Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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Der Pfirsich

Roger hatte soeben die kühn sich suggerierte Scheu davor, seine Hand zu ergreifen, überwunden und beabsichtigte, sich wieder in Bewegung zu setzen, als er spürte, wie etwas Weiches seinen Arm berührte.

»Wohin denn?« Der lange Jacques stand steil neben ihm.

»Sie sinds.« Roger beschrieb mit dem gesteiften Zeigefinger beschwörende Kreise.

»Heute lasse ich Sie nicht so fort. Weshalb wollten Sie mir denn kürzlich keine Auskunft geben? Über Vivette? Hein?«

»Was denn.« Roger sah unentschlossen auf seinen Finger und schließlich gepeinigt auf den Asphalt.

»Hören Sie denn nicht? Vielleicht schon wieder Coco?«

Roger ließ den Blick unsagbar langsam an ihm emporkriechen, spuckte zweimal gewissenhaft aus und lächelte dann schief: »Bedaure.«

»Divilikowskiy hat schon recht. Es ist wirklich schwer, sich über Sie eine Meinung zu bilden.«

»Dieses Kamel Divilikowskiy!« sagte Roger aus Müdigkeit und fügte deshalb hinzu: »So richtig kann eine Meinung gar nicht sein, daß sie nicht doch herzerfrischend falsch wäre.«

Von ganz hinten aus der Rue St. Anne her prallte jetzt ein fürchterlicher Krach. Sekundenlang erschienen alle Passanten sehr schlecht photographiert; dann reckten sie die Hälse, rollten die Äuglein und schwirrten wirr durch einander.

»Das tut wohl.« Rogers Augen erschimmerten weißlich, jedoch ein wenig blöde.

Der lange Jacques knetete, scheinbar tief beunruhigt, Rogers Arm. »Trinken Sie mit mir einen Aperitif, das wird . . .«

»Nein,« sagte Roger scharf, mußte aber ein stattlich keimendes Lächeln dadurch verwinden, daß er den kleinen Finger in den Mund steckte und wie verstört an ihm sog.

Der lange Jacques zuckte, mehr übelgelaunt als selbstgefällig, die spitzen Achseln und ließ Rogers Arm in zwei Takten frei. »Also nicht . . . Wie der Kerl schreit! . . . Adieu.«

Roger blickte ihm feucht nach, plapperte: »Tirili, tirili . . .« und faßte sich mit der Hand zart in den Nacken.

Diese Bewegung erfreute ihn miteins beträchtlich. Dadurch lebhafter geworden, hielt er diagonal auf das gegenüber befindliche 40 Trottoir zu und trat schließlich mißmutig, aber doch auch ein wenig spöttisch über seinen Entschluß, in eine kleine Brasserie.

Der heranschaukelnde riesige Leib der Wirtin hielt seine Augen fest, bis er saß. Dann besorgte dies ein handflächengroßer Fettfleck auf der Tischplatte.

Als er die kellertiefe Stimme der Wirtin vernahm, fühlte er, daß er unweigerlich grinsen würde, wenn er aufsähe. Dennoch tat er es kurzerhand, zerpflückte aber seine Mimik durch wohl abgestimmte Tonübergänge.

Während die Wirtin verdutzt den Picon eingoß, entzündete er sich mit minutiöser Fürsorge eine Maryland-Burrus und ließ nach dem ersten Zug einen kugelrunden Blick in das linke größere Auge der Wirtin gelangen.

Als diese den Tisch verließ, ging sie denn auch immerhin ein wenig anders: kürzer, unsicherer, wolkiger.

Rogers Hohn trat blitzend in seine Pupillen. Dann lauschte er verbittert auf die Geräusche von der Straße her, bis seine Beine, unkontrolliert geblieben, scharrend nach vorn rutschten.

Erschreckt sah er auf: gerade in die Augen der Wirtin, die schaumig errötete und geil die Elbogen bewegte.

Angenehmer Weise biß ihn Zigarettenrauch, der an der Wange emporgefunden hatte, so schmerzhaft in die Augen, daß er sie ohne weiteres schließen konnte.

Als er wieder sah, saß der lange Jacques ihm gegenüber.

Irgendetwas Lockeres, das inzwischen in dessen Visage geraten war, ließ Roger ganz besonders verblüfft werden.

»Vivette liebt Sie noch.« Der lange Jacques bemühte sich sehr, sich Rogers Blick dazu zu holen.

»So.« Roger gelang es, sein für richtig befundenes, dünn angesetztes Lächeln zu halten.

»Ja.«

»Lieben Sie sie etwa?« Schon während Roger noch die Frage höhnisch auswalkte, fühlte er, daß er sich nicht irrte.

Der lange Jacques vergaß, sich zu wundern, so überrumpelt war er. Dann flötete er aber doch schlauerweise leise: »Nein.«

Eine käsige Faxe faltete die linke Wange Rogers und blieb leicht zuckend hängen.

»Divilikowskiy, den Sie für ein Kamel halten, läßt sich seit acht Tagen von Vivette aushalten.« Des langen Jacques dünner Daumen huschte kokett unter seiner Nase hin und her.

»Nun ja.«

»Er hat Sie bei ihr verläumdet, um das zu erreichen.«

41 »Nun ja.«

»Ich finde das alles nicht so selbstverständlich wie Sie.«

Roger näherte sein rechtes Nasenloch bis auf zwei Zentimeter seinem Handrücken, von dem ein plötzlich darauf erschienenes weißes Pulverchen ebenso plötzlich verschwand. »Was veranlaßte Sie denn, davon überzeugt zu sein, daß Vivette mich noch liebt?«

»Sie bat mich gestern, Ihnen zu sagen, daß sie Sie sprechen möchte.«

»Sagen Sie ihr, daß ich das für zwecklos halte.«

»Gut. Das werde ich sagen.« Des langen Jacques Kopf stieg ballonhaft empor.

»Ich habe also recht.« Roger feixte aberwitzig.

»Wa-a-s?« Die Linien des langen Jacques gerannen.

»Divilikowskiy und seine neueste Freundin Clo waren während der letzten vier Tage fast ununterbrochen mit mir beisammen.«

»So-o.«

»Ja.«

»Ich liebe deshalb etwa Vivette?« Des langen Jacques noch vorhandene Bewegungslosigkeit war trotz allem eine Leistung.

»Ja,« sagte Roger scharf. »Denn ich habe heute mit ihr lange und von gleichgültigen Dingen gesprochen.«

Der lange Jacques schien um einiges noch sich zu verlängern, hob die Brauen in eine mimisch-technisch geradezu unwahrscheinliche Höhe, machte einen überaus zackigen Schritt rückwärts und sang: »Je sais que je suis très joli . . .«

Noch bevor er den Ausgang erreicht hatte, prustete ihm Roger auflachend nach: »Das hilft dir bei mir nichts, du . . . du Pfirsich. Aber vielleicht bei ihr!« Dann murmelte er hämisch: »Lügen bleibt doch das beste Mittel, Lügen festzustellen.«

Später verabschiedete er sich von der Wirtin mit einer für ihn selbst überraschenden Überschwänglichkeit, deren Wirkung er aber zerstörte, als es ihn beim Passieren der Tür zurückzuzwitschern zwang: »Tirili, tirili . . .« 42

 


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