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Fünfzehntes Kapitel.

Es war um die Stunde des Sonnenunterganges, als vor dem Zelte des Königs der langsame Schritt eines Panzerritters laut wurde. Thomas von Vaux, der neben seinem Herrn ruhte, und einen so leisen Schlaf hatte, wie ein getreuer Haushund, hatte kaum Zeit, aufzustehen und »Wer da?« zu rufen, als auch schon der Ritter vom Leoparden ins Zelt trat, einen Zug tiefer, aufrichtiger Trauer in seinem männlichen Gesicht.

»Was bestimmt Euch, Herr Ritter, zu so kühnem Eintritt?« sagte Thomas von Vaux ernst, aber leise, mit einem Wink auf den schlummernden König.

»Halt, Thomas von Vaux!« rief Richard erwachend. »Ritter Kenneth will Rechenschaft als wackerer Krieger von seiner Wache ablegen. Solche Männer haben im Zelte des Oberfeldherrn stets Zutritt.« Auf seinen Ellbogen gestützt, richtete er das große, funkelnde Auge auf den Ritter. – »Eure günstige Meinung, Majestät, wird sich rasch ändern,« sagte Ritter Kenneth. »Meine Wache war nicht ehrenvoll, denn Englands Banner ist fort!« – »Und Du lebst, mir das zu künden?« rief Richard im Tone spöttischen Unglaubens. »Nicht doch! Es kann nicht sein! Es ist ja nicht eine einzige Schramme in Deinem Gesicht. Warum verstummst Du? Sprich die Wahrheit! mit einem König scherzen ist eine schlimme Sache, doch ich verzeihe Dir, wenn Du gelogen hast.«

»Gelogen, Majestät?« rief der unglückliche Ritter in wilder Erregung, und ein Feuerblick schoß aus seinem Auge, verschwand aber schnell wie der Blitz, der aus hartem Kieselsteine sprüht. »Doch auch dies muß ich tragen, ich habe die Wahrheit gesprochen!« – »Beim heiligen Georg,« rief der König in heftiger Wut, mäßigte sich aber im Nu. »Thomas von Vaux, begib Dich zum Georgberg; das Fieber hat ihm sein Gehirn zerrüttet, es kann nicht sein, denn der Mut des Ritters hat sich bewährt. Es kann nicht sein!«

In diesem Augenblick trat atemlos Sir Henry Neville ein und brachte die Nachricht, das Banner sei fort und der Ritter, der die Wache gehabt, müsse überwältigt, wenn nicht erschlagen worden sein, denn es zeige sich eine Blutlache, wo man den Fahnenstab zertrümmert finde. – »Aber, wen sehe ich hier?« rief Neville, als seine Blicke plötzlich auf Ritter Kenneth fielen. – »Einen Verräter!« entgegnete der König und griff nach seiner stets am Bett hängenden Streitaxt. »Einen Verräter, den Du, wie es ihm gebührt, sterben sehen sollst!«

Bleich, aber wie eine Marmorsäule so starr, stand der Schotte vor ihm, mit entblößtem Haupt, die Augen zur Erde gesenkt, und rührte kaum merklich die Lippen, doch wahrscheinlich ein Gebet murmelnd. Ihm gegenüber, mit zum Schlage erhobener Streitaxt, stand König Richard, in die Falten seines weiten Linnenrockes gehüllt. Einen Augenblick stand er, wie zum Schlage bereit; dann senkte er die Streitaxt und rief: »Es war Blut auf dem Platze, Neville? so sagtest Du doch? Höre, Schotte! Du warst sonst tapfer, ich habe Dich fechten sehen. Sag, daß Du ein paar Hunde niederschlugst – und dann rette Dich aus dem Lager mit Deinem Leben und Deiner Schande!« – »Ihr habt mich einen Lügner genannt, königlicher Herr!« erwiderte Kenneth, »hierin aber seid Ihr im Unrecht. Außer dem Blut eines Hundes, der den Dienst versah, ist kein Blut geflossen.«

Abermals hob Richard den Arm; aber Thomas von Vaux warf sich zwischen ihn und den Schotten und sprach mit der ihm eigentümlichen Derbheit: »Mein Fürst, nicht also! zum wenigsten nicht durch Eure Hand! Für einen Tag und eine Nacht wars Narrheit genug, Euer Banner einem Schotten anzuvertrauen. Wars nicht immer meine Rede, daß Schotten ehrlich und falsch zugleich seien?«

»Du hast recht gehabt,« sagte Richard, »ich hätte ihn besser kennen sollen,« rief er, »und doch, Thomas von Vaux,« fuhr er nach kurzer Pause fort, »das Benehmen dieses Menschen ist seltsam! Memme muß er sein oder Verräter; und doch erwartete er den Streich, als hätten wir den Arm erhoben, ihn zum Ritter zu schlagen. Zitterte ihm nur ein Glied? zuckte, nur eine Wimper? ich hätte seinen Kopf zertrümmert wie ein Stück Glas. Aber wo ich weder Furcht noch Widerstand erblicke, da kann ich nicht zuschlagen.«

Es entstand eine Pause. – »Mein König,« sagte Kenneth. – »Ha!« unterbrach ihn Richard, »ist Dir die Sprache wiedergekommen? Erflehe, Gnade vom Himmel, doch nicht von mir; denn England ist beschimpft durch Deinen Fehltritt, und wärst Du mein eigner, einziger Bruder, für diesen Fehltritt winkte Dir kein Pardon.« – »Es steht in Eurer Majestät Belieben,« versetzte Kenneth, »mir Zeit zur Beichte zu lassen oder nicht. Aber um soviel Frist ersuche ich meinen König, Dinge Mitzuteilen, die Eurem Ruf als christlichen König nahe angehen.« – »Sprich!« versetzte der König, der nicht anders dachte, als daß er ein Geständnis über den Verlust des Banners hören solle. – »Was ich zu sagen habe,« fuhr Kenneth fort, »betrifft das königliche Ansehen Englands, und nur Deinen Ohren kann ich es vertrauen.« – »Entfernt Euch, Ihr Herren!« sagte der König zu Neville und Thomas von Vaux.

Neville gehorchte, aber Thomas von Vaux weigerte sich. – »Wie, Thomas von Vaux?« sagte Richard, leicht mit dem Fuße stampfend, »Du willst unsere Person mit einem Verräter nicht allein lassen?« – »Ihr furcht umsonst die Stirn, mein König!« versetzte Thomas von Vaux. – »Gleichviel,« entgegnete der schottische Ritter; »ich suche keinen Vorwand, um Zeit zu gewinnen, sondern werde auch in Gegenwart des Lords sprechen. Er ist brav und treu.« – »Noch vor einer halben Stunde,« sagte Thomas von Vaux mit tiefem Seufzer, »hätte ich von Dir dasselbe behauptet.« – »Ihr seid von Verrätern umgeben, König von England,« fuhr Ritter Kenneth fort. – »Das mag sein,« entgegnete Richard, »ein Beispiel steht mir ja vor Augen.« – »Ich spreche von einem Verrat, der Dich tiefer bedünken wird, als der Verlust von hundert Fahnen. Lady – « hier stockte Kenneth; endlich fuhr er mit leiserer Stimme fort: »Lady Edith – « »Ha!« rief der König, plötzlich eine erhöhte Aufmerksamkeit zeigend und sein Auge starr auf den vermeintlichen Verbrecher heftend; »was hat sie hiermit zu schaffen?« – »Mein König,« erwiderte der Schotte, »es ist ein Plan im Werke, Schimpf auf Euer königliches Haus zu laden. Lady Edith soll dem Sarazenensultan ausgeliefert und ein schmählicher Friede durch eine schmähliche Verbindung mit England erkauft werden.«

Die Wirkung, die diese Worte hervorbrachten, war eine völlig andere, als Ritter Kenneth erwartet hatte.

»Still,« rief König Richard, »ich lasse Dir die Zunge ausreißen, Verwegner, wenn Du den Namen dieser edlen christlichen Prinzessin noch einmal nennst! Wisse, Verräter, daß es mir nicht unbekannt geblieben, wohin Du Deine Augen zu heben wagtest! Ich habe Dir diese Unverschämtheit nachgesehen, so lange Du uns in den Glauben wiegtest, Wir hätten in Dir einen Ritter von Namen und Ruf vor uns. Aber auch jetzt noch wagst Du es, eine uns verwandte Prinzessin als eine Person zu nennen, an deren Schicksal Du Anteil nimmst? Was scherts Dich, oder sonst jemand, wenn es mir gefallen sollte, mich der Person des Sultans Saladin zu sichern in einem Lager, wo es von Verrätern und Feiglingen wimmelt?« – »Mir gewiß wenig oder nichts, denn mich wird ja die ganze Welt bald nichts mehr scheren,« antwortete Ritter Kenneth; »aber läge ich auch auf der Folter, so sagte ich Dir, mein König, daß Du, wenn Du nur den Gedanken hegen solltest, Lady Edith, Deine Verwandte – « »Nenne ihren Namen nicht! und denke nicht mehr an sie!« rief der König, die Streitaxt wieder schwingend.

»Ich soll sie nicht nennen? soll nicht an sie denken?« entgegnete Kenneth, dessen Mut sich wieder zu beleben anfing. »Beim heiligen Kreuz, ihr Name soll das letzte Wort in meinem Munde, ihr Bild der letzte Gedanke meiner Seele sein!«

»Er macht mich noch wahnsinnig!« rief Richard, durch die Festigkeit des Schotten in seinem Plane erschüttert.

Da entstand draußen ein Geräusch, und die Ankunft der Königin wurde gemeldet.

»Halte sie zurück, Neville,« sagte der König, »das ist kein Bild für Frauen! Daß ich mich durch diesen elenden Verräter in solche Wut bringen ließ! Hinweg mit ihm, Thomas,« flüsterte er, »durch den hinteren Eingang unseres Zeltes! Bring ihn in engen Verwahrsam; Du bürgst mit Deinem Leben für ihn. Er soll sterben, gleich! aber mit Schwertgurt und Sporen, denn tapfer war er immer! und auch den Pater versage ihm nicht.«

Thomas von Vaux war froh, daß Richard sich zu keiner so unköniglichen Tat erniedrigte, selbst den Streich gegen einen Gefangenen zu führen, der keinen Widerstand leistete. Er führte Ritter Kenneth durch eine Hintertür in ein abgesondertes Zelt, wo er entwaffnet und in Fesseln geschlagen wurde.

»Es ist König Richards Wille,« sprach er, »daß Ihr den Tod erleidet, ohne Verstümmelung, ohne Schimpf; der Scharfrichter soll Euch den Kopf vom Rumpfe trennen.« – »Sehr gnädig von meinem Könige!« sagte der Ritter demütig, wie jemand, dem eine erhoffte Gunst zuteil wird; »auf diese Weise hört meine Familie doch nicht das Schlimmste. – O mein Vater!«

Thomas von Vaux, dem es bei aller Derbheit an menschlicher Gesinnung nicht fehlte, strich sich mit der Rückseite seiner breiten Hand über sein rauhes Antlitz, ehe er weiter sprechen konnte ... »Es ist ferner König Richards Wille, daß Ihr Euch mit einem Geistlichen unterredet. Ein Karmelitermönch, er wartet draußen, er soll Euch auf Euren Hintritt bereiten.« – »Gottes und des Königs Wille geschehe!« antwortete der Ritter gelassen.

Thomas von Vaux entfernte sich langsam aus dem Zelt, blieb aber an der Tür stehen und blickte nach dem Schotten zurück, der in tiefe Andacht versunken zu sein schien. »Ritter Kenneth, Du bist noch jung, Du hast einen Vater,« sagte Thomas von Baux tief ergriffen, indem er eine der gefesselten Hände des Schotten aufhob... »kann nichts zu Deinen Gunsten gesprochen oder getan werden?« – »Nichts,« lautete die schwermütige Antwort, »ich war meiner Pflicht ungetreu. Das mir anvertraute Banner ist fort. Sofern Henker und Block bereit sind, Haupt und Rumpf sind es bereits.« – »Nun, so erbarme sich Gott Deiner!« rief Thomas von Baux; »aber mein bestes Roß gäbe ich drum, wenn ich die Wache selbst übernommen hätte. Dahinter steckt ein Geheimnis, junger Mann, das ein Unbefangener wohl ahnen, doch nicht durchschauen kann.«


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