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Frau Drees ist keine kleinliche Frau. Sie könnte Emilie schikanieren. Boshafte Worte könnte sie ihr sagen. Sie könnte ihr begreiflich machen: wie wäre es, wenn im nun wieder daran dächtest, nach Hause zu fahren? Sie könnte auch sagen: ›Ich verstehe nicht, wie man sich einem Manne so an den Hals werfen kann. Du fährst mit ihm nach Thorde und ihr kommt erst spät in der Nacht nach Haus. Ein junges Mädchen müßte mehr auf seinen Ruf bedacht sein.‹
Mit solchen Worten hätte Frau Drees Emilie treffen können, aber das tat sie nicht. Nein, Frau Drees war keine boshafte Frau. Sie war ärgerlich auf Emilie. Auf einmal dicht vorm Ziel schon gibt es noch ein Wettrennen. Es ist lächerlich, wenn zwei Frauen um einen Mann kämpfen müssen, von dem sie noch gar nicht wissen, ob sein Herz von ihnen berührt ist.
Frau Drees schilt sich oft. Doch sie hat es sich in den Kopf gesetzt, daß Christian den Hof retten könnte. Zwar versteht er noch nicht viel von Vieh und Ackerwirtschaft, aber das lernt sich. Er ist ein kräftiger Mensch und obgleich er Seemann war, ist er sparsam und kann das Geld zusammenhalten. Frau Drees glaubt, daß sie kaum einen geeigneteren finden könnte.
Nun, plötzlich, kommt ihr Emilie dazwischen. Sie hat ihre Launenhaftigkeit besiegt, und als müßte es dieser sein und kein anderer, klammert sie sich nun an Christian.
Ja, Frau Drees ist ärgerlich. Was will das junge Mädchen mit diesem Mann? Sie ist aus der Stadt, hat eine leidliche Schulbildung, und ihre Eltern rechnen damit, daß sie einmal einen Lehrer heiratet oder einen Beamten. Statt dessen ist sie auf einen Mann erpicht, der nichts hat, und mit dem sie aus magerem Topf essen müßte, weil auch ihre Eltern ihr nichts weiter mitgeben können als Möbel und Leinenzeug.
Wie stellen sie sich das eigentlich vor? denkt Frau Drees. Glauben sie vielleicht, ich ließe sie hier auf dem Hof schalten und walten. Vielleicht denken sie auch, ich ginge einmal aufs Altenteil. Was sind das für kuriose Einfälle? Weiß Gott, wie sich in manchen Köpfen die Welt malt!
Frau Drees hat es aufgegeben, Christian abends mit Wirtschaftsdingen zu kommen. Er sitzt neben Emilie, und sie schwatzen und lachen zusammen. Christian hat selbst die Stühle wieder umgestellt. Er sitzt nicht mehr auf dem Platz, den Drees einmal inne hatte.
Ja, Frau Drees ist ärgerlich über diese Wendung. Sie nimmt sich vor, mit Emilie ein ernstes Wort zu sprechen. Sie will mit ihr verhandeln. Sie wird zu ihr sagen: ›Du hast dich in ihn verliebt. Aber das ist noch längst keine Liebe. Tändeln und scharmutzieren, das ist Verliebtsein. Aber Liebe ist Hunger und Leiden. Das verstehst du noch nicht‹, will Frau Drees sagen. ›Schön, du bildest dir ein, daß du ihn lieb hast. Nun ja, er ist ein hübscher Mensch. Er hat auch allerlei hinter sich. Schließlich muß ein Mann sich die Hörner abgelaufen haben. Aber was nun? Woraufhin wollt ihr denn heiraten. Und was werden deine Eltern sagen? Du könntest in der Stadt bestimmt eine gute Partie machen. Da wärst du Zeit deines Lebens aus Sorgen raus. Und hier hängst du dich an einen Mann, der nichts ist und nichts hat. Wo wollt ihr denn überhaupt wohnen?‹
Das will Frau Drees zu Emilie sagen. Sie glaubt auch, daß Emilie dann in Tränen ausbrechen wird und Frau Drees wird sie dann trösten und zu ihr sagen: ›Am besten ist es, du fährst eine Zeitlang nach Hause. Paß auf, du wirst es mir noch danken.‹
So ungefähr hatte Frau Drees sich das vorgestellt. Aber nun kam Christian und bat sie in die Stube.
»So feierlich?« lachte Frau Drees. Ihr war nicht wohl bei dem Lachen.
Christian berichtete ihr das Gespräch mit Iben Kars.
»Er hat recht«, sagte er, »was soll ich schließlich anfangen?«
»Was will er?« antwortete Frau Drees. »Ich habe nicht über Emiliens Hand zu bestimmen. Da müßt ihr euch an ihre Eltern wenden.« Sie schob den Stuhl laut zurück.
»Das magst du ihm selbst sagen«, erwiderte Christian. »Ich will aber nicht, daß er für mich den Freier macht. Ich werde mir selbst Emiliens Wort holen.«
Damit ging Christian hinaus.
Am Sonntag kam Iben Kars auf den Hof am See. Frau Drees empfing ihn in großer Ruhe. Sie hörte seine Worte an und rief Emilie herein.
Iben Kars fragte sie, ob sie seinem Brudersohn Christian Kars eine gute Frau zu werden bereit sei.
Errötend versprach es Emilie.
Es stellte sich heraus, daß Christian nach Thorde gefahren war. Iben Kars beherrschte sich. Er sagte: »Ich habe sein Wort, das genügt.«
Sie setzten dann noch den Tag fest, an dem die Verlobung gefeiert werden sollte. Emilie glaubte, daß bis dahin auch die Antwort ihrer Eltern eingegangen wäre.
Iben Kars blieb über Mittag. Frau Drees, auf seinen Besuch vorbereitet, hatte ihn eingeladen, und er schlug es nicht ab.
Es wurde nicht viel geredet beim Essen. Doch war jedes Wort, das Iben Kars an Frau Drees richtete, von großer Herzlichkeit. Sie nötigte ihn zuzulangen und legte ihm die besten Stücke auf den Teller. Dankbar schien er ihre Fürsorglichkeit zu empfinden.
Am Nachmittag kehrte Christian aus Thorde zurück und brachte Emilie einen Ring mit.
*
Mit der Geige kam Bolk, der Schmied. Nicht mehr zerbrochen war der Bogen. Es war wieder Tanz und Musik. Iben Kars hatte den Schmied holen lassen. Bis in die Nacht waren die Fenster hell auf dem Hof am See. Es waren viele Gäste gekommen. Beinahe wie eine Hochzeit ließ Iben Kars die Verlobung feiern.
Selten sind solche Feste in Sureiken. Schade wäre es gewesen, wenn Mißlaune die frohen Stunden gestört hätte. Nein, es gab keinen Unmut. Keinen Verdruß gab es, nicht einmal einen scheelen Blick.
Iben Kars saß oben an der Tafel. Er gab acht, daß kein Ärger aufkam.
Frau Drees bewirtete die Gäste. Lisa half ihr dabei. Emilie aber saß an Christians Seite und hatte nichts weiter zu tun, als Glückwünsche zu empfangen. Ihnen gegenüber war Frau Sebas Platz. Wenn sie den Blick zu dem jungen Paare wandte, lag eine süße Vergessenheit darin. Sie hätte am liebsten die Brautleute für sich gehabt und ihnen von ihrer eigenen Liebe erzählt, damals, als Bolk um sie freite, Abend für Abend mit der Geige kam und ihr jeden Wunsch von den Augen spielen wollte.
Iben Kars hatte sich dieses Fest etwas kosten lassen. Er, der sonst mit jedem Pfennig zu rechnen verstand, hatte Frau Drees Geld in die Hand gedrückt. ›Wenn es nicht reicht, sag es. Ich wünsche, daß dem Fest nichts abgeht.‹ Iben Kars wollte den Leuten zu verstehen geben, daß kein Stein läge zwischen ihm und Christian.
Frau Drees war eine kluge Frau. Sie nahm das Geld und ließ es sich nicht anmerken, daß sie lieber gewünscht hätte, diese Feier würde für sie gerüstet.
Christian war der ganze Spektakel, wie er es nannte, unangenehm.
»Die Leute wissen, woher das Geld kommt«, murrte er. »Der Alte will sich nur groß tun und zeigen, wie erbärmlich man ist.«
Er hätte am liebsten einen Ärger vom Zaun gebrochen, um diese Feier im letzten Augenblick noch zu verhindern, aber Frau Drees redete ihm gut zu:
»Was ist dabei? Iben Kars ist der Bruder deines Vaters. Kein Mensch findet etwas daran. Letzten Endes stammt ja das, was er dir zukommen läßt, von dem Erbe, das ihm als dem Älteren einmal zufiel. Hier würde mancher froh sein, wenn er der Neffe von Iben Kars wäre. Glaub mir, die würden ihm ganz anders auf der Tasche liegen. Was hat er denn schon für dich getan?«
Christian wollte widersprechen, doch Frau Drees ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Sei nicht dumm. So fest steht kein Mensch auf der Erde, daß er nicht mal den Arm des andern braucht. Stell dich gut mit ihm. Du mußt nun auch an die Zukunft denken, schon Emiliens wegen.«
Es gelang Frau Drees schließlich, Christian zum Nachgeben zu bringen.
Nun wo das Schicksal für Emilie entschieden hatte, wäre Frau Drees die letzte gewesen, die es sich herausgenommen hätte, diesen Entscheid zu ihren Gunsten zu wandeln.
Man kann dem Himmel keine Zügel anlegen. Er fährt wohin er will. Man muß sehen, daß man nicht unter ihm zu Fall kommt.
Frau Drees hatte ihre Pläne wieder einmal durchstreichen müssen. Das hatte sie schon öfter getan im Leben. Sie war freundlich und redete Christian gut zu.
Nun war auch Bolk mit der Geige gekommen, und es gab viel Lärmen und Fröhlichkeit auf dem Hof am See. Bier gab es und Branntwein für die Männer, und süße Schnäpse für die Frauen. Schinken und Wurst gab es und bestreuten Kuchen, den Frau Drees selbst gebacken hatte.
Auch Lisa hatte ein paar Kuchen herübergeschickt. Die schnitt sie nun selber auf.
Ja, auch Lisa war auf dem Hof am See erschienen. Iben Kars hatte sie an seinem Arm hereingeführt. Sie trug ein reiches Kleid und eine Kette lag um ihren Hals. Nun waren alle Mäuler gestopft in Sureiken. Man sprang auf und begrüßte die beiden mit lauten Worten.
Lisa sagte ihre Glückwünsche. Zuerst der Braut, und dann dem Bräutigam. Sie reichte Christian die Hand, sie sprachen miteinander. Nein, zwischen den beiden konnte nichts vorgefallen sein. Wie hätten sie sonst so lange miteinander reden können, wenn rings am Tisch die Neugier hockt.
Neben Iben Kars saß Otto Boek, dem der Nachbarhof gehörte. Er beugte sich zu dem Alten und lobte Christian. Vor Wochen noch hatte er zu Iben Kars ein schiefes Wort über Christian gesagt. Er glaubte damals, mit so einem Schwatz gut anzukommen. Aber Iben Kars war ihm über den Mund gefahren. Nun wollte Otto Boek das gutmachen. Darum lobte er den Bräutigam.
Vor dem vollgepackten Tisch tanzte Braatz. Keiner achtete auf ihn, denn heute wollte jeder sich von seiner lustigen Seite zeigen. Sie sangen, schrien und scherbelten durcheinander.
Frau Seba seufzte. Sie beugte sich zu Frau Laabs und sagte: »Sie tanzen die Hochzeit weg.« Aber Frau Laabs lachte, lachte wie die anderen und rief: »Nein, sie tanzen die Taufe heran!« Die bunten Liköre waren ihr zu Kopf gestiegen und ihr Mann stieß sie in die Seite und sagte: »Heute hast du das Leder gekauft.«
Ja, Bier gab es, Branntwein und bunte Liköre in Hülle und Fülle. Doch das genügte Iben Kars noch nicht. »Von diesem Tage soll man reden in Sureiken. Bis nach Thorde soll man von diesem Tag sprechen.«
Jawohl, so ist Iben Kars, er ist alt, aber er ist reich und mächtig. Was er nicht sehen will, sieht er nicht. Er zwingt auch die anderen, mit seinen Augen zu sehen. Was er nicht sehen will, werden auch sie nicht sehen. Nun wird es keinen mehr geben, der einen Witz zur Hand hat, wenn man von Iben Kars spricht. Was ist der Neffe gegen ihn? Ein Waschlappen, den er ausdrückt, wenn es ihm gefällt.
Iben Kars ruft Christian zu sich heran und Christian kommt. Der Alte spricht leise mit ihm. Er zieht die Geldbörse aus der Tasche, so daß es jeder steht, er klimpert mit dem Geld, dann besinnt er sich, schließt die Börse und gibt die ganze Börse Christian. Vor aller Augen hat Iben Kars in die Tasche gegriffen und Christian das Geld in die Hand gedrückt.
Ja, Iben Kars ist reich und mächtig. Christian wagt nicht, sich dagegen aufzulehnen. Er nimmt das Geld. Er findet wohl nicht einmal etwas dabei. Bier hat er getrunken und Schnaps, und nun nimmt er die Börse, winkt Emilie und sie gehen hinaus.
Ja, Christian tut, was Iben Kars will. Körbe nehmen sie und machen sich auf den Weg zu Dan Lebbers. Sie kommen als Boten von Iben Kars. Wein wollen sie holen. Iben Kars will, daß Wein getrunken wird! Emilie freut sich darüber. Auch in der Stadt wird Wein getrunken. Nein, an diesem Tage merkt man nicht, daß man auf dem Dorfe lebt. Es geht zu wie in der Stadt. Weil Iben Kars es wünscht, ist dieser Tag zu einem Fest geworden, wie man es in Städten nicht besser feiern kann.
Dan Lebbers packt die Körbe voll Flaschen. Emilie kann kaum ihren Korb tragen. Christian muß noch helfen. Sie gehen langsam nach Hause und schleppen schwer an dem Wein.
Am kürzesten ist der Weg, wenn sie gleich über den Kirchhof gehen. Zwischen den Gräberreihen gehen sie entlang. Früher hat sich Emilie davor gefürchtet. Sie tut es schon längst nicht mehr, denn sie weiß, daß die Toten von Sureiken friedlich sind, und daß sie neben den Lebenden ihr zufriedenes Leben führen.
Auf einmal aber ist zwischen den Gräbern ein Gekicher. Kein junges tuschelndes, das seine Liebe nicht verraten will, ein altes zahnloses Gekicher ist es. Vielleicht war es der Wind. Aber nein, es ist kein Wind da, die Sträucher stehen still. Die Zweige der noch kahlen Bäume rühren sich nicht. Nein, es ist kein kichernder Vorfrühlingswind, der in die Nacht vorübertollt. Das Gekicher steht still. Zwischen den Gräbern steht dieses greise heisere Kichern.
Emilie zittert vor Schreck. Christian hebt die Laterne. Zwischen den Gräbern stehen Miele Wulk und Tonnis, der Nachtwächter.
›Heute wird in Sureiken getanzt‹, hatte Tonnis gesagt, ›das ist ein verrückter Abend.‹
Warum soll Miele Wulk schlafen gehen, wenn andere tanzen? Miele Wulk hat in ihrer Jugend nicht viel getanzt. Wer tanzt mit einem Mädchen, das ein rotes Auge hatte und ein graues? Und deren linkes Bein gut eine Handbreit kürzer ist als das rechte? Keiner hat mit Miele Wulk getanzt, nur manchmal bat ein betrunkener Bursche sie um den Tanz, weil die anderen ihren Spaß haben wollten. Miele Wulk hatte nie nein gesagt. Mit dem Trunkenen hatte sie getanzt, zornig und mit ingrimmigem Schmerz. Wenn sie sich Mühe gegeben haben würde, hätte sie leichter auftreten können, aber nein, sie trat hart auf und riß den Trunkenen mit. Berg und Gruft, so war ihr Tanz. Nein, Miele Wulk gab sich keine Mühe, den Fehler, den ihr Gott mitgegeben hatte, zu vertuschen. Sie sprang im Tanz, als wäre ihr linkes Bein drei Handbreit kürzer und nicht nur eine. So grausam konnte Miele Wulk mit sich sein. Selten nur hatte Miele Wulk getanzt.
Warum aber sollte sie schlafen gehen, wenn andere tanzten? ›Es ist ein verrückter Abend‹, hatte Tonnis gesagt. ›Bolk spielt die Geige.‹ Er spielt, weil Iben Kars es will. Er hat wohl vergessen, daß der Alte ihm selbst den Bogen zerbrach. Ach, Bolk hatte das nicht vergessen, aber er glaubte, daß ihm nicht Iben Kars, sondern das Schicksal den Bogen zerbrochen hatte, und er wußte, daß er sich nicht sträuben durfte, wenn das Schicksal ihm den Bogen wieder in die Hand geben wollte. Nein, Iben Kars hatte ihm nicht den Bogen zerbrochen. Welcher Mensch hätte wohl Bolk verbieten können, den Bogen zu führen. Es war das verwirrende Schicksal gewesen.
»Komm mit, wir wollen durchs Fenster sehen«, hatte Tonnis gesagt.
Vor dem erleuchteten Fenster hatten die beiden Alten gestanden und die Gesichter gegen die kalte Scheibe gedrückt. Sie hatten zugesehen, wie in der Stube getrunken wurde, gegessen und getanzt. Sie hatten Iben Kars beobachtet, und wie alles nach seinem Wink zu gehen schien. Sie waren auch die einzigen, die auf Christof Braatz achtgaben, als er sich vor dem vollen Tische drehte. In den Hüften wiegte er sich, warf die Beine und reckte die Arme. Wie eine Drahtpuppe drehte er sich, die eine Hand eingeklemmt und die andere wie ein Dach über den Kopf. Ja, russisch konnte er tanzen und polnisch. Keiner in der Stube gab acht auf ihn, aber die beiden Alten draußen am Fenster hatten ihre Freude, bogen sich schief und krumm vor Lachen und stießen sich prustend in die Seite. »Das ist einer, der Christof Braatz. Willst wohl auch so tanzen?« hatte Miele Wulk zu Tonnis gesagt. Er wollte sich ausschütten vor Lachen, daß sie auf solchen Gedanken kommen konnte. »Ja«, sagte er, »ich will auch so tanzen«, und er knickte mit den Beinen. »Fall noch hin«, drohte Miele Wulk, »du wirst dir noch den Fuß verstauchen. Sie haben dich angesteckt.« Resolut nahm sie Tonnis unter den Arm und zog ihn fort. Weiß Gott, was der Alte noch angestellt hätte, nun, wo er Christof Braatz tanzen sah.
Die beiden Alten gingen weiter und lachten noch immer. Tonnis mußte die Runde machen, und Miele Wulk begleitete ihn. Sie gingen über den Kirchhof, dunkel war es, und der dünne Mond erhellte kaum ihren Weg. Aber sie wußten auch im Dunkeln, wo jeder der Toten sein Grab hatte.
Tonnis blieb stehen und lachte.
»Sparre, hättest auch dein Vergnügen gehabt! Dieser Braatz, wie ein Twalling macht er sich.« Tonnis kicherte und bewegte wacklig die Beine. Er wollte wohl dem toten Sparre zeigen, wie Christof Braatz zu tanzen verstand, wenn der Schnaps über ihn kam.
Miele Wulk stand daneben, hatte die Hände auf den Bauch gelegt und schlitterte vor Gelächter. Als sie weiter gingen, kicherten sie noch immer.
Nun fiel ihnen das Licht der Laterne ins Gesicht.
»Da sind die Gespenster«, sagte Christian zu Emilie.
Sie gingen aneinander vorbei. Doch dann kehrte Christian um, rief Tonnis und sprach mit ihm. Da sagte Tonnis zu Miele Wulk:
»Was meinst du? Gehen wir noch ein Stündchen mit. Er lädt uns ein, es ist seine Verlobung.«
Miele Wulk begann wieder zu lachen. »Was sagt denn Iben Kars dazu?«
Das war ein Spaß! Tonnis, der Nachtwächter, und Miele Wulk, die alte Hexe, die ihr Brot mit der Ziege teilt, gehen zum Fest. Einfach von der Straße weg gehen sie zum Ball, wo Iben Kars residiert. Lange hatte Iben Kars überlegt, ob man zum Beispiel Laabs, den Schuster, einladen könnte oder den Kätner Braatz. Nobel sollte es zugehen. Nun kamen gar der Nachtwächter und die Hexe.
»Es ist unsere Verlobung«, sagte Christian zu den beiden, »das hier ist meine Braut. Ihr könnt mitkommen, ich lade euch ein.«
Da erzählte Tonnis, daß sie schon am Fenster gestanden hätten.
»Wir haben Braatz tanzen geseh'n«, kicherte er.
»Wir wollen das Tanzbein schwingen«, rief Mielke Wulk.
Sie kamen mit in die Stube. Such den Tag kam und Auf und ab. Der wacklige Wächter kam und die hinkende Alte. Einen Augenblick waren alle erstarrt.
»Was wollen die hier?« fragte man.
»Ich habe sie eingeladen«, sagte Christian und stellte die Weinflaschen auf den Tisch. Die Augen konnten einem übergehen, so viel Wein war da.
Iben Kars hatte die Stirne gerunzelt, als Tonnis und Miele Wulk eintraten. ›Das hat er mir zum Tort getan‹, dachte er, ›ja, er ist ein Kars. Er duckt sich nicht. So viel ist mir dein Reichtum wert, daß ich die Bettler von der Straße an deine Tafel hole, das wollte Christian andeuten.‹ Iben Kars begriff es. Seine Stirne glättete sich. Er nickte Christian zu, stand auf und begrüßte Miele Wulk, die Bettlerin, und Tonnis, den Nachtwächter. »Es sind deine Gäste«, sagte er zu Christian, »darum sind es auch meine.«
Die anderen beruhigten sich. Was sollten sie tun, wenn Iben Kars nichts dabei fand, mit Miele Wulk an einem Tisch zu sitzen. Nicht einmal die Haare hatte sie in Ordnung, diese Miele Wulk. So wie sie am Morgen aus dem Bett gekommen war, saß sie an der Tafel. Sie ließ sich nicht bitten. Sie packte sich den Teller voll und aß. Schnaps trank sie und Bier. Auch von dem Wein ließ sie sich einschenken, aber die seinen bunten Liköre schob sie beiseite.
Tonnis saß ihr gegenüber. Er langte nur zu, wenn man ihn ausforderte. Er wußte, was sich gehört. Er nimmt auch immer nur ein Brot auf den Teller. Den Kuchen wies er zurück.
»Vom Kuchen krieg ich den Sod«, sagte er entschuldigend.
Er trank auch kein Bier und keinen Schnaps. Nur Wein trank er heute. Er kniff die Augen zusammen und schlürfte langsam am Glase. Einmal schnalzte er auch mit der Zunge. Darüber erschrak er und sah sich verlegen um.
Ja, nun hatten alle ihre Erstarrung überwunden. Sie lachten wieder, tanzten und tranken. Alle waren in Bewegung. Standen zusammen und schwatzten oder drehten sich paarweis um den vollen Tisch zu Bolks Musik.
»So!« sagten sie, wenn ein Tanz zu Ende war.
Allein am Tisch saßen Tonnis und Miele Wulk. Für sie standen alle Herrlichkeiten da, Schinken, Kuchen und fette Würste. Das braune duftende Brot war für sie, für sie waren die vollen Gläser. Eins nach dem andern trank Miele Wulk aus. Es wäre schade gewesen um jeden Rest im Glas. Sie kicherte, trank und kicherte, und Tonnis tat ihr Bescheid. Sein Mund glänzte von fetter Butter. Alles war Wohlbehagen.
»Das müßte Sparre erlebt haben«, sagte er mitleidig zu Miele Wulk. »Ich habe seine Bücher gelesen. Nicht alles, was er vorbrachte, war gelogen.«
Miele Wulk hatte nie viel im Sinn gehabt mit dem Kuhhirt.
Kauend sagte sie zu Tonnis: »Der Pastor hat ihn schön zu Grab gebracht.«
»Was kann Sparre dafür?« antwortete Tonnis vorwurfsvoll. »Auch war es eine schöne Predigt.«
Miele Wulk barst vor Lachen.
»Hör davon auf, mir tut schon die Seite weh! Wie war es doch? Er hatte sich geirrt. Er dachte, es wäre die Lewe Haart.«
»Was gibt es da zu lachen?« brummelte Tonnis. »Sie haben's beide nicht leicht gehabt. Sparre nicht und nicht Lewe Haart. Warum lachst du über sie?«
»Ich lache nicht über sie«, rief Miele Wulk, »ich lache über dich, weil du ein Dummkopf bist!«
Um sie herum tanzten alle. Mitten in dem Tanz saßen die beiden krepligen Alten und zankten sich aus. Der Wein hatte sie hitzig gemacht.
»Du bist ein alter Esel!« schrie Miele Wulk.
»Was bist du?« eiferte Tonnis. »Bloß die Ziege will was von dir wissen.«
»Nicht mal eine Ziege hat sie gehabt, deine Lewe Haart«, rief Miele Wulk. »Sie war eine eingebildete Person. ›Josse ist beim Militär‹, hat sie gesagt. So eine war sie!«
Miele Wulk ist so ärgerlich geworden, daß sie auf die Toten schimpft. Sie zankt auf jene, die es auch nicht besser gehabt hatten im Leben. Nun ja, Lewe Haart hatte gesunde Augen, sie brauchte auch nicht zu hinken. Aber auch mit ihren geraden Gliedern war sie nicht glücklich geworden. Nun mußte sie sich von Miele Wulk noch beschimpfen lassen.
Ist denn keiner da, der ein Wort findet für die tote Lewe Haart? Alle stehen um die beiden Alten, die sich am Tisch zanken. Der Tanz ist unterbrochen, das ist ein größerer Spaß jetzt, diese beiden alten Krähen, die aufeinander loshacken.
»Warum zankst du auf Lewe Haart?« ruft Tonnis immer wieder. Weiter sagt er nichts. Er will es mit Miele Wulk nicht verderben. Und Miele Wulk rupft die Tote. Kein gutes Haar läßt sie an ihr. Sie macht nach, wie Lewe Haart gesprochen hat. »Josse, mein Josse ist beim Militär!«
Miele Wulk kreischt vor Vergnügen. Wirklich, sie ist eine Hexe.
Nun wird es Iben Kars zuviel. Er könnte Miele Wulk aus der Stube weisen. Sie würde sich wie ein geprügelter Hund davonschleichen. Doch das tut er nicht. ›Es sind deine Gäste‹, hatte er zu Christian gesagt, ›darum sind es auch meine.‹
Iben Kars sieht Miele Wulk an. Er nimmt das Glas, schenkt es voll und sagt:
»Lewe Haart war eine anständige Person.«
Dann leert er langsam das Glas. Der reiche Bauer hat auf das Gedächtnis der toten Schwachsinnigen getrunken. Miele Wulk duckt sich. Es ist keiner mehr, der lacht.
*