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Ich werde selbständig

Mit schwerem Herzen ging ich zur Ruhe. Wenn nun doch der Einfluß dieses Johnson so groß wäre, wie er immer behauptete? Und wenn er ihn benutzte, mir, wie er gedroht, meinen besten Diener Arungul wegzunehmen und das bisherige Wohlwollen der Eingeborenen, namentlich auch Kreis, in das Gegenteil zu verkehren? Dann freilich müßte ich Tabatteldil aufgeben und an Bord des Schiffs oder im Dorfe selbst wie ein Eingeborener leben. Vor beidem graute mir; noch war ich nicht herabgestimmt genug, um die Aussicht auf tiefere ethnologische Studien mit Freuden begrüßen oder das langweilige Schiffsleben mit Woodin gleichgültig hinnehmen zu können. Noch schien mir mein bisheriges Leben ein vergleichsweise zivilisiertes zu sein, wenn ich daran dachte, daß ich vielleicht bald als Eingeborener in den Bajs zu ebener Erde ausgestreckt schlafen, mit meinen neuen Landsleuten auf den Rochenfang ziehen oder gar einen heiligen Tanz einüben sollte. Wie sollte ich mich nun mit ihnen in der ersten Zeit verständigen? Wer würde mir Lebensmittel besorgen, die ich bisher hauptsächlich durch Johnson erhalten? Zwar schien mir dieser oft den Mund etwas voll genommen zu haben, wenn er von seinem Reichtum sprach, und wie Krei nichts ohne ihn täte; auch hatte er in jüngster Zeit sich entschieden weniger um meine Verpflegung gekümmert als Arakalulk, und oft sogar wollte es mir scheinen, als ob er bei der Übersetzung meiner Worte nicht ganz treu gewesen wäre, sondern nur mitteilte, was ihm gut dünkte. Dann sprach er ein so schlechtes Englisch, und seine Gedanken waren häufig so unklar, daß mir die Unterhaltung mit ihm lange nicht den Nutzen gewährte, den ich mir davon versprochen hatte. Aber dennoch, was wiegen alle diese kleinen Nachteile gegen den einen großen, den er mir zufügen kann – wenn er wirklich im Lande der mächtige Mann ist, für den er sich ausgibt? Mit diesem quälenden »Wenn« vor meiner Seele schlief ich ein; doch allerlei nebelhafte Phantasiegebilde störten meinen Schlaf. Im Traume kämmte ich mir schon mein langgewordenes buschiges Haar mit einem Dreizack; auf meinem Arme waren einige hübsche bläulichschwarze Narben sichtbar. Dann zog ich aus, um Trepang zu suchen, und legte dabei sorgfältig mein einzigstes Kleidungsstück im Boote nieder, um das kostbare Stück Tuch nicht im salzigen Wasser zu verderben – er war so teuer, der rote Kaliko! Nun mußte ein neues Boot gebaut werden, da das meinige nicht mehr recht diente; ich als geschickter Tischler setzte großen Stolz darein, mir mein eigenes zu bauen. Arakalulk weckt mich aus meinen schweren Träumen mit einem freundlichen » good morning, Doctor«, den er nur immer bot, wenn er bei mir in Tabatteldil schlief.

Die Sonne stand hoch, und längst waren in meinem Hause zahlreiche Gäste versammelt, welche die Neuigkeit von meinem Streite mit Johnson schon ganz früh zu mir heruntergelockt hatte. Sie wollten gern alle die neuesten, authentischen Nachrichten hinauf nach Aibukit nehmen, wo im Baj wie in den Wohnhäusern nur von Doktor und Piter (Johnson) gesprochen wurde. Alle meinten, das sei recht dumm von diesem gewesen, mich so zu beleidigen; denn ich schiene doch viel reicher als er zu sein, und wenn ich gezwungen würde – die alte »Lady Leigh« könne wohl kaum die Rückreise nach Manila antreten – hier im Lande zu bleiben, so würde sicherlich Piter im Streite mit mir unterliegen. So sprach das gemeine Volk, das hier wie überall zuerst auf den Beinen war. Nun kam Mad, begleitet von seinem weiblichen Stabe. Mit ihm nahm das Gespräch schon ernstere Wendungen an; denn er forderte mich direkt auf, nachdem er mich seiner Teilnahme und seiner Unterstützung versichert hatte, ich solle mich jetzt endlich erklären, ob ich hier in Aibukit bleiben und einer der Ihrigen werden wolle. Wenn er früher ähnliche Fragen getan, so hatte ich dieselben immer humoristisch behandelt, und meine jetzt ernst gegebene Erklärung, daß mir solches nie einfallen würde, betrübte ihn sichtlich, ohne ihn zu erzürnen. Er schied von mir als Freund, mit dem Versprechen, von nun an sich meiner mehr annehmen zu wollen als bisher. Etwas lebhafter schon war der Strauß, den ich mit dem kleinen, trotz seiner Jahre äußerst frischen und geistig regen Krei auszufechten hatte. Mit wahrer Beredsamkeit setzte er mir die Vorteile auseinander, die für sie aus meiner Erklärung, hier zu bleiben, erwachsen würden. Ganz Palau würde dann vor ihnen zittern. War doch der Ruf meiner doppelläufigen Flinte, die weiter schießen könne wie ihre besten Kanonen, über das ganze Land verbreitet! Und der Revolver, den man nicht einmal zu laden brauche, sei schon im Süden irgendwo besungen worden: mit solchen Waffen könnten sie ganz Palau besiegen. Mit Piter sei es nichts mehr, der sei vor der Zeit alt und feig geworden; man müsse sich nach neuen Leuten umsehen. Immer mehr redete sich der gute Mann in Eifer hinein, und ich sah mich schon dazu verurteilt, stundenlang mit ihm plaudern und immer dasselbe wiederholen zu müssen. Da erschien mir wie eine Retterin in der Not meine »Mutter«. Sehr feierlichen Schrittes – gerade einen solchen großen Korb unter dem Arm, wie sie ihn neulich bei dem Feste in Aibukit so bewundert hatte –, erschien sie zwischen den Mangroven vor meinem Hause. Nun waren alle meine Besucher, selbst Krei, wie mit einem Besen davongefegt, und die unbequem werdende Unterhaltung nahm ein plötzliches Ende.

Aber ich merkte bald, daß ich vom Regen in die Traufe gekommen war. In ihrer Begleitung kam eine andere Frau. Sie war, was man dort eine stattliche Dame zu nennen pflegt. Dicke rote Striche quer über die Stirn und das Gesicht gezogen sollten, sie schmückend, andeuten, daß sie erregter Stimmung sei; ihre Schürze war von der feinsten geflochtenen Sorte, hochgelb mit breitem schwarzen Bande. Ihre Tatauierung am Beine war untadelhaft, und unter dem Arme trug auch sie einen mächtigen Korb. Sonst war sie wenigstens für meinen Geschmack nicht übermäßig anziehend; denn sie schien sich etwa im gleichen Alter mit Kreis Frau zu befinden, aber ihre großen schwarzen Augen leuchteten wie Kohlen. »Du armer Doktor,« begann meine »Mutter«, »nicht wahr, du bist recht traurig, daß Piter nicht mehr dein Bruder ist und nicht mehr für dich sorgen will? Nun, sei nur ruhig; Piter hat dir doch den Kukau nicht geliefert, sondern ich oder Arakalulk, und das soll auch fernerhin so bleiben. Es ist zwar häßlich von dir, daß du so wenig in die Stadt kommst; aber ihr Männer vom Westen seid seltsame Leute. Man muß euch schon euern Willen lassen. Also beruhige dich und amüsiere dich hier im langweiligen Tabatteldil, so gut du kannst, es soll dir an nichts fehlen. Aber ich habe noch anderes mit dir zu sprechen.« Und nun begann auch sie in mich zu dringen, wie es zuvor Krei und Mad getan, ich solle dableiben, es wäre so schön, ich bekäme Kukau und Eilaut, Kokosnüsse und Bananen in Hülle und Fülle – was brauche ich mehr zum Leben? Seien nicht alle Augenblicke schöne Feste und Tänze hier oder in Rallap oder Roll zu sehen? Und hätte ich nicht neulich schon eine vornehme Frau bekommen können, wenn ich nicht gar so dumm gewesen wäre und die Blicke verstanden hätte, die mir eine der Fremden von Kaslau im Baj zugeworfen hatte?

»Nun muß ich dir wohl ein wenig helfen«, fuhr sie fort. »Hier bringe ich dir die Frau – erkennst du sie nicht? Ich zeigte sie dir, als wir zusammen den Aufzug der Gäste bei unserm Fest bewunderten. Ihr Mann ist ein großer Rupak in Kaslau; aber er behandelt sie schlecht, und sie will sich von ihm scheiden. Nun kann sie das, ohne sich unangenehme Streitigkeiten auf den Hals zu laden, aber nur, wenn sie einen noch mächtigeren Mann heiratet; und da du ihr gefällst, so fragt sie dich, ob du sie willst?« »Ach, liebe ›Mutter‹,« meinte ich lachend, »wir Europäer verheiraten uns nicht so rasch.« Und da ich immer die gleiche, mehrfach variierte Antwort auf die wiederholte Frage gab, so machte mir meine »Mutter« schließlich den naiven Vorschlag, dann doch wenigstens ihrer Freundin zu gestatten, eine Nacht in Tabatteldil zu schlafen. Sie würde dann öffentlich als meine Frau gelten, und sie könne sich dann ruhig von ihrem Manne scheiden, da er aus Furcht vor mir nicht wagen würde, mit ihr Streit anzufangen. Natürlich gab ich auch dazu meine Einwilligung nicht; denn ich kannte schon genug von den einheimischen Sitten, um einzusehen, daß ich dann beständig den Betteleien ihrer Familie ausgesetzt sein würde. Mochte ich nun wirklich ihr Mann geworden sein oder nicht, das war gleichgültig. Sie hätte als meine Frau gegolten, und so wäre ich verbunden gewesen, erst allerlei Hochzeitsgeschenke den Verwandten zu geben, dann als Haupt der Familie aufzutreten, hier einem armen Schlucker eine Schuld zu bezahlen oder eines andern Anteil an einer Kontribution zum Feste zu übernehmen, Klöbbergölls-Arbeiten mit Geld abzukaufen oder das verwirkte Leben irgendeines Taugenichts einzulösen, der sich nun meinen Vetter oder Bruder nannte. Hier wie überall kostet das Verheiraten viel Geld. So verheiratete ich mich also nicht; und obgleich meine »Mutter« sichtlich durch meine Weigerung betrübt wurde – sie schien mir wirklich den Vorschlag in aller Naivität eines Eingeborenen gemacht zu haben –, so schied sie doch wie Mad von mir mit dem wiederholten Versprechen, von jetzt an gut für mich sorgen zu wollen. Die hochrote Schönheit, deren Herz ich erobert, hatte der Unterhaltung schweigend zugehört; sie schien auch nicht übermäßig betrübt über den zweiten Korb, den ich ihr auf den Weg nach Hause zu tragen gab.

Ich sollte bald sehen, daß meine Befürchtungen in der Tat völlig grundlos gewesen waren. Mochte auch Eigennutz – wie es bei Krei der Fall zu sein schien – die Leute bestimmen, sich jetzt mehr um mich zu bekümmern, als sie es früher getan, so war ich ihnen doch dankbar dafür, daß ihr Egoismus so liebenswürdige Formen annahm. Was konnten sie dafür, daß auch bei ihnen, wie überall, die erste Regung die Selbstliebe war, die erst nachher ihr Kind, das Mitgefühl, erzeugen mußte? Täglich fast kamen nun Krei, Mad oder ihre Frauen herunter nach Tabatteldil, sich freundlich nach mir zu erkundigen, und nie zuvor war mein Tisch so reich besetzt gewesen. Krei ging selbst so weit, einigemal zu Nacht bei mir zu bleiben; ja, er versprach mir bereitwilligst, ganz in mein Haus ziehen und es hüten zu wollen, wenn ich eine längstbeabsichtigte Reise nach Kreiangel unternehmen würde.

Teilnehmender jedoch und liebenswürdiger als alle war mein Bruder Arakalulk. Er hatte sich mir von jenem Wortwechsel an, welcher mich über seine vornehme Stellung aufklärte, mehr und mehr genähert und für mich eine Zuneigung gefaßt, die gänzlich alles Eigennutzes bar zu sein schien. Auch bei diesem Streite mit Johnson legte er wieder einen Beweis davon ab. Sein Versprechen, mir Asmaldra wiederzugewinnen, hielt er wirklich; denn am Abend nach der Katastrophe brachte er ihn versöhnt nach Tabatteldil zurück. Und während alle andern, selbst meine Mutter, immer und immer wieder mit ihren Bitten hervortraten, ich möchte dort in Palau bleiben, entfiel meinem wilden Freunde doch nie die leiseste Andeutung, wie sehr auch er es wünsche. Ja, es schien mir schon damals, als ob er fühlte, daß es nicht sein könne, als ob er verstände, warum dies unmöglich sei. Wohl mochte auch ihn ursprünglich der Wunsch beseelt und zu mir geführt haben, von mir wie von jedem Europäer möglichst großen Nutzen zu ziehen; sicherlich war auch er anfänglich nur der gewöhnlichsten Neugierde gefolgt, wenn er mich bei meinen Arbeiten befragte, wozu ich das alles täte. Aber das Interesse hatte bald einem innigen freundschaftlichen Gefühle für mich Platz gemacht, und seine Neugierde wurde rasch zur lebhaftesten Wißbegierde. Nichts entging seiner Aufmerksamkeit. Stundenlang konnte er ruhig zu meinen Füßen sitzen, um sich von mir bis in die feinsten Einzelheiten hinein erzählen zu lassen, warum ich die Unmassen von Muschelschalen und Insekten, Würmern und allerlei andern Meertieren sorgfältig zubereitete und einpackte. Ihm war rasch klar geworden, daß dies alles einen andern Sinn haben müßte, als seine Landsleute ihm unterlegten: ich sammele diese Tiere nur, um sie für teueres Geld, wie Kapitän Woodin seinen Trepang, in Europa als Nahrungsmittel zu verkaufen. Und wenn ich ihm im Mikroskop allerlei kleine Tierchen zeigte oder ihm mit dem Fernrohr meines Theodolithen, den ich zum Vermessen der Riffe benutzte, ferne Landschaften in die größte Nähe rückte, so folgte seiner ersten kindlich naiven Freude über die wunderbare Kraft der beiden Instrumente doch rasch die Frage, wozu das alles nütze. Zwar wisse er wohl, daß ein Fernglas für jeden Seefahrer unentbehrlich sei, und auch auf dem Lande möge es gute Dienste leisten, da man von weither schon seine Feinde erkennen könne. Wozu aber das Messen mit der Meßkette und das Visieren nach allerlei Bäumen – die ich als Landmarken benutzte – dienen sollte, sei ihm unklar. Und nun gar das Mikroskop, das er »das kleine Fernrohr« nannte! Ihm schiene das nur ein Spielzeug zu sein wie die kleinen Pfeile, mit denen ihre Kinder schössen, und die doch niemand verwunden könnten.

Oft schloß er solche Reden mit dem Worte: was ich doch für ein ganz anderer Mensch sei als die andern Männer »vom Westen«. Cabel Mul, Piter, Barber und alle Europäer, die sie hier gesehen hätten, wären Tag und Nacht nur darauf ausgegangen, recht viel Geld zu gewinnen, um zu Hause mächtig und angesehen werden zu können. Ich aber käme her und sähe mir Steine, Bäume und Riffe an und sammelte alle Tiere, nur nicht den teuern Trepang; ich säße stundenlang, die kleinen Bestien unter dem Mikroskop zu zeichnen, oder ich notierte mir ihre Worte, obgleich ich sicherlich keiner der Ihrigen werden wolle. Für alles dieses aber gäbe ich viel, sehr viel Geld aus, und ich scheute vor keiner Anstrengung zurück, um hier ein Tier zu erhaschen oder dort den Gipfel eines Berges zu besteigen. In Arakalulk war sicherlich schon lange der Gedanke gereift, daß wir Weißen, neben dem Jagen nach Geld und Gütern der Erde, auch noch andere Ziele zu erreichen strebten, über deren Bedeutung er sich wohl keine klare Vorstellung zu machen wußte. Sicherlich aber nahmen sie in seinem Geiste eine so hohe Stelle ein, daß er nun uns Europäer noch mehr verehren lernte, als er es schon vorher getan, solange er uns nur als tüchtige Seeleute und Spekulanten, als mächtige Eroberer und Verfertiger der schönsten Waffen und eisernen Gerätschaften gekannt hatte. Rührend war es anzusehen, wie er lange Zeit stumm neben meinem Arbeitstische auf der Erde saß, ohne mich ein einziges Mal zu fragen, da er mich beschäftigt sah. Und doch zeugten seine lebhaften, unverwandt auf mich gerichteten Augen von dem Kampfe, den er innerlich mit seiner Neigung focht, mir eine wichtige Frage zu tun.

Einen bessern Schüler, als ich in Arakalulk hatte, wünschte ich nie zu unterrichten; denn für ihn ging kein Wort verloren. Fast immer kamen wir in unsern Gesprächen auf die Frage, was ich denn, nach meiner Heimat zurückgekehrt, mit den angesammelten Kenntnissen anfangen würde. Als ich ihm dann von unsern Museen und Universitäten, unsern gelehrten Gesellschaften und den öffentlichen Vorträgen erzählte, kam er leicht und ungezwungen auf den Zusammenhang aller scheinbar so getrennten, unverbunden dastehenden Arbeiten, die er von mir hatte ausführen sehen, zu sprechen. Hier, wie meistens, half mir ein seinem unkultivierten Verstande geläufiges Bild, in ihm die Ahnung einer solchen Verbindung hervorzurufen. »Du siehst dort«, sagte ich ihm, »das Schiff von Cabel Mul. Es liegt hart am Riffe, kaum 10 Fuß davon entfernt und mit einem Ankertau daran befestigt, während vorn am Bug die Kette das Schiff am Anker festhält. Bricht hier ein einziger Ring von den vielen, welche die Ankerkette zusammensetzen, so treibt das Schiff aufs Riff und zerschellt; denn jenes Tau kann es nicht vom Ufer abhalten. So auch sind unsere Arbeiten. Wir werfen bald hier, bald da ein Tau aus, um uns irgendwo am Ufer festzusetzen; aber erst wenn wir alle die Glieder unserer vereinzelten Arbeiten zu einer Kette zusammengebunden haben, gelingt es uns, nun auch im Meere unserer Gedanken einen festen Ankergrund zu finden. So sammle ich die Steine hier bei Tabatteldil und auf jener Insel Eruloa, weil uns diese vielleicht lehren können, daß früher Land war, wo du jetzt hier Kanäle und Riffe siehst. Und die Steine von Rallap wieder sagen mir, warum gerade dort östlich das Außenriff näher an das Land herantritt als hier im Westen. Und wenn du dich nun hier im Zimmer umsiehst, so haben alle Muscheln, Schnecken, Korallen und Steine, die dort herumliegen, unter sich und mit dem Leben auf euern Inseln und mit ihrem Entstehen den innigsten Zusammenhang. Wir Europäer aber lieben es, zu fragen, wie und warum das Land so geworden ist, warum die Pflanzen und Tiere hier bei euch so und auf andern Inseln anders aussehen. Es ist eine lange Kette von einzelnen Beobachtungen, die wir anstellen müssen, ehe wir sagen können, warum bei euch die Bananen wachsen und in unserm Lande nicht, warum bei uns im Norden die Korallen fehlen, die überall euere Inseln umsäumen.« Ich sollte bald einen rührenden Beweis erhalten, wie wohl er sich meine Rede gemerkt hatte, und wie trefflich er es verstand, in einem speziellen Falle die Nutzanwendung zu machen.

Die Ruhe, die nach dem überstandenen Sturme wieder in mein Haus einzog, förderte mich rasch in meinen Arbeiten und gab mir oft die Gelegenheit zu solchen friedlichen Gesprächen mit Arakalulk, die uns beiden Gewinn und Freude brachten. Während ich mich bemühte, die in ihm vorhandenen guten Anlagen möglichst zu fördern und zu kräftigen, freute er sich seinerseits, mir durch Erzählung alter Sagen und Erinnerungen und durch Aufklärung über Sitten, Gebräuche und Sprache nützen zu können. Leider wurden diese Unterhaltungen abermals nach wenig Tagen unterbrochen. Schon seit längerer Zeit hatte meines Bruders Mutter gekränkelt. Jetzt kam er am 5. Juni mit der Anzeige, sie läge im Sterben; er könne nun nicht mehr so häufig herunterkommen und müsse mich auch bitten, zu gestatten, daß Cabalabal ebenfalls ins Dorf gehen dürfe, da viele Vorbereitungen für das Trauerfest zu treffen seien. Auch Asmaldra und sein Diener behaupteten, wegen derselben Ursache im Dorfe bleiben zu müssen, so daß ich abermals auf meinen Alejandro und den treuen Arungul angewiesen war. Beide lieferten mir zum Glück reiches, interessantes Material an kleinen Quallen und Nacktschnecken, mit deren Untersuchung ich mir die Zeit bis zum 14. Juni vertrieb. An diesem Tage hatte ich nämlich Arakalulk versprochen, meinen Kondolenzbesuch zu machen und durch Teilnahme an einem Trauerfest meinen Schmerz über den Tod seiner Mutter zu zeigen, die ja eigentlich auch die meinige gewesen sei. Sie war am Morgen des 9. Juni gestorben. Alejandro hatte nur die Nachricht gebracht, zugleich mit der auffallenden Meldung, daß Krei sowohl wie Mad die Nacht nach ihrem Tode in dem Leichenhause wachend zugebracht hätten. Es mußte offenbar eine wichtige Person im Reiche gewesen sein. Unwillkürlich brachte ich auch die ungewöhnliche Regsamkeit, welche die Leute wieder auf ihren täglichen Exkursionen und Fischzügen zeigten, mit diesem Todesfall in Beziehung, obgleich ich unterlassen hatte, nach dem Grunde derselben zu fragen. Als ich dann im Dorfe ankam, sah ich bald, daß meine Vermutung richtig gewesen sei. Hier zogen einige Burschen mit einem Netz voller Fische vorbei; vor den Häusern dort saßen Mädchen und bauten auf den hölzernen Sesseln die wohlbekannten Kukau-Pyramiden auf, überall lagen Bananen und frische Betelnüsse herum – kurz, wo ich hinblickte, die deutlichsten Zeichen, daß ein wichtiges Ereignis eingetreten sei. Tiefe Stille herrschte rings um das Trauerhaus. Arakalulk winkte mir schweigend, bei ihm einzutreten: »Das ist schön von dir, Doktor, daß du kommst und Wort hältst; ich bin schon oft nach dir gefragt worden; sie meinen, du seiest doch kein rechter Bruder von nur, du würdest gewiß nicht kommen. Gleich wird man dein Essen bringen, ich habe meine Schwester gebeten, ein Huhn nach deinem Geschmack zuzubereiten. Aber gedulde dich noch ein wenig, gerade jetzt essen die fremden Gäste, die gekommen sind, meine Mutter im Tode zu ehren. »Siehst du« und dabei lüftete er einen Vorhang etwas, welcher das kleine Gemach, in den: wir uns befanden, zeitweilig von dem großen übrigen Raume des Hauses abgetrennt hatte –, »siehst du dort die vielen Frauen? Es sind über zwanzig, die von Kaslau und Rallap, sogar von Meligeok herkamen, alles Verwandte von meiner Mutter und Mad. Sie bleiben hier zwanzig Tage lang, immer im Hause; und während dieser Zeit muß ich beständig zu ihrer Bedienung bereit sein und dafür sorgen, daß meine eigenen Leute und die übrigen Männer des Dorfes genug zu essen kriegen. Ja, das macht viel Arbeit im Staate, wenn eine solche Frau stirbt; sie war die erste hier im Lande, die Schwester von Mad und hier bei uns das, was ihr im Westen Königin nennt!« »Und du warst doch ihr rechter Sohn, also Mad dein Onkel, und du selbst wirst später einmal der König?« »Still, still, man könnte das hören, sei ruhig; ja, ich sollte wohl einmal Mad werden, aber – siehst du, Doktor, mein Onkel ist mir böse!«

So war mir endlich das Rätsel von Arakalulks vornehmer Verwandtschaft gelöst!

Bei diesem Trauerfeste in Arakalulks Hause hatte ich wieder Gelegenheit, die Würde zu bewundern, mit welcher die versammelten Frauen ihrem offenbar sehr langweiligen Geschäft nachgingen. Vorn saß meine »Mutter« der Frau von Mad gegenüber, und jeder von beiden schlossen sich etwa 10-12 andere Frauen so an, daß sie einen gegen die Türfenster offenen Halbkreis bildeten. Alle prangten in ihren besten Kleidern, deren Saum sie, als äußeres Zeichen der Trauer, schwarz gefärbt hatten. Von ihrem dunkelbraunen Halse stachen die roten und weißen Steine des Palaugeldes blendend ab, die sie zum Beweise ihres Familienreichtums stolz zur Schau trugen.

Wenn alle diese Geldstücke uns ihre Geschichte hätten erzählen können! Da ist hier der große rote »Pangungau«, den meine »Mutter« trägt; der soll durch die sechs Generationen hindurch, während welcher Mads Familie über den Staat Aibukit geherrscht hat, nie in andern Händen gewesen sein. Mit Verachtung sieht er auf den kleinen »Brack« herab, welcher Mads Frau schmückt. Das ist ein Parvenu; noch vor wenig Jahren zählte Mads Familie, obgleich von königlichem Geblüt, zu den ärmern des Landes, und durch eine dunkle Geschichte erst soll dieser Brack den vornehmen Posten erhalten haben, den er jetzt am Halse der Königin einnimmt. Wie stolz er sich hier wiegt, als ob etwas von der Würde seiner Trägerin auf ihn selbst übergegangen wäre! Aber er denkt nicht mehr daran, der Elende, daß er einst einer Frau aus niedrigem Geschlechte angehörte, welche ihn hingeben mußte, um ihren der Blutrache verfallenen Sohn loszukaufen. Er war deren einziges Vermögen, das ihrer Familie hinreichenden Kredit verschaffte, um bequem leben zu können; nun sie arm waren, mußten sie sich mit schlechter Nahrung und Wohnung begnügen. Niemand wollte ihnen mehr einen Zweig Bananen oder Betelnüsse borgen; mit einem elenden Kanu konnten die Männer nicht weit genug auf die Riffe fahren, um den großen Trepang zu fischen, nie wieder kommen sie in ihre frühere sorgenfreie Lage zurück. Und weshalb wohl mochte des jungen Mannes Leben dem königlichen Hause verfallen sein? Hier wisperten mir ein paar andere Steine – ich glaube, es waren einige ganz gewöhnliche »Kluks« – etwas ins Ohr von einer Liebesgeschichte: Mads Vater habe der Frau des jungen Mannes etwas ungebührlich den Hof gemacht und sei von diesem erschlagen worden, als er sie einst an jenem Badeorte der Frauen überraschte; des Mörders verwirktes Leben habe nur durch das ganze Vermögen der Familie gerettet werden können.

»Aber dort,« fuhren sie fort, »jener kleine ›Kalbukup‹ kann noch eine ganz andere Geschichte erzählen. Noch vor vier bis fünf Jahren war Aibukit lange nicht so reich, als es jetzt ist – oder sein könnte, wenn das englische Kriegsschiff nicht gekommen wäre –; denn damals war Cabel Mul noch in Korror, und wenn wir handeln wollten mit ihm, so mußten wir nach dem Süden fahren und dann immer dem König von Korror schwere Abgaben bezahlen. Pulver und Flinten durften wir gar nicht kaufen. Nun hatte Piter schon mehrere Jahre verheiratet bei uns gelebt; und mutig, wie er war, versprach er, uns solche zu verschaffen. Das tat er denn auch; mitten am Tage legte er mit seinem Amlai hinten an Cabel Muls Schiff an und holte hier aus den Kajütenfenstern Pulver und Flinten heraus, die uns Era Kaluk versprochen hatte. Geschickt verbarg er sie unter Kukau und andern Sachen; und als er genug hatte, spannte er sein Segel auf und fuhr davon. Aber die Leute von Korror sind schlau; sie hatten sich gleich gedacht, daß Piter etwas Besonderes erbeutet haben müsse, als er so eilig davonfuhr, ohne seine Frau in Korror besucht zu haben; sie machten Jagd auf ihn, aber da sein Amlai ein sehr schönes war, so konnten sie ihn nicht einholen. Das war ein großer Triumph für Aibukit! Die jungen Mädchen verliebten sich alle in Piter und sangen ihm Liebeslieder, und sein Lied wurde rasch auch im Süden bekannt. Nun versuchte Ebadul auf andere Weise, so wie man es hierzulande zu tun pflegt, Piter unschädlich zu machen. Er schickte Krei, zu dessen Familie Johnson gehört, ein großes, großes Stück Geld, einen Kalbukup, von dem nur fünf oder sechs Stück im Lande existieren, um das Leben von Piter damit zu kaufen. Das war ein schwerer Kampf für Krei. Dieser aber rief die Rupaks und erzählte ihnen, was ihm Ebadul habe sagen lassen, und als sie Miene machten, das Geld annehmen zu wollen, da nahm Krei einen großen Stein und zerschlug vor ihren Augen den Kalbukup und rief ihnen zu: ›Nehmt da das Geld; aber das sage ich euch, Piter ist mein Sohn, und wer je wagt, ihm zu nahezutreten, der hat es mit mir zu tun!‹ Ein Stück davon ist jener Kalbukup, den die häßliche Alte dort trägt.«

Nun verstummten die Steine; denn die große Trompete, die nur bei ganz feierlichen Gelegenheiten geblasen wird, ertönte nicht weit vom Hause und kündigte uns an, daß für heute die Arbeit der Männer zu Ende sei, und sie bald mit ihren heutigen Gaben ankommen würden. Halb kriechend, mit gesenktem Blick, traten gleich darauf die jungen Männer ins Haus und setzten schweigend ihre Bürden ab; den Fisch und Kukau brachten sie in jenen Winkel des Hauses, in welchem der Feuerherd zu ebener Erde angebracht war. Die Arekanüsse aber und Blätter des Betelpfeffers wurden in Körben mitten im Raume niedergesetzt, um nun von den jungen, die fremden Gäste bedienenden Mädchen der Familie unter jene verteilt zu werden. Mit dem Abgeben dieser Nahrungsmittel hörte für heute die Arbeit der Männer auf, die sich jetzt halb gebückt und lautlos, wie sie gekommen waren, wieder entfernten.


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