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Friedrich Leander war an diesem Nachmittag über Berg und Tal gelaufen. Weiter und immer weiter. Es war ihm nicht recht, daß seine Schwester nicht mit ihm wandern konnte, und je weiter er lief, je mehr war er geneigt, diese heimliche Reise als Torheit zu empfinden. Bei Mutter Bienert hätten sie die Ferien auch genießen können. Die litt langes Ausschlafen früh, verstand aber auch zu einer Wanderfahrt vor Tau und Tag ihre Schützlinge aus dem Bett zu jagen. Auch auf das Packen von Rucksäcken verstand sie sich vortrefflich. Als Friedrich Leander bei den mit Mundvorrat wohlversehenen Rucksäcken der Mutter Bienert in seinen Gedanken angelangt war, verspürte er etwas Hunger in sich aufsteigen. Er war aber mitten im Walde und merkte bald, so schnell konnte er dieses Verlangen nicht stillen. Denn selbst die Beeren, von denen Märchenkinder sonst immer satt werden, sah er nicht. Da streckte er sich auf dem moosigen Boden aus, zog seinen kleinen Wegführer heraus und begann nun erst einmal nachzusehen, wo er sich eigentlich befand. Richtig in das Blaue war er hineingelaufen, ohne sonderlich auf den Weg zu achten. Und weil er kein sehr erfahrener Wandersmann war, fand er sich auch auf der Karte nicht zurecht. Da waren überall große Waldflächen eingezeichnet, aber inmitten welcher dieser Flächen er saß, das wußte der gute Friedrich nicht.
Und sein Magen begann knurrend zu mahnen: ›Ich bin auch noch da, vergiß mich nicht.‹
Ach du lieber Himmel, Friedrich Leander hätte sich seines Magens gern erbarmt, aber wie soll das einer mitten im Walde ohne Eßvorrat tun? Also geh ich drauf los, dachte er, gab seinem Magen den guten Rat zu warten und lief einfach quer durch den Wald durch. So war es ja nicht im lieben deutschen Vaterland, daß die Wälder niemals ein Ende nehmen, ein Weg, ein Försterhaus, ein Dorf würde schon kommen, jemand würde ihm schon einen Namen nennen, nach dem er sich dann auf seiner Karte zurechtfinden konnte. Und wie er das noch dachte, weiter und weiter lief, rannte er beinahe einen Wanderer um, der mit einem Rucksack auf dem Rücken gemächlich daherkam.
»Hallo!« schrie der, »sind Sie ein Schlafwandler, junger Mann?«
Friedrich mußte lachen und bat um Verzeihung für dies unsanfte Anrennen. Da lachte der andere auch und fragte Friedrich nach Weg und Ziel.
»Ich laufe ins Blaue hinein, um ein Wirtshaus zu finden,« antwortete Friedrich. Er zeigte seine Wegkarte und fragte den Fremden, ob er wohl wüßte, wo sie wären.
Das wußte der nun gut. Er fand auch das Ins-Blaue-Laufen ganz vergnüglich, da er aber schon aus dem Alter der ziellosen Wege heraus war, erzählte er nun auch von seinem Ziel. Ein Schloß war das, noch etwa eine Stunde weit entfernt. Im Schloß wohne ein Graf, was weiter keine Merkwürdigkeit war, sondern das Besondere an diesem Schloß war eine Sammlung griechischer und römischer Altertümer, die der Urgroßvater des jetzigen Besitzers angelegt hatte. Danach hatte sich niemand mehr viel um diese Dinge gekümmert, ein Diener hatte einmal Staub gewischt, das war alles gewesen. Doch der jetzige Besitzer hatte des Urgroßvaters Sammellust geerbt, der hatte noch vielerlei dazugetragen, hatte alles schön und zierlich aufstellen lassen, so daß es eine Sammlung geworden ist, von der die Gelehrten rühmend sprachen.
»Dahin will ich,« sagte der Fremde, »und wenn Sie gescheit sind, junger Mann, dann gehen Sie mit. Ein Butterbrot als Wegzehrung kann ich Ihnen von meinem Vorrat abgeben.«
Und Friedrich Leander war gescheit und ging mit. Er ließ sich von dem fremden Wanderkameraden belehren über die Gegend, die Lage des Schlosses, den Ursprung der Grafenfamilie und sonst noch allerlei. Der andere redete gern. Friedrich hörte ihm gern zu, und gerade wollte der fremde Wandersmann ein neues Thema anschneiden, als Friedrich Leander rief: »Da ist es!«
Ja, da war es, das Schloß nämlich. Jenseits des Waldes, von diesem durch ein schmales Tälchen getrennt lag es auf mäßig hohem Berge. Das Ziel, das die beiden sahen, trieb sie zu größerer Eile an. Sie traten aus dem Walde heraus und sahen nun erst, daß sich ein winziges Städtchen um das Schloß herum lagerte. Vielleicht war es einmal eine ansehnliche Stadt gewesen, denn man sah noch stattliche Mauerreste und einen dicken runden Turm mit einem richtigen Spitzbubengesicht. Die kleinen Fenster standen so wunderlich darin, und wer recht zuschaute, sah sogar das verschmitzte Turmgesicht lachen. Innen schien das Städtchen etwas verfallen, auch ein wenig schmutzig und alle Stadtbewohner Tierliebhaber zu sein. Gänse und Enten schnatterten herum, viele Hühner gackerten laut, wie wichtig ihre Arbeit wäre und von irgendwo hörte man auch das Grunzen eines Schweinchens.
Sie kamen in einen breiten Baumgang und durch diesen in den Schloßhof. Darin schatteten uralte Linden, blühten an einer Wand rote Kletterrosen, Moos wuchs zwischen den Steinen des gepflasterten Hofes, und in der Mitte sprudelte ein uraltes Brünnlein.
»Eichendorff,« sagte der Fremde und blieb stehen.
Friedrich Leander nickte. »Schade,« murmelte er.
»Was ist schade?« Der Fremde sah seinen Weggenossen verwundert an.
»Daß es meine Schwester nicht sieht.« Friedrich rechnete flink nach, wie lange er gewandert war, mit Kreuz- und Querlaufen, und sagte dann froh: »Ach, den Weg schafft sie, ich muß sie herführen.«
»Recht so,« antwortete der Fremde, »kehren Sie aber nur nicht gleich um, junger Mann und kommen Sie erst mit hinein. Oder mögen Sie die Sammlung nicht sehen? Manche Leute sehen sich lieber eine Jahrmarktsbude oder einen Modebazar als so etwas an. Der Geschmack ist verschieden.«
Friedrich wollte gerade erklären, daß sein Geschmack nicht auf Jahrmarktsbuden ginge, als ein Diener kam, dem der Fremde seine Besuchskarte überreichte. An der Art, wie er dies tat, war zu erkennen, daß er jemand sei, der ein Recht hat, die seltenen Schätze zu sehen. Friedrich sah sich jetzt erst den Weggenossen etwas genauer an, und meinte irgendwo schon einmal dies nicht gerade schöne aber kluge Gesicht gesehen zu haben. Noch sann er darüber nach, als der Diener schon wieder zurückkehrte. Der Graf wäre im Sammlungssaal, sagte er, er erwarte die Herren und würde ihnen selbst alles zeigen.
Ein mittelgroßer, sehr schlanker Herr, der gerade liebevoll eine kleine römische Lampe betrachtete, kam den beiden Besuchern entgegen, das zierliche Dingelchen in der Hand.
»Herr Doktor Berner,« redete er Friedrichs Wandergenossen an, »ist das eine Freude, daß Sie hierherkommen.«
Die beiden schüttelten sich die Hände, ein freundlicher Gruß fiel auch für Friedrich ah, von dem sein Begleiter sagte: »Der junge Mann möchte auch die Sammlung sehen.«
Nach Namen und Stand wurde Friedrich nicht gefragt, und das war ihm gerade recht. Denn bei dem Namen Berner war eine Erinnerung in ihm wach geworden, an einen Schüler seines Vaters. Einen, der nachher den Geheimrat von Thurn auf einer Forschungsreise begleitet hatte. War es der? Da sagte der Graf: »Geheimrat von Thurn hat mich schon auf Ihr Kommen vorbereitet, Herr Doktor. Er selbst ist leider lange nicht dagewesen, unterdessen habe ich ein paar Prachtstücke erworben.«
Und eifrig, sehr beweglich führte der Graf die beiden Besucher in einen sehr hellen Nebenraum, in dessen Mitte die kopflose Statue eines Jünglings stand. Es fehlten auch die Arme, ein Fuß war beschädigt, und doch welche Schönheit in Bewegung und Haltung! Am Fensterpfeiler aber hing ein kleines Flachbild, eine Szene aus dem altgriechischen Leben darstellend. In Friedrich Leanders Gesicht stieg eine heiße Glut. Auf einmal sah er sich wieder als Knabe in des Vaters Arbeitszimmer stehen, und er sah des Vaters schlanke Finger, sacht über den gelblichen Marmor streichend.
»Ist das nicht ein wunderbares Stück?« fragte der Graf.
Doktor Berner sah es prüfend und erstaunt an. »Es stammt aus des verstorbenen Professors Leander Sammlung,« sagte er, »ich kenne es genau. Wie kommen Sie zu dessen Erwerb, Herr Graf?«
»Mir sind unter der Hand von Hamburg aus ein paar Prachtstücke angeboten worden, der Preis hoch genug; da diese kleine Bronzestatuette gehört dazu und dort die römische Büste.« Der Graf sah stolz, fast zärtlich auf die schönen Stücke, und der Doktor sagte wieder: »Aus Leanders Sammlung. Es scheint, die ist verkauft worden, ich habe das gar nicht gewußt.«
Der Graf schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein, mir hat der alte Geheimrat von Thurn einmal geschrieben, der Nachlaß wäre unverkäuflich, der bliebe für die Kinder.«
Friedrich horchte erstaunt auf. Wie war denn das, der Geheimrat selbst hatte doch die Sammlung erworben, warum verschwieg er es, ja, und warum hatte er die besten Stücke so heimlich weggegeben?
Er starrte auf das feine schöne Flachbild. Das hatten sie alle miteinander geliebt, die vier Menschen, die so glücklich gewesen waren zusammen. Immer hatte er gehofft, er würde es bei dem Geheimrat wiedersehen, nun fand er es hier im fremden Hause.
Der Graf redete weiter. Er zeigte seinen Besuchern alle Glanzstücke seiner Sammlung, dabei erzählte er von Griechenland und Italien und Friedrich fand, seine Stimme hätte einen blechernen Klang, wie anders hatte da fein Vater gesprochen. Und auf einmal sagte Doktor Berner: »Als ich zum ersten Male in Athen war, habe ich immer an unseren Leander denken müssen. Wenn der sprach, klang es wie ein Gesang von Homer.«
Und dann sagte Doktor Berner noch einmal: »Die Stücke sind bestimmt aus der Leanderschen Sammlung. Aber vielleicht hat seine Frau sie nach seinem Tode verkauft, das weiß ich nicht.«
»Aber ich!« hätte Friedrich beinahe gerufen. Er dachte daran, wie schonend die Mutter jedes Stück gehütet hatte, er dachte an seinen und Ellens Schmerz, als Direktor Schilling ihnen einmal auf die Frage, wo die Kisten mit der Sammlung untergebracht wären, kurz geantwortet hatte: »Die übernimmt der Geheimrat, damit deckt er eure Erziehungskosten.«
»Ich will den Geheimrat von Thurn aufsuchen,« sagte Doktor Berner. »Ich dachte schon, er käme gar nicht mehr ins Vaterland zurück. Vier Jahre war er unten in Griechenland und Ägypten.«
»Ja, ja, dort wird mancher festgehalten!« Der Graf ging weiter, und Doktor Berner folgte ihm. Sie sprachen wieder von der vergangenen Zeit, und Friedrich Leander dachte daran, daß seine Mutter nun auch schon vier Jahre tot war. Und vier Jahre war der Onkel Gerhard im Süden gewesen, und während dieser Zeit hatte er sich nicht um seine Mündel kümmern können.
Friedrich Leander vergaß ganz und gar das Umschauen. Er stand nur immer und starrte das Flachbild an, und seine Gedanken gingen dabei weite, weite Wege. Endlich legte sich eine Hand auf seinen Arm, und die Stimme seines Wandergefährten fragte: »Schlafen Sie mit offenen Augen, junger Mann?«
Friedrich blickte auf. Sein junges, hübsches Gesicht sah gealtert und vergrämt aus, müde, und der Doktor dachte: Armer Kerl, er hat sich gelangweilt. Na ja, ein Kino hätte ihm vielleicht besser gefallen.
Er konnte nicht ahnen, wie unrecht er damit hatte. Friedrich überkam die Sehnsucht, allein zu sein. Er sagte dem Grafen daher ein paar Worte des Dankes, als ihn dieser freundlich zu einem Imbiß mit einladen wollte. Der Hunger war Friedrich vergangen. Er lief hinaus ohne Abschied, er kümmerte sich gar nicht um seines Wandergenossen verdutztes Gesicht, er rannte am glucksenden Brünnlein vorbei, ging durch die krummen Gassen, fragte einen Mann nach dem Weg und rannte den entlang, bis er im Walde war. Und dort warf er sich abseits vom Wege ins Moos, und er tat, was er seit Jahren nicht getan hatte, er weinte, weinte um seines Vaters verkaufte Sammlung. Er ahnte nicht, daß zur gleichen Zeit seine Schwester Ellen in Kummer und Herzeleid eingeschlossen saß. Eins dachte vom anderen in seinem Kummer: Gut, daß der andere es nicht weiß.
Über Friedrich Leander rauschten die Tannen. Gut und beruhigend klang ihr Lied. Die hohen dicken Tannen waren wie alte freundliche Frauen, die junges Leid linde zu streicheln wissen, die trösten können und bei sich denken: Ausweinen lassen, ausweinen lassen, dann kommt schon wieder der Friede über das arme junge Herz.
Und in sein Lied hinein hörte Friedrich die guten Troststimmen über sich, und allmählich begann er ihnen zu lauschen. Darüber wurde er ruhiger. Das Nachdenken kam und das stille Sichbesinnen, und dann flimmerte auf einmal so ein letztes goldenes Schimmerchen durch den Wald, und nun stieg die Freude in ihm auf über die feierliche Schönheit ringsum. Da legte er sich auf den Rücken und sah in die leise schwankenden Wipfel hinein. Er sah, wie oben am blauen Himmel goldene kleine Wolken flogen, er hörte ein paar Vogelstimmen, es klang wie: »Gute Nacht, gute Nacht,« und darüber kam er sacht ins Träumen.
Die Dunkelheit sank über den Wald, Friedrich Leander merkte es nicht. Und weil am Tag die Sonne Glutbündel herabgeschüttet hatte, war die Nacht mild, sie hatte noch Vorrat an köstlicher Tageswärme. Die Erde strömte sie aus. Zwischen den Bäumen lagerte sie, und so traf kein rauher Luftzug den Schläfer im Walde. Im Fremdenstübchen von Fräulein Regine Andernach war kein besseres Ausruhen als in dieser Nacht im stillen warmen Wald. Da stellten sich freundliche Träume ein und entführten Friedrich in das allerheiterste bunte Traumland.
Als er endlich erwachte, war es wieder hell im Walde. Die Sonne saß oben in den Wipfeln, einzelne Vogelrufe, ein sachtes Zwitschern ertönte, und Friedrich richtete sich etwas verwundert auf. »Beinahe wäre ich eingeschlafen,« dachte er, dehnte und streckte sich. Er blickte auf seine Uhr, die stand auf vier, und als er dran lauschte, ging sie nicht mehr. »So etwas,« brummelte er, »die muß ich gestern nicht aufgezogen haben, es muß doch sicher schon sechs Uhr sein.« Und rasch sprang er auf, er fand, es wäre Zeit zum Heimgehen. Er lief nun den Waldweg entlang und staunte über den Glanz, der über alles gebreitet lag, weil er den Morgenglanz für den Abendschein hielt. Während er so lief, spürte er wie sein Magen in Aufregung geriet, gestern war ihm zuletzt aller Hunger vergangen, jetzt regte er sich aber wieder, und als er nach einer Weile an ein einsam liegendes Gehöft kam, beschloß er, dort zu fragen, ob er wohl für Geld und gute Worte einen kurzen Imbiß bekommen könnte.
Lautes Bellen empfing Friedrich, als er sich dem Hause näherte. Drei Hunde schossen ihm entgegen, sie wurden aber von einem Manne, im grünen Jägerrocke, der aus der Türe trat, zurückgerufen. Der blieb im Türrahmen stehen und rief Friedrich zu: »Gehen Sie nur weiter, die tun Ihnen jetzt nichts.«
Friedrich trat an das Haus heran und brachte vor dem Hausherrn bescheiden seine Bitte vor. Der fragte, woher er käme, und Friedrich nannte Weg und Ziel. Er fügte hinzu: »Ich habe heute sehr früh zu Mittag gegessen, seitdem aber nichts mehr und weiß nicht, wie weit das nächste Dorf noch ist!«
»Heute?« fragte der Mann und zog seine Augenbrauen hoch. »In welcher Tageszeit leben Sie denn, junger Mann?«
»Ich denke, es muß gegen sieben Uhr sein,« sagte Friedrich, »meine Uhr ist stehen geblieben und –« er sah zum Himmel aus, und fand daß für einen Abendhimmel dieser recht hell aussehe. »Es ist erst einhalb sechs Uhr!«
»Ach!« rief Friedrich froh, »da komme ich ja noch vor Anbruch der Dunkelheit nach Wolkenburg, ich denke, länger als zwei Stunden gehe ich nicht.«
»Das nicht – aber es ist doch erst einhalb sechs Uhr früh!« Der Förster blickte den Jüngling immer verwunderter an, als der rief: »Aber nein, es muß doch abends sein oder –" er stockte plötzlich und sagte kleinlaut: »Ja, dann – dann habe ich wohl gar im Walde geschlafen.« –
»Das scheint mir auch so!« Der Förster lachte ein wenig, es klang, als fing ferne ein Donner an zu grollen und zu rollen.
Friedrich schaute ihn verlegen an. »Ich hatte mich nur ein Weilchen hingelegt, und dann bin ich ein bißchen eingeschlafen, ja, und ich dachte, es wären nur ein paar Minuten gewesen.«
Da brach der Lachdonner des Försters los. Sein Lachen dröhnte und hallte durch den stillen Wald, es lockte auch seine kleine behende Frau aus dem Hause, oben tat sich ein Fenster auf, zwei kleine blonde Wuschelköpfe schauten heraus. Denen war anzusehen, sie hatten eben erst das Bett verlassen.
Und die Frau lachte, die Blondköpfe oben lachten, eine Magd schaute lachend aus der Stalltüre, und Friedrich Leander lachte herzhaft mit. Da stieß die kleine rundliche blitzblanke Frau ihren Mann an und fragte: »Geh, sag doch, Jaköble, warum lächerts dir so?«
Der stämmige Förster, der mehr wie ein Jakob statt wie ein Jaköble aussah, erzählte behaglich von Friedrichs Schlafen im Walde, dabei ruhten seine Augen mit sichtlichem Wohlgefallen auf dem Städter. Friedrichs feines junges Gesicht, seine klaren offenen Augen gefielen aber auch der Frau Försterin. Sie sagte freundlich: »Wia guat, daß mir unser Morgekaffeele no net austronka habe. Geh Jaköble, lad den Herra ei ins Stüble, damit er verschnaufe ka.«
Ehe er noch recht wußte wie, saß Friedrich Leander in der Wohnstube des Forsthauses. Des Försters Einladung hatte darin bestanden, daß er den jungen Menschen einfach angepackt und in die Stube gezogen und ihn dort in die Sofaecke gedrückt hatte. Vor ihnen stand ein wohlgedeckter Kaffeetisch, die Kanne war verheißungsvoll groß, der Brotlaib stattlich, die goldgelbe Butter lockte, und als die Försterin auch noch ein Glas mit Honig daherbrachte, ließ Friedrich sich nicht lange nötigen, aß und trank, und merkte dabei erst, wie hungrig er war.
Die Förstersleute hatten ihre Freude an seinem gesunden Hunger, die Försterin schob ihm heimlich immer wieder ein neues Stück Brot zu, bis Friedrich lachend erklärte: »Jetzt kann ich nicht mehr!« Der Ausspruch entlockte der Försterin ein bedauerndes ›Ach‹, und der Förster sagte: »Na ja, Stadtleute, die können nicht laufen und können nicht essen, sie können keinen Baum vom andern unterscheiden, und wenn sie mal einen Hasen laufen sehen, schreien sie vor Verwunderung so, als wäre ein Kirchturm lebendig geworden; nix ist mit ihnen los!« »Ond,« meinte die Försterin gutmütig, »tän'de Morga mit dem Obend verwächsla.«
Friedrich lachte vergnügt zu diesem Urteil über die Städter. Der Förster sah seine Frau neckend an, die erzählte noch ein wenig von ihrer süddeutschen Heimat, dann nahm Friedrich Leander herzlich und dankbar Abschied. Er versprach das Wiederkommen. Recht bald wollte er wiederkommen und seine Schwester dabei mitbringen. Und die beiden Blondköpfe, die inzwischen in die Stube gerannt kamen und sich als fünf- und sechsjährige Hosenmätze erwiesen, kreischten laut: »Hoho, er bringt uns ein Schwesterle mit.«
»Mund halte, Büble,« sagte der Vater, denn mehr war nicht nötig. Danach begleitete die ganze Familie Friedrich hinaus. Der Förster beschrieb dem jungen Gast noch einmal den Weg, und der lief vergnügt und froh in den blühendblanken Morgen hinaus. Seine Sorgen hatte er im Walde gelassen, am hellen Tag erschien ihm alles leichter zu sein, nur der Gedanke an seines Vaters verkaufte Sammlung lag wie ein Druck auf seinem Herzen. Als er die Türme von Wolkenburg vor sich auftauchen sah, beschleunigte er seinen Schritt, er dachte, hoffentlich hat Ellen nichts von meinem Fortbleiben erfahren und sich geängstigt. Zuletzt beschrieb er noch einen Bogen, um unten am Höhenweg zu landen und am Haus der Frau Hofrat Schilling vorbeigehen zu können. Er hoffte da, irgendwo Ellen zu sehen.