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Es war an einem Sonntag unter den Zelten in Berlin, als Fräulein Anna plötzlich die Worte neben sich gelispelt hörte: »Ik bin wahrhaftig dafür, det man Jurkensalat nich zum Schuhreinigen vawendet.«
An manches gewöhnt, da ihre Wiege auf dem Wedding gestanden war, blieb Fräulein Anna ohne jede Überraschung stehen und musterte den Frechling. »Wat wolln Se? Scheren Se sich jefälligst!«
Die Hände Guhlkes, der mit Verblüffungen noch stets am erfolgreichsten gearbeitet hatte, bewegten sich bereits unruhig an den Hosennähten, als könnten sie nur mühsam warten, nach etwas zu greifen. Dann äußerte er beherrscht: »Mein Name ist Guhlke. Fritz Guhlke. Ik bin Schiffsraseur beim Lloyd, sonst aber jesund und nich von jestern.«
»Ik ooch nich. Aba anständig. Und nu scheren Se sich zum Deibel!«
»Jeben Se mich seine Adresse.«
Fräulein Anna ließ einen verachtungstriefenden Blick auf Guhlkes Schulter tropfen und schritt kräftiger aus.
Guhlke hielt sich tapfer neben ihr, und da er erkennen mußte, daß seine übliche Schablone diesmal gänzlich versagte, zog er straks ein heftigeres, seltener benütztes Register. »Sagen Se, kenn Se Jundelfink?«
»Wat soll ik kenn?«
»Jundelfink.«
»Kenn ik nich.«
» Aba ik. Feiner Kerl. Och und valiebt in Sie, det et schon weißjott bedauerlich is,« log Guhlke flott.
»Jundelfink ham Se jesagt? Det kann woll sin. Aba ik erinnre mir nich mehr jenau . . .
»Na, der lange Lulatsch von der Tempelhofer Fleischbank, der nie ohne Stehkragen ausjeht. Feiner Kerl.«
»Davon hab ik Manschetten, Mutter.« Dennoch begannen Neugier und Lüsternheit in den Fältchen um Fräulein Annas Augen zu nisten.
Guhlkes scharf lauernder Blick erhaschte dieses leise Fünkchen inneren Umschwungs und beblies es augenblicks, seinen Plan erweiternd: »Jestern abend, ik sitze jerade friedlich uff meinem humoristischen Körperteil, kommt die alte Schünemann zu mir, 129 die Dame, bei die er uff Schlafstelle ist, und sagt: ›Guhlke, Pinke sollst du mich jeben, sonst jeht er vaschütt.‹ Jundelfink nämlich. Vaschütt? denke ik und Jundelfink?«
»Ach, wat jeht mir Ihr Jundelfink an.« Fräulein Annas frische Lippen warfen sich unwillig.
»Viel, weißjott viel. Er hat sich 'n bißken Luft machen wollen, der Rotzjunge, mit nem Jasjebläse und nu is er anjebrannt. Die Kiste war leer, die Polente nich faul und nu hockt er im Speicher und sehnt sich nach nem bessern Expreß.«
»Nu sage ik Ihnen aba zum letzten Mal: scheren Se sich oder . . .« Fräulein Anna hatte nun immerhin so viel verstanden, um sich endlich unbehaglich zu fühlen.
»Oder . . .? Danke Komma! Oder Se könn nich jenug achtjeben, det Se Ihre Briefe von Jundelfink zurückkriejen.«
»Briefe? Ik kenn den Kerl doch jar nich.« Der weiße dicke Hals Fräulein Annas rötete sich fleckenweise. Die durch die Bluse hindurch sichtbaren Schulterknochen zuckten.
»Na, na, na, na . . . Denken Se mal jenau nach. Im übrigen bin ik 'n juter Kerl und 'n Kavalier. Nur een Wort brauchen Se zu sajen, mein verehrtestes Fräulein und . . .«
Fräulein Annas schnell gestiegene Angst sagte dieses Wort und noch weit mehr, als sie mit Guhlke unterm Zelt Nr. 3 Platz genommen hatte.
Auf diese Weise erfuhr Guhlke von einer Liebschaft Fräulein Annas mit einem Kommis vom Warenhaus Tietz; wie er sie hintergangen, angepumpt und, nachdem sie die sechste Woche schwanger war, im Stich gelassen habe; und daß er Paul Bierbaum heiße, der Schuft. Weiter erfuhr Guhlke, daß der kürzlichst Verflossene ein eleganter Student vom Wittenbergplatz 2/II gewesen sei, der sich aber ebenfalls schlecht benommen habe, indem er ihr ein goldenes Armband schenkte, das gar nicht von Gold, sondern eine ganz gewöhnliche Imitation war, und überhaupt sie mehrmals versetzte, was ihren Stolz verletzte.
Kurz, Guhlke erfuhr sehr viel und zögerte deshalb nicht, die zwei Weißbiere Fräulein Annas zu begleichen. Abends aßen sie bei Aschinger, frequentierten hierauf ein Kino, hierauf ein Aschinger-Café und schließlich das Treppenzimmer Guhlkes in der Großen Frankfurter Straße.
Fräulein Anna verließ ihn gegen vier Uhr morgens, nachdem sie ihm fast freiwillig dreißig Mark, die sie bei sich trug, gegeben hatte, um Gundelfinks Abreise zu ermöglichen, und ohne auch nur ganz schüchtern versucht zu haben, Wert auf eine etwaige Begleitung zu 130 legen, so sehr fürchtete sie, Guhlkes Unwillen zu erregen und ihre Briefe an Gundelfink etwa doch nicht zurückzuerhalten. Sie hielt Gundelfink längst für jenen langen Kerl, welcher vor einem halben Jahr wochenlang ihre Gunst mißbraucht hatte, und gar nicht Franz Nühler heißen sollte. Auch hatte sie deshalb, obwohl sie den Postweg vorgezogen hätte, einen Rendez-vous mit Guhlke am nächsten Sonntag im Tiergarten zugestimmt.
Die auf dieses Abenteuer folgende Woche füllte Guhlke mit zahlreichen Besuchen aus, die er durchwegs mit den Worten eröffnete: »Ich bin der Bruder von Fräulein Anna Pluscharski, Köchin bei Herrn Justizrat Mandelstuhl in der Röcknitzer Straße.«
Als es Sonnabend war, hatte er sich bereits von Paul Bierbaum unter der harmlosen Drohung, bei Tietz Skandal zu machen, fünfzig Mark geholt; von Herrn stud. jur. Hans Thiessen Wittenbergplatz 2/II mit der Andeutung, ihn wegen Betrugs anzuzeigen und wegen Verführung außerdem, hundert Mark; von Franz Nühler eine Ohrfeige; und von Marie Hufke, die bei der Beseitigung der Bierbaumfolgen behilflich gewesen war, sämtliche Ersparnisse, hundertneunzig Mark, indem er sich dadurch sicherte, daß er ihr mitteilte, seine Schwester habe auf seine Veranlassung hin Berlin mit dem stilleren Erfurt vertauscht.
Tagsdarauf erschien er pünktlich und mit erhöhter Sorgfalt gekleidet im Tiergarten.
Fräulein Anna erwartete ihn bereits und verlangte sofort, und ohne seinen langwierigen Gruß zu erwidern, ihre Briefe an Gundelfink.
Guhlke erzählte leichthin, Gundelfink habe sie in einem Koffer verwahrt, der in Magdeburg stünde; er werde sie aber in einigen Wochen schicken, wenn er die erforderliche Ruhezeit in Hamburg hinter sich habe.
Fräulein Anna lächelte höchst sonderbar und zog mit ihrem knallroten Sonnenschirm spöttisch Kreise in den Sand.
Guhlke, ein wenig unsicher geworden, schlug einen Spaziergang in belebtere Teile des Tiergartens vor.
Plötzlich lachte Fräulein Anna hell auf und fuchtelte mit dem Sonnenschirm wild durch die Luft.
Guhlke hatte kaum Zeit, sich darüber zu wundern, als Franz Nühler hinter einem Baum hervor auf ihn zusprang, ihn so fest um die Handgelenke faßte, daß Stock und Glacéhandschuhe zu Boden fielen, und ihm zuzischte: »Nu hab ik dir, du Jauner! Und nu her mit die Jelder!«
Die Sache verhielt sich so: Fräulein Anna war zufällig Franz 131 Nühler auf der Straße begegnet, der ihr höhnisch von ihrem unverschämten Bruder erzählt hatte; wenn sie sich noch einmal unterstehe, ihn bei Bekannten oder Verwandten zu verleumden, dann . . . Fräulein Anna, der sofort ein bestimmter Verdacht aufgestiegen war, hatte sich diesen Bruder beschreiben lassen und daraufhin nicht mehr gezweifelt. Man war deshalb übereingekommen, Fritz Guhlke Sonntag im Tiergarten abzufangen.
Der bärenstarke Nühler schleppte Guhlke in dessen Zimmer in der Großen Frankfurter Straße, nahm ihm daselbst sechzig Mark ab, einen Überzieher und ein Paar Schuhe und verabschiedete sich mit drohenden Gebärden.
Fräulein Anna, die auf der Straße vergnügt das Resultat abwartete, lief ihm lachend entgegen.
»Der Jauner hat allens vermaust. Zehn Meter und det Zeugs da. Det is allens.« Und an der nächsten Straßenecke verschwand Nühler.
Fräulein Anna blieb überrascht stehen; dann lehnte sie sich müde an die Wand und blickte traurig zum Himmel empor, als sie Guhlke an sich vorbeilaufen sah.
»Lump! Jauner!« schrie sie ihm nach.
Guhlke blieb stehen und kam langsam auf sie zu: »Wat wünschen Se noch, meene Jnädigste?«
»Meine dreißig Mark, du Lump!«
Gulke war sofort orientiert und grinste teuflisch. »Da muß schon een anderer anwackeln als dieser Bowist, um wat bei mich zu holen, du Jans.«
»Waaat?« Fräulein Anna schwang den Sonnenschirm über ihrem Haupt.
Guhlke entfernte sich lachend: er hatte doch noch sein Renommée gerettet.
Nach zwei Tagen aber war Marie Hufke, der die Geschichte doch nicht ganz geheuer vorkam, bei Fräulein Anna in der Küche erschienen.
Tableau. Das damit endete, daß die beiden sich in die Haare gerieten, Geschirr zerschlugen und kreischend auf den Steinfliesen sich wälzten.
Am nächsten Tag mußte Fräulein Anna ihren Posten bei Justizrat Mandelstuhl verlassen. 132