutet als »ich bin vollkommen glücklich«. Aber mein Freund war durchaus nicht vollkommen glücklich. Es gab Tage, an denen er mit bedrückter Miene umherschlich und nur antwortete, wenn man ihn etwas fragte. Eines Tages, als er einmal wieder in solcher Stimmung war, forschte ich nach der Ursache seines Kummers.
»Mir fehlt nichts,« erwiderte er. Dann fuhr er nach langem Schweigen fort: »Ich log, ich bin in großer Not. Ich liebe Piks'-ah-ki und sie liebt mich, aber ihr Vater will sie mir nicht geben.«
Wieder langes Schweigen. »Ja, nun?« fing ich das Gespräch wieder an, denn entweder hatte er vergessen, weiter zu reden, oder er wollte nicht mehr sagen.
»Ja, ihr Vater ist ein Arapaho und ihre Mutter ist eine Piegan. Vor langen Jahren schützte unser Volk die Arapahos, kämpfte für sie und half ihnen, ihr Land gegen alle ihre Feinde verteidigen. Dann aber entzweiten sich die beiden Stämme und führten jahrelang Krieg gegeneinander. Letzten Winter schlossen sie wieder Frieden. Damals sah ich Piks-ah'-ki zum ersten Male. Sie ist sehr schön und groß, hat langes Haar und Augen wie eine Antilope und kleine Hände und Füße. Ich besuchte ihres Vaters Zelt so oft als möglich, und wenn die anderen es nicht bemerkten, schauten wir uns an: Eines Abends stand ich an der Zelttür, als sie heraustrat, Holz zu holen. Ich hielt sie an und küßte sie, und sie erwiderte meine Liebkosung. Daher weiß ich, daß sie mich liebt. »Glaubst du,« fragte er ängstlich, »sie hätte das getan, wenn sie mich nicht liebte?«
»Nein, das glaube ich nicht,« antwortete ich.
Sein Gesicht hellte sich wieder auf, und er fuhr fort. »Damals besaß ich nur 12 Pferde, aber ich sandte sie ihrem Vater mit der Botschaft, daß ich seine Tochter freien wollte. Er schickte mir die Pferde zurück mit den Worten: »meine Tochter soll keinen armen Mann heiraten.«
Ich machte dann einen Kriegszug gegen die Krähen mit und brachte 8 ihrer besten Pferde heim. Dazu erhandelte ich noch welche, bis ich 32 hatte. Mit denen schickte ich einen Freund in das Lager der Arapaho, damit er um das Mädchen, das ich liebte, werbe. Er kam bald mit den Pferden zurück und brachte mir die Antwort des Vaters: »Meine Tochter kann Li-sis-tsi niemals heiraten, denn die Piegans haben meinen Sohn und Bruder erschlagen.«
Darauf konnte ich nichts erwidern. Er schaute mich eine Weile an und sagte endlich: »Die Arapaho haben ihr Lager am Missouri, an der Mündung des Judith. Ich will das Mädchen stehlen. Kommst du mit?«
»Ja,« erwiderte ich rasch. »Aber warum wählst du mich? Warum fragst du nicht einen von den »Rabenträgern«, deren Gesellschaft du angehörst?«
»Weil,« erwiderte er verlegen lachend, »weil ich vergeblich gehen könnte. Vielleicht kommt sie nicht mit, und dann würden es meine Freunde herum erzählen, und ich würde dauernd von ihnen damit geneckt werden. Von dir weiß ich, daß du, wenn ich vergeblich um das Mädchen werbe, nie darüber reden wirst.«
Ich lebte erst wenige Monate unter den Indianern, hatte mich meinem Freunde Rotfuchs, dem Schwager des guten Li-sis-tsi, angeschlossen, um mit ihm die Freuden und Leiden des Jagd- und Lagerlebens der Piegans zu teilen. Auf Mädchenraub ausziehen? welch' ein Unternehmen für ein junges, unerfahrenes Blut, wie ich es war, das konnte mir gerade passen.
Eines Abends, in der Dämmerung, verließen wir unauffällig das Lager. Niemand außer Rotfuchs, nicht einmal seine Frau, wußten um unser Vorhaben. Natürlich würde sie sich über ihres Bruders Abwesenheit aufregen, aber ihr Mann wollte ihr sagen, daß wir auf ein paar Tage nach Feste Benton geritten seien. Wie lachte der gute Rotfuchs, als ich ihm erzählte, wohin und weshalb wir loszögen.
»Ha, ha, ha! das ist ja nett! so ein Neuling, kaum drei Monate im Lande, will einem Indianer helfen, ein Mädchen stehlen!«
»Wann hört man auf, ein Neuling zu sein?« entgegnete ich.
»Wenn man alles gelernt hat, was zu lernen ist, und aufhört, törichte Fragen zu stellen. Bei dir wird das etwa in 5 Jahren der Fall sein, bei den meisten dauert es 15 Jahre, bis sie sich eingelebt haben. Aber, Spaß beiseite, junger Freund. Du hast dich da auf eine fragwürdige Sache eingelassen. Gib acht und bleib mit deinem Pferde zusammen und denke immer dran, daß es besser ist, davon zu jagen, als zu kämpfen. Man lebt dann länger.«
Weil es für einzelne Männer nicht ratsam war, bei Tage über die weite Ebene zu reiten, verließen wir das Lager im Dunkeln. Es waren zu viel Kriegsbanden der verschiedenen Stämme unterwegs, die, gierig nach Skalpen und Ruhm, friedliche Reisende überfallen wollten. Wir ritten das Judithtal hinab und in östlicher Richtung auf die Ebene zu. Als wir weit genug waren, um die tiefen, ausgetrockneten Bäche, die sie durchschnitten, zu vermeiden, wandten wir uns und ritten in gleicher Richtung mit dem Strom. Li-sis-tsi ritt ein lebhaftes, aber zahmes, scheckiges Pony, das wir mit etwas Bettzeug und einer prachtvollen Büffeldecke beladen hatten. Diese Dinge hatte er schon am Abend vorher aus dem Lager geschafft und im Walde verborgen. Der Vollmond schien in voller Klarheit, und wir konnten ein gutes Tempo reiten. Als wir noch nicht allzu weit vom Lager entfernt waren, hörten wir die Büffel brüllen. Es war ihre Brunstzeit, und man hörte das tiefe und eintönige Gebrüll der Bullen, während sie kämpften und von einer Herde zur anderen wechselten. Wir ritten einige Male während der Nacht nahe an eine Herde heran und schreckten sie auf, daß sie davon rasten, und der harte Erdboden unter ihren stampfenden Hufen erdröhnte. Es schien, als seien in dieser Nacht sämtliche grauen Wölfe der Gegend auf den Beinen, denn aus allen Richtungen schallte ihr klagendes Geheul. Wie traurig feierlich klang dies Heulen, so ganz anders als das koboldartige Gekläff des Präriewolfs.
Vorwärts, immer vorwärts jagte Li-sis-tsi und schaute sich nicht um. Ich hielt mich dicht hinter ihm, obwohl ich dies Tempo auf einer Ebene, die von Dachsen und Präriehunden durchwühlt war und Loch an Loch aufwies, recht unvernünftig fand. Bei Tagesanbruch befanden wir uns zwischen hohen, tannenbewachsenen Bergen, etwa 4 Kilometer vom Judithtal entfernte. Mein Freund hielt und spähte in die noch in grauem Dämmerschein liegende Gegend.
»Soweit ich sehen kann,« bemerkte er, »ist hier alles in Ordnung. Büffel und Antilopen grasen ruhig. Das ist aber kein ganz sicheres Zeichen, daß kein Feind in der Nähe ist, es könnten gerade jetzt welche dort oben in den Tannen sitzen und auf uns herab schauen. Eilen wir, daß wir an den Fluß kommen. Wir brauchen Wasser. Dann verbergen wir uns im Walde.
Wir sattelten in einem Walde unter Pappeln und Weiden ab und tränkten dann unsere Pferde. Auf einer feuchten Sandbank fanden wir ganz frische, menschliche Spuren. Das jagte uns natürlich einen kleinen Schrecken ein, und wir hielten unsere Gewehre bereit. Am anderen Ufer war kein Wald, so konnten die Eigentümer der Fußspuren nicht in unserer nächsten Nähe sein.
Crees oder Männer von der anderen Seite des Felsengebirges, sagte Li-sis-tsi, und prüfte die Spuren nochmals genau. »Das tut nichts zur Sache, Feinde sind sie für uns alle. Wir müssen jedenfalls vorsichtig sein und gut aufpassen, denn sie könnten in nächster Nähe sein.«
Wir tranken uns satt, gingen in die Schlucht zurück und banden unsere Pferde so an, daß sie etwas grasen konnten.
»Woran hast du erkannt, daß die Spuren nicht von Krähen, Sioux oder irgend welchen anderen Banden herrühren?« fragte ich.
»Du hast gesehen, daß die Fußabdrücke breit und rundlich waren, daß man selbst die Zehenspuren noch erkennen konnte. Das kommt daher, daß sie weiche Moccassins tragen, deren Sohlen und Oberteil von gegerbtem Wild- oder Büffelleder gemacht ist. Nur die Crees tragen solche Moccassins. Alle anderen Präriebewohner haben harte, rohlederne Sohlen,« belehrte mich mein Freund.
Ich hatte großen Hunger verspürt, nun aber war ich nur darauf aus, einen Feind zu erspähen, und hatte darüber alles andere vergessen. Ach! wäre ich doch im Lager geblieben und hätte den Indianer sein Mädel allein stehlen lassen! »Ich will im Wald herumgehen und Ausschau halten,« sagte Li-sis-tsi, »und dann wollen wir essen.«
Das erschien mir wunderlich, denn wir durften doch weder jagen noch Feuer anmachen, selbst wenn wir Wild gehabt hätten. Aber ich schwieg und sattelte mein Pferd, wie mein Freund befohlen hatte. Er kam schnell zurück.
»Die Bande ging durch den Wald,« berichtete er, »und das Tal hinab. In etwa zwei Nächten werden sie den Arapaho die Pferde stehlen. So, nun wollen wir essen.«
Er rollte die Büffeldecke auseinander und breitete die verschiedensten Dinge vor uns aus; schweren blauen und roten Stoff, genug für zwei Kleider, englische Ware, die die Händler für 10 M das Meter verkauften. Perlenschnüre, messingne Ringe, seidene Taschentücher, chinesisch Rot, Nadeln, Garn, Ohrringe, alles was ein indianisches Weib gern hat, kam zum Vorschein. »Für sie,« sagte er und legte alles sorgsam beiseite. Dann wickelte er altes Brot, Zucker, Dörrfleisch, und eine Schnur getrockneter Aepfel aus.
»Das stahl ich meiner Schwester, denn ich dachte mir schon, daß wir kein Wild schießen und Feuer anmachen könnten.«
Es wurde ein langer Tag. Abwechselnd schliefen wir ein wenig, d. h. Li-sis-tsi schlief. Ich konnte nur etwas dösen, denn ich erwartete jeden Augenblick einen Ueberfall. Wir waren beide noch recht unerfahren in dieser Art Abenteuer. Nachdem wir Wasser getrunken hatten, hätten wir auf einen Berggipfel reiten und dort den Tag über bleiben sollen. Von einer Höhe aus hätten wir herankommende Feinde weithin sehen können und wären ihnen auf unseren schnellen Pferden mühelos entwischt. Wie leicht hätte uns in diesem Tal der Feind entdecken, und ein Entkommen unmöglich machen können!
Mein Freund war sich noch nicht darüber klar, wie er das Mädchen entführen wollte. Schlich er sich des nachts ins Lager zu ihrem Zelt, so konnte er leicht als Pferdedieb gefangen werden und wehe, wenn er nicht das richtige Weib weckte, was würde das für Lärm geben! Ging er kühn, nur als Gast ins Lager, so würde Büffelkopf, des Mädchens Vater, Verdacht schöpfen, und seine Tochter nur umso strenger bewachen. Nun brachte ihn die Entdeckung, daß eine feindliche Kriegsbande im Anmarsch auf das Lager der Arapaho war, auf einen trefflichen Gedanken.
»Ich wußte, daß mein Amulett nicht versagen würde,« sagte er plötzlich nachmittags zu mir und lachte vergnügt dabei. »Nun weiß ich, was ich will. Wir reiten kühn ins Lager zum Zelt des großen Häuptlings Drei Bären. Ich melde ihm, daß mich unser Häuptling sendet, um ihn vor einer im Anzug befindlichen Kriegsbande zu warnen und sage ihm, daß wir schon ihre Fußspuren auf den Sandbänken am Fluß gesehen haben. Dann werden die Arapahos ihre Pferde bewachen und sich in den Hinterhalt legen. Es gibt Kampf und Aufregung, alles stürmt in die Schlacht, und dann ist meine Zeit gekommen. Dann rufe ich Piks-ah-ki, wir schwingen uns auf mein Pferd und fliehen.«
Wieder ritten wir die ganze Nacht scharf durch und erblickten bei Tagesanbruch den tiefen Einschnitt in der weiten Ebene, der den Lauf des Missouri kennzeichnet. Am Abend vorher hatten wir den Judith überschritten. Nun waren wir auf der von Travois und Zeltstangen tief gefurchten Straße, auf der die Piegans und Arapahos auf ihren Wanderungen vom großen Fluß und den Bergen gen Süden zogen. Die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel, als wir den tannenbestandenen Rand des Tals erreichten und nun hinabschauten auf die Judithmündung. Dort standen, hell sich gegen das dunkle Laub eines Pappelwaldes abhebend, etwa 300 Zelte der Arapahos. Hunderte und Aberhunderte von Pferden grasten auf der mit Salbei bewachsenen Ebene. Reiter galoppierten hin und her, trieben ihre Tiere zum Wasser oder fingen sich frische Pferde zu ihrer täglichen Jagd ein. Trotz der weiten Entfernung vernahmen wir bereits den üblichen Lagerlärm: Schießen, Schreien, Kinderlachen, Singen und Trommeln.
»Ah,« rief Li-sis-tsi aus, »da ist das Lager, nun vorwärts geflogen!« und dann fügte er ernster und betend hinzu: – »Hilf mir, daß ich erreiche, was ich ersehne!« O ja, der Jüngling war verliebt. Amor ergreift Besitz von roten so gut wie von weißen Menschen, und darf man's sagen, – die Liebe ist bei den Roten meist treuer und ausdauernder als bei der »höheren« Rasse.
Wir ritten unter den erstaunten Blicken seiner Bewohner in das Lager ein. Man wies uns des Häuptlings Zelt. Vor dem Eingang stiegen wir ab, übergaben einem Jungen unsere Pferde und traten dann ein. Drei oder vier Gäste waren, vergnüglich rauchend, anwesend. Der Häuptling führte uns zum Ehrensitz auf seinem eigenen Ruhebett, im Hintergrunde des Zeltes. Er war ein großer, dicker Mann, ein typischer Arapaho, dieser Drei Bären.
Die Pfeife ging herum, und wir rauchten ein paar Züge. Einer der Gäste erzählte eine Geschichte, und als er geendet hatte, fragte uns der Häuptling, in geläufigem Schwarzfuß, woher wir kämen. Beinahe alle älteren Arapaho sprachen in jener Zeit die Schwarzfußsprache fließend, während die Schwarzfuß niemals Arapaho sprechen lernten. Die Sprache war zu schwer für jemand, der nicht damit geboren und aufgewachsen war.
»Wir kommen,« erwiderte Li-sis-tsi, »vom oberen Judith, von der Mündung der warmen Quellen.«
»Mein Häuptling Großer See sendet Dir dieses,« und damit überreichte er ihm eine große Rolle Tabak, »und bittet Dich, mit ihm freundschaftlich zu rauchen.«
»Ah,« sagte Drei Bären lächelnd und legte den Tabak beiseite, »Großer See ist mein guter Freund, wir wollen mit ihm rauchen.«
»Mein Häuptling sendet Dir auch durch mich Botschaft, daß Du gut Acht haben mögest, auf Deine Pferde, denn einige unserer Jäger haben Spuren von Kriegsbanden auf diesem Weg gefunden. Wir selbst, dieser weiße Mann, der mein Freund ist, und ich, haben sie gestern morgen am Fluß gesehen. Vielleicht heute nacht, sicher morgen, werden sie über eure Herden herfallen.«
Daraufhin richtete der alte Häuptling eine Reihe Fragen an meinen Freund; zu welchem Stamm die Kriegsbande gehöre, wo wir die Spuren gesehen hätten u. a., die Li-sis-tsi so gut als möglich beantwortete. Dann wurde uns etwas gekochtes Fleisch, getrockneter Büffelrückenspeck und Pemmikan vorgesetzt. Während wir aßen, ratschlagte Drei Bären mit seinen anderen Gästen, die bald darauf fortgingen. Vermutlich wollten sie die Neuigkeit herumerzählen und Vorbereitungen zum Empfang der unwillkommenen Gäste treffen. Drei Bären sagte uns, daß sein Zelt das unsrige sei. Für unsere Pferde wurde gesorgt, unsere Sättel und Zäume brachte man herein und legte sie am Eingang nieder. Sein kostbares Bündel hatte mein Freund gleich bei Tagesanbruch sorglich im Walde versteckt.
Nach dem Frühstück mußten wir wieder rauchen, und Li-sis-tsi beantwortete dem Häuptling alle möglichen Fragen über die Piegans. Dann wanderten wir durchs Lager hinab zum Fluß. Unterwegs wies er mir das Zelt seines voraussichtlichen Schwiegervaters. Der alte Büffelkopf war ein Medizinmann, und die Außenseite seiner Behausung war mit den Symbolen seiner besonderen, ihm im Traum verliehenen Macht, zwei großen, schwarzen Grizzlybären und roten Monden bemalt.
Wir saßen eine Weile am Ufer und schauten einigen Jünglingen und Knaben zu, die sich im Wasser tummelten. Ich bemerkte, daß mein Gefährte immer nach den Weibern, die zum Wasserholen kamen, ausschaute. Die, die er suchte, kam aber nicht, und so kehrten wir nach einer Weile in des Häuptlings Zelt zurück. Als wir eintreten wollten, sahen wir, wie einige Weiber einen fetten, jungen Hund erwürgten.
»Warum töten sie den Hund?« fragte ich.
»Ach,« erwiderte er, »sie wollen uns einen Festbraten auftischen.«
»Einen Festbraten für uns?« wiederholte ich erstaunt. »Meinst du denn, daß sie den Hund kochen wollen und ihn uns vorsetzen werden?«
»Ja. Diese Arapaho essen Hunde. Sie halten das Fleisch für besser, als Büffel- oder anderes Wildpret. Es wird gekocht und uns in großen Mengen vorgesetzt und wir müssen es essen, sonst verstimmen wir sie.«
»Ich rühre nichts davon an,« rief ich, »nein, sowas esse ich nicht!«
»Aber du mußt! Du wirst es essen! Sonst machst du dir unsere Freunde zu Feinden – und – verzweifelt fuhr er fort – verdirbst vielleicht mein ganzes Glück.«
Gut. Bald darauf wurde uns das Hundefleisch vorgesetzt. Es sah sehr weiß aus und roch durchaus nicht unangenehm. Aber – Hund bleibt Hund. – Niemals in meinem Leben hatte ich mich vor etwas so gefürchtet, als vor dieser Mahlzeit. Doch ich mußte. So griff ich tapfer eine Rippe heraus und kaute und schluckte und schluckte und kaute, bis ich das Fleisch herunter hatte. Es blieb unten. Ich zwang mich und gewann den Sieg über den Brechreiz. So bekam ich es fertig, eine kleine Portion von dem Fleisch herunter zu würgen, und hielt mich daneben an eine Art Beerenpemmikan, das dazu gereicht wurde. Wie froh war ich, als das Mahl beendet war. Es dauerte aber Stunden, bis mein Magen wieder in Ordnung war.
Man nahm an, daß der Feind für die Nacht einen Ueberfall plane; so schlichen sich bei Einbruch der Dunkelheit fast alle bewaffneten Männer durch die Salbeiwiese an den Fluß der Hügel und verbargen sich neben und hinter ihren Herden. Wir hatten unsre Pferde gesattelt, und Li-sis-tsi sagte dem Häuptling, daß wir mitkämpfen würden. Mein Kamerad ging früh fort, ich saß noch etwa 1 Stunde auf und legte mich, als er nicht wiederkam, auf ein Ruhebett und schlief bald fest ein bis zum anderen Morgen. Nach dem Frühstück gingen wir aus, und er erzählte mir, daß er Piks-ah-ki gesprochen habe, und daß sie gewillt sei, ihm zu folgen. Er war in bester Stimmung, und als wir am Fluß entlang trollten, stimmte er die Kriegslieder an, die die Schwarzfüße immer singen, wenn sie glücklich sind.
Nachmittags trat ein großer, häßlicher Mann in das Zelt, in dem bereits allerlei Gäste saßen, und nahm uns gegenüber Platz. Er warf uns finstere Blicke zu, und da mein Freund mir einen leichten Rippenstoß versetzte, wußte ich, daß ich Büffelkopf vor mir hatte. Sein Haar war stark, und er trug es pyramidenförmig auf dem Kopf aufgewickelt. Eine Weile sprach er mit Drei Bären und den anderen Gästen und setzte dann, zu meiner Ueberraschung, die Unterhaltung in der Schwarzfußsprache fort. Er redete von uns und in seinem Ton drückte sich unverkennbarer Haß aus.
»Die ganze Geschichte von einem Ueberfall ist einfach erlogen,« sagte er. »Hört: Großer See schickt Botschaft, daß seine Leute ihre Spur gesehen haben; nun, ich weiß, daß die Piegans Feiglinge sind, aber wenn's ihrer viele waren, warum verfolgten sie den Feind nicht und griffen ihn an? nein, das ist alles Unsinn. Aber ich glaube, wir haben einen Feind im Lager, der es nicht auf unsere Herden, sondern auf unsere Weiber abgesehen hat. Letzte Nacht war ich ein Narr, denn ich ging aus und lauerte auf Pferdediebe. Ich wachte die ganze Nacht, aber kein Dieb kam. Diese Nacht bleibe ich im Zelt, halte mein Gewehr schußbereit und passe auf Weiberdiebe. Ich rate euch, das Gleiche zu tun.«
Damit stand er auf und verließ trotzig das Zelt. Drei Bären wandte sich mit grimmigem Lächeln an Li-sis-tsi und sagte: »Kümmere dich nicht um ihn, er ist alt und kann nicht vergessen, daß deine Leute ihm Sohn und Bruder töteten. Andere, und dabei seufzte er tief, verloren auch Söhne und Brüder im Kampf mit deinem Volk, aber nun haben wir ja Frieden geschlossen. Was geschehen ist, ist geschehen. Die Toten werden nicht wieder lebendig werden, aber die Lebenden werden nun länger und glücklicher leben, da wir aufgehört haben, miteinander zu kämpfen und uns gegenseitig zu berauben.«
»Du sprichst die Wahrheit,« erwiderte Li-sis-tsi. Der Friede zwischen unseren beiden Stämmen ist gut. Ich will des Alten Rede vergessen, vergeßt ihr sie auch und paßt auf eure Pferde, denn in dieser Nacht kommt der Feind sicherlich.«
Wieder sattelten wir mit Einbruch der Dunkelheit unsere Pferde und pflöckten sie in der Nähe des Zelts an. Mein Freund erzählte mir, daß Piks-ah-ki den ganzen Tag von ihres Vaters Arapahoweibern streng bewacht worden sei, der Alte hatte sie ihrer Pieganmutter nicht anvertraut.
Ich legte mich wieder früh schlafen, während mein Freund ausging. Schüsse und großer Lärm im Lager weckten mich zeitig. Männer lärmten und rannten in den Kampf, Frauen schrieen, Kinder weinten und jammerten vor Angst. Ich eilte mit unseren Waffen zu den Pferden. Li-sis-tsi hatte ein prachtvolles Gewehr, das ihm Rotfuchs gegeben hatte. Später hörte ich, daß Büffelkopf einer der ersten gewesen sei, die zur Rettung der Pferde hinausstürmten, als das Schießen anfing. Sowie er sein Zelt verlassen hatte, rannte mein Freund, der nahe bei im Salbeigebüsch versteckt gelegen hatte, hin und rief seines Liebchens Namen. Sie kam mit ihrer Mutier heraus und trug eine Anzahl kleiner Beutel. Gleich darauf waren sie bei mir. Beide Frauen schluchzten. Wir banden die Pferde los.
»Schnell, schnell,« rief Li-sis-tsi, nahm sanft das Mädchen, das weinend in der Mutter Armen lag, setzte sie in den Sattel und reichte ihr die Zügel.
»Höre,« schluchzte die Mutter: »sei gut zu ihr. Ich rufe die Sonne an, daß sie mit dir so tue, wie du mit meinem Kinde.«
»Ich liebe sie und ich werde gut zu ihr sein!« antwortete Li-sis-tsi; dann trieb er uns zur Eile.
Fort ging's über die Ebene, gerade auf den Pfad zu, den wir gekommen und gerade in den Kampf hinein, der am Fuß des Hügels tobte.
Wir konnten das Geschrei und die Schüsse hören und das Feuer aufblitzen sehen. Das war ein schlimmer Handel für mich, und wieder bereute ich es, mich auf diesen Mädchendiebstahl eingelassen zu haben, der mich doch nichts anging. Aber Li-sis-tsi führte, seine Geliebte ritt dicht hinter ihm, und ich konnte nichts anderes tun als den beiden folgen.
Als wir uns den Kämpfenden näherten, fing mein Freund an zu rufen:
»Wo ist der Feind? wir wollen alles töten! wo haben sie sich versteckt? wo sind sie?«
Ich merkte wohl, was er wollte. Die Arapaho sollten uns nicht für Feinde halten. Aber, wenn wir nun den Letzteren in die Arme ritten? –
Das Feuern und Schreien hatte aufgehört. Um uns war alles ruhig, aber wir wußten sehr wohl, daß dort, in den mondbeschienenen Salbeibüschen Freund und Feind lagen. Wir waren noch etwa 100 Meter vom Fuß des Hügels entfernt, und ich hoffte, daß die Gefahr überwunden sei, als plötzlich ein Schuß Li-sis-tsi mit samt seinem Pferd niederstreckte. Unsere Pferde stoppten sofort und das Mädchen schrie auf und rief:
»Er ist tot! hilf, weißer Mann, hilf!«
Aber ehe wir absteigen konnten, sahen wir Li-sis-tsi aufspringen und in die Salbeibüsche schießen. Tiefes Seufzen und Rascheln im Strauchwerk verriet die Stelle, wo der Gefallene lag. Mein Freund sprang zu, schlug ihn mit seinem Gewehrkolben vollends nieder und nahm die feindliche Waffe vom Boden auf.
»Ich zähle einen Coup,« rief er lachend, befestigte die alte Flinte am Horn meines Sattels und meinte: »behalt sie, bis wir aus dem Tal heraus sind.«
Gerade wollte ich ihm zurufen, daß er ein Narr sei, uns um eines alten Gewehrs willen aufzuhalten, als rechts von mir der alte Büffelkopf auftauchte. Mit zornigen Worten packte er seiner Tochter Zügel und versuchte sie aus dem Sattel zu zerren. Sie schrie laut auf und hielt sich fest, indeß Li-sis-tsi auf den Alten los sprang, ihn zu Boden schlug, ihm sein Gewehr entwand und es weit fortschleuderte. Dann schwang er sich leichtfüßig hinter Piks-ah-ki auf das Pony, grub seine Hacken in des Tieres Flanken, und fort ging's. Der zornige Vater jagte, laut um Hilfe schreiend, hinter uns her. Wir sahen noch andere Arapaho, aber sie schienen keine Lust zu haben, sich mit uns einzulassen. Zweifellos hatten ihnen des Alten zornige Worte die Lage klar gemacht, und sie hielten es natürlich unter ihrer Würde, sich in einen Streit um ein Weib einzulassen.
Wir ritten, so schnell wir konnten, den steilen Hügel hinan und gelangten bald außer Hörweite von des alten Vaters Klagen. In vier Nächten erreichten wir das Pieganlager. Li-sis-tsi ritt teils hinter mir, teils hinter dem Mädchen auf dem Pony. Unterwegs nahmen wir das kostbare Bündel, das er versteckt hatte, wieder mit, und es war eine Freude, des Mädchens Staunen und Glück am nächsten Morgen, als sie es öffnete, zu beobachten. Sie machte sich selbigen Tages, als wir ruhten, aus dem roten Stoff ein Kleid, und ich muß sagen, sie sah wirklich reizend darin aus, als sie ihren Schmuck, Ohrringe, Perlen, Ringe und eine Menge anderer Niedlichkeiten dazu angelegt hatte. Sie war ein sehr anmutiges, junges Weib von großer Herzensgüte und machte Li-sis-tsi als Gattin sehr glücklich.
Da wir Verfolgung fürchteten, machten wir einen weiten Umweg, um in unser Lager zu kommen. Bei unserer Ankunft erfuhren wir, daß der alte Büffelkopf bereits seit zwei Tagen dort war. Er benahm sich nun aber ganz anders als daheim. Gegen Li-sis-tsi war er kriechend höflich, rühmte seiner Tochter Tugenden und Schönheit und klagte, daß er sehr arm sei. Sein Schwiegersohn schenkte ihm 10 Pferde und das Gewehr von dem auf der Flucht getöteten Indianer. Der Alte erzählte uns, daß die Feinde Crees gewesen seien. Sieben von ihnen wären getötet. Der Angriff habe sie so überrascht, daß sie kein einziges Pferd erbeutet hätten.
Ich bin nie wieder auf Mädchenraub ausgegangen, aber ich habe in meiner Jugend Dinge auf der Prärie verübt, die mindestens ebenso töricht waren als dies soeben berichtete Abenteuer.