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Unterdes ist es Leberecht Hühnchen recht gut gegangen. Er hat seine Stellung in der Fabrik vor dem Oranienburger Tor mit einer solchen an einer Eisenbahn vertauscht und bei dieser Gelegenheit eine Verbesserung seines Gehaltes erfahren. Zudem ist ihm ganz unerwartet eine kleine Erbschaft zugefallen, welchen Umstand er sofort benutzt hat, einen langjährigen Lieblingsplan auszuführen, nämlich sich ein eigenes Haus mit einem Gärtchen dabei anzuschaffen. Im letzten März kam er eines Tages zu mir und ging nach der ersten Begrüßung, ohne weiter etwas zu sagen, die Daumen in die Ärmellöcher seiner Weste gesteckt, im Zimmer auf und ab, indem er sich sichtlich ein gespreiztes und geschwollenes Ansehen zu geben suchte. Nachdem ich eine Weile mit Verwunderung diesem Treiben zugesehen hatte, stellte er sich breitspurig vor mich hin und fragte, indem er mit leuchtenden Augen mich triumphierend anblickte: »Bemerkst du gar nichts an mir?«
»Es scheint mir«, sagte ich, »daß du sehr gut gefrühstückt hast.«
»Nicht im geringsten«, sagte er, »aber bemerkst du nicht etwas Wohlhabendes, ja fast Protzenhaftes an mir? Sieht man mir nicht auf hundert Schritte an, daß ich Grundeigentümer und Hausbesitzer bin?«
Ich war ganz erstaunt über diese unerwartete Tatsache.
»Ja, es ereignen sich wunderliche Dinge«, sagte er, stellte sich vor den Spiegel und nickte seinem Bild wohlwollend zu: »So sieht man also aus?« fuhr er fort. »Hier unterhalb fehlt's noch. Eine gewisse wohlhabende Rundung des Bäuchleins scheint mir das zu sein, wonach ich zunächst zu streben habe. Auf dieser Grundlage würde dann eine goldene Uhrkette von hinreißender Wirkung sein.«
»Vor allen Dingen befriedige meine Neugier«, sagte ich, »was hat dies zu bedeuten?«
»Weiter nichts«, war die Antwort, »als daß ich mir gestern in Steglitz ein Haus gekauft habe mit einem Garten. Ein reizendes Häuschen. Es ist zwar nur klein, aber sehr niedlich. Du mußt nicht denken, daß es eine sogenannte Villa ist – Säulen und Karyatiden und ornamentales Gemüse sind gar nicht daran. Ich hab's von einem Schuster gekauft, der nach Amerika geht. Es riecht darin ziemlich nach Leder und Pech, aber das gibt sich, wenn ich es erst tapeziert habe. Der Garten ist entzückend, das heißt wie ich ihn mir denke, wenn ich ihn erst bepflanzt habe; denn augenblicklich ist gar nichts drin als ein kleiner Nußbaum und ein Birnbaum. Der Schuster schwört, es seien Bergamotten. Am Hause ist ein junger Weinstock, der im vorigen Jahre, wie mir derselbe Mann unter Flüchen beteuerte, bereits sieben Trauben ›von eine jute, süße Sorte‹ getragen hat. Denke dir, das wächst alles und vermehrt sich. Stelle dir vor, was ich an Obst dazu pflanzen werde, natürlich nur die edelsten Arten, denn der Platz ist kostbar. Was meinst du zu einem Mistbeet? Würdest du es für einen unverantwortlichen Luxus halten, wenn ich Melonen züchtete?
An die Schattenseite des Hauses wird Efeu gepflanzt, an die Westseite Rankrosen. Schließlich soll es ganz besponnen und berankt sein, wie es immer in den Geschichten vorkommt, wenn die Dichter ein idyllisches Glück schildern wollen. Oben liegt eine Giebelstube mit der Aussicht auf den Garten, wunderbar geeignet für eine alte Dame, die Blumen malt, oder einen Junggesellen, der Verse macht. Dieses Zimmer wollen wir vermieten. Es soll uns einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Verzinsung des hineingesteckten Kapitals liefern. Am ersten April wird eingezogen. Lore und die Kinder sind fast außer sich vor Entzücken. Siehst du, das ist die große Neuigkeit.«
Ich suchte, so gut ich es vermochte, an dem Entzücken des lieben Freundes teilzunehmen und gab das Versprechen ab, nach geschehener Einrichtung dies gepriesene Idyll zu besichtigen. Eines Sonntags am Ende des Aprils fuhr ich zu diesem Zwecke nach Steglitz und ward mit großer Freude von der Familie Hühnchen begrüßt. Wie ich mir schon gedacht hatte – es war ein kleines erbärmliches Häuschen, aber, was die Leute draus gemacht hatten, das war wunderbar. Unten enthielt es außer einem kleinen Vorraum eine winzige Küche und drei Zimmer, deren eines aber so eng wie ein Vogelbauer war und lebhaft an Hühnchens Schlafzimmer in Hannover erinnerte, woselbst er sich die Stiefel nicht anziehen konnte, ohne die Tür zum Nebenzimmer zu öffnen. In dieses Stübchen führte mich Hühnchen zuerst, und zwar mit besonderer Wonne.
»Siehst du, lieber Freund«, sagte er, »alle Früchte reifen allmählich an dem Baum der Erfüllung und fallen einem lieblich in den Schoß. Mein langjähriger Wunsch, seit ich verheiratet bin, ein Stübchen ganz für mich zu haben, ist nun auch erfüllt.«
Ich schaute in dem kleinen Raum umher. Vor dem Fenster stand ein Tisch mit grünem Stoff bis zum Fußboden behangen und füllte die ganze Breite des Zimmers aus. Zwei Stühle und ein Bücherbrett waren sämtliche übrigen Möbel – mehr war auch nicht gut unterzubringen. An der Wand, dem Bücherbrett gegenüber, hingen, »anmutig gruppiert«, wie Hühnchen sich ausdrückte, die Photographien einer Lokomotive, die Bilder seiner Eltern und vieler Freunde. Das technische Museum, den Ahnensaal und den Freundschaftstempel nannte er das. Jetzt deutete er mit einer listigen Verschlagenheit in Blick und Wesen auf den grün behangenen Tisch, der mit Schreibutensilien und Büchern bedeckt war, und sagte:
»Sieht dieses Möbel nicht merkwürdig opulent und fast prunkvoll aus – nicht wahr? Eine gewisse erhabene Großartigkeit kommt darin zum Ausdruck?«
Ich bestätigte dies lächelnd.
»Blendwerk der Hölle!« sagte Hühnchen, hob die Decke empor und sah mich triumphierend an. Es zeigte sich, daß dieser Tisch weiter nichts war, als eine große Kiste, mit der Öffnung nach vorn auf die Seite gelegt.
Wir besichtigten dann die anderen Räume der Wohnung, und ich fand alles so behaglich, freundlich und sauber, wie es mit den einfachen Möbeln nur erzielt werden konnte. Dann ging's in den Garten. Es war unglaublich, was auf diesem kleinen Raum alles gesät und gepflanzt war. Dort befand sich ein Kartoffelfeld in der Größe von vier Quadratmetern und außerdem alle nur denkbaren Küchengewächse auf Beeten von den winzigsten Dimensionen.
»Ich habe vor allen Dingen eine große Reichhaltigkeit der Bebauung angestrebt«, sagte Hühnchen, »in dieser Hinsicht soll der Garten ein Glanzpunkt dieser Besitzung werden.«
Er zog ein Papier aus der Tasche und breitete es vor mir aus: »Der Bebauungsplan!« sagte er wichtig. »Wird alljährlich angefertigt, um einen rationellen Fruchtwechsel beobachten zu können.«
In verschiedenen zarten Farben waren dort alle Beete verzeichnet und mit zierlicher Rundschrift bei jedem die Art der Bepflanzung angemerkt. Bei dem Nußbaum, der durch einen kleinen, grünen Kreis angedeutet war, sah ich ein schwarzes Viereck mit der Überschrift: »Hänschen.«
»Was ist das?« fragte ich.
»Dort liegt Hänschen begraben«, antwortete Hühnchen, »unser guter Kanarienvogel. Er muß sich beim Umzug erkältet haben, denn gleich nachher blies er sich auf und kränkelte. Lore will gehört haben, daß er gehustet hat, allein das ist wohl ein Irrtum. Er hatte übrigens stets eine zarte Gesundheit. Kurz vor seinem Tode hat er noch einmal ganz leise gezwitschert und gesungen wie im Traum. Dann fiel er plötzlich von der Stange und war tot. Es muß Herzschlag gewesen sein oder so was. Wir haben ihn sehr feierlich begraben. Zuerst war er ausgestellt auf rosa Watte in einer Schachtel mit Schneeglöckchen. Nachher, als die Kinder ihn hinaustrugen, hat Lore einen Trauermarsch gespielt. Hier ist sein Denkmal.«
Wir waren unterdes an den Nußbaum gelangt und es zeigte sich dort ein flacher Stein mit der Inschrift: »Hänschen.« Eine kleine dünne Efeuranke war daneben gepflanzt.
Wir besichtigten den Garten weiter. Die Abteilung für Obst zeigte einen Zuwachs von sechs Stachelbeerbüschen in sechs verschiedenen Sorten; Johannisbeerbüsche waren in derselben Fülle vorhanden, während Himbeersträucher in der stattlichen Anzahl von zwölf Exemplaren sich den Blicken zeigten.
»Diese beiden neu gepflanzten Bäume betrachte mir Ehrfurcht«, sagte Hühnchen, »Gravensteiner und Napoleonsbutterbirne.« Das letzte Wort sprach er in einem gastronomischen Schmunzeln aus, als zerginge ihm schon jetzt diese saftige Frucht auf der Zunge.
Zum Schluß, nachdem ich das Gebirge, ein Etablissement aus sechs Feldsteinen, und den Teich, eine eingegrabene Tonne zum Auffangen des Regenwassers, bewundert hatte, ward ich auf ein Blechgefäß aufmerksam, das sich oben auf der bis jetzt nur aus kahlen Latten bestehenden Laube befand. Ich erkundigte mich danach.
»Bassin für die Wasserkunst«, sagte Hühnchen, »die Anlage ist noch im Werden begriffen. Wenn du uns später einmal wieder besuchst, werden wir zur Feier des Tages die großen Wasser spielen lassen. Dies wird dem Ganzen eine besondere und festliche Weihe verleihen!«
Im Laufe des Frühlings und Sommers kam ich mit Hühnchen nicht wieder zusammen. Am Ende des Septembers aber erhielt ich von ihm einen Brief folgenden Inhalts:
Steglitz, den 28. September 1881 Villa Hühnchen |
Herr und Frau Hühnchen geben sich die Ehre, Sie zum Sonntag, den 2. Oktober, nachmittags 5 Uhr, zur Weinlese einzuladen.
Programm
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U.A.w.g. |
Daß ich zusagte, war selbstverständlich. Außer mir war nur noch ein Gast geladen, nämlich eine würdevolle ältere Dame, die die Giebelstube gemietet hatte und dort von den Zinsen eines kleinen Vermögens und der Erinnerung an eine glanzvolle Jugend zehrte. Es war eine steife, anspruchsvolle Person, die, sobald man sich nicht genügend mit ihr beschäftigte, einen Dunst von Vernachlässigung und Kränkung um sich verbreitete.
»Sie hat bessere Zeiten gesehen«, flüsterte Hühnchen mir zu. »Sie stammt aus einer reichen Familie, die aber später verarmt ist. In ihrer Jugend hat sie von silbernen Tellern gespeist. Sie hätte sich fünfmal vorteilhaft verheiraten können – einmal sogar mit einem Grafen – aber sie hat nicht gewollt. Sie hat schwere Schicksale erlitten und ist dadurch etwas muffig und säuerlich geworden, aber wir behandeln sie mit Schonung – natürlich – wie du dir wohl denken kannst.«