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Als Turnus die Feinde gelandet sah, stand er von der Belagerung ab, raffte sein Heer in Eile zusammen, stellte es längs dem Gestade auf und ließ die Hörner zum Angriff blasen. Auch Äneas hatte die Seinigen, Trojaner und Bundesgenossen, geordnet, warf sich zuerst, um den Kampf spielend zu beginnen, auf die Scharen des latinischen Hirtenvolkes und richtete unter ihnen eine große Niederlage an. Dann wandte er sich gegen die Helden der Feinde selbst, und in erbittertem Streite wurde bald von beiden Seiten gefochten. Heer stieß an Heer, Fuß hing an Fuß, Mann drängte sich an Mann, und lange schwankte die Schlacht.
Seitwärts vom Hauptkampfe, wo ein Waldstrom Felsen in den Weg gewälzt und entwurzelte Bäume am Ufer umher zerstreut hatte, kämpfte Pallas, der junge Sohn des Königs Euander, mit seinen Arkadiern. Der unebene Boden erlaubte diesen nicht, sich der Pferde zu bedienen, und weil sie des Fußkampfes nicht gewohnt waren, boten sie endlich den eindringenden Latinern und Rutulern den Rücken. Nur allmählich brachte der Zuruf ihres jungen Führers sie wieder zum Stehen. »Bei dem Ruhm und bei den Siegen meines Vaters, bei meiner eigenen Hoffnung beschwöre ich euch, ihr Männer«, schrie er, »haltet stand, vertraut euren Armen und nicht euren Füßen! Wir haben keine Wahl, entweder vorwärts ins trojanische Lager oder rückwärts in die See!« Mit diesen Worten führte er sie aufs neue gegen den Feind und focht wie ein junger Löwe, indem er mit Lanze und Schwert bald diesen, bald jenen niederstreckte. Nun sammelte sich die Streitkraft seiner Genossen wieder gedrängt um ihn her, und Schritt für Schritt gewannen die Arkadier neuen Boden, bis ihnen Lausus, der heldenmütige Sohn des Mezentius, Einhalt tat. Die Arkadier zogen sich auf ihre Freunde, die Etrusker und Trojaner, zurück, aber unter allen wütete der italische Held mit seinen tödlichen Streichen. Endlich sahen sich Lausus und Pallas einander gegenüber, beide Jünglinge, an Alter wenig verschieden, beide herrlich von Gestalt, beide frühem Tod in diesem Treffen vorbestimmt. Doch sollte keiner von des andern Hand fallen, denn beide erwartete das Verhängnis unter den Händen eines größeren Feindes.
Turnus, der mit seinem Streitwagen das Heer durchflog, erblickte das Paar, wie sie eben voll Kampflust aufeinander losgingen. »Halt«, rief er von seinem Wagen herab, »ich allein will mit Pallas kämpfen, mir allein ist sein Leben bestimmt: möchte sein Vater Euander doch zuschauen!« Verwundert richtete der Jüngling den spähenden Blick nach der Stelle, von der herab der trotzige Ruf erschollen war; dann maß er sich seinen neuen Gegner mit großen Augen und rief endlich mutig zu ihm empor: »Entweder erbeute ich heute eine Feldherrnrüstung oder einen rühmlichen Tod; beides wird mein Vater willkommen heißen, darum spare dein Drohen!« So sprach er und schritt in die Mitte der Gasse hervor, die des Turnus Zuruf eröffnet hatte. Auch Turnus sprang von seinem Doppelgespann, wie ein Löwe herbeifliegt, wenn er ferne vom Berg herab einen kämpfenden Stier in der Ebene erblickt hat. Als Pallas ihn auf Schußweite vor sich sah, schleuderte er den Speer mit aller seiner Jugendkraft ab und riß sofort das Schwert aus der Scheide. Der Lanzenwurf war gut gezielt, er durchbrach dem Turnus den Rand des Schildes, seinen Riesenleib aber streifte er nur. Jetzt wiegte Turnus lange seinen Wurfspieß mit der scharfen Eisenspitze und sprach dazu: »Nun merk auf, ob mein Geschoß nicht besser durchdringt.« Dann flog sein Speer und fuhr dem Jünglinge durch Schild, Panzer und Busen bis tief ins Herz. Vergebens zog dieser den Speer noch warm aus der Wunde, die Seele entfloh mit dem strömenden Blute, und er sank tot unter den rasselnden Waffen auf den Boden. Turnus setzte den linken Fuß auf den Toten, löste ihm den schönen Gürtel vom Leibe, auf welchem der Zentaurenkampf in getriebenem Golde abgebildet war. »Das Grab«, sprach er dann, »verweigere ich dem Jüngling nicht: bringet ihn immerhin seinem Vater Euander, ihr Arkadier!« So sprach Turnus und flog auf seinem Streitwagen zurück. Wehklagend trugen die Arkadier ihren erschlagenen Königssohn aus der Schlacht, und Etrusker und Trojaner, von den vordringenden Rutulern gemäht, zogen sich ihnen in verworrener Flucht nach.
Zu Äneas, der auf einem andern Flügel des Heeres focht, kam die Botschaft vom Weichen der Seinigen. Da raffte sich der Held mit den mutigsten Genossen auf, brach sich mit dem Schwert eine breite Bahn durch den Feind und suchte den Turnus. Vor seinen Augen schwebte ihm Euanders gastlicher Tisch und der holde Jüngling Pallas, der ihm mit so vielen Vatertränen anvertraut war. Schmerz und Rachelust erfüllten seine Heldenbrust. Vier Söhne des Sulmo, vier Söhne des Ufens griff er lebendig aus den Feinden heraus und ließ sie aus der Schlacht führen: sie sollten als Sühnopfer für Pallas bluten. Keinen Mann, keinen flehenden Jüngling schonte er, der dem Rasenden in den Weg trat, welcher wie ein brausender Bergstrom oder die nächtliche Windsbraut wütete. Zu gleicher Zeit brach der Jüngling Askanius mit den eingeschlossenen Trojanern, den günstigen Zeitpunkt ersehend, aus dem Lager hervor.