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Jetzt war also Friede zwischen Aibukit und Korror. Die politischen Wogen waren offenbar in den letzten Monaten ganz besonders hoch gegangen, so daß ich hoffen konnte, der Friedensschluß würde nun wie eine Windstille die aufgeregten Geister beruhigen und mir meine Leute auch etwas willfähriger machen, als sie bisher gewesen waren. Im Grunde konnte ich mich nicht sehr über sie beklagen. Asmaldra und Arakalulk sowohl wie Casöle, Cabalabal und Arungul, die beständig in Tabatteldil blieben, während die beiden ersten nur selten bei mir schliefen, sie alle waren gefällig und höflich gegen mich; aber doch benutzten sie jede Gelegenheit, um sich eine freie Stunde zu machen. Bald mußte dieser einen kranken Bruder besuchen, oder jener seine Schwester, die uns zu beschenken gekommen war, nach Rallap oder Roll begleiten; Casöle wurde von Asmaldra fast alle Tage mit auf die Entenjagd genommen, von der sie dann, allerdings reich beladen, aber doch erst am Abend zurückkehrten, Cabalabal hatte im Auftrage von Arakalulk manche, wie ich nachher erfuhr, politische Besorgungen auszuführen, und nur Arungul schien durch die allgemeine Beweglichkeit nicht angesteckt zu werden. Diese Unruhe, hoffte ich, würde nun aufhören.
Aber schon am Tage nach dem Besuche des Ebadul von Korror sollte ich sehen, daß hier nicht daran zu denken sein würde, solche Ruhe zu gewinnen, wie ich sie mir für meine Arbeiten wünschte. Schon seit längerer Zeit hatte Mad gekränkelt an einem leichten Wechselfieber, das ich ihm durch einige Dosen Chinin so ziemlich vertrieben hatte. Um mir nun ihre Dankbarkeit für die Wiederherstellung ihres Gatten auszusprechen, kam frühmorgens schon Mads Weib und mit ihr eine ganze Schar anderer Frauen, die die günstige Gelegenheit benutzten, sich den »Era Tabatteldil« auch einmal anzusehen. Es war ein ganzer Klöbbergöll, der zu mir gekommen war. In ganz ähnlicher Weise nämlich, wie die Männer, bilden auch die Weiber ihre Genossenschaften, die wie bei jenen ihre Anführer haben, und die denen der Männer gegenüber die Rechte einer anerkannten Korporation besitzen, ohne freilich an den öffentlichen Arbeiten und am Kriege teilnehmen zu müssen oder ihre Mitglieder zum Bewohnen gemeinschaftlicher Häuser zwingen zu können. So kann es auch wohl kaum das Bedürfnis nach Teilung der Arbeit gewesen sein, welches diese Weiber-Klöbbergölls entstehen ließ; denn ihre Arbeiten im Hause und Felde besorgt eine jede Hausfrau für sich allein, und sie haben höchstens bei den häufigen Festen zu Ehren fremder Gäste einige kleinere Hilfsleistungen, z. B. das Aufputzen der den Gästen dargebrachten Kukaupyramiden gemeinschaftlich zu verrichten. Vielmehr scheint es, als ob wirklich das Bedürfnis nach einer gewissen Repräsentation im Staate, von den Frauen gefühlt und von den Männern anerkannt, diese Weiber-Klöbbergölls hervorgebracht und ihnen die mancherlei Vorrechte gewonnen hat, welche sie zweifellos besitzen. So haben sie z. B. das Recht, beim Tode des Königs oder Kreis von seiner Frau und Kindern gewisse Geschenke zu verlangen und die Nichtgewährung durch einen Angriff auf das Privathaus des Königs zu rächen. Bei jedem Feste, welches fremdem Besuch zu Ehren gegeben wird, dürfen sie, um es möglichst glänzend zu machen, von den Bewohnern des Dorfes eine nach ihrem Reichtum wechselnde Kontribution verlangen: eine Steuer, deren Eintreibung vom Klöbbergöll mit rücksichtsloser Härte geübt wird. Kurzum, die Weiber-Klöbbergölls nehmen im Staate eine Stellung ein, die derjenigen der Männer-Klöbbergölls in bezug auf die ihnen zukommenden Rechte durchaus entspricht, und der mächtigste Fürst würde es nie wagen, gegen eine solche Weibergenossenschaft aufzutreten, wenn es dieser gelänge, die andern Vornehmen von der Unterstützung ihres Genossen zurückzuhalten. Ein einzelner Mann, selbst Mad, ist jedem solchen Klöbbergöll in der Doppelschürze gegenüber machtlos.
So durfte ich es denn auch nicht wagen, mich gegen diese hohen Frauen unhöflich zu beweisen, obgleich ich um ihretwillen die prächtigsten Tiere in meinem Aquarium sterben lassen mußte. Und diese über und über mit gelbroter Farbe bemalten Schönen, die sich offenbar mir zur Ehre ganz besonders geschmückt hatten, schienen auch gar nicht anzunehmen, daß ich irgendwie das Recht beanspruchen könnte, die Türen meiner Gemächer vor ihnen zu verschließen. Mads Frau zwar und einige andere vornehme Damen bewahrten ihre Würde vortrefflich, trotz der Versuchung, die sie empfinden mochten, alle Winkel meines Hauses zu durchstöbern; sie setzten sich ruhig auf die Schwelle der Empfangshalle nieder und ließen sich von mir unterhalten, so gut ich es vermochte, während Alejandro von ihnen bald um einen Teller mit Reis oder etwas Tabak und Wein angegangen, bald wieder geplagt wurde, ihnen etwas auf der Gitarre, die jeder Bewohner der Philippinen besitzt, vorzuspielen. Solche vornehme Rücksicht aber übten die andern nicht. Zuerst versuchte ich sie abzuhalten, in meine beiden Zimmer, deren Türen ich schloß, einzudringen; aber bald gab ich den Widerstand gegen sie auf. Hatte ich eben einige Frauen aus meinem Schlafzimmer zur Tür hinausgejagt, kamen sie rasch wieder zu den Fenstern herein. Einige setzten sich auf mein Bett, dessen rot und weiß gescheckte baumwollene Decke ihnen sehr zu gefallen schien; andere besahen sich meine Kleidungsstücke. Hier lag diese schlafend mitten in all dem Lärmen, und dort musterte jene die schönen Sachen, die sie in einem meiner unvorsichtigerweise offen gelassenen Koffer entdeckt hatte. Gänzlich ratlos eilte ich von einem Zimmer in das andere; denn Alejandro hatte mit der Bewirtung zu tun, da er für sie alle Reis kochen sollte, und Arakalulk sowohl wie die andern Männer hatten gleich beim Erscheinen des hohen Besuches Reißaus genommen. Nur Korakel und Aikwakit, die beiden jungen Mädchen, die mit Arakalulk und den andern hier ihren Wohnort aufgeschlagen hatten, blieben im Hause; aber auch sie zogen sich in die fernste Ecke des Schlafzimmers und nachher zum Fenster hinaus in die Küche zurück.
Das war überhaupt die schlimmste Seite des Weiberbesuchs; es mochte kommen, wer da wollte von verheirateten Frauen des Dorfs, jedesmal liefen meine männlichen Diener davon. Es gehört das eben zum guten Ton. Nie lassen sich Männer mit ihren rechtmäßigen Frauen zusammen auf der Straße oder in fremden Häusern sehen, obgleich die Armungul aus Mads Klöbbergöll den letztern beständig folgten, und selbst wenn Krei mit seinem eigenen Weibe, meiner »Mutter«, in meinem Hause zusammentraf, zog sich letztere gewöhnlich mit ihrem Gefolge in mein Schlafzimmer zurück, das ich überhaupt vor dem ganz ungenierten Betreten durch die Frauen nicht schützen konnte.
Wehe dem Eingeborenen, der ungerufen und anders als in demütigster, niedergebückter Haltung sich öffentlich einer solchen Frau nähern würde, obgleich aus der Ferne ein Augenzwinkern oder eine leichte Kopfbewegung ihm in bestimmtester Weise die Zeit und den Ort einer heimlichen Zusammenkunft für die nächste Nacht bezeichnet hatte! Auch Johnson mußte sich, als Einwohner des Ortes und durch Heirat mit ihren vornehmsten Familien verwandt, dieser Sitte beugen, während wir andern, die wir hier nur zum Besuch waren, in jeder Beziehung über die einheimischen Gebräuche gestellt waren. Selbst Alejandro, obgleich von brauner Körperfarbe wie sie selbst, genoß eine solche Vergünstigung, ohne die wir freilich in Tabatteldil gar nicht hätten leben können, wie überhaupt die unbegrenzteste Freiheit von den Gesetzen des Landes, die man mir überall gewährte, notwendig war, wenn ich überhaupt etwas mehr als einen ganz oberflächlichen Eindruck von dem Leben der Leute in der kurzen Zeit meines Aufenthaltes gewinnen sollte. Aber man würde sich sehr irren, wollte man dies ausschließlich auf Rechnung der großen Ehrfurcht schieben, die jene Insulaner den Weißen, dem »Mann des Westens« – alkad-ar angabard – zollen; vielmehr gewähren sie ihm solche Ungebundenheit hauptsächlich wohl, weil sie fühlen, daß jeder gesellschaftliche wie kommerzielle Verkehr mit dem Europäer aufhören würde, wenn sie ihn gleich unter ihre einheimischen Gesetze zwingen wollten. So lassen sie dem Weißen seine eigenen Gebräuche; ja noch mehr, sie verlangen die Beobachtung derselben von ihm, wie mich gar manche Beispiele gelehrt haben. Es fällt dort nicht auf, wenn ein Eingeborener sich öffentlich ohne seinen Lendengürtel zeigt, aber einem Weißen, der das Schamgefühl so weit vergessen könnte, daß er sich unbekleidet unter sie mengte, würden diese Wilden ihre Achtung sicherlich versagen.
Das Haus Tabatteldil schien den Frauen sehr zu gefallen. Sie hatten mir allerdings reiche Geschenke an süßem Gebäck und Kukau, an Eilaut und Kokosnüssen mitgebracht; dafür aber schienen sie nun auch die Unterhaltung, die ihnen bei mir zuteil wurde, so recht nach Herzenslust genießen zu wollen. Das war ein Plagen mit Fragen, ein Hin-und-Herzerren! Bald mußte ich der einen meine Musikdose mit ihrem arbeitenden Mechanismus zeigen, oder einer andern zum zehnten Male vormachen, wie man den Stein und künstlichen Zunder halten müsse, um letztern anzünden zu können. Alle brachen in die lautesten » o lokoi« (Ruf des Erstaunens) aus, als ich ihnen aus meinem Revolver mehrere Schüsse hintereinander abfeuerte, worauf sie versicherten, daß die Verfertiger solcher Waffen, die gar nicht geladen zu werden brauchten, notwendig » kalid«, d. h. Götter sein müßten. Meine Uhr sich ans Ohr zu halten, um zu erfahren, was denn dieser wunderbare kleine » kalid« mir alles erzählen könne durch sein Picken, wurden sie nicht müde. Als ich nun gar so unvorsichtig war, einer von ihnen einen Blick durch mein Mikroskop zu gestatten, unter dem ich gerade eine munter herumschwimmende, mikroskopisch kleine Schneckenlarve hatte, da war es um jede Arbeit geschehen. Während sie früher mein Schlafzimmer ganz besonders angezogen hatte – weil dort die Koffer mit meinen Siebensachen standen –, umstellte mich nun der ganze Haufen und quälte mich unausgesetzt mit Bitten, ihnen doch immer und immer wieder Neues im Mikroskop zu zeigen. Endlich wurden sie auch dessen überdrüssig. Statt sich aber ins Dorf zurückzuziehen – die Sonne stand schon im Westen –, nahmen sie alle in freiester Weise von meinem Hause Besitz zum Abhalten ihrer Mittagsruhe, und ich selbst, ermüdet von der Unterhaltung mit den fürstlichen Frauen, mußte mich mitten unter ihnen auf meinem Bette ausstrecken, wollte ich nicht auch letzteres von ihnen eingenommen sehen. Gegen Abend endlich schlug die Erlösungsstunde; aber wer weiß, ob sie nicht alle zur Nacht noch dort geblieben wären, wenn nicht zufällig meine »Mutter« gekommen wäre, deren Ankunft sie nun alle verjagte. Sie kam zwar allein, nur von einer Tochter begleitet, aber da sie selbst auch Anführerin eines weiblichen Klöbbergölls war, der mit jenem von Mads Frau beständig in einem kleinen Eifersuchtskriege zu leben schien, hielten es jene, sehr zu meiner Freude, nicht mit ihrer Würde für vereinbar, länger im Hause zu bleiben. Sie rauschten davon mit dem Versprechen, bald einmal wiederzukommen; denn es sei sehr hübsch, sich bei mir in Tabatteldil am Meeresstrande zu amüsieren.
Kreis Frau hatte, wie sie es öfter zu tun pflegte, auf einem ihrer Geschäftsgänge einen Umweg gemacht, um bei mir vorzusprechen; sie wollte nachsehen, wie sie sagte, ob ihr »Sohn« auch alles habe, was für sein Wohlergehen nötig sei. Sehr häufig erfuhr ich erst später, daß sie dagewesen sei; denn obgleich ich ausdrücklichen Befehl gegeben hatte, mich sogar von meiner Arbeit am Mikroskop abzurufen, wenn sie käme, hatte sie selbst doch den Dienern verboten, mir in solchen Fällen ihre Ankunft zu melden. Nie erschien sie bei ihren Besuchen ohne eine kleine Gabe. Aber ganz ungleich den andern Frauen und Männern hatte sie niemals ein Gegengeschenk dafür verlangt; ja, oft schlug sie ein solches in liebenswürdigster Weise aus, und auch diesmal kostete es mir große Mühe, sie zur Annahme eines kleinen Sackes mit Reis zu bewegen. Krei hatte mich darum gebeten, und ich selbst hatte dieses kostbare Geschenk ihm gern versprochen, da ich mich wirklich ihm und seiner Frau sehr verpflichtet fühlte. Die Gabe hätte aber leicht verhängnisvoll werden können; denn sie erregte einen Sturm, den zu beschwichtigen mir nur mit größter Mühe gelang.
Die Tatsache, daß ich Krei einen Sack mit Reis geschenkt – den die Palauer sehr lieben und sogar über ihren Kukau stellen –, hatte großes Aufsehen unter den Bewohnern des Staates erregt. Solche Freigebigkeit war noch nie dagewesen. Bei der Ankunft oder der Abfahrt wurden freilich so kostbare Geschenke auch von Cabel Mul – oder, wie sie ihn scherzweise nannten, »Era Kaluk«, d. h. »Herr Oel« – gegeben; aber ohne jede Veranlassung, nur so ganz beiläufig dergleichen zu tun, war unerhört. Ganz Aibukit sprach einige Tage lang von nichts anderm als von meinem Sack Reis, und natürlich war dieses Gerede auch bis nach Rallap, zu Asmaldra und bis zu Arakalulk gedrungen. Am 2. Mai kamen sie beide zusammen bei mir spät abends an, was sie sonst selten zu tun pflegten, und setzten sich stumm am Eingange der Empfangshalle nieder, als ob sie bloß auf Befehl kämen, während sie sonst immer ohne weiteres in das Innere eintraten.
Auf mein Befragen, warum sie nicht Korb und Bambusrohr aus der Hand legten, antwortete mir Arakalulk ziemlich unverschämt und gerade heraus, ich hätte nicht recht getan, Krei Reis zu geben, ohne sie um Rat gefragt zu haben. Ich antwortete ihnen etwas scharf. Gleich waren beide » matorud ar nak« (böse auf mich); sie schmollten gleich dem eigensinnigsten Weibe, gaben mir keine Antwort mehr und legten sich ohne weiteres in meinem Arbeitszimmer zum Schlafen nieder.
Am nächsten Morgen ging nun das Unterhandeln an. Arakalulk führte, wie gewöhnlich, das Wort, während der geistig viel trägere Asmaldra nur mitunter seinen Beifall an seines Freundes Rede zu erkennen gab. Allmählich näherte sich unser Gespräch, das nach einheimischer Sitte schon mehrere Stunden gedauert haben mochte, dem Kernpunkt der ganzen Frage.
»Wie willst du, Doktor,« sagte mir Arakalulk, »daß wir dir nicht böse sein sollen. Wir sind hier jetzt deine Brüder; dein Eigentum ist auch das unsere und umgekehrt. Willst du Geld von mir? hier nimm dies. Haben wir dir nicht täglich Kukau und alles, was du begehrtest, zukommen lassen? Sind wir nicht immer bei dir, wenn du uns wirklich brauchst? Was auch in meinem Hause ist, wähle es, und ich gebe es dir. Aber wir sind keine Leute aus dem Armeau, die um Geld für andere Leute arbeiten; wenn wir Bezahlung annehmen, so haben wir das Recht, unsere Diener für uns arbeiten zu lassen. Du aber schiltst uns, als wären wir deine Diener. Glaubst du, daß der Klöbbergöll, der dir dein Haus gebaut und dessen Anführer ich bin, nicht den Schimpf rächen würde, den du mir angetan? Und wenn auch Asmaldra mit seinem Bruder Krei nicht besonders gut steht, so ist er doch ein großer Rupak in Rallap; er ist auch nicht gewohnt, daß man so mit ihm zankt. Wir sind deine Brüder; wir müssen mit dir alles besprechen, und wenn du uns nur um Rat gefragt hättest, so würden wir dir wohl gesagt haben, daß der Sack für Krei zu groß war, und daß noch viele Nächte vergehen werden, bis du wieder in deinem eigenen Lande frischen Reis wirst essen können.«
Nun erst klärte sich mir das schon früher bemerkte eigentümliche Wesen der beiden Leute auf; ihr Selbstgefühl wie ihre Worte zeigten mir, daß ich es mit vornehmen Leuten zu tun hatte, die sich mir gleichberechtigt fühlten, und gern tat ich ihnen Abbitte für meine harten Worte, die ich um so mehr bereute, als ich wirklich gerührt war von der anspruchslosen Weise, in welcher mich Arakalulk über seine und seines Freundes hohe Stellung aufklärte.
Es schien damit zwischen mir und meinen Leuten der vollkommenste Friede hergestellt zu sein, und ich benutzte meiner neugewonnenen »Brüder« Bereitwilligkeit, um allerlei Touren zu unternehmen, an die ich ohne sie nie hätte denken können. Kapitän Woodin hatte, obgleich er mir in Manila versprochen, ein Boot und Leute zu Exkursionen auf die Riffe zu meiner Verfügung zu stellen, noch so viel mit der Ausbesserung seines überall durchlöcherten Schiffes zu tun, daß er unmöglich sein Versprechen halten konnte. Auch mochte ich ihn um so weniger mit Bitten plagen, als er durch das Entlaufen seines Zimmermanns schon nach einigen Wochen gezwungen wurde, selbst dessen Arbeiten zu übernehmen. Von Tabatteldil aus sah ich den armen alten Mann, unter einem dünnen Dach von Segeltuch nur dürftig gegen die brennende Sonnenhitze geschützt, am Kiel seines Schiffes sägen, bohren und hämmern vom frühen Morgen bis zum Untergang der Sonne. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich der einheimischen Einbäume, der sogenannten »Amlais« zu bedienen, die Arakalulk immer zu meinem Dienste bereit hielt.
Nach dieser Exkursion, von der ich übrigens mit nur wenig befriedigender Ausbeute schon früh am Nachmittag nach Tabatteldil zurückgekehrt war, trat in den Besuchen meiner Freunde eine ziemlich lange Pause ein, die ich zur orientierenden Erforschung der westlichen Riffe benutzte. Auf dieser Fläche der innern Riffe entfaltet sich täglich bei niedrigem Wasser ein reges Leben. Das erste Zeichen der eintretenden Ebbe sind kleine, nur von zwei oder drei Männern oder Knaben geführte Kanus, die hinausziehen, um eine reiche Ernte an Holothurien (»Seegurken«, »Trepang«, wurmartig aussehende Stachelhäuter) auf den entferntesten und deshalb am wenigsten abgesuchten Stellen des innern oder auch des äußern Riffes halten zu können. Eilig und still ziehen sie an Tabatteldil vorbei; tollen Lärm aber erheben die zahlreichern Insassen eines andern Bootes, das jenen nacheilt. Halb stehend treiben sie, im Takt wechselsweise die spitzen Ruder über ihre Köpfe erhebend und wieder nach vorn zu in das Meer einsenkend, ihr Schiffchen pfeilschnell an meinem Hause, gleich danach an der »Lady Leigh« vorbei und rufen uns, wie sie mich und danach Kapitän Woodin sehen, einen halb melodischen, halb kreischenden Gruß zu. Sie ziehen aus zum Fang des »Rul«, einer großen Rochenart, deren Fleisch sie leidenschaftlich lieben, und deren langer Schwanzstachel, mit zahlreichen und furchtbar harten Widerhaken besetzt, von ihnen als Lanzenspitze benutzt wird. Gleich darauf kommt ein anderes Boot und noch eins; denn die Aufgabe, dieses Tier zu jagen und zu fangen, ist keine leichte, mitunter sogar auch gefährliche Arbeit. Wenn das Wasser sinkt, läßt sich häufig ein solcher Roche vom Strome weiter treiben und ist dann leicht, wie die schlafenden Schildkröten, aus der Ferne zu erkennen. Befindet er sich auf tiefem Wasser eines Kanals, so ist die Jagd nutzlos; treibt er aber über die Fläche des breiten Riffes hin, so stellen sich nun die zahlreichen Boote so im Kreise um das Tier auf, daß es von ihnen immer mehr dem sich allmählich aus dem Meere erhebenden Lande zugetrieben wird. Enger und immer enger ziehen sie den Kreis. Schon bleibt dem Fisch kaum noch Wasser genug zum Schwimmen, jetzt stößt er sogar mit seinem Schwanzstachel auf den Boden, und mit einem verzweifelten Satze versucht er zwischen den Männern, die schon aus den strandenden Booten herausgesprungen sind, durchzubrechen. Ein wilder, aber rasch endender Kampf erhebt sich. Von allen Seiten fliegen Lanzen und Pfeile auf das Tier zu, das diesmal zum Glück mit seinem Schwanze keinen der Jäger erreicht und nun mit lautem Jubelgeschrei auf eins der Kanus geladen wird. Trifft aber ein Roche mit seinem Stachel einen Menschen, so bringt er sterbend seinem Verfolger eine schwere Verletzung bei, was häufig genug vorkommen mag, wenn nämlich wirklich alle jene Wunden, deren gezackte Narben mir die Männer an ihren Köpfen wiesen, in solchem Kampfe davongetragen sind. So kann man wohl denken, daß ich mit einiger Aufregung an dem Fang des einzigen Rochen teilnahm, der während meiner Anwesenheit in Aibukit erbeutet wurde. So groß aber auch der Eifer unter den Leuten ist, und so tollen Lärm sie auch schlagen mögen, wenn sie auf den Rochenfang, mitunter mit zehn und mehr Booten, ausziehen, so ruhig und ohne allen Streit läuft doch immer die Jagd ab, von welcher selten mehr als einer mit Beute beladen zurückkehrt. Denn diese gehört nicht allen, die an dem Fischfang teilnahmen, sondern immer nur dem Boote, dessen Führer den Rochen zuerst erblickte und die Genossen durch bestimmte Zeichen zu der Jagd herbeirief. Von ihr sich auszuschließen, darf keiner wagen; und wenn ein vornehmer Mann dies doch täte, so würde augenblicklich der Klöbbergöll des glücklichen, aber niedriger gestellten Rochenentdeckers ihn wegen Nichterfüllung seiner Pflicht bei dem Fürstenrate (dem Aruau) verklagen.
Wenn dann endlich die sandige Ebene in meilenweiter Ausdehnung trockengelegt ist, so eilen aus allen Tälern zahlreiche Gruppen von Weibern und Kindern herbei, um sich, mit kleinen Lanzen und Pfeilen bewaffnet, in der Hand einen großen Korb, ihre tägliche Beute zu holen. Im Grunde genommen wird von diesen Völkern alles gegessen, was im Meere lebt und was an seinem Körper nur hinreichend Fleisch trägt, um die Mühe des Fangens zu belohnen. Dabei folgt aber jeder seinem eigenen Geschmack. Hier übt sich ein Knabe im Pfeilschießen nach den kleinen vor ihm herfliehenden Fischen, deren er Dutzende bedarf um für die heutige Mahlzeit genug zu haben. Sein Begleiter, dem das viele Nachlaufen und rasche Springen offenbar nicht behagt, geht langsam weiter und kehrt auf seinem Wege alte, selbst die kleinsten Korallenblöcke um, an deren Unterseite er bald einen eßbaren Seeigel oder eine Muschel, einen Wurm oder gar einen Seeaal findet. Eine große Meerschlange, die er auch aus ihrem Schlupfwinkel aufjagt, läßt er ruhig davonkriechen; denn sie ist sein »Kalid«, d. h. gerade ihm geheiligt. Ein anderer, der vorbeigeht und dessen Kalid vielleicht eine Taube oder ein Rul ist, würde diese Tiere nicht anzurühren wagen; aber er nimmt ruhig die Schlange, die er mit einem Schlage auf den Kopf tötet, und geht freudig heim, da sie groß genug ist, um ihm und seiner Familie hinreichend Fleisch für den heutigen Tag zu liefern. Die Weiber haben wieder ihre eigenen bevorzugten Tiere und gehen ganz besonders gern auf den Fang der eßbaren Würmer aus, die der Zoologe unter dem Namen Serpel oder Röhrenwürmer kennt.
Diesmal hatten mir die Weiber mit ihren Besuchen fast eine Woche Ruhe gegönnt. Aber am 13. Mai kam wieder ein ganzer Haufe auf einmal. Es waren Frauen aus dem benachbarten und befreundeten Kaslau, ein ganzer Klöbbergöll, und zwar der vornehmste des Orts. Es war das ein sogenannter »Klökadauel«. So nennt man nämlich dort die Staatsvisiten der weiblichen oder männlichen Klöbbergölls sowie der ersten Rupaks, die von Zeit zu Zeit aus irgendwelchen mir dunkel gebliebenen Gründen unternommen werden. Ganz Aibukit war infolge des erwarteten Besuchs seit drei Tagen in Aufregung. Enorme Mengen von Kukau und Kokosnüssen wurden ins Dorf gebracht, und die Männer zogen beständig frühmorgens aus, um Fische für die Freundinnen zu fangen, die man glänzend und reich bewirten wollte, wie es einem so mächtigen Staate gezieme. Während dieser Tage schienen die Männer wie verwandelt. Sonst war Tabatteldil immer der Belustigungsort des Dorfes und der Sammelplatz für alle die Männer, die nichts tun und doch sich amüsieren wollten. Um das zu tun, setzten sie sich in der Tür meines Hauses hin, rauchten und kauten ihren Betel und schwatzten stundenlang, legten sich auch oft nieder zu ihrer Siesta. Wenn ich sie dann fragte, weshalb sie eigentlich gekommen wären, sie sollten mir doch ihre Anliegen mitteilen, so meinten sie, alles erhalten zu haben, was sie gewünscht, sie wären bloß gekommen, » di melil«(sich zu amüsieren),und das hätten sie im vollsten Maße erreicht. Aber nun schien mit dem erwarteten Klökadauel eine ganz ungewohnte Energie in sie gefahren zu sein. Keine Leute mehr, die kamen, um sich in Tabatteldil die Zeit zu vertreiben. Statt dessen ein beständiges Vorbeifahren von großen wohlbemannten Booten; selbst die wenigen noch übrigen Kriegsfahrzeuge werden mit benutzt. Trupps von kleinsten Knaben, Mädchen und Weibern ziehen fortwährend an meinem Hause vorüber, wohl auch um Lebensmittel zu holen. Abends erst kommen die Fischerboote, mit reicher Beute beladen, zurück und fahren an meinem Hause mit großem Hallo und dem langgezogenen, durch kurzes gellendes Geschrei unterbrochenen Gesänge vorbei. Alle Klöbbergölls sind auf den Beinen; selbst Krei zieht täglich mit dem seinigen aus ins Meer, und Arakalulk läßt sich nur abends nach getaner Arbeit bei mir blicken. Wer diese Leute ausschließlich während solcher Tage beobachtet hätte, würde sicherlich die Überzeugung mit nach Hause nehmen, daß mit einem körperlich so frischen und arbeitsamen Völkchen viel anzufangen sein würde. Aber ihre Energie erlahmt gar rasch, und sie ermannen sich zu solchen Anstrengungen auch nur, weil ihre uralten Sitten es von ihnen verlangen. Jede Arbeit, zu welcher der Europäer sie zu treiben sucht, ermüdet sie bald. Sie können nicht begreifen, daß die weißen Menschen, die doch alles haben, was ihr Herz nur begehren kann, sich so abmühen bis an ihr spätes Lebensende, nur um immer mehr und mehr des Besitzes anzuhäufen. Sie selbst sind glücklich im täglichen Genuß der Gaben, die ihnen die Natur beschieden.
Am Morgen des 14. Mai kam Johnson schon früh zu mir, teils um nachzusehen, ob meine Leute mich noch hinreichend mit Lebensmitteln versorgten, dann aber auch, um mir zu sagen, daß er mich diese Nacht vor einer großen Unannehmlichkeit bewahrt habe. Die Weiber aus Kaslau hätten nämlich erwartet, daß auch ich, da ich nun Era Tabatteldil, also ein einheimischer Fürst und noch dazu so reich sei, ihnen zu ihrem Feste irgendein Geschenk geben würde, wie es alle andern Rupaks getan. Ich hätte diese Landessitte aber gänzlich mißachtet; und der Klöbbergöll habe noch abends beschlossen, mich dafür zu strafen. Gegen Mitternacht machten sie sich alle – einige zwanzig an der Zahl – auf und gingen auf dem Landwege nach Tabatteldil zu. Dieser führt hart am Camarin von Auru vorbei, wo sie durch ihr lautes Geschrei Johnson erweckten. Er hatte die Freundlichkeit, ihnen von ihrem Vorhaben abzuraten; und es gelang ihm, sie dort zu fesseln durch das Versprechen, einen Sack Reis als Strafe für meine Unhöflichkeit zu verlangen. Ohne ihn hätte ich wohl oder übel aus dem Bett und die ganze Nacht Gesellschaft leisten müssen; denn an einen Widerstand gegen eine solche im Vollgefühl ihrer Klöbbergöllswürde einherziehende aufgeregte Frauenschar zu denken, wäre für mich und Alejandro geradezu unmöglich gewesen. Er fügte seinem Verlangen dann die Mitteilung hinzu, daß, wenn ich nicht bis zum Nachmittag den Sack Reis bezahlte, alle die Frauen, die zum Besuch da wären, zwischen 80 und 100, zur Nacht in mein Haus kommen, dableiben und am nächsten Tage nur fortgehen würden, wenn ich ihnen nun vier Säcke Reis statt eines geben würde. Appellation gegen solche von den Klöbbergölls ausgesprochene Forderungen sei unmöglich; dagegen erwerbe ich mir das Recht, von ihnen Gegendienste zu erbitten, die sie mir unter keinen Umständen verweigern dürften. Dies Verlangen wurmte mich sehr, aber ich glaubte nachgeben zu müssen. Ich begann zwar schon ein gewisses Mißtrauen in Johnsons Ehrlichkeit zu setzen, aber fühlte ich mich doch, namentlich im Verkehr mit den Rupaks, noch so von ihm abhängig, daß ich einzuwilligen beschloß. Auch schien mir dies eine gute Gelegenheit, eine Menge ihrer Hausutensilien erlangen zu können, die ich mir als Gegengabe für meinen Reis erbitten wollte. Johnson übernahm, wie bei allen solchen Geschäften, bereitwilligst die Vermittelung.
Ich war nun wirklich ein großer Rupak geworden; denn Krei und vier andere vornehme Herren seiner Begleitung kamen, mich zum eigentlichen Feste nach Aibukit einzuladen. Als ich am andern Tage etwas nach Mittag hinauffuhr, gesellten sich mehrere Boote aus Roll und andern Dörfern zu uns. Die Weiber und Kinder zogen dann mit mir den steilen gepflasterten Weg den Hügel hinan unter Lachen und lauten Scherzen, die aber augenblicklich in der Nähe der nächsten Häuser verstummten. Hier verschwand die eine, dort die andere, und als ich unbegleitet in der Nähe des Bajs ankam, das Arakalulks Klöbbergöll angehörte, lugten zu allen Türen die fremden Frauen heraus, denen hier für die sechs Tage des Festes Unterkunft bereitet worden war. Sie riefen mich ohne weiteres an, aber ich ging weiter, direkt in Kreis Familienwohnung, die etwa 100 Schritte davon entfernt lag, und wohin ich ihm versprochen hatte, mich gleich zu begeben. Einige der neugierigsten Frauen waren mir sogar bis dahin gefolgt, unaufhörlich quälend, daß ich mich ihnen doch zeigen solle; manche von ihnen wären nur mitgekommen, um den Era Tabatteldil einmal zu sehen. Frauenklagen hatten selbst dort für mich etwas Unwiderstehliches; so bat ich Krei, mich zu begleiten. Dieser aber schlug es ab, da es im höchsten Grade » mugul« sei sich zu einer solchen Versammlung von Frauen öffentlich zu begeben. Statt dessen ging meine »Mutter«, Kreis Frau, mit mir; aber auch sie hielt sich immer in einiger Entfernung von den Gästen aus Kaslau, die mich nun im Triumph ins Baj geleiteten, indem sie mich ohne weiteres zwischen sich nahmen. Bis vor die Tür ging meine »Mutter« mit; hier setzte sie sich auf einem der großen, vor den Bajs stehenden Steine nieder und war erst nach mehrmaliger Aufforderung durch die vornehmste Dame unter den Gästen zum Eintreten zu bewegen. Das schien mir ein sonderbares Benehmen von seiten einer Frau des Dorfes, die als Kreis Gattin eine der höchsten Stellen im Staate bekleidete, und die nach unsern europäischen Begriffen sich in Anstrengungen hätte erschöpfen sollen, ihre Gäste durch allerlei Kurzweil zu unterhalten. Hier war nichts von solchem Bemühen zu bemerken, eher das Gegenteil. Wenn früher an gewöhnlichen Tagen die kleinen Kinder sich mit allerlei Spielen ergötzten, Knaben sich im Schießen mit Pfeilen und Speerwerfen auf den größern Plätzen übten, wobei es mitunter lärmend und laut genug zuging, so war nun das Dorf rings in der Nähe des Bajs der Gäste wie ausgestorben. Nirgends hörte man ein lautes Wort; Männer und Weiber suchten auf Schleichwegen in ihre Häuser zu kommen, und die Mütter wehrten den Kleinen, wenn diese, sich vergessend, etwas zu laut zu lachen wagten. Grabesruhe im Dorfe schien die höchste Ehrfurchtsbezeugung zu sein, die man den fremden Gästen erweisen konnte. Diese selbst aber rührten sich kaum von der Stelle; Tag und Nacht saßen sie im Baj, das man ihnen angewiesen und in das hinein junge Männer und Mädchen des Armeau, stillschweigend und demütig halb zur Erde gebeugt, die Lebensmittel bringen mußten. Trotzdem mochte hier manche heimliche Liebeserklärung im Blick des Auges oder durch eine verstohlen zugesteckte Rolle der getrockneten Stückchen von Bananenblättern, die sie zum Verfertigen ihrer Zigaretten benutzen, gemacht worden sein. Mir zwar wurde keine solche zuteil – oder ich verstand sie auch nicht. Aber angerufen wurde ich im Baj von allen; jede wollte mich sehen, mich in ihrer Nähe gehabt haben. Die eine fragte, ob ich meinen Bart färbe, daß er eine so hübsche rote Farbe bekomme; die andere wollte aus ihrem Korbe schon die Nadel hervorholen, um meinen Arm zu tatauieren, auf dem sich die schwarzen Figuren so gar hübsch ausnehmen würden. Sie sollte eine große Meisterin in ihrer Kunst sein; wer von ihr tatauiert worden, könnte sich überall stolz zeigen. Alles, was ich bei mir hatte, wurde gemustert; immer und immer wieder mußte der kleine kalid, meine Taschenuhr, zu ihnen sprechen. Mein weißes Zeug nahm auf diese Weise hübsch die gelbe Farbe an, mit der sie wahrhaft verschwenderisch umgingen, und über meinen Hut wollten sie sich krank lachen. Was ich doch mit einer zweiten Nase täte, ob ich denn an meiner einen großen nicht genug habe – das nach vorn sehende Luftloch in dem helmartig gebauten leichten Hut, wie ihn die Europäer in jenen Gegenden zu tragen pflegen, nannten sie so. Als ich aber zum Scherz diesen Hut abnahm und ihn einer von ihnen – es schien mir wegen ihrer eisigen, wortlosen Würde die vornehmste zu sein aufs Haupt setzte, warf sie ihn mit großem Entsetzen ab und, entrüstet aufspringend, hielt sie mir eine Strafpredigt darüber, daß ich, schon so lange im Lande, noch nicht einmal wisse, es sei im höchsten Grade » mugul« für einen Eingeborenen, den Kopf zu bedecken. Sie gewann jedoch bald ihre stille Würde wieder; aber einige andere, etwas weiter entfernt sitzende junge Mädchen kicherten vor sich hin und sagten mir, das sei ein hübscher Scherz von mir gewesen. Die alte Dame sei immer so vornehm stolz und halte so auf die gute alte Sitte, und die sei mitunter doch so gar langweilig. Sie selbst freilich dürften sich so etwas nicht erlauben, das würde gleich Geld kosten; aber das Lachen könne man ihnen doch nicht verbieten.
Nun rief mich meine »Mutter« zum Baj hinaus; denn die Stunde des Festes sei gekommen. Sie führte mich auf einen großen freien Platz vor dem Hause eines der Fürsten, des rechten Vaters von Cordo, wo sie mir mit unverhohlenem Stolz die großartigen Vorbereitungen zu erklären begann, die Aibukit zu dem Feste gemacht hatte. »Sieh,« sagte sie mir, »hier auf den Gräbern der Familie von Mad ist der beste Platz, da laß dich nieder. Siehst du drüben rechts unter der Gruppe von Bongapalmen, dort, wo der Weg vom Baj heraufbiegt, die kleinen Sessel mit den großen Säulen von Kukau? Sie werden nur bei besonders festlicher Gelegenheit herausgeholt, einige davon gehören mir, andere Mads Frau; sie sind sehr kostbar, denn es sind Erbstücke von unsern Ahnen. Jetzt, seitdem wir alle die schönen eisernen Instrumente haben, können wir solche Sachen doch nicht mehr verfertigen; unsere Männer sind nun so faul geworden! Weiterhin stehen meine Geschenke, eine große, ganz neue Kiste – die habe ich neulich erst von Cabel Mul erhalten – ein paar eiserne Töpfe und dann drei von den großen hölzernen Zylindern dort auf der linken Seite. Da ist in dem einen eine Menge Eilaut, im zweiten sind Fische und im dritten Betelnüsse, die wir eben erst geerntet. Ich habe ein großes Stück Geld dafür geben müssen. Und weiterhin etwas um die Ecke – du kannst es vor jenem großen Strauche nicht sehen, den wir hier immer auf unsere Gräber pflanzen, er hat so schöne gelbe und grüne oder rote Blätter – da stehen noch eine ganze Reihe von solchen Geschenken. Diesmal habe ich aber doch das Schönste gegeben. Doch jetzt still, hörst du die Muscheltrompete? Das ist das Zeichen, daß unsere Gäste kommen. »Sieh,« fuhr sie flüsternd fort, »da ziehen sie schon heran, wie würdevoll! Die vorangeht, das ist die Königin von Kaslau, die Schwester vom king – verstehst du, was hier Mads Schwester ist – ist sie nicht stattlich? Und wie schön rot sie aussieht, und der große Korb, den sie unter dem Arme trägt! Wenn ich nur wüßte, wie sie den gemacht hat, ein einziges Palmenblatt reicht dazu nicht hin. Die hinter ihr geht und einen ebenso großen Korb trägt – wie häßlich sie geht! Sie versteht ihre Schürze nicht recht zu schwingen, und sie sieht sich auch so viel um, das ist » mugul« – sie ist die Gattin des Königs von Kaslau. Dann kommen die Frauen der übrigen Rupaks – siehst du die vierte dort in der Reihe? Wie gefällt sie dir? Das ist eine sehr gute Freundin von mir, die mich nächstens besuchen wird. Die Arme, sie ist recht unglücklich verheiratet. Aber das muß wahr sein, die meisten Frauen von Kaslau sehen gut aus und verstehen die Sitte aus dem Grunde; noch habe ich kein Wort von ihnen gehört, und sie tun wirklich, als ob sie sich über alle die schönen Sachen nicht freuten! Jetzt endlich sitzen sie; und dort, zwischen den Bananen hindurch, kommt auch schon der Kalid.«
Und vor den großen Gefäßen mit Eilaut, den Betelnüssen und Kukausäulen angekommen, beginnt das phantastisch mit allerlei Blättern behangene Weib, das hier das Amt einer Priesterin zu verwalten schien, einen für mich leider ganz unverständlichen, murmelnden Gesang, indem sie zugleich im langsamsten Maß einherschreitend bei jeder dargebrachten einheimischen Gabe die Arme wie segnend über sie erhebt. »So, nun beginnt die Verteilung,« fährt meine »Mutter« fort, »die Betelnüsse stecken die Frauen in ihre Körbe, die übrigen Sachen müssen ihre Männer ihnen nach Kaslau tragen. Ach, Doktor, daß die Engländer uns doch den Krieg gemacht haben! Wir wollten heute einen so schönen, ganz neuen Tanz aufführen; aber Mad ist noch immer so traurig, er hat das » blul« (Verbot) über alle Tänze hier in Aibukit ausgesprochen. Da müssen wir wohl warten, bis wir über Korror gesiegt haben. Dann aber wollen wir große Feste feiern, vielleicht machen wir auch dabei einen Gesang auf dich – denn nicht wahr, Doktor, du und Gabel Mul, ihr holt doch den man-of-war und bestraft Korror, wir allein sind zu schwach und haben keine Kriegsamlais mehr – und dann werden alle jungen Mädchen im ganzen Lande von dir hören und dein Lied singen, und wenn du schon lange wieder zu Hause bist, werden hier noch unsere Mädchen tanzen und dabei singen, wie Doktor kam und bei uns ein Rupak wurde, und wie er ein Kriegsschiff rief und Korror züchtigte!« Unter solchem Geplauder meiner »Mutter« war das Fest beendigt; die Nacht brach herein, und so kehrte ich rasch nach Tabatteldil zurück.
Jetzt ließen mir die Menschen einige Tage Ruhe; aber statt ihrer schienen nun die Götter des Windes und Regens es darauf abgesehen zu haben, mich in meinen Arbeiten nach Kräften zu stören. Schon in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai erhoben sich heftige westliche Winde, die, von starken Regengüssen begleitet, bis zum 23. in abwechselnder Stärke anhielten. Überall drang der Regen zum Dache und den Seiten des Hauses herein, in dem wir selbst am Tage in halber Dunkelheit lebten. Nun freilich kamen keine Besucher, sich zu amüsieren. Asmaldra ließ sich gar nicht mehr sehen, Arakalulk dagegen regelmäßig; selbst nachts blieb er bei mir, da er fürchtete, mein Haus könnte umgeweht werden. Mitten im Toben des Sturmes aber, der in ungeminderter Stärke bis zum 20. Mai anhielt, machte ich die traurige Entdeckung, daß ich schon seit längerer Zeit bestohlen sein mußte! Eine Menge Sachen fehlten in meinem Koffer! Sie waren nur geringfügig an Wert; aber hier war ich im Verkehr mit den Leuten auf solche Tauschartikel allein angewiesen, so daß jedes Taschenmesser, jede kleine Perle für mich unschätzbar war. Wußte Woodin doch noch immer nicht zu sagen, wann er imstande sein werde, nach Manila zurückzufahren – und nun stahlen mir meine eigenen Leute meine wenigen Sachen! Wie graute mir aber bei dem Gedanken, daß ich jetzt bald durch solchen Verlust gezwungen werden könnte, als einheimischer Rupak mit den Eingeborenen zu leben!
Mein Verdacht fiel rasch auf Casöle, den Sohn Asmaldras, dessen verdächtiges und scheues Benehmen seit seiner Anwesenheit in Tabatteldil mir immer ausgefallen war. Ich hatte sehr gute Verdachtsgründe, aber keinen Beweis. So ging ich zu Johnson, den ich bei allen ernsthaftern Fällen doch immer noch um Rat zu fragen pflegte, und bat ihn, er möge mit Casöle, besonders aber mit Asmaldra ernsthaft reden. Statt dessen geht er hin und sagt es Mad. Dieser spricht augenblicklich im Namen des Aruau die Todesstrafe über Casöle aus und läßt ihn nach einheimischer Sitte an einen Baum binden. Aber Asmaldra kauft ihn rasch mit einem großen Stück Geldes los, und wütend, daß meine Anklage ihn und seinen Sohn in solche Ungelegenheit gebracht, stürzt er zu mir hinunter nach Tabatteldil und kündigt mir, der ich nichts von dem Vorgefallenen ahne, mit einem Schwall heftig herausgestoßener Worte den Kontrakt und die Brüderschaft. Arakalulk, mein Freund in der Not, ist leider nicht da. So eile ich rasch die paar Schritte nach Auru, um Johnson zur Rede zu stellen, dem ich noch ganz besonders ans Herz gelegt, daß ich in keinem Falle die Sache veröffentlicht haben wollte. Aber nun wird auch der wütend: was ich denn von ihm wolle, er brauche mich nicht, sei nicht mein Diener und könne sagen, was ihm gefalle. Er wolle mir nun auch den Arungul, meinen besten Diener, nehmen, da er halb und halb sein Sklave sei, überhaupt wolle er jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben. Er spannte den Bogen zu stark. Ich verbot ihm den fernem Eintritt in mein Haus. Nicht ohne Sorgen, wie es mir ergehen würde, da ich mich jetzt wirklich ohne Dolmetscher wußte und fortan unter diesem so fremdartigen und teilweise mir unverständlichen Völkchen meinen Weg mir selbst bahnen sollte, eilte ich nach Hause, wo ich außer Alejandro und den beiden Mädchen nur noch Arungul fand, der mir treu zu bleiben versprach. Arakalulk hatte schon in der Stadt davon erfahren; er kam noch am selben Abend, um mich zu trösten und mir zu sagen, daß, wenn er auch Asmaldras Freund sei, er diesem doch unrecht gebe und versuchen wolle, ob er mir den verlorenen Bruder wiedergewinnen könne.