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Des Berges Sommerseite traf
Der letzte Tagesstrahl
Und blitzt' mit reicher Farbenpracht
Die Rhone an im Thal.
Southey.
Der englische Kaufmann wurde jetzt häufig von den Schweizer Gesandten bei allen ihren Schritten um Rath gefragt. Er ermahnte sie, so schnell als möglich zu reisen, um dem Herzog selbst den ersten Bericht von den Vorfällen in La Ferrette zu bringen, und so allen Gerüchten zuvorzukommen, die ihr Betragen bei denselben in ein weniger günstiges Licht stellen könnten. Zu diesem Ende empfahl Philipson den Abgeordneten, ihre Bedeckung zu entlassen, da die Waffen und Anzahl Verdacht und Argwohn erwecken könnten, und ihrer doch zu Wenige wären, um sich gehörig zu vertheidigen. Dann sollten sie selbst in starken Tagereisen zu Pferd nach Dijon, oder dahin ziehen, wo sich der Herzog eben befände.
Dieser Vorschlag fand aber förmlichen Widerstand von Seiten desjenigen Mitgliedes der Gesellschaft, welches bis daher am gefügigsten und ein nachgiebiges Echo von dem gewesen war, was der Landammann wollte. Bei dieser Gelegenheit legte nämlich Nikolaus Bonstetten, trotzdem daß Arnold Biedermann den Rath Philipsons für vortrefflich erklärte, unbedingten und unüberwindlichen Widerspruch ein. Er hatte es bisher unter allen Umständen seinen eigenen Füßen überlassen, ihn von Ort zu Ort zu schaffen, und konnte durchaus nicht beredet werden, sich der Willkür eines Pferdes anzuvertrauen. Da er hartnäckig dabei stehen blieb, so wurde am Ende beschlossen, daß die zwei Engländer ihre Reise so gut als möglich beeilen, und daß der Aeltere von ihnen dem Herzog so weit Bericht von der Einnahme La Ferrette's geben sollte, als er sie selbst mit angesehen. Die Einzelnheiten über den Tod Hagenbachs, versicherte ihn der Landammann, werden an den Herzog durch eine vertraute Person geschickt werden, deren Zeugniß darüber nicht bezweifelt werden könnte.
Dieser Ausweg ward ergriffen, da Philipson nochmals sein Vertrauen auf Erlangung eines baldigen und geheimen Gehörs bei Seiner Gnaden von Burgund aussprach.
»Auf meine beste Vermittlung,« sagte er, »dürft ihr zählen; und Niemand kann von der unbändigen Grausamkeit und Raubgier Hagenbachs besseres Zeugniß geben, als ich, der ich beinahe ein Opfer derselben geworden wäre. Jedoch von seinem Prozeß und seiner Hinrichtung kann und will ich nichts sagen. Da aber Herzog Karl sicherlich fragen wird, warum ein solches Urtheil ohne Berufung an seinen eigenen Gerichtshof vollzogen worden ist, so wird es gut sein, wenn ihr mir solche Thatsachen angebet, die ihr genau kennt, oder wenn ihr wenigstens so schnell als möglich die Beweise absendet, die ihr ihm über diesen wichtigsten Theil der Sache mitzutheilen habt.«
Der Antrag des Kaufmanns brachte eine sichtliche Verlegenheit auf den Gesichtern der Schweizer hervor, und zaudernd und stockend redete ihn Arnold Biedermann, nachdem er ihn beiseite geführt, also an: »Mein guter Freund, Geheimnisse sind im gewöhnlichen Leben die häßlichen Nebel, welche die schönsten Züge der Natur verunstalten; wir stoßen manchmal auf solche, wenn wir sie am weitesten wegwünschen, und uns am meisten daran liegt, klar und deutlich zu sehen. Ihr habt gesehen, auf welche Art Hagenbach das Leben verlor – wir werden dafür sorgen, daß der Herzog die Gewalt kennen lernt, welche diese Strafe verhängt hat. Das ist Alles, was ich Euch für den Augenblick hierüber sagen kann, und laßt mich hinzufügen, daß Ihr Unannehmlichkeiten desto eher entgehet, je weniger Ihr davon sprechet.«
»Werther Landammann,« antwortete der Engländer, »auch ich hasse meiner Natur und den Gewohnheiten meines Vaterlandes zufolge alle Geheimnisse. Aber mein Vertrauen auf Eure Redlichkeit und Ehre steht so fest, daß ich mich in diesen dunkeln und versteckten Angelegenheiten von Euch so gut leiten lassen will, als in den Nebeln und Abgründen Eures Geburtslandes. In jedem Fall bin ich zufrieden und setze unbedingtes Vertrauen in Eure Klugheit. Blos empfehle ich Euch, Karl schnell, klar und offen Eure Erklärung abzugeben. Habt Ihr dies gethan, so hege ich das Vertrauen, ich werde meinen unbedeutenden Einfluß auf den Herzog einigermaßen zu Euren Gunsten geltend machen können. Und hiermit trennen wir uns also, jedoch, wie ich hoffe, um bald wieder zusammenzutreffen.«
Der ältere Philipson begab sich nunmehr zu seinem Sohne, und wies ihn an, Pferde und einen Führer zu miethen, der sie in aller Eile zu dem Herzog von Burgund geleiten könnte. Durch verschiedene Nachforschungen in der Stadt, und besonders unter den Söldnern des getödteten Hagenbach, erfuhren sie zuletzt, daß Karl in letzter Zeit damit beschäftigt gewesen sei, Lothringen in Besitz zu nehmen. Da er jetzt argwöhne, der Kaiser von Deutschland und Sigismund, der Herzog von Oesterreich, hegen unfreundliche Gesinnungen gegen ihn, so habe er einen beträchtlichen Theil seines Heeres in der Nähe von Straßburg zusammengezogen, um gegen einen Angriff dieser Fürsten oder der freien Reichsstädte gerüstet zu sein, die sich seinem Siegeslauf entgegenstellen könnten. Der Herzog von Burgund verdiente zu dieser Zeit recht gut den Beinamen des Kühnen. Denn von Feinden umringt, erhielt er, wie ein gehetztes Edelwild, durch seine furchtbare und trotzige Haltung noch immer nicht blos die Fürsten und Staaten, deren wir erwähnt, sondern sogar den König von Frankreich in Furcht, der eben so mächtig und bei weitem staatskluger war, als er selbst.
In sein Lager zogen also die englischen Reisenden, Jeder in so tiefen und traurigen Gedanken, daß Keiner viel Aufmerksamkeit auf des Andern Gemüthszustand wenden konnte. Sie ritten daher in ihre eigenen Betrachtungen versenkt, und besprachen sich weniger mit einander, als dies auf ihren früheren Reisen der Fall gewesen war. Der Adel im Wesen des älteren Philipson, seine Achtung vor der Rechtschaffenheit des Landammanns und die Dankbarkeit für seine Gastfreundschaft hatten ihn abgehalten, seine Sache von der der Schweizer Abgeordneten zu trennen, und er bereute auch jetzt nicht seine edelmüthige Anhänglichkeit an dieselbe. Als er sich aber an die Beschaffenheit und Wichtigkeit der Geschäfte erinnerte, die er selbst mit einem stolzen, herrischen und reizbaren Fürsten abzuthun hatte, konnte er nur bedauern, daß die Umstände seine eigene, für ihn und seine Freunde so wichtige Sendung mit derjenigen von Leuten verflochten hatten, welche dem Herzog so anstößig waren, als Arnold Biedermann und seine Genossen. Er war dankbar für die Gastfreundschaft, die er auf Geierstein genossen, aber er bedauerte doch, daß ihn die Verhältnisse genöthigt, sie anzunehmen.
Arthur hegte nicht weniger ängstliche Sorgen. Er sah sich auf's Neue von Derjenigen geschieden, zu welcher seine Gedanken fast gegen seinen eigenen Willen beständig zurückkehrten. Seine zweite Trennung hatte stattgefunden, nachdem er sich eine neue Last von Dankbarkeit aufgebürdet, und er fand jetzt nur noch mehr geheime Nahrung für seine feurige Einbildungskraft. Wie sollte er vereinigen, daß Anna von Geierstein, die er als so sanft, offen, rein und einfach kennen gelernt, das Wesen und die Eigenschaften der Tochter eines Weisen und eines Elementargeistes an sich trug, welchem Tag und Nacht gleich war, und ein undurchdringliches Verließ nicht mehr als der offene Säulengang eines Tempels? Ließen sie sich an einem und demselben Wesen in Uebereinstimmung bringen? Beide waren sich völlig gleich an Gestalt und Zügen – war die Eine eine Erdbewohnerin, die Andere blos ein Scheinbild, dem es verstattet war, sich unter Geschöpfen zu zeigen, deren Art es nicht theilte? Vor Allem aber, durfte er sie nicht mehr sehen, oder von ihren eigenen Lippen eine Erklärung der Geheimnisse empfangen, die sich auf so schauerliche Weise mit seinen Erinnerungen an sie verflochten? Solche Fragen beschäftigten den Geist des jungen Reisenden, und hielten ihn ab, die Träumerei, in welche sein Vater versunken war, zu unterbrechen oder zu bemerken.
Hätte einer der Reisenden Lust gehabt, Unterhaltung aus der Gegend zu ziehen, durch welche ihr Weg sie führte, so war die Nachbarschaft des Rheines wohl geeignet, sie zu liefern. Das linke Ufer dieses prachtvollen Stromes ist zwar ziemlich flach und einförmig, und die Gebirge im Elsaß, die sich an ihm hinziehen, treten nicht so nahe heran, um der ebenen Thaloberfläche, welche sie von seinen Gestaden sondert, viel Abwechslung zu verleihen. Aber der breite Fluß selbst, der mit reißender Schnelle dahineilt und die kleinen Eilande umrauscht, welche seinen Lauf unterbrechen, bietet eines der erhabensten Schauspiele in der Natur. Das rechte Ufer mit seinen waldbedeckten Anhöhen und dazwischenliegenden Thälern bildet den wohlbekannten Schwarzwald, an welchen der Aberglaube so viel Schrecknisse und die Leichtgläubigkeit so verschiedene Legenden knüpft. Er besaß indessen damals wirkliche Schrecknisse. Die alten Burgen, die man von Zeit zu Zeit an den Ufern des Flusses selbst, oder an den Schluchten und großen Bächen erblickt, welche sich in denselben ergießen, waren damals keine malerischen Ruinen; sie zogen noch nicht durch die Geschichten an, die man sich von ihren früheren Bewohnern erzählt; sondern sie bildeten die wirklich vorhandenen und scheinbar uneinnehmbaren Vesten der Raubritterschaft, deren wir schon häufig erwähnt, und von denen wir so viele aufregende Erzählungen bekommen haben, seit der Schriftsteller Göthe geboren wurde, um den schlummernden Ruhm seines Vaterlandes zu wecken, und seit er die Geschichte des Götz von Berlichingen in ein Schauspiel gebracht hat. Man kannte jedoch die mit der Nachbarschaft dieser Burgen verbundene Gefahr nur auf der deutschen Seite des Rheins; denn die Breite und Tiefe dieses herrlichen Stromes hielt die Bewohner desselben ab, in's Elsaß zu gehen. Das rechte Rheinufer war im Besitz der freien Reichsstädte, und so übten die deutschen Lehensherren ihre Tyrannei hauptsächlich auf Kosten ihrer eigenen Landsleute. Entrüstet und erschöpft durch Räuberei und Unterdrückung, sahen sich diese genöthigt, Schranken dagegen zu errichten, die eben so stark und außerordentlich waren, als die Ungerechtigkeiten, vor welchen sie sich zu schützen versuchten.
Aber das linke Ufer des Flusses, über welches großentheils Karl von Burgund unter verschiedenen Titeln seine Gewalt ausübte, stand unter dem regelmäßigen Schutz ordentlicher Beamten, die in Ausübung ihrer Pflicht durch starke Haufen von Söldnern unterstützt wurden. Diese unterhielt Karl aus seinen Privateinkünften; denn er sowohl als sein Nebenbuhler Ludwig hatten die Entdeckung gemacht, daß das Lehensystem ihren Vasallen einen unbequemen Grad von Unabhängigkeit verschaffte. Sie hielten es daher für besser, an die Stelle desselben ein stehendes Heer zu setzen, das aus Freischaaren oder gewerbsmäßigen Söldnern bestand. Italien lieferte die Meisten von diesen Banden, und sie bildeten den Kern von Karls Heere, oder wenigstens den Theil desselben, auf welchen er am meisten baute. Unsere Reisenden setzten daher ihren Weg an den Gestaden des Flusses in so völliger Sicherheit fort, als man in dieser gewaltthätigen und unruhigen Zeit genießen konnte. Endlich fragte der Vater, der eine Zeitlang den Führer betrachtet hatte, welchen Arthur gemiethet, seinen Sohn, wer oder was der Mann wäre. Arthur versetzte, er sei so eifrig gewesen, einen Menschen aufzutreiben, der den Weg gekannt und ihn zu weisen Lust gehabt, daß er sich nach seinem Stand oder seiner Beschäftigung nicht umständlich erkundigt hätte; er meine aber, derselbe müsse nach seinem Aussehen einer der wandernden Geistlichen sein, die mit Reliquien, Ablaßzetteln und andern religiösen Kleinodien das Land durchzögen, und im Allgemeinen blos bei den niedrigen Ständen in einigem Ansehen ständen. An diesen, beschuldigte man sie, beim Verkauf von Gegenständen des Aberglaubens schon oft grobe Betrügereien verübt zu haben. Der Mann sah eher einem andächtigen Laien oder Pilger gleich, der nach verschiedenen Heiligthümern wallfahrten muß, denn einem Bettelmönch. Er trug den Hut, die Tasche, den Stab und das grobe Gewand, das einigermaßen dem Mantel der jetzigen Husaren glich – Alles, wie man es bei solchen Leuten auf ihren Fahrten gewöhnlich sah. Auf dem Rücken seines Mantels zeigten sich St. Peters Schlüssel, plump aus einem Fetzen Scharlach gemacht, und in Gestalt eines Andreaskreuzes, wie die Wappenkundigen sagen. Der fromme Mann schien fünfzig und mehr Jahre alt zu sein, war wohl gebaut, für sein Alter noch rüstig, und hatte eine Gesichtsbildung, die nicht gerade häßlich, aber weit entfernt von Schönheit war. Seine Augen verriethen Schlauheit, und seine Bewegungen gingen so flink vor sich, daß es manchmal mit dem gemessenen Benehmen des Standes, dessen Kleidung er trug, in Widerspruch fiel. Diese Verschiedenheit zwischen seinem Anzug und seiner Miene war keineswegs ungewöhnlich bei Leuten seiner Art. Viele unter ihnen ergriffen diese Lebensart mehr, um ihrem Hang zum Herumziehen und Müssiggang nachzuhängen, denn aus innerem Beruf.
»Wer bist du, guter Gesell?« redete ihn der ältere Philipson an; »und wie soll ich dich nennen, so lange wir Reisegefährten sind?«
»Bartholomä, Herr,« antwortete der Mann; »Bruder Bartholomä – ich möchte sagen Bartholomäus, aber es steht einem unbedeutenden Laienbruder, gleich mir, nicht zu, nach der Ehre einer gelehrten Endung zu streben.«
»Und wohin geht deine Reise, guter Bruder Bartholomä?«
»Nach jeder Richtung, in der Euer Gestrengen ziehen und meine Dienste als Führer in Anspruch nehmen will,« erwiderte der Pilger; »immer jedoch vorausgesetzt, daß Ihr mir Muße zur Verrichtung meiner Andachten an den heiligen Plätzen lasset, die wir auf unserem Wege berühren!«
»Das heißt, deine Reise hat kein bestimmtes Ziel, oder einen dringenden Grund?« fragte der Engländer.
»Eigentlich nicht, wie Euer Gestrengen sagt,« gab der fahrende Bruder zur Antwort; »oder ich möchte eher sagen, ich habe bei meiner Reise, guter Herr, so viele Absichten, daß es für mich gleichgültig ist, welche davon ich zuerst erreiche. Mein Gelübde verpflichtet mich, vier Jahre lang von einem Heiligthum zum andern zu ziehen; aber ich bin nicht gebunden, sie der Reihe nach oder in bestimmter Ordnung zu besuchen!«
»Das will heißen, dein Wallfahrtsgelübde hindert dich nicht, dich an Reisende als Führer zu verdingen,« versetzte Philipson.
»Wenn ich die den gepriesenen Heiligen schuldige Ehrfurcht beim Besuch ihrer Altäre mit einem Dienst vereinigen kann, den ich einem wandernden Nebenmenschen erweise, so behaupte ich,« entgegnete Bartholomä, »daß die Zwecke leicht miteinander verbunden werden können.«
»Besonders da ein kleiner zeitlicher Gewinn den beiden Obliegenheiten als Zusammenhalt dienen mag, wenn sie sich sonst nicht vertrügen,« sagte Philipson.
»So beliebt es Euren Ehren zu sagen,« versetzte der Pilger; »aber Ihr selbst könnt aus meiner guten Gesellschaft noch etwas mehr Nutzen ziehen, als die bloße Kenntniß der Straße, auf der Ihr zu reisen vorhabt. Ich kann Euern Weg erbaulicher machen durch Legenden von den gepriesenen Heiligen, deren Reliquien ich besucht habe, und angenehm durch die Erzählung der wunderbaren Dinge, die ich auf meiner Reise gesehen und gehört. Ich kann Euch Gelegenheit verschaffen, Euch mit dem Ablaß Seiner Heiligkeit nicht blos für Sünden, die Ihr schon begangen, zu versorgen, sondern auch mit einem, der Euch auch Verzeihung für künftige Fehltritte zugesteht.«
»Diese Dinge sind zweifelsohne sehr schätzbar,« erwiderte der Kaufmann; »aber, guter Bartholomä, wenn ich von ihnen zu sprechen wünsche, so wende ich mich an meinen Beichtvater, dem ich die Sorge für mein Gewissen in gehöriger Art übergeben habe, und der also wohlbekannt mit dem Zustand meines Innern und am besten daran gewöhnt sein muß, vorzuschreiben, was der einzelne Fall nöthig macht.«
»Dessen ungeachtet,« sagte Bartholomä, »halte ich Euer Gestrengen für einen zu frommen Mann, für einen zu guten Katholiken, als daß Ihr an einem heiligen Orte vorüberginget, ohne Euch Weihe für die Erlangung eines Antheils an den Wohlthaten desselben zu geben. Denn ein solcher Ort vermittelt die Austheilung jener Gnadengaben an die, welche sie zu verdienen geneigt und willig sind. Da sich alle Menschen, von was immer für einem Gewerbe oder Stande sie sein mögen, besonders an den Heiligen halten, der ihr eigenes Geschäft beschützt, so hoffe ich, Ihr werdet als Kaufmann nicht an der Kapelle Unserer lieben Frau zur Fähre vorübergehen, ohne ein passendes Gebet zu verrichten.«
»Freund Bartholomä,« entgegnete Philipson, »ich habe noch nichts von dem Heiligthum gehört, das du mir anempfiehlst; und da mein Geschäft Eile hat, so wäre es wohl besser für mich, zu gelegenerer Zeit eine Wallfahrt hierher zu machen und meine Ehrerbietung zu erweisen, als jetzt meine Reise zu verzögern. Dies werde ich, so Gott will, nicht unterlassen, und man kann mich also für entschuldigt halten, wenn ich meine Andacht verschiebe, bis ich sie mit mehr Ehrfurcht und Buße verrichten kann.«
»Werdet nicht böse,« versetzte der Führer, »wenn ich sage, daß Euer Benehmen in dieser Sache dem eines Narren gleicht, der an der Straße einen Schatz findet, es aber unterläßt, ihn einzustecken und mitzunehmen, weil er vorhat, an einem anderen Tage weit her, ausdrücklich seinetwegen, wieder dahin zurückzukehren und ihn zu holen.«
Philipson war etwas erstaunt über die Hartnäckigkeit des Menschen, und wollte eine zornige Antwort geben, wurde aber daran durch das Herbeikommen dreier Fremden verhindert, die eiligst hinter ihnen her ritten.
Der Vorderste von ihnen war ein junges Frauenzimmer in sehr geschmackvoller Kleidung. Sie ritt auf einem spanischen Zelter und lenkte ihn mit besonderer Anmuth und Geschicklichkeit. An der rechten Hand hatte sie einen Handschuh, wie die, welche bestimmt waren, den Falken zu tragen, und auf demselben saß ein Lerchenhabicht. Eine Jagdmütze bedeckte ihren Kopf, und nach einer häufig vorkommenden Sitte dieser Zeit trug sie auf dem Gesicht eine Art von schwarzseidenem Visier, welches ihre Züge völlig verdeckte. Trotz dieser Verkleidung sprang Arthur Philipsons Herz hoch bei der Erscheinung der Fremden, denn er erkannte alsbald mit Sicherheit die unvergleichliche Gestalt des Schweizermädchens, mit welcher sich sein Geist so ängstlich beschäftigte. Ihre Begleiter waren ein Falkenier mit seinem Jagdspieß und eine weibliche Person, Beide augenscheinlich ihre Diener. Der ältere Philipson, welcher kein so treues Gedächtniß besaß, als sein Sohn bei dieser Gelegenheit an den Tag legte, sah in der schönen Fremden blos eine Frau oder Dirne von Rang, die sich mit der Falkenbeize belustigte, und fragte sie als Erwiderung einer kurzen Begrüßung blos mit angemessener Höflichkeit, wie sie die Umstände erheischten, ob sie den Morgen eine gute Jagd gehabt hätte.
»Mittelmäßig, guter Freund,« gab die Dame zur Antwort. »Ich darf meinen Habicht nicht zu nahe an dem breiten Fluß steigen lassen, sonst fliegt er mir auf die andere Seite, und so könnte ich meinen Gefährten verlieren. Aber ich hoffe eine bessere Jagd zu bekommen, wenn ich auf die andere Seite der Fähre hinüberkomme, der wir uns eben nähern.«
»Dann will die gnädige Frau,« sagte Bartholomä, »in Hans-Kapelle Messe hören und um Glück bitten?«
»Ich wäre eine Heidin, wenn ich ohne dieses an dem heiligen Ort vorüberginge,« versetzte die Dame.
»Das, edle Dame, berührt den Gegenstand, von dem wir eben gesprochen,« sagte der Führer Bartholomä, »denn wisset, schöne Herrin, ich kann den würdigen Herrn nicht davon überzeugen, wie sehr der Erfolg seines Unternehmens davon abhängt, daß er sich den Segen Unserer lieben Frau zur Fähre verschafft.«
»Der gute Mann,« entgegnete das junge Mädchen ernsthaft, sogar mit Strenge, »muß wenig vom Rhein wissen. Ich will dem Herrn erklären, wie angemessen es ist, unserem Rathe zu folgen.«
Sie ritt hierauf nahe zu dem jungen Philipson hin und sprach in schweizerischer Mundart, denn bisher hatte sie sich der deutschen Sprache bedient: »Erschreckt nicht, aber höret mich!« und die Stimme war die Anna's von Geierstein. »Gerathet nicht in Bestürzung, sage ich – oder zeigt wenigstens keine Verwunderung. – Ihr seid von Gefahren umgeben. Auf dieser Straße besonders kennt man Euer Geschäft. – Man lauert Eurem Leben auf. Geht über den Fluß bei der Fähre an der Kapelle oder Hans-Fähre, wie man sie gewöhnlich nennt.«
Hier kam der Führer so nahe zu ihnen heran, daß es ihr unmöglich war, das Gespräch fortzusetzen, ohne behorcht zu werden. Im selben Augenblick erhob sich eine Waldschnepfe aus einem Gebüsch, und die junge Dame entsandte ihren Habicht zur Verfolgung derselben.
»Sa ho – sa ho – wo ha!« schrie der Falkenier in einem Tone, daß rings die Gebüsche wiederhallten, und ritt davon. Der ältere Philipson und der Führer sogar verfolgten die Thiere eifrig mit den Augen, so anziehend war diese Jagd für Leute aus allen Ständen. Aber des Mädchens Stimme war eine Lockung, welche die Aufmerksamkeit Arthurs von noch anziehenderen Gegenständen abgezogen haben würde.
»Geht über den Rhein,« wiederholte sie abermals, »bei der Fähre von Kirchhofen auf der anderen Seite des Flusses. Kehret im goldenen Vließ ein; dort werdet Ihr einen Führer nach Straßburg finden. Ich kann nicht länger hier bleiben.«
Bei diesen Worten hob sich das Mädchen im Sattel, gab dem Pferde einen leichten Schlag mit den Zügeln, und das muthige Thier, das schon ungeduldig wurde über ihren Verzug und das eifrige Laufen seiner Gefährten, flog mit solcher Eile davon, als hätte es dem Flug des Habichts gleichkommen wollen, und der Beute, welche dieser verfolgte. Die Dame und ihre Begleiter entschwanden bald aus den Augen der Reisenden.
Eine tiefe Stille von mehreren Minuten folgte hierauf; während derselben überlegte Arthur, wie er die empfangene Warnung mittheilen könnte, ohne den Verdacht des Führers zu erregen. Aber der alte Mann brach selber das Schweigen und sagte zu Bartholomä: »Setzt Euer Roß gefälligst etwas mehr in Bewegung und reitet ein paar Klafter voraus, ich möchte gerne mit meinem Sohn allein sprechen.«
Der Führer gehorchte, und stimmte, wie wenn er zeigen wollte, er sei zu tief mit himmlischen Dingen beschäftigt, um einem Gedanken an diese vergängliche Welt Raum zu geben, einen Lobgesang zum Preis des heiligen Wendelin, des Schäfers, in einer so mißtönenden Weise an, daß jeglicher Vogel aus jeglichem Busch auffuhr, an dem sie vorbeikamen. Nie gab es eine unmelodischere Melodie, weder heilige noch weltliche, als die, unter deren Schutz der ältere Philipson mit seinem Sohne folgende Unterredung hielt.
»Arthur,« sprach er, »ich bin beinahe sicher, daß dieser schreiende, scheinheilige Landstreicher irgend einen Anschlag auf uns hat, und ich bin fast entschlossen, meine eigene Meinung und nicht die seine in Bezug auf die Orte, wo wir übernachten sollen, und die Richtung unserer Reise zu Rathe zu ziehen. Das wäre die beste Art, ihm seinen Plan zu vereiteln.«
»Euer Urtheil ist richtig, wie gewöhnlich,« sagte sein Sohn. »Ich bin von der Verrätherei jenes Menschen überzeugt, und zwar durch etwas, was mir jenes Mädchen zugeflüstert, und wodurch sie mich angewiesen hat, wir sollten auf der östlichen Seite des Flusses nach Straßburg ziehen, und zu diesem Ende nach einem Orte übersetzen, der Kirchhofen heißt und auf dem entgegengesetzten Ufer liegt.«
»Räthst du dazu, Arthur?« versetzte sein Vater.
»Ich will mein Leben für die Treue dieses Mädchens verpfänden,« entgegnete der Sohn.
»Was!« sagte sein Vater, »weil sie hübsch auf ihrem Zelter sitzt und einen fehlerfreien Wuchs hat? So urtheilt ein Knabe – und doch fühlt sich mein altes und vorsichtiges Herz geneigt, ihr zu trauen. Wenn unser Geheimniß in diesem Lande bekannt ist, so gibt es ohne Zweifel Viele, die geneigt sein können, zu denken, es bringe ihnen Vortheil, wenn sie mir den Zutritt zu dem Herzog von Burgund versperren. Sie würden die gewaltthätigsten Mittel dazu nicht verschmähen. Du weißt wohl, daß ich mein Leben wohlfeil anschlagen würde, könnte ich mich durch den Verlust desselben meiner Botschaft entledigen. Ich sage dir, Arthur, mein Inneres macht mir Vorwürfe darüber, daß ich bis daher so wenig für sichere Besorgung meines Auftrags gethan habe. Das rührt von dem natürlichen Wunsch her, dich bei mir zu haben. Es liegen jetzt zwei Wege vor uns, beide gefährlich und unsicher, auf denen wir des Herzogs Hof erreichen können. Wir mögen diesem Führer folgen und ihn für treu annehmen, oder den Wink jenes irrenden Fräuleins beachten, auf die andere Seite des Flusses gehen und ihn bei Straßburg abermals überschreiten, so sind vielleicht beide Straßen gleich gefahrvoll. Ich halte es für meine Pflicht, das Wagniß, daß mein Geschäft mißlingen könnte, dadurch zu verringern, daß ich dich auf das rechte Ufer hinüberschicke, während ich mein Vorhaben ausführe und auf dem linken weiterziehe. So kann, wenn Einer von uns aufgefangen wird, der Andere entwischen, und der richtige Auftrag, den er hat, wird in gehöriger Weise ausgerichtet werden.«
»Ach, mein Vater!« sagte Arthur, »wie ist es mir möglich, Euch zu gehorchen, wenn ich Euch dabei allein lassen muß, so vielen Gefahren ausgesetzt, im Kampf mit so manchen Schwierigkeiten, in welchen ich Euch wenigstens gern meinen Beistand leihen würde, wenn er gleich nur schwach sein könnte? Was uns auch in diesen verwickelten und gefährlichen Umständen begegnen mag, laßt uns ihnen wenigstens mit einander entgegentreten.«
»Arthur, mein geliebter Sohn,« erwiderte sein Vater, »wenn ich mich von dir trenne, spalte ich mein eigenes Herz; aber dieselbe Pflicht, welche uns gebietet, unsern Leib dem Tode bloszustellen, befiehlt uns eben so bestimmt, unsere zartesten Neigungen nicht zu schonen. Wir müssen scheiden!«
»O, so laßt mich wenigstens in einem Punkte die Oberhand behalten,« versetzte der Sohn eifrig. »Geht Ihr, mein Vater, über den Rhein, und laßt mich den Weg auf der Straße verfolgen, welche wir ursprünglich einzuschlagen gedachten.«
»Und warum, ich bitte dich,« antwortete der Kaufmann, »sollte ich mich eher auf der einen Straße halten als auf der andern?«
»Weil,« sagte Arthur lebhaft, »weil ich für jenes Mädchens Treue mit meinem Leben bürgen möchte.«
»Schon wieder, junger Mann?« entgegnete sein Vater; »warum so vertrauensvoll auf des Mädchens Wort? Das kommt blos von der Zuversicht her, welche die Jugend in dasjenige setzt, was schön ist und gefällig. Oder hast du schon eine weitere Bekanntschaft mit ihr gemacht, als das kurze Gespräch von vorhin verstattete?«
»Kann ich Euch eine Antwort geben?« versetzte der Sohn. »Wir sind lange weg gewesen aus den Ländern, in welchen es Ritter und Edelfrauen gibt. Ist es nicht natürlich, daß wir denen, die uns die ehrenvollen Bande des Ritterthums und edlen Blutes in's Gedächtniß zurückrufen, blos zufolge unseres Gefühls den Glauben schenken, welchen wir einem unbedeutenden, schlechten Menschen versagen, wie dieser herumziehende Marktschreier, der sein Brod dadurch gewinnt, daß er die armen Bauern mit falschen Reliquien und nachgemachten Legenden betrügt?«
»Das ist eine leere Einbildung, Arthur,« sagte sein Vater, »nicht unpassend zwar für Einen, der die Ehren der Ritterschaft anstrebt, denn diese entnimmt ihre Begriffe vom Leben und seinen Ereignissen aus den Romanzen der Sänger, aber zu schwärmerisch für einen Jüngling, der, wie du, gesehen hat, wie es in dieser Welt hergeht. Ich sage dir, und du wirst erfahren, daß ich die Wahrheit rede: um den häuslichen Tisch unseres Wirthes, des Landammanns, saßen aufrichtigere Zungen und redlichere Herzen, als der versammelte Hof eines Monarchen aufzuweisen hat. Ach! der mannhafte Geist der Alten, Treue und Ehre sind selbst aus der Brust der Könige und Ritter entflohen, wo sie, wie Johann von Frankreich gesagt, ihre beständige Wohnung hätten haben sollen, wenn sie auch aus der ganzen übrigen Welt verbannt wären.«
»Sei dem wie ihm wolle, theuerster Vater,« erwiderte der junge Philipson, »ich bitte Euch, mir nachzugeben; und wenn wir uns trennen müssen, so laßt es so geschehen, daß Ihr das rechte Rheinufer hinunterziehet, denn ich bin überzeugt, daß dies die sicherste Straße ist.«
»Und wenn es die sicherste ist,« sagte sein Vater mit dem Tone zärtlichen Vorwurfs, »ist das ein Grund, warum ich den beinahe abgesponnenen Faden meines Lebens schonen und das deine, mein lieber Sohn, preisgeben sollte, das erst begonnen hat?«
»Ihr ziehet, mein Vater,« gab der Sohn mit Lebhaftigkeit zur Antwort, »indem Ihr so sprechet, den Unterschied nicht in Betracht, welcher zwischen unserer Bedeutung ist, wenn es sich von Ausführung der Absicht handelt, mit welcher Ihr Euch so lange getragen habt, und welche jetzt der Vollendung so nahe zu sein scheint. Bedenkt, wie wenig ich geeignet wäre, sie auszurichten, da ich den Herzog nicht persönlich kenne, und keine Beglaubigungsbriefe habe, um sein Vertrauen zu gewinnen. Ich könnte ihm freilich wiederholen, was Ihr mir gesagt, aber die Umstände könnten von der Art sein, daß sie mir den nothwendigen Glauben entzögen, und dann würde Euer Plan mit mir mißlingen, für dessen Fortgang Ihr gelebt habt, und jetzt Euch der Todesgefahr auszusetzen bereit seid.«
»Du kannst meinen Entschluß nicht erschüttern,« versetzte der alte Philipson, »oder mich überreden, daß mein Leben von größerer Wichtigkeit sei, als das deine. Du erinnerst mich blos daran, daß du dem Herzog von Burgund dieses Zeichen überbringen solltest und nicht ich. Solltest du so glücklich sein, und seinen Hof oder sein Lager erreichen, so wird der Besitz dieser Edelsteine für dich nöthig werden, um deine Sendung zu bezeugen. Hierzu waren sie für mich weniger erforderlich, denn ich kann mich auf andere Umstände berufen, und sie als Beweise für mich geltend machen, wenn es dem Himmel gefallen sollte, mich allein die wichtige Aufgabe lösen zu lassen, was die heilige Mutter Gottes in Gnaden verhüten möge! Versteh' also, wenn sich eine Gelegenheit darbietet, mit welcher du auf die andere Seite des Rheins gelangen kannst, so mußt du deine Fahrt so einrichten, daß du bei Straßburg wieder auf dieses Ufer übersetzest. Dort kannst du nach mir fragen, und zwar im fliegenden Hirsch, einer Herberge dieser Stadt, die du leicht finden wirst. Erhältst du in diesem Hause keine Nachrichten von mir, so begibst du dich auf den Weg zum Herzog, und überreichst ihm dieses wichtige Päckchen.«
Hier ließ er das Päckchen mit dem Diamantenhalsband so heimlich als möglich in seines Sohnes Hand gleiten.
»Was deine Pflicht sonst von dir fordert,« fuhr der alte Philipson fort, »weißt du wohl. Nur beschwör' ich dich, laß keine unnöthigen Nachforschungen nach meinem Schicksal dich in der großen Obliegenheit abhalten, deren du dich zu entledigen hast. Unterdessen halte dich darauf gefaßt, mir alsbald Lebewohl zu sagen. Mache dich stark, zuversichtlich und vertrauensvoll wie damals, als du vor mir herschrittst und dir muthig Bahn brachst durch die Felsen und Stürme der Schweiz. Der Himmel war zu jener Zeit über uns wie jetzt. Gott behüte dich, mein geliebter Arthur! Wollte ich warten bis auf den Augenblick des Scheidens, so bliebe nur wenig Zeit, um das traurige Wort auszusprechen, und kein Auge, als das deine, darf die Thränen erblicken, welche ich jetzt vergieße.«
Die peinlichen Gefühle, welche diesen vorläufigen Abschied begleiteten, waren auf Seite Arthurs so lebhaft und aufrichtig als bei seinem Vater. Es erschien dem ersteren im Anfang nicht als Quelle der Tröstung, daß er sich wahrscheinlich unter der Leitung des seltsamen weiblichen Wesens befand, die ihm immer in Gedanken lag. Die Schönheit Anna's von Geierstein sowohl, als die auffallenden Umstände, unter welchen sie sich gezeigt, hatten ihn allerdings diesen Morgen hauptsächlich beschäftigt, aber alles andere wurde jetzt aus seiner Seele durch den vorherrschenden Gedanken daran verdrängt, daß er im Begriff stand, sich in einem Augenblick der Gefahr von einem Vater trennen zu müssen, der seine höchste Achtung und seine zärtlichste Zuneigung so wohl verdiente.
Mittlerweile trocknete der Vater die Thräne vom Auge, welche sein ergebener Stoicismus nicht hatte unterdrücken können. Er rief, wie wenn er besorgt wäre, die Nachgiebigkeit gegen seine väterliche Liebe möchte seinen Entschluß entkräften, dem ferneren Bartholomä zu, und fragte ihn, wie weit sie noch von der Kapelle zur Fähre entfernt seien.
»Wenig mehr als eine halbe Stunde,« war die Antwort. Als der Engländer sich noch weiter erkundigte, warum jene errichtet worden war, erhielt er den Bescheid, ein alter Fährmann und Fischer, Namens Hans, habe lange an diesem Orte gewohnt, und seinen knappen Unterhalt dadurch gewonnen, daß er Reisende und Kaufleute von einem Flußufer zum andern geschafft. Das Unglück habe aber gewollt, daß er zuerst einen und dann den zweiten Nachen in dem tiefen und mächtigen Strome verloren, und die Furcht, die den Reisenden solche wiederholte Unfälle eingeflößt, habe sein Gewerbe unsicher zu machen angefangen. Da aber der alte Mann ein guter Katholik gewesen, so sei er durch sein Mißgeschick frommer geworden. Er begann nun auf sein früheres Leben zurückzublicken, und zu erwägen, durch welche Sünden er das Unheil verdient habe, welches den Abend seines Lebens trübte. Sein Gewissen wurde hauptsächlich durch die Erinnerung daran beunruhigt, daß er einmal, da die Fahrt besonders stürmisch war, sich geweigert hatte, seine Pflicht als Fährmann zu verrichten, und einen Priester an das andere Ufer zu schaffen, der ein Bildniß der heiligen Jungfrau bei sich trug, welches für das Dörflein Kirchhofen an dem entgegengesetzten rechten Ufer des Rheins bestimmt war. Da Hans nun seinen Zweifel an der Macht der heiligen Jungfrau, sich selbst, ihren Priester und den für ihren Dienst verwendeten Nachen zu schützen, für strafbar ansah, so unterwarf er sich einer schweren Büßung. Außer dieser bewies der alte Mann die Aufrichtigkeit seiner Reue dadurch, daß er einen großen Theil seiner weltlichen Güter der Kapelle in Kirchhofen darbrachte. Auch erlaubte er sich nie wieder, die Gänge der Angehörigen unserer heiligen Kirche zu verzögern; sondern alle Klassen der Geistlichkeit, von dem Prälaten mit der Bischofsmütze an, bis herunter auf den barfüßigen Mönch, durften zu jeder Stunde des Tages und der Nacht seinen und seiner Fähre Dienst in Anspruch nehmen.
Während er diesen löblichen Lebensgang verfolgte, wollte es das Schicksal, daß Hans an den Ufern des Rheins ein kleines Bildniß der heiligen Jungfrau fand. Die Wellen hatten es ausgeworfen, und es schien ihm völlig demjenigen zu gleichen, welches er sich einst so unfreundlich geweigert hatte, überzufahren, als es sich unter der Obhut des Priesters von Kirchhofen befand. Er stellte es an dem Theil seiner Hütte auf, der am meisten in die Augen fiel, und schüttete seine Andacht davor aus. Aengstlich forschte er nach einem Zeichen, woraus er hätte abnehmen können, ob die Ankunft ihres heiligen Bildnisses als ein Pfand dafür zu betrachten sei, daß ihm seine Übertretungen vergeben seien. In den Gesichten der Nacht erhielt er Antwort auf seine Bitte, und unsere heilige Mutter stand in Gestalt des Bildes neben seinem Bette, um ihm zu sagen, warum sie daher gekommen.
»Mein getreuer Diener,« sprach sie, »die Männer von Belial haben meine Wohnung zu Kirchhofen verbrannt, meine Kapelle geplündert und das heilige Bildniß, welches mich darstellt, in den angeschwollenen Rhein geworfen. Er hat mich abwärts geführt. Nun bin ich entschlossen, nicht mehr in der Nachbarschaft der Gottlosen wohnen zu bleiben, welche diese That verrichtet, oder bei den zaghaften Lehensleuten, welche sie nicht verhindert haben. Ich bin also genöthigt, meinen Aufenthalt zu ändern, und habe hierzu, dem Strome zum Trotz, das diesseitige Ufer bestimmt. Ich bin gewillt, meinen Sitz bei dir aufzuschlagen, mein getreuer Diener, auf daß das Land, in welchem du wohnst, gesegnet sei, und du und dein Haus.«
Während die Erscheinung sprach, kam es Hans vor, als ob sie aus ihren Locken das Wasser herausdrückte, in welches sie geworfen worden war. Ihr unordentlicher Anzug und ermüdetes Aussehen glich dem eines Menschen, der mit den Wellen gekämpft hat.
Der nächste Morgen brachte die Nachricht, daß in einer der zahlreichen Fehden dieser wilden Zeit Kirchhofen zerstört, die Kirche verwüstet und der Schatz derselben geplündert worden war.
Des Fischers Gesicht war dadurch auf merkwürdige Weise bestätigt, und Hans gab sein Geschäft völlig auf. Er überließ es jüngeren Leuten, seinen Platz als Fährmann auszufüllen, verwandelte seine Hütte in eine ländliche Kapelle, nahm die Weihen und wartete des Heiligthums als Einsiedler oder Kaplan. Man glaubte das Bild wirke Wunder, und die Fähre wurde berühmt, weil sie unter dem Schutz des heiligen Bildes der Mutter Gottes und ihres nicht minder heiligen Dieners stand.
Als Bartholomä seinen Bericht von der Fähre und ihrer Kapelle beendigt, waren die Reisenden an dem Orte selber angelangt.