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6. Das große Wettrennen.

Wie frühere derartige Zusammenkünfte, verlief auch der Besuch der Kutenai äußerst lärmend, und es wäre beinah zu ernsten Zusammenstößen gekommen. Das war schon einmal der Fall gewesen gelegentlich eines Pferderennens. Die Kutenai besaßen einen wohlgebauten, schnellen Rappen, dem die Piegans eine Reihe ihrer besten Tiere entgegenstellten. Vergebens. Ein Rennen nach dem anderen wurde abgehalten, der Rappe blieb Sieger. Die Piegans hatten schwere Wettverluste: Pferde, Decken, Gewehre und alle Arten von Hausrat und Schmuck. Sie waren schließlich ganz verzweifelt und niedergedrückt. Da kam der Glaube auf, daß die Sieger ihre Pferde bezaubert hätten, wodurch sie an Schnelligkeit eingebüßt hätten.

In ihrer Not kamen sie auf den Gedanken, die Blutindianer um ein Pferd, das als trefflicher Renner bekannt war, zu bitten und dasselbe Tag und Nacht mit aller Vorsicht zu bewachen, bis das Rennen vorbei war. Nach einer Weile kamen die Leute, die man ausgeschickt hatte, das Tier zu holen, mit demselben zurück. Es war in der Tat ein vorzüglicher Brauner, edelster amerikanischer Zucht, der sicher einem unglücklichen Reisenden abgenommen worden war. Man gönnte ihm eine viertägige Rast, und dann sollte das große Wettrennen stattfinden, von dem die Piegans Wiedergutmachung all ihrer Verluste erhofften. Während dieser Zeit kannte man keine andere Sorge als die Bewachung des Pferdes. Tagsüber graste es auf der üppigsten Weide, die man finden konnte, stetig umgeben von einem Dutzend junger Leute, und nachts paßten Wachen auf das sorgfältigste auf, daß sich ihm kein Unberufener nahe.

Endlich kam der große Tag, und alles, selbst Weiber und Kinder beider Lager, begaben sich zu der etwa 500 Meter langen, ebenen Fläche, auf der das Rennen abgehalten werden sollte. Ein wildes Wetten begann, und niemals sonst hatte man solche Unmengen von Gegenständen auf der Prärie aufgehäuft gesehen als an jenem Tage. Alles, was die beiden Stämme zum Schmuck oder täglichen Gebrauch benötigten, war vorhanden, und eine Menge Pferde wurden von nicht wettenden Knaben bereit gehalten. Selbst die Weiber wetteten. Hier wurde ein Kochkessel gegen ein gesticktes Gewand ausgeboten und dort ein rohlederner Behälter mit getrocknetem Büffelfleisch gegen ein gegerbtes Hirschfell oder ein Meter roter Stoff gegen ein paar kupferne Armringe. Ich stand inmitten einer Volksmenge am Endziel, wo ein Fell über die staubige Bahn gebreitet war. Wir konnten die beiden jugendlichen Reiter sehen, die nackend, bis auf den unvermeidlichen Lendenschurz, ihre aufbäumenden Renner zum Start führten, der ungefähr 500 Meter entfernt vor uns lag. Der Wettlauf begann. Die Zuschauer ermunterten die Reiter durch Zurufe, die sich zu einem lärmenden Durcheinander der beiden Sprachen steigerten. Dazwischen gellte das Geschrei der Weiber. Wir konnten von unserem Platz aus nicht erkennen, welches Pferd den Vorsprung hatte, als sich beide in gestrecktem Galopp näherten. Es schien uns, als rannten sie Seite an Seite. Jetzt, als sie ans Ziel kamen, trat plötzlich Totenstille ein. Jeder hielt unwillkürlich den Atem an. Wir konnten die kurzen Peitschen der Jünglinge durch die Luft sausen hören, mit denen sie ihre Tiere in die Flanken hieben, um sie zu äußerster Schnelligkeit anzuspornen. Dann waren sie da! noch ein paar Sprünge, und sie waren am Ziel! beinah gleichzeitig, mir schien das Kutenaipferd um ein paar Zoll im Vorsprung. Sofort erhob sich ein unsagbarer Lärm, und alles strömte zum Endpunkt der Rennbahn.

»Wir gewinnen!« schrieen die Piegans. »Wir gewinnen!« riefen auch die Kutenais in ihrer merkwürdigen Sprache. Ein fürchterliches Durcheinander entstand. Die Männer drängten sich; denn jeder wollte den Sieg für seine Partei behaupten. Ein Kutenai richtete im dichtesten Gedränge sein altes Gewehr auf seinen Gegner, aber ein anderer versetzte ihm einen Schlag, und der Schuß ging in die Weite. Als die Weiber den Knall hörten, flohen sie angstvoll zu den Zelten, gefolgt von ihren heulenden, schreienden Kindern. Die jugendlichen Piegan-Heißsporne riefen: »Auf! holt eure Waffen! nieder mit diesen Kutenaihunden!«

Man redete und feilschte nicht mehr um die Gegenstände, die man zum Wetten herausgebracht hatte. Jeder nahm sein Eigentum und eilte damit zu seinem Zelt zurück. Im Nu war der Platz leer von Menschen, nur die Kutenai- und Pieganhäuptlinge, ein paar führende Männer, Nat-ah'-ki und ich, waren geblieben. Letztere faßte mich am Arm und bat mich mit angsterfüllten großen Augen, mit ihr heim zu gehen.

»Es wird ein harter Kampf,« sagte sie. »Laß uns unsere Pferde satteln und fortreiten. Komm!«

»Mich geht der Kampf nichts an,« erwiderte ich, »ich bin ein weißer Mann.«

»Ja,« schrie sie auf, »du bist ein weißer Mann, aber du gehörst zu den Piegans, auf dich schießen die Kutenai so gut wie auf jeden anderen.«

Es gelang mir, sie zur Ruhe zu bringen, denn ich wollte hören, was die Häuptlinge sagten. Großer See sandte seinen Ausrufer ins Lager.

»Künde ihnen, was ich ihnen sage,« befahl er. »Ich gehe jetzt hinüber in das Lager meines guten Freundes Man Sieht Seinen Rücken. Wer mit den Kutenai kämpfen will, muß zuerst mit mir und diesen Männern hier kämpfen.«

Der Ausrufer eilte davon, und dann wandte Großer See sich zu mir:

»Komm,« sagte er, »du bist auch für Frieden, komm mit uns.«

Ich ging mit ihnen hinüber in das Kutenailager. Nat-ah'-ki folgte uns, sichtlich beunruhigt. Kaum waren wir bei den Zelten, als wir eine sich stetig vergrößernde, laut schreiende Reiterschar vom anderen Lager her auf uns zukommen sahen.

»Gib mir ein Gewehr!« befahl Großer See. »Irgend einer leihe mir ein Gewehr!«

Als er es bekommen hatte, stellte er sich vor uns auf. In seinem schönen, alten Gesicht zeigte sich ein Ausdruck felsenfester Entschlossenheit, und seine Augen funkelten zornig. Hinter uns hörte man das Rascheln der Zeltdecken und Poltern der Pfähle. Eilig brachen die angsterfüllten Weiber die Zelte ab und packten den Hausrat zusammen. Um uns scharten sich die Kutenaimänner, bereit zur Verteidigung. Sie wußten wohl, daß sie den Piegan nicht gewachsen waren; denn sie waren ihnen an Zahl bei weitem unterlegen. Schaute man aber auf ihre entschlossenen Gesichter, ihre ruhigen Augen und die fest zusammengepreßten Lippen, sah man, mit welcher Sicherheit sie ihre Vorbereitungen trafen, so wußte man, daß sie ihr bestes tun würden, um sich und ihre Angehörigen zu schützen.

Ein junger Krieger, Kleiner Hirsch, ritt an der Spitze der Pieganschar, die schnell auf uns zukam. Ich konnte ihn nicht leiden, denn ich fühlte, daß er mich haßte. Später geriet ich ernstlich mit ihm aneinander. Er hatte gemeine, grausame Gesichtszüge, mitleidslose, verschlagene und unstäte Augen. Später hörten wir, daß die meisten in dieser aufgeregten Schar den Ausrufer im Lager gar nicht gehört hatten; nun waren sie hier, um unbarmherzig mit jenen zu rechten, die sie nun für Feinde hielten. Großer See ritt ihnen entgegen, rief und machte ihnen Zeichen, daß sie halten sollten. Als sie ihn nicht beachteten, eilte er noch weiter voran, hob sein Gewehr gegen Kleiner Hirsch und schrie:

»Wenn du nicht anhältst, schieße ich.«

Letzterer zügelte unwillkürlich sein Pferd und sagte:

»Warum hältst du mich auf? Die Kutenaihunde haben uns ausgeraubt und betrogen. Wir wollen Rache.« Er schickte sich an, weiter zu reiten, und munterte seine Schar auf, das gleiche zu tun. Wiederum erhob Großer See sein Gewehr. »Ziele auf mich,« rief er. »Ich bin jetzt ein Kutenai. Ziele! schieße! ich gebe dir die Gelegenheit!«

Kleiner Hirsch legte nicht auf ihn an. Er saß kerzengrade im Sattel, starrte auf den Häuptling und wandte sich dann um zu seinen Leuten und befahl ihnen, ihm zu folgen. Inzwischen hatten sich die anderen Pieganhäuptlinge unter die Reiter gemischt und bedrohten und zwangen sie, ins Lager zurückzukehren. Es wagte keiner vorzugehen, im Gegenteil, mehrere wandten sich bereits rückwärts.

Kleiner Hirsch redete sich in Wut, deutete auf letztere und die Kutenai und rief ihnen alle Schimpfworte nach, die ihm eben einfielen. Trotz alledem gelang es ihm nicht, vorwärts zu kommen. Des Häuptlings erhobenes Gewehr, der kalt entschlossene Blick machten ihn unsicher. Er murmelte ein paar unverständliche Worte, wandte endlich sein Pferd und ritt in übelster Laune mit jenen ins Lager zurück, die er noch vor wenigen Augenblicken so eifrig zum Kampf angeführt hatte. Die Häuptlinge atmeten erleichtert auf, und Nat-ah'-ki, die sich dicht an meiner Seite gehalten hatte, und mir fiel gleichfalls eine Last vom Herzen.

»Was haben diese Jungen für harte Köpfe,« bemerkte Großer See. »Wie schwer ist es, sie zu leiten.« »Du hast recht,« sagte Man Sieht Seinen Rücken. »Hättest du nicht so tapfer geredet und gehandelt, so würden jetzt hier Haufen von Toten auf der Ebene liegen. Wir kehren nun heim in unsre Berge. Es wird lange dauern, bis wir uns wiedersehen.«

»Ja,« erwiderte der Piegan, »es ist am besten, daß wir uns jetzt trennen. Der Zorn unserer Jugend wird schnell verraucht sein. Laß uns im nächsten Sommer hier in der Gegend wieder zusammentreffen.«

So wurde es verabredet, und mit herzlichem Händeschütteln nahmen wir Abschied. Als wir im Lager angekommen waren, befahl Großer See, sofort die Zelte abzubrechen. Das geschah mit großer Schnelligkeit. Dann befahl er den Ai-in-ai-kiks, einer Art Polizei, acht zu geben, daß keiner der Jünglinge, unter welchem Vorwande es auch sei, das Lager verlasse. Er fürchtete, daß dieser oder jener doch noch einen Angriff auf die Kutenai machen könne. Letztere hatten sich bereits in langem Zuge auf der Ebene in Marsch gesetzt. Ein wenig später zogen auch wir von dannen und schlugen unser Lager am Marias auf, wo heute die Kanadabahn den Fluß überschreitet.

Am Ende einer Bucht, etwa 90 Meter vom Fluß entfernt, am Fuß der Anhöhe liegt – wenn die Vandalen, die die Bahn bauten, ihn nicht vernichtet haben – ein Kreis von erratischen Blöcken, die halb im Erdreich versunken sind. Der Kreis beträgt etwa 20 Meter im Durchmesser, und einige der Felsstücke mögen etwa 20 Zentner wiegen. Wer sie dort aufgestellt, warum sie dort standen, ich habe es nie in Erfahrung bringen können. Die Schwarzfüße wußten darüber nichts zu sagen und meinten nur: »Die Vorfahren haben es getan,« ahk'-kai-tup-pi.

Wenn nun auch die Schwarzfüße nichts von diesen erratischen Blöcken zu erzählen wissen, um so mehr können sie über den Zauberfelsen berichten. Dieser liegt seitlich der alten Wegspur, ungefähr 5 Kilometer unterhalb des Berggipfels, am äußersten, oberen Ende der Bucht. Nach der Sage der Schwarzfüße hat dieser Zauberstein einmal den »Alten Mann« verfolgt und würde ihn zerquetscht haben, um sich wegen einer Beleidigung zu rächen, wenn ihn nicht der Nachtfalke gerettet hätte.

Bis zu einem gewissen Grade sind die Schwarzfüße Pantheisten und beten eine Reihe toter Gegenstände, denen sie Leben zusprechen, an. Dieser Felsen gehört zu jenen, denen sie Opfergaben darbringen und zu dem sie beten; ein anderer liegt auf einem Hügel am Zweizauberfluß, nahe am Marias. –

Es ist ein rot geäderter Quarz. Die rote Farbe ist an sich schon heilig. Es ist ein schwerer Block, der an einem sandigen, steilen Abhang liegt, um den die Südwestwinde brausen. Sie unterwühlen den Sand unter dem Felsen und treiben ihn so nach und nach abwärts. Obwohl die Schwarzfüße das ganz gut wissen, ist ihnen der Fels trotzdem heilig. Wenn sie vorbeikommen, rasten sie einen Augenblick, legen einen Armring, einen Halsschmuck, ein paar Perlen oder irgend eine andere Gabe auf ihn nieder und bitten um Hilfe, Schutz gegen Unglück, langes Leben und Glück. Als ich zuletzt an dem Felsblock vorbeikam, fand ich einen kleinen Haufen Gaben auf und um ihn herum liegen. So findet man es bis zum heutigen Tag, obwohl die weißen Ansiedler immer alles fortnehmen. Viele Jahre später fuhr ich mit Nat-ah'-ki durch die Gegend. Wir saßen auf der Plattform des letzten Wagens eines Zuges der neuen Eisenbahn, von der wir einen guten Ueberblick über die Gegend genossen. O, welch eine Verwüstung und Oede überall! Dahin waren die grünen Wiesen, selbst die Salbeibüsche, die einst so dicht hügelan wucherten, waren verschwunden. Fort waren die alten, großen Pappelwälder, die dichten Weidengehölze und Kirschen- und Büffelbeerendickichte, die den Fluß umsäumten. Nat-ah'-ki drückte schweigend meine Hand, und ich sah in ihren Augen Tränen schimmern. Ich sagte nichts, fragte nichts, wußte ich doch, woran sie dachte, und mir war ja auch nach Weinen zumute. Wie war das alles so verändert – wie furchtbar war das für uns! fort waren unsere Freunde, ausgerottet die großen Wildherden, selbst das Land hatte ein ganz anderes Aussehen bekommen. War's ein Wunder, daß wir so traurig waren?

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