Gustav Schwab
Erzählungen aus den alten Volksbüchern
Gustav Schwab

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Griseldis

In Piemont am Fuß eines hohen Berges liegt eine ausgedehnte Herrschaft, die blühende Städte und lachende Fluren in sich schließt. Markgraf Walter, dem diese Landschaft gehörte, war ein schöner junger Mann, dessen ganze Neigung nur der Jagd gehörte. Die Regierung seines Landes vernachlässigte er und hatte keine Lust zum Heiraten. Wenn gute Freunde zu ihm von seiner Vermählung sprachen, pflegte er zu erwidern: »Ich mag meine Freiheit nicht verkaufen. Solange ich ledig bin, tue ich, was ich will; wenn ich aber verheiratet bin, so muß ich oftmals tun, was meine Frau will.«

Seine Vasallen aber hätten es gern gesehen, wenn ihr Herr eine glückliche Ehe geschlossen und Erben hinterlassen hätte. Deswegen erschienen die Vornehmsten des Landes eines Tages beim Markgrafen und baten ihn, dem Land eine Herrin zu geben. Sie wollten ihm das schönste adelige Fräulein, das seiner würdig wäre, zuführen.

Auf diese Worte schwieg der Graf eine Zeitlang und dachte über den Vorschlag nach. Endlich erwiderte er: »Meine lieben Freunde, eure demütige Bitte nötigt mich, zu tun, was ich nie im Sinn gehabt habe. Denn ich hatte mir vorgenommen, meine Freiheit zu behalten. Nun aber unterwerfe ich mich freiwillig dem Willen meiner Untertanen, damit sie erkennen, daß ich sie liebe und wie ein Vater für sie sorgen will. Doch danke ich für euer Anerbieten, mir eine Gemahlin zu erwählen, die meinesgleichen sein soll. Diese Mühe will ich selbst auf mich nehmen. Eines aber sollt ihr mir versprechen und halten: daß ihr die Frau, die ich zu meiner Gattin auserwählen werde, als Markgräfin und als eure Herrin ehren und lieben wollt.«

Über diese Antwort des Grafen freuten sich die versammelten Adeligen und versprachen feierlich, die Frau, die er erwählen würde, als Herrin anzuerkennen, wer sie auch immer sein sollte.

Nach einigen Wochen befahl der Graf seinem Haushofmeister, alles für die bevorstehende Hochzeit vorzubereiten. Noch wußte niemand, wer die Braut sein sollte, und der Graf wollte es auch niemandem sagen, sooft er auch darum befragt wurde.

Als nun der bestimmte Tag gekommen und die geladenen Gäste in großer Menge versammelt waren, fehlte niemand mehr als die markgräfliche Braut. Da wunderten sich alle, manche glaubten sogar, es handle sich nur um einen mutwilligen Scherz.

Zuletzt fragten die Gäste den Grafen, warum sie denn eigentlich zur Hochzeit geladen seien. Er aber gab ihnen zur Antwort, die Braut sei schon auf dem Weg, alle sollten sich fertigmachen, ihr entgegenzugehen und sie mit gebührenden Ehren zu empfangen. So sammelten sich denn die Gäste und begaben sich zum Schloß hinaus. Vor ihnen ritt der Markgraf im Hochzeitsgewand, neben ihm fuhren in reich geschmückten Wagen einige Edelfrauen, die herrliche Brautkleider und den ganzen Brautschmuck wohl verschlossen mit sich führten. Als der Festzug in das nächste Dorf gekommen war, verbreitete sich ein dunkles Gerücht unter den Gästen, daß hier der Ort sei, wo der Graf sich seine Braut erwählen würde. Obgleich sich niemand vorstellen konnte, wer das sein sollte, hatten sich doch alle Bauernmädchen des Dorfes, zu denen das Gerücht gleichfalls gedrungen war, aus Neugier versammelt und warteten auf die seltsame Brautwahl des Markgrafen.

Nun lebte in diesem Dorf ein Mann namens Janikula, der ärmste unter allen Bauern, der eine einzige Tochter hatte, die Griseldis hieß. Die Jungfrau war arm, aber schön und tugendhaft und überragte an Klugheit alle ihre Gespielinnen. Sie hütete die wenigen Schafe ihres Vaters und war die meiste Zeit auf dem Feld, dennoch kochte sie alle Speisen für die Hausgenossen und verbrachte die halben Nächte mit Spinnen. Dieses Bauernmädchen hatte der Markgraf im Vorüberreiten oft gesehen und beobachtet. Schon lange hegte er eine aufrichtige Neigung zu ihr und war entschlossen, sich mit ihr zu vermählen.

Als die Hochzeitsgäste in das Dorf kamen, war die gute Griseldis eben am Brunnen gewesen. Da trat ihr der Graf entgegen und sprach: »Griseldis, wo ist dein Vater?« Das Mädchen verneigte sich tief und antwortete ehrerbietig: »Zu Hause, gnädiger Herr.« – »Er soll zu mir herauskommen«, sagte der Graf. Als der Bauer aus dem Haus kam, führte ihn der Markgraf ein wenig beiseite und redete ihn an:

»Mein lieber Janikula, willst du mir deine Tochter Griseldis zur Frau geben?« Der gute alte Mann erstarrte über diese Frage und wußte nicht, was er denken oder sagen sollte. Erst als der Graf ihn zu einer Antwort nötigte, stammelte er: »Gnädiger Herr, ich finde vor Schrecken keine Worte; aber wenn es wirklich Euer Ernst ist, meine arme Tochter zur Frau zu nehmen, so bin ich viel zu gering, Euch hierin zu widersprechen.« Der Graf erwiderte: »Gut, so komm mit mir ins Haus; ich will deine Tochter über einige Dinge fragen.«

So mußten die Hochzeitsgäste draußen ein wenig warten, der Graf aber ging mit dem Alten in das Haus, nahm die Tochter bei der Hand und sprach: »Liebe Griseldis, willst du mein Weib werden?«

Der Jungfrau war zumute, als fiele der Himmel über sie herab, da sie diese Worte vernahm. Der Graf aber tröstete sie freundlich: »Fürchte dich nicht, meine liebe Griseldis, denn dich habe ich vor allen Frauen der Erde zu meiner Braut auserkoren; wenn du einwilligst, werde ich mich noch heute mit dir vermählen.«

Griseldis neigte sich in Demut und antwortete: »Gnädiger Herr, ich bin zwar einer so großen Ehre nicht würdig, aber wenn es Euer ernstlicher Wille ist, mich armes Bauernmädchen zu Eurer Gemahlin zu erheben, so darf ich mich meinem Herrn nicht widersetzen.«

Darauf erklärte der Graf mit ernster Miene: »Ehe ich dich zur Frau nehme, frage ich dich, Griseldis, ob du bereit bist, mir in allem gehorsam zu sein und alles, was ich wünsche, geduldig und ohne Klagen zu ertragen?«

»Gnädiger Herr Graf«, versicherte die Jungfrau, »ich verspreche, nichts von dem, was Ihr mir tun oder befehlen werdet, übel aufzunehmen, und solltet Ihr mich auch sterben heißen.« Diese Worte gefielen dem Grafen und er sagte: »Wenn du das tun willst, bin ich zufrieden.«

Damit nahm er sie bei der Hand, führte sie zum Hause hinaus und erklärte vor allen Anwesenden: »Diese Jungfrau hier ist meine Braut, sie wird Eure gnädige Frau sein, die ihr ehren und lieben sollt.«

Dann befahl er den Edelfrauen, sie mit herrlichen Brautgewändern zu schmücken, damit sie ihrem neuen Stand gemäß in des Grafen Haus einziehen könne. Die Frauen nahmen das Mädchen in ihre Mitte und schlossen einen dichten Kreis um sie, so daß niemand sehen konnte, was geschah. Hier nahmen sie der Jungfrau ihre bäuerlichen Kleider ab und schmückten sie so schön, daß man sie kaum wieder erkennen konnte. Sodann führten die Frauen sie dem Markgrafen zu, und dieser zog den bereitgehaltenen Trauring hervor, steckte ihn der Jungfrau an den Finger und verlobte sich mit ihr vor allem Volk. Hierauf ließ er die Braut auf ein schneeweißes Pferd setzen und geleitete sie mit Ehren nach seinem gräflichen Schloß. Das Volk lief scharenweise nach und rief mit jubelnder Stimme: »Es lebe Griseldis!« Die Trauung wurde noch am gleichen Tag mit großer Feierlichkeit in Anwesenheit zahlreicher Gäste vollzogen.

Ehe ein Jahr zu Ende gegangen war, schenkte Griseldis zur höchsten Freude des gesamten Landes einem lieblichen Mägdlein das Leben. Nur mit ihrem Gatten schien eine Veränderung vorgegangen zu sein. Er zeigte über diese Geburt keine sonderliche Freude, und es schien, als wäre ihm ein Sohn viel lieber gewesen als eine Tochter. Der Graf wollte durch seine Handlungsweise die Treue seines Weibes auf die Probe stellen.

Eines Tages berief er Griseldis allein zu sich in sein Zimmer und begann mit ernster Miene: »Liebe Griseldis, du bist mir lieb und wert, aber meine adeligen Freunde sind mit dir unzufrieden, und meine Untertanen wollen dir, als einer armen Bäuerin, nicht unterworfen sein, da du mir eine Tochter geboren hast, während doch alle einen Erben gewünscht hätten. Und weil ich gern mit meinen Freunden und Untertanen in Frieden leben möchte, sehe ich mich genötigt, ihrem Urteil zu folgen. Zugleich frage ich dich, ob du das tun willst, was du mir versprochen hast, nämlich nichts übelnehmen, was ich dir befehlen würde.«

Griseldis antwortete unerschrocken: »Du bist mein gnädiger Herr, ich und mein kleines Töchterlein sind dir unterworfen. Tu daher mit uns, was dir gefällt.«

Über diese Antwort wurde der Graf innerlich so bewegt, daß er sich der Tränen kaum erwehren konnte. Dennoch blieb er äußerlich ernst und bemerkte streng: »Ob dir diese Antwort von Herzen kommt, wird sich bald zeigen!«

Nach diesen kurzen Worten ging er hinaus, ohne sich seinen innern Schmerz merken zu lassen. Sogleich berief er einen seiner treuesten Diener und befahl: »Gehe zu meiner Gemahlin und fordere von ihr das kleine Töchterlein! Wenn sie es dir nicht gutwillig gibt, so nimm es mit Gewalt! Sag ihr, ich hätte befohlen, daß du es nehmen sollst, damit es getötet werde. Dabei achte genau darauf, wie sich die Mutter benimmt, und berichte mir alles gründlich!«

Der Diener erschrak über diesen Befehl heftig und beschwor seinen Gebieter, das unschuldige Geschöpf zu schonen. Aber der Graf hieß ihn mit zornigen Worten tun, wie er befohlen.

So ging denn der Diener zu der Gräfin und sprach traurig zu ihr: »Gnädige Frau, ich bin leider der Träger einer schlechten Botschaft. Unser Herr muß sehr erzürnt über Euch sein; denn er hat mir befohlen, Euch Euer Kind zu nehmen und es zum Scharfrichter zu tragen, damit es getötet werde. Ich habe zwar den Herrn um Schonung gebeten, aber seinen Zorn dadurch nur größer gemacht. Gebt mir darum Euer Kind!«

In diesem schweren Augenblick bewies Griseldis die übernatürliche Stärke ihres Herzens. Ohne Zögern antwortete sie dem Diener: »Das Kindlein gehört unserm Herrn; er kann damit machen, was er will. Nimm es und trag es zu ihm; ich will mich seinem Befehl nicht im geringsten widersetzen.« Dann nahm sie ihr liebes Töchterlein aus der Wiege, küßte es herzlich und gab es dem Diener mit freundlicher Miene, ohne eine Träne zu vergießen.

Der Diener aber konnte die Tränen nicht zurückhalten und bedauerte das unschuldige Kind so schmerzlich, daß endlich der standhaften Mutter selbst das Herz weich wurde. »Trag das liebe Englein nur eilig fort!« flüsterte sie; »Gott mag es beschützen.« Also brachte der Diener das Kind zu seinem Vater, dem er genau erzählte, wie bereitwillig Griseldis ihr Kind hergegeben. Der Graf wunderte sich nicht wenig, daß sein Weib noch viel standhafter gewesen sei, als er selbst gemeint hatte.

Er hatte keineswegs die Absicht, dem Kinde ein Leid zuzufügen, sondern wollte es heimlich anderswo erziehen lassen. Deshalb ließ er es durch eben jenen Diener, der es der Mutter abgenommen hatte, seiner Schwester überbringen, die in Bologna mit einem Grafen vermählt war. In einem Brief wurde der ganze Verlauf der Sache ausführlich erklärt und sie um Erziehung des Kindes freundlich ersucht.

Die Gräfin nahm das Kind ihres Bruders liebevoll auf und ließ dem Grafen mitteilen, daß das junge Fräulein aufs sorgfältigste erzogen und seine Abkunft geheimgehalten werde.

Inzwischen konnte Griseldis nicht erfahren, wo ihr liebes Töchterlein hingekommen, weil außer dem Diener niemand davon wußte. Sie glaubte deswegen, daß man das unschuldige Kind getötet habe. So unsäglich sie das schmerzte, so ließ sie sich doch ihr inneres Leid nicht anmerken. Dem Grafen aber war es unbegreiflich, wie sie den Schmerz um ihr Kind so zu unterdrücken vermöge, daß ihr nicht der geringste Seufzer entschlüpfte. Er begann, sie immer höher zu schätzen, und seine Liebe wuchs von Tag zu Tag.

Vier Jahre vergingen, da schenkte die Gräfin einem Sohn das Leben, worüber nicht nur die Eltern des Kindes, sondern auch alle ihre Verwandten und Untertanen aufs höchste erfreut waren.

Als das Kind zwei Jahre alt war, wollte der Graf die Geduld seiner Gemahlin noch weiter auf die Probe stellen und sprach zu ihr: »Liebes Weib, ich habe geglaubt, unsere Untertanen würden sich über den neugeborenen Sohn freuen, aber sie erklären mir rund heraus, sie wollen den Enkel des Bauern Janikula nach meinem Tod nicht zum Herrn haben. Um Ruhe und Frieden mit ihnen zu haben, muß ich das unschuldige Blut heimlich ums Leben bringen lassen.«

Ruhig erwiderte die Gräfin: »Lieber Herr, ich habe Euch versprochen und wiederhole es, daß ich nichts anderes will, als was Ihr mir befehlen werdet. Verfahrt also mit mir und meinem Söhnlein, wie Ihr wollt, ich werde Euch nicht im geringsten widersprechen.«

Tief bewegt über den rührenden Gehorsam seiner Gemahlin entfernte sich der Graf. Als er allein war, traten ihm die Tränen in die Augen, aber er beschloß trotzdem, sein Vorhaben auszuführen, um die Treue seiner Gemahlin später um so höher zu erheben. Der Diener wurde gerufen und wieder zur Gräfin geschickt, um ihr das Kind abzunehmen.

Diese trat, ohne ein Wort zu sprechen, zu der Wiege, nahm ihr Söhnlein in ihre Arme, drückte es innig an ihr Herz und übergab es dem Diener mit den Worten: »Nimm dieses unschuldige Kind und trage es zu seinem Vater! Ich hoffe, sein väterliches Herz wird sich seiner erbarmen und vielleicht noch Mittel finden, es zu verschonen. »

Stumm nahm der Diener das Kind, und als er das Zimmer verlassen hatte, quollen ihm vor Mitleid die Tränen aus den Augen. Seinem Herrn aber erzählte er, wie tapfer sich die Gräfin bei Übergabe ihres Kindes betragen habe. Der Graf küßte sein liebes Söhnchen voll väterlicher Liebe, dann befahl er dem Diener, es zu seiner Schwester nach Bologna zu bringen. Dieser schrieb er aufs neue einen freundlichen Brief, worin er ihr mitteilte, warum er seiner Frau beide Kinder abgenommen habe. Er bat sie dringend, sie so zu erziehen, wie es sich für Grafenkinder schicke. Seine Schwester tat es auch, doch wunderte sie sich oft im stillen, was ihr Bruder mit den Kindern weiter vorhabe.

Der Graf aber sprach jetzt nicht selten mit seiner Gemahlin von ihren zwei lieben Kindern, doch konnte er ihr nicht einen einzigen Seufzer entlocken oder in ihrem Gesicht die Spur von Trauer bemerken.

Aber gerade diese vollständige Ergebenheit seiner Gattin reizte den Grafen, sie weiter auf die Probe zu stellen und sich so gegen sie zu benehmen, daß sie sich kränken mußte. Daher tat er, als ob es ihn sehr reue, daß er eine arme Bäuerin geheiratet habe. Bald verbreitete sich das Gerücht in der ganzen Markgrafschaft, der Graf wolle sich von seinem Weib scheiden lassen und eine andere heiraten, die ihm an Stand und Reichtum gleich sei. Dieses Gerücht kam auch der Gräfin zu Ohren. Sie aber ließ sich dadurch in ihrer Liebe und Treue nicht beirren, sondern ertrug alles mit großer Geduld.

Bald darauf berief der Graf die vornehmsten Hofleute zu sich und erklärte, daß ihm von Rom die Erlaubnis zugekommen sei, sich von seiner Gemahlin zu scheiden und eine andere Frau zu heiraten. Er ließ Griseldis benachrichtigen und vor die versammelten Herren führen. »Meine liebe Griseldis«, begann er, »ich kenne deine treue Liebe zu mir, trotzdem sehe ich mich gezwungen, mich einer andern Frau zuzuwenden. Denn meine Freunde und Untertanen wollen, daß ich mir eine ebenbürtige Gemahlin nehme, damit meine Grafschaft nach meinem Tod von rechtmäßigen Erben regiert werde, und hiemit kündige ich dir unsere bisher bestandene Ehe auf. Du sollst daher meinen markgräflichen Hof verlassen und nicht mehr mit dir nehmen, als du mitgebracht hast.«

Ergeben nahm die geduldige Griseldis diese Worte des Grafen hin und antwortete demütig: »Gnädiger Herr, ich habe mich nie für Eure Gemahlin, sondern immer nur für Eure Dienerin gehalten. Darum danke ich Euch für die große Ehre, die mir in diesem Hause ohne mein eigenes Verdienst widerfahren ist. Ich bin bereit, in das arme Haus meines Vaters zurückzukehren. Eurer künftigen Gemahlin will ich meinen Platz einräumen, und ich wünsche, daß mein Herr mit ihr zufriedener ist, als er es mit mir war. Wenn Ihr mir aber befehlt, daß ich nicht mehr mitnehmen soll, als ich hergebracht habe, so kann ich nur meine Treue mit mir nehmen.«

Darauf zog sie ihre kostbaren Kleider aus, legte allen Schmuck ab und behielt nur eine schlichte Leinenkleidung an. Nun zog sie auch ihren Trauring vom Finger, reichte ihn dem Grafen und bemerkte: »Mittellos bin ich aus meines Vaters Haus gegangen, und ich will auch mittellos wieder dahin zurückkehren. Nur um eines bitte ich, laßt mir dieses leinene Gewand, damit ich in Ehrbarkeit fortziehen kann.«

Dieser klägliche Anblick rührte alle Anwesenden, der Graf aber konnte sie vor Mitleid nicht ansehen; dennoch ließ er sie in diesem Aufzug von sich gehen.

Die arme Griseldis aber schritt barfuß, mit bloßem Haupt zum Schloßtor hinaus, und alles Gesinde im Schloß folgte ihr trauernd und weinend; denn allen war sie wegen ihres freundlichen Wesens lieb und wert. Im Freien angelangt, konnte die standhafte Griseldis, die im eigenen Unglück stets stark gewesen war, aus Mitleid mit den Ihrigen die Tränen nicht zurückhalten. Ihr Vater und alle Nachbarn kamen ihr jammernd entgegen. Der alte Janikula fiel seiner Tochter um den Hals und konnte vor Schmerz kein Wort hervorbringen. Sie aber begrüßte freundlich ihren Vater: »Beruhigt Euch! Vergeßt nicht, daß alles nicht ohne Gottes Willen geschehen sein kann.«

Der Alte erwiderte: »Wie sollte mein Herz nicht vor Leid zerspringen, liebe Tochter, wenn ich dich in diesem elenden Aufzug sehe, da ich doch weiß, daß du schuldlos bist. O wie falsch ist die Liebe des Grafen! Mir hat diese Heirat nie recht gefallen; immer habe ich gefürchtet, daß sich deine Freude in Leid verkehren könnte.« Dann führte der alte Vater seine verstoßene Tochter an der Hand in seine Strohhütte. Dort öffnete er einen Schrank, wo die Bauernkleider, die Griseldis am Tag ihrer Vermählung ausgezogen hatte, noch wohlverwahrt lagen; diese nahm er heraus und reichte sie seiner Tochter.

Nun wohnte Griseldis wieder bei ihrem Vater. Mit keinem Wort klagte sie über den Grafen und ihr eigenes Unglück. Der Graf aber konnte ihre Abwesenheit nicht länger ertragen. Er schickte daher einen Diener nach Bologna, sein Schwager möge eilig mit seiner Schwester zu ihm nach Piemont kommen und ihm seine Kinder zurückbringen. Inzwischen ließ er das Gerücht verbreiten, seine neue Braut wäre schon unterwegs, und alles wurde zur zweiten Hochzeit aufs beste vorbereitet. Die Hochzeitsgäste waren auch schon geladen, und einen Tag bevor der Schwager des Grafen aus Bologna ankam, auf dem Schloß versammelt.

Jetzt ließ der Graf Walter Griseldis aus ihrem Dorf holen und erklärte: »Griseldis, meine Braut kommt morgen schon an, und ich werde sofort mit ihr Hochzeit halten. Niemand kennt mein Haus so genau wie du; reinige daher mein Schloß, schmücke es aus und bereite alles, was nötig ist, hohe Gäste zu beherbergen!«

Griseldis verneigte sich vor ihrem früheren Gemahl und erwiderte: »Gern, gnädiger Herr! Ich halte es für eine besondere Ehre, daß ich Euch dienen darf, und ich fühle mich dazu verpflichtet um der vielen Wohltaten willen, die ich von Euch empfangen habe.« Hierauf ergriff sie einen Besen, scheuerte das ganze Schloß von oben bis unten, schmückte die Zimmer aus und arbeitete wie eine Magd des Hauses.

Tags darauf traf der Graf von Bologna mit seiner Frau und mit der vermeintlichen neuen Braut ein. Markgraf Walter ritt ihnen mit allen geladenen Gästen feierlich entgegen. Jedermann wünschte der neuen Braut Glück und Segen. Diese war ein schönes junges Fräulein von zartem Körperbau; denn sie war kaum zwölf Jahre alt. Mit großer Feierlichkeit wurde sie in das Schloß geleitet, jeder Diener und jede Magd mußte vor sie treten und der künftigen Gebieterin Glück und Segen wünschen. Als letzte unter allen kam Griseldis, warf sich in ihren Bauernkleidern demütig auf die Knie, küßte der Braut die Hand und brachte die ergebensten Wünsche vor. Dann trat sie in die Reihe der Mägde zurück.

Lange wunderte sich der Graf über die unbegreifliche Demut und Geduld seiner Gemahlin. Da beschloß er, ihrem Elend ein Ende zu machen, rief sie herbei und sprach zu ihr: »Was hältst du, Griseldis, von meiner neuen Braut; ist sie schön genug?«

»Ja freilich«, erwiderte sie, »ich meine, eine schönere und sittsamere könntet Ihr nicht finden. Darum wünsche ich Euch von Herzen Glück.«

Jetzt vermochte sich der Graf nicht länger zu halten und rief: »Sieh dir doch diese meine Braut genauer an, Griseldis, und besinne dich, ob du sie nicht kennst.« Griseldis tat ihre Augen weit auf und blickte das Fräulein lange an, vermochte sich aber ihrer nicht zu entsinnen. Da setzte der Graf hinzu: »Griseldis, kennst du denn deine Tochter nicht mehr, die du mir vor zwölf Jahren geboren hast?«

Starr vor Staunen blickte Griseldis den Grafen an. Dieser aber fuhr fort: »Meine geliebte Griseldis, fasse dich! Die vermeintliche Braut ist deine und meine Tochter, und dieser junge Herr ist unser lieber Sohn. Du aber bist meine einzige auserwählte und geliebteste Gemahlin, außer der ich nie eine andere gehabt habe und haben will.«

Mit diesen Worten erhob er sich vom Tisch und umarmte seine Griseldis und dann seine beiden Kinder. Griseldis aber schwanden vor Freude die Sinne. Als sie wieder zu sich gekommen war, fiel sie zuerst ihrer Tochter, dann ihrem Sohn um den Hals und stammelte unter Freudentränen: »Nun will ich gern sterben, da ich meine geliebten Kinder wieder gesehen!«

Unterdessen hatte der Graf Griseldis' beste Gewänder herbeibringen lassen. Die Edelfrauen umringten sie wieder wie einst in ihrem Dorf, nahmen ihr die Bauernkleider ab und schmückten sie aufs herrlichste. So trat sie wie einst aus dem Kreis hervor in unverwelkter Schönheit und wurde von den Frauen dem Grafen zugeführt. Die Hochzeitsgäste standen um sie herum, Graf Walter aber hielt seine Gemahlin an der Hand und erklärte vor allen Anwesenden feierlich: »Meine geliebte Griseldis, ich bezeuge hier vor Gott und allen Menschen, daß das, was ich getan, nicht aus bösem Willen geschehen ist, sondern nur, um Eure Geduld zu erproben und Eure hohen Tugenden der Welt zu offenbaren. Von nun an will ich Euer treuer Gatte, ja Euer demütiger Diener bleiben. Eure lieben Kinder, die ich Euch eine Zeitlang genommen habe, stelle ich Euch hier wohlerzogen wieder zu, damit Ihr Eure Freude an ihnen habt! Weil aber alles zu einem Hochzeitsfest bereit ist, will ich mich aufs neue mit Euch vermählen und durch das Band der Treue ewig in Liebe mit Euch verbunden sein.«

Graf Walter von Piemont lebte mit seiner Griseldis noch viele Jahre in Eintracht und Glück und hinterließ seinem Sohn ein stattliches Erbe von Gütern und Herrschaften.


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