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Achtes Kapitel.

Sie sah'n die Stadt, die da den Rhein begrüßt,
Wo er hervorstürzt aus den heim'schen Bergen,
Wie es einst stolz Orgetorix gewollt,
Der seine öden Berge niederstieg,
Zu herrschen über Galliens reiche Auen.

Helvetia.

Die Augen der englischen Reisenden blickten jetzt ermüdet von einer Reihenfolge wilder Berggegenden mit Vergnügen auf ein Land, das zwar immer noch unregelmäßig und bergig, aber höheren Anbaues fähig und mit Kornfeldern und Weinbergen geschmückt war. Der Rhein, ein breiter und großer Fluß, ergoß seine grünen Wellen mit außerordentlicher Schnelle durch die Landschaft und sonderte die Stadt Basel, die an seinen Ufern liegt, in zwei Theile. Der südliche derselben, in welchen ihr Weg die Schweizer Abgesandten führte, zeigte das berühmte Münster und den hohen Söller, der sich vor ihm hinzieht. Es schien die Reisenden zu erinnern, daß sie sich jetzt einer Gegend näherten, in welcher die Werke des Menschen sich selbst unter denen der Natur auszeichneten, anstatt sich unter diesen furchtbaren Gebirgen zu verlieren, die sie eben durchwandert, wie solches mit den glänzendsten Bemühungen menschlicher Anstrengung hätte der Fall sein müssen.

Sie waren noch eine halbe Stunde von der Stadt, als der Zug mit einem Beamten zusammentraf. Dieser wurde von zwei oder drei Bürgern begleitet, die auf Maulthieren ritten und deren Sammtschabracken Reichthum und Stand verkündigten. Sie begrüßten den Landammann von Unterwalden und seine Begleiter sehr achtungsvoll, und diese machten sich deshalb auf eine gastfreundliche Einladung und eine passende Erwiderung gefaßt.

Die Botschaft der Basler stand aber in geradem Gegensatz zu ihren Voraussetzungen. Der Beamte, den sie getroffen, entledigte sich derselben mit viel Schüchternheit und Zaudern, und es schien, während er seinen Auftrag verrichtete, als ob er ihn nicht für den ehrenvollsten hielte, den er hätte erhalten können. Es fanden sich darin viele Versicherungen der tiefsten brüderlichen Achtung für die Staaten des helvetischen Bundes, und der Sprecher von Basel erklärte, er sei selbst durch Freundschaft und Vortheil mit ihnen verknüpft. Aber er schloß mit der Andeutung, daß wegen gewisser gewichtiger Gründe, die bei besserer Muße genügend auseinander gesetzt werden sollten, die freie Stadt Basel die hochgeachteten Abgeordneten, die auf Befehl der Schweizer Tagsatzung an den Hof des Herzogs von Burgund ziehen, diesen Abend nicht in ihre Mauern aufnehmen könnte.

Philipson bemerkte mit vielem Antheil die Wirkungen, welche diese unerwartete Eröffnung auf die Mitglieder der Gesandtschaft ausübte. Rudolph Donnerhügel, der sich mit ihnen vereinigt hatte, als sie sich Basel näherten, schien weniger überrascht als seine Genossen. Er blieb völlig still und schien begieriger, ihre Gedanken zu errathen, als geneigt, den seinigen Worte zu geben. Der kluge Kaufmann bemerkte nicht zum erstenmale, daß der kühne und ungestüme junge Mann erforderlichen Falls die natürliche Heftigkeit seiner Gemüthsart recht wohl im Zügel zu halten vermochte. Des Bannerherrn Stirn runzelte sich; das Gesicht des Solothurner Bürgers wurde gluthroth, wie der Mond, wenn er in Nordwest aufgeht; der graubärtige Deputirte von Schwyz blickte ängstlich auf Arnold Biedermann, und der Landammann selbst schien erregter, als er bei seiner Gleichmüthigkeit gewöhnlich war. Zuletzt erwiderte er dem Basler Beamten mit einer durch seine Empfindungen erregten Stimme:

»Das ist eine seltsame Botschaft an die Gesandten der Schweizer Eidgenossenschaft. Wir sind auf einer freundschaftlichen Sendung begriffen, und von ihr hängt der Vortheil der guten Bürger von Basel ab, die wir stets als unsere guten Freunde behandelt haben und die uns noch dieselben guten Gesinnungen zu erkennen geben. Den Schutz ihrer Dächer, den Schirm ihrer Mauern, den gewohnten gastfreundlichen Verkehr hat kein befreundeter Staat das Recht, den Bewohnern eines andern zu verweigern.«

»Die Gemeinde Basel versagt solches auch nicht mit ihrem Willen, würdiger Landammann,« erwiderte der Beamte. »Nicht Ihr allein und Eure würdigen Gefährten, sondern Euer Geleite und Eure Lastthiere selbst sollten mit aller Gefälligkeit bewirthet werden, welche den Bürgern von Basel möglich ist – aber die Hände sind uns gebunden.«

»Und von wem?« sagte der Bannerherr, dessen Zorn jetzt losbrach. »Hat der Kaiser Siegmund so wenig Nutzen aus den Beispielen seiner Vorfahren gezogen?«

»Der Kaiser,« versetzte der Bevollmächtigte der Basler, indem er den Bannerherrn unterbrach, »ist ein wohlgesinnter und friedliebender Monarch, wie er es immer gewesen; aber – da sind burgundische Kriegsvölker unlängst in den Sundgau gezogen und es sind von dem Grafen Archibald von Hagenbach Gesandte an uns geschickt worden.«

»Genug!« erwiderte der Landammann. »Zieht den Schleier nicht weiter von einer Schwäche, ob welcher Ihr erröthet. Ich verstehe Euch völlig. Basel liegt zu nahe bei der Veste La Ferrette, als daß seinen Bürgern erlaubt sein könnte, ihre eigenen Neigungen zu Rath zu ziehen. Bruder, wir sehen, wo die Schwierigkeit für Euch liegt, wir bemitleiden Euch und wir vergeben Euch Eure Ungastlichkeit.«

»Ei, so hört mich doch zu Ende, würdiger Landammann,« antwortete der Beamte. »Es ist hier in der Nähe ein alter Jagdsitz der Grafen von Falkenstein, Grafslust genannt. Dieser könnte Euch, ob er wohl verfallen, ein besseres Nachtlager gewähren, als der freie Himmel, und ist auch einiger Vertheidigung fähig, obgleich Gott verhüte, daß es Jemand wagte, Eure Ruhe zu stören. Und horchet, meine würdigen Freunde; wenn ihr in dem alten Platz einige Erfrischungen, als Wein, Bier und dergleichen findet, so genießt sie ohne Bedenken, denn sie sind für euch bestimmt.«

»Ich weigere mich nicht, einen sicheren Ort einzunehmen,« sagte der Landammann; »denn, wenn auch der, welcher unseren Ausschluß aus Basel veranlaßt hat, blos aus kleinlichem Uebermuth und aus Bosheit gehandelt haben mag, so können wir doch nicht sagen, ob damit nicht einige gewaltthätige Absicht verbunden ist. Für Eure Lebensmittel danken wir Euch; aber wir werden, so weit es auf mich ankommt, nicht auf Kosten von Fremden leben, die sich schämen, uns anders als verstohlenerweise anzuerkennen.«

»Noch etwas, mein werther Herr,« sagte der Stellvertreter der Baseler – »Ihr habt ein Mädchen im Gefolge, Eure Tochter, wie ich vermuthe. Wo Ihr hingeht, findet sich selbst für Männer nur schlechte Bequemlichkeit; sie ist für Frauen wenig besser, aber was wir thun konnten, um die Sache so gut als möglich herzurichten, ist geschehen. Lieber jedoch laßt Eure Tochter mit uns nach Basel zurückgehen; meine Frau wird ihr bis morgen früh Mutter sein und ich will sie dann sicher in Euer Lager bringen. Wir haben versprochen, den Männern der Eidgenossenschaft unsere Thore zu verschließen, von den Frauen ist nichts erwähnt worden.«

»Ihr seid schlaue und spitzfindige Leute, ihr Männer von Basel,« antwortete der Landammann, »aber wißt, seitdem die Helvetier dem Cäsar entgegen zogen, bis auf die heutige Stunde, haben die Frauen im Schweizerlande beim Drang der Gefahr ihren Aufenthalt im Lager ihrer Väter, Brüder und Männer gehabt und keinen andern Schutz gesucht, als den sie im Muthe ihrer Verwandten finden konnten. Wir haben Männer genug, unsere Weiber zu schützen; meine Nichte wird bei uns bleiben, und sich das Loos gefallen lassen, das der Himmel über uns verhängt.«

»So lebet wohl, würdiger Freund!« sagte der Beamte von Basel, »es ist mir leid, daß ich mich so von Euch trennen muß, aber das schlimme Schicksal will es so. Jener Wiesenweg wird Euch zu dem alten Jagdsitz führen und der Himmel möge Euch dort eine ruhige Nacht verbringen lassen; denn abgesehen von anderen Gefahren, sagen die Leute, die Ruinen haben keinen guten Namen. Wollt Ihr Eurer Nichte vielleicht doch erlauben, mit mir für diese Nacht nach Basel zu gehen?«

»Wenn wir von Wesen, wie wir, gestört werden,« sagte Arnold Biedermann, »so haben wir starke Arme und schwere Partisanen; sollten wir, wie Eure Worte andeuten, durch solche von anderer Beschaffenheit gestört werden, so haben wir gute Gewissen oder sollten sie doch haben, und Vertrauen auf den Himmel. – Gute Freunde, meine Brüder bei dieser Gesandtschaft, habe ich eure Gedanken sowohl als die meinigen ausgesprochen?«

Die anderen Abgeordneten gaben ihre Zustimmung zu dem, was ihr Genosse gesagt, zu erkennen, und die Bürger von Basel nahmen höflichen Abschied von ihren Gästen. Sie suchten dabei durch übertriebene Höflichkeit zu ersetzen, was sie an wirklicher Gastlichkeit fehlen ließen. Rudolph war nach ihrem Weggang der Erste, der seine Meinung über ihr kleinmüthiges Betragen aussprach, über das er in ihrer Gegenwart geschwiegen. »Feige Hunde!« sagte er, »möge ihnen der Schlächter von Burgund bei seinen Erpressungen das Fell abziehen, da sie lieber alte Freundschaft verläugnen, als den leisesten Hauch des Grimms eines Tyrannen ertragen wollen!«

»Und nicht einmal ihres eigenen Tyrannen,« sagte ein Anderer aus dem Haufen, denn mehrere von den jungen Leuten hatten sich um die älteren gesammelt, um den Willkomm anzuhören, den sie von den Basler Beamten erwarteten.

»Nein,« versetzte Ernst, einer von Arnold Biedermanns Söhnen, »sie behaupteten nicht, daß ihr eigener Fürst, der Kaiser, es ihnen befohlen habe; sondern ein Wort von dem Herzog von Burgund, der ihnen nicht mehr gelten sollte, als der Hauch des Westwinds, ist hinreichend, sie zu solch' roher Ungastlichkeit aufzureizen. Wir thäten gut, auf die Stadt loszugehen und sie mit gewaffneter Hand zu zwingen, uns ein Obdach zu geben.«

Ein beifälliges Gemurmel erhob sich rings unter den Jünglingen, erweckte aber das Mißfallen Arnold Biedermanns.

»Habe ich die Stimme eines meiner Söhne gehört, oder war es die eines groben Lanzknechts, der nur an Schlachten und Gewaltthaten Freude findet? Wo ist die Bescheidenheit der Schweizer Jugend, die gewohnt war, das Zeichen zum Treffen zu erwarten, bis es den Aeltesten des Kantons gefiel, es zu geben; die so sanft war als Mädchen, bis die Stimme ihres Patriarchen sie aufforderte, kühn zu sein wie Löwen?«

»Ich meinte es nicht böse, Vater,« sagte Ernst, beschämt über den Verweis, »und dachte noch weniger an eine Geringschätzung gegen Euch; aber ich muß sagen – –«

»Sag' kein Wort, mein Sohn,« versetzte Arnold, »sondern verlaß unser Lager morgen bei Tagesanbruch, und wenn du nach Geierstein zurückkehrst, wohin ich dir unverzüglich zu gehen befehle, so erinnere dich, daß der keineswegs zu Besuchen in fremden Ländern geeignet ist, der seine Zunge nicht vor seinen Landsleuten und vor seinem eigenen Vater bemeistern kann.«

Der Bannerherr von Bern, der Solothurner Bürger und selbst der langbärtige Abgeordnete von Schwyz suchten sich für den Schuldigen zu verwenden und die Erlassung seiner Verweisung zu erlangen, aber umsonst.

»Nein, meine guten Freunde und Brüder, nein!« erwiderte Arnold. »Diese jungen Leute brauchen ein Beispiel, und wenn es mir einerseits leid ist, daß das Aergerniß in meiner Familie vorgekommen, so freut es mich in anderem Betracht, daß das Vergehen von Einem begangen worden ist, über den ich meine volle Gewalt ohne den Verdacht der Parteilichkeit ausüben kann. Ernst, mein Sohn, du hast meine Befehle gehört: Geh' nach Geierstein zurück, sobald der Morgen graut, und laß mich in dir einen veränderten Menschen finden, wenn ich selbst dahin zurückkehre.«

Der junge Schweizer war offenbar durch diese öffentliche Demüthigung sehr ergriffen und erschüttert, er beugte ein Knie und küßte seinem Vater die rechte Hand, während Arnold ohne das geringste Zeichen von Unwillen ihm seinen Segen ertheilte; und Ernst zog sich ohne ein Wort des Widerspruchs zum Nachtrab des Zuges zurück. Dann schritt die Gesandtschaft den Wiesenweg hinunter, der ihnen gezeigt worden war und an dessen Ende die gewaltigen Ruinen von Grafslust emporstiegen. Es war aber nicht mehr genug Tageslicht vorhanden, um ihr Aeußeres genau unterscheiden zu können. Als sie näher kamen und die Nacht dunkler wurde, bemerkten sie, daß drei oder vier Fenster erhellt waren, der Rest der Vorderseite blieb in Dunkel gehüllt. Bei ihrer Ankunft auf dem Platze nahmen sie wahr, daß ihn ein breiter und tiefer Graben umgab, dessen trübe Oberfläche den Schimmer des Lichtes im Innern, wiewohl matt, zurückwarf.



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