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Die ersten Schildbürger, Bewohner des Städtchens Schilda im Lande Utopien, waren hochweise Leute, die ihre Kinder aufs beste unterwiesen, so daß ihnen in der ganzen weiten Welt niemand zu vergleichen war. Deswegen verbreitete sich der Ruhm ihres hohen Verstandes und ihrer seltenen Weisheit über alle Lande und ward Fürsten und Herren bekannt. Aus fernen Orten, von Kaisern und Königen, wurden Botschaften an die Schildbürger abgefertigt, um sich in zweifelhaften Sachen Rat zu holen. Allmählich kam es so weit, daß Fürsten und Herren es viel zu umständlich fanden, Botschaften zu ihnen zu schicken. Jeder wollte einen Schildbürger bei sich am Hof haben, um sich seiner täglich bedienen und aus seinen Reden lernen zu können.
In kurzer Zeit war es so weit, daß fast kein Schildbürger mehr in der Heimat blieb. Darum sahen sich die Frauen genötigt, die ganze Männerarbeit zu verrichten, das Vieh zu betreuen und den Feldbau zu versehen.
Aber das Fehlen der Männer machte sich bald bemerkbar. Alle Mühe der Frauen konnte die Männerarbeit nicht ersetzen. Die Felder verwilderten, das Vieh wurde mager und, was das ärgste war, Kinder, Knechte und Mägde wurden ungehorsam und wollten nichts Rechtes mehr leisten.
Nach einiger Zeit traten die Schildbürgerinnen zusammen, um dem drohenden Verderben zu steuern. Nach langem Geschnatter und Gerede wurden die Frauen schließlich einig, daß sie ihre Männer heimrufen wollten. Zu diesem Zweck ließen sie einen Brief aufsetzen und durch eigene Boten nach allen Orten abschicken, wo sie wußten, daß sich ihre Männer aufhielten.
Sobald die Männer dieses Schreiben gelesen hatten, fanden sie es höchst notwendig, sogleich heimzukehren.
Am folgenden Tag begaben sie sich unter die Linde; denn dort pflegten sie sich im Sommer von altersher zu versammeln, im Winter dagegen war das Rathaus der Versammlungsort. Nun berieten sie lange hin und her, wie dem Schaden, der aus ihren Berufungen entstünde, abzuhelfen wäre. Dann trat ein alter Schildbürger auf und brachte seine Meinung vor: daß sie alle, Weiber und Kinder, Junge und Alte, die abenteuerlichsten und seltsamsten Sachen ausführen sollten, die zu ersinnen wären; was jedem Närrischen in den Sinn käme, das solle er tun.
Zu einem recht glückhaften Anfang ihres geänderten Wesens wollten sie zuerst ein neues Rathaus auf gemeinsame Kosten erbauen, das ihrer »Narrheit« entsprechen sollte.
Offenbar waren aber die Schildbürger, deren Weisheit nur allmählich vergehen sollte, viel zu vorausschauend, da sie wußten, daß man Bauholz und andere Sachen haben müsse, ehe man mit dem Bauen anfangen könne; echte Narren würden wohl ohne Holz, Stein und Kalk zu bauen begonnen haben. Deswegen zogen sie einmütig miteinander ins Gehölz, das jenseits des Berges gelegen war, und fingen an, nach dem Rat ihres Baumeisters das Bauholz zu fällen.
Als die Stämme von den Ästen gesäubert und ordentlich zugerichtet waren, wünschten sie nichts als eine Armbrust, auf der sie das geschlägerte Holz heimschießen könnten. Damit, meinten sie, würden sie viel Mühe und Arbeit ersparen. Wenn nicht, mußten sie die Arbeit selbst verrichten; deshalb schleppten sie die Bauhölzer schnaufend und pustend den Berg hinauf und jenseits wieder mit vieler Mühe hinab, bis auf einen Stamm, der nach ihrer Ansicht das letzte Stück war. Dieses banden sie gleich den andern an Stricke, brachten es mit Heben, Schieben und Stoßen den Berg hinauf und auf der andern Seite zur Hälfte wieder mühsam hinab. Plötzlich entglitt ihnen der Stamm und fing an, von selbst den Berg hinabzurollen, bis er zu den andern Hölzern kam, wo er ruhig liegenblieb.
»Sind wir doch alle rechte Narren«, meinte endlich einer der Schildbürger, »daß wir uns solche Mühe gegeben haben, die Bäume den Berg hinabzuschaffen; erst dieser Klotz mußte uns lehren, daß sie von selbst rascher hätten hinunter gleiten können!«
»Nun, da ist leicht abzuhelfen«, sagte ein anderer; »wer die Stämme mühsam hinabgetan hat, der soll sie auch wieder hinauftun! Darum sputen wir uns! Wenn wir die Hölzer wieder auf den Berg gebracht haben, können wir sie alle miteinander wieder hinunterrollen lassen; dann haben wir mit dem Zusehen unsere Freude und werden für unsere Mühe belohnt!«
Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern außerordentlich.
Nachdem sie sich redlich geplagt hatten und alle Hölzer wieder oben waren, ließen sie die Baumstämme allmählich den Berg hinabrollen. Die Schildbürger standen droben und ließen sich den Anblick wohl gefallen. Ja, sie waren ganz stolz auf die erste Probe ihrer Narrheit, zogen fröhlich heim und setzten sich ins Wirtshaus, wo sie auf Kosten der Stadt zechten.
Das Bauholz war gefügt und gezimmert, Stein, Sand, Kalk herbeigeschafft, und so fingen die Schildbürger einmütig ihren Bau mit solchem Eifer an, daß in wenigen Tagen die drei Hauptmauern standen; weil sie etwas Besonderes haben wollten, sollte das Haus dreieckig werden. Doch ließen sie an einer Seite ein großes Tor in der Mauer offen, um, wie sie erklärten, das Heu, das der Gemeinde gehörte und dessen Erlös sie miteinander vertrinken durften, unterzubringen.
Nachdem der Dachstuhl auf die Mauer gesetzt und das Dach mit Ziegeln eingedeckt war, wollten sie ihr Rathaus zu aller Narren Ehre einweihen und in aller Narren Namen versuchen, wie es sich darin beraten lasse. Kaum aber waren die Schildbürger eingetreten, da merkten sie, daß es ganz finster war, so finster, daß einer den andern nicht sehen konnte. Darüber erschraken sie und konnten sich nicht genug wundern, woher das kommen möge. So gingen sie denn bei ihrem Heutor wieder hinaus, um zu sehen, wo der Fehler stecke. Da standen alle drei Mauern, das Dach saß ordentlich darauf, auch an Licht mangelte es im Freien nicht. Sobald sie aber wieder eintraten, um zu forschen, ob der Fehler etwa drinnen liege, da war es finster wie zuvor. Die Ursache lag darin, daß die Schildbürger die Fenster an ihrem Rathaus einzubauen vergessen hatten.
Als der festgesetzte Ratstag gekommen war, fanden sich die Schildbürger in großer Zahl ein und setzten sich auf ihre Plätze. Einer von ihnen hatte einen brennenden Span mitgebracht und ihn auf seinen Hut gesteckt, damit sie einander in dem finsteren Rathaus sehen könnten. Nun wurden über den Bau des Rathauses die widersprechendsten Meinungen vorgebracht. Die Mehrheit war der Ansicht, man solle das ganze Gebäude bis auf den Grund abbrechen und aufs neue aufführen. Da trat einer hervor, der früher unter allen der Weiseste gewesen war, jetzt aber sich als der Allertörichteste zeigen wollte und meinte: »Wer weiß, ob das helle Tageslicht sich nicht in einem Gefäß tragen läßt, so wie das Wasser in einem Eimer getragen wird. Keiner von uns hat es bisher versucht. Darum wollen wir es probieren. Gelingt es, so werden wir als Erfinder dieser Kunst großes Lob erringen. Geht es aber nicht, so paßt unser Tun ganz zu unserer Narrheit.«
Dieser Vorschlag gefiel allen Schildbürgern so gut, daß sie beschlossen, ihn eiligst auszuführen. Sie kamen daher zu Mittag, wo die Sonne am besten scheint, alle vor das neue Rathaus, jeder mit einem anderen Geschirr.
Sobald die Glocke Mittag geschlagen, begannen sie zu arbeiten. Viele hatten Säcke mitgebracht, darein ließen sie die Sonne scheinen, dann knüpften sie den Sack eilends zu und rannten damit in das Rathaus, den Tag auszuschütten. Andere taten dasselbe mit verschließbaren Gefäßen, wie Kesseln, Zubern und dergleichen mehr. Einer lud sogar den Tag mit einer Strohgabel in einen Korb, der andere mit einer Schaufel, etliche gruben ihn aus der Erde hervor. Ein anderer war besonders schlau: er wollte den Tag in einer Mäusefalle fangen und diesen dann ins Haus tragen. Das trieben die Schildbürger den langen, lieben Tag, solang die Sonne schien, mit solchem Eifer, daß sie vor Hitze fast verschmachteten. Darum meinten die Schildbürger zuletzt: »Nein, es wäre doch eine Kunst gewesen, wenn es gelungen wäre!« Darauf zogen sie ab, um ihre durstigen Kehlen auf Kosten der Gemeinde im Wirtshaus zu laben.
Die Schildbürger waren mitten in ihrer Arbeit, als ein fremder Wandersmann durch die Stadt reiste. Dieser blieb stehen, sah ihnen mit offenem Mund lange zu und wäre beinahe auch zu einem Schildbürger geworden, so sehr zerbrach er sich den Kopf darüber, was denn das bedeuten sollte. Als er sich am Abend im Wirtshaus über den Zweck dieser Arbeit erkundigte, antworteten ihm die Schildbürger ohne Bedenken, sie hätten versucht, das Tageslicht in ihr neugebautes Rathaus zu tragen.
Der fremde Geselle war ein Spaßvogel, deswegen fragte er ernsthaft, ob sie mit ihrer Arbeit etwas ausgerichtet hätten. Da sie mit Kopfschütteln antworteten, meinte der Geselle: »Das kommt daher, daß ihr die Sache nicht richtig angepackt habt.«
Am folgenden Tag führten sie den fremden Künstler zum Rathaus und besahen es mit ihm von oben bis unten, vorn und hinten, innen und außen. Da meinte der Fremde, sie sollten das Dach besteigen und die Dachziegel wegnehmen, was auch tatsächlich geschah.
»Nun habt ihr den Tag in eurem Rathaus«, rief er, »ihr mögt ihn drin lassen, solang es euch gefällt. Wenn es euch beschwerlich wird, könnt ihr ihn wieder hinausjagen.« Die Schildbürger freuten sich und hielten den ganzen Sommer ihre Versammlungen im Rathaus. Der Geselle nahm seinen Lohn und zählte das Geld nicht lange, sondern machte sich aus dem Staub, wobei er sich oft umsah, ob ihm niemand nacheile, der ihm seinen Fang wieder abnehme. Er kam auch nie wieder, und bis heute weiß niemand, woher er gewesen und wohin er gegangen ist.
Nun hatten die Schildbürger das Glück, daß es den ganzen Sommer über, sooft sie zu Rat saßen, nicht regnete. Inzwischen ging der Sommer zu Ende, und der leidige Winter meldete seinen Einzug an. Da merkten die Schildbürger bald, daß sie sich gegen Schnee und Ungewitter schützen müßten. Sie hatten daher nichts Eiligeres zu tun, als das Dach wieder zu decken. Aber als sie dann wieder ins Rathaus gingen, war es darin wieder so dunkel wie zuvor. Jetzt erst merkten sie, daß sie der fremde Wanderer häßlich hinter das Licht geführt hatte. Sie setzten sich daher wieder mit ihren Lichtspänen auf den Hüten zusammen und berieten, was zu tun sei.
Endlich stand einer auf und rief: »Ich rate das, was mein Vater raten würde.«
Nach diesem weisen Wort trat er aus der Versammlung, um sich zu räuspern, da ihn ein böser Husten quälte. Wie er nun in der Finsternis – sein Lichtspan war ihm erloschen – an der Wand krabbelte, bemerkte er plötzlich einen kleinen Riß in der Mauer. Auf einmal kam ihm die Erleuchtung, und er rief: »Liebe Freunde, wir sind doch alle richtige Narren! Wir haben in das Haus keine Fenster gemacht, durch die das Licht hereinfallen konnte!«
Verblüfft sahen die Bürger einander an und schämten sich einer vor dem andern. Sogleich gingen sie daran, überall die Mauern des Rathauses durchzubrechen, und es gab keinen Schildbürger, der nicht sein eigenes Fenster hätte haben wollen.
Inzwischen war es Winter geworden. Nun sollten sie einmal Gerichtssitzung halten; ein Kuhhirte hatte mit seinem Horn die Ratsherren zusammenberufen. Da brachte denn jeder der Richter sein eigenes Scheit Holz mit, um die Ratsstube zu wärmen. Aber nun zeigte es sich, daß die Schildbürger einen Ofen einzubauen vergessen, ja, nicht einmal Raum freigelassen hatten, wo man einen aufstellen konnte. Als sie die Sache überlegten, waren einige der Ansicht, man solle ihn hinter die Tür setzen. Da aber der Schultheiß im Winter seinen Sitz hinter dem Ofen haben mußte, schien es doch unpassend, wenn das Stadtoberhaupt hinter der Tür säße. Zuletzt riet einer, man solle den Ofen vors Fenster hinaus setzen, damit schon gewärmte Luft in den Raum komme.
Doch sagte ein Alter unter ihnen, der schon länger Narr war als die andern: »Aber, lieber Freund, die Hitze, die in die Stube gehört, wird zum Ofenrohr hinausgehen! Was hilft uns dann der Ofen im Freien?« – »Dagegen weiß ich ein Mittel«, rief ein dritter. »Ich habe ein altes Hasengarn daheim, das wollen wir vor das Ofenrohr hängen, damit die Hitze im Ofen bleibt. Dann brauchen wir nichts zu befürchten, nicht wahr, lieber Nachbar, und können lustig im Ofen unsere Äpfel braten. Die Wärme wird bei der Ofentür in die Stube dringen!« Dieser Schildbürger wurde wegen seines weisen Rates hoch gepriesen und ihm mit allen seinen Nachkommen der allernächste Sitz hinter dem Ofen zugesprochen.
Bei der nächsten Sitzung berieten die Ratsherren vor allem darüber, wie man einen Vorrat für die Zeit der Not anlegen könnte. Besonders an Salz litten sie großen Mangel. Da kamen sie nach langer Beratung zu dem Schluß, daß das Salz auf dem Feld wachsen müsse, weil es dem Zucker ganz ähnlich sehe und dieser doch auch vom Feld stamme. Darum beschloß der wohlweise Rat, daß man ein großes, der Gemeinde gehöriges Grundstück in Gottes Namen mit Salz besäen solle.
Der Acker wurde gepflügt und das Salz ausgestreut. Alle Schildbürger waren in bester Hoffnung und zweifelten nicht, Gott werde seinen Segen im Überfluß zu der Arbeit geben, weil sie ja in seinem Namen gearbeitet hätten. Sie stellten Hüter auf, die mit langen Vogelrohren die Vögel schießen sollten, die das ausgesäte Salz etwa aufpicken wollten.
Es währte nicht lange, so fing der Acker aufs allerschönste zu grünen an. Die Schildbürger hatten eine unsägliche Freude darüber und gingen alle Tage hinaus, um zu sehen, wie das Salz wüchse. Und je mehr es wuchs, desto mehr wuchs in ihnen die Hoffnung, und jeder sah sich im Geist schon als Besitzer eines ganzen Scheffels voll Salz. Deswegen trugen sie den Hütern strenge auf, wenn etwa eine Kuh, ein Pferd, ein Schaf oder eine Geiß sich auf den Salzacker verirrte, so sollten sie diese Tiere ohne Schonung fortjagen. Dessenungeachtet kam das unvernünftige Vieh auf den wohlbebauten Salzacker und fraß die herrliche Aussaat.
Die Hüter verloren den Kopf, denn sie waren Schildbürger; anstatt das Vieh aus dem Acker zu treiben, liefen sie in die Stadt und meldeten das Vorkommnis dem Schultheißen. Dieser faßte, nachdem er und die Ratsherren sich lang die Köpfe zerbrochen hatten, den weisen Beschluß, vier Ratsherren sollten einen Hüter auf eine geflochtene Tragbahre setzen, ihm eine lange Peitsche in die Hand geben und ihn so lange auf dem Salzacker herumtragen, bis er das Vieh herausgetrieben hätte. Dies geschah auch; der Hüter hielt seinen Umzug, als wäre er der Papst, und die vier Ratsherren wußten mit ihren breiten Füßen so vorsichtig einherzugehen, daß der kostbaren Saat kein allzugroßer Schaden widerfuhr.
Wirklich blühte und reifte das Salzkraut, als ob es Unkraut gewesen wäre. Als nun ein ehrlicher Schildbürger einmal an dem herrlich grünenden Acker vorbeiging, konnte er es nicht lassen, ein wenig von dem edlen Salzkraut auszuraufen und es bescheiden zu kosten. Da bissen ihn die Brennesseln auf die Zunge, daß er hätte schreien mögen; aber gerade das machte ihn besonders fröhlich. Er rannte vor Schmerz und Freuden auf und ab und schrie mit heller Stimme: »Es ist Leckerwerk; Leckerwerk ist es!« Darauf lief er eilig nach Schilda und läutete Sturm mit der großen Glocke, damit alle Schildbürger zusammenkämen und die gute Mär vernähmen. Als alle versammelt waren, berichtete er ihnen, vor Freude zitternd, das Kraut sei schon so scharf, daß es ihn auf der Zunge gebissen habe; man könne spüren, daß ein recht gutes Salz daraus werden würde.
Fröhlich eilten die Schildbürger auf den Acker hinaus. Der Schultheiß raufte ein Krautblatt ab, reckte die Zunge und kostete es. Alle taten ihm nach und fanden es so, wie der Bote es ihnen verkündet hatte. Als dann die Zeit der Ernte da war, kamen sie mit Roß und Wagen und mit Sicheln herbei, das Salz abzuschneiden und heimzuführen. Etliche hatten gar ihre Dreschflegel mitgenommen, um es gleich an Ort und Stelle auszudreschen. Als sie aber Hand anlegen und das Kraut mit der Sichel schneiden wollten, da war es so herb und hitzig, daß es allen Schnittern die Hände verbrannte.
Nun meinten einige, man solle den Acker mähen, andere waren der Ansicht, man solle die Gräser mit der Armbrust niederschießen. Das letzte gefiel ihnen am besten. Weil sie aber keinen Schützen unter sich hatten und fürchteten, wenn sie nach einem Fremden schickten, könnte ihre Kunst verraten werden, so ließen sie es bleiben. Kurzum, die Schildbürger mußten das edle Salzkraut auf dem Felde stehen lassen! Und hatten sie zuvor wenig Salz gehabt, so hatten sie jetzt noch weniger.
Nun geschah es, daß der Kaiser des Reiches Utopia, in dem der Flecken Schilda lag, einen persönlichen Besuch in Schilda machen wollte, um mit eigenen Augen zu sehen, wie es sich mit der Torheit seiner dortigen Untertanen verhalte. Er ließ ihnen anzeigen, daß er alle ihre althergebrachten Privilegien und Freiheiten bestätigen und sie mit weiteren begnaden wolle, wenn sich ihre Antwort auf seinen Gruß reime.
Die armen Schildbürger erschraken über diese Botschaft und ordneten alles, was in Stall und Küche notwendig war, aufs eifrigste, um den Kaiser so großartig als möglich in ihrem Dorf zu empfangen. Unglücklicherweise aber hatten sie damals gerade keinen Schultheißen. Nachdem sie sich lange über eine neue Wahl beraten hatten, kamen sie endlich zu folgendem Beschluß: Weil sie dem Kaiser auf seine ersten Worte in Reimen antworten müßten, sei es am besten, daß derjenige Schultheiß werde, der am folgenden Tag den besten Reim hervorbringen könnte. Nun zerbrachen sich die weisen Herren die ganze Nacht den Kopf; denn jeder wäre gern Schultheiß geworden. Am unruhigsten aber schlief der Schweinehirt. Er warf sich so wild im Schlaf, daß seine Frau endlich erwachte und ihn fragte, was ihm fehle. Der Schweinehirt aber wollte nicht aus dem Rat schwatzen, und nur mit vieler Mühe konnte ihn sein Weib bewegen, ihr zu sagen, was sich Wichtiges begeben habe. Als er ihr endlich sein Geheimnis anvertraut hatte, wäre des Schweinehirten Frau ebensogern Schultheißin gewesen als der Schweinehirt Schultheiß.
»Sorge dich doch nicht, lieber Mann«, sagte sie. »Was willst du mir geben, wenn ich dich einen Reim lehre, daß du Schultheiß wirst?« – »Wenn du das kannst«, antwortete der Schweinehirt vergnügt, »will ich dir einen schönen Pelz kaufen.« Damit war die Frau sehr zufrieden, dachte eine kleine Weile nach und fing an, ihm folgenden Reim vorzusprechen:
Ihr lieben Herrn, ich tret' herein,
Mein feines Weib, das heißt Kathrein,
Ist schöner als mein schönstes Schwein
Und trinkt gern guten, kühlen Wein.
Diesen Reim sagte die Schildbürgerin ihrem Mann neunundneunzigmal vor und er ebensooft ihr nach, bis er ihn fest zu beherrschen glaubte. Aber auch die andern Schildbürger hatten nicht gerastet; sie hatten alle vom eifrigen Reimen größere Köpfe gekriegt, und jeder hatte sich die ganze Nacht schon als Schultheiß gesehen.
Als sie dann am nächsten Morgen zusammentraten, konnte man die zierlichsten Reime hören. Freilich war es schade, daß die edlen Ratsherren infolge ihrer langen Narrheit ein recht schwaches Gedächtnis hatten, so daß ihnen jedesmal das rechte Schlagwort des Reimes entfiel. Da gab es Reime wie:
»Ich heiße Meister Hildebrand,
Mein Spieß lehnt an der Mauer . . .«
worüber dann alle lachten, bis sie selbst ihren Reim hersagen mußten und auch steckenblieben. Der Schweinehirt stand weit hinten und kam wegen seines niedrigen Standes zuletzt an die Reihe. Er war in tausend Ängsten; denn er fürchtete immer, ein anderer könnte einen besseren Reim vorbringen und dadurch Schultheiß werden. Sooft einer nur ein einziges Wörtchen aussprach, das auch in seinem Reim vorkam, erschrak er, daß ihm das Herz klopfte. Als nun die Reihe an ihm war, stand er auf und sprach mit kühner Stimme:
Ihr lieben Herrn, ich tret' – hierher,
Mein feines Weib, das heißt Kathrein,
Ist schöner als mein schönstes – Ferkel
Und trinkt gern guten, kühlen Most!
»Das sind einmal vier Zeilen – ein Gedicht!« riefen die Ratsherren von Schilda einmütig! Und bei der Wahl fielen alle Stimmen auf den Schweinehirten; denn alle waren fest überzeugt, dieser würde dem Kaiser wohl in Reimen antworten können und ihm würdige Gesellschaft leisten. So war der Schweinehirt von Schilda über Nacht Schultheiß geworden!
Diese Ehre und Würde tat dem Schweinehüter so wohl, daß er beschloß, seinen Hirtenschweiß abzuwaschen und in die Nachbarschaft ins Bad zu gehen, denn in Schilda war keine Badeanstalt. Unterwegs begegnete ihm ein Mann, der vor Jahren mit ihm Schweine gehütet hatte, und duzte ihn als alten Freund. Jener aber verbat sich das feierlich und fügte hinzu: »Wisse, wir sind jetzt unser Herr der Schultheiß zu Schilda!« Da wünschte ihm der andere ehrerbietig Glück zu seinem neuen Amt bei dem Volk der Schildbürger.
So zog »unser« Herr, der Schultheiß, fort und kam in das Bad. Hier stellte er sich gar weise, nahm Platz auf einer Bank in schweren, tiefen Gedanken und zählte von Zeit zu Zeit seine zehn Finger ab, so daß alle, die ihn kannten, sich über diese Veränderung wunderten und ihn für besonders tiefsinnig hielten. Indessen fragte er einen Herren, der neben ihm saß, ob dies die Bank sei, auf der die Herren zu warten pflegen. »Ja!« wurde ihm geantwortet. »Ha, wie fein habe ich es getroffen«, dachte der Schultheiß, »es ist, als habe es die Bank gerochen, daß ich Schultheiß zu Schilda bin!«
Als er wieder nach Hause kam, vergaß unsere gnädige Frau, die Schultheißin, nicht, den versprochenen Pelz recht oft zu fordern. Als der Schultheiß wieder einmal wichtiger Geschäfte halber in die Nachbarstadt gehen wollte, unterließ sie nicht, ihn an den Pelz zu mahnen. Ehe noch der Schultheiß die Stadt betrat, fragte er schon den Torwart nach dem Haus des Kürschners. Als dieser ihm das Haus wies, erkundigte er sich weiter, ob es auch der Meister sei, bei dem alle Schultheißenfrauen ihre Pelze kauften.
Als er heimkam, empfing die Frau den Pelz mit Freuden, zog ihn sofort an, drehte sich nach allen Seiten und ließ sich bewundern. Der Schultheiß aber verlangte, jetzt solle sie für seinen Dienst ihm auch etwas backen; er wolle eine Wurst, die er aus der Stadt mitgebracht hatte, dazu geben und ein Maß Wein bezahlen. Da begann seine Frau grobe, dicke Schnitten zu backen, wie sie es früher getan. Er aber stieß die ersten, die aus der Pfanne kamen, voll Unmut zurück. »Was glaubst du«, sagte er; »meinst du, ich sei ein Schweinehirt? Weißt du nicht, daß ich der Herr Schultheiß zu Schilda bin?« Da mußte die Frau ihm feine Kuchen backen, die aß er dann und trank einen Schluck guten Weins dazu.
Die ganze folgende Nacht dachte die neue Frau Schultheißin angestrengt darüber nach, wie sie in ihrem neuen Pelz ihrem Mann und seinem Amt zu Ehren vor den Schildbürgern prangen könnte. Sie stand früh auf und putzte sich eifrig heraus, so daß sie sogar das Läuten in die Predigt überhörte. Der Schultheiß mußte ihr den Spiegel halten, und wohl hundertmal fragte sie ihn, ob sie auch von vorn und von der Seite recht wie eine Frau Schultheißin aussehe. Als sie mit ihrem neuen Pelz zur Kirche hineinrauschte, war eben die Predigt zu Ende, so daß alle Andächtigen aufstanden. Die gute Frau legte das ganz anders aus und meinte, weil ihr Mann Schultheiß und sie Frau Schultheißin sei und weil sie einen nagelneuen Pelz anhabe, stünden alle ihr zu Ehren auf. Sie sprach deswegen, indem sie sich gnädig nach beiden Seiten verneigte: »Lieber Nachbar, ich bitte Euch, bleibt doch sitzen; denn ich denke wohl noch an die Zeit, wo ich ebenso arm und zerlumpt wie Ihr zur Kirche gegangen bin!«
Bald darauf kam der Herr Schultheiß, der bisher an seinem Barett gestriegelt hatte, in die Kirche. In diesem Augenblick war der Gottesdienst zu Ende, und alle Schildbürger verließen die Kirche, nur seine Frau, in Erwartung der Predigt, blieb in ihrem Stuhl sitzen. Da nahm der Herr Schultheiß seine eitle Gattin am Arm und führte sie heim.
Endlich war der Kaiser auf dem Weg nach Schilda. Da berieten die Schildbürger, wie sie ihn würdig empfangen sollten.
Über die Frage aber, wie man dem Kaiser entgegenziehen sollte, waren die Meinungen geteilt. Einige schlugen vor, ein Teil solle reiten, der andere zu Fuß gehen, je ein Reiter und ein Fußgänger in einem Glied. Andere meinten, es solle ein jeder den einen Fuß im Steigbügel haben und reiten und mit dem andern auf dem Boden gehen; das wäre teils gegangen, teils geritten. Wieder andere rieten, man solle dem Kaiser auf hölzernen Pferden entgegengehen; solche Pferde seien geduldiger. Dieser letzten Meinung stimmten alle bei, und es wurde beschlossen, daß jeder sein Roß satteln sollte. Das taten alle mit großer Bereitwilligkeit, und bald tummelten sie ihre Holzpferde und richteten sie meisterlich her.
Als nun der Kaiser mit seinem Gefolge heranrückte, sprengten ihm die Schildbürger mit ihren Steckenpferden entgegen. Sobald der Schultheiß den Kaiser gewahrte, sprang er im Eifer von seinem Gaul auf einen Misthaufen und band sein hölzernes Roß vorsichtig an einen daneben stehenden Baum. Weil er dazu beide Hände brauchte, nahm er den Hut zwischen die Zähne und murmelte vor sich hin: »Nun seid uns willkommen auf unserm Grund und Boden, fester Junker Kaiser!« Der Kaiser hatte Mühe, den Gruß zu verstehen, doch merkte er, was der Schultheiß sagen wollte, und erwiderte: »Hab Dank, von deinem besten jungen Kaiser!« Aber der Schultheiß hielt seinen Hut mit den Zähnen fest und konnte nicht antworten. Schnell besann sich sein Nebenmann, dachte an den verabredeten Reim, konnte ihn aber nicht finden und platzte endlich heraus: »Der Schultheiß ist ein Narr!«
Als der Kaiser den Schultheiß lächelnd fragte: »Warum stehst du denn auf dem Mist?« erwiderte dieser schlagfertig: »Ach Herr, ich armer Tropf bin nicht wert, daß mich der Erdboden vor Euch trage!«
Hierauf geleiteten sie den Kaiser in sein Quartier, das sie für ihn hergerichtet hatten. Weil aber der Tag noch lang nicht zu Ende war, baten sie den Kaiser um die Erlaubnis, ihn auf den Salzacker führen zu dürfen, und zeigten stolz ihr vortreffliches Gewächs, das der Kaiser lächelnd besichtigte.
Am andern Tag luden die Schildbürger den Kaiser zu Tisch. Sie geleiteten ihn in ihr merkwürdiges Rathaus und baten ihn, an dem frisch gedeckten Tisch Platz zu nehmen. Das vornehmste Gericht, das aufgetischt wurde, war eine kalte, saure Buttermilch. Der Schultheiß nahm neben dem Kaiser Platz, während die übrigen Bürger aus Ehrfurcht vor beiden um sie herum standen und von oben herab in die Schüssel langten. Die Ratsherren hatten zweierlei Brote zum Einbrocken in die Milch vorbereitet. Vor des Kaisers Platz lagen weiße Semmelwecken, vor den Bauern lagen die schwarzen Brote. Während sie aßen, erwischte ein derber Bauer einen Brocken von dem weißen Brot. Kaum hatte der Schultheiß diesen groben Verstoß gegen den Kaiser wahrgenommen, als er den Bauer auf die Hände schlug und ihn zornig anfuhr: »Flegel, willst du des Kaisers Brot essen?« Der Schildbürger erschrak und legte das abgebissene Stück sogleich bescheiden wieder in die gemeinsame Milchschüssel. Der Kaiser, der das sah, hatte vom Essen genug und schenkte den Schildbürgern die saure Milch mitsamt dem weißen Brot. Diese nahmen das Geschenk mit großem Dank an, löffelten die Milch aus und lobten des Kaisers Freigebigkeit.
Nach einigen Tagen zog der Kaiser wieder fort, nachdem er den Schildbürgern noch eine gute Mahlzeit im Nachbardorf zubereiten ließ. Diesen war erst jetzt, nachdem der Kaiser fort war, recht wohl in ihrer Haut. Sie sprengten mit ihren Steckenpferden in das nächste Dorf, wo ihnen das kaiserliche Mahl angerichtet war. Als sie satt waren, überkam sie das Verlangen, in die schöne grüne Au hinauszuspazieren, um sich dort zu belustigen; doch vergaßen sie einige gute Flaschen Weines nicht und fuhren fort, ins grüne Gras gelagert bis in den Abend hinein zu zechen. Nun hatten sie aber alle Kleider von der gleichen Farbe an, und beim Zechen waren ihnen die Beine durcheinandergekommen. Wie sie heimgehen wollten, war eine große Not! Keiner konnte mehr seine Beine erkennen, weil sie alle doch gleiche Stoffe trugen.
Während sie einander so angafften, ritt ein Fremder vorüber. Dem klagten sie ihren Jammer und fragten, ob er kein Mittel wüßte, daß jeder wieder zu seinen eigenen Beinen komme, sie wollten sich gewiß mit guter Bezahlung für einen richtigen Ratschlag dankbar erweisen.
Der Fremde meinte, das könne nicht schwer sein. Er stieg vom Roß, und nachdem er sich vom nächsten Baum einen guten Prügel geholt hatte, fuhr er unter die Bauern und schlug den Nächstbesten auf die Beine. Wen er traf, der sprang schnell auf, und mit den Hieben hatte jeder auch seine Füße wieder. Zuletzt blieb einer der Ratsherren ganz allein sitzen, der jammerte: »Lieber Herr, soll ich meine Beine nicht auch haben? Wollt Ihr das Geld nicht auch an mir verdienen? Oder gehören vielleicht diese Beine mir?« Der Fremde erwiderte: »Das wollen wir gleich sehen!« und zog ihm einen Hieb über die Beine, daß es flammte. Da sprang auch der letzte auf, und alle waren froh, daß sie ihre Beine wieder hatten. Sie übergaben dem Reiter das versprochene Trinkgeld und nahmen sich vor, ein andermal vorsichtiger mit ihren Füßen zu sein!
Allmählich trieben es die Schildbürger immer närrischer. Einmal kamen sie zusammen, um eine längst verfallene, alte Mauer zu besichtigen, die noch von einem alten Bau übriggeblieben war; denn sie wollten die Steine für einen Neubau verwenden. Auf dieser Mauer aber wuchs schönes, langes Gras, und es dauerte die Bürger, wenn es verloren sein sollte; sie berieten daher, wie man das Grün verwerten könnte. Die einen waren der Meinung, man solle es abmähen; aber niemand wollte sich auf die hohe Mauer wagen. Andere rieten, es wäre das beste, wenn man die Gräser mit Pfeilen herabschösse. Endlich trat der Schultheiß hervor und sagte, man solle das Vieh auf der Mauer weiden lassen, das würde mit dem Gras am ehesten fertig werden; auf diese Weise brauche man es weder abzumähen noch abzuschießen. Diesem Rat stimmte die ganze Gemeinde zu, und zum Dank sollte des Schultheißen Kuh die erste sein, die das Gras weiden durfte. Der Schultheiß willigte mit Freuden ein. So schlangen die Schildbürger denn der Kuh ein starkes Seil um den Hals, warfen es über die Mauer und fingen auf der andern Seite zu ziehen an. Als sich nun der Strick zusammenzog, wurde die Kuh erwürgt und ließ die Zunge heraushängen. Als ein langer Schildbürger das sah, rief er laut: »Zieht, zieht fest.« Und der Schultheiß selbst schrie: »Zieht, sie hat das Gras gerochen! Seht, wie sie die Zunge darnach ausstreckt! Sie kann sich nur nicht selbst hinaufhelfen.«
Aber alles Ziehen war vergebens; die Schildbürger konnten die Kuh nicht hinaufbringen, weshalb sie daher von ihrem Beginnen wieder abstanden. Und jetzt merkten die törichten Schildbürger erst, daß die Kuh schon lange verendet war.
Auf Grund eines Beschlusses der Ratsherren hatten die Schildbürger sich eine Mühle gebaut; den Mühlstein hatten sie auf einem hohen Berg in einem Steinbruch ausgehauen und mit großer Mühe den Berg herabgewälzt. Als sie ihn drunten hatten, erinnerten sie sich an die Bauhölzer für das Rathaus, die von selbst den Berg hinabgerollt waren.
»Wir sind doch große Narren«, riefen sie, »daß wir uns abermals so viele Mühe gegeben haben!« Und nun zogen sie den Mühlstein mit größter Anstrengung den Berg wieder hinauf. Als sie ihn aber eben wieder abstoßen wollten, fiel es einem Schildbürger ein zu fragen: »Wie wollen wir aber wissen, wohin er laufen wird?«
»Nun«, meinte der Schultheiß, der den Rat gegeben hatte, »das ist leicht festzustellen; es muß einer von uns sich durch das Mittelloch stecken und mit hinabrollen.«
Sofort wurde ein Schildbürger ausgewählt, der mit dem Stein hinunterrollen mußte. Nun war am Fuß des Berges ein Fischweiher. In diesen fiel der Stein mitsamt dem Mann, und beide sanken unter, so daß die Schildbürger nicht wußten, wo Mann und Stein hingekommen waren. Da verdächtigten sie den armen Kerl, der den Kopf in den Stein gesteckt hatte, daß er mit dem Mühlstein durchgegangen sei. Sie ließen daher in allen umliegenden Orten anschlagen, wenn einer käme mit einem Mühlstein um den Hals, den solle man festhalten und als einen Gemeindedieb verurteilen. Der arme Narr von einem Schildbürger aber lag tief im Weiher und hatte so viel Wasser trinken müssen, weshalb er sich nicht mehr verteidigen konnte.
Einstmals verbreitete sich im Land das Gerücht von einem großen Krieg. Die Schildbürger wurden um ihr Hab und Gut besorgt, besonders angst war ihnen um eine Glocke, die auf dem Rathaus hing. Auf diese, dachten sie, könnte das Kriegsvolk ein besonderes Auge haben und Büchsen daraus gießen wollen. So wurden sie denn nach langem Beraten einig, sie bis zu Ende des Krieges in den See zu versenken, und wenn der Feind abgezogen wäre, wieder herauszuziehen und aufzuhängen. Sie bestiegen also ein Schiff und fuhren mit der Glocke auf den See. Als sie aber die Glocke hineinwerfen wollten, da fiel es ihnen ein, wie sie die Stelle wiederfinden könnten, wo sie die Glocke ausgeworfen hätten.
»Da laß dir keine grauen Haare darüber wachsen«, sagte der Schultheiß und schnitt mit dem Messer eine Kerbe in das Schiff an der Stelle, wo sie die Glocke in den See versenkten; »hier, bei dem Schnitt«, erklärte er, »wollen wir sie wieder erkennen.« So ward die Glocke bei der Kerbe hinabgelassen und versenkt. Lange nachher, als wieder tiefster Friede herrschte, fuhren die Schildbürger hinaus auf den See, ihre Glocke zu holen. Den Kerbschnitt an dem Schiff fanden sie richtig wieder, aber die Stelle, wo die Glocke lag, zeigte die Kerbe ihnen nicht an. So fehlte ihnen fortan ihre alte Kirchenglocke.
Das Gerücht von einem Krieg, weswegen die Schildbürger ihre Glocke in den tiefen See versenkt hatten, war nicht so unbegründet; denn bald kam der Befehl, eine Anzahl Knechte zur Besatzung in die Stadt zu schicken, was sie auch befolgten.
Einige Zeit darauf machten die Städter einen Ausfall, um auf den Feind zu treffen und den Bauern Hühner und Gänse abzunehmen. Nun hatte einer der abgeordneten Schildbürger kurz vorher ein handbreites Panzerstück gefunden; da er sich gerade eine neue Kleidung machen ließ, befahl er dem Schneider, dieses Stück Stahl unter das Futter ins Wams zu vernähen und gerade vor das Herz zu setzen. Der Schneider versprach, es nach seinem Wunsch zu tun, und setzte lächelnd hinzu, er wolle den rechten Fleck für das Panzerstück schon treffen.
Als die Kleidung fertig war, lief der Schildbürger mutig mit den andern hinaus, bei den Bauern gute Beute zu erjagen. Aber ehe er sich's versah, waren diese über ihn hergefallen und jagten ihn davon. In der Angst wollte er über einen Zaun klettern, doch blieb der tapfere Held aber mit der Hose an einem Zaunstecken hangen. Da stach einer der Bauern nach ihm, so daß er über den Zaun hinüberflog. Lange lag er in Todesangst, seiner Meinung nach schwer verwundet. Als aber die Feinde vorübergezogen waren und er nichts von einer Wunde spürte, beschaute er seine Hose, ob diese nicht zerrissen sei. Da stellte der kühne Krieger fest, daß der Schneider den rechten Fleck für das Panzerstück gewählt habe, indem er es hinten in die Hose einnähte. »Nun danke ich Gott«, sprach der Kriegsknecht, »und dem klugen Mann, der mir diesen Anzug gemacht hat! Wie gut hat er gewußt, wo einem braven Schildbürger das Herz sitzt!«
Nach dem Kriege herrschte große Not. Hab und Gut waren dahin. Die Schildbürger hielten es daher für das beste auszuwandern.
So verließen die einfältigen Bürger ihre Vaterstadt Schilda und zogen mit Weib und Kind in die weite Welt hinaus. Der eine nahm diese Richtung und der andere die entgegengesetzte. Seit dieser Zeit gibt es Schildbürger überall in der ganzen Welt!