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Jetzt legte es Pallas Athene der Königin in die Seele, vor den Freiern zu erscheinen, einem jeden von ihnen sein Herz recht mit Sehnsucht zu erfüllen und sich durch ihr Betragen vor dem Gemahl, dessen Gegenwart sie freilich noch nicht ahnte, und vor ihrem Sohne Telemach im vollen Glanz ihrer Seelenhoheit und ihrer Treue zu zeigen. Die alte vertraute Schaffnerin billigte ihren Entschluß: »Geh nur, Tochter«, sprach sie, »und berate deinen Sohn mit einem Worte zur rechten Zeit: aber nicht so, wie du jetzt bist, deine schönen Wangen von Tränen entstellt, mußt du hinuntergehen; sondern bade und salbe dich zuvor, und alsdann zeige dich den Freiern.« Aber Penelope antwortete kopfschüttelnd: »Mute mir das nicht zu, gute Alte; alle Lust, mich zu schmücken, ist mir vergangen, seit mein Gemahl mit seinen Schiffen gen Troja fuhr. Aber rufe mir meine Dienerinnen Autonoe und Hippodameia, daß sie im Saale mir zur Seite stehen; denn unbegleitet zu den Männern hinabzugehen, verbietet mir ja die Scham.«
Während Eurynome die Schaffnerin mit diesem Auftrage sich entfernte, versenkte Athene die Gattin des Odysseus auf Augenblicke in einen süßen Schlummer, daß sie sich sanft in ihrem Sessel streckte, und verlieh ihr die Gaben überirdischer Schönheit; das Gesicht wusch sie ihr mit Ambrosia, womit sich Aphrodite zu salben pflegt, wenn sie mit den Charitinnen den Reigen führen will; ihren Wuchs machte sie höher und voller; ihre Haut ließ sie wie Elfenbein schimmern. Dann verschwand die Göttin wieder; die beiden Mägde kamen mit Geräusch hereingeeilt, Penelope erwachte aus ihrem Schlummer, rieb sich die Augen und sprach: »Ei wie sanft habe ich geschlafen, möchten mir die Götter nur auf der Stelle einen so sanften Tod senden, daß ich mich nicht länger um meinen Gemahl härmen und im Hause Kummer ausstehen müßte!« Mit diesen Worten erhub sie sich aus dem Sessel und stieg aus den obern Gemächern des Palastes zu den Freiern hinab. Dort stand sie in der Pforte des gewölbten Saales still, die Wangen mit dem Schleier umhüllt, in jugendlicher Schönheit; zu beiden Seiten stand sittsamlich eine Dienerin. Als die Freier sie sahen, schlug ihnen allen das Herz im Leibe, und jeder wünschte und gelobte sich, sie als Gattin heimzuführen. Die Königin aber wandte sich an ihren Sohn und sprach: »Telemach, ich erkenne dich nicht; fürwahr, schon als Knabe zeigtest du mehr Verstand denn jetzt, wo du groß und schön, wie der Sohn des edelsten Mannes vor mir stehst! Welche Tat hast du soeben im Saale begehen lassen? Hast geduldet, daß ein armer Fremdling, der in unserer Behausung Ruhe suchte, aufs unwürdigste gekränkt worden ist? Das muß uns ja vor allen Menschen Schande bringen!«
»Ich verarge dir deinen Eifer nicht, gute Mutter«, erwiderte hierauf Telemach; »auch fehlt es mir nicht an der Erkenntnis des Rechten; aber diese feindseligen Männer, die um mich her sitzen, betäuben mich ganz, und nirgends finde ich einen, der mich unterstützte. Doch ist der Kampf des Fremden mit Iros gar nicht ausgegangen, wie es die Freier wünschten; möchten diese doch ebenso gezwungen ihr Haupt hängen lassen, wie jener Elende draußen an der Schwelle des Hofes dasitzt!« Telemach hatte dieses so gesprochen, daß die Freier es nicht hören konnten, Eurymachos aber rief ganz trunken von dem Anblicke der reizenden Königin: »Ikarios' Tochter, wenn dich alle Achaier in ganz Griechenland sehen könnten, wahrhaftig, es erschienen morgen noch viel mehr Freier zum Schmause: so weit übertriffst du alle Weiber an Gestalt und Geist!« »Ach, Eurymachos«, antwortete Penelope, »meine Schönheit ist dahin, seit mein Gemahl mit den Griechen gen Troja fuhr! Käme er wieder zurück und beschirmte mein Leben, ja dann möchte ich wieder aufblühen; jetzt aber traure ich. Ach, als Odysseus das Ufer verließ und mir zuletzt die Hand reichte, da sprach er: ›Liebes Weib, die Griechen werden, denk ich, wohl nicht alle gesund von Troja heimkehren: die Trojaner sollen des Streites kundige Männer sein, treffliche Speerschleuderer, Bogenschützen, Wagenlenker. So weiß denn auch ich nicht, ob mein Dämon mich zurückführen oder dort wegraffen wird. Beschicke du alles im Hause, und sorge mir für Vater und Mutter womöglich noch zärtlicher, als du bisher getan hast. Und wenn dein Sohn herangewachsen ist und ich nicht mehr heimkehre, dann magst du dich vermählen, wenn du willst, und unsere Wohnung verlassen.‹ So sprach er, und nun wird alles wahr! Weh mir, der entsetzliche Tag der Hochzeit naht heran, und unter welchem Kummer gehe ich ihm entgegen! Denn diese Freier da haben ganz andere Sitte, als man sonst bei Brautwerbern findet. Wenn andere eines ansehnlichen Mannes Tochter zum Weibe begehren, so bringen sie Rinder und Schafe zum Schmause mit und Geschenke für die Braut und verprassen nicht fremdes Gut ohne alle Entschädigung!«
Mit inniger Lust hörte Odysseus diese klugen Worte. Für die Freier übernahm Antinoos die Antwort und erwiderte: »Edle Königin, gern wird dir jeder von uns die köstlichsten Gaben darbringen, und wir bitten dich, entziehe dich unsern Geschenken nicht. Aber in unsere Heimat kehren wir nicht zurück, bis du dir den Bräutigam aus unserer Mitte auserkoren hast.« Alle Freier stimmten in diese Rede ein. Diener wurden abgeschickt, und bald kamen die Geschenke heran. Antinoos ließ ein gewirktes buntes Gewand, an dem zwölf goldene Spangen hinabliefen, die mit schön gebogenen Haken in die Schlußringe eingriffen, herbeibringen; Eurymachos ein kunstvolles goldenes Brustgeschmeide, mit anderem edlen Metall eingelegt, das wie die Sonne strahlte; Eurydamas ein Paar Ohrringe, jeder in drei Diamanten spielend; aus Peisanders Palast wurde ein Halsband voll der köstlichsten Kleinode dahergetragen, und so reichte ihr auch jeder der andern Freier ein besonderes Geschenk dar. Dienerinnen des Hauses kamen, nahmen die Geschenke in Empfang, und Penelope stieg mit denselben wieder in den Söller empor.