Gustav Schwab
Erzählungen aus den alten Volksbüchern
Gustav Schwab

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Fortunat und seine Söhne

In der Stadt Famagusta auf der Insel Zypern wohnte ein edler Bürger namens Theodor, dem seine Eltern ein großes Erbe hinterlassen hatten. Jung und übermütig, führte Theodor ein schwelgerisches Leben und vertat damit viel Geld und Gut. Schließlich machten ihm seine Freunde den Vorschlag zu heiraten, weil sie hofften, die Ehe werde ihn von seiner leichtsinnigen Lebensweise abbringen. Er versprach wirklich, ihnen Folge zu leisten. Die Freunde sahen sich um und fanden endlich in Nikosia, der Hauptstadt der Insel, eine schöne Jungfrau, die Tochter eines Edelmanns, mit Namen Gratiana. Diese wurde ihm vermählt, ohne daß man weiter geforscht hätte, was für ein Mann Theodor sei. Nur auf den Ruf hin, daß er so reich und angesehen wäre, wurde ihm die Jungfrau zur Gemahlin gegeben und eine prunkvolle Hochzeit gefeiert. Als das Fest vorüber war, begann Herr Theodor mit seiner Frau musterhaft zu leben, so daß die Freunde Gratianas überaus zufrieden waren.

Inzwischen gebar Gratiana ihrem Gatten einen Sohn, der in der Taufe den Namen Fortunatus erhielt. Theodor war glücklich, doch fing er bald darauf sein früheres Treiben mit Festen und Turnieren aufs neue an, hielt viele Knechte und prächtige Rosse, ritt an den Hof des Königs, ließ Weib und Kind allein und fragte nicht, wie es zu Hause gehe. Heute verkaufte er einen Acker, morgen den andern, und das trieb er so lang, bis er nichts mehr zu verkaufen hatte, und war am Ende so weit, daß er weder Knechte noch Mägde zu halten vermochte und die gute Frau Gratiana zuletzt selber kochen und waschen mußte wie die ärmste Taglöhnerin.

Als die beiden sich viele Jahre später einmal zu Tisch setzten, hätten sie sich's gern gut gehen lassen, wenn sie es nur gehabt hätten. Der Vater sah seinen Sohn an und seufzte tief auf. Fortunat war nun achtzehn Jahre alt, konnte aber noch nichts anderes als seinen Namen schreiben und lesen. Aber aufs Weidwerk und Federspiel verstand er sich vortrefflich. Fortunat drang in seinen Vater: »Lieber Vater, sage mir, was liegt dir denn auf dem Herzen, daß du so betrübt bist? Habe ich dich denn auf irgendeine Weise erzürnt?«

Der Vater antwortete: »Mein Sohn, an meinem Kummer bist du nicht schuld, auch sonst niemand auf der Welt; denn die Angst und Not, in der ich schwebe, habe ich selbstverschuldet. Wenn ich daran denke, wieviel Ehre ich genossen, wie viele Güter ich besessen und auf wie unnütze Weise ich alles vertan habe, was mir meine Eltern ersparten, wenn ich dann dich ansehe und daran denke, daß ich dir weder raten noch helfen kann, will mich der Schmerz fast erdrücken.«

»Liebster Vater«, erwiderte Fortunat auf diese Klagen, »sorg dich nicht um mich! Ich bin jung, stark und gesund, ich will in fremde Lande gehen und dienen; ich hoffe zu Gott, mein Glück zu finden. Du aber begib dich in den Dienst unseres gnädigen Herrn, des Königs; er verläßt gewiß dich und meine Mutter nicht bis an euer Ende.«

Damit stand Fortunat auf und ging mit dem Federspiel aus dem Haus dem Meer zu. Als er nun am Strand so hin und her ging, sah er im Hafen eine venezianische Galeere liegen, die von Jerusalem kam. Auf ihr befand sich ein Graf von Flandern, dem zwei Knechte unterwegs gestorben waren. Der Graf kam eben mit vielen andern Edelleuten, um das Schiff zu besteigen, das seine Anker lichtete.

»Ach«, dachte Fortunat traurig, »dürfte ich doch als Knecht mit diesem Herrn fahren, so weit weg, daß ich nie mehr nach Zypern käme!« Mit diesem Gedanken trat er dem Grafen in den Weg und sprach mit tiefer Verneigung: »Gnädiger Herr, wenn ich recht gehört habe, sind Euch einige Knechte gestorben; vielleicht könntet Ihr einen andern brauchen.«

»Was kannst du denn?« fragte der Graf, und Fortunat antwortete: »Ich kann jagen und alles, was zum Weidwerk gehört, dazu, wenn es nötig ist, die Dienste eines reisigen Knappen versehen.«

»Du wärest mir eben recht«, erwiderte der Graf, »aber ich bin aus fernen Landen und fürchte, du ziehst nicht gern mit mir so weit fort.«

»O gnädiger Herr«, erklärte Fortunat, »und wenn Ihr noch so weit zöget, ich wollte viermal so weit mit Euch fahren!«

»Was muß ich dir zum Lohn geben?« fragte darauf der Graf. Fortunat sagte: »Ich verlange keinen Lohn, gnädiger Herr! Lohnt mich nach meinen Diensten!« Dem Grafen gefielen die Worte des Jungen, doch meinte er: »Aber die Galeere will gleich abfahren! Bist du fertig?«

»Gewiß, Herr«, erwiderte jener, warf das Federspiel in die Lüfte und trat, ohne Abschied von Vater und Mutter zu nehmen, in des Grafen Dienst.

Als die Galeere in Venedig angelangt war, ließ der Graf kostbare Pferde kaufen und erstand Kleinodien und herrliche Gewänder von Gold und Seide, und was sonst zu einer fürstlichen Hochzeit gehört; denn er wollte in der Heimat Hochzeit feiern. Obwohl er viele Knechte hatte, verstand doch keiner die welsche Sprache bis auf Fortunat; der war sehr geschickt im Reden und Handeln, weswegen ihn der Graf hochschätzte. Das merkte Fortunat und bemühte sich immer mehr, seinen Herrn zufriedenzustellen. Stets war er abends der letzte und morgens der erste auf Deck. Von den angekauften Pferden erhielt Fortunat eines der besten. Dies ärgerte die andern Knechte, und sie sahen ihn von diesem Augenblick an mit scheelen Augen an. Nichtsdestoweniger mußten sie es geschehen lassen, daß er an der Seite seines Herrn ritt, und keiner wagte es, ihn bei dem Grafen zu verlästern.

So kam der Graf von Flandern voll Freude heim und wurde von seinem Volk freundlich empfangen; denn alle liebten ihn. Nach wenigen Tagen hielt er Hochzeit mit der Tochter des Herzogs von Cleve am Rhein. Es gab ein herrliches Fest; Turniere und Ritterspiele aller Art wurden getrieben, alles in Anwesenheit schöner, edler Frauen. Unter allen Edelknechten aber war keiner, dessen Dienst und ganzes Wesen Frauen und Männern besser gefallen hätte als das Betragen Fortunats. Alle fragten den Grafen, woher er diesen Diener habe.

Als nun die Wettkämpfe der Herren beendet waren, beschlossen der Herzog von Cleve und der Graf, auch zwischen den Dienern der Herren, die bei der Hochzeit zugegen waren, einen Wettkampf zu veranstalten, und setzten als Preis zwei prächtige Kleinode aus. Bei diesem Kampf tat sich Fortunat besonders hervor und gewann den Siegespreis. Darauf erhob sich Neid und Haß unter den Dienern des Grafen von Flandern, während dieser sich freute, daß einer seiner Diener die Kleinodien gewonnen hatte.

Auch war ein alter, listiger Reiter namens Rupert unter ihnen. Dieser erklärte, hätte er zehn Kronen bar, so getraute er sich, den Diener dahin zu bringen, daß er, ohne von seinem Herrn oder sonst jemand Urlaub zu nehmen, eilends davonritte; dabei solle auf keinen von ihnen ein Verdacht fallen. Alle fragten ihn: »Lieber Rupert, wenn du das kannst, warum tust du es dann nicht?«

»Ohne Geld«, erwiderte er, »will ich nichts unternehmen. Spende jeder eine halbe Krone, und wenn ich ihn nicht vom Hof wegbringe, so soll jeder eine ganze Krone zurückbekommen.« Alle waren damit einverstanden; wer das Geld nicht bar hatte, dem liehen es die andern. So brachten sie fünfzehn Kronen zusammen, die überreichten sie Rupert, und dieser sagte: »Nun rede mir niemand drein und tue wie gewöhnlich!«

Hierauf machte er sich an Fortunat heran und tat freundlich mit ihm. Er erzählte ihm alte Geschichten, ließ Wein und gute Speisen holen, auch lobte er den Jüngling sehr und pries seine Schönheit und edle Geburt. Fortunat behagte das, nur wollte er zuweilen auch etwas auftischen, aber Rupert ließ es nie zu, sondern versicherte, daß er ihm lieber sei als sein Bruder.

Diese freundschaftliche Verbundenheit trieben sie so lange, bis die übrigen Diener ärgerlich schimpften: »Meint Rupert damit Fortunat wegzubringen? Der käme sogar schnell zurück, wenn er noch in Zypern wäre und wüßte ein solches Leben hier! Rupert hat sein Versprechen nicht gehalten, er muß uns dreißig Kronen ausfolgen!« Rupert erfuhr das und meinte spöttisch: »Habt Geduld, ich brauche euer Geld, um lustig zu sein!«

Als die beiden aber das Geld ganz verbraucht hatten, kam Rupert in Fortunats Zimmer und flüsterte: »Ach, lieber Fortunat, mir ist von meines Herrn Kanzler, der mein besonderer Freund ist, heimlich etwas mitgeteilt worden. Obwohl er mir streng verboten hat, es weiterzusagen, so will ich es dir, meinem guten Freund, doch nicht verschweigen; denn es ist ein Handel, der dich besonders betrifft. Du weißt doch, daß unser Herr Graf von Eifersucht geplagt ist, und daß dich unsre Gräfin nicht haßt, ist auch bekannt. So hat nun der Graf geschworen, und der Kanzler hat es gehört: er möchte für dich einen eisernen Vogelbauer anfertigen lassen, darin sollst du gefangen sitzen wie ein Kanarienvogel. Den Käfig will er aufhängen lassen zuoberst auf dem Boden des Schlosses, dort sollst du singen dürfen Tag und Nacht!«

Als Fortunat das hörte, zitterte er am ganzen Leib und fragte den andern, ob er nirgends einen Ausgang aus der Stadt wisse. »Auf der Stelle will ich fort«, rief er; »darum, lieber Rupert, hilf mir, daß ich wegkomme!«

»Lieber Fortunat«, antwortete Rupert, »die Stadt ist überall verschlossen, niemand kann aus und ein bis morgen früh. Aber bedenke, Fortunat, am Ende hast du es doch gut; du wirst es besser haben als alles Gesinde im ganzen Haus. Der Vogelbauer ist so groß, daß du bequem darin stehen und liegen kannst.«

»Eher wollte ich betteln gehn«, rief Fortunat, »und mein Lager jede Nacht woanders aufschlagen!« Scheinheilig meinte Rupert: »Mir ist leid, daß ich dir das alles gesagt habe; denn ich sehe, daß du fort willst! Und ich hatte gehofft, daß wir wie Brüder miteinander leben würden! Ja, der Kanzler hat mir schon heimlich versprochen, daß dir niemand anderer dein Essen und Trinken in dein Vogelhaus bringen sollte als ich. Wenn du aber durchaus von hier fort willst, so darf ich dich nicht halten!«

»Freilich will ich«, drängte Fortunat ängstlich; »versprich mir nur, Rupert, daß du meine Abreise geheimhältst, bis ich drei Tage fort bin!« Rupert versprach ihm dies, und Fortunat nahm Abschied von dem falschen Freund.

Inzwischen war es Mitternacht geworden; dem armen Fortunat kam kein Schlaf. Jede Stunde dünkte ihn von Tageslänge; immer fürchtete er, der Graf könnte nach ihm schicken und ihn noch vor Tagesanbruch in den Vogelbauer stecken. Mit Angst und Sorge wartete er, bis der Himmel sich rötete. Ehe die Sonne aufging, war er gespornt, nahm sein Federspiel und seinen Hund, als ob er auf die Jagd gehen wollte, und ritt spornstreichs hinweg.

Als der Graf erfuhr, daß Fortunat ohne Abschied und ohne Sold fortgegangen sei, befremdete ihn dies sehr. Er fragte seine Diener, ob keiner wisse, was die Ursache dieser Flucht war. Doch keiner konnte Bescheid geben. Auch die Gräfin erklärte, es sei ihm nie ein Leid geschehen.

Darauf meinte der Graf: »Kann ich's jetzt nicht herausbringen, warum Fortunat so heimlich entflohen ist, so erfahre ich es doch später; sollte jedoch einer der Meinen schuld an seiner Flucht sein, so wird er es büßen.«

Als nun Rupert merkte, daß seinem Herrn so leid um Fortunat war, fürchtete er, einer seiner Gesellen könnte verraten, inwiefern er seine Hand im Spiel hatte. Er ging daher zu jedem einzelnen und bat, doch niemandem zu sagen, daß er der eigentliche Urheber der Flucht war. Sie gelobten ihm auch, das zu tun. Doch hätte jeder gern gewußt, mit welcher List er ihn dazu gebracht habe, so eilig davonzulaufen.

Inzwischen hatte Fortunat auf seinem Fluchtweg immer noch Sorge, man könnte ihm nachreiten, und sputete sich daher, so gut er konnte, bis er die Küste von Frankreich erreichte. Hier fand er ein Schiff, mit dem er nach England fuhr. Erst als er auf englischem Boden war, fing er an, wieder guten Mutes zu werden. Schließlich kam er nach London, wo Kaufleute aus allen Gegenden der Welt ansässig sind. Soeben war im Themsehafen eine Galeere aus Zypern mit wertvollem Kaufmannsgut und vielen Handelsleuten angekommen. Darunter waren zwei Jungen, die reiche Väter in Zypern hatten und denen viele schöne Waren anvertraut waren. Mit diesen jungen Leuten hatte sich Fortunat bald angefreundet. Sie waren noch nie außer Landes gewesen und begannen, das eingenommene Geld in leichtfertiger Gesellschaft zu verschwenden, bis es allmählich so weit kam, daß sie nicht mehr viel bares Geld hatten. Die jungen Leute beschlossen daher heimzureisen. Sie bestiegen wieder die Galeere und fuhren ohne Waren, die sie hätten einkaufen sollen, heim.

Als Fortunat wieder allein war, ohne Geld, dachte er: »Hätte ich nur ein wenig Geld, so würde ich wohl in Frankreich einen Dienst finden.« Deshalb ging er zu einem seiner alten englischen Kumpane und bat ihn, er möge ihm einiges leihen, da er nach Flandern zu einem Vetter reisen wolle, der eine namhafte Geldsumme für ihn aufbewahre, die wolle er holen. Der Geselle aber erwiderte: »Was geht das mich an!«

Nun dachte Fortunat: »Es bleibt keine andere Möglichkeit, als zu arbeiten, bis ich entsprechend viel Geld erspart habe.« So bot er sich am nächsten Morgen auf dem Markt als Knecht an. Dort war ein steinreicher Kaufmann, der aus Venedig stammte, namens Geronimo Roberto. Dieser hielt sich viele Gehilfen, die er in seinem Gewerbe benötigte. Der dingte Fortunat und vereinbarte mit ihm einen Lohn von zwei Goldmünzen monatlich. Fortunat hatte im Londoner Hafen das Gut auf die Schiffe zu führen und es, wenn die Schiffe ankamen, zu entladen.

Zu gleicher Zeit hielt sich in jenen Tagen ein Florentiner, eines reichen Mannes Sohn, mit Namen Andreas, zu Brügge in Flandern auf, den sein Vater mit vielen Waren dorthin gesandt hatte. Der junge Mann verschleuderte die Fracht in kurzer Zeit und nahm noch dazu Wechsel auf seinen Vater auf. Bei der Suche nach neuen Geldgebern kam Andreas auch zu Geronimo Roberto, der dem jungen Mann in leichtsinniger Weise Geld vorstreckte, das jener aber nicht zurückzahlen konnte. Schließlich erklärte er: »Ich habe einen Mann gefunden, der wird für gute, sichere Bürgschaft sorgen.« Geronimo Roberto war damit zufrieden. Andreas aber fuhr fort: »Bereitet morgen ein ordentliches Essen, ich bringe einen Edelmann mit, der für den König von England Kleinodien an den Hof von Burgund zu bringen hat!«

Zur Mittagszeit brachte Andreas den vornehmen Gast. So aßen sie und waren guter Dinge. Als die Mahlzeit vorüber war, ging Geronimo wieder in seine Schreibstube. Andreas aber sagte zu dem Edelmann: »Kommt in meine Kammer hinauf, dort will ich Euch Kleinode zeigen.«

So gingen sie miteinander in eine Kammer, die lag über dem Saal, in dem sie gerade gegessen hatten. Als sie eingetreten waren, tat Andreas, als wolle er eine Truhe aufschließen, zückte sein Messer und tötete den Edelmann. Dann zog er ihm den goldenen Siegelring vom Finger, nahm die Schlüssel aus seinem Gürtel, eilte rasch in des Edelmanns Haus zu seiner Frau und sprach zu ihr: »Edle Frau, Euer Gemahl sendet mich, daß Ihr ihm die Kleinodien schickt, die er mir zeigen will. Als Bestätigung sendet er Euch hier Ring und Siegel und die Schlüssel zu dem Kästchen, worin die Kleinode liegen.«

Die Frau, nichts Böses ahnend, schloß das Kämmerlein auf, in dem das Kästchen sonst stand. Sie fanden jedoch die Kleinode nicht. »Geht, Herr«, meinte die Frau, »und sagt meinem Mann, wir können nichts finden, er soll selbst kommen und nachsehen.«

Während Andreas in des Edelmanns Haus zurückgekehrt war, floß Blut durch die Dielen hinunter in Robertos Schreibstube. Erschrocken rief der Kaufmann seine Knechte und fragte: »Woher kommt das Blut?« Diese sahen nach und fanden den Edelmann in der Kammer tot liegen. Während sie ratlos dastanden, kam der Schurke Andreas daher. »Was hast du getan?« schrien sie ihn an. »Warum hast du diesen Mann ermordet?« Er antwortete: kaltblütig: »Notwehr – der Böse wollte mich ermorden; denn er glaubte Kostbarkeiten bei mir zu finden! Darum macht kein Geschrei; ich will den Mann in den Hausbrunnen werfen, und wenn jemand nach ihm fragt, so sagt, als die Herren gegessen hatten, ginget ihr weg; seither habt ihr uns nicht mehr gesehen.« Dann warf er den Leichnam in den Brunnen und machte, daß er aus dem Land kam.

Der Tag, an dem der Mord geschehen war, ging zu Ende. Als Fortunat von der Stätte nach Hause kam, wo er seines Herrn Roberto Ware in ein Schiff geladen hatte, dünkte ihn, daß Gesellen, Knechte und Mägde nicht so fröhlich seien wie sonst. Verwundert fragte er die Wirtschafterin, was denn während seiner Abwesenheit geschehen sei. Die gute alte Haushälterin erwiderte: »Unser Herr hat einen Brief aus Florenz erhalten, daß ihm ein guter Freund dort gestorben ist; darüber ist er so bestürzt.« Dabei ließ es Fortunat bewenden und fragte nicht weiter.

Als der ermordete Edelmann weder am Abend noch am nächsten Morgen nach Hause zurückkehrte, wurde seine Frau unruhig und schickte Verwandte an des Königs Hof, um nachzufragen, ob etwa der König ihn in seinem Dienst fortgesandt hätte oder ob er sonst irgendwo wäre. Sobald der König hievon hörte, befahl er: »Begebt Euch schnell in sein Haus und seht, ob er nicht die Kleinodien weggebracht hat!« Denn dem König kam Verdacht, der Edelmann habe sich mit den Kostbarkeiten davongemacht.

Als man die Frau fragte, wo ihr Mann sei, gab sie zur Antwort: »Es ist heute der dritte Tag, daß ich ihn nicht gesehen habe.«

»Was sagte er denn«, fragten die Boten des Königs, »als er Euch verließ?« Sie erwiderte: »Er schickte mir einen Mann mit seinem Siegel und den Schlüsseln, ich sollte ihm die Kleinode senden; mein Mann wäre in Geronimo Robertos Haus, dort habe man auch viele Kostbarkeiten, die wollten sie besichtigen. So führte ich denn den Boten in die Kammer, aber die Kleinode fanden wir nicht, und so ging der Mann, sichtlich ungern, ohne sie fort.«

Als die Boten dies hörten, ließen sie alles aufbrechen, fanden aber die Kostbarkeiten nirgends. Dem König, dem dies gemeldet wurde, tat es leid um die schönen Kleinode. Niemand wußte, was in der Sache zu tun sei. Deshalb beschloß man zunächst, Roberto und sein ganzes Gesinde zu verhaften und Auskunft über das Schicksal des Edelmanns zu verlangen. Es geschah dies am fünften Tag, nachdem der Mann ermordet worden war.

Die Gehilfen des Richters warteten ab, bis im Haus Robertos alles beim Mahl saß. Dann umstellten sie das Haus und verhafteten alle: Schreiber, Koch, Stallknecht, Mägde und Fortunat. Diese führte man ins Gefängnis und verhörte jeden für sich allein, wobei auffiel, daß zwei Männer abwesend seien: der Edelmann und Andreas aus Brügge. Alle sagten einstimmig aus, nachdem die Gäste gegessen hätten, sei das Gesinde weggegangen, und nachher hätte es nichts mehr gesehen noch von ihnen gehört. Doch begnügten sich die Richter mit dieser Aussage nicht. Sie nahmen eine Hausdurchsuchung vor, untersuchten alle Ställe, Keller und Gewölbe, wo Roberto seine Kaufmannsgüter aufbewahrt hatte, ob der Edelmann nicht irgendwo begraben liege, aber sie fanden nichts.

Eben wollten die Gerichtsleute fortgehen, als einem, der ein Windlicht in der Hand trug, ein Brunnen hinter dem Haus auffiel. Der Mann eilte ins Haus zurück, nahm aus einer Bettstatt eine Handvoll Stroh, zündete es an seinem Licht an und warf es in den tiefen Brunnen. Mit lauter Stimme rief einer der Gerichtskommission: »Mord, hier im Brunnen liegt der Mann.«

Sofort wurde der Brunnen aufgebrochen und der Mann, dem die Kehle durchstochen war, heraufgebracht. Die Untat kam schnell vor den König und den Oberrichter.

So kam denn der Henker, nahm zuerst Geronimo, legte ihm Daumschrauben an und folterte ihn, damit er bekenne, wer den Edelmann ermordet habe und wo die Kostbarkeiten des Königs seien. Da erzählte nun Geronimo seinen Peinigern, wie alles vor sich gegangen war, und schloß: »Als die Mahlzeit vorüber war und ich in meiner Schreibstube saß, sah ich, wie durch die Decke Blut herabfloß. Ich erschrak und sandte meine Knechte nachzusehen, was es wäre. Die sagten mir, wie die Sachen stünden. Ich konnte mir nicht denken, wie es zugegangen war. Da kam der hinterlistige Andreas gelaufen und log uns vor, der Mann habe ihn ermorden wollen. Er nahm den Leichnam und warf ihn in den Brunnen; dann eilte er weg. Wo er sich im Augenblick aufhält, weiß ich nicht.«

Wie Roberto sagten auch die andern aus, so arg man sie auch folterte. Nur Fortunat, der auch gemartert wurde, konnte nichts bekennen; denn er war nicht im Haus gewesen, als der Mord sich ereignete.

Da man trotz schärfstem Verhör doch nichts Genaues erfuhr und die Kleinode nicht zum Vorschein kamen, wurde der König sehr zornig und befahl, daß man sie alle miteinander mit Ketten am Galgen anschmieden solle, damit sie niemand herabnehme. So wurden sie nacheinander angeschmiedet, bis nur noch der Koch und Fortunat übrig waren.

»Ach«, dachte dieser, »wäre ich bei meinem guten Grafen geblieben und hätte mich lieber zum Singvogel machen lassen, so war' ich doch jetzt nicht in diese Angst und Not gekommen!« Als man aber den Koch hängen wollte, schrie dieser mit lauter Stimme, daß es jedermann hören konnte, Fortunat wisse nichts von diesen Dingen. Der Richter glaubte selbst an seine Unschuld, doch wollte er ihn mit hängen lassen, gleichsam aus Mitleid, weil er doch von der empörten Menge totgeschlagen würde. Schließlich ließ er ihn aber doch frei und sprach: »Nun mach dich auf der Stelle aus dem Staub; denn die Weiber auf der Straße würden dich zu Tode schlagen!« Damit gab er ihm zwei Knechte bei, die ihn bis an die Themse geleiteten. Fortunat schiffte sich ein, so geschwind er konnte, und war froh, als er auf der offenen See war und England hinter sich hatte.

Nachdem des Edelmanns Frau dreißig Tage um ihren Gemahl, der den Schmuck in Verwahrung gehabt, getrauert hatte, lud sie wieder ihre Freundinnen und Nachbarinnen zu Gast. Unter diesen fand sich eine Frau, die auch erst kürzlich Witwe geworden war. Diese sprach: »Ich weiß ein Mittel, wie Ihr den Kummer um Euren toten Gemahl bald loswerden könnt. Schlagt Euer Bett in einer andern Kammer auf oder rückt wenigstens die Bettstatt an einen andern Ort.«

Als sie dann wieder allein war, dachte sie: »Das kann dem Andenken des Seligen nichts schaden!« und fing an, ihre Schlafkammer aufzuräumen. Dabei fand sie die Lade mit den Kleinodien unter dem Bett. Gleich erkannte die Frau das Lädchen, griff hastig danach und nahm es an sich. Dann berief sie ihre nächsten Verwandten, erzählte ihnen alles und bat sie um Rat, was sie mit den Kleinodien tun solle.

Sie sagten: »Es scheint uns das beste, auf der Stelle mit den Kleinodien zum König zu gehen. Überlaßt seinem Edelmut, ob er Euch etwas davon schenken will.«

Dieser Rat gefiel der ehrlichen Frau. Sie legte ihre schönsten Kleider an, bat um Audienz beim König und überreichte ihm die Lade, die sie in den Armen trug. Der König nahm das Kistchen, öffnete es und fand zu seiner großen Freude die fünf wertvollen Kleinode unversehrt darin vor. Es freute ihn, daß die Edelfrau so ehrlich war, und er hielt es für angemessen, sie zu belohnen, weil ihr armer Mann um dieser Kleinode willen sein Leben hatte lassen müssen. Er rief daher einen jungen Edelmann seines Hofes und sprach: »Lieber Freund, ich will eine Bitte an dich richten, die sollst du mir nicht versagen.« Der Jüngling erwiderte: »Herr, Ihr sollt nicht bitten, sondern gebieten, und ich werde allen Euren Geboten gehorsam sein.«

Nach einer kurzen Aussprache gab der König der schönen Witwe aus vornehmem Geschlecht den Jüngling zum Gemahl und beschenkte sie reichlich. Beide lebten auch wirklich in Frieden und Freuden miteinander.

 

Fortunat, mittellos an der französischen Küste angelangt, zog weiter nach der Bretagne. Dort durchschritt er einen wilden Wald, in dem er den ganzen Tag fortwanderte. Als es Nacht wurde, gelangte er zu einer alten Glasbläserei. Da wurde er froh; denn er meinte, hier Leute anzutreffen, aber leider war keine Seele zu bemerken. Die Nacht über blieb er hungrig und sorgenvoll in der ärmlichen Hütte. Sehnsüchtig wünschte er den Tag herbei; da, hoffte er, werde ihm jemand aus dem Wald helfen, damit er nicht Hungers stürbe. Am andern Morgen nahm er seinen Weg quer durch den Wald. Aber je weiter er ging, desto weniger konnte er aus dem Gehölz kommen, und so verstrich auch dieser Tag, ohne daß er eine Menschenseele traf. Als es Nacht wurde, begannen ihn seine Kräfte zu verlassen, denn er hatte zwei Tage lang nichts gegessen. Zufällig kam er an eine Quelle, aus der er mit großer Begierde trank. Dies gab ihm wieder ein wenig Kraft.

Auf einmal vernahm er Tritte im Wald und hörte einen Bären brummen. »Mit dem Sitzen«, dachte er, »ist es aus, das fliehen nützt auch nichts mehr, denn die wilden Tiere überholen die Menschen bald.« So bestieg er einen großen Baum zunächst der Quelle; von dem herab sah er zu, wie wilde Tiere kamen, um zu trinken. Unter den Tieren war auch ein junger Bär, der witterte Fortunats Spur und fing an hinaufzuklettern. Fortunat, in großer Furcht, stieg immer höher auf den Baum hinauf, der Bär ihm immer nach. Auf dem letzten Ast blieb Fortunat, zog seinen Degen und stach den Bären in den Kopf. Zornig ließ der Bär seine Vordertatzen vom Baum los und schlug so heftig nach Fortunat, daß er auch mit den Hinterbeinen ausglitt und mit großem Gerassel rückwärts vom Baum herabfiel. Fortunat aber blieb weiter auf dem Baum und wagte sich nicht herunter. Da er aber schläfrig wurde und unversehens vom Baum herabzustürzen fürchtete, stieg er endlich mit großer Angst leise herunter und legte sich ins Gras.

Als Fortunat erwachte, staunte er, denn eine schöne Frauengestalt stand neben ihm. Verzweifelt flehte er: »Liebe Jungfrau, ich bitte Euch, helft mir, daß ich aus diesem Wald komme; denn heute ist der dritte Tag, daß ich hungernd drin umherirre!« Darauf erzählte er, was ihm widerfahren war.

»Woher bist du denn?« fragte die Jungfrau. »Ich bin aus Zypern!« stammelte Fortunat. »Was gehst du denn hier in der Irre um?« fragte sie weiter. »Mich zwingt Armut dazu«, antwortete er; »ich suche einen Ort, wo ich mir mein tägliches Brot verdienen kann.« Da bemerkte die Jungfrau: »Ich bin Fortuna, die Göttin des Glücks; mir sind sechs Gaben verliehen, die ich weiterverleihen kann: Weisheit, Reichtum, Stärke, Gesundheit, Schönheit und langes Leben. Wähle dir eins unter den sechsen und überlege nicht lange; denn die Stunde, wo das Glück dir hold ist, ist bald vorüber!«

Fortunat zögerte nicht lange und rief: »Nun, wenn es sein soll, so will ich ›Reichtum‹ wählen, damit ich immer Geld genug habe.« Sogleich zog die Fee einen Säckel heraus, gab ihn dem Jüngling und sprach: »Nimm diesen Beutel! Sooft du hineingreifst, findest du darin zehn Goldstücke. Der Beutel soll diese Kraft haben für dich und deine Kinder und für jeden andern, der ihn besitzt, solange du und deine Kinder leben. Wenn ihr aber gestorben seid, hat seine Kraft ein Ende.«

Obgleich Fortunat in seinem Hunger nach nichts anderem verlangte als nach Speisen, gab ihm doch der Geldbeutel einige Kraft, und er erklärte: »O tugendreichste Jungfrau, ich danke Euch für Eure Gabe und will sie vergelten, soweit ich kann.« Die Jungfrau redete gütig zu Fortunat: »Zum Entgelt für mein Geschenk sollst du folgendes tun: Du sollst, solange du lebst, diesen Tag jährlich feiern, indem du darnach forschst, wo ein armer Mann ein Mädchen heiraten möchte, es aber vor Armut nicht tun kann. Diese sollst du mit vierhundert Goldstücken beschenken, zum Gedächtnis daran, daß du heute von mir beschenkt worden bist!«

»Ja«, rief Fortunat freudig, »edle Jungfrau, ich will das unvergeßlich in meinem Herzen bewahren und redlich halten!« Bei alledem jedoch war es Fortunat sehr darum zu tun, aus dem Wald zu kommen, und er setzte hinzu: »Schöne Jungfrau, helft mir nun auch aus diesem Wald hinaus!«

»Diese Irrfahrt war dein Glück«, erwiderte Frau Fortuna; »folge mir nach!« Mit diesen Worten führte sie ihn mitten durch den Wald und wies ihn an: »Geh nur geradeaus und kehre dich nicht um, sieh mir auch nicht nach, wohin ich gehe! Wenn du dies einhältst, wirst du bald aus dem Wald kommen.«

Fortunat befolgte den Rat der Jungfrau, eilte auf dem Weg fort, kam an das Ende des Waldes und sah ein großes Haus vor sich stehen, das eine Herberge war, wo die Leute, die durch den Wald reisten, zu rasten pflegten. In der Nähe des Hauses holte er den Geldsäckel hervor und griff hinein, um ihn zu probieren. Sogleich zog er zehn blanke Goldkronen heraus. Froh ging er in das Haus und rief dem Wirt zu: »Gib mir zu essen, Freund, denn mich hungert sehr; ich will dir alles gut bezahlen!« Diese Sprache gefiel dem Wirt, und er trug ihm das Beste auf.

Nun stillte Fortunat seinen Hunger und blieb zwei Tage lang in der Herberge. Dann kaufte er dem Wirt eine Rüstung ab und machte sich weiter auf den Weg. Zwei Meilen von der Straße befand sich ein kleines Städtchen mit einem Schloß, das ein Graf bewohnte, dessen Amt es war, im Auftrag des Herzogs der Bretagne den Forst zu schützen. In dieser Stadt ging Fortunat zu dem ersten Wirt und fragte ihn, ob es nicht edle Pferde zu kaufen gäbe. Der Wirt erwiderte: »Ja, erst gestern ist ein fremder Kaufmann hier angekommen mit fünfzehn untadeligen Pferden. Der hat unter diesen fünfzehn drei Rosse, für die ihm unser Herr Landgraf dreihundert Kronen geben wollte. Er verlangt aber dreihundertundzwanzig.«

Fortunat verließ den Wirt, ging in aller Stille in seine Kammer, zog da aus seinem Säckel auf sechzig Griffe sechshundert Kronen und steckte sie in seinen alten Beutel. Dann ging er wieder zu dem Wirt und sagte: »Wo ist der Mann mit den Rossen? Wenn mir die Pferde gefallen, so kann ich sie eher kaufen als der Graf!«

Dem Wirt kam es lächerlich vor, daß dieser ärmlich gekleidete Mensch, der zu Fuß daherging, so großsprecherisch redete, doch führte er ihn zu dem Roßhändler. Fortunat musterte die Pferde, und alle gefielen ihm wohl. Doch wählte er nur die drei, die der Graf gerne gehabt hätte, zog seinen Beutel und bezahlte die dreihundertzwanzig Kronen, um die es sich handelte, auf der Stelle aus. Dann ließ er die Rosse ins Wirtshaus führen, schickte nach einem Sattler und hieß ihn Sattel und Zaumzeug aufs beste verfertigen. Dem Wirt aber gab er den Auftrag, ihm zwei reisige Knechte zu verschaffen, denen er guten Sold bezahlen wolle.

Während Fortunat diesen Handel abschloß, erfuhr der Graf den Kauf und wurde nicht wenig ärgerlich; denn er hatte im Sinn gehabt, die Rosse um lumpiger zwanzig Kronen willen am Ende doch nicht fallenzulassen. Zornig sandte er einen Diener zu dem Wirt und ließ ihn fragen, was denn das für ein Mann sei, der ihm die Rosse weggekauft habe. Der Wirt antwortete, er kenne ihn nicht, er sei zu Fuß gekommen als reisiger Knecht mit einem Harnisch. »Dem Aussehen nach«, berichtete er, »hätte ich ihm nicht auf eine einzige Mahlzeit trauen mögen, aus Furcht, er könnte ohne Bezahlung davonlaufen.«

Als der Graf nun hörte, daß der Käufer kein geborner Edelmann sei, befahl er voll Zorn seinen Dienern: »Geht hin und ergreift den Mann! Gewiß hat er das Geld gestohlen oder gar geraubt und den rechtmäßigen Besitzer ermordet!« So ergriffen sie Fortunat und führten ihn ins Gefängnis. Dann fragten sie ihn erst, woher er wäre. Er sei von der Insel Zypern, erwiderte Fortunat, aus einer Stadt, Famagusta genannt. Auf die Frage, wer sein Vater sei, antwortete er: »Ein armer Edelmann!« Der Graf forschte weiter, woher er denn das viele bare Geld habe. Zuversichtlich erklärte da Fortunat, er glaube nicht, sagen zu müssen, woher sein Geld komme.

Der Graf aber drohte: »Du wirst mir verraten, woher du dein Geld hast!« und dann befahl er, ihn auf die Folter zu spannen. Da erschrak Fortunat, doch nahm er sich vor, eher zu sterben, als die Eigenschaft des Säckels zu verraten. Wie er nun auf der Folterbank hing, rief er, man solle ihn herabnehmen, er wolle gestehen, wonach man ihn frage. »Ich fand einen Säckel, in dem sechshundertundzehn Kronen waren.«

»Wo ist der Säckel?« rief der Graf. »Als ich das Geld zählte«, erwiderte Fortunat, »tat ich's in meinen eigenen Beutel und warf den leeren Säckel in das Wasser.« Da wetterte der Graf: »Du elender Wicht, wolltest du dir aneignen, was mein ist? Wisse, daß mir dein Leib und Gut verfallen ist; denn was sich in dem Wald findet, das gehört mir!«

»Gnädiger Herr«, antwortete Fortunat, »ich wußte von diesem Eurem Recht ganz und gar nichts; ich hielt das Geld für ein Gottesgeschenk!«

»Wer nicht weiß, der soll fragen!« schrie der Graf. »Und kurzum, richte dich darnach, heute nehme ich dir dein Gut und morgen dein Leben!«

»Herr«, bat Fortunat flehend, »habt Erbarmen mit mir! Was soll Euch mein Tod nützen? Nehmt das gefundene Gut, wenn es Euch gehört, und laßt mir nur das Leben! Ich will Gott für Euch bitten alle Tage meines Lebens!« Es wurde dem Grafen schwer, ihn am Leben zu lassen. So nahm er ihm das Geld und die Rosse und gab ihm seine Rüstung wieder und überdies noch ein paar Kronen zur Zehrung. Aber am nächsten Morgen in aller Früh ließ er ihn aus der Stadt führen und schwören, sein Lebtag nicht mehr des Grafen Gebiet zu betreten.

Fortunat war froh, so davongekommen zu sein, aber er wagte nicht, seinen Säckel erneut zu probieren, denn er fürchtete, wenn man Geld bei ihm fände, würde man ihn abermals fangen. So ging er zwei Tagreisen, bis er an die Stadt Andegavis kam, die am Meer liegt. Hier waren viele Fürsten und Herren mit ihrem Gefolge versammelt; denn alle warteten auf die Königin, die ihre Hochzeit feiern sollte. Fortunat dachte: »Soll ich die Festlichkeiten und Ritterspiele mitmachen, wie ich es wohl könnte, dann ergeht es mir vielleicht wie bei dem Waldgrafen!« Doch kaufte er sich zwei schöne Rosse und nahm sich einen Knecht.

Die königliche Hochzeit währte sechs Wochen und drei Tage. Fortunat ritt oft an den Hof und sah alles mit an; dabei ließ er nie Geld und Geräte in der Herberge liegen. Dem Wirt gefiel das nicht; er fürchtete, der Fremde könnte ohne Bezahlung fortreiten, wie es ihm schon einmal geschehen war. Darum wandte er sich an Fortunat: »Mein lieber Gast, ich kenne Euch nicht. Seid so gut und bezahlt mir alle Tage!« Jener aber lachte: »Lieber Wirt, ich will nicht, ohne zu zahlen, wegreiten!« Damit zog er aus seinem Säckel hundert Kronen, gab sie dem Wirt und fügte hinzu: »Nehmt dieses Geld, und wenn Ihr meint, daß ich mehr verzehrt habe, so will ich Euch mehr geben, Ihr braucht mir keine Rechnung darüber auszustellen.« Der Wirt griff mit beiden Händen nach dem Geld und hielt von nun an Fortunat in großen Ehren.

Als Fortunat einmal bei andern Herren zu Tisch saß, kamen Sänger und Spielleute, um die Gäste zu unterhalten und damit Geld zu verdienen. Unter andern erschien auch ein armer Edelmann, der klagte den Herren seine Armut und erzählte, er sei aus Spanien, sei sieben Jahre in der Welt umhergezogen und habe auf diesen Fahrten sein ganzes Geld aufgezehrt; er bitte um eine Beisteuer, um wieder heimzukommen.

Fortunat, der auf die Reden des alten Edelmanns gelauscht hatte, dachte: »Könnte ich doch den Alten überreden, mich durch alle diese Länder zu führen; ich wollte ihn reichlich belohnen.« Als die Mahlzeit vorüber war, ließ er ihn holen und fragte, wie er heiße. »Leopold«, erwiderte der Edelmann. »Hab' ich recht gehört«, sprach Fortunat, »so bist du weit gewandert. Wolltest du mich führen, so würde ich dir ein Pferd geben und einen eigenen Knecht dingen, dich wie einen Bruder halten und dir einen guten Sold bezahlen.« Darauf erwiderte der alte Leopold: »Ich möchte wohl, aber ich bin alt, habe Weib und Kind, die wissen nichts von mir, und ich möchte sie gern wiedersehen.«

»Höre, Leopold«, bat Fortunat, »tu mir meinen Wunsch! Dann will ich mit dir nach Süden gehen, dein Weib und Kind, wenn sie noch am Leben sind, reich beschenken, und sobald wir nach Famagusta auf die Insel Zypern kommen, will ich dich, wenn du dort wohnen magst, mit Knechten und Mägden versehen und dein Leben lang aushalten!«

Leopold dachte: »Der junge Mann verheißt mir viel; wäre die Sache gewiß, so wäre es ein rechtes Glück für mein Alter!« Daher antwortete er: »Herr, ich will es tun, doch nur, wenn Ihr genügend bares Geld habt; denn ohne Geld vollbringt Ihr es nicht!«

»Sorge dich nicht«, beruhigte ihn Fortunat, »Geld weiß ich in jedem Land genug aufzutreiben.« So gelobten sie einander Treue in allen Nöten. Sogleich zog Fortunat zweihundert Kronen heraus und gab sie dem Ritter Leopold. »Geh«, sprach er, »und kaufe davon zwei gute Pferde! Spare kein Geld, dinge dir einen Knecht, und wenn du kein Geld mehr hast, will ich dir mehr geben. Du sollst nie ohne Geld sein!«

Solche Rede gefiel Leopold wohl. Er dachte: »Das ist ein guter Anfang«, und rüstete sich nach Herzenslust. Dasselbe tat Fortunat, doch nahm er nicht mehr als zwei Knechte und einen Knaben, so daß sie ihrer sechs waren. Dann einigten sie sich, in welcher Reihenfolge sie Länder und Königreiche durchfahren wollten und begannen ihre Reise. – Als sie nur noch sechs Tagereisen von der Stadt entfernt waren, die Leopolds Heimat war, erinnerte der Alte seinen Herrn an dessen Versprechen, und Fortunat war bereit, mit ihm nach Hause zu reiten. So kamen sie endlich in die Stadt Valdris, wo Leopold zu Hause war. Er fand Weib und Kind, wie er sie verlassen hatte, und alle waren froh über seine Heimkehr. Weil Fortunat wußte, daß sie unbemittelt waren, gab er sofort Leopold hundert Nobel,Nobel = Goldmünze im 14. und 15. Jahrhundert damit er alles Nötige beschaffe, dann wollte er zu ihm kommen und sein Gast sein. Leopold machte die nötigen Vorbereitungen, lud alle Verwandten und Freunde ein und hielt ein herrliches Festmahl, so daß die ganze Stadt davon sprach. Nach dem Mahl nahm Fortunat seinen Freund beiseite: »Leopold, jetzt nimm Abschied von Weib und Kind, hier hast du drei Beutel, in jedem sind fünfhundert Nobel; davon gib einen deinem Weib, den andern deinem ältesten Sohn, den dritten deiner ältesten Tochter!« Leopold dankte ihm von Herzen und erfreute damit Weib und Kinder.

Nun hatte Fortunat gehört, daß es nur noch zwei Tagereisen bis nach der Stadt sei, wo Sankt Patricius' Fegefeuer ist. Diese Stätte wollte er auch sehen. Sie ritten daher zu der großen Abtei. Hinter der Kirche befindet sich eine Tür, durch die man in eine finstere Höhle gelangt, die Sankt Patricius' Fegefeuer genannt wird.

Nachdem sie sich vom Abt verabschiedet hatten, ritten Fortunat und seine Begleiter wieder weiter, um ihre Reise fortzusetzen. Als sie nach Venedig kamen, hörten sie, daß der griechische Kaiser zu Konstantinopel seinen Sohn zum Kaiser krönen lassen wolle, weil er selbst schon hoch an Jahren war. Sie mieteten sich auf jener Galeere ein, auf der die Venezianer dem neuen Kaiser ihre Krönungsgeschenke senden wollten, und fuhren mit den Venezianern durch das Adriatische und Ägäische Meer nach Konstantinopel. Dort war so viel fremdes Volk zusammengekommen, daß man nicht genug Herbergen auftreiben konnte. So suchte Fortunat mit seinem Gefolge lange und fand auch zuletzt eine Unterkunft, die leider nicht gut war, denn der Wirt war ein Dieb.

Fortunat und seine Leute hatten eine eigene Kammer, die sie sorgfältig verschlossen; dadurch glaubten sie ihre Habseligkeiten hinlänglich gesichert. Der Wirt aber hatte einen heimlichen Eingang in diese Stube; denn er konnte an der hölzernen Wand ein Brett herausnehmen und wieder einsetzen, ohne daß es jemand merkte. Während sie alle beim Fest waren, untersuchte der Wirt alle ihre Säcke und Felleisen, aber er fand kein Geld darin. Das wunderte ihn, und er meinte, die Fremden trügen das Geld in ihren Kleidern eingenäht.

Als sie aber einige Tage bei ihm gewohnt hatten, rechneten sie mit dem Wirt ab. Da bemerkte dieser, daß Fortunat das Geld unter dem Tisch hervorbrachte und es seinem Freund Leopold gab, der dann die Rechnung bezahlte. Der Wirt war auch mit der Bezahlung zufrieden; denn Fortunat hatte den Ritter angewiesen, keinem Wirt etwas abzuhandeln, sondern immer soviel zu geben, als er verlangte.

Indessen nahte der Tag, an dem Fortunat seinem Versprechen gemäß einer armen Tochter einen Mann zu besorgen und sie mit vierhundert Goldstücken auszustatten hatte. Er wandte sich daher an den Wirt mit der Frage, ob er nicht einen armen Mann wüßte, der eine erwachsene Tochter hätte, die er nicht auszusteuern vermöchte; dem wolle er die Tochter anständig ausstatten. Der Wirt antwortete: »Ich weiß mehr als eine! Morgen will ich Euch einen braven, ehrbaren Mann bringen, der seine Tochter verheiraten soll!« Dies war Fortunat recht. Was dachte aber der Wirt? »Noch diese Nacht«, sprach er zu sich selbst, »will ich das Geld stehlen, solange sie es noch haben; warte ich länger, so geben sie es aus!« Und in der Nacht, als sie im besten Schlaf lagen, stieg er durch das Loch, durchsuchte alle Kleider und hoffte, große Bündel mit Gulden unter ihren Kleidern zu finden. Aber er fand nichts. Da griff er nach Leopolds Gürtel und schnitt den Beutel ab, der daran festgenäht war. Darin waren fünfzig Dukaten. Dann machte er sich über Fortunats Wams, fand dort den Zaubersäckel und schnitt ihn ebenfalls ab. Als er ihn leer fand, warf er diesen unter das Bett. Hierauf ging er zu den drei Knechten, fand aber nur wenig Geld in ihren Beuteln vor. Schließlich öffnete er leise Tür und Fenster, als ob Diebe von der Straße hereingestiegen wären.

Als Leopold erwachte und Tür und Fenster offen sah, schalt er die Knechte und fragte sie, warum sie heimlich bei Nacht ausgingen. Die Knechte aber versicherten, daß sie die Kammer nicht verlassen hätten. Da erschrak Leopold und sah sogleich nach seinem Geldbeutel; der war ihm abgeschnitten, nur der Rest hing noch am Gürtel. Sogleich weckte er auch Fortunat und rief: »Herr, unsere Kammer steht offen; das Geld, das ich von Euch hatte, ist mir gestohlen worden!« Als die Knechte dies hörten, schauten sie nach ihrem Geld; da war es ihnen nicht besser gegangen. Schnell schlüpfte Fortunat in seinen Wams, an dem er den Glückssäckel trug, und fand,, daß er ihm auch abgeschnitten worden war.

Währenddessen kam der Wirt, tat sehr verwundert und fragte, was los wäre. Sie sagten ihm, all ihr Geld sei ihnen gestohlen worden. Da knurrte der Wirt: »Warum habt ihr euch nicht besser vorgesehen? Es ist so viel fremdes Volk hier; ich kann für niemand einstehen!«

Da sie sich aber gar so aufgeregt benahmen, ging er auch zu Fortunat, und als er ihn ganz verändert sah, fragte er: »Habt ihr denn so viel Geld verloren?« Sie sagten ihm, es sei nicht gar so viel gewesen. »Wie könnt Ihr denn so jämmerlich klagen um ein wenig Geld?« meinte der Wirt; »gestern noch wolltet Ihr einer armen Tochter eine Ausstattung geben!«

Aufseufzend antwortete Fortunat: »Mir ist mehr um den Säckel leid als um das Geld, das ich verloren habe. Es ist ein kleiner Wechselbrief darin, der niemand einen Groschen nutz ist als mir!«

Obwohl nun der Wirt ein Bösewicht war, erbarmte ihn doch Fortunats Jammer: »Laßt uns doch suchen, vielleicht finden wir den Säckel wieder!« Da schlüpfte einer der Knechte unter das Bett, fand ihn und rief: »Hier liegt ein leerer Säckel!« Er brachte ihn seinem Herrn und fragte ihn, ob das der rechte wäre? – »Zeig her!« stieß Fortunat hastig hervor. Da sah er, daß es wirklich sein Glückssäckel war, den man ihm abgeschnitten hatte. Nun sorgte sich Fortunat, durch das Abschneiden könnte er seine Kraft verloren haben, und doch durfte er vor den Leuten nicht hineingreifen. Da er vor Schrecken noch ganz außer sich war, legte er sich zu Bett. Unter der Decke machte er seinen Säckel auf und tat einen Griff hinein. Seine Hand füllte sich mit Gold, und so merkte er erleichtert, daß der Schatz noch seine alte Kraft besaß. »Ach«, seufzte er mit schwacher Stimme vor sich hin, »wer das Gut verliert, der verliert die Vernunft! Weisheit hätte ich erwählen sollen, eher als Reichtum, Stärke, Gesundheit, Schönheit und langes Leben! Die kann man keinem stehlen!« Und damit schwieg er und schlief ein. Am nächsten Morgen stand Fortunat mit seinem Gefolge auf und ging in die berühmte Sophienkirche. Darnach besuchten sie den Basar, wo Käufer und Wechsler feilschten. Hier gab er seinem Freund Leopold Geld und sagte: »Kauf uns fünf gute neue Beutel! Inzwischen will ich zu einem Wechsler gehen und Geld beschaffen; ich habe keine Freude, solang wir ohne Geld sind!«

Der Alte tat, wie ihm befohlen war, und brachte fünf leere Beutel. Inzwischen hatte Fortunat, sooft er konnte, in seinen Säckel gegriffen und tat in jeden der Beutel Dukaten; den ersten reichte er dem alten Leopold für alle nötigen Ausgaben mit hundert Dukaten. Auch jedem der Knechte gab er einen Beutel mit zehn Dukaten. Sie sollten fröhlich sein, sagte er zu ihnen, jedoch achten, daß ihnen kein Schaden widerführe. Diese dankten voll Freude und versprachen es. In den fünften Beutel gab Fortunat vierhundert Dukaten und sandte nach dem Wirt, damit er ihm die arme Tochter herbeischaffe, die er gern aussteuern wollte.

Der Vater dieses Mädchens war ein Schreiner, ein ehrbarer, aber energischer Mann. Der sagte: »Ich will meine Tochter nicht zeigen. Wer weiß, ob Euer Herr nicht Unehrliches mit ihr vorhat. Will er ihr etwas Gutes tun, so mag er zu uns kommen!« Der Wirt berichtete das Fortunat und meinte, er würde über solche Worte ungehalten sein. Diesem aber gefiel die Begründung des Mannes, und er befahl: »Führt mich zu dem Mann!«

Die beiden gingen in des Schreiners Haus, und Fortunat begann: »Ich habe gehört, daß du eine heiratsfähige Tochter hast. Laß sie herkommen und ihre Mutter dazu!« Der Mann rief Mutter und Tochter herbei, aber sie schämten sich, denn sie hatten zerrissene Kleider an. Da bat Fortunat: »Jungfrau, tretet hervor!« Das Mädchen war schlank und schön, deshalb fragte er den Vater nach ihrem Alter. »Zwanzig Jahre«, sagten die Eltern. »Warum ist sie noch nicht verheiratet?« forschte er weiter. Die Mutter rief: »Wir haben nichts, um sie auszusteuern!« Darauf meinte Fortunat: »Wenn ich ihr eine gute Aussteuer gebe, wißt ihr dann einen braven Mann für sie?«

»Gewiß weiß ich einen«, rief die Mutter; »unser Nachbar hat einen Sohn, der ist ihr gut; hätte sie etwas Geld, er nähme sie gern!«

»Wie gefiele Euch Eures Nachbars Sohn?« fragte Fortunat die Jungfrau. »Ich will nicht wählen«, antwortete diese, »wen mir Vater und Mutter geben, den will ich nehmen, so ist es Brauch in unsrem Land!« Die Mutter konnte nicht schweigen: »Herr, sie sagt nicht die Wahrheit«, rief sie, »ich weiß, daß sie ihn lieb hat und von Herzen gern haben möchte!«

Sogleich sandte Fortunat nach dem Jüngling, und als dieser kam, gefiel er Fortunat vortrefflich. Er nahm daher den Beutel mit den vierhundert Dukaten und schüttete sie auf den Tisch. Dann sagte er zu dem Jungen, der auch nicht viel über zwanzig Jahre zählen mochte: »Willst du diese Jungfrau zur Ehe? – Und Ihr, Jungfrau, wollt Ihr den Jüngling zur Ehe? So will ich Euch dies wenige Geld als Mitgift geben!«

Der Jüngling erwiderte: »Wenn Euch die Sache ernst ist, mir ist sie recht!« Und sogleich wurden alle Vorbereitungen für eine feierliche Hochzeit getroffen.

Fortunat ging schließlich wieder in seine Herberge zurück. Leopold wunderte sich im stillen, daß sein Herr so freigebig war und das Geld geradezu wegwarf, während er vor kurzem noch so kläglich gejammert hatte über das Wenige, das ihm gestohlen worden war. Der Wirt aber ärgerte sich sehr, daß er den Beutel mit den vierhundert Dukaten nicht gefunden, obwohl er alle Säckel und Taschen durchsucht hatte. »Wenn der Mann so viel auszugeben hat«, murrte er bei sich selbst, »so werde ich ihm doch auch noch die Taschen leeren!«

Nun wußte der Halunke, daß sie des Nachts ein großes Kerzenlicht brennen ließen, das sie eigens zu diesem Zweck hatten machen lassen. Als sie nun einmal wieder bei des Kaisers Festen waren, schlich sich der Wirt abermals in ihre Kammer, bohrte Löcher in die Kerze, tat Wasser hinein und überklebte sie wieder, so daß die Kerze, nachdem sie zwei Stunden gebrannt hatte, von selbst erlöschen mußte. Beim Nachtessen gab er seinen Gästen den besten Wein, den er hatte, und meinte, sie sollten tüchtig darauf schlafen. Sie aber zündeten ihr Nachtlicht an, jeder legte sein Schwert an seine Seite, und dann glaubten sie ohne alle Sorge schlafen zu können.

Aber der Wirt schlief nicht, sondern als er das Licht erlöschen sah, kroch er durch das Loch, kam vor Leopolds Bett und fing an zu wühlen. Nun schlief aber Leopold in diesem Augenblick nicht. Schnell ergriff er sein Schwert und hieb nach dem Wirt, so daß dieser tot zusammenstürzte. Zornig rief Leopold den Knechten zu: »Warum habt ihr das Licht ausgelöscht?« Aber alle sagten, daß sie es nicht getan hätten. »Geh einer«, befahl er, »und zünde ein Licht an, die andern aber sollen sich mit Schwertern zur Tür stellen und niemand hinauslassen; denn es ist ein Einschleicher in der Kammer.« Ein Knecht lief sogleich fort und brachte ein Licht. Nun fanden sie den Wirt tot vor Leopolds Bett.

Als Fortunat das hörte, erschrak er. »O Gott«, stöhnte er, »bin ich nur nach Konstantinopel gekommen, um hier mein Gut aufs höchste zu gefährden und nun vielleicht mit all den Meinigen das Leben zu verlieren? O Leopold, hättest du ihn doch nur verwundet und nicht gleich getötet.«

»Es ist ja finster gewesen«, verteidigte sich der Ritter, »ich schlug nach dem Dieb, der uns schon früher bestohlen hatte. Da habe ich ihn leider tödlich getroffen. Wenn die Leute wüßten, über welcher Untat er totgeschlagen worden ist, so brauchten wir um unser Leben gewiß nicht besorgt zu sein.«

»Nein«, seufzte Fortunat, »wir bringen es gewiß nicht dahin, daß wir den Wirt zum Dieb stempeln; das lassen seine Freunde nicht zu, da hilft weder Rede noch Geld!« Und vor Angst zitterte er am ganzen Leib.

Der alte Leopold jedoch behielt noch einige Fassung. »Seid nicht so verzagt«, tröstete er, »da hilft kein Trauern. Die Sache ist geschehen, wir können den Dieb nicht wieder lebendig machen. Laßt uns nachdenken, wie wir uns helfen können!« Fortunat antwortete ihm, daß er keinen Rat wüßte.

»Folgt mir«, erwiderte Leopold, »und tut, was ich heiße. Ich denke Euch sicher wegzubringen.« Diese Worte des alten Leopold machten alle froh. Der Ritter nahm den toten Wirt auf seinen Rücken, trug ihn hinter die Herberge, wo ein tiefer Ziehbrunnen war, und warf ihn kopfüber hinein. Dann kam er wieder zu Fortunat und sagte: »Nun habe ich uns den Dieb vom Hals geschafft, so daß man eine gute Weile nicht wissen wird, wo er hingekommen ist. Darum seid guten Mutes!« Den Knechten aber befahl er: »Geht zu den Rossen, fangt zu singen an und sprecht von lustigen Dingen! So wollen wir es auch machen. Sobald es Tag wird, wollen wir fortreiten!«

Diese Worte trösteten Fortunat, er fing an, fröhlich zu tun, mehr als ihm zumut war. Auch die Knechte stellten sich heiter, und als sie die Rosse gerüstet hatten, riefen sie den Hausknechten und Hausmägden, schickten nach einem guten Trunk, ließen den Knechten zu guter Letzt einen Dukaten und den Mägden auch einen und waren guter Dinge. »Ich hoffe, wir kommen in einem Monat wieder«, versprach Leopold; »dann wollen wir erst lustig sein!« Fortunat aber trug den Knechten und Mägden auf: »Grüßt mir den Wirt und die Frau Wirtin.« Mit so harmlosen Reden saßen sie auf und ritten von Konstantinopel weg, setzten über den Bosporus und begaben sich nach Kleinasien.

Erst als Fortunat sah, daß er keine Furcht mehr zu haben brauche, fing er an, wieder lustig zu werden und Scherzreden zu treiben. Und nun ritten sie an des türkischen Sultans Hof, sahen seinen großen Reichtum und seine vielen Krieger. Fortunat fühlte sich dort nicht wohl. Es zog ihn in die Stadt der Lagunen, nach Venedig. So bereisten sie viele Länder, bis er wieder nach Venedig kam. Nun dachte er fröhlich: »Hier leben viele reiche Leute; hier darfst du endlich auch merken lassen, daß du Geld hast.« Er fragte nach allen möglichen Kostbarkeiten und ließ sie sich zeigen. Und so hoch der Preis war, nie ging er ohne Einkauf weg. Weil die Venezianer dadurch nicht wenig Geld einnahmen, wurde er überall sehr geehrt.

Bei alledem hatte Fortunat nicht vergessen, in welcher Armut er zu Famagusta seinen Vater Theodor und seine Mutter Gratiana zurückgelassen hatte. Darum ließ er schöne Gewänder anfertigen und Hausrat kaufen. Damit fuhr er auf einer Galeere nach Zypern und landete nach mehrwöchiger Seefahrt in seiner Heimat Famagusta. Es waren nun fünfzehn Jahre, daß er die Stadt verlassen hatte. Bald nach seiner Ankunft erfuhr er, daß sein Vater und seine Mutter gestorben seien. Dies betrübte ihn von Herzen. Er mietete nun ein großes Haus, ließ alle seine Habe dorthin bringen, dingte Knechte und Mägde und fing an, ein prunkvolles Haus zu führen. Jedermann wurde aufs beste von ihm bewirtet, und die Leute wunderten sich, woher sein großer Reichtum komme; denn viele von ihnen erinnerten sich noch, daß er in großer Armut fortgegangen war.

Fortunats nächste Sorge war, das Haus seines Vaters zurückzuerwerben. Dann brach er die alten Häuser ab und baute an deren Stelle einen wunderbaren Palast. In der Nähe des Palastes ließ er eine Kirche errichten und darin Gräber für seine Eltern einbauen. Als alles fertig war, nahm er sich vor, eine Gemahlin zu suchen. Als die Einwohner erfuhren, daß er heiraten wolle, putzte jeder seine Tochter aufs schönste und dachte: »Wer weiß, ob meine Tochter nicht das Glück hat, jenen reichen Mann zum Ehemann zu bekommen!«

Unweit von Famagusta wohnte ein Graf namens Nimian, der drei Töchter hatte, die schöner waren als viele Mädchen. Diesem riet der König von Zypern selbst, daß er trachten sollte, Fortunat zum Schwiegersohn zu erhalten; er selbst bot sich an, für ihn den Freiwerber zu machen. Der Graf aber wandte ein: »Mein König, er hat weder Land noch Leute; mag er immerhin viel bares Geld besessen haben, so seht ihr doch, wieviel er verbaut hat, was keine Zinsen trägt; bares Geld ist geschwind vertan!«

Der König antwortete: »Ich weiß, daß er viele kostbare Kleinode besitzt, womit man eine ganze Grafschaft kaufen könnte. Weil er so viele Länder bereist hat, wird auch seine Klugheit und Erfahrung nicht gering sein. Wenn er nicht genug besäße, hätte er gewiß keinen so herrlichen Palast. Mein Rat ist noch immer: Du gibst ihm eine deiner Töchter, und wenn es dir recht ist, so will ich anfragen lassen. Fortunat gefällt mir, und ich würde es gern sehen, daß er eine edle Gemahlin hätte.«

Der Graf dankte dem König und ritt nach Hause zu seiner Gemahlin, der er alles erzählte. Die Gräfin war nicht dagegen, nur schien ihr Fortunat nicht edel genug. Auch das war ihr nicht recht, daß Fortunat die Wahl unter den drei Jungfrauen haben sollte; denn eine der drei Töchter war ihr besonders lieb. Doch folgte sie ihres Gatten Willen und sandte die Mädchen samt Gefolge an den Hof des Königs von Zypern.

Hier wurden alle drei Töchter vom König und der Königin mit Ehren empfangen und in den höfischen Sitten unterwiesen, nachdem sie auch zuvor schon guten Unterricht genossen hatten. Eines Tages ließ der König Fortunat zu sich bescheiden. Dieser rüstete sich in aller Eile und ritt fröhlich zu Hof, wo er aufs beste empfangen wurde.

»Fortunat«, sprach ihn der König an, »du bist mein Untertan. Ich meine, du solltest mir in dem folgen, was ich dir rate; denn ich will dein Bestes. Ich weiß, daß du im Sinn hast, eine Frau zu nehmen. Ich fürchte aber, du könntest eine wählen, die mir nicht genehm ist; deswegen möchte ich dir gern eine Gemahlin geben, die deiner würdig wäre.«

Hierauf erwiderte Fortunat: »Gnädiger Herr, es ist wahr, ich will mir eine Gemahlin nehmen. Da ich aber sehe, daß Eure Majestät selbst so herablassend ist, mir mit Rat und hoher Vorsorge entgegenzukommen, so will ich mein ganzes Vertrauen auf die Gnade meines Herrn setzen.«

»Nun«, dachte der König bei sich selber, »hier habe ich es leicht, eine Ehe zu schließen.« Und laut sprach er zu Fortunat: »Ich weiß drei schöne Töchter, alle drei sind Gräfinnen. Die älteste ist achtzehn Jahre alt und heißt Gemiana, die zweite ist siebzehnjährig, ihr Name ist Marsepia; die dritte, die erst fünfzehn Jahre alt ist, heißt Kassandra. Unter diesen dreien will ich dir die Wahl lassen; deshalb sollst du eine nach der andern kennenlernen. Oder willst du sie lieber alle drei auf einmal sehen?« Fortunat bedachte sich nicht lange. »Großmächtiger König«, sagte er, »wenn Ihr mir die Wahl gebt, so möchte ich sie alle drei zugleich sprechen und jede reden hören.«

Sogleich ließ der König seine Gemahlin wissen, sie solle ihre Hofdamen bereithalten; er selbst werde unter ihnen erscheinen und einen Gast mitbringen. Die Königin tat dies alles wie geheißen, denn sie wußte, warum es geschah. Als der König dann mit Fortunat zu seiner Gemahlin gehen wollte, bat sich sein Gast die Gnade aus, seinen alten Freund und Diener Leopold mit sich nehmen zu dürfen; so gingen alle drei miteinander und betraten das Frauengemach.

Der König sprach: »Stellt mir die drei Jungfrauen Gemiana, Marsepia und Kassandra vor!« Die Mädchen standen auf, gingen durch den Saal und neigten sich dreimal, ehe sie vor den König traten.

Nach einigen kurzen Worten verabschiedete sich der König von der Königin und den übrigen Frauen und ging, gefolgt von Fortunat und Leopold, in seine Gemächer. Als sie in des Königs Zimmer zurückgekommen waren, sprach der König zu Fortunat: »Dein Wunsch ist erfüllt. Du hast alle drei gesehen und gehört. Nun sage, welche gefällt dir am besten?«

»Ach, gnädigster Herr«, erklärte Fortunat, »sie gefallen mir alle drei so gut, daß ich nicht weiß, welche ich wählen soll. Gönnt mir eine kleine Weile, damit ich mich mit meinem alten Diener Leopold beraten kann!« Der König bewilligte es, und beide entfernten sich.

Nun sagte Fortunat zu Leopold: »Du hast die drei Töchter so gut als ich gesehen und gehört! Nun rate mir so gut, als ob es deine eigene Sache beträfe.« Leopold erschrak über diese Worte. »Herr«, meinte er, »in dieser Sache ist nicht gut raten; denn dem einen gefällt oft ein Mädchen sehr, und seinem leiblichen Bruder gefällt es nicht. Der eine ißt gern Fleisch, der andere Fisch. Darum kann Euch in dieser Sache niemand besser raten als Ihr selbst. Doch nehmt eine Kreide und schreibt den Namen auf den Tisch an Eurer Ecke; ich will auf der andern Ecke meine Meinung hinschreiben!«

Fortunat stimmte zu. Jeder schrieb seine Meinung, und als sie es getan hatten und jeder des andern Schrift las, da hatten sie beide »Kassandra« geschrieben. Nun war Fortunat erst froh, daß seinem Leopold gefallen hatte, was ihm gefiel.

Sogleich eilte Fortunat wieder zum König und sprach: »Gnädiger Herr König! Mein untertäniges Begehren ist, daß Ihr mir Kassandra gebt!«

»Dir geschehe nach deinem Willen!« entgegnete der König und sandte sogleich zur Königin, daß sie zu ihm komme und die Jungfrau mit sich bringe.

Die Königin erschien mit Kassandra, und unverzüglich wurde die Trauung vollzogen. Aber die alte Gräfin war nicht vergnügt darüber, daß Fortunat die jüngste ihrer Töchter, die ihr gerade die liebste war, zur Frau erwählt hatte. Als ihr jedoch Leopold ein kostbares Geschenk übergab, ließ sie ihren Unmut fahren und begab sich mit ihrem Gatten zu dem König, der sie mit allen Ehren empfing und sich bereit erklärte, die Hochzeitsfeier auf seine Kosten abzuhalten. Aber Fortunat bat sich die Ehre aus, das Fest zu Famagusta in seinem neuen Palast feiern zu dürfen, ja, er wagte es, den König und die ganze königliche Familie in aller Bescheidenheit einzuladen. Der König erfüllte seinen Willen, und Fortunat ritt eilends nach Famagusta, um dort alles vorzubereiten.

Nach acht Tagen kam der König mit seiner Gemahlin und dem ganzen Gefolge, und es wurde ein herrliches Fest gefeiert. Am Morgen nach dem Fest stellten sich der König, sein Schwiegervater und seine Schwiegermutter bei Fortunat ein und forderten die Morgengabe für die Braut. Da erklärte Fortunat: »Land und Leute habe ich nicht, aber fünftausend bare Dukaten will ich ihr geben, dafür mag sie eine Burg mit Gebiet kaufen, damit sie einst versorgt ist.«

»Hier ist leicht Rat zu schaffen«, sprach der König; »weiß ich doch, daß der Graf von Ligorna dringend Geld braucht und Schloß und Flecken Lorgano, drei Meilen von hier, verkaufen muß, mit Land und Leuten und allen Liegenschaften.« Bald wurde auch der Kauf richtig gemacht, Fortunat erhielt Schloß, Flecken und Land um siebentausend Dukaten. Er machte seine Gemahlin zur alleinigen Besitzerin der Herrschaft.

Und als endlich aller Hochzeitstrubel vorüber war, ließ Fortunat seinen alten Reisegefährten Leopold rufen und stellte ihn vor eine dreifache Wahl. »Möchtest du heim, lieber Freund«, sprach er zu ihm, »so will ich dir vier Knechte geben, die dich geleiten sollen, und ich will dich dazu mit so viel Geld versehen, daß du zeitlebens dein Auskommen hast. Oder willst du hier zu Famagusta bleiben, so kaufe ich dir ein Haus und gebe dir so viel, daß du drei Knechte und zwei Mägde halten kannst und nie Mangel zu leiden brauchst. Oder willst du bei mir in meinem Palast wohnen und an allem teilhaben, so gut wie ich selber? Was du dir davon wählst, das sollst du haben.« Der alte Leopold dankte gerührt.

»Es ist mir nicht mehr möglich«, meinte er, »heimzureiten; ich bin alt und schwach und könnte unterwegs sterben. Käme ich aber auch heim, die Pyrenäen sind ein rauhes Gebirge, wo weder Wein noch edle Früchte wachsen, die ich jetzt gewöhnt bin. Daß ich meine Wohnung bei Euch nehmen soll, darf mir auch nicht in den Sinn kommen. Ich bin alt, Ihr habt eine junge, schöne Gemahlin. Darum wähle ich, wenn es Euch nicht unangenehm ist, das zweite, nämlich daß Ihr mir mein eigenes Hauswesen bestimmen mögt, worin ich mein Leben verbringen kann. Doch bitte ich, daß Ihr mich zu Rat zieht, solange uns das Leben gegönnt ist.«

Fortunat sagte dem Alten dies gern zu und nahm auch wirklich seinen Rat an. Er kaufte ihm ein eigenes Haus, gab ihm Gesinde, dazu alle Monate hundert Dukaten. Dem alten Leopold tat es wohl, daß er keinen Dienst mehr zu machen brauchte. Aber oft erschien er bei seinem jungen Freund. So pflegte er es ein halbes Jahr zu tun, dann wurde er krank, und es ging mit ihm zu Ende. Fortunat ließ seinen treuen Freund mit allen Ehren begraben.

Nach Jahren glücklicher Ehe erfreute Kassandra ihren Gatten mit einem Sohn, der in der heiligen Taufe den Namen Ampedo erhielt. Und nach Jahresfrist gebar ihm Kassandra einen zweiten Sohn, der Andolosius genannt wurde.

Zwölf Jahre hatte Fortunat mit seiner Gemahlin Kassandra in Liebe und Ruhe verlebt, da fing ihn der Aufenthalt in Famagusta zu langweilen an, wiewohl er alles hatte, was sein Herz begehrte. Er nahm sich vor, nachdem er in seiner Jugend alle europäischen Königreiche durchzogen hatte, auch die Länder der Heiden und Indien zu bereisen. Er erzählte seiner Gattin sein Vorhaben: weil er den halben Teil der Welt gesehen, wie er meinte – viele Erdteile waren noch nicht entdeckt –, so wolle er nun den andern Teil bereisen.

Kassandra erschrak darüber von Herzen und suchte ihn von seinem Vorsatz abzubringen. Es würde ihn gereuen, meinte sie. Wo er bisher umhergezogen, da hätten Christen gewohnt, auch er selbst sei noch jung und stark gewesen und hätte vieles ertragen können. Das sei jetzt nicht mehr so; das Alter vermöge nicht mehr, was der Jugend leicht falle. »Jetzt habt Ihr Euch gewöhnt, ein ruhiges Leben zu führen«, sagte sie. »Und hört Ihr denn nicht alle Tage, daß die Heiden nur darauf sinnen, die Christen um Leben und Gut zu bringen?« Dann fiel sie ihm um den Hals und bat ihn innig: »Allerliebster Fortunat, teuerster Gemahl, ich bitte Euch um Gottes willen, denkt an mich armes Weib und an Eure Kinder, schlagt Euch diese Reise aus dem Sinn und bleibt hier.« Kassandra weinte zu diesen Worten und war sehr traurig.

Fortunat suchte seine Gemahlin zu trösten: »Liebes Weib, verzweifle nicht! Es ist nur von einer kurzen Zeit die Rede; dann komme ich wieder heim. Und ich verspreche dir jetzt feierlich, daß ich dann nie mehr von dir scheiden will.«

Kassandra merkte, daß hier kein Bitten mehr half. Sie nahm daher ihre Kräfte zusammen und sprach: »Geliebter Mann, wenn es nicht anders sein kann, so komm bald wieder!«

Nun segnete Fortunat noch Weib und Kind und fuhr in seiner Galeere davon, die er sich zu diesem Zweck hatte bauen lassen. Nach einer glücklichen Fahrt kam er nach Alexandria in Ägypten. Sobald er sicheres Geleit hatte, um an Land zu gehen, verließ er das Schiff. Fortunat bat, daß man ihm Audienz beim Sultan ermögliche, damit er ihm sein Geschenk überreichen könnte. Bei der feierlichen Vorsprache fragte Fortunat, ob die Kleinode des Sultans Beifall fänden. Als dies bejaht wurde, ließ er den Sultan bitten, sie nicht zu verschmähen, sondern als ein Geschenk gnädig aufzunehmen. Der Sultan wunderte sich nicht wenig, daß ein Kaufmann ihm so viel verehren wollte. Schließlich nahm er das Geschenk an, glaubte jedoch, für ein so großes Geschenk dem Geber eine Gegengabe zusenden zu müssen. Daher schickte er hundert Zentner Pfeffer, die soviel wert waren wie Fortunats sämtliche Kleinode.

So war Fortunat schon einige Tage im Land, als er nun vom Sultan zu Gast gebeten wurde. Dies ärgerte die andern Kaufherren aus Europa, als sie dies erfuhren. Inzwischen kam die Zeit, an dem die Galeere von Alexandria in See stechen mußte; denn kein Schiff mit Kaufmannswaren durfte länger als sechs Wochen im Hafen bleiben. Fortunat wußte das. Er setzte an seiner Statt einen andern Kapitän ein, dem er befahl, mit der Galeere nach Spanien, Portugal, England und Flandern zu fahren und Handel mit dem überreichten Pfeffer zu treiben. Nach zwei Jahren sollte das Schiff wieder in Alexandria sein. Er selbst wollte noch zwei Jahre auf Reisen bleiben und es sich so einrichten, daß er zur festgesetzten Zeit auch wieder in Alexandria wäre. Träfen sie ihn dann nicht, so sollten sie annehmen, daß er nicht mehr am Leben sei. Dann sollte der Schiffsherr die Galeere samt dem Gut seiner Gemahlin Kassandra und seinen Söhnen nach Famagusta auf Zypern liefern. Dies versprach ihm der neuernannte Schiffskapitän.

Sobald sich Fortunat allein sah, bat er den Admiral um einen Geleitbrief und trat dann mit seinen Begleitern, aufs beste ausgerüstet, seine weitere Reise an.

Zuerst durchwanderten sie weite Wüsten, gelangten über Berge in das Land des Schahs von Persien, dann ging es in das Gebiet des großen Khans von Chaltei. Über kühne Hochpässe verlief der Reiseweg in das Tal des Indus und von dort durch Busch und Dschungel an den Indischen Ozean. Als Fortunat dies alles gesehen, dachte er mitleidig an seine Gemahlin Kassandra und seine beiden Söhne, und es kam ihn die Lust an, sie wiederzusehen. Er kehrte daher um und kam zur See nach der Stadt Lamecha in den heißen Gefilden Arabiens. Dort kaufte er sich ein Kamel und ritt durch die Wüste nach Jerusalem. Von da eilte er nach Alexandria, dem Sultan für alle Unterstützung Dank zu sagen, besuchte den Admiral wieder, freute sich des Wiedersehens, und wurde überall mit hohen Ehren empfangen. Mehrere Tage blieb er in Alexandria, da kam auch seine Galeere dahergefahren, mit kostbaren Waren beladen, dreimal so voll, als sie einstens Fortunat ausgesandt hatte. Er freute sich sehr, als er alle seine Leute frisch und gesund wiedersah, vor allem aber, daß sie ihm Briefe von seiner geliebten Gemahlin Kassandra mitbrachten.

Fortunat hatte nun keine Ruhe mehr; er ermunterte seine Leute, bestens zu verkaufen, um recht bald wieder in See stechen zu können. Aber der Sultan, der von der Eile hörte, wollte nicht haben, daß Fortunat abreise, ohne vorher mit ihm ausführlich gesprochen zu haben.

Als Fortunat die ungeheuren Schätze des Sultans staunend bewunderte, erklärte der Sultan: »Ich habe noch eine Seltenheit in meiner Schlafkammer, die mir lieber ist als alles, was Ihr bisher gesehen habt.«

»Was mag das sein«, fragte Fortunat, »das so köstlich wäre?«

»Ich will es Euch zeigen«, erwiderte der Sultan und führte ihn in sein Schlafgemach. Hier ging der Sultan zu einem Kasten, langte ein unscheinbares Filzhütchen, dem die Haare schon ausgegangen waren, hervor und erklärte Fortunat, dies sei sein größter Schatz.

Fortunat fragte sogleich neugierig: »Gnädigster Herr, wenn es nicht wider die Ehrfurcht ist, die ich Euch schuldig bin, so möchte ich gerne wissen, was das Hütlein vermag, das Ihr so hochschätzt.«

»Das will ich Euch sagen«, erwiderte der Herrscher. »Das Hütlein hat die Eigenschaft, wenn ich oder ein anderer es aufsetzt, so ist er sofort dort, wo er zu sein wünscht!«

»O könnte ich den Hut haben!« dachte Fortunat; »er paßte gar zu gut zu meinem Säckel!« Dann wandte er sich an den Sultan: »Ich glaube, da der Hut eine so große Kraft hat, muß er auch recht schwer sein und nicht übel drücken!«

»Nein«, antwortete der Gefragte, »er ist nicht schwerer als ein anderer Hut!« Der Sultan hieß ihn sein Barett abziehen, setzte ihm das Hütchen selbst aufs Haupt und sagte: »Nicht wahr, es ist nicht schwerer als ein anderer Hut?«

»Wirklich«, meinte Fortunat, »ich hätte nicht geglaubt, daß der Hut so leicht sei und Ihr so töricht, ihn mir aufzusetzen!« – Und in diesem Augenblick wünschte er sich auf seine Galeere, wo er auch auf der Stelle war. Kaum befand er sich darin, ließ er die Segel aufziehen und fuhr davon.

Als der Sultan merkte, daß ihm Fortunat sein liebstes Kleinod entführt habe, und er zugleich, am Fenster stehend, die Galeere wegfahren sah, wußte er vor Zorn nicht, was er tun sollte. Er bot alle seine Söldner auf, Fortunat nachzueilen und ihn gefangenzunehmen. Seine Leute fuhren ihm auch auf der Stelle nach, aber die Galeere war nicht mehr zu sehen. Nachdem sie ihr einige Tage nachgesegelt waren, kehrten sie unverrichteter Dinge zurück.

Der Sultan hätte sein Kleinod gar zu gern wiedergehabt, und doch wußte er nicht, wie er es anfangen sollte. Schließlich entschied er sich, eine feierliche Botschaft an Fortunat nach Zypern zu schicken und bat den Vorsteher der Christen, Marcholandi, diese Reise zu unternehmen. Dieser erklärte sich dazu bereit. Sogleich ließ ihm der Sultan ein Schiff ausrüsten und es mit christlichen Seeleuten bemannen. Dann befahl er ihm, nach Famagusta zu segeln und Fortunat zur Herausgabe des Hütleins zu bewegen. Er wollte diesem dafür eine Galeere voll edler Gewürze senden. Wenn aber Fortunat die Herausgabe verweigere, sollte der Schiffshauptmann es dem König von Zypern klagen und ihn bitten, daß er Fortunat zwinge, dem Sultan sein geraubtes Kleinod zurückzuschicken.

Der Hauptmann versprach, die Botschaft auszurichten und allen Fleiß darauf zu verwenden, wofür ihm der Sultan reiche Belohnung verhieß.

So fuhr Marcholandi nach Zypern und landete im Hafen von Famagusta. Fortunat war zehn Tage vor ihm eingetroffen. Zärtlich wurde der Weltreisende von seiner Gemahlin Kassandra empfangen, und er selbst empfand große Freude, als er glücklich wieder daheim war. Die ganze Stadt war froh mit ihm.

Marcholandi wunderte sich nicht wenig, als er mit seiner Galeere ans Land kam und die ganze Stadt so vergnügt sah. Fortunat aber, der hörte, daß eine Botschaft des Sultans von Alexandrien nach Famagusta gekommen sei, konnte sich wohl denken, worum es sich handelte. Nach einigen Tagen kam der Schiffshauptmann zu Fortunat in seinen Palast und richtete seine Botschaft aus. »Der König, Sultan von Babylon, zu Alt-Kairo und Alexandria«, begann er, »mein allergnädigster Herr, entbietet dir, Fortunat, seinen Gruß durch mich, den Hauptmann der Christen zu Alexandrien, Marcholandi. Er ersucht dich, du wollest ihm sein wertvollstes Kleinod zurücksenden.«

Auf dieses Ersuchen antwortete Fortunat: »Mich wundert, daß der Sultan nicht klüger war, als er mir erklärte, was für eine Eigenschaft das Hütchen habe, und daß er mir's so unbedenklich auf mein Haupt setzte. Übrigens bin ich durch das Hütchen in große Angst und Not gekommen, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Denn meine Galeere stand auf der offenen See, als ich mich in das Schiff hinein wünschte. Hätte ich es nur einen Fußbreit verfehlt, so wäre ich ums Leben gekommen. Und darum bin ich gesonnen, das Wunschhütlein als geringe Vergütung für die ausgestandene Todesangst zu behalten, solange ich lebe.«

»Fortunat, laßt Euch raten!« drängte Marcholandi. »Wozu kann Euch das Kleinod nützen? Ich will Euch etwas anderes dafür verschaffen, das Euch und Euren Kindern viel nützlicher sein soll als das abgeschabte Hütlein. Ich verspreche Euch, daß der Sultan Eure Galeere mit dem besten Gewürz, Pfeffer, Ingwer, Muskatnüssen und Zimmetrinden voll beladen wird, bis auf hunderttausend Dukaten an Wert.«

Auf diesen Vorschlag antwortete Fortunat ganz kurz: »Mir ist nichts werter als des Sultans Freundschaft und die Eure, aber das Hütlein gebe ich nicht her.«

Mit dieser Stellungnahme begab sich Marcholandi zum König von Zypern und bat ihn, mit Fortunat zu unterhandeln, denn er fürchte, wenn Fortunat das Wunschhütlein nicht herausgebe, könnte daraus ein Krieg werden. Der König antwortete dem Schiffshauptmann: »Hat der Sultan etwas gegen Fortunat zu klagen, so mag er ihn vor Gericht belangen; dann soll ihm alle Genugtuung widerfahren.«

Marcholandi erkannte, daß die Heiden hier nichts ausrichten würden, machte seine Galeere wieder abfahrbereit und fuhr unverrichteter Dinge nach Hause.

Nachdem Fortunat der Welt Glück in Fülle genossen hatte, begann er ein ruhiges Leben zu führen, ließ seine Söhne mit großem Aufwand erziehen und hielt ihnen Fachleute, die sie in allem Ritterspiel unterrichteten, wozu besonders der jüngere Sohn, Andolosius, große Neigung zeigte. Bei jedem ritterlichen Stechen tat sich dieser besonders hervor und gewann den Preis, so daß alle sagten: »Andolosius bringt das ganze Land zu Ehren!«

Viele Jahre lebten sie glücklich; da verfiel die schöne Kassandra in eine Krankheit und starb trotz aller ärztlichen Hilfe. Fortunat kränkte sich darüber so sehr, daß seine Kräfte von Tag zu Tag abnahmen. Man berief die besten Ärzte und versprach ihnen die herrlichste Belohnung, wenn sie helfen könnten. Aber sie waren machtlos, Fortunat sah sein Ende vor Augen. Er ließ daher seine beiden Söhne Ampedo und Andolosius kommen und sprach zu ihnen: »Meine lieben Söhne, ich fühle, daß mein Ende nahe ist. Darum will ich euch sagen, wie ihr euch nach meinem Tod verhalten sollt, damit ihr bei Ehre und Vermögen bleibt, wie ich es bis an mein Ende geblieben bin.« Dann erzählte er ihnen, welche Eigenschaft der Glückssäckel habe. Ebenso teilte er ihnen das Geheimnis des Wunschhütleins mit und befahl, diese Kleinode nicht voneinander zu trennen und niemand etwas von dem Säckel zu sagen. »Denn«, schloß er, »ich habe den Säckel sechzig Jahre lang gehabt und keinem Menschen davon je ein Wörtlein gesagt. Noch eines muß ich euch befehlen, liebe Söhne: ihr sollt zu Ehren einer Jungfrau, von der ich mit diesem glückhaften Säckel beschenkt worden bin, jedes Jahr einer armen Tochter vierhundert Goldstücke zur Brautgabe schenken, an dem Ort, wo sich der eine von euch gerade mit dem Säckel befindet. Lebet wohl und lebt in Frieden!«

Das waren die letzten Worte Fortunats, bevor er seinen Geist aufgab. Die Söhne bestatteten ihren Vater mit großen Ehren in der Kirche, die er selbst gebaut hatte.

 

Da Fortunats jüngerer Sohn Andolosius während des Trauerjahrs sich nicht mit Turnieren und anderem adeligen Zeitvertreib vergnügen durfte, war er über seines Vaters Büchern gesessen und hatte darin gelesen, was für weite Reisen dieser gemacht hatte. Das erweckte in ihm solche Reiselust, daß er sich vornahm, ebenfalls auf die Wanderung zu gehen. Er sprach daher zu seinem Bruder Ampedo: »Lieber Bruder, wir wollen die Welt sehen und nach Ehren trachten, wie unser Vater es auch getan hat.«

Ampedo erwiderte seinem Bruder ruhig: »Wer wandern will, der wandere! Mich gelüstet es gar nicht darnach; mir gefällt es hier am besten. Laß mich in Famagusta bleiben und mein Leben in dem schönen väterlichen Palast beschließen!« Andolosius gab zurück: »Wenn du das willst, so laß uns die Kleinode teilen.«

»Willst du wirklich das Gebot unseres Vaters übertreten?« fragte Ampedo unwillig. »Weißt du nicht, daß sein letzter ernstlicher Wille war, daß wir die Kleinode nicht voneinander trennen sollen?« Andolosius entgegnete: »Was schert mich diese Rede! Er ist tot, ich aber lebe noch und will meinen Teil.« Ampedo bemerkte hiezu: »So nimm das Hütlein und gehe, wohin du willst!«

»Nein, nimm du es selbst«, widersprach Andolosius, »der Säckel bleibt mir!« So konnten sie nicht einig werden; denn jeder wollte den Säckel haben.

Endlich glaubte Andolosius die Lösung gefunden zu haben: »Jetzt weiß ich, wie wir es machen sollen, daß des Vaters Wille doch erfüllt wird. Laß uns aus dem Säckel zwei Truhen mit Goldgulden füllen, die behalte du hier für dich. Da magst du leben damit, so herrlich du willst, du kannst sie dein Leben lang nicht verzehren. Dazu behalte auch das Hütlein bei dir, damit du dein Vergnügen daran hast. Mir aber überlaß den Säckel! Ich will wandern und nach Ehren trachten. Wenn ich sechs Jahre auf Reisen war und wiederkomme, will ich dir den Säckel auf sechs Jahre überlassen. Auf diese Weise haben wir ihn doch gemeinsam und benützen ihn miteinander.«

Ampedo war ein nachgiebiger Mensch; er ließ sich den Vorschlag seines Bruders gefallen. Als Andolosius den Säckel hatte, freute er sich von Herzen. Er nahm Abschied von seinem Bruder und verließ Famagusta mit vierzig wohlgerüsteten Mannen auf einer neuen Galeere. Als er nach Überquerung des Mittelmeeres in Frankreich angekommen war, stieg er an Land und ritt zuerst an den Hof des Königs von Frankreich. Hier ließ er seinen Reichtum jedermann genießen, weswegen er auch bei aller Welt beliebt war. Bei allen Ritterspielen tat er sich hervor und war auch bei den Frauen gern gesehen.

Andolosius kam auf seiner Weiterfahrt glücklich in die große Stadt London, wohin vor vielen Jahren sein Vater aus Flandern geflohen war. Hier mietete er ein großes Haus und fing an Hof zu halten, als ob er ein Herzog wäre. Als dem König von England das zu Ohren kam, ließ er ihn fragen, ob er nicht an seinen Hof ziehen wolle. Andolosius dankte und wollte es mit Freuden tun und dem König gern mit Leib und Gut dienen. Nun war gerade zu jener Zeit ein Krieg mit dem König von Schottland ausgebrochen. Da zog Andolosius nebst großem Gefolge auf seine eigenen Kosten mit dem englischen König ins Feld und verrichtete so manche ritterliche Tat, daß er bald in hohem Ansehen stand.

Das Kriegsglück war dem schottischen König nicht hold, und deshalb bemühte er sich um einen Frieden. Andolosius kam wieder nach London zurück und wurde vom König, seiner Gemahlin und seiner Tochter Agrippina, der schönsten Jungfrau in ganz England, empfangen. Da wurde Andolosius von so inniger Liebe zu der Königstochter ergriffen, daß er schwermütig zu sich selbst sprach: »Wollte Gott, daß ich von königlichem Geschlecht wäre! Wie wollte ich da um die Liebe der schönen Agrippina ringen!«

»Soviel ich höre«, bemerkte Agrippina, »seid Ihr an Königshöfen gewesen; habt Ihr denn keine Frau gefunden, die Euch gefallen hätte?«

»Ja«, erwiderte er, »ich habe an sechs Königshöfen gedient, habe manche schöne Frau gesehen, aber, gnädigste Prinzessin, Ihr übertrefft sie alle weit an Lieblichkeit, Ihr habt mein Herz so in Liebe entzündet, daß ich Euch nicht lassen kann. Ich weiß, es ist Unsinn, Eure Liebe zu begehren, da ich nicht so vornehm geboren bin wie Ihr. Ich flehe Euch an, versagt mir Eure Liebe nicht! Was Ihr von mir verlangen mögt, das soll Euch gewährt werden.«

Darauf erwiderte Agrippina: »Andolosius, sag mir die Wahrheit, woher du diesen Reichtum und das viele bare Geld hast. Wenn du mir das sagst, so wird sich dir mein Herz zuneigen!« Der Jüngling war unbeschreiblich froh; freudig rief er: »Ich will Euch die volle Wahrheit berichten; aber gelobt mir, Euer Versprechen treu zu halten!«

»O du liebster Andolosius«, antwortete sie, »du sollst an meiner Liebe nicht zweifeln; was dir mein Mund verhieß, soll die Tat erweisen.«

Auf diese Worte der Jungfrau zögerte Andolosius nicht länger mit seiner Entdeckung, zog seinen glückhaften Säckel heraus, zeigte ihn dem Fräulein und sagte: »Solang ich diesen Säckel habe, wird es mir an Geld nicht fehlen!« Bei diesen Worten fing er an, ihr tausend Goldstücke in den Schoß zu zählen, und erklärte: »Ich schenke sie Euch, wollt Ihr mehr haben, so zähle ich noch weiter.« Agrippina rief: »Jetzt wundert mich Euer kostspieliges Leben nicht mehr! Und nun will ich Euch auch mein Wort halten. Der König und die Königin sind heute abend nicht im Schloß. Daher will ich Euch in meinem Gemach empfangen, da wollen wir ein wenig miteinander plaudern. Aber der Kämmerin müßt Ihr auch ein schönes Geschenk machen, damit sie verschwiegen bleibt.«

Andolosius versprach dies mit jauchzendem Herzen und entfernte sich. Sobald er gegangen war, lief Agrippina zu ihrer Mutter und berichtete jubelnd, was sie erfahren hatte. Sie erzählte ihr auch, daß sie Andolosius verheißen habe, ihn diesen Abend zu empfangen. Zufrieden fragte die Königin: »Weißt du noch, Kind, was für eine Gestalt, Farbe und Größe der Säckel hatte?«

Sogleich ließ die Königin nach ihrer Tochter Beschreibung einen Säckel verfertigen, das Leder machten sie recht weich, als ob der Beutel schon alt wäre. Dann wurde ein starkes Getränk bereitet, dessen Genuß den Trinker in einen tiefen Schlaf versenken sollte. Als der Trunk zugerichtet war, unterwiesen sie die Kämmerin, am Abend Andolosius freundlich zu empfangen und in der Prinzessin Zimmer einzulassen. Hier sollte ihm Speise vorgesetzt und zuletzt der Trank in seinen Becher geschüttet werden.

Andolosius kam wie verabredet und wurde in Agrippinas Zimmer geführt. Diese grüßte ihn holdselig und setzte sich neben ihn. Süße Speisen wurden aufgetragen und ein goldener Pokal eingeschenkt. Diesen ergriff Agrippina, neigte sich zu ihrem Gast und sprach: »Andolosius, ich bringe Euch einen freundlichen Trunk.« Der Jüngling erhob sich, faßte den Becher mit Begierde und trank der Gastgeberin zu. So brachte sie ihm einen Trunk nach dem andern dar, bis er den zubereiteten Trank ausgetrunken hatte. Hernach verfiel er in einen tiefen Schlaf. Als Agrippina das sah, riß sie ihm das Wams vom Leib, trennte seinen Zaubersäckel ab und nähte den nachgemachten an seine Stelle.

Am andern Morgen brachte Agrippina den Säckel der Königin, und sie versuchten, ob er auch der richtige wäre. Mit dem ersten Griff zogen sie zehn Goldkronen aus dem Ledersack, und nun zählten sie soviel Goldgulden heraus, als sie wollten. Die Königin brachte dem König einen ganzen Schoß voll Gulden und erzählte ihm, wie sie mit Andolosius verfahren seien. Der König hätte den Säckel gern besessen und bat seine Gemahlin, die Tochter zu bewegen, daß sie ihn ihrem Vater übergebe, damit er nicht verlorengehe. Die Königin tat dies, aber Agrippina wollte ihn nicht herausgeben. Da bat die Mutter, wenigstens ihr den Säckel anzuvertrauen. Aber Agrippina wollte auch das nicht tun.

Als Andolosius erwachte, war es heller Morgen. Er sah niemand um sich als die alte Kammermeisterin. Diese fragte er, wo Agrippina sei. »Sie ist eben erst aufgestanden«, erwiderte die Alte; »meine gnädige Frau, die Königin, hat nach ihr gesendet. Aber, mein Herr, Ihr habt so fest geschlafen, daß ich gar nicht merkte, ob Euch der Atem noch ging. Mir war schon bange, Ihr möchtet gestorben sein!«

Als Andolosius hörte, daß er die Gegenwart der schönen Agrippina verschlafen habe, fing er an, sich selbst zu verfluchen. Die Kammerfrau wollte ihn beruhigen und meinte: »Seid doch nicht so trostlos! Es wird wohl wieder eine ruhige Stunde kommen, wo Ihr sie sprechen könnt!« Aber Andolosius verwünschte die Alte. In seinem Quartier angelangt, riß er sein Wams auf und zog seinen Säckel heraus; er wollte seinem Diener Geld für Einkäufe geben. Aber als er nach alter Gewohnheit in den Säckel griff, spürte er nichts in seiner Hand. Er kehrte dem Geldsäckel das Innere nach außen; aber da war kein Geld mehr. Nun bekam er es mit der Angst zu tun und dachte an die Lehre, die sein Vater Fortunat auf dem Totenbett gegeben hatte, daß sie, solang sie lebten, niemand von dem Säckel sagen sollten. Nun war es zu spät, mit seinem Reichtum war es zu Ende.

Da berief er alle seine Leute und sprach: »Es sind nun bald zehn Jahre, daß ich euer Herr bin. Nun aber ist die Zeit gekommen, daß ich nicht mehr hofhalten kann. Ich entbinde euch deshalb eures Treueides, tue ein jeder, was ihm das beste dünkt. Ich habe kein Geld mehr außer hundertundsechzig Kronen. Davon schenke ich jedem von euch zwei, überdies mag jeder Roß und Harnisch behalten.«

Über diese Worte erschraken die Diener sehr. Sie konnten sich nicht erklären, wohin der Reichtum ihres Herrn auf einmal gekommen sei. Dann sagte einer: »Lieber Herr, wir wollen Euch nicht verlassen, sondern Rosse, Harnische und alles, was wir haben, verkaufen und bei Euch bleiben.«

»Ich danke euch allen für eure Treue, ihr lieben Leute«, antwortete Andolosius; »wenn sich das Glück wieder zu mir kehrt, soll euch das alles reichlich vergolten werden. Jetzt aber tut, was ich euch gesagt habe, und sattelt mir sogleich mein Pferd; ich will nicht, daß einer von euch mit mir reite.« Traurig brachten sie ihm sein Pferd, und er nahm von ihnen allen Abschied, saß auf, ritt an die Küste und nahm mit einem Segler den nächsten Weg nach Famagusta zu seinem Bruder Ampedo.

Als Ampedo seinen Bruder Andolosius sah, empfing er ihn mit herzlicher Freude, fragte ihn jedoch, warum er so allein komme und wo er sein Gefolge gelassen habe. Der aber erwiderte: »Ich habe alle entlassen; gottlob, daß ich selbst wieder heimgekommen bin!«

»Lieber Bruder«, fragte Ampedo, »wie ist es dir denn ergangen? Es gefällt mir gar nicht, daß du so allein gekommen bist!«

»Liebster Bruder, ich muß dir leider eine böse Nachricht verkünden. Mir ist es schlecht ergangen; ich bin um den Glückssäckel gekommen. Ach Gott, mir ist es herzlich leid, aber es läßt sich nicht ändern.«

Ampedo erschrak zutiefst und fragte jammernd: »Ist er dir mit Gewalt genommen worden, oder hast du ihn verloren?« Andolosius antwortete: »Ich habe das Gebot, das uns unser teurer Vater als Vermächtnis hinterließ, übertreten und einer geliebten Frau davon gesagt. Sobald ich ihr's geoffenbart, hat sie mich darum gebracht; das hätte ich von ihr nicht erwartet!«

»Ach, hätten wir das Gebot unseres Vaters gehalten«, jammerte Ampedo, »und die Kleinode nicht voneinander getrennt!« Andolosius aber seufzte: »Lieber Bruder, es schmerzt mich so sehr, daß ich lebensüberdrüssig bin!«

Als Ampedo diese Worte hörte, wollte er ihn trösten und erklärte: »Laß es dir nicht so zu Herzen gehen! Wir haben noch zwei Truhen voller Dukaten, dann haben wir ja auch noch das Hütlein. Laß uns deshalb dem Sultan schreiben; er gibt uns gewiß noch immer sehr viel für den Zauberhut, dann haben wir genug, solang wir leben. Darum, Bruder, schlag dir den Säckel aus dem Sinn!« Aber Andolosius erwiderte: »Mein Wunsch wäre, du gäbest mir das Hütlein, dann hätte ich Hoffnung, damit auch den Säckel wiederzugewinnen!«

Ampedo machte große Augen zu diesem Vorschlag und schalt: »Ein Sprichwort heißt: ›Wer sein Gut verliert, der verliert den Verstand‹. Das merke ich an dir, Bruder. Nachdem du uns um das Säcklein gebracht hast, möchtest du uns auch gern um das Hütlein bringen. Aber ohne mein Einverständnis darfst du es nicht forttragen.«

»Gut«, dachte Andolosius, »ich sehe schon, daß ich es anders anpacken muß!« – »Nun, Bruder«, erklärte er, »von nun an will ich nach deinem Willen leben!«

Daraufhin kam ihm ein einleuchtender Gedanke: er schickte Ampedos Knechte in den Forst, eine Jagd vorzubereiten; er selbst wolle ihnen bald nachkommen. Als sie weg waren, sagte er zu Ampedo: »Leih mir das Hütlein, ich will in den Forst.« Der Bruder brachte ihm das Hütlein. Aber sobald es Andolosius auf dem Kopf hatte, ließ er Forst Forst sein und wünschte sich, in der Hafenstadt Genua zu sein. Hier ließ er die besten und köstlichsten Kleinodien, die zu finden waren, in seine Herberge bringen. Er legte sie in ein Tuch zusammen, als wolle er versuchen, wie schwer sie wären, dann setzte er sein Hütlein auf und fuhr mit ihnen davon, ohne zu zahlen. »Ich werde sie schon bezahlen, wenn ich meinen Säckel wieder habe«, dachte er. Und wie er es in Genua getan, so machte er es dann noch in Florenz und in Venedig. So brachte er ohne Geld die köstlichsten Kleinode der drei Städte zusammen. Dann zog er nach London.

Andolosius wußte, von welcher Seite her die Prinzessin Agrippina allsonntäglich zur Abtei kam. Er errichtete daher eine Bude an der Straße und legte dort seine Kostbarkeiten aus. Es währte nicht lange, so erschien die Prinzessin mit ihrem Gefolge, auch die alte Kammermeisterin, die ihm den Schlaftrunk gereicht hatte, war darunter. Andolosius erkannte sie wohl, sie aber ihn nicht; denn er hatte eine andere Nase auf die seine geklebt. Als Agrippina vorüber war, nahm Andolosius zwei schöne Ringe und beschenkte die Kammerfrauen, die stets um Agrippina waren. Er bat sie, es doch zuwege zu bringen, daß die Prinzessin ihn holen lasse; dann wolle er so köstliche Kleinode mitbringen, wie sie gewiß noch keine gesehen hätten. Sie versprachen, es zu tun. Als die Prinzessin aus der Kirche kam, zeigten sie ihr die zwei wertvollen Ringe und erzählten ihr, der Edelsteinhändler vor der Kirche habe sie ihnen geschenkt, er habe eine Auswahl der köstlichsten Juwelen. »Heißt ihn herkommen«, sagte die Prinzessin, »ich möchte gern seine Schätze beschauen.«

Auf der Stelle wurde Andolosius beschieden, seine Kleinode in einem Saal vor Agrippinas Zimmer auszulegen. Sie gefielen der Prinzessin sehr. So wählte sie denn aus, was ihr am besten gefiel, große und kleine, wohl zehn Stück. Der Juwelier rechnete zusammen. Es machte bei fünftausend Goldstücke aus; aber so viel wollte sie ihm nicht geben. Andolosius dachte: »Nun, ich will mich nicht mit ihr herumstreiten, brächte sie nur den Säckel herbei!« und so wurden sie handelseins um viertausend Kronen.

Die Prinzessin nahm die Kleinode, ging in ihre Kammer, wo sie den Glückssäckel aufbewahrte, und steckte ihn vorsichtig in ihren Gürtel. Dann kam sie ahnungslos heraus und wollte die Edelsteine bezahlen. Da wußte es der »falsche« Juwelier so einzurichten, daß sie neben ihn zu stehen kam, und als sie das Geld zu zählen begann, umfing er sie mit starken Armen. Das Wunschhütlein hatte er auf dem Kopf, gleich wünschte er sich mit ihr in eine wilde Wüste.

Kaum hatte er den Wunsch gedacht, so waren die beiden durch die Luft geflogen und kamen zunächst auf einer armseligen Insel unter einem Baum an, der voll schöner Äpfel hing. Als die Prinzessin unter dem Baum saß, während die Kleinode noch in ihrem Schoß lagen und der Glückssäckel in ihrem Gürtel hing, sah sie auf und erblickte so viele schöne Äpfel zu ihren Häupten. Erstaunt fragte sie den Juwelier: »Ach Gott, wie sind wir denn hierher gekommen? Ich bin so schwach; gib mir doch einen von diesen Äpfeln zur Erfrischung!« Die Prinzessin wußte aber noch immer nicht, daß es Andolosius sei, mit dem sie sprach.

Nun legte dieser die Kleinode, die er selbst bei sich hatte, in ihren Schoß, das Wunschhütlein setzte er ihr auf den Kopf, damit es ihn am Besteigen des Baums nicht hindere und kletterte den Baum hinauf, um zu sehen, wo die besten Äpfel hingen. Währenddessen seufzte Agrippina: »Ach Gott, wenn ich doch wieder in meiner Schlafkammer wäre!« Kaum hatte sie dieses Wort gesprochen, fuhr sie durch die Lüfte davon und kam ohne allen Schaden wieder in ihre Schlafkammer. Der König und die Königin samt allem Hofgesinde fragten, wo sie denn gewesen und wo der Juwelier sei. Das Mädchen antwortete: »Ich habe ihn unter einem Baum gelassen. Fragt mich nicht weiter, ich muß ruhen; denn ich bin sehr müde geworden.«

Andolosius, der auf dem Baum saß, mußte mit ansehen, wie Agrippina mit dem Hütlein und allen Kleinodien dazu, die er in den großen Städten aufgebracht hatte, durch die Lüfte dahinfuhr. Er verfluchte den Baum, die Früchte und alle Welt. »Verwünscht sei die Stunde«, schrie er, »in der ich geboren ward, alle Tage und Stunden, die ich gelebt habe! Verflucht der Tag und die Stunde, wo ich Agrippina zuerst gesehen habe!«

Inzwischen wurde es so finster, daß er nichts mehr sah. Da legte er sich verzweifelt unter den Baum und wäre am liebsten tot gewesen.

Sobald es Tag wurde, stand er auf und ging mutlos ein Stück auf dieser einsamen Insel in den weiten Meeresflächen weiter, konnte aber niemand sehen. Da kam er zu einem Baum, auf dem schöne rote Äpfel hingen. Nun hungerte ihn sehr, und in der Not warf er einen Stein nach dem Baum, daß zwei große Äpfel herabfielen, die er rasch aß. Aber kaum hatte er sie verzehrt, da wuchsen ihm zwei große Hörner. Er lief mit den Hörnern wider die Bäume und wollte sie abstoßen, aber es war alles vergebens. Da schrie er: »O ich armer, elender Mensch, ist denn niemand da, der mir hilft, wieder unter Menschen zu kommen?«

Sein jämmerliches Schreien hörte ein Einsiedler, der schon dreißig Jahre in dieser Wildnis wohnte und seither keinen Menschen gesehen hatte. Der ging dem Geschrei nach, kam zu Andolosius und fragte ihn: »Du armer Mensch, was suchst du in dieser Einsamkeit?«

»Lieber Bruder«, antwortete jener, »mir tut es leid, daß ich hergekommen bin!« Dann bat er den Waldbruder, ob er nichts zu essen hätte. Der Einsiedler sprach zu ihm: »Ich will dich an einen Ort weisen, wo du Speise und Trank genug findest.« Dann fragte Andolosius: »Was soll ich denn mit den Hörnern anfangen, die ich habe? Man wird mich für ein Meerwunder ansehen!« Der Alte brach von einem Baum zwei Äpfel und sagte: »Mein Sohn, iß diese!« Andolosius tat es, und sogleich waren die Hörner verschwunden.

»Lieber Bruder«, bat Andolosius, »erlaubt mir, daß ich ein paar von diesen Äpfeln mit mir nehme!« Der Waldbruder erwiderte: »Mein Sohn, nimm dir, soviel du willst!«

Andolosius pflückte mehrere Äpfel, die Hörner wachsen ließen und auch etliche, von denen sie vergingen. Dann sprach er zu dem Bruder: »Jetzt zeigt mir den Weg zu Menschenkindern!« Da führte ihn der Einsiedler auf einen Pfad und sagte: »Geradeaus kommt Ihr zu einem Dorf, wo Ihr zu essen und zu trinken findet!«

Dort zeigten ihm die Leute einen Seehafen, wohin Schiffe aus England und Schottland kämen. Er machte sich auf der Stelle dorthin auf und fand ein Schiff, das nach London fuhr, wo er bald glücklich ankam.

In London ließ er sich ein Auge verkleistern und setzte eine Perücke auf, so daß er ganz unkenntlich war. Dann nahm er ein Tischchen und setzte sich wieder vor die Westminsterabtei, wo Agrippina an einem Sonntagmorgen vorbeikommen mußte. Da legte er die Äpfel auf ein schönes weißes Tuch und rief: »Wer kauft Äpfel aus Damaskus?« und wenn ihn jemand fragte, wie teuer er einen gebe, so sagte er: »Um drei Kronen!« Da gingen alle, weil sie ihnen zu teuer waren, vorüber, und es wäre ihm auch leid gewesen, wenn sie jemand gekauft hätte.

Nun kam die Prinzessin mit ihren Jungfrauen sowie der Kammermeisterin. Da rief er abermals: »Kauft Äpfel aus Damaskus!« Die Prinzessin fragte: »Wie teuer gibst du einen?« Er antwortete: »Um drei Kronen!«

»Was haben sie denn Köstliches, daß du sie so teuer bietest?« forschte sie. »Sie geben dem Menschen Schönheit«, erklärte er, »und klaren Verstand.« Als die junge Königstochter dies hörte, befahl sie ihrer Kammermeisterin, zwei von den Äpfeln zu kaufen. Darauf legte Andolosius seine Ware wieder zusammen, denn niemand wollte ihm mehr etwas abkaufen.

Zu Hause angelangt, aß die Prinzessin sogleich die beiden Äpfel. Sofort wuchsen ihr unter heftigem Kopfweh zwei mächtige Hörner, so daß sie sich zu Bett legen mußte. Als die Hörner ausgewachsen waren, ließ der Schmerz nach. Da es ihr nicht gelang, das Geweih abzubrechen, rief sie zwei Jungfrauen vom Hof. Als diese ihre Herrin so entstellt sahen, bekreuzigten sie sich, als ob sie der böse Geist wäre. Die Prinzessin aber war so erschrocken, daß sie nicht reden konnte.

Die jungen Mägdlein zogen aus Leibeskräften an den Hörnern, und Agrippina litt es geduldig, aber es half nichts. Darum wurde sie immer bekümmerter, weinte und klagte. Eine ihrer Jungfrauen tröstete sie: »Gnädigste Prinzessin, Ihr sollt nicht so verzagen! Habt Ihr die Hörner bekommen, so müssen sie auch wieder verschwinden können! Laßt die gelehrtesten Ärzte holen, vielleicht wissen sie die Ursache eines solchen Gewächses und womit es vertrieben werden kann.«

Die Prinzessin war damit einverstanden und befahl: »Erzählt nur niemand davon, daß ich es bin, der die Hörner gewachsen sind, und wenn jemand nach mir fragt, so sagt, ich sei krank. Laßt niemand zu mir als die alte Kammermagd!« Dann ließ sie bei den Ärzten Umfrage tun, aber die Sache so schildern, als ob einer Freundin der Prinzessin zwei Hörner gewachsen seien; sie wolle wissen, ob diese zu kurieren wären. Die Ärzte wunderten sich sehr, daß einem Menschen Hörner wachsen sollten. Jeder wollte mit großer Neugierde die Befallene sehen. Die alte Kammermeisterin aber, die zu den Ärzten gesandt worden war, wehrte ab: »Ihr könnt die Frau nicht sehen, außer wenn Ihr zu helfen wißt. Wer das kann, soll reich belohnt werden.« Aber keiner wagte den Versuch. Da machte sich die Botin auf den Rückweg nach dem königlichen Hof.

Unterwegs begegnete ihr Andolosius, der sich als Doktor verkleidet hatte und einen roten Scharlachrock und ein großes rotes Barett trug. Auch hatte er sich durch eine künstliche Nase entstellt. »Liebe Frau«, redete er sie an, »ich höre, daß Ihr bei drei Ärzten gewesen seid. Habt Ihr ein Anliegen, so sagt mir's; denn ich bin auch Arzt. Es müßte ein ganz eigenartiges großes Gebrechen sein, daß ich es nicht zu vertreiben wüßte.

Die Hofmeisterin erzählte ihm nun den Fall. »Könnt Ihr der Person helfen«, schloß sie, »so wird sie Euch reich belohnen.« Der Doktor begann freundlich zu lächeln und erwiderte: »Die Sache kenne ich, verstehe auch die Kunst, Hörner schmerzlos zu vertreiben – aber Geld kostet es. Ich kenne nämlich auch die Ursache, woher diese Hörner kommen.« Der Doktor erklärte: »Es kommt daher, wenn ein Mensch dem andern große Untreue antut und sich über seine Bosheit freut, diese Freude aber nicht öffentlich äußern darf. Dann muß es auf einem andern Weg ausbrechen, und ein solcher Mensch kann von Glück sagen, wenn es sich auf diese Weise nach oben ausstößt. Wäre es bei der Frau nicht ausgebrochen, so hätte sie sterben müssen; die Hörner wären nach innen gewachsen und hätten ihr das Herz durchstoßen.«

Mit unaussprechlicher Freude ging die Hofmeisterin zu ihrer betrübten Prinzessin. »Gnädigstes Fräulein«, rief sie ihr entgegen, »seid fröhlich! Eure Sache wird sich bald zum Besten wenden!« Dann erzählte sie ihr, wie die drei Ärzte sie ungetröstet hatten gehen lassen; darnach aber habe sie einen Arzt gefunden, der habe sie getröstet und seine Hilfe versprochen. »Er hat mir auch gesagt«, schloß die alte Kammermeisterin, »aus welcher Ursache solche Hörner entspringen, und ich mag's ihm wohl glauben!«

Die arme Prinzessin lag auf dem Bett und fragte ungehalten: »Warum hast du ihn denn nicht gleich mitgebracht? Du weißt ja, daß ich, je eher je lieber, die Hörner los wäre. Geh gleich und führe ihn her; sag ihm, daß er alles mitbringen soll, was zur Heilung gehört. Bring ihm auch gleich die hundert Kronen da; braucht er mehr, so gib ihm, soviel er begehrt!«

Die Hofmeisterin ging sogleich zu dem Doktor und richtete ihren Auftrag aus. Der Doktor erklärte: »Ich will mit Euch gehen, nur muß ich vorher alles kaufen, was zu der Operation vonnöten sein wird. Darum wartet hier auf mich oder kommt in zwei Stunden wieder!«

So ging der Doktor mit der großen, häßlichen Nase in die Apotheke. Dort ließ er sich einen halben Apfel mit Zucker und Rhabarber überziehen, fügte wohlschmeckende Dinge hinzu, kaufte auch ein wenig wohlriechende Salbe und kam wieder zu der Hofmeisterin, die auf der Straße auf ihn wartete. Sie führte ihn bei Nacht zu der Prinzessin.

Agrippina lag auf ihrem Bett hinter den Vorhängen und erwartete ungeduldig den Arzt. Dieser redete sie an: »Hohes Fräulein, faßt Mut, mit meiner Kunst soll Euer Leiden bald in Ordnung sein. Nur richtet Euch auf und laßt mich Euer Gebrechen sehen und anfühlen, dann kann ich Euch um so besser helfen!« Agrippina schämte sich sehr, daß sie die Hörner sehen lassen sollte. Doch setzte sie sich aufrecht im Bett hin. Der Doktor rührte die Hörner an und sprach: »Man muß jedes Horn mit einer Salbe bestreichen und dann ein Säcklein aus einem warmen Pelz von einer Affenhaut darumbinden.«

Sogleich gab die Kammermeisterin den Auftrag, daß ein alter Affe geschlachtet und die Haut gebracht würde. Dann wurden die zwei Säcklein nach des Arztes Rat gemacht. Nun fing dieser an, die Hörner mit dem Affenschmalz zu bestreichen, zog die Pelzsäcklein darüber und bemerkte: »Erhabenes Fräulein, was ich jetzt den Hörnern getan habe, wird sie bald weich machen. Sie müssen aber auch durch innerliche Mittel vertrieben werden; deswegen habe ich eine Arznei mitgebracht, die eßt und schlaft darauf. Ihr werdet bald sehen, daß die Sache sich bessert.«

Agrippina tat wie eine Kranke, die gern gesund werden möchte. Was ihr der Doktor gab, war jener halbe Apfel, der die Kraft hatte, die Hörner zu vertreiben. Nach einiger Zeit sprach der Doktor: »Laßt sehen, ob die Arznei schon gearbeitet hat«, und griff an die Pelzsäcklein am Ende der Hörner. Da waren sie um ein Viertel kleiner geworden. Darüber freute sich Agrippina sehr und bat den Doktor, in der Heilung fortzufahren. »Heute nacht komme ich wieder«, erklärte er, »und bringe mit, was not tut.« Er ging in die Apotheke, ließ wieder einen halben Apfel überziehen und ihm einen andern Geschmack geben. Den brachte er der Prinzessin, bestrich ihr die Hörner, ließ die Säcklein kleiner machen, daß sie fest anlagen, und gab ihr den Apfel, worauf sie einschlief. Als sie wieder aufwachte, waren die Hörner fast ganz verschwunden. Freudestrahlend bat Agrippina den Doktor, nicht zu erlahmen, sie wolle ihm seine Arbeit gut belohnen.

Während sie schlief und er nachdenklich an ihrem Lager saß, kam die Hofmeisterin mit einem Licht und wollte sehen, was die Prinzessin mache. Der Doktor hatte sein Barett abgezogen, das ihm plötzlich entfiel. Wie er sich nun bückte, um es aufzuheben, sah er unter dem Bett das Wunschhütlein liegen, auf das niemand achtete, weil niemand seine Kraft kannte. Die Prinzessin wußte auch nicht, daß sie durch die Kraft des Hütleins wieder heimgekommen war. Auf der Stelle schickte der Doktor die Kammermeisterin nach einer Arzneibüchse, und während sie diese holte, hob er das Hütlein im Nu auf, steckte es unter seinen Rock und dachte: »Nun muß ich den Säckel auch wieder bekommen!« Da erwachte die Prinzessin und richtete sich auf. Der Doktor zog ihr die Säcklein von den Hörnern, die schon ganz klein geworden waren, worüber die Prinzessin große Freude empfand.

Weil nun der Doktor das Hütlein hatte, dachte er, es wäre Zeit, mit Agrippina zu reden, und ließ die Worte fallen.: »Gnädiges Fräulein, Ihr seht, wie sehr sich Eure Sache gebessert hat. Nun kommt es nur mehr darauf an, die Hörner aus der Hirnschale zu vertreiben. Dazu gehören besondere Sachen. Da geht aber viel Geld auf. Auch möchte ich gern wissen, was Ihr mir zu Lohn geben wollt, wenn Ihr die Hörner ganz los werdet und Euere Stirn so glatt wird als zuvor.«

Die Prinzessin erwiderte: »Ich sehe, daß Eure Kunst die rechte ist, und bitte Euch, helft mir und spart kein Geld!« Da gab der Doktor zur Antwort: »Ihr sagt mir wohl, ich soll kein Geld sparen! Wenn ich aber keins habe?«

Agrippina ging zur Truhe, die bei ihrem Bett stand und in der sie ihre wertvollsten Kleinode und auch den Säckel aufbewahrte, der an einen starken Gürtel gebunden war; diesen gürtete sie um den Leib und ging zu einem Tisch. Hier fing sie an zu zählen. Als sie dreihundert Kronen abgezählt hatte, suchte der Doktor unter seinem Rock, als ob er einen Beutel hervorholen wolle, um das Geld hineinzutun. Dann setzte er sein Wunschhütlein auf, faßte die Prinzessin um den Leib und wünschte sich mit ihr in einen wilden Wald, wo keine Leute wären. Und was er wünschte, das geschah auf der Stelle durch die Kraft des Hütleins.

Als Agrippina entführt war, lief die alte Kammermeisterin zu der Königin und berichtete ihr den Vorfall. Ein Tag und eine Nacht verstrichen, ohne daß die Prinzessin zurückgekehrt wäre. Nun ging die Königin traurig zu ihrem Gemahl und erzählte ihm alles.

Der König erklärte: »Das ist ein weiser Doktor, der kann mehr als andere! Es ist niemand anderer als Andolosius, den ihr so betrogen habt! Ich hätte mir wohl denken können, daß ihm der Himmel auch Weisheit zu seinem Glück verliehen habe. Das Glück will einmal, daß er den Säckel besitze und sonst niemand! Hätte das Glück es anders gewollt, so hätte ich oder sonst einer auch einen solchen Säckel. Hätten wir nur unsere Tochter wieder!«

Die Königin erwiderte: »Herr, sendet doch Boten aus, die sie suchen sollen, damit sie nicht in Armut und Elend umkommt!«

»Boten sende ich keine aus«, betonte der König; »denn es wäre eine Schande für uns, wenn es bekannt werden würde, daß wir sie nicht besser behütet haben.«

Als Andolosius mit Agrippina in der wilden Gegend allein war, warf er den Doktorrock von sich, zog die häßliche Nase ab und trat vor die schöne Agrippina. Sie erkannte ihn auf der Stelle und erschrak so, daß sie kein Wort hervorbringen konnte, denn er machte ein zorniges Gesicht und tat, als wolle er sie umbringen. Auch zog er ein Messer hervor und schnitt ihr den Gürtel vom Leib, riß sein Wams auf und steckte den Säckel ein. Die Jungfrau zitterte vor Angst. Andolosius aber rief zornig: »Du falsches, ungetreues Weib, jetzt habe ich dich, jetzt will ich dir so treu sein wie du mir, als du mir den Säckel abtrenntest und einen falschen an die alte Stelle setztest. Jetzt sollen dir deine Mutter und deine alte Kammermeisterin helfen und mir einen Trank zubereiten, damit du mich betrügen kannst! O Agrippina, wie konntest du es übers Herz bringen, so falsch zu sein! Ich hätte mein Herz und meine Seele, Leib und Gut mit dir geteilt! Wie konntest du einen ehrlichen Ritter in so großes Elend bringen, ohne Erbarmen mit ihm zu haben?«

Agrippina wußte vor Schrecken nicht, was sie sagen sollte. Sie sah zum Himmel auf und fing endlich mit bangem Herzen zu reden an: »Strenger Ritter Andolosius! Ich bekenne, daß ich übel an Euch gehandelt habe. Ich bitte Euch, haltet es meinem Leichtsinn zugute, der von Natur mehr den Weibern als dem männlichen Geschlecht eigen ist. Behandelt mich nicht allzu schlimm; tut Gutes für Übles, wie sich für einen Ritter ziemt!« Doch Andolosius erwiderte: »Nein, die Wunde ist noch zu frisch in meinem Herzen, als daß ich dich straflos lassen könnte. Ein Zeichen hast du noch von mir, das mußt du bis in dein Grab behalten, damit du stets an mich denkst.«

Agrippina hatte bisher in solcher Angst um ihr Leben geschwebt, daß sie die Hornansätze, die ihr noch auf dem Kopf standen, ganz vergessen hatte. Jetzt, als Andolosius sie der Sorge für ihr Leben enthoben hatte, kam sie wieder zu sich und sprach: »Ach, daß ich meine Hörner los und in meines Vaters Palast wäre!« Als Andolosius sie so flehen hörte, zog er schnell das Wunschhütlein an sich, das nicht weit auf der Erde lag.

So konnte Agrippina wohl merken, daß sie das erstemal durch die Kraft des Hütleins gerettet worden war. Seufzend dachte sie: »Nun hast du die beiden Kleinode in deiner Gewalt gehabt und doch wieder verloren!« Doch ließ sie Andolosius ihren Ärger nicht merken, sondern begann, ihn freundlich zu bitten, daß er sie von den Hörnern befreien und zu ihrem Vater bringen möge. Er aber wies sie kurz ab: »Du sollst die Hörner behalten, solang du lebst!«

Als Agrippina sah, daß kein Bitten fruchtete, sprach sie: »Muß ich denn meine Hörner behalten und verunstaltet bleiben, so will ich auch nicht wieder nach England zurückkehren, sondern ich wünsche, daß mich kein Mensch mehr sieht, selbst Vater und Mutter nicht. Darum führt mich an einen Ort, wo mich kein Mensch kennt. Bringt mich in ein Kloster, damit ich von der Welt nichts sehe!«

Da führte er sie nach Hibernien,Irland nicht weit von Sankt Patricius' Fegefeuer, in ein ehrwürdiges Frauenkloster, in dem nur Edelfrauen waren. Hier ließ er sie an der Klosterpforte warten, ging zu der Äbtissin und sagte ihr, er habe eine edle Jungfrau mitgebracht, die schön und gesund sei, nur daß sie am Kopf ein Gewächs habe, dessen sie sich schäme und weswegen sie nicht bei ihren Freunden bleiben wolle. »Sie wollte an einem Ort sein«, schloß er, »wo man sie nicht kennt; wolltet Ihr sie aufnehmen, so würde ich Euch die Kosten dreifach bezahlen.« Hierauf erwiderte die Äbtissin: »Es sind zweihundert Kronen zu erlegen; denn ich halte einer jeden Klosterfrau eine Magd und gebe ihnen, was sie brauchen. Wollt Ihr wirklich dreifach bezahlen, so bringt mir die Jungfrau her!«

Andolosius brachte Agrippina herbei. Die Äbtissin empfing sie freundlich, und die Prinzessin dankte ihr mit Anstand.

Andolosius verabschiedete sich dann von der Äbtissin, während Agrippina ihn bis zur Pforte begleitete. Hier schluchzte sie: »O strenger Ritter, denkt an mich und gebt mir bald mein früheres Aussehen wieder; denn solange ich die Hörner habe, bin ich nicht fähig, der Welt noch Gott zu dienen!« Andolosius gingen die Worte wohl zu Herzen, doch gab er ihr nur kurz zur Antwort: »Was Gott will, das geschehe!« Damit ging er seines Weges. Agrippina schloß weinend die Pforte und kehrte ins Kloster zurück.

Als der Ritter von Agrippina geschieden war, setzte er sein Hütlein auf und wünschte sich, in Venedig, Florenz und Genua zu sein. In allen drei Städten berief er die Juweliere, denen er die Kleinode weggenommen hatte, und bezahlte sie alle bar. Darnach fuhr er mit Pferden und Knechten zu Schiff vergnügt wieder zu seinem Bruder nach Famagusta auf Zypern.

Als Ampedo seinen Bruder daherreiten sah, begrüßte er ihn voll Freude. Nachdem sie fröhlich miteinander getafelt hatten, fragte er ihn, wie es ihm gegangen sei. Da erzählte ihm Andolosius, wie er zu dem Verlust des Säckels auch noch um das Hütlein gekommen sei. Ampedo erschrak darüber so sehr, daß ihm die Sinne schwanden, ehe sein Bruder ausgesprochen hatte. Dieser brachte ihn aber bald wieder zu sich und berichtete ihm dann weiter, wie er durch List neuerlich in den Besitz beider Kleinode gekommen sei. »Darum sei nicht traurig, Bruder!« rief er und band den Säckel vom Wams ab, zog das Hütlein aus seinem Kleidersack, legte ihm beides hin und forderte ihn auf: »Lieber Bruder, nun nimm beide Kleinode und vergnüge dich damit! Ich will es dir von ganzem Herzen gönnen und nichts dreinreden.« Ampedo aber entgegnete: »Ich will vom Säckel nichts wissen. Ich sehe, wer ihn hat, der muß immer Angst und Not ausstehen.« Als Andolosius diese Worte hörte, war er über den Besitz des Säckels froh und dachte: »Ich will ihm von meinem andern Unglück lieber gar nichts sagen, sonst könnte er zu Tode erschrecken!«

Eines Tages jedoch wünschte Andolosius das Zauberhütchen von seinem Bruder auf kurze Zeit, um sich in die Wildnis zu begeben, wo die Äpfel zu finden waren, von denen die Hörner wuchsen und wieder verschwanden. Augenblicklich war er dort und fand die Bäume voll schöner Äpfel. Nun wußte er nicht mehr, welches der schädliche und welches der heilsame Baum war. Er mochte nur ungern einen essen, und doch wollte er auch nicht ohne die Äpfel wieder davonziehen. Daher aß Andolosius einen Apfel von dem einen Baum, da wuchs ihm ein Horn, dann einen vom andern, da verschwand es wieder. Von diesem nahm er etliche und fuhr mit ihnen nach dem Kloster. Hier fragte er nach Agrippina; denn er hätte mir ihr zu reden.

Die Äbtissin erkannte Andolosius beim ersten Gruß und ließ Agrippina rufen. Diese erschrak über die Ankunft des Ritters; denn sie wußte nicht, warum er gekommen war. Andolosius aber sagte: »Erlaubt, ehrwürdige Mutter, daß die Jungfrau allein mit mir rede.« Die Äbtissin erlaubte es gern. Da ging er mit ihr an eine einsame Stelle und fragte sie: »Agrippina, sind dir die Hörner noch ebenso zuwider wie damals, als ich von dir schied?«

»Ja«, entgegnete sie, »je länger, desto mehr.«

»Wo möchtest du hin?« fragte er weiter, »wenn du sie los wärst?« Sie erwiderte: »Wo sollte ich anders hin wollen als zu meinen Eltern?« Darauf sprach Andolosius freundlich zu ihr: »Agrippina, Gott hat dein Gebet erhört.« Damit gab er ihr einen Apfel zu essen, hieß sie ein wenig ruhen und dann wieder aufstehen. Da waren die Hörner gänzlich verschwunden.

Die Magd, die ihr beigegeben war, konnte ihr nun zum erstenmal die Locken flechten und das Haupt zieren; so geschmückt kam sie vor die Äbtissin. Alle wunderten sich über ihre Schönheit und daß ihr die leidigen Hörner gänzlich vergangen waren.

Hierauf zahlte Andolosius der Äbtissin hundert Kronen aus und dankte ihr, daß sie Agrippinen so gut gehalten. Dann verabschiedeten sie sich und verließen das Kloster. Sobald Andolosius auf das freie Feld kam, setzte er sein Hütchen auf und führte die Prinzessin an des Königs Palast. Von dort kehrte er wieder nach Famagusta zu seinem Bruder und seinen Dienern zurück.

Der König und die Königin waren überaus glücklich, als sie Agrippina wieder vor sich sahen, auch alle andern freuten sich mit ihnen. Es wurde ein Fest gegeben, weil die verlorene Tochter wiedergefunden war. Bald darauf wurde dem König gemeldet, daß Boten vom König von Zypern kämen, mit großem Gefolge, ihn für seinen Sohn um die Hand der jungen Prinzessin Agrippina zu bitten.

Als dies die Königin vernahm, fiel es ihr schwer, daß sie ihre Tochter so weit fortlassen und noch dazu einem Mann geben sollte, von dem man nicht wüßte, ob er der rechte sei.

Nach langer Beratung faßte der Kronrat den Beschluß, dem Antrag stattzugeben, Eltern und Prinzessin Agrippina willigten ein.

Nach der offiziellen Vermählung ließ der König Schiffe rüsten, die junge Prinzessin wurde mit köstlichen Gewändern und Kleinodien ausgestattet und ihr ein Gefolge von Frauen und Jungfrauen beigegeben. Als die Schiffe beladen waren, nahm die junge Fürstin Abschied von ihren Eltern, kniete vor ihnen nieder und bat um den Segen.

Bei günstigem Wind segelte Agrippina nun nach Zypern, wo ihr ein glänzender Empfang zuteil wurde. In Medusio erwartete sie der junge König mit prächtigem Gefolge und geleitete sie in den königlichen Palast, der aufs schönste geschmückt war. Hier begann erst ein bewegtes Leben. Alle Fürsten und Herren, die dem Zepter des Königs von Zypern gehorchten, kamen geritten und brachten köstliche Gaben dar. Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauerten sechs Wochen, und jedermann lebte während dieser Zeit in Überfluß.

Die Herren und Fürsten aber hielten während der ganzen Zeit nichts als Rennen, Turniere und ähnliche Belustigungen ab, und alle Abende gab man dem den Preis, der am Tag das Beste getan hatte. In diesen Turnieren warb auch Andolosius um den Preis und tat sich in allen ritterlichen Spielen hervor, so daß Frauen und Männer ihm denselben zuerkannten. Schließlich aber wurde der Siegespreis ehrenhalber einem anwesenden Ritter, dem Grafen Theodor von England, verliehen. Doch sprach alles Volk: »Andolosius hätte es eher verdient.«

Das hörte auch Graf Theodor, und es ärgerte ihn nicht wenig. Ihn plagte der Neid; deswegen überlegte er, wie er wohl Andolosius Schaden zufügen oder ihn ganz aus dem Weg räumen könnte, damit er nicht mehr Grafen und Edelleute übertreffen könnte.

Als die Festlichkeiten vorüber waren und Andolosius heim nach Famagusta reiten wollte, hatte der Graf eine Schar bestellt. Die überfiel Andolosius aus einem Hinterhalt, erstach seine Diener und führte ihn selbst auf eine Insel in das Schloß des Grafen von Limosi, wo er wohl bewacht wurde, so daß er nicht entkommen konnte. Zwar bot Andolosius seinen Wächtern viel Geld, wenn sie ihm zur Flucht behilflich wären, aber sie trauten ihm nicht und meinten, wenn er davonkäme, würde er ihnen doch nichts geben, Andolosius aber durfte ihnen den Säckel nicht zeigen, denn er fürchtete, sie würden ihm diesen nehmen und hätten doch keine Verwendung dafür.

Bald erfuhr Ampedo, daß sein Bruder vermißt werde. Auf der Stelle sandte er Boten zum König und ließ ihn bitten, nach seinem Bruder zu forschen. Der König versprach, alles aufzuwenden, um seinen Aufenthalt zu erkunden; erfahre er, wo Andolosius festgehalten werde, so wolle er ihn befreien, und sollte es sein halbes Reich kosten. Ampedo aber dachte, der Säckel sei die Ursache, daß er seinen Bruder verloren habe, und nun würde man auch ihn zwingen, das Hütlein, das er habe, herauszugeben.

»Nein, das soll nie geschehen!« rief er, und im Zorn nahm er das kostbare Hütlein, zerhackte es in Stücke, warf es ins Feuer und blieb dabei stehen, bis es zu Asche verbrannt war. Trotz allen Bemühungen konnte er nichts über das Schicksal seines Bruders erfahren. Da verfiel er in tiefen Kummer und endlich in eine tödliche Krankheit, so daß ihm kein Arzt helfen konnte. Bald darauf starb er.

Der König ließ ausrufen, wer sichere Nachricht bringe, wo Andolosius versteckt gehalten werde, dem wolle er tausend Dukaten geben, möge jener lebendig oder tot sein. Aber die Täter hielten reinen Mund. Inzwischen nahm der Graf von Limosi Urlaub vom König und reiste in sein Schloß, wo Andolosius in einem tiefen Turm gefangensaß. Andolosius freute sich, als er den Grafen sah; denn er hoffte auf Barmherzigkeit. Er bat ihn um seine Freiheit, ohne zu wissen, wessen Gefangener er sei oder warum er in so harter Haft gehalten würde. Aber der Graf sprach: »Andolosius, du bist mein Gefangener und wirst mir sagen, woher du das viele Geld hast, das du das ganze Jahr über ausgibst; mach deine Aussage bald, sonst will ich dich martern lassen, daß du froh sein wirst, wenn du es mir sagen darfst!«

Als Andolosius das hörte, erschrak er und wurde ganz verzagt. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Endlich gab er an, in seinem Hause zu Famagusta sei eine versteckte Grube, die habe ihm sein Vater gezeigt, als er am Sterben gewesen. Wieviel Geld er auch daraus nehme, es sei immer noch mehr darin. Wollte der Graf ihn also gefangen nach Famagusta führen, so sei er bereit, ihm die Grube zu zeigen. Dem Grafen wollte das nicht genügen, und er ließ ihn foltern. Andolosius erduldete es lange, doch blieb er bei seiner Aussage. Aber der Graf fuhr mit der Folter fort und ließ ihn so grausam peinigen, daß Andolosius vor Schmerzen nicht länger schweigen konnte, sondern von der Kraft des Säckels zu bekennen anfing.

Als der Graf das hörte, nahm er ihm den Säckel, versuchte ihn gleich und fand ihn ergiebig. Daraufhin ließ er den armen Andolosius wieder in den Kerker setzen und begab sich vergnügt wieder an des Königs Hof zu seinem Gesellen, dem Grafen Theodor. Dieser empfing ihn mit Freuden, und sie unterhielten sich lange über Andolosius. Da sprach Graf Theodor: »Ich habe an des Königs Hof vernommen, daß er ein Schwarzkünstler ist und durch die Lüfte fahren kann. Wenn er entkommt und man erfährt, wie wir ihn behandelt haben, fallen wir beim König in Ungnade, oder Andolosius nimmt uns noch das Leben. Am besten wäre es, wenn er tot wäre.« Darauf erwiderte der Graf von Limosi: »Er ist so sicher gefangen, daß er uns keinen Schaden zufügen kann.«

Dann traten sie zusammen und nahmen aus dem Säckel, soviel sie wollten, und jeder hätte gern den Säckel in seiner Gewalt gehabt. Endlich wurden sie darüber einig, daß ihn jeder von beiden ein halbes Jahr haben sollte. Wer aber den Säckel hätte, sollte es dem andern nicht an Geld fehlen lassen. Nun war Graf von Limosi der ältere, der sollte den Säckel das erste halbe Jahr haben. Aber soviel Geld die beiden Grafen jetzt auch hatten, so durften sie es doch nicht verwenden, damit kein Verdacht auf sie falle. Und Graf Theodor setzte seinem Spießgesellen immer zu, Andolosius wäre besser tot als lebendig.

Eines Tages beurlaubte sich Graf Theodor von dem König unter dem Vorgeben, er wolle fremde Länder aufsuchen, was ihm auch vom König gestattet wurde. Er aber zog nach der Insel Limosi. Hier ließ er sich den Kerker öffnen, in dem Andolosius gefangen war. Dieser lag angekettet in dem finsteren Gelaß. Arme und Beine waren ihm erschlafft. Als er Graf Theodor erblickte, faßte er Mut und meinte, der Graf von Limosi habe den Grafen Theodor gesandt, damit er ihn freilasse. Er dachte: »Da sie den Säckel jetzt haben, so fragen sie nicht mehr viel nach mir.« Da fing der Graf an: »Sag, Andolosius, hast du nicht noch so einen Säckel, wie du meinem Gesellen einen gegeben hast?«

»Gnädiger Herr Graf« ächzte Andolosius, »ich habe keinen; hätte ich aber noch einen, solltet Ihr ihn haben.«

Höhnisch erwiderte der Graf: »Willst du jetzt an dein Seelenheil denken? Warum hast du es nicht getan, solang du Hoffart vor dem König und der Königin triebst? Wo sind nun die schönen Frauen, denen du so wohl gedient hast? Die dir den Preis gaben, die sollen dir jetzt helfen! Ich sehe, daß du gern aus dem Gefängnis kämst. Warte nur, ich will dir bald heraushelfen!«

Nach diesen Worten führte er den Knecht, der des Gefangenen Hüter war, beiseite und wollte ihm fünfzig Dukaten geben, damit er Andolosius töte. Aber der Wächter wollte es nicht tun. »Er ist ein braver Mann«, sagte er, »und schon sehr schwach, seine Tage sind gezählt. Ich will die Sünde nicht auf mich laden.« Da fuhr ihn der Graf an: »So gib mir einen Strick, ich will ihn selbst erwürgen.« Aber auch das wollte der biedere Knecht nicht tun. So nahm nun Graf Theodor seinen Gürtel, warf ihn Andolosius um den Hals und drehte den Gürtel mit seinem Dolch zu. So erwürgte er den Armen und gab dem Knecht Geld, damit er den Leichnam fortschaffe. Am nächsten Tag reiste er nach Zypern und begab sich zu dem Grafen von Limosi. Der fragte ihn, wie ihm die Reise gefallen hätte. »Gar wohl«, erwiderte jener. Dann erkundigte sich der Graf leise, wie es um Andolosius stehe. »Habt keine Sorge«, lächelte Theodor, »daß wir noch Schaden von ihm zu erwarten haben. Ich habe ihn umgebracht. Ich hatte keine Ruhe, bis ich wußte, daß er tot sei.«

So sprach der Bösewicht und meinte, er habe alles gut ausgerichtet. Drei Tage griffen sie nun nicht in den Säckel. Mit ihnen war auch das halbe Jahr zu Ende, und der Säckel sollte auf den Grafen Theodor übergehen. Daher ging dieser vergnügt zu dem Grafen Limosi und bat ihn um den Zaubersäckel; vorher möge er aber Geld herausnehmen, soviel er wolle, damit er das nächste halbe Jahr davon zehren könne. Graf Theodor war dazu bereit, doch sagte er: »Ich weiß nicht, wie mir ist, aber wenn ich den Säckel in die Hand nehme, so erbarmt mich Andolosius. Ich wollte, du hättest ihn nicht getötet, er wäre selbst bald gestorben!«

Graf von Limosi holte den Säckel aus einer Truhe hervor und legte ihn auf den Tisch. Graf Theodor nahm den Säckel in die Hand und wollte zu zählen anfangen, wie er es früher oft getan hatte. Sie wußten nicht, daß der Säckel die Kraft verloren hatte, weil beide Brüder, Ampedo und Andolosius, gestorben waren. Da sie aber kein Geld aus dem Säckel herausbrachten, sah einer den andern verdutzt an.

Endlich sprach Graf Theodor mit grimmigem Zorn: »Du Schuft, willst du mich betrügen und mir für den richtigen Säckel einen falschen geben? Sofort bring mir den richtigen Säckel!« Graf von Limosi versicherte, daß dies der rechte sei und er keinen andern habe. Wie es zugehe, daß er kein Geld mehr herausziehe, begreife er nicht. Aber diese Antwort genügte Graf Theodor nicht; er wurde immer zorniger und zog schließlich vom Leder. Als der Graf von Limosi das sah, griff er auch zur Waffe. Beide begannen sich zu schlagen, daß die Diener zusammenliefen, die Kammer aufstießen und ihre Herren voneinander trennten.

Aber Graf von Limosi war tödlich verwundet. Dies sahen seine Diener und ergriffen den Gegner.

Bald erreichte die Kunde den König und den Hof, daß die zwei Grafen, die sonst immer die besten Freunde gewesen waren, sich auf Leben und Tod geschlagen hätten. Der König befahl, man solle beide unverzüglich gefangennehmen und vor ihn bringen; er wolle den Grund der Uneinigkeit kennenlernen. Als man des Königs Gebot ausführen wollte, war es nicht mehr möglich, den todwunden Limosi von der Stelle zu schaffen. So wurde Graf Theodor allein vor den König geführt.

Anfangs verstockt, zwang ihn die Folter, und so gestand er, wie sie mit Andolosius umgegangen waren. Erzürnt fällte der König ohne langes Bedenken das Urteil, man solle sie mit dem Rad hinrichten. Und wenn Graf von Limosi schon tot wäre, so solle man den Leichnam noch auf das Rad flechten.

Dieses Urteil wurde an den beiden Mördern ungesäumt vollstreckt. Es war der gerechte Lohn für ihre Schandtat. Nach der Hinrichtung schickte der König sogleich seine Söldner auf die Insel Limosi und gab Befehl, die ganze Insel zu beschlagnahmen. Den Leichnam des armen, gequälten Andolosius ließ der König in allen Ehren bestatten und befahl, den unglücklichen Menschen, dessen Wohlstand nicht auf Arbeit und Erfolg, sondern auf Glück und Zufall aufgebaut war, im Friedhof des Domes von Zypern zu beerdigen.

Ein schlichter Grabstein erzählt heute noch, was vor Jahrhunderten dort geschehen ist.


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