Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kreiangel

Am nächsten Morgen war mein erster Gang in das Baj des Königs. Höchst würdevoll, mit seinem blendend weißen Hussaker (Lendengürtel) in der Hand, saß der alte Mann da, neben dem Eingänge an der einen Giebelseite des Gebäudes. Er forderte mich nach einheimischer Sitte mit leichter Handbewegung auf, ihm gegenüber an der andern Seite der Tür Platz zu nehmen. Arakalulk hielt sich in einiger Entfernung.

»Ich habe schon viel von dir gehört, Doktor«, begann der Fürst. »Da sind gestern Leute aus Korror gekommen, die haben mir erzählt, daß du mich besuchen wolltest, und daß du, obgleich ein so großer Rupak jetzt in unserm Lande, immer noch die dummen Tiere da im Wasser sammelst, aber nicht bei uns bleiben willst. Könntest du nicht in Aibukit sehr mächtig werden?« – »O ja, das ginge wohl schon, aber die in Aibukit haben ja genug an Piter, die wollen mich ja doch nicht, nicht wahr, Arakalulk?« – »Wohl möglich«, meinte mein Freund, mich verstehend und halb gegen einen eben hereintretenden Rupak gewendet, »wohl möglich, daß Marisseba und Krei dich nicht halten wollen; sie meinen, gegen die Macht von Korror könntest auch du nichts ausrichten.« – »Nun,« unterbrach ihn unser königlicher Gönner, »wenn das ist, so wird Doktor gewiß gern hier bleiben. Hier soll es ihm an nichts fehlen. Unser Land ist zwar arm, auf unserm Boden wachsen die Bäume nicht so gut wie in Palau. Nur die lius (Kokospalmen), die calebingl (Papaya) und die maduch (Brotfruchtbaum) gedeihen hier gut; aber tu (Bananen) und bua (Bonga) und Kukau müssen wir von Arakalong her holen. Vor wenig Tagen erst sind fünf Amlais dahin abgegangen, um Lebensmittel zu kaufen.« Ich tat, nichts Arges ahnend, die so naheliegende Frage, warum sie denn dort blieben in Kreiangel, da doch noch überreichlich Platz für seine paar Menschen in Palau wäre. Aber da brauste der alte Mann auf: »Olokoi, Doktor, du bist schon so lange hier im Lande und kennst unsere Sprache und weißt noch nicht einmal, daß ich ein King (König) bin? Und nun meinst du, solle ich in Arakalong ein kleiner Rupak werden? Nein, nein, das geht nicht. Ich will dir auch erzählen, wie meine Familie hierher gekommen ist; dann wirst du einsehen, was für eine törichte Frage du getan hast.«

»Ehe die Menschen nach Palau kamen, waren hier eine Menge Kalids; das ganze Land war voll davon. Ihre Bajs waren viel schöner als unsre jetzt; und in ihnen waren viele Mädchen, und ihre Klöbbergölls waren zahlreich an Männern. Die lebten viel zufriedener wie wir; denn die men-of-war von Angabard waren noch nicht gekommen. Unter ihnen war einer ganz besonders klug; aber seinen Namen habe ich vergessen. Der lebte in Eirei, sehr weit von hier, dicht bei Korror. Eines Tags schlug er den andern Kalids vor, sie wollten Amlais bauen, um Kreiangel zu besuchen; wer von ihnen zuerst mit einem Baumzweige von dort zurückkäme, dem solle die Insel gehören. Nun bekamen sie alle Lust, King von Kreiangel zu werden, und sie arbeiteten fleißig an den Amlais, die sie aus großen schweren Bäumen machten. Nur jener schlaue Kalid suchte sich fast ganz zerfressenes Holz, höhlte dies aus und umwand es mit leichten Binsen. Nun konnte kein Wasser mehr durch die Löcher eindringen. Als sie aber die Wettfahrt begannen, da ward sein leichtes Amlai vom Winde gehoben und rasch über die Berge nach Kreiangel geführt; und als die andern schwer im Wasser einherfahrenden erst bei der Bank von Kossol waren, kam jener ihnen schon von der Insel her mit einem Baumzweige entgegen. Nun wurde er King von diesem Lande. Dann tarnen die Menschen von Ngaur her, und die Kalids gingen alle in den Himmel; nur einige kamen mitunter wieder herab und verheirateten sich hier mit den Frauen und bekamen Kinder. Und jener King von Kreiangel kam nach Kaslau und hinterließ einen Sohn, den er beim Fischfang einstmals nach Kreiangel führte, um ihm zu seinem Erbe zu verhelfen. Der grub eine große »Kim« bei einem Maduch ein. Später kam dann ein Mann von Reissal dahin, der hieb den Brotbaum um und behauptete nun, als er zurückkam nach Palau, er habe ein Zeichen in Kreiangel gelassen, daß die Insel sein Eigentum sei. Darüber entstand ein großer Streit; und die beiden Männer fuhren zusammen hierher, und der Mann von Kaslau hatte recht; aber er hatte ein gutes Herz und versöhnte sich mit dem andern. So blieben sie beide hier und teilten sich in das Reich. Und der Mann von Kaslau bekam Kinder, und diese wieder, und dazu gehörte mein Großvater. Nun siehst du wohl, daß ich von Kalids abstamme, die hier gewohnt haben, und du warst sehr töricht, zu verlangen, ich solle wegziehen aus dem Lande, wo ich geboren bin.«

»Nun, werde nur nicht böse, ich meinte es ja nicht schlimm. Aber sage mir, King, wer hat dir denn diese hübsche Geschichte erzählt?« – »Erzählt? – da sieh hier, da kannst du sie ja lesen.« Und mit seinem Finger deutete er auf den höchsten quer in Manneshöhe durch das Haus ziehenden Tragbalken des Dachstuhls, auf dessen breiter uns zugewendeter Seite die eben vernommene Geschichte in deutlichster Weise dargestellt war. »Auf diesen Balken und da draußen auf den Giebelfeldern schreiben wir unsere alten und neuen Geschichten auf. Manche davon sind sehr alt, die können wir jetzt nicht mehr verstehen; aber wir zeichnen sie doch immer wieder ab, weil wir glauben, daß gerade diese von den Kalids herstammen. Hätten wir Menschen sie gemacht, dann würden wir sie doch wohl deuten können. Hast du Lust, sie lesen zu lernen, Doktor, so will ich dir einige davon erklären.« – »O ja, recht gern, King, aber später; jetzt muß ich fort und dein Reich ansehen. Ich habe hier viel zu arbeiten.« Und mit meinen Begleitern von Aibukit begann ich alsbald meine Wanderungen auf der Insel.

Wie überall, so stand auch hier das Baj auf einem großen, viereckigen, gepflasterten Freiplatze, auf dem einzelne Kokospalmen sich malerisch erhoben, während ihn ringsum das dichteste Gebüsch umgab, über das die Papayas und die Brotfruchtbäume hervorragten. Wir folgten einem der gepflasterten Wege, die durch das Dickicht führten, und kamen bald auf einen sehr großen freien Raum, dessen Mitte von einem mit sorgfältig gemauerter Einfassung versehenen Bassin eingenommen war. Eine Menge Knaben und einige ältere Männer badeten sich gerade darin. Das Wasser war vollständig süß; an den Pflanzen und Gräsern, die ringsum bis dicht daran üppig gediehen, krochen in großer Zahl kleine Sumpfschnecken, und in der Tiefe lebten zwei Arten jener für den tropischen Teil der östlichen Hemisphäre so äußerst charakteristischen und weitverbreiteten Wasserdeckelschnecken ( Melania). Ich fragte einen der badenden Männer, ob denn dies Wasser beständig so trinkbar sei. »O nein,« gab er mir zur Antwort, »jetzt ist das Bassin so voll davon, weil es viel geregnet hat. Auch unsere Brunnen sind jetzt sehr voll. Du hast sie wohl schon gesehen? Fast bei jedem Baj ist ein solcher; die sind sehr tief, und das Wasser daraus trinken wir; hier aber baden wir uns nur. Wenn dann aber lange kein Regen kommt, so wird das Wasser immer niedriger und zugleich auch salzig, aber es läßt sich doch trinken. Mangel daran haben wir eigentlich nie. Nur mitunter ist es sehr schlecht. Wenn nämlich der Wind lange aus Südwest weht, dann steigt das Meer oft sehr hoch; bei heftigem Sturme geht es mitunter über die ganze Insel weg. Nachher haben wir immer einige Tage lang sehr salziges Trinkwasser; aber der nächste Regen, der auch mit demselben Winde kommt, macht es bald wieder süß. Jetzt haben wir lange keine hohe Flut, aber sehr viel Regen gehabt; darum schmeckt das Wasser so gut. Was willst du aber hier?« – »Freund, das verstehst du doch nicht,« sagte rasch Arakalulk, »Doktor ist ein großer Rupak, er hat viele schöne Sachen mitgebracht, um hier Muscheln zu kaufen, und wenn du ihm einige von den schönen roten Schalen ( Cypraea aurora) bringst, die drüben auf Aruangl gefunden werden, so wird er dir gleich einen neuen Hussaker geben.« – »Wirklich,« fragte jener, mich zweifelnd ansehend, »ist das wirklich wahr? Da will ich meinen Hussaker bald haben.« – »Jawohl, Freund, und wenn du mich selbst auf jene Insel bringst, dann gebe ich dir noch sechs Stück dazu und etwas Reis. Also sprich darüber mit deinen Freunden und sage mir Bescheid; wenn ich mit meiner Arbeit hier fertig bin, so wollen wir hinüber nach Aruangl.«

Wir setzten unsre Wanderung fort. Dicht hinter dem Bassin verlor sich der gepflasterte Weg in Trümmern von Korallen und Muschelschalen, die überall den Boden bildeten und auf denen sich nur in flachen Einsenkungen oder unter dem Schutze großer Bäume ein wenig Humus gebildet hatte. Gänzlich eben schien die Fläche zu sein. Nur als wir uns dem östlichen Rande näherten – wir hörten deutlich das stärker werdende Rauschen der Brandung – erhob sich das Land zu einem um einige Fuß erhöhten Walle, der ringsum die äußerste Grenze der Vegetation bezeichnete. Auf seiner 15-20 Fuß breiten Kammhöhe lagen Reihen größerer Korallenblöcke angehäuft, und überall war an deutlichen Spuren erkennbar, daß das jetzt niedrige Meer vor wenigen Stunden noch bis hart an diesen Wall heranschlug. Nun lag aber das Riff trocken da, und in einigen Hunderten Schritt Entfernung sahen wir die Wellen sich gegen die Blöcke seines Außenrandes brechen. – Ein beschwerlicher Marsch auf der toten, überall aus gänzlich verändertem Korallenkalk bestehenden Rifffläche brachte uns um die Nordspitze der Insel herum an das Ufer der Lagune, da hier das äußere Riff sich direkt in diese senkt. Ein Amlai lag zu unserm Empfange bereit. Der östliche, ziemlich frische Wind vermochte nicht den Spiegel des Sees zu trüben, und die hohen Palmen spiegelten sich in ihm mit eitler, selbstgefälliger Bewegung. Durchsichtig wie Kristall war das Wasser, bald himmelblau und smaragdgrün, wo auf seichtern Stellen weißer Korallensand den Grund bedeckte, bald dunkelgrün über den mit Tangen bewachsenen, liefern Orten. Es mochte das Wasser in der Mitte bis zu 10 Faden tief sein; jeden am Boden liegenden noch so kleinen Gegenstand konnte man erkennen. Hier zog eine hübsche Koralle, dort ein großer Wurm oder eine Muschel meine Aufmerksamkeit auf sich; aber vergebens bat ich meine Begleiter, sie mir zu holen. Immer hieß es, das Wasser sei zu tief! Aber plötzlich, ehe ich noch ahnte warum, stürzen sich gleich drei auf einmal von ihnen ins Meer – und nach einigen Sekunden kommt Cabalabal mit einer großen, wohl 3 Fuß langen Holothurie (Seewalze) zum Vorschein. »Das ist schön von dir, Freund,« rufe ich ihm zu, »daß du mir das Tier geholt hast.« – »Das ist nicht für dich, Doktor, die will ich kochen, dann gibt mir Cabel Mul, wenn ich noch einige solche finde, gewiß ein neues Stück Kaliko dafür.« – »Nun, es ist schon gut – aber das nächste Mal, wenn ich ein Tier haben will, mußt du es mir holen; nun weiß ich ja, daß du es kannst.«

Bald waren wir wieder am Strande der Insel Kreiangel. Diesmal legten wir an der südwestlichsten Ecke derselben an, da, wo sie von der Nachbarinsel Nariungus durch einen bei Ebbezeit trockenen, aus der Lagune allmählich ins Riff sich verlierenden Kanal getrennt wird. Hier fanden sich ausgedehnte Sandflächen, durchfurcht von zahllosen, grabenden Schnecken, die sich jetzt immer tiefer in den Sand bohrten, um der trocknenden Sonne zu entgehen. Arakalulk und seine Genossen schickte ich auf die Jagd nach solchen Schnecken. Ich selbst aber lege mich am Strande nieder im Schatten einer majestätischen alten Barringtonia, deren Wurzeln, hier und da aus dem Korallensande hervorragend, sich tief in das Wasser hineingesenkt haben. Die friedlichste Stille liegt auf der blaugrünen Fläche. Von ihr auf steigen in wallendem Spiel Luftströme, der Sonne entgegen, die im Zenit steht. Die höchsten Wipfels des Baumes zittern leise rauschend im ersterbenden Winde, und auch die Brandung verhallt mehr und mehr. Völlige Windstille liegt auf der Landschaft. Meine Muschelsucher sind vom Strande verschwunden – sie benutzen mein Träumen, um sich der Mittagsruhe zu ergeben. Verstummt ist längst schon das Krähen der Hähne und das Gackern der Hennen; nirgends in den Lüften spielen Möwen wie sonst. Auf dem Wasser treibt eine schlafende Schildkröte, sicher vor ihren Feinden, die in ihren Häusern schlummernd liegen. Nur unter den Blättern des Baumes, die dort noch eben von der Sonne beschienen werden, spielen Fliegen in pfeilschnellem, hüpfendem Fluge. Und auf dem Sande kriecht vorsichtig, hart an meinen Füßen vorbei, eine Landkrabbe der Lagune zu, wohl in der Absicht, sich ihr Mittagsmahl von Muscheln zu holen.

Merkwürdig: am Morgen dieses 6. Juli, meines Geburtstags, war ich aufgestanden, gequält von Sehnsucht nach der Heimat und der peinigenden Erinnerung an meine Braut, die mich längst zurückerwartete und keine Nachricht von mir erhalten hatte. Die mich vielleicht schon verloren gab, da ich nun bereits drei Monate länger, als verabredet, ausgeblieben war; der Gedanke an sie und alle meine Lieben hatte mich den ganzen Tag nicht verlassen, trotz der angestrengtesten Arbeit, durch die ich mich zu zerstreuen versuchte. Aber mit der Müdigkeit, die nun unter der brennenden Sonne die ganze Natur überfiel, kam ein stiller Friede über mich, und in geduldiger Ergebenheit des fröhlichen Wiedersehens gedenkend, schlummerte auch ich endlich ein.

Als ich erwachte, war auf dem Strande um mich her alles lebendig. Die Menschen freilich schliefen noch; aber die lebhafteren Tiere tummelten sich schon wieder im erneuten Kampf um ihre Existenz. Da kriecht offenbar dieselbe riesig große Landkrabbe abermals an mir vorüber, die vorhin gegen das Riff zu geeilt war. Ihre Jagdgründe hat das steigende Wasser schon zurückerobert; aber sie scheint zufrieden zu sein mit der Beute des Tages. Mitunter steht sie still und greift mit ihren Scheren in den Sand hinein; das ist wohl ein kleiner Wurm, den sie zum Nachtisch zwischen ihre beständig auf- und zuklappenden Kaufüße schiebt. Nun kommt sie an mir vorüber; in einem Loche des alten Baumes zwischen Steinen und trockenem Laube verschwindet sie. Flohkrebse hüpfen und tanzen in Scharen um mich herum; auch sie treibt das steigende Wasser, wie jene Landkrabbe, vor sich her. Sie scheinen zu spielen; doch bei genauerm Ansehen erkenne ich, daß auch sie in dem Mulm ihre Beute suchen. Hier liegt ein toter Wurm, auf dem sie in großer Schar tastend und fressend herumspringen. Muntere Taschenkrebse laufen nach allen Richtungen umher, und mühselig genug schleppen einige Einsiedlerkrebse ihre gestohlenen Häuser mit sich fort. Diese sind offenbar unglücklich daran; ihren Feinden entrinnen, wie jene hurtigen Krabben, können sie nicht, noch viel weniger sich verteidigen, wie die große Landkrabbe mit ihren mächtigen Scheren. Aber Not macht auch unter Tieren erfinderisch. Bei dem geringsten Geräusch ziehen sie sich in ihre Schale zurück und verschließen nun die Öffnung des Gehäuses mit einer ihrer Scheren so vollständig, daß nicht leicht ein Schnabel eines Vogels an ihren weichen Leib zu kommen vermag. Packt er aber doch ihre Schere, die vielleicht etwas zu klein war, um sich ganz der Schalenöffnung anzupassen, dann läßt der Krebs den Arm rasch entschlossen fahren. Haben diese Krebse doch die beneidenswerte Eigenschaft, sich einen neuen, schöner als zuvor, wieder ansetzen zu können. Wie mögt ihr Eremiten über die hilflosen Menschen lachen! – Immer näher heran kommt das Wasser und zwingt auch mich zum Rückzüge. Nun kriechen die Einsiedlerkrebse, die offenbar auch auf dem Lande leben, an dem Baume empor und in die Spalten hinein, und mit ihnen zugleich ein Heer von kleinen und größern Strandschnecken. Das ist langweiliges Volk; apathisch und furchtsam, tasten sie mit ihren Fühlern sorgfältig vor sich her. Auch sie verlieren sich in den Löchern zwischen den Wurzeln des Baumes. Reiche Beute an verschiedenen Arten machte ich, als ich ihnen nachgrub. In der größten Tiefe des Baues fand ich eine ganze Familie einer solchen Strandschnecke ( Melampus), die in friedlichster Eintracht der zahlreichen Mitglieder einen großen Haufen ihrer kleinen, regellos zusammengehäuften Eier zu hüten schienen. – Das steigende Meer kam nun schon bis hierher, und da jetzt endlich auch Arakalulk, noch halb schlafend, herantrat, so gab ich Befehl zum Aufbruch und zur Beendigung dieser unserer ersten Orientierungsfahrt auf dem Boden Kreiangels.

Recht ermüdet kamen wir gegen Sonnenuntergang wieder im Baj an. Hier war eine merkwürdige Unruhe über die Leute gekommen. Ein alter Rupak saß am Eingang und gestikulierte heftig zu einer Rede, die er so hastig hervorstieß, daß ich nur einzelne Brocken derselben verstehen konnte. Da hörte ich »Korror« und » armungul« und »Klöbbergöll«, und hieraus und aus einigen andern Worten schloß ich, daß während meines Spaziergangs das eingetreten war, wovor sich die Bewohner offenbar schon seit einiger Zeit gefürchtet hatten. Ein Klöbbergöll aus Korror nämlich war drei Tage vor mir dort angekommen, anscheinend zum Besuch ihrer Freunde auf der Insel; aber der wirkliche Zweck war das Entführen einiger Mädchen. Wie von jeher Kreiangel sich den Übermut des mächtigen Verbündeten aus dem Süden hatte gefallen lassen müssen, so wagten auch diesmal die Bewohner der Insel nicht, deren Vorhaben zu vereiteln. Mädchen, denen das lustige freie Leben lockend schien, hatten sich bald gefunden; mit ihrer stummen Augensprache hatten sie sich rasch mit den Männern aus Korror über den Ort des Stelldicheins verständigt. Nun klagten die Eltern und taten ganz unbändig, da es doch längst schon zu spät war, die zur Mittagszeit entführten Mädchen den Räubern abzujagen. Auch jener Rupak hatte eine Tochter verloren. Mir tat der alte Mann leid, er schien von wirklichem Schmerz ergriffen. Ich trat auf ihn zu, und da ich seinen Rang nicht kannte, so fragte ich ihn ohne Arg um seinen Namen. Nun kehrte sich seine Wut gegen mich. »Du bist ein recht törichter Mann,« fuhr er mich an, »bist du vielleicht ein Kalid, daß du so dummes Zeug schwatzest? Weißt du noch nicht, daß es › mugul‹ ist, jemand zu fragen: ›Wie heißt du?‹ Soll ich dich, den großen Rupak aus Angabard und von Aibukit, erst lehren, was hier gute Sitte ist? Du läufst hier aufrecht im Baj herum, das ist › mugul‹, denn nur die Kalids gehen so; wir Menschen aber bücken uns vor ihnen gerade so wie vor den großen Rupaks. Und den Hut auf dem Kopfe behalten, ist auch › mugul‹; tue ihn herunter und setze dich nieder, wie es sich geziemt.«

Sehr erstaunt war ich ob solcher Worte; es war das erste Mal, daß mir ein Eingeborener so entschieden entgegentrat mit dem Verlangen, mich seiner einheimischen Sitte zu fügen. Das durfte ich mir schon um Arakalulks willen nicht gefallen lassen. Ich schnitt ihm drum das Wort im Munde ab und erklärte ihm, so gut es eben ging, in derben Worten, daß ich als Rupak aus Angabard über ihren Gesetzen stünde, und daß ich mich vor ihren Kalids nicht im mindesten fürchte. »Wir sind gewohnt, immer aufrecht zu gehen und zu stehen, und lassen jedem sein Vergnügen. Wenn du einmal in mein Land kommst, so kannst du dich meinetwegen, wie hierzulande, auf die Erde setzen, obgleich wir das nicht tun. Wenn du nun bei uns dich niederhocken darfst, warum soll ich dann nicht vor dir stehen dürfen? Also gib dich zufrieden, ich tue, was mir gefällt, und jetzt will ich schlafen gehen, denn ich bin müde.« Noch lange aber hörte ich den alten Mann schelten, auf mich und auf die Leute aus Korror, die wir ihm heute ein so schweres Herzeleid bereitet hatten.


 << zurück weiter >>